Heft 24. Die Liebe erringt
den Sieg III. Teil
Des Apostels Johannes Wirksamkeit nach Jesu Auferstehung in den übrigen
kleinasiatischen Gemeinden und sein Tod
Inhaltsverzeichnis
01. Die Bekehrung
des Ältesten der Gemeinde von Smyrna
02. Die
Heilung der Kranken und die Erneuerung der Gemeinde
03. Das fleischgewordene Wort
04.
Menschen und Gottessohn - Johannes erzählt ein Erlebnis mit Jesus
05. Johannes in Pergamus
06. Die Bekehrung eines
heidnischen Priesters
07. Johannes in Thyatira
08. Johannes in Sardes
09. Johannes in Philadelphia
10. Johannes in
Laodicea - Die Heilung der Aussätzigen
11. Johannes auf Patmos
12. Johannes - Sein Heimgang
Die Bekehrung
des Ältesten der Gemeinde von Smyrna
Smyrna war in Sicht und rechte Freude herrschte unter den Schiffsleuten, da sie
wieder an Land gehen konnten zu ihren Frauen und Kindern. Nausikles lud Johannes
zu sich ein. Johannes lehnte jedoch ab; ihn zog es zu Brüdern und Schwestern;
darum sagte er:
„Bruder, wenn du kannst, so komme zu unseren Versammlungen; bald wirst du durch
andere hören, was ich zu wirken habe."
Die Smyrnaer waren hocherfreut, endlich den Liebesapostel in ihrer Mitte zu
haben, von dem sie so vieles gehört hatten, und Johannes erhielt grosse
Liebesbeweise. Leider freuten sich nicht alle, denn auch in Smyrna war der Feind
verheerend in die Gemeinde eingebrochen. Aus Pergamus und Thyatira waren
schlechte Brüder gekommen und hatten manche gute Saat zerstört. Am schlimmsten
trieb es ein Bruder, der behauptete, in ihm sei der Geist Christi in aller
Fülle, und der blinden Glauben forderte. Die Macht seiner Rede war so gewaltig,
dass alle Herzen bebten, und hätte er in all seinem Tun auch einen Christusgeist
walten lassen, so wären ihm alle Smyrnaer verfallen gewesen.
Eine grosse Versammlung war angesetzt - nur wenige wussten, dass Johannes
gekommen war. Johannes war aber im Bilde und bat die Brüder um Schweigen. Der
dortige Älteste hatte keinerlei Einfluss auf die Gemeinde und liess sie
gewähren. Johannes rüttelte ihn in aller Liebe auf und sagte:
„Bruder, warum wehrest du dem Geist in dir? Hat dir der Herr und Meister nicht
versprochen, dass Er dich in allen deinen Handlungen stärken und stützen will? O
du kennst unseren Herrn und Meister noch nicht, und Seine Liebe ist noch lange
nicht dein Leben geworden. Nicht alle sind Diener Seiner Liebe und Seines,
Lebens, die Sein heiliges Wort verkünden, sondern nur die, die in Seiner Liebe
und durch Seine Liebe leben. Aber nun komme in des Herrn Namen und in Seinem
Geiste!"
In einem grossen Hain hatten sich die Gläubigen versammelt, darunter viele
betagte Brüder und Schwestern, und schon begann der Diener des Wortes seine
Rede. Mit einem Wortschwall sondergleichen predigte er von einem Gott, der
unbedingten Glauben fordert; aber nichts von der Gnade, nichts von der
Erbarmung, die den Gefallenen sucht, und nichts von dem Opfer, das Gott in
Seinem Sohne Jesus allen Menschen gebracht hat.
Johannes gelang es, mit aller Geduld bis zu dem Sprecher heranzukommen und sah
ihn fest an. Auf einmal schwieg dieser. Da sagte Johannes zu ihm:
„Im Namen Jesu, des Gekreuzigten und Auferstandenen, frage ich dich: Hast du
kein anderes Zeugnis, dass du alle Herzen in Angst und Furcht versetzest - und
wer hat dich zu einem Zeugen berufen?"
Da entgegnete der Redner: „Wer bist du, und wer gab dir das Recht, mich zu
stören; wahrlich, Gott wird dich mit glühenden Ruten züchtigen, weil du es
wagst, Gott hindernd in den Weg zu treten."
Johannes aber, ganz Ruhe und Liebe, sagte:
„Brüder und Schwestern, die Liebe hatte euch gerufen; ihr seid gekommen, doch in
euren Herzen ist ein anderes Verlangen als nach der Speise, die euch in dieser
Stunde gegeben wird. Ich werde eurem Bruder keine Antwort geben, aber euch will
ich ein rechter Bruder und Diener des Heilandes sein, der uns alle so heiss
geliebt hat und um unseres Heiles willen sich selbst nicht scheute, uns zu
erkaufen mit seinem Blute am Kreuz. Von diesem Jesus will ich euch Botschaft
bringen und euch Sein Leben bezeugen. Saget mir das eine: Habt ihr keine
Kranken, warum bringt ihr sie nicht mit in die Abende, die ganz in Seiner Liebe
stehen sollten?"
„Wir wagten es nicht mehr, lieber Freund und Bruder, weil unser Bruder sagt,
Krankheit sei die Folge des Unglaubens."
Johannes: „Kindlein, gehet und holet eure Kranken; der Meister hat es auch nicht
anders gehalten, erst mussten die Herzen frei und froh und ledig aller Sorgen
werden, dann schenkte Er uns Sein Wort, und es war die rechte Speise für unsere
Seelen. Also gehet, ich warte auf euch."
Vielleicht die Hälfte ging beglückt, um ihre Kranken zu holen; inzwischen hielt
sich Johannes an den Bruder und sagte:
„Ich will gerne gut machen, was du versäumt hast, aber merke dir: Mit diesen
deinen Hassgedanken kannst du das Werk der Jesusliebe durch mich nicht stören.
Ich sage dir: Demütige dich und entferne aus dir, was sich dem Gottesleben
hindernd entgegenstellt."
Da kam ein Wortschwall aus seinem Munde; er verbot Johannes jedes weitere Wort
und sagte: „Ich habe dich nicht gerufen und möchte sehen, wer mir widerstehen
will. In mir ist Christus, und was dieser Christus in mir spricht, das ist zu
glauben."
„Schweige, du Irrgeist", sprach Johannes, „und verwirre nicht noch mehr die
suchenden und sehnenden Herzen. Entferne dich in aller Ruhe, damit nicht die
Plagen über dich kommen, die du allen denen verheissen hast, die nicht an dich
glauben."
Immer aufgeregter wurde der Mensch, und schreiend wollte er sein Recht geltend
machen, da sagte Johannes:
„Nun aber ist Schluss, und ich gebiete dir zu weichen in dem Namen des Herrn
Jesus, der da ist Gott und der Schöpfer Himmels und der Erden, und damit du kein
Unheil mehr anrichten kannst, übergebe ich dich dem mich begleitenden Engel."
Wüste Reden ausstossend, warf sich der Mensch zu Boden - ein Bild zum
Erschrecken.
Johannes sagte: „Brüder, euer Herz erschrecke nicht, aber wir müssen auch ganz
im Willen des Herrn unsere Mission erfüllen. Lasset in aller Liebe eure Herzen
sprechen für den irrenden Bruder und dem geistigen Wesen den rechten Weg
zeigen!"
Sich an den Daliegenden wendend, sprach er dann: „Warum zögerst du, so dir durch
mich Rettung gezeigt wird? Noch einmal fordere ich dich auf: Verlasse diesen
Menschen und gehe mit dem Engel, den dir Jesu Liebe stellte."
„Nie und nimmer", brüllte er; da sah Johannes, wie der begleitende Engel den
Bruder anrührte und ein dunkles Wesen dessen Brust entstieg. Ernst schaute der
Engel auf das Wesen und übergab es einem anderen dienstbaren Geist.
Johannes sagte: „Stehe auf, Bruder; denn das, was dich beherrschte, ist nicht
mehr in dir; willst du aber ganz auf den Wegen des Herrn wandeln, so werde
demütig und klein und ziehe den wahren Christus an und lebe nach Seinem Liebe
willen!"
Langsam erhob sich der Bruder vom Boden, sah sich um und sagte: „Ja, wo bin ich
denn; was ist mit mir geschehen? Ich sehe die vielen Menschen und bin doch
allein."
Johannes legte ihm die Hände auf und sagte:
„Jesus der Herr segne dich und stärke dich, Jesus der Herr erleuchte dich und
mache dich sehend! Amen."
Da wurde sein Gesicht freundlicher, und er suchte sich einen Platz. Die anderen
aber staunten über die Vorgänge. Nun kehrten auch schon viele zurück, die ihre
Kranken geholt hatten; immer mehr kamen, und Johannes sagte: „Lasset uns warten,
bis sich alle wieder eingefunden haben; der Boden ist gereinigt. Nun liegt es an
uns allen, dem Herrn die Wege zu ebnen, dass Er sich in aller Seiner
Herrlichkeit offenbaren kann."
Die Heilung
der Kranken und die Erneuerung der Gemeinde
Nun waren soweit alle wiedergekommen, die Kranken waren zusammen gesetzt worden,
und Johannes legte jedem einzeln die Hände auf und sagte betend:
„Lieber, treuer Heiland Jesus, ich komme zu Dir, der Du in unserer Mitte bist,
um Dich für die Kranken zu bitten, die so heiss ihre Gesundheit ersehnen. Nur Du
allein bist Helfer, nur Du hast uns, Deinen Kin-dern, die Verheissung gegeben:
dass Du uns die Bitte gewähren willst, um die wir Dich angehen. Im festen
Glauben an Deine Liebe und Kraft, an Deine Weisheit und Stärke bitten wir Dich:
offenbare Du Dich hier Allen und gib Allen ihre Gesundheit wieder! Habe Du innig
Dank, und hochgelobt sei Dein heiliger Name jetzt und allezeit! Amen."
Gesund waren da die gebrachten Kranken; sie standen auf und sagten: „Hochgelobt
seist Du, Herr Jesus Christus, und herzlich bedankt für Deine Hilfe an uns armen
Kranken. O bitte, sei uns weiterhin gnädig und lasse Dich von nun an recht
erkennen, denn Du bist mehr wie ein Heiland, Du bist Gott Selbst. Amen."
Das fleischgewordene Wort
Johannes segnete nun alle Anwesenden und sagte:
„Brüder und Schwestern, wiederum durftet ihr die Gnade unseres Gottes und Herrn
in der Heilung eures Bruders erleben, der, ohne zu prüfen, in die Schlingen des
Lebensfeindes geraten und zu einem Verräter an der ewigen Liebe geworden war.
Durch die herrliche Liebe des Herrn und Seine gnädige Führung ist es gelungen,
den Urheber des Unglücks auf den rechten Weg zu bringen. Ihr alle seid das Opfer
geworden und habt geglaubt, was euch gesagt worden ist, weil in euch noch nicht
das Leben zu der Reife gelangt war, den Widersacher des Herrn zu erkennen.
Wisset: der heilige Gott als das wahre Leben konnte sich nur durch das Wort
offenbaren. Das Wort aber wurde Fleisch und wohnte unter uns, und, wir haben
Seine Herrlichkeit erleben dürfen, eine Herrlichkeit wie eben diese, die ihr
alle erleben durftet. Das fleischgewordene Wort wurde zu einem Heiland für alle
und zu einem Erlöser für die, die an Ihn glauben, und zu einem Vater für die,
die sich als Seine Kinder in Seinem Geiste bewegen, in Seiner Liebe sich
betätigen und zu einem Erlöser werden wollen an ihren armen und irrenden Brüdern
und Schwestern.
Ihr aber, ihr Geheilten, habt nun Seine Heilandsliebe erfahren, weil ihr eure
Hoffnung auf den Heiland gesetzt habt. Diese Gnade ist euch geworden, und ihr
habt den Wunsch ausgesprochen, diesem Heiland näher treten zu dürfen; Er solle
von nun an euer Gott sein. Ihr tatet recht, und ich als Sein Zeuge sage euch:
Liebet euch in der Liebe, die euch gesund gemacht hat! Diese Liebe ist Sein
Leben und ist der Sohn Gottes. In diesem Sohne trat euch Gott entgegen, aber
nicht als Gott, sondern als Heiland und Bruder und hat uns einen Himmel
offenbart, der allen erschlossen worden ist, die da gleich Ihm auch ein
Gottessohn - und allen Menschen ein Bruder, eine Schwester - sein wollen. Ihr
Geliebten alle: heilig ist diese Stunde, weil der Herr, unser Gott und Vater,
sich wiederum als der erwiesen hat, der Er wirklich ist. Diese Offenbarung, die
ihr alle erlebt habt, verpflichtet euch aber auch, dass ihr Alle Wächter dieser
Liebe und dieses Lebens sein sollet, damit nicht mehr der Feind alles Seins und
Lebens in eure Gemeinde einbrechen kann. Ihr habt von Paulus, eurem Bruder, die
Lehren empfangen und lange in diesen Lehren verharrt. Nie aber soll die Lehre
der Boden bleiben, auf dem ihr euch bewegt, sondern die Lehre soll euch
hineinführen in das Leben, das durch die Liebe zum Durchbruch kommen wird. In
diesem Leben offenbart sich mehr und mehr das Leben aus Ihm und macht euch zu
Kindern, zu Söhnen und Brüdern. O liebet euch in dieser Liebe! rufe ich euch
immer wieder zu; denn in dieser Liebe seid ihr in Gott, und Gott ist in euch,
und ihr erlebet nicht nur Herrlichkeiten aus Gott, sondern auch Seligkeiten aus
eurer Liebe, und festigt euren Glauben und macht euch zu neuen Menschen und
werdet erfüllet mit dem Geiste alles Lebens aus und durch Gott. Auch in dieser
Stunde offenbart sich Sein herrlicher Liebegeist und ruft allen zu: Bleibet in
Mir, damit Ich in euch verbleiben kann. Werdet nicht nur gläubige, sondern auch
tätige Kinder, und Ich, als euer Gott und Vater, kann dann auch bei und unter
euch viel tätiger sein, und Meine Liebe und Mein Leben wird das Werk vollenden,
das eure Liebe euch als Ziel gesteckt hat. So segne Ich euch aus Meiner Liebe
und gebe euch den Frieden, den euch die Welt nicht zu geben vermag. Amen."
Ein Bruder ging zu Johannes und sagte:
„Bruder, deine Liebe hat uns wieder in die Zeit zurückgeführt, als wir im
Anfange unseres Glaubens standen. Wärest du nicht gekommen, o wie traurig wäre
es dann unter uns geworden: die Liebe wäre völlig erkaltet, und wir hätten uns
an einen Christus gehalten, der ohne Leben und ohne Liebe ist. Du als einer
Seiner Zeugen hast mit dem Herrn und Heiland Jesus, als Er noch Mensch war,
zusammengelebt und nach deinen Worten Herrlichkeiten erlebt. Würdest du uns, die
wir gerne etwas aus Seinem Leben erfahren möchten, nicht Näheres davon
erzählen?"
„Gerne, meine Brüder, aber wo soll ich anfangen und wo aufhören? Jesus als
Menschensohn war allen das grösste Rätsel und als Gottessohn das grösste
Wunder."
„Wie meinst du das: Menschensohn und Gottessohn? Erkläre uns dies näher!"
Menschensohn und Gottessohn - Johannes erzählt ein Jugenderlebnis mit Jesus
„Brüder, als Menschensohn stand Er in Seiner Entwicklung zum Gottessohn, denn
Jesus als Mensch musste sich ja hindurchringen zu der Reife, die nötig war, um
Seine Mission als Gottessohn zu erfüllen. Denket ja nicht, dass Jesus als Mensch
so hätte wirken und schaffen können, wenn Er sich nicht zum Gottessohn
durchgerungen hätte. Ich selbst bin in meiner Jugend an Ihm irre geworden, da
auch ich Ihn nicht verstehen und Sein Ringen nicht begreifen konnte. Später
freilich wurde mir alles klar, und ich habe mich hernach oft gefragt, warum ich
Jesus erst so spät begriffen habe.
So will ich euch eine kleine Begebenheit schildern, die ich in meiner Jugend mit
Ihm erlebt habe.
Nach langer Pause war ich wieder mit Ihm zusammengekommen, und mein Herz war
traurig, weil ich — wie immer — Ihn nicht verstehen konnte; denn nie war Er zu
bewegen, einen Sabbat mit Seinen Lieben zu verleben. Seine Mutter Maria sagte
damals zu mir: ,Johannes, du bist doch der Freund meines Sohnes; sieh doch zu,
ob du Ihn nicht bewegen kannst, morgen mit uns in die Synagoge zu gehen. Ein
alter Bekannter aus Jerusalem ist gerade hier, und dieser soll doch einen guten
Eindruck von uns nach Jerusalem mitnehmen'. — Ich versprach zu tun, was mir
möglich war; aber Jesus liess mich nicht zu Worte kommen. Er sagte:
,Johannes, denke nicht, dass Ich hart oder eigenwillig bin, aber Mir liegt nicht
daran, dass dieser Priester einen guten Eindruck von uns erhält — er ist längst
über Mich unterrichtet —; aber Ich will, dass dieser Freund Meiner Mutter morgen
zu uns kommt. Ich werde daher um seinetwillen zu Hause bleiben, und du kannst
dafür mit in die Synagoge gehen.' Darauf ich: ,Jesus, ich werde bei Dir bleiben
und den Sabbat wie immer mit Dir verleben'! aber Jesus erwiderte: ,Johannes,
diesmal musst du um Meiner Mutter willen mit in die Synagoge gehen. Frage nicht,
warum; denn du würdest Mich wiederum nicht verstehen'. Ich tat Seinen Willen.
Jesus blieb unsichtbar, und niemand fragte nach Ihm. Mutter Maria war von mir
unterrichtet worden.
Maria hatte gerade das Abendmahl bereitet, da kam der alte Priester ins Haus.
Joseph und Maria waren über seinen Besuch hocherfreut.
In diesem Augenblick kam Jesus und begrüsste alle mit freundlichen Blicken und
Worten.
Da nahm der alte Priester Jesus bei der Hand, sah Ihn lange an und sagte: ,Mein
Sohn, um Deinetwillen habe ich die weite Reise hierher machen müssen. Ich mache
Dir keine Vorwürfe, denn in Deinen Augen sehe ich kein Falsch; aber wie würde
ich mich freuen, könnte ich einmal in Dein Herz sehen — denn über Dich wird viel
geredet. Dein Vater ist mein Freund, Deine Mutter ist mir wie eine Tochter, und
auch Deine Brüder kenne ich alle.'
Jesus erwiderte: ,Elias, weil du als ein ehrlicher und treuer Freund in unser
Haus gekommen bist, will Ich auch zu dir offen sein. Bleibe für heute unser Gast
und gib meinen Eltern und Brüdern die Ehre, und du sollst erleben, was du bis
jetzt nie erlebt hast.'
Da schauten alle zu Jesus hin, denn es war eine Seltenheit, wenn Er einmal so
viel redete. Wir setzten uns zum Abendmahl und nahmen es schweigend ein, bis der
Gast gedankt hatte.
Da noch einige Mädchen im Hause Josephs lebten, war Jesus immer zurückhaltend,
aber an diesem Abend sagte Er:
,Vater Joseph, würdest du um deines Freundes willen morgen mit den Brüdern in
Nazareth bleiben? Ich hätte gerne über Verschiedenes mit ihm gesprochen und ihm
gegeben, wonach ihn hungert. Dieses ist Mir heute abend nicht alles möglich.'
Sprach Joseph: ,Jesus, Du verlangst etwas Aussergewöhnliches, aber um Elias'
willen können wir daheimbleiben. Arbeit haben wir noch übergenug, aber sage mir:
Müssen denn auch wir bei diesen Unterredungen dabei sein?'
Sprach Jesus: ,Vater Joseph, es würde nichts schaden, wenn alle dabei wären. Ihr
alle würdet Mich dann besser verstehen lernen.'
Elias sagte: ,Freunde und Brüder und Du, mein Sohn Jesus, stürzet meinetwegen
nicht die ganze Hausordnung um, es genügt mir, wenn wir heute abend beieinander
bleiben.'
Sagte Joseph: ,Mein guter, alter Elias, lange Zeit habe ich dich nicht gesehen,
und ich bitte dich: bleibe bis morgen abend bei uns!'
Da leuchteten die Augen Jesu, und Er drückte seinem Vater Joseph die Hand; dann
sagte Er:
,Elias, dich bewegt vieles über Mich, veranlasst durch deine Brüder, die dem
Tempel den Rücken gekehrt haben, da sie in Mir den kommenden Messias vermuten.'
Elias: ,Du hast recht, Jesus, aber wie kannst Du denn dieses wissen? Ich wüsste
nicht, dass ich zu jemandem davon gesprochen hätte, und die anderen werden sich
hüten, darüber zu sprechen. Kein Mensch wird erfahren, wohin sich Barnabas mit
seinen Brüdern gewendet hat.'
Sagte Jesus: ,Elias, ich weiss noch mehr: die Brüder sind in Sicherheit, und
bald werden sie vom Tempel vergessen sein. Du bliebest deines Alters wegen,
möchtest aber auch dem kommenden Messias nichts in den Weg legen; darum bist du
hier.'
Sprach Elias: ,Jesus, Du hast recht gesagt, und nun frage ich Dich: Bist Du der
kommende Messias, oder sollen wir eines anderen warten? Deine Fähigkeiten
beweisen, dass Du es sein könntest, aber all das Gerede um Dich sagt das
Gegenteil. Was soll ich nun glauben?'
,Nichts von beidem', erwiderte Jesus, ,sondern selbst überzeugen sollst du dich,
und dabei will Ich dir helfen. Es ist wahr, dass in Nazareth, selbst in unserem
Hause, grosse Unzufriedenheit über Mich herrscht, aber warum? Weil die Nazarener
sich gar nicht die Mühe nehmen, Mich wirklich kennenzu-lernen und weil Meine
Eltern und Brüder Mich nicht verstehen. Es ist auch wahr, dass oft bei uns der
Friede fehlt, doch warum, Elias? Weil Gott der Ewige auf ihre Bitten stumm
bleibt und stumm bleiben muss.'
Sprach Elias: ,O Jesus, welche Sprache führest Du; jetzt verstehe ich Dich, und
doch auch wieder nicht. Jehova soll und muss stumm bleiben? O Jesus, das ist
hart geredet von Dir.'
Sagte Jesus: ,Vater Elias, wenn du schon ein Vorurteil über Mich hast, dann
werden wir wenig miteinander verhandeln können, und Gott wird dann wohl auch dir
gegenüber schweigen müssen. Ich bitte dich: bleibe sachlich und auf dem Boden
der Freiheit! Siehe, Ich kenne Meine Mission und nehme keine falsche Rücksicht
auf Meine Mitmenschen, auch auf Eltern und Geschwister nicht, weil Ich Gott mehr
gehorchen muss, den Ich in Mir fühle und erlebe. Würdest du von den dir
gesteckten Zielen abgehen, wenn du erkannt hast: sie sollen zur Rettung aller
führen?'
Sprach Ellas: ,Mein Jesus, im Gegenteil, mit allen Mitteln würde ich das Ziel zu
erreichen suchen.' ,
,Gut, mein Elias', erwiderte Jesus, ,nun wirst du Mich besser verstehen. Sieh,
nicht nur erkannt, sondern eingebrannt ist das Ziel in Mir, und keine Macht der
Welt könnte es Mir je wieder entreissen. Mit jedem Tag wird Mir Meine Aufgabe
bewusster - und klarer die Notwendigkeit, mit keinem Atemzug von den Mir
gesteckten Zielen abzuweichen. Du fragst dich: Wie soll ich das glauben? Es
könnte ja auch nur eine Einbildung sein, in die Ich mich hineinverirrte; darum
sage Ich dir: Sprich dich mit Mir aus und verschweige nichts, was gegen Mich
spricht; und was für Mich spricht, werde Ich dir schon sagen.'
Warf hier Maria ein: ,Vater Elias, das wird eine lange Geschichte; wollen wir
nicht lieber die Ruhe aufsuchen und morgen weiterreden?'
,Wie du willst, Maria', erwiderte Elias, ,aber mir ist alles so wichtig
geworden, dass ich an gar keinen Schlaf denke.'
,Dann gehen wir zur Ruhe. Du kannst ja mit Jesus wach bleiben', sagte Maria und
verabschiedete sich von dem Gast. Auch Joseph und die Brüder verabschiedeten
sich; nur ich und einige Schwestern, die im Hause Josephs lebten, blieben.
Nun waren wir mit Jesus allein. Er war betrübt, weil den anderen die Ruhe lieber
war als die Aufklärung, aber Er sagte: ,Elias, die Anderen hier kennen Mich
genausowenig wie du, und darum werde Ich auch keine Grenzen ziehen zwischen Mir
und euch. Meine Geburt kennst du, von Meinen Fähigkeiten weisst du, und das ist
auch alles; denn auf Gehörtes kannst du dich nicht verlassen, wenn du die
Wahrheit erkennen willst. Du möchtest klar sehen und Beweise dafür haben, ob der
Gott, der in Mir das Treibende und Drängende ist, auch wahrhaft Gott ist und Ich
nicht nur Schemen nachjage. Leider ist es schwer, dir die Beweise zu geben, wenn
du Mir nicht glauben willst: Beweise aus Meinen Fähigkeiten sind hier keine
Beweise, da es sich ja um Gott handelt, und wie soll es dir Gott beweisen? Sage
du selbst, was Gott dir tun soll!'
,Jesus', sprach Elias, ,ich kann Dir nur recht geben, aber wie soll ich von Gott
etwas verlangen, das hiesse doch Gott versuchen?'
,Mitnichten, Elias', erwiderte Jesus, ,es ist dein gutes Recht, der Wahrheit auf
den Grund zu. gehen, aber warum genügen dir denn die Propheten nicht? Spricht
doch Gott heute genau noch so wie einst und wird auch später noch so sprechen!'
,Jesus, Jesus, Du treibst mich in die Enge, da Du im Vorteil bist', entgegnete
Elias, aber Jesus sagte:
,Nein, Vater Elias, verstehe Mich recht: du suchst die Wahrheit, und Ich bin die
Wahrheit. Weil Ich Wahrheit geworden bin, fürchte Ich keine Kritik und keine
Gegner, da Ich keine kenne, nur Unwissende. Du bist noch unwissend; darum ist es
Meine Aufgabe, dich zu einem Wissenden zu machen, und so höre: Der in Mir
lebende Gottesgeist ist in Mir schon übermächtig geworden, und Ich ringe
unaufhörlich, dass Ich ganz eins mit dem ewigen Gottesgeist werde. Von Meinem
Ringen wissen nur die wenigen, die um Mich sind. Unterstützung erhalte Ich
keine, da Ich nicht verstanden werde, und Gott muss Mich allein stellen, weil
das Werk, das Ich vollenden will und muss, nicht aus der Allmacht Gottes
gefördert werden darf. Alles muss Mein eigenes Werk sein, und Ich muss alle die
Kräfte aus Meiner Liebe zu Gott und den Menschen nehmen. Dass aber auch noch der
Lebensfeind das Nötige dazu tut, kannst du dir denken. Mit diesen wenigen Worten
habe Ich dir eigentlich alles gesagt, weil du Gottes Wort kennst und heute aus
dem Gotteswort dir vieles entnehmen kannst. Was nützen da den Menschen Beweise?
Glauben tun sie doch nicht, sondern denken, Ich wirke mit dem Bösen im Bunde.
Nun sage, hast du Mich verstanden?'
Sagte Elias: ,Jesus, wie kann ich das alles verstehen; es ist doch alles so
übergewaltig? Wenn ich in Deine Augen sehe, so muss ich Dir sagen: Jesus, Du
bist der kommende Messias, auf den wir warten; soll ich aber Deinen Worten
glauben, da ist noch etwas anderes da, was noch mächtiger wirkt, nämlich, dass
Du mit Gott eins werden willst. Wie soll ich das verstehen, dass Du so lange
ringen willst, bis Du mit Gott eins bist, Du in Gott und Gott in Dir, so willst
Du doch sagen?'
,Ja, das will Ich sagen', war die Antwort, ,und glaubst du wohl, ob dieses
möglich sein wird?'
Elias sprach:, Jesus, ich kann nicht nein sagen, weil Du Gott entschieden besser
kennst als ich, und darum kann ich Dich nun verstehen, dass Du auf niemanden
Rücksicht nehmen kannst, bis Du Dein Ziel erreicht hast.'
,Elias, Ich danke dir, und nun hast du Mir die Möglichkeit gegeben, dass Ich dir
und euch dienen kann; doch müsst ihr versprechen, dass ihr vor jedermann
schweiget, bis die Stunde gekommen ist, wo ich auf niemand mehr Rücksicht zu
nehmen brauche.'
Jesus strich uns darauf allen über den Kopf und sagte: ,Nun will Ich euch einen
Blick in Meine Welt tun lassen; ihr seid ganz frei und könnet Mich fragen, wenn
ihr über etwas nicht im Klaren seid.'
Da verschwanden die Wände, und wir befanden uns auf einem hohen Berge. Uns zu
Füssen lag eine sehr grosse Stadt. Mitten hindurch ging ein Fluss, der die Stadt
teilte. Die eine Hälfte lag im Tal, die andere stieg an zu einer Hochebene und
hatte eine Grösse, die unvorstellbar ist. In der Tiefebene bewegten sich zahllos
viele Menschen, die Strassen waren voll Wohnungen, und auf den Dächern bot sich
dasselbe Bild: überall wimmelte es von Menschen. Bei näherer Betrachtung hatten
die Menschen ein erbärmliches Aussehen, abgemagert, vertiert und schmutzig;
Kleidung trugen sie fast keine, und aus den Wohnungen rannten allerhand
ekelerregende Tiere wie Ratten, Mäuse, Hunde und Katzen, sowie auch Schlangen in
grosser Zahl. Die Menschen schienen das Ungeziefer gar nicht zu sehen; denn man
merkte nicht, dass sie sich fürchteten, mit ihnen in Berührung zu kommen. Was an
Arbeit geleistet wurde, war noch nicht zu erkennen, da der Tag erst im Anbruch
war, einen Sonnenaufgang konnte man noch nicht gewahren.
Jenseits des Stromes waren Strassen angelegt, die nach der Höhe führten, aber
leider nicht breit, so dass nur mit Mühe ein Wagen durchfahren konnte. Diese
Strassen waren ebenfalls bebaut, und die Bauart war so, dass man glaubte, es sei
nur ein einziges grosses Gebäude. Auf den Dächern bewegten sich viele Menschen,
die alle gut gekleidet waren und auch sehr gut aussahen. Im Gegensatz zu der
Tiefe war der Berg hell und von einer Sonne beschienen, die man selbst aber noch
nicht sehen konnte. Die Menschen bewegten sich mit einer Lebhaftigkeit, die im
Gegensatz zu denen in der Tiefe auffallend war. Noch höher wurde es immer
schöner, und allerhand Bäume und Gewächse verschönten das Gesamtbild. Auf der
Höhe zeigte sich eine Pracht an den Gebäuden, die überherrlich war. Inmitten
überragte ein Tempel oder Schloss alle Bauten. Dieses Gebäude trug als Dach
viele Kuppeln, die dem Glanze nach mit Gold gedeckt sein mussten.
Ruhig floss der Strom dahin, ein Leben war darauf überhaupt nicht zu sehen;
vollständig getrennt waren beide Teile der Stadt. In der Mitte standen sieben
Pfeiler, die früher einmal eine Brücke gestützt hatten, die aber nun zerstört
war.
Jesus sagte: ,Kommet mit Mir, Ich will euch führen; zum besseren Verständnis
sollt ihr alles selbst beschauen.'
Ich fühlte mich so frei, so losgelöst von allem Irdischen, und doch bewegten wir
uns von dem Berge in die Tiefe mit einer Sicherheit und Schnelle, die angenehm
war, und wir zogen durch die schmutzige Stadt, Jesus uns voran. Die Menschen
schienen gar keine Notiz von uns zu nehmen, wir aber beschauten uns, was auf dem
Wege lag. Es war inzwischen Tag geworden, und wir sahen, wie sich die Menschen
betätigten mit Handel und Verkehr. Hier und da wurde an den Häusern gebaut, da
viele baufällig waren; kurz, es waren beklagenswerte Verhältnisse, die wir
sahen. Dazu schrien sich die Menschen an, und nun sah man auch ihre Gesichter,
wie sie von Sorge, von Hader und Unzufriedenheit und vom Laster entstellt waren,
wahrlich, ein Bild des Elends und der Sünde.
Wir kamen dann an den Fluss; seine Wellen gingen ganz gleichmässig, und dort, wo
die Pfeiler standen, wartete ein Boot mit einem Fährmann, der uns einlud.
Schnell stiegen wir ein, und als erster stieg am anderen Ufer Jesus aus und
reichte jedem beim Aussteigen die Hand; dann ging es die Strassen entlang, die
nach oben führten. Welch ein Gegensatz: reinliche Strassen und reinliche
Menschen, die uns sahen und freundlich grüssten. Immer höher zog sich die
Strasse, und es wurde immer lichter um uns, wie auch in uns. Unser freies Sein
empfanden wir geradezu als eine Seligkeit, und Jesus schien wie verjüngt zu
sein; denn Sein Gesicht leuchtete vor Freude und Glück. Immer weiter gingen wir,
und so beschwingt, dass jeder Schritt wieder zu einer Seligkeit wurde. Mit
Freude und Staunen sahen wir die herrlichen Gebäude, und dann kamen wir an das
Schloss mit den leuchtenden Kuppeln. Wir konnten uns überall umsehen, aber
hinein gingen wir nicht; denn an den Türen standen Wächter mit ernsten
Gesichtern. Längere Zeit weilten wir an dem Schloss und in den es umgebenden
Gärten und Alleen, die in einer Pracht dastanden, für die ich keine Worte habe.
Nun gingen wir weiter und beschauten die Arbeit der Menschen, die auch in
ruhiger Weise von statten ging. Die Verkaufsläden waren einfach, aber die
Verkäufer sauber und reinlich gekleidet, ein Bild, das Frieden atmete. Wir
gingen weiter, bis unsere Augen wonnemüde wurden; dann ging es wieder bergab und
zurück über den Strom mit demselben Boot. Wir stiegen wieder auf den Berg, aber
auf einer anderen Strasse, und oben angelangt, hörten wir, wie Jesus sagte: ,Nun
mag es genug sein', und wir befanden uns wieder in der Stube des Hauses Josephs.
Jesus sagte: ,Elias, nun habe ich dir einen Blick gewährt in Mein Herz und frage
dich: Kannst du dir vorstellen, was Ich dir und euch damit sagen will?'
Elias erwiderte: ,Jesus, es war ein schöner Traum — und doch kein Traum; aber
erklären kann ich mir dieses nicht.'
Sprach Jesus: ,Elias, du bist ehrlich, aber mein Johannes mag dir das Geschaute
erklären, da er schon öfter mit Mir derartige Bilder erlebte.' Er nickte mir zu,
und ich sagte: ,Jesus, heute war es überherrlich - bis auf die Bilder in der
Ebene. Mit Deiner Hilfe will ich erklären, was ich in mir finde. Die Stadt
stellt die Menschheit dar. Die in der Tiefe sind die heutigen Menschen und die
auf der Höhe die erlösten Menschen. Eine Brücke verband die Stadt, so wie die
Menschen noch heute mit den Himmeln in Verbindung stehen. Wer die Brücke
zerstört hat, entzieht sich unserer Kenntnis, und Du als werdender Gottessohn
willst, wenn Du wieder mit Gott Deine Einswerdung erreicht hast, diese Brücke
wiederherstellen. Die sieben Pfeiler stellen die sieben Eigenschaften Gottes
dar, und auf diese Eigenschaften gründet sich Deine Einswerdung mit dem
Gottesgeist, der dann in Dir in aller Fülle sein wird. Dann wird diese Brücke
wieder das Band sein, das Himmel und Erde verbinden wird, oder anders
ausgedrückt: die Menschen können sich dann wieder auf den Wegen nach oben
bewegen, die Du ihnen wieder gangbar machen wirst. Die Menschen in der Tiefe
offenbaren ihren Zustand in ihrem Aussehen und in ihrer Tätigkeit und damit den
niedrigen Grad ihres Menschentums. Die Menschen in der Höhe offenbaren eine
Zufriedenheit und einen hohen Grad von Menschenliebe; denn auch ich erlebte
unter ihnen Wonne und Seligkeit. Hier hast Du uns zeigen wollen, wohin Du die
Menschen wieder führen willst, und darum lässt Du Dich von niemandem, wer es
auch sei, in Deinem Vorhaben beeinflussen.'
Sagte Jesus zu meinen Worten: ,Johannes, das ist dir gut gelungen', und: ,Elias,
kannst du Mich nun verstehen?'
Sagte Elias: ,Jesus, Dich ganz zu verstehen ist mir noch nicht möglich; aber nun
verstehe ich Barnabas, dass er mit dem Tempel nichts mehr zu tun haben will, und
nun werde ich mich auch vom Tempel lösen. In Dir wird der Menschheit der Messias
und Erlöser erstehen, aber die Menschen werden es Dir noch schwer machen.'
Jesus lächelte und sagte: ,Ob schwer oder nicht, das ist nicht von Bedeutung;
das Schwere ist nämlich erst einmal die Einung mit Gott, und solange diese nicht
gelungen ist, solange gibt es Kampf, Kampf und wieder Kampf; denn was ihr in
dieser heiligen Stunde erlebtet, waren Vorgänge in Meiner Welt, und dabei habt
ihr noch den besseren Teil erlebt.
Mag es nun genug sein für heute, und nun wollen wir uns zur Ruhe begeben,
wenigstens dem Leibe nach; für die Seele gibt es keine Ruhe, da muss erst der
Geist so lebendig sein, dass Er über sie die Vormacht hat.'
Frühmorgens waren im Hause Josephs alle munter, nur der alte Elias war noch in
seiner Kammer; ich aber konnte nicht länger bleiben, da mein Vater die Heimfahrt
angeordnet hatte. Freudig nahm ich Abschied.
Nun habe ich euch eine Begebenheit unseres ewigen Vaters und Heilandes
geschildert aus der Zeit, da Er noch ein ringender Menschensohn war."
Sagten die Anderen: „Bruder Johannes; freilich: wer, wie du, Jesus erleben
durfte, hat uns vieles voraus. Nun ersehen wir auch, wie nötig es ist, dass wir
über Jesus, den Heiland und Gottessohn, das rechte Verständnis und die rechte
Erkenntnis haben. Nun verstehen wir dich viel besser als Paulus, der immer
wieder unbedingten Glauben forderte, während in dir alles nach der Liebe
drängt!"
Johannes: „Brüder, die Liebe allein macht unseren Glauben zum wahren Glauben,
denn die Liebe schafft Kräfte und einen Opfer- und Überwindergeist, der volle
Hingabe ist. Wer in dieser Liebe lebt, der ist von dem Heilandsgeist
durchdrungen und wird zum Gottessohn, gleichwie Jesus zum Gottessohn wurde.
Darum, Kindlein: liebet euch, liebet, liebet euch; dann ist der Vater unter und
in euch, und niemand wird unseren Heiland und Meister Jesus vermissen.
Ziehet nun in Frieden heimwärts, und Seine Liebe wird uns bald wieder vereinen.
Seid gesegnet als Seine Kinder und lasset eure Liebe zu einem Segen für die
anderen werden! Amen."
Mehrere Tage blieb Johannes in Smyrna, doch ehe er schied, besuchte er noch
einmal Nausikles und konnte ihn ganz als Bruder gewinnen.
Johannes in Pergamus
Voller Freude nahm er von all den Lieben Abschied und reiste mit einigen Brüdern
nach Pergamus, wo er nicht gerade freundlich aufgenommen wurde, denn die Saat
des Feindes war auch hier stark aufgegangen. Bei einer Witwe, namens Helena, die
ein grosses Haus hatte, wurde er überherzlich aufgenommen, ebenso die
begleitenden Brüder, die sie bereits kannten. Johannes fühlte sofort, wie die
Gemeinde den neuen Irrlehren viel mehr Glauben entgegenbrachte als ihm, und so
fragte er nach Kranken in der Gemeinde.
Da wurde ihm mitgeteilt, es gebe sehr viele, aber die Kraft Jesu habe tüchtig
nachgelassen; es gebe so gut wie keinen Heiler mehr. Der dortige Priester, ein
guter, aber zu weicher Mensch, konnte nicht in der Kraft des Herrn alle Irrtümer
so zurückweisen, wie es nötig gewesen wäre, und darum bat er Johannes, ihn doch
kräftig zu unterstützen. Johannes sagte: „Bruder, deswegen bin ich ja zu euch
gekommen: mit der Taufe und dem Glauben an die Taufe allein schafft ihr kein
Leben aus Gott, sondern nur, wenn euch der Geist des Herrn treibt und drängt und
ihr danach tätig werdet. Da aber die Gemeinde noch recht zurückhaltend ist,
lasse alle Kranken hierher bringen, und unsere Schwester Helena wird immer
bereit sein, uns und den Kranken zu dienen." Der Priester tat mit Freuden, was
Johannes ernstlich angeraten hatte, und wie ein Lauffeuer eilte die Kunde durch
Pergamus, ein Apostel sei gekommen und werde die Kranken heilen. Es kamen aber
nicht nur die Kranken, sondern auch Neugierige und solche, die sich die
Jesulehre nach ihrem Gutdünken auslegten.
Schon am anderen Tage fanden sich Hunderte ein, und der Priester Markus wusste
sich keinen Rat. Er ging zu Johannes und sagte: „Johannes, nie hätte ich
geglaubt, dass es soviel Leid und Kummer in Pergamus gibt, wirst du alle Kranken
heilen können?"
„Nicht ich werde sie heilen, sondern du, Bruder Markus. Wie soll sich denn die
Kraft Jesu offenbaren, doch am besten in dem Diener Seiner Liebe und Seines
Wortes, und der bist du hier in diesem Orte. Ich bin nicht gekommen, dich zu
verdrängen, sondern dich zu stärken und die Gemeinde wieder in Ordnung zu
bringen, die du durch deine Weichheit nicht aufrecht erhalten konntest. Komme
und lasse dir die Hände auflegen; unser Meister Jesus und ewiger Herr und Gott
segne und erfülle dich mit Seiner Kraft und Stärke! Amen. Nun aber glaube
felsenfest und lasse dir die Kraft nie mehr rauben! Unser Jesus ist derselbe
herrliche und gnadenreiche Heiland noch immer und wird es auch für ewig bleiben,
und nun lasse deine Liebe wirken und schreite zum seligen Werke! Amen."
Die Brüder, die Johannes begleitet hatten, sagten, dass alle Kranken im Hofe
genügend Platz hatten, und diese hofften, Johannes werde sie heilen. Wie aber
verwunderten sie sich, dass der alte, sonst immer so schwache Markus mit einer
Kraft und Zuversicht allen die Hände auflegte, allen liebe Worte des Trostes und
der Stärkung gab und alle bat, ja an Jesus, den wunderbaren Heiland, zu glauben.
Die vielen Neugierigen waren enttäuscht, weil Johannes schwieg; sie alle
erwarteten ein Wunder oder ein Zeichen, schwiegen aber.
Längst war es Mittag geworden, und der Zustrom der Kranken hielt noch an, da
sagte Johannes: „Ihr Brüder, ihr sehet, wie Markus allen die Hände auflegte und
auch alle geheilt wurden; lasset nun alle, die erst neu gekommen sind, im Hofe
in aller Ruhe und Ordnung Platz nehmen. Wir aber werden eine kleine Stunde in
das Haus gehen und uns etwas stärken. Alle Geheilten aber sollen auch in das
Haus kommen, damit auch sie die Weihe aufs neue erhalten. In ihren Herzen und
Gehirnen steckt noch aller-hand Irrtum; es wäre nicht gut, wollten wir sie so
entlassen. Die Brüder taten nach dem Willen des Johannes, und alle entsprachen
gerne seinem Wunsche.
Mit einigen Früchten und gutem Brot erfreute Helena die Geheilten; den Brüdern
aber hatte sie ein köstliches Mahl bereitet. Da brach die Freude bei den
Geheilten erst richtig durch, und nun sagte Johannes:
„Meine lieben Freunde, Schwestern und Brüder, durch die herrliche Führung
unseres Herrn und Meisters Jesus, unseres heiligen Vaters und Gottes, durfte ich
zu euch kommen. Leider sind durch falsche Auffassungen und Begriffe die
Gnadengaben aus der Kraft Jesu im Werte sehr herabgesunken, und die ewige Liebe
hat zusehen müssen, wie das herrliche Geschenk Seiner Liebe und Gnade immer mehr
und mehr herabgesetzt wurde. Die Kraft aus Ihm hat nachgelassen, und ihr seid in
Kummer, Sorge und Leiden gekommen, und eure Gebete sind zu schwach geworden,
weil euer Glaube an den rechten Heiland und Gott nicht mehr der war, der
Voraussetzung ist, um die Gnade lebendig erfahren zu können. Ihr seid nun wieder
geheilt, weil im Bruder Markus das neue, herrliche Leben aus Gott wieder frei
von allen Hemmungen ist, und nun bitte ich euch: werdet auch ihr frei von allen
Irrtümern, die falscher Ich-Geist in euch verpflanzt hat.
Unser herrlicher Jesus, Heiland und Gott, ist derselbe geblieben, wie Ihn auch
euer Bruder Paulus offenbart hat. Und die Kraft aus Ihm ist genau dieselbe
geblieben; nur: ihr, als Gefässe Seiner Liebe, Kraft und Leben seid nicht
dieselben geblieben. Heute reicht euch unser herrlicher Jesus in mir die Hand,
um euch zu sagen, dass Er nie aufgehört hat, euch zu lieben, und euch immer als
Seine Kindlein betrachtet und euch heute einen Beweis Seiner Liebe und Treue
erbracht hat. Seid dankbar und werdet wieder ganz Seine Kinder! Lasset nur die
Liebe zueinander das Band unter euch sein: dann gebt ihr dem Herrn die rechte
Ehre und den besten Dank. Er will gern auf den Dank aus eurem Munde verzichten,
sehnt sich aber nach dem Dank aus eurem Herzen, weil dieser aus der Liebe
geboren ist und ihr dann einen Geist offenbart, der aus Gott euch zu einem
ewigen Geschenk gemacht wurde.
Unser ewiger Gott hat nur ein Sehnen: euch, als Seine Kinder, wahrhaft glücklich
zu sehen, aber Er kann und darf es nicht aus Seinem Allmachtsgeiste, sondern nur
aus Seiner Liebe, und die hat Er als Jesus als Menschen- und Gottessohn auf
Golgatha bewiesen. Lasset euch nie mehr irremachen und von dem Wahne leiten,
dass der Glaube allein glücklich und selig macht. Glaube wird erst dann zum
wahren Glauben, wenn er von dem Geist der Liebe und des Vertrauens durchglüht
ist; dann wird der Glaube zur offenbarten Kraft in euch. So nehmet nun hin
Seinen Segen und ziehet als Gesegnete eure Strasse, damit die Welt erkenne, dass
ihr Seine Kinder seid. Bleibet einig, einig, einig in der Liebe: dann werdet ihr
durch die Liebe noch grössere Gnadenbeweise erleben. Nur nach dem Grad eurer
Liebe kann euch der Herr Gaben schenken und euch selig machen für Zeit und
Ewigkeit. Amen."
Da sagte Helena: „Johannes, o welch eine Gnade durfte ich wieder erleben; denn
Jesus, unseren Heiland, durfte ich während deiner Rede schauen. — — O Vater und
geliebter Jesus, wie soll ich Dir nur danken, dass Du mich wieder gewürdigt
hast, Dich zu schauen. Oh, nun ist alle Not und Sehnsucht vorüber; denn nun kann
ich ruhig heimkehren in Dein Reich; denn meine Augen haben wieder Dich gesehen,
und mein Herz hat Dich aufs neue und viel herrlicher als bisher erlebt."
Helena sank auf den Fussboden nieder und weinte vor Freude. Alle waren
ergriffen, und alle sanken ebenfalls auf ihre Knie. Da schauten sie alle den
segnenden Heiland, und Johannes sagte:
„Sehet, welche Liebe unser Heiland euch erweiset! Lasset diese Stunde euch zu
einer lebendigen Erinnerung werden, und ihr werdet immer wieder aufs neue Seine
Liebe und Gnade erleben."
Langsam verschwand vor ihren Augen das Bild; Johannes zog Helena empor und
sagte: „Helena, bleibe in dieser Liebe, und immer wird dir der Heiland so nahe
sein, wie du Ihm nahe bist. Nicht das Schauen sei dir grösstes Glück, sondern
mit Ihm verbunden zu sein, und so Er in Dir den besten Platz einnehmen darf,
wird Er auch dir in Seinem Herzen den besten Platz einräumen."
Auf dem Hofe ging es inzwischen lebhaft zu. Nicht Ruhe und Geduld waren dort
eingekehrt, wie es Johannes gewollt hatte, sondern das Gegenteil. Ein Bruder,
der in seinem Wahn meinte, der gekommene Apostel wolle Gericht über die Gemeinde
halten, regte sich auf, dass sie ihren alten Gott verlassen wollten, Paulus
würde das nicht recht sein, und — was sie hier eigentlich wollten?
„Gesund wollen wir werden", sagten einige, „und im Hause sind viele, die schon
durch Markus gesund geworden sind."
Da lachte höhnisch der Bruder und sagte: „Das wird eine schöne Gesundheit sein,
denn warum hat das Markus nicht früher fertig bringen können? Wer nach dem
Willen des Herrn krank ist, muss es eben tragen; wie kann Markus dem Herrn
entgegen sein?"
Da verstummten sie, und ängstlich sahen sie nach dem Hause, in dem noch die
Geheilten weilten.
Johannes sagte: „Ihr Brüder, es wird Zeit, dass wir in den Hof gehen. Der Wolf
ist an der Arbeit. Nun ist die Reihe an dir, Markus; aber fürchte dich nicht
mehr, denn nun hast auch du den Heiland gesehen und Seine Liebe und Kraft aufs
neue erlebt. Wir bleiben indessen noch."
Markus ging zu den Kranken in den Hof. Ängstlich schauten diese ihm entgegen.
Markus sagte zu ihnen:
„Meine Lieben, warum ist eure Zuversicht in Ängstlichkeit umgeschlagen; habt ihr
doch die Herrlichkeit Gottes vor einer kleinen Stunde erlebt?"
Sagte einer: „Markus, man hat uns erzählt, deine Heilung sei nicht recht; denn
man dürfe nicht gegen den Willen Gottes handeln."
Da sah Markus den Bruder Isidorus an und sagte:
„Isidorus, warum zerstörst du den Frieden und die Zuversicht der Armen und
Gequälten; ist es nicht genug der Leiden, die sie hinter sich haben. Und warum
kommst du nicht zu mir, so du etwas nicht richtig findest? Sagte nicht Paulus:
Einigt euch in der Liebe zu Jesus, die uns den Weg zum Herrn zeigen soll?"
Sprach Isidorus: „Markus, wie kannst du einem Fremden, der sich als ein Apostel
ausgibt, so zu Willen sein?! Ist dir unsere Gemeinde nicht gut genug? Haben wir
dir jemals etwas in den Weg gelegt, dass du Fremde bevorzugst und mit einem Male
unsere Arbeit zunichte machst? Das darf nicht sein."
Markus, voll der lebendigen Liebe, antwortete: „Isidorus, der Neid und die
Furcht sprechen aus dir, aber nicht die Liebe zu mir und dem Herrn. Es ist wahr,
ihr habt mich in Ruhe gelassen und meine Tätigkeit nicht gehemmt. Es wäre aber
besser gewesen, ihr alle wäret mit mir nicht zufrieden gewesen; denn Lauheit und
Trägheit haben alles eingerissen, was uns mit dem Herrn verband. Was ist uns
wohl vom Herrn geblieben? Nur Sein Wort, und dieses hat an Kraft verloren; darum
konnte niemand mehr geheilt werden, und ein Fatalismus ist in euch entstanden,
der allen Glauben zu einem toten gemacht hat. Nun aber soll es wieder anders
werden!"
„Nein, es wird so bleiben; denn nicht du kannst bestimmen, sondern wir, und die
Frage, ob du unser Diener bleiben darfst, wird noch geklärt werden."
Markus sagte darauf mit kräftiger Stimme: „Isidorus, du widerspenstiger Geist,
wehre nicht dem drängenden Geist in mir, und finde dich recht bald in Jesus,
unserem Herrn und Heiland! Deine Worte und Giftpfeile sind infolge deiner
Eigenliebe machtlos und deine Kraft ist zunichte geworden.
Ihr aber, die ihr dem Heiland Jesus vertrauet und Ihm glaubet, dass Er euch die
ersehnte Gesundheit wiedergibt, sage ich: Ersteht in Gesundheit und erfasset mit
inniger Herzensliebe den Heiland, der euch durch mich die Hände reicht! Du aber,
wunderbarer Heiland, verherrliche Dich an den Leidenden nach ihrem Glauben!
Amen."
Da wurden die Kranken bis auf einige wenige gesund; sie lobten und priesen Gott
für die Gnade, die anderen aber klagten. Da fragte sie Markus: „Warum habt ihr
dem Heiland nicht euer Vertrauen entgegengebracht; sonst wäret auch ihr gesund
geworden."
Sagte einer: „Ich habe an die Worte des Isidorus gedacht"; auch die Anderen
gestanden dasselbe. Da sagte Markus:
„Nun lasset euch von Isidorus heilen, wenn euch sein Wort wichtiger ist als das
Wort des Herrn aus meinem Munde."
Nun bestürmten die Krankgebliebenen Isidorus und verlangten von ihm, geheilt zu
werden. Ein höhnisches Lächeln war dessen Antwort.
Markus aber sagte: „Isidorus, Lächeln ist keine Antwort für die schmachtenden
Herzen; ich verlange von dir eine klare Antwort, und wisse: in dem Geiste, den
du offenbarst, ist keine Liebe. Ich habe versucht, dich zu schonen, um dich
nicht zu verlieren, aber nun gebietet die Liebe zu allen, auf dich keine
Rücksicht mehr zu nehmen. Entweder du heilest, die an dich glauben, oder du
wirst wieder gutmachen, was du an deinen Geschwistern gefehlt hast! Noch ist es
Zeit; darum noch einmal: finde dich in Jesus, und alles wird gut."
Mit einem Ausbruch von Wut zog Isidorus über Markus und den Apostel her und
bemerkte nicht, wie inzwischen Johannes mit den Brüdern herzutrat. Die Geheilten
hatten das Haus verlassen; nur Helena war zurückgeblieben, um den Tisch für das
spätere Mahl zu richten. Jetzt aber vernahm sie in sich ein Mahnen, das ihr wohl
bis jetzt fremd war; doch in ihrer überquellenden Freude ging sie auf das
Drängen ihres Inneren ein und hörte: „Gehe in den Hof und verherrliche Meine
Liebe!" Schnell entschlossen ging sie in den Hof und erlebte, wie Isidorus über
Markus Gericht hielt und alle Schatten aufdeckte, die auf ihn sich gelagert
hatten; ebenso kam auch Johannes nicht gut weg.
Da ging Helena auf Isidorus zu und sagte: „Hör endlich auf mit deinen
Beschuldigungen; denn du weisst nicht, was alles geschehen ist! Merke dir: ich
habe Jesus gesehen und auch mit Ihm gesprochen, und Er hat mich gemahnt, ich
solle im Hofe Ihn verherrlichen. Hast du nicht Liebe und Vertrauen genug unter
uns genossen, und nun, wo endlich der wahre und herrliche Jesus wieder mit
Seiner Liebe und Gnade uns beleben will, willst du es wehren?
Schweige oder verhilf den Armen im Geiste zu ihrem Rechte!"
Da wurde Isidorus ruhig; denn von Helena hatte er immer die grösste Liebe
genossen. Da kamen die Anderen und baten Helena, Markus zu bewegen, er solle
doch zum Herrn flehen, um sie zu heilen. Helena aber sagte:
„Nein, das tue ich nicht; aber warum gehet ihr nicht selbst zum Herrn, hat Er
sich nicht genügend unter uns offenbart? Von nun an darf es keine Heimlichkeiten
mehr geben, weil die Liebe des Herrn und Heilandes Jesus sich auch nicht mit
Heimlichkeiten umgibt, sondern Er uns frei und offen Seine Erlöserliebe
offenbart."
„Helena", sagte einer, „wie können wir uns erlauben, uns an den Herrn zu wenden,
da wir Ihm erst vor kurzem nicht den vollen Glauben entgegengebracht haben! Wenn
ich die anderen ansehe, sehe ich auch meine Schuld. Hilf mir, Schwester Helena,
damit ich meinen und der anderen Fehler gutmachen kann! Du hast Jesus gesehen
und Ihn gesprochen, gehe zu Ihm, und ich will und werde mich von nun an zu Ihm
bekennen, auch wenn ich nicht gesund werde."
„Ist das dein Ernst, Bruder?"
„Ja, Helena, immer warst du unser Engel, dir gegenüber ist es mir nicht möglich,
anders zu reden, als ich denke."
Helena sprach: „Bruder, ich glaube dir, und nun beginne du den Heiland Jesus
auch mit einem kranken Körper zu verherrlichen; ihr anderen aber: erstehet in
Gesundheit im Namen des Herrn Jesus Christus und weichet nie mehr von den Wegen,
die zu Ihm und zu den anderen Herzen führen! Du aber, Bruder, wirst noch vieles
erleben, was dich unendlich beglücken wird. Darum übe dich in Geduld, denn was
der Herr tut, ist wohlgetan."
Die anderen wurden bis auf den einen gesund, da sagte Markus:
„Johannes, jetzt ist meine Weisheit zu Ende; was bedeutet denn dieses alles? Was
hat denn der Herr mit uns vor, dass Er sich in einer uns unverständlichen Art
offenbart? Bitte, sprich zu uns, damit ich wieder Oberwasser bekomme, denn jetzt
haben mich die Fluten Seiner Gnade und Weisheit verschlungen."
Johannes: „Markus, alles zu seiner Zeit; noch bist du mit Isidorus nicht fertig,
wende dich aber mit heiliger Liebe an ihn!"
Markus verstand Johannes, reichte Isidorus die Hand und sprach: „Isidorus, noch
sind wir nicht fertig miteinander; ich frage dich im Namen des Herrn: Was
gedenkest du zu tun? In deinem Herzen sehe ich, wie Schlangen und Otterngezüchte
sich ausbreiten und neues Unheil ausbrüten. Ich warne dich! Noch ist dir ein
Zeuge vorhanden, Bruder Gamaliel, der infolge deiner Lehre sich nicht zu dem
gleichen Vertrauen aufschwingen konnte wie die anderen. Du hast erlebt, wie der
Herr durch Helena wirkte und in Gamaliel dir einen Ankläger bereitete. Gamaliel
ist zu einem Zeugen des Herrn geworden, der immer deine Irrlehre anprangern
wird. Jesus aber hat nicht aufgehört, dich zu lieben, und wartet auf dich. Also
sprich: Was wirst du tun?"
Isidorus sprach: „Warum fragst du mich? Ich lache über euch alle und lasse euren
Heiland, wo Er ist. Der Gott, der mir die Kraft zum Zeugen gibt, wird wohl auch
weiterhin mein Zeugnis unterstützen."
Gamaliel ging auf Isidorus zu und sprach:
„Isidorus, vergiss nicht, dass ich noch da bin! Entweder: du heilst mich, oder
ich hänge mich an dich so, wie du dich an deinen falschen Gott hängst, und allen
werde ich offenbaren, was Gott in Jesus uns allen getan hat. Ja, ich fühle in
mir die Kraft Gottes, ich fühle in mir das heilige Wehen Seiner Heilandsliebe;
darum hänge ich mich an dich, bis du niemandem mehr einen Schaden des Leibes und
der Seele zufügen kannst. Ihr alle seid meine Zeugen, und du, Markus, brauchst
nicht mehr zu fürchten, dass deine Liebe und Demut als Schwäche hingestellt
wird. Dir habe ich meinen Glauben zu danken; nur Isidorus hat mir andere
Begriffe durch seine Weisheit und Redekunst beigebracht. Aber nun leuchtet die
Liebe Jesu wie ein heller Stern, und gerne will ich mein Leiden tragen, damit
ich immer an meinen Irrtum erinnert werde. Isidorus, freue dich meiner Treue; es
ist kein Hass, nur Liebe! Denn einmal wird es doch gelingen, dich zu überzeugen.
Mit Liebe bist du nicht zu überzeugen; versuchen wir es mit dem Ernst! Solltest
du aber mich durch deinen Hass erledigen wollen, so merke dir: dann wirst du
elender werden, als wir elend waren."
Nun trat Johannes zu Gamaliel hin und sprach: „Bruder Gamaliel, viel hast du dir
vorgenommen, der Herr verlangt das nicht; da du aber aus freier Liebe mit allen
Mitteln deinen irrenden Bruder überzeugen willst, so vergiss nicht, dass du ohne
den Herrn zu keinem Erfolg kommen kannst. Der Herr aber sieht deine Liebe und
deine gute Absicht und will dir entgegenkommen und dich mit Kraft aus der Höhe
und mit Weisheit aus der Liebe ausrüsten. Komm her, damit ich dir im Namen des
Herrn die Hände auflege und dich segne!"
Gamaliel kniete nieder, Johannes legte ihm die Hände auf und betete: „Du treuer
Heiland, Gott und Herr und Vater aller Deiner Menschenkinder. Dieser Bruder hier
bekennt sich zu Dir und will sein mangelndes Vertrauen zu Dir durch doppelte
Liebetätigkeit gutmachen. Stärke Du ihn, erfülle ihn so, dass er Dich immer vor
Augen und im Herzen trägt; erfülle Du ihn mit Deinem Geiste, damit er zum Heile
aller seiner Brüder werde! Amen."
Johannes zog ihn zu sich empor und sagte: „Gamaliel, der Herr hat dich
angenommen und gibt dir die ersehnte Gesundheit zurück; bleibe in der Liebe und
lasse dich nur von Liebe leiten, damit du das Werk Seiner Liebe krönen kannst!"
Gamaliel war ganz verwirrt; ihm war plötzlich so wohl, er empfand keine
Schmerzen mehr, darum sprach er:
„Liebe, du überherrliche Liebe, wie ein Traum ist es mir, dass ich wieder ohne
Schmerzen bin, aber, Isidorus, freue dich deswegen immerhin; ich werde dich
darum mit doppeltem Eifer behüten und nicht ruhen, bis du wieder unser alter,
guter Bruder Isidorus geworden bist."
Inzwischen kamen wieder neue Kranke, und Markus hatte seine liebe Not mit ihnen;
denn die anderen hatten laut werden lassen, dass alle geheilt werden sollten. Er
wendete sich an Johannes und sagte:
„Bruder, sollen denn auch die Heiden die Segnungen des Herrn erfahren? Hier
weiss ich nicht so recht, wie ich mich verhalten soll."
Sprach Johannes: „Bruder, was verlangt denn dein Herz, und wie stellt sich deine
Liebe dazu?"
Markus: „Bruder, wenn du mich darnach fragst, so möchte ich alle glücklich und
gesund sehen, aber sie glauben doch noch nicht an den Herrn, und wir fordern
doch Glauben!"
Johannes: „Markus, dann musst du eben doppelten Glauben aufbringen und mit
doppelter Liebe zu dem seligen Werke schreiten. Wenn ich sage .doppelte Liebe',
da meine ich die deine und des Herrn Liebe in dir, und alles wird dir gelingen.
Mache aber keine Versuche, sondern glaube, dass Er in dir und du in Ihm Sein
heiliges Werk fortsetzen kannst, bis der Herr dir ein Neues offenbart."
Markus sah Johannes lange an, dann trat er unter die Neuangekommenen und sprach:
„Freunde, was verlangt ihr, dass euch Gott, der ewige und heilige, tun soll?"
Einer antwortete: „Freund, wir hörten, dass ein Priester gekommen sei, der alle
Kranken gesund macht, und so eilten wir in unserer Not hierher und bitten dich,
so du der Priester bist, uns zu heilen."
Markus: „Ihr habt recht gehört, liebe Freunde; doch vorerst muss ich euch sagen,
dass wohl ein Priester des wahren Gottes gekommen ist, aber ihr wisset von euren
Göttern, dass auch ein Glaube nötig ist. Warum geht ihr nicht zu euren Priestern
oder zu euren Göttern; werden euch da die Priester mit ihren Göttern nicht
zürnen?"
Sprach einer: „Höre, mit unseren Göttern ist es eine eigentümliche Sache: wenn
wir ihnen Opfer bringen, sind sie barmherzig und gut, wenn wir aber von ihnen
ein Opfer erbitten, ist es aus."
Markus: „Freunde, wenn ihr bereit seid, die Segnungen des wahren und lebendigen
Gottes zu empfangen, dann müsst ihr auch an den wahren und ewigen Gott glauben.
Nicht ich oder der ewige Gott wollen euch von euren Göttern trennen, sondern ihr
selbst müsst es tun. Ich bin bereit, euch zu dienen im Namen und im Geiste des
Herrn und ewigen Gottes, der uns in Seinem Sohne Jesus als Heiland zu einem
Erlöser geworden ist: nicht nur zu einem Erlöser von allen euren und unseren
Leiden, sondern zu einem Erlöser von allem Tod und Gericht. Wer an Ihn glaubt
und nach Seiner Lehre tut, wird das ewige Leben überkommen und in sich die Liebe
erleben, die uns Menschen zu Seinen Kindern macht.
Wenn ihr das wollt, so bereitet euch vor, dass ich euch diene, und der ewige
Gott segne euren Willen!"
Fragend schauten sie auf Markus, der wie ein Heiliger strahlte. Sie beugten ihre
Häupter, dann legte Markus ihnen die Hände auf. Betend und im festen Vertrauen
vollendete er das Werk, und siehe, alle wurden geheilt. Die Geheilten aber
verblieben in andächtiger Stille. Da trat Johannes vor sie hin und sagte:
„Machet euch frei von eurer Furcht; denn Gott, der wahre und ewige, hat euch in
Seiner Liebe und Gnade Seine ganze Herrlichkeit offenbart. Er macht euch keinen
Vorwurf, noch gibt Er euch ein Gebot, sondern spricht zu euch: ,In Meiner Liebe
und Gnade habe Ich eure Not angesehen und habe sie von euch genommen; nun aber
habe Ich eine Bitte an euch, und sie ist die: Liebet euch, wie Ich auch euch
liebe, dann werdet ihr auch erfahren, welche Seligkeiten in der Liebe liegen. Es
gibt nur eine wahre Liebe, und diese kommt aus Mir. Diese Liebe ist das ewige
Geschenk an euch alle, und wer sich dieser Meiner Liebe bedienen will, kann und
darf es, soviel wie er will. Darum lernet Mich erkennen als die wahre und ewige
Liebe, und alle eure Götter werden bei und in euch aufhören. Alles andere werden
euch Meine Diener sagen'."
In diesem Augenblick der Ruhe und Stille sagte Helena: „O Heiland Jesus, wie
herrlich hast Du wiederum Deine Liebe zu uns Menschen offenbart; wir können
nicht mehr schweigen, sondern wir müssen bekennen, was Gott an uns getan hat. O
Johannes, du treuer Zeuge und Diener Seiner Gottheit, sage uns: habt ihr denn in
Seiner Gegenwart noch Herrlicheres erlebt? Oft habe ich alle die beneidet, die
mit Ihm als Mensch gelebt haben, und heute bin ich seliger als ihr. Euch wird Er
oft gesagt haben, dass Er nicht immer als Mensch unter euch sein und bleiben
kann; aber ich habe die Gewissheit: Er wird nie mehr von mir gehen, obwohl ich
eine arme Magd und noch voller Sünden bin. Was sind aber alle meine Sünden gegen
Seine Liebe und Erbarmung? O Brüder und Schwestern, machen wir kein Aufhebens
mehr von unserem menschlichen Wesen, denn alles Menschliche wird wie Schnee an
Seiner Liebessonne vergehen und ein ganz neues und überherrliches Leben in uns
schaffen. Ich fühle es in mir, wie ein anderes Leben in mir pulsiert; ich bin so
übervoll davon, dass ich mit Freuden aus dieser Liebe mein Leben opfern könnte."
Markus und auch alle anderen waren erstaunt, dieses Zeugnis zu hören, dann aber
sagte er:
„Was mein Mund noch nicht zu bekennen wagte, das hat unsere Schwester Helena
fertiggebracht; darum wollen wir ihr auch unseren Dank bekunden, indem wir ihr
immer liebend zur Hand gehen wollen. Nach dem Drängen des Geistes in mir muss
ich euch noch sagen: Wer in Not seines Herzens sich befindet, der komme immer zu
mir, ganz gleich, zu welcher Zeit und Stunde; wer aber in der Not seines Leibes
nicht weiss, wo aus und ein, der gehe zur Schwester Helena! Ihr wurde das Amt
übertragen, in Liebe zu dienen, weil sie die grössere Liebe hat. Du aber,
Helena, sei uns allen Mutter und Schwester und teile mit uns, was du von der
ewigen Liebe überkommen hast!"
Helena lächelte gütig und sagte: „O ihr noch schwachen Kindlein, am Herzen des
Vaters haben alle Platz, und gern will ich euch mit dem dienen, was ich vom
heiligen Vater überkommen habe. Aber nun kommt in das Haus, das durch die Liebe
in euch zu einem Gotteshaus geworden ist. Wer sich weiterhin nach Speise für die
Seele sehnt, trete ruhig mit ein, und saget dies allen weiter, die es hören
wollen: Mein Haus ist von nun an das Heim der Liebe und der Ruheort für sehnende
Herzen."
Viele gingen nun weg, um in ihrer Freude ihren Lieben daheim die Botschaft ihrer
Heilung zu bringen, andere fragten, wenn sie wiederkommen dürften, da ja das
Haus übervoll werde, und Helena gab gerne bejahende Auskunft. Die übrigen gingen
alle in das Haus. Nur Isidorus blieb mit Gamaliel zurück. Da wurde Isidorus
erbost und sagte: „Warum gehest du nicht mit denen, die so für die Liebe
schwärmen?"
Gamaliel sagte: „Bruder, um dein Schwärmen für den Teufel zu dämpfen. Wie ein
Schatten werde ich dir folgen, also bekümmere dich nicht um mich, da ich mich um
dich doppelt kümmere."
Im Hause hatte Helena rasch Platz für die vielen besorgt, und wie sie alle ihre
Gäste betrachtete, waren es fast nur fremde Gesichter. In ihrem Herzen herrschte
grosse Freude; rasch hatte sie einen Labetrunk geholt und bat, dass sich alle
selbst helfen sollten.
Alle waren begierig zu hören, was der Diener der Liebe ihnen zu offenbaren
hatte, und Johannes fühlte das Sehnen in sich, das alle beglücken möchte, und
darum sagte er:
„Schwestern und Brüder, ich nenne euch so, weil es die Liebe in mir nicht anders
kennt. Wir sehen uns heute das erste Mal, und doch ist es mir, als wenn wir
immer zusammen gelebt hätten, zusammen in einem Geiste, der euch allen noch
fremd, mir aber vertraut ist, da es der Geist unseres Gottes und Vaters ist.
Dieser Gott hat es für richtig gefunden, sich zu allen Zeiten zu offenbaren
durch den Mund Seiner Propheten und zuletzt durch Seinen Sohn Christus Jesus.
Dieser Jesus aber wurde unser Bruder und hat uns den Weg zu Gott, Seinem ewigen
Vater, gezeigt und durch Sein Opfer auf Golgatha Sich zu einem Mittler gemacht,
durch den auch wir zu Gott gelangen können. Wir als Seine Jünger haben Seine
Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit, die unser Mund nicht genug bezeugen
kann. Dieser Jesus wurde zum Heiland aller, die an Ihn glauben, und zum Erlöser
aller, die gleich Ihm auch andere erlösen wollen. Wenn ich alle die
Herrlichkeiten offenbaren wollte, dürfte ich gar nicht mehr von euch gehen;
darum lasset euch an dem genügen, was ich heute und in den nächsten Tagen euch
künden werde.
Es ist aber zuviel für euch, die ihr das erste Mal einen Zeugen des lebendigen
Gottes hört und schon Seine Liebe an euch erfahren habt. Eines aber ist nötig:
Wenn es euch ernst ist, Jesus, den Heiland und wahren Gott und Herrn,
anzunehmen, so müsst ihr eure Götzen entfernen und auch euer Inneres von so
mancher Sucht reinigen, die sich trennend zwischen euch und Ihn stellet. Wie ihr
euch sehnt nach Liebe, Friede und Freude, so sehnt sich auch der ewige Gott nach
euch. Nehmet aber zuvor noch den Segen Gottes mit nach Hause und kommet wieder,
wenn es euch ernst um euer zeitliches wie ewiges Leben ist. Ziehet hin in
Frieden, und die Liebe Gottes sei euer Teil!"
So gingen sie gesegnet heim.
Es kamen aber immer wieder welche, die nach dem Priester fragten, der da heilen
könnte, und so hatte Markus viel zu arbeiten.
Das Haus war nun soweit leer geworden, und Johannes und die Brüder hatten nun
Ruhe und Zeit, über so manches zu reden. Von allen war Helena die Aufmerksamste.
So kam der Abend heran. Johannes sagte:
„Helena, heute reicht euer Platz nicht aus; du wirst noch viel zu sorgen haben,
dass alle zufrieden gestellt werden."
„Johannes", sagte Helena, „mir ist, als wenn sich alles so wunderbar regelt,
dass ich nicht im geringsten mich zu sorgen brauche. Ist doch der Hof gross
genug, dass alle Platz finden werden, und einige Fackeln habe ich noch im
Hause."
Gegen Abend wurde es ruhiger, und Markus fühlte sich schwach. Noch nie in seinem
Leben hatte er soviel reden müssen wie an diesem Tage, und noch nie wurde er so
von innen gedrängt, als er die Not der anderen zu seiner Not machte und sichtbar
die Hilfe des Herrn erfuhr. Johannes sagte zu ihm:
„Markus, heute war für uns alle ein heiliger Tag und für dich ein Freudentag.
Die Früchte deiner Liebe werden dir noch viel Freude bringen, aber für heute
abend darfst du um so lieblicher ausruhen. Bleibe aber unter uns, denn dein
Liebesdienst wird noch gebraucht!"
Die Bekehrung eines
heidnischen Priesters
Wie vereinbart, kamen am Abend alle Brüder und Schwestern und alle, die geheilt
worden waren. Helena hatte sagen lassen, dass sich alle im Hofe einen Platz
suchen sollen, da im Hause es an Platz mangle, und ruhig taten auch alle, wie
sie sollten. Es wurden aber immer mehr, und Markus hatte Sorge, dass der Platz
doch nicht ausreichen würde. Da lächelte Johannes und sagte:
„Markus, je mehr kommen und je mehr an diesem Abend Gott verherrlicht wird,
desto leichter wird in Zukunft dein Dienst sein. Mache dich aber auf allerhand
Überraschungen gefasst, denn dein heutiges Wirken hat guten Grund gelegt. Auch
Isidorus und Gamaliel werden da sein; Isidorus aus Angst vor Gamaliel und
Gamaliel aus Eifer um Isidorus."
Nun war es soweit. Der Hof war bis zum letzten Plätzchen voller Menschen, dass
sie sich kaum rühren konnten. Viele standen, und in der Mitte hatten sie sich
auf den Erdboden gelagert. An der Türe des Hauses war ein Platz für die Diener
des Wortes und der Liebe geblieben. Als Markus und Johannes wie auch Helena
unter der Türe erschienen, trat Ruhe ein; alle verstummten und sahen auf die
Drei hin. Helena hatte sich einen Platz bei der Menge gesucht und sich auch mit
auf den Boden gelagert. Die Brüder blieben im Hause und verharrten im Flur.
Johannes segnete mit folgenden Worten alle Erschienenen:
„Geliebte Freunde, Brüder und Schwestern, im Namen des ewigen und heiligen
Gottes entbiete ich euch den Gruss der Liebe, des Friedens und der Freude und
wünsche euch rechtes Verstehen und volles Erfassen dessen, was ihr alle
vernehmen werdet. Ich weiss, dass noch nicht Alle Gläubige unserer Heilands- und
Erlöserlehre sind, aber das hat vorderhand nichts zu bedeuten. Wenn ich aber um
etwas bitten dürfte, so wäre es dieses: Prüfet alles, aber das Gute behaltet!
Sollte einer oder der andere nicht so recht befriedigt werden, in welcher Sache
es auch sein sollte, so könnt ihr es alle hier frank und frei bekunden. Markus
ist und bleibt euer Diener, ich aber ziehe weiter nach dem Willen des Herrn."
Als Johannes schwieg, drängte sich ein Mann an ihn heran und sagte: „Ich kenne
dich nicht und weiss auch nicht, ob du heute am Nachmittag meine Frau von ihrem
Blutgang geheilt hast. Da aber meine Frau sagte, dass sie ihre Heilung dem
lebendigen Gott verdanke und nun für die Reinigung des Hauses und des Herzens
von fremden Göttern zu sorgen habe, fühle ich mich veranlasst, diesem Wunder und
ihrer Rede nachzugehen. Ich selbst bin Priester in der Vorstadt, und wenn sich
je einer um die Heilung meiner Frau bemüht hat, so bin ich es gewesen. Auch bei
eurem Priester Isidorus bin ich gewesen, und da wurde mir gesagt," Krankheit sei
die Folge des Unglaubens und sei mit Geduld zu tragen, sonst werde das Übel noch
schlimmer werden. Was soll ich nun glauben, welcher Gott ist nun der rechte? Der
Gott, der mit Krankheit alle Lauheit straft, oder der Gott, der da Liebe und
Reinigung des Herzens und des Hauses verlangt? Nach meiner Überlegung frage ich:
Welches ist der rechte Gott, und wovon muss ich mich und mein Haus reinigen?"
Johannes sprach: „Freunde und Brüder, ich freue mich über die Offenheit eures
Bruders. Offen sollt ihr auch von mir die Antwort erfahren, die nicht allein dem
Fragenden, sondern allen gelten soll. Ich bin Johannes, einer der Jünger des
Herrn und Meisters Jesus, den euch schon euer Bruder Paulus verkündet hat. Dass
sich noch heidnische Tempel in und bei dieser Stadt befinden, ist nicht zu
leugnen und auch nicht eure Schuld. Dass aber in euren Kreisen Irrlehrer
auftreten konnten, hätte freilich nicht geschehen dürfen; denn in dem
Augenblick, wo Zwietracht und Unfriede in eurer Mitte einkehren, ist auch eure
Kraft nicht mehr dieselbe. Beweis dafür ist, dass ihr das Herrlichste verloren
habt: die ständige Gegenwart des Herrn. Dem Drängen der ewigen Liebe, auch bei
euch wieder den alten Zustand herbeizuführen, in dem ihr zuerst gestanden seid,
bin ich gefolgt, und wir haben Beweise der Liebe und Gnade des Herrn erfahren.
Wohlweislich habe nicht ich, sondern euer Bruder Markus den Dienst durch die
Gnade des Herrn besorgt. Für euch, die ihr den Herrn und Heiland kennt, sind es
Wunder Seiner Liebe, aber für die, die noch ohne Kenntnis des Herrn und
Heilandes Jesus sind, sind es Wunder Seiner Macht und Kraft.
Dieser Jesus war als Mensch uns allen Freund und Bruder, diente in Seiner Liebe
allen Menschen ohne Ausnahme. Er kannte keine Feinde und war doch für viele der
Feind, vor allem für die Templer in Jerusalem, die Seine Lehre der Gottes- und
Nächstenliebe nicht aufkommen lassen wollten und die Kraft Seiner Göttlichkeit
dem Bösen zuschrieben.
Liebe Freunde, was wir an Herrlichkeiten erlebt haben, kann nicht mit Worten
geschildert werden, aber die Herrlichkeit, die Er auch heute noch uns erleben
lässt, verbindet uns mit Ihm noch inniger. Wenn nun der Freund fragt, welchem
Gott wir dienen sollen, so muss sich jedes selbst die Antwort geben; denn wer
von uns wäre der Tor, der die Herrlichkeit für nichts erachtete und Steine für
Brot eintauschte, oder gar für einen Gott, der, obgleich er nicht vorhanden ist,
verlangt, dass man ihm dauernd allerhand Opfer bringe. Wir glaubten schon immer
an den Gott der Juden, aber wie weit waren wir von dem wirklichen Gott entfernt!
Erst als Jesus uns die Augen öffnete und uns einen Gott der Liebe vorlebte und
uns in die Himmel Seiner Liebe Einblicke gewährte, da, liebe Freunde, wurde in
uns der rechte Gott lebendig, und wir lernten Ihn erkennen als die Ewige Liebe.
Liebe war Sein Leben, und dieses Leben erweckte wiederum Leben in uns, und aus
diesem Leben zeuge und bezeuge jetzt auch ich Sein Leben. Ich könnte aus Seiner
Kraft euch in einen Himmel versetzen, aber es wäre noch verfrüht. Ich könnte
euch schauen lassen, in welchem Irrtum ihr bis jetzt euch befunden habt; aber
das würde euch allen Mut nehmen, und ihr würdet euch als Verlorene ansehen. Ihr
sollt alles in euch selbst finden! Darum gebe ich euch den Rat: Reiniget euer
Haus und Herz von fremden Göttern, d. h. forschet in euch nach, welche Liebe
euch noch belebt und welchen Neigungen ihr noch dient! Denn Jesus der Heiland
will als Helfer euch dienen, damit Er in euch als der Sohn des Allerhöchsten
euer Erlöser werde und euch den wahren Gott und Vater offenbare.
Jesus, der Gekreuzigte und von den Toten Erstandene, ist das Leben, und alle,
die an Ihn glauben, werden mit Ihm leben, aber kurz vor Seinem Kreuzestode sagte
Er zu Seinen Jüngern: ,Ein neu Gebot gebe Ich euch: dass ihr euch untereinander
liebet, wie Ich euch geliebet habe, damit die Welt erkenne, dass ihr Meine
Jünger seid.' In diesem Gebot ist auch alles enthalten, was uns zu Seinen
Jüngern und auch Kindern macht. Liebet euch, und abermals sage ich: Liebet euch,
und in dieser Liebe offenbart sich Seine Liebe zu euch, und in dieser Liebe wird
euch Erfüllung jeder Antwort. So schliesse ich meine Worte an euch auch mit der
Bitte: Kindlein, liebet euch, denn des Vaters seligster Wunsch ist es, sich euch
als Vater zu offenbaren und in eurer Liebe sich zu sonnen. So erfülle sich an
euch mein Sehnen, und Friede und Freude erfülle euer Sein, und Liebe ermögliche
euch die Erfüllung alles Sehnens."
Lange schwiegen sie alle; dann trat der Priester wieder auf und sagte:
„Fremdling, aus der Ferne kommst du und offenbarst Dinge, die doch so nahe
liegen; wie soll ich dir danken! Heute noch reisse ich die Altäre meiner Götter
nieder und werde dem wahren Gott dienen und Ihm die Ehre geben. Du sprachest von
keinem Opfer, sondern nur von einem Dienen in der Liebe. Wahrlich, dein Gott
macht es uns Menschen leicht, und darum sei ich von nun an der Eure. Bestimmet
über mich. Meine Frau habet Mir geheilt, ohne au fragen, wer sie auch sei, und
so will ich auch, ohne zu fragen, euch gehören und dem Gott dienen, der sich an
mir so liebreich offenbart hat.
Gewiss habe ich von euren Brüdern so manches vernommen, was mich zum Nachdenken
veranlasst hat, aber wenn ich mir dann die Zwietracht vergegenwärtigte, die in
eurer Gemeinde wie eine helle Flamme loderte, da zog ich mir meine Götter vor,
deren Priester Derartiges nicht duldeten. Hier erlebe ich nun aber eine
Freiheit, die mich direkt überwältigt. Gott, der ewige und heilige, überlässt
uns Menschen Seine Gaben aus Liebe und sehnt sich nach Liebe, Friede und Freude.
Das ist mir neu und so gross, dass ich unter dieser Grösse erschauere. Gott
stellt sich auf den Boden Seiner Kinder, ja ist denn dieses schon einmal gehört
worden, und Gott will, dass alle vom Tod und Gericht errettet werden, darum hat
Er in einem Menschen Fleisch und Blut angenommen. O Menschen, das ist zuviel der
Gnade, und dass ihr Zeugen Seiner Menschwerdung selbst die Herrlichkeit Gottes
geschaut habt, ist volle Wahrheit, da ich auch Seine Herrlichkeit durch euch
erlebt habe. Ich und mein Haus werden eurem Gott dienen, und alles, was wir
heute gehört haben, wird uns nicht nur Richtschnur, sondern auch Licht auf
unserem Lebenswege werden. Mein Weib ist gesund und damit alles ausgelöscht, was
wir je in unserem Leibe gesündigt haben, und wie neue Menschen stehen wir vor
euch, und so danke ich und mein Haus Dir, Du herrlicher Gott, und wie Du
bekundet hast, dass wir immer noch Dir gehören, so will ich auch bekunden, dass
wir Gott gehören. Dazu erbitten wir Kraft und Stärkung unseres Willens."
Johannes ging auf den Priester zu und sprach:
„Bruder, die Gnade und die Liebe und der Friede Gottes sei mit dir jetzt bis in
alle Ewigkeit! Du selbst hast den Willen, dein Leben ganz in den Dienst des
wahren und ewigen Gottes zu stellen und deine Götter zu entfernen. Darüber ist
grosse Freude nicht nur bei Gott, sondern in der ganzen Gemeinde. Nur um eines
bitte ich dich: Brich nichts über das Knie und lasse Liebe, Liebe und wieder
Liebe walten; denn nur in der Liebe zu deinen Brüdern kannst du ihnen allen das
Rechte bringen. Gewiss ist es gewaltig, dass gerade dein Weib, das bisher trotz
vieler Opfer und Gebete nicht die Hilfe erfuhr, die du erhofft hattest, hier,
ohne gross zu bitten, die ersehnte Hilfe fand. Warum aber habe ich angeordnet,
dass alle Kranken hierher kommen sollten? Weil ich das heisse Verlangen in mir
in die Tat umsetzte, dass alle Not ein Ende nehmen möchte, auf dass die Liebe
des Herrn immer mehr offenbar werde. Die Kraft, Kranke zu heilen, ist die Kraft
der Liebe Jesu, die allen denen zuteil wird, die da rechten Glaubens und rechten
Wollens sind, aber diese Kraft soll ja Eigentum eines jeden sein und wird durch
die Liebe zur Welt und zum eigenen Ich geschwächt. Was ist der Grund, dass in
mir die Liebe und die
Kraft immer mächtiger wird? Weil Jesus, der Heiland und Herr, Gott und ewiger
Vater, sich immer herrlicher in mir gestalten kann: das ist das Geheimnis und
wird vielen immer Geheimnis bleiben. Der andere Johannes, der da Seine Ankunft
kündete und Ihm den Weg bereitete, sagte: ,Ich muss abnehmen, und Er muss
zunehmen', und so ist und bleibt es für alle Menschen: wir müssen abnehmen,
damit Er in uns wachsen kann, und Er in Seiner Herrlichkeit schenkt dieses
Wachstum jedem Kinde nach dem Grade seiner Liebe. Er als Mensch offenbarte eine
Herrlichkeit und einen herrlichen Gott; tuen wir dasselbe, und wir werden in
Gott leben und Gott in uns."
Die Gemeinde war erschüttert über das Erlebnis, das diese Liebe des Johannes
zeitigte. Nun erkannten sie ihre Schuld, wie sie aus Jesus Christus auch einen
Götzen gemacht und auf Seine Liebe und Gnade hin geradezu in ihren Irrtümern ihr
Leben eingerichtet hatten, und nun war der Weg geebnet zu dem Heiligtum der
Liebe und zu dem wahren Leben aus und in der Liebe.
Lange konnte Johannes nicht bleiben, da auch andere Gemeinden der Reinigung
bedurften. Ein Helfer wurde ihm in diesen Tagen der neugewonnene Heidenpriester.
Überallhin begleitete er ihn, und in Demut bekannte er den wahren Gott, der wie
ein lieber Freund und Vater ihm nun Wege zeigte, die zu gehen nur Friede und
Freude wirkt.
Johannes in Thyatira
Ohne Abschied von den Gemeinden zu nehmen, war nun Johannes' Ziel nach Thyatira
gerichtet, denn der ihn begleitende Engel offenbarte ihm, dass auch dort viel
Irrtum sich eingewurzelt habe.
In allen Orten, wo Johannes einkehrte, waren die Spuren der Liebe des Paulus zu
finden, aber das Glaubensleben fing an, sich zu verflachen. Die Kraft Gottes
liess nach, der Eifer fehlte, und Übereifrige rissen vollends ein, was an
Glauben noch bestand. Es drohte sich ein neues Heidentum
herauszukristallisieren.
Johannes handelte nach dem Zug seiner Liebe in sich: er linderte die Not der
Leidenden und Kranken, und damit hatte er bald die Herzen gewonnen. Es standen
keine Gegner auf, und der Same der Liebe fand aufnahmewillige Herzen. Anders
wurde es aber in Thyatira: da war eine grosse feste Gemeinde mit ihrem Priester
und einer Priesterin, die beide überwältigend in ihrer Rede und ihrem Zeugnis
waren. Leider war das Kommen des Johannes voraus bekannt geworden, und die
Gemeinde war schon vor-eingenommen gegen Johannes.
Allein, ohne jede Begleitung kam an einem Vorsabbat Johannes in Thyatira an.
Nach der Weisung des Engels ging er nicht zu dem Priester oder seiner Gehilfin,
sondern zu einem Häusler, der weit draussen vor der Stadt sich mit seinem Weibe
und seinen vielen Kindern rechtschaffen von dem nährte, was ihm sein Garten und
das angrenzende Feld schenkten.
Den ganzen Tag war er gewandert und war rechtschaffen müde. Da tat ihm die Liebe
wohl, die ihm bei seiner Einkehr entgegengebracht wurde. Nach einer gründlichen
Reinigung seines Körpers und einer Stärkung seines Leibes war ihm so wohl, und
bald waren die Häuslersleute von der Rede und der Ruhe ergriffen, die von ihrem
Gast ausging.
Mit Tränen in den Augen schilderten sie die Freude, die sie an dem Heiland
erlebten, den ihnen die Brüder gebracht hatten, und gern hatten sie getan, was
ihnen angeraten wurde. Aber wie wurden sie enttäuscht, als neue Brüder auftraten
und in einem anderen Geiste zu reden anfingen. Wohl sei jedes Wort wie eine
Wahrheit gewesen, aber nichts mehr von Liebe oder Verständnis für den Nächsten
sei zu spüren gewesen. Alles wurde kälter und liebloser, dafür das Wort oder die
Lehre mächtiger, und die Brüder hätten das Wort unter sich geteilt.
Die zersplitterten Gemeinden hätten nun fast alle die Gewohnheiten angenommen,
die die Künder des Wortes verlangten, und dabei sei das Schönste, die Harmonie
untereinander, verloren gegangen. Was sei nicht alles verlangt worden: allem sei
zu entsagen, was nach Welt aussähe, und der Heiland sei fast mit keinem Wort
mehr erwähnt worden, und so sei es noch heute. Wohl seien die Reden gut, aber es
sei kein Leben wie einst mehr darinnen. „Darum, lieber Bruder", schloss der
Häusler, „danke ich dem Herrn, der dich in mein bescheidenes Heim geführt hat."
Johannes war ergriffen von der Sehnsucht der armen Leute nach dem wahren
Evangelium, und so wurde ihnen ein herrlicher Lohn und überreiche Gnade zuteil.
In dieser Nacht erlebten die Häusler ein Glück, wie sie es bisher nicht einmal
ahnten, und nun war der Weg geebnet für den Heiland Jesus. Am Sabbat ging das
ganze Haus mit Johannes zur Weihestunde. In ihr änderte der Priester seine Art
auch nicht; ja er warnte die Gemeinde vor dem zu erwartenden Boten, der ein
Jünger und Apostel des Herrn sei. Johannes hörte sich alles ruhig mit an; die
Weihestunde schloss sogar ohne Segen.
Johannes erbarmte sich der Armen im Geiste; er trat zu dem Altar, verneigte sich
vor der grossen Gemeinde und sagte:
„Schwestern und Brüder, das erste Mal bin ich in eurer Mitte, aber ich kann
nicht mehr schweigen, da mir die Not eurer Seele und eures Herzens auf meiner
Seele brennt. Gläubige nennt ihr euch, Gläubige wollet ihr sein, und dabei
herrscht unter euch ein Geist, der schlimmer als das finsterste Heidentum ist.
Wo habt ihr denn euren Heiland Jesus gelassen? Habt ihr denn vergessen, dass nur
Jesus und wieder nur Jesus all euer Heil und Leben geworden ist, dass niemand
zum heiligen Vater als ein Kind gelangen kann als allein durch Jesus, den
Heiland und Erlöser? Wie könnet ihr zu einer Kindschaft Gottes gelangen, wenn
der von euch abgetan ist, der euch den Weg und die Mittel dazu gebracht hat? O
ihr armen, armen Herzen, ahnet ihr nicht, in welche Not ihr kommen müsst, wenn
ihr an dem Herrlichsten vorübergeht und Ihn durch eine Art verwerft, die das
Licht verwirft und die Finsternis zum Licht erhebt?"
Da trat der Priester, namens Coeranus, auf und herrschte Johannes an: er habe zu
schweigen, und erst wenn Klagen laut würden, könne er dazu sprechen. Johannes
trat beiseite und machte dem alten Häusler Platz. Dieser sagte mit ruhigen
Worten:
„Brüder und Schwestern, ihr kennet mich zur Genüge und wisset, dass ich kein
Schwärmer oder Nachredner bin; ihr wisset, dass ich oft meine Sehnsucht bekundet
habe nach der Zeit, wo wir das Evangelium der Liebe Jesu erhielten und dann auch
erlebten. Welch schöne Zeiten waren damals, und die Liebe untereinander war das
Band, das uns einte. In dieser Nacht habe ich diese Liebe wieder erleben dürfen
durch diesen unsern fremden Bruder. Ich weiss nicht, woher er kommt oder wohin
er gehen wird, da ich nicht darnach gefragt habe. Aber mit seinem Kommen habe
ich eine Wonne erlebt, die ich euch nicht schildern kann, und so wurde mir
soviel herrlicher Lohn an Wonne, weil ich ihm mein Haus als das Seine anbot.
Brüder, streitet euch nicht deswegen und lasset es unseren dienenden Bruder
nicht entgelten, dass er dem Fremdling hart entgegengekommen ist, aber kommet
und prüfet selbst und bringet eure Kranken mit! Denn allen soll mein Haus und
Garten zur Verfügung stehen, und ich stehe zu meinen Worten, wenn ich euch sage:
es ist mir, als wenn der Herr selbst bei mir eingekehrt wäre."
Da kam die Priesterin, besah sich Johannes und sagte:
„Wer und was bist du, warum kommst du nicht zu uns, denn wir sind die erwählten
Gottesdiener!"
Johannes aber sagte zu ihr: „Gottesdiener seid ihr; das habe ich vernommen, aber
nicht meines Gottes, in dessen Diensten ich stehe. Ihr habt gewarnt vor dem
Jünger und Apostel, der da kommen sollte, und habt eine Schranke zwischen mir
und euch errichtet. Also müsset ihr auch die Schranke wieder entfernen, wenn ich
zu euch kommen soll. Ich komme als Freund und Bruder und nicht als Feind, ich
fordere nicht Liebe, sondern bringe Liebe, aber nicht die meine, sondern die
meines Gottes, aus der ich wirke und diene. An euch allen liegt es nun, ob ihr
Gottes Liebe aufs neue zurückweisen und in eurer alten Eigenliebe verharren
wollt.
Da ihr lieben Herzen aber von eurem Bruder keinen Segen empfangen habt, so will
ich euch segnen!
Der Herr und ewige Gott, welcher in Jesus Christus Seine Herrlichkeit offenbart
hat, sei mit euch, und Sein heiliger Friede sei euer Teil!"
Johannes wurde umringt von denen, in deren Herzen seine Worte Widerhall gefunden
hatten, und allen rief er zu: „Kommet zu eurem Bruder, der euch in sein Haus und
seinen Garten geladen hat; dort bin ich zu Hause, hier ist noch keine Stätte für
die beglückende Heilandsliebe."
Eine Verwirrung war nun entstanden; einige riefen: „Ja, ja wir kommen", andere
wieder wollten warten, was daraus entstehen werde, und wieder andere wollten es
mit ihrem Priester und vor allem mit der Priesterin nicht verderben. Johannes
aber kehrte sich nicht daran, sondern ging mit seinem Gastgeber wieder zurück in
dessen Heim.
An diesem Tage noch füllte sich das Haus des Jasis. Sie kamen mit bedrückten und
beschwerten Herzen, denn sie fühlten sich nicht frei von Schuld und bekannten
auch, dass sie viel Schuld daran trügen, weil sie nicht den Mut gehabt hatten,
der Idaea entgegenzutreten.
Johannes aber dachte gar nicht daran, ihnen Vorwürfe zu machen, sondern zeigte
ihnen das Bild der Liebe in Jesus, der da gekommen sei, allen Erlösung und Leben
zu bringen. „Warum bringet ihr eure Kranken nicht mit?" fragte Johannes. Da
wurde ihm gesagt, heute sei Sabbat, da gezieme es sich nicht, weil es verboten
sei.
Johannes fragte, ob es auch verboten sei, an einem Sabbat Gutes zu tun; denn wer
da einen Kranken heilen oder zu einer Heilung beitragen wolle, täte doch gewiss
ein gutes Werk, und fuhr fort: „Darum bitte ich euch: wendet eure Herzen der
rechten Liebe zu, und Gott ist auf dem Wege zu euch."
Ohne ein Wort zu sagen, ging eine bejahrte Frau weg; nach etwa einer halben
Stunde brachte sie ihre Tochter, die wohl äusserlich gesund erschien, aber von
Zeit zu Zeit von argen Geistern geplagt war.
„Bruder, hier bringe ich dir meine Tochter; bis jetzt war alle Hilfe vergeblich,
und alle meine Opfer waren erfolglos."
Johannes: „Schwester, ich weiss; denn deine Tochter ist eine Behausung finsterer
Geister. Um sie zu heilen, ist mehr als Beten und Opfern nötig, denn für diese
finsteren Geister muss ein Ort da sein, wo sie von ihrem falschen Wahn geheilt
werden und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, das Licht aus Gott anzunehmen."
Alle sahen Johannes verständnislos an, denn so etwas hatten sie noch nicht
gehört, da sagte Johannes:
„Um euch aber in diese Wahrheit einzuführen, sollet ihr erleben, wie sich diese
finsteren Geister austoben möchten. Fürchtet euch aber nicht, denn unser Schutz
ist Jesus, der Heiland."
Einige Minuten legte Johannes dem Mädchen die Hände auf das Haupt und betete um
Gelingen des Werkes, da klang eine Stimme, ganz tief, aus dem Mädchen:
„Wer wagt es, uns in unserer Ruhe zu stören, oder habt ihr Lust, mit uns zu
streiten?"
Johannes sagte: „Weder eure Ruhe wollen wir stören, noch mit euch streiten, aber
euch veranlassen, dass ihr endlich dieses arme Menschenkind verlasst und euch
besinnt, bessere Wege zu beschreiten."
„Was", sprach die Stimme, „verlassen sollen wir diese Hütte, die uns solch
herrlichen Schutz gewährt? - nie und nimmermehr!"
„Dann werden wir euch zwingen", erwiderte Johannes, „denn euch in dieser
Menschenhütte belassen, wäre der Untergang dieser Menschenblume, und euch würde
nicht damit gedient sein; also rate ich euch: Verlasset dieses Menschenkind,
oder wir werden euch dazu zwingen."
Da lachte nicht nur eine Stimme, sondern mehrere aus dem Mädchen, und nun
fürchteten sich die Anwesenden vor dem Kommenden, denn so etwas hatten sie noch
nicht erlebt.
Johannes legte aufs neue dem Mädchen die Hände auf. Da begann ein Toben und
Fauchen. Johannes liess sich davon nicht beirren. Immer und immer wieder hielt
er dem Mädchen die Hände unter Bitten, Flehen und Segnen über das Haupt. Da fiel
das Mädchen um und rührte sich nicht mehr. Johannes aber hielt immer weiter die
Hände über das Mädchen, die anderen hatten sich dem Beten angeschlossen, und so
bemerkten sie nicht, wie die Priesterin Idaea das Haus betreten hatte. Sie kam
nicht dazu, ein Wort zu sagen; denn in diesem Augenblick verliessen die
finsteren Mächte das Mädchen und klammerten sich an Idaea an, die sich auch
nicht wehrte und nun zum Gefäss dieser Geister wurde.
Nur Johannes hatte es gesehen, sonst niemand. Da bewegte sich das Mädchen, blieb
noch eine Weile am Boden liegen, dann hob es Johannes empor und sagte: „Meine
Tochter, befreit bist du nun von deinen Plagegeistern, aber nur wenn du dich
ganz fest in den Schutz der ewigen Liebe gibst, wirst du befreit bleiben, und
deine Gesundheit wird bald besser werden. Du bist nicht mehr krank, sondern nur
angegriffen. Halte dich viel in der Sonne auf und nimm das Evangelium des
Heilandes Jesus an!"
Da waren die Anwesenden ergriffen, wie das Mädchen nun nach dem Heiland Jesus
fragte, und ob Er sie von der Krankheit erlöst habe und was sie tun solle.
Johannes sagte: „Tochter, nichts sollst du tun, als nur dich freuen, weil du die
Gnade erlebt hast, geheilt worden zu sein. Die Freude in dir wird dich drängen,
auch anderen Freude zu machen, und das ist der Dienst, um den dich der Heiland
Jesus bittet."
„Bittet", sprach das Mädchen, „das kann doch nicht sein? Ein solcher grosser
Heiland muss doch fordern; denn gar bald werden sonst die Geheilten seine Bitte
vergessen."
„Es ist schon so, liebe Tochter", erwiderte Johannes, „der Heiland Jesus ist
kein fordernder Herr und Meister, sondern Er bleibt ein Bittender, weil die
Liebe aus Gott, Seinem Vater, keine Forderung, sondern nur Bitte enthält. Diese
Liebe, die wir alle jetzt erlebt haben, ist die heilige Liebe aus Gott, die sich
in dem Menschensohne Jesus uns Menschen so wunderbar und herrlich offenbart hat.
Dieser Jesus ist das Licht, das alle Finsternis erleuchten wird, und alle, die
auf den Wegen wandeln, die Er uns geebnet hat, mit Seiner Klarheit erleuchten
und ihnen ein Leben schenken wird, das kein Tod oder Gericht mehr beengen kann.
Ihr alle habt von eurem Bruder genugsam vernommen, dass Christus Jesus gekommen
ist, um selig zu machen alle, die an Ihn glauben.
Dieser Glaube an Ihn hat aber unter euch sehr nachgelassen, wodurch es dem
Lebensfeind gelang, unter euch Zwietracht und Lauheit zu säen, ja sogar den
Glauben an Ihn zu untergraben. Die Folge war das Eindringen der finsteren
Mächte, die euch grösste Unruhe machten. Du, meine Tochter, bist nun frei, aber
eure Priesterin Idaea ist das Opfer ihrer Hab- und Herrschsucht geworden. Ohne
den rechten Glauben an den Erlöser ist an eine Heilung bei ihr vorderhand nicht
zu denken."
Sagte Jasis: „Bruder, was sagst du uns; Idaea ist das Opfer geworden, ja wie
kommt denn das? Hier ist ja Idaea; sage, Idaea, wie fühlst du dich, wie siehst
du denn aus?"
Da reckte sich Idaea und wie aus einem Traum, erwachend schrie sie: „Einmal ist
es gelungen, uns zu verdrängen, aber nun halten wir fest, was wir haben und
werden anders zu Werke gehen als vorher."
Idaea wurde getrieben, das Haus zu verlassen. Einem dunklen Drange folgend,
eilte sie stadteinwärts.
Johannes sagte: „Fürchtet euch nicht; Idaea wird wiederkommen, aber nicht
allein, viele, viele niedere Mächte werden sich ihr nähern und uns noch ein
tüchtiges Wetter machen; aber es ist keine Gefahr für uns vorhanden, da Jesus ja
mitten unter uns mit Seinen Engeln ist."
Es war gut, dass Idaea gegangen war, denn auf einmal kamen viele mit ihren
Kranken; Johannes legte ihnen allen die Hände auf und alle wurden gesund.
Inzwischen war es Abend geworden, und niemand wollte nach Hause gehen. Die
Genesenen aber verlangten, mit Johannes zu sprechen, denn es war ja allen wie
ein Wunder, da es schon sehr lange her war, dass jemand geheilt wurde. Johannes,
ganz durchdrungen von heissem Dank und Liebe, sprach:
„Liebe, liebe Herzen, ich kann euer Sehnen verstehen nach einem Wort der Gnade
und der Liebe, die ihr eben empfangen habt. Es soll euch auch werden, aber ihr
müsset erst einmal innerlich ruhig werden, und darum möchte ich euch bitten:
Geht heute ruhig in euer Heim und lasset euch an dem genügen, was ihr schon
vernommen habt. Jesus, unser Heiland, ist und wird immer unter uns sein, wenn
wir in Seinem Geiste ganz lebendig werden, und dieses kann nicht nur mit Worten,
sondern muss durch unser ganzes Tun geschehen. Darum ziehet das Kleid der Demut
und der Liebe an, und in euch wird dann noch manches lebendig werden, was jetzt
noch schlafend sich in euch befindet. Da morgen noch viele Kranke kommen werden,
bitte ich euch, erst am Abend zu kommen, wenn es euch drängt, und so ziehet in
Frieden eure Strasse und seid gesegnet in und durch die Liebe Jesu!"
Viele gingen, aber nicht alle, sie wollten Klarheit über Idaea und ihren
Priester Coeranus.
Johannes sagte ihnen: „Brüder, alles wird sich in Freude und Wohlgefallen
auflösen, aber noch ist der Boden voller Unkraut und Unflat. Bedenket, dass
durch eure eigene Lauheit Irrtum über Irrtum in Thyatira seinen Einzug halten
konnte. Nichts ist schwerer zu beseitigen als eingefressener Irrtum. Aber eure
eigene Unwachsamkeit hat der Gegner benutzt, um noch schwere Schäden zu
verursachen, und zwar eben durch Idaea, die nun das Opfer geworden ist. Glaubet
ja nicht, dass das, was sie heute und in den nächsten Tagen spricht, ihre
eigenen Worte sind. O nein, sondern Worte derer, die sie voll und ganz
eingenommen haben, und um sie zu heilen, ist die Hilfe der ganzen Gemeinde
nötig. Schlimm für euch ist aber, dass eure Nachbargemeinden mit Coeranus und
Idaea ganz einig gehen. Darum haltet an in der Fürbitte und gedenket der
Irrenden in Liebe und nicht in Abneigung, und überherrlich wird der Erfolg
sein." —
Tage darauf hatte Johannes von früh bis spät mit den gekommenen und gebrachten
Kranken seine Arbeit, und gegen Abend war das Haus des Jasis eine reine Herberge
geworden. Joseba, sein Weib, und auch die Kinder hatten alle Hände voll zu tun,
um jedem etwas Speise und Trank zu reichen. Sie taten es, ohne dazu aufgefordert
zu sein, trotz ihrer grossen Armut, und übergern hätten sie noch mehr gegeben,
wenn sie nur die Möglichkeit gehabt hätten. In ihrer Tätigkeit war Joseba so
beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkte, dass ein Römer mit einigen Leuten
gekommen war, und auch nicht hörte, wie er sie ansprach. Daher erschrak sie, als
der Römer sie laut anrief, ob der Heiler noch im Hause wäre.
Nun erst sah sie zu ihm auf und sagte:
„Herr, verzeihe mir; im Drange meiner Tätigkeit habe ich alles übersehen; was
wünschst du von mir?"
Der Römer lächelte und sagte: „Ist der Heiler noch im Hause, oder muss ich
weitergehen?"
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„Nein, Herr, gehe nicht weiter, Johannes ist noch da, aber er hat noch Arbeit
mit den Kranken. Komm und lasse dich zu ihm führen."
Der Römer gebot seinen Leuten, vor dem Hause zu warten, und ging mit Joseba nach
dem Raum, wo Johannes in seiner Liebe wirkte.
Joseba: „Jasis, hier ist ein Herr gekommen und möchte Johannes sprechen, nimm
dich seiner an, ich habe zu tun."
Jasis verneigte sich vor dem Römer, dieser aber hatte Johannes schon gesehen und
ging auf ihn zu. Johannes sah ihn und drückte ihn an sein Herz. „Mein Bruder,
dass ich dich nur wiedersehen darf", sprach er und drückte ihn nochmals an seine
Brust. „Johannes, mein Bruder", sprach der Römer, „ich hörte von einem, der da
im Namen Jesu Kranke heile, und da zog es mich mächtig zu dir, ich wähnte dich
noch in Jerusalem."
„Jerusalem ist nicht mehr, mein Julius; der Herr gab mir es vor Tagen kund,
buchstäblich sind des Meisters Worte in Erfüllung gegangen. Aber du bleibst
einige Tage hier, ich bitte dich darum,"
- Sagte der Römer: „Johannes, wenn du mich bittest, dann bleibe ich; denn hinter
deiner Bitte wartet der Meister mit einer besonderen Gnade, aber nun lass mich
erst für meine Leute sorgen."
Mit Jasis ging er wieder hinaus und ordnete an, dass seine Leute in der Herberge
alles unterbringen und dann wiederkommen sollten.
Julius besprach noch Verschiedenes mit Jasis, weil ihm die grosse Armut im Hause
auffiel, und sagte dann zu einem seiner Männer: „Besorge noch genug Lebensmittel
für uns und sorge dafür, dass auch alle Besucher in diesem Hause, solange Bruder
Johannes hier weilt, Speise und Trank erhalten!"
Johannes hatte nun Ruhe, mit Julius zu sprechen. Die Anderen aber waren recht
unfrei, weil sie sich an der Person des Römers stiessen.
Da fragte sie Julius: „Warum seid ihr unfrei und betrachtet mich als einen
Fremden? Bin ich nicht euer Bruder durch Jesu Liebe?"
Sagte Johannes: „Bruder, es ist etwas anderes der Grund, dass sie unfrei sind:
ein falscher Geist hat in ihrem Herzen Raum gewonnen. Seit gestern darf ich nun
dem Unheil steuern, und erst wenn alle Not und Sorge gebannt ist, wird die
Herrlichkeit unseres Meisters und Vaters allmählich in die rechte Erscheinung
treten. Aber erzähle, wie es dir ergangen ist; bis zum Abend gehöre ich dir."
Der Abend brachte ein volles Haus; alle kamen voller Freuden, und so mussten
viele in den Hof gehen, aber auch dort konnten sie Johannes hören. Unter den
Angekommenen war auch Coeranus; er war bedrückt, weil er nichts mit Idaea
anzufangen wusste, wagte aber nicht, etwas zu sagen, da ihm andere alles
mitteilten, wie es mit Idaea gekommen war. Er fühlte sich schuldig.
Johannes überblickte alle Besucher, dann ergriff er das Wort und sagte:
„Brüder, Schwestern und Kindlein, euer Kommen ist meinem Herzen rechte Freude,
denn in euch sehe ich das Sehnen, wieder in den rechten Verband mit dem
Liebemeister zu kommen. Ihr tut recht daran, denn euer Verlangen ist auch des
Herrn Verlangen, und Er will doch, dass alle Ihn so recht erfassen möchten,
damit Er alle mit Seiner Liebe beglücken kann. Gestern und auch heute tat Er,
was Seinem Herzen Bedürfnis war aus eurer Not heraus, aber in Seiner Liebe will
Er euch ganz anders dienen und will euch beglücken aus dem Geiste Seiner
erlösenden Heilandsliebe.
Brüder, verstehet meine Worte so, wie ich sie euch sage, und denket nicht, dass
ich euch wieder in demselben Geist gewinnen will, den euch Bruder Paulus
brachte. In meinen Worten liegt noch etwas anderes, da mir Jesus, mein Heiland,
auch für ewig ganz mein Vater geworden ist, und so sage ich euch wie ein Bruder,
dass es bei euch um mehr, als den Glauben, geht. Es geht um den Heiland Jesus,
der in euch bleibend für immer unter euch wirken will. Ihr sollet nicht mehr
verwaist sein, sondern Er will wie ein Gottessohn und Bruder euch immerdar
Licht, Liebe und Leben offenbaren. Wie wir als Seine Zeugen und Brüder Seine
übergrosse Herrlichkeit erlebt haben, sollt auch ihr Seine Herrlichkeit erleben
und erfahren, wie Gott die Seinen liebt und beglückt. Wohl ist da der Glaube
nötig, aber was nützt Glaube ohne Vertrauen und Liebe? Wie diese beiden bei dem
Herrn die Eckpfeiler waren, so sollen sie es auch bei Seinen Kindern sein; dazu
gehört noch die Demut, aus der alle Kräfte wachsen, und alle Kräfte sollen im
rechten Geiste angewendet werden.
Es tat dem Herrn weh, wie ihr mehr und mehr euch verloret. An euren Kranken habt
ihr erlebt, wie sehr euch der Heiland fehlte, und heute reicht Er euch durch
mich aufs neue Seine Liebe wieder. Ich aber sage euch weiter, dass dem Herrn
nicht allein daran liegt, dass ihr wieder zu Ihm aufschauet als Gläubige und
Bekehrte, sondern dass ihr neu erstehet in Seinem Geist und wahrhaft Seine
Kinder werdet. Bedenket als Seine und eures lieben Vaters Kinder, was da für
euch und auch für Ihn für Seligkeiten entstehen. Unser ewiger Gott will nun ganz
Vater sein und Seinen Kindern alles offenbaren, bis in euch ein Himmel geworden
ist, der allen geschaffenen Himmeln nicht nachsteht.
Meine Brüder und Schwestern, noch ist euch unbekannt, welch übergrosses Geschenk
die ewige Liebe in Jesus allen Menschen übereignet hat. Es stehet zwar schon
geschrieben: ,Gott schuf den Menschen Ihn zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er
ihn'; wenn ihr euch aber betrachtet, was der Mensch aus sich gemacht hat,
überkommt euch dann nicht Wehmut darüber? Und welch eine Freude bedeutet es nun:
Jesus, der Sohn Gottes, ist Mensch geworden und bringt uns das Verlorene wieder
und noch Übergrosses hinzu! Er bringt uns die Kindschaft und macht uns zu Erben
Seines Reiches und Seiner Herrlichkeit, einer Herrlichkeit, für die Seine
geschaffenen Engel keine Worte haben, geschweige wir Menschen.
Das alles kann der Vater nun Seinen Kindern offenbaren, aber nicht äusserlich in
der Welt, sondern innerlich in der Welt, die sich ein Gotteskind aufbauen kann
nach den Begriffen der Liebe und der Erkenntnis aus Gott, unserem, ewigen Vater.
Nun muss ich aber schweigen, denn noch könnet ihr die Überfülle nicht ertragen;
wenn aber Sein Geist der Liebe und des Lebens euch überkommen wird, dann, dann
ist die Stunde da, wo Himmel und Erde in euch eins werden, und alles in und um
euch wird Liebe atmen, und das Leben hat den Sieg über alles, was Tod und
Gericht heisst, davongetragen."
Schweigend und innerlich vor Glück erschauernd sahen sie alle auf Johannes, der
ihnen solch herrliche Verheissungen gab. Aber Coeranus sprach laut:
„Für solche Schwärmereien ist in unserer Gemeinde kein Platz, und alle deine
Worte betrachte ich als nicht gesprochen. Was soll das alles bedeuten, willst du
unsere Ruhe stören? Idaea ist nicht mehr die alte, nur du hast ihren Sinn
verwirrt."
Da stand Julius auf und sprach:
„Mein Bruder Johannes, erlaube mir, dass ich dem Störenfried die rechte Antwort
gebe!"
Johannes nickte nur, darauf wandte sich Julius zu dem Störenfried: „Wohl bin ich
euch fremd dem Namen nach, und doch fühle ich mich mit euch eins, bis auf dich,
der du dir erlaubst, unseren Bruder, unseren über alles geliebten Diener der
Liebe zu schmähen. Du sagst, für solche Schwärmereien sei in eurer Gemeinde kein
Platz. Ich aber sage dir: Für dich ist kein Platz mehr in dieser Gemeinde. Hast
du nicht vernommen, wie der Bruder sagte: In Jesus wird euch wieder die Liebe
des Vaters angeboten, und als Gotteskinder und Erben Seines Reiches sollet ihr
euch betrachten, sage: Was kannst du Besseres bringen als das Leben aus der
Liebe und die Liebe aus dem Leben? Du beschuldigst unseren Bruder, er habe Idaea
— wer ist Idaea? — aus der Ordnung gebracht. Merke dir, du toter und finsterer
Mensch: Wer in der rechten Ordnung ist, kann in keine Unordnung mehr gebracht
werden, und für Idaea trägst nun du die Verantwortung, weil du sie zu der
gemacht hast, die sie jetzt ist."
Coeranus wollte auffahren und schrie Julius an, er solle schweigen, da fuhr
Julius fort:
„Mann, bedenke, noch bin ich dir Freund und will, dass du dich bekehrst; zeigst
du mir aber deine Feindschaft, dann habe ich Mittel genug, dich zu zähmen. Ich
habe Vollmacht, alle jene, die das Werk des Gottessohnes stören, in ihrem Tun zu
hindern, und dass ich das tun werde, bekenne ich hiermit vor der Gemeinde. Was
weisst du Finsterling von der Heilandsliebe?
Heute, wo die Heilandsliebe offenbar geworden ist, willst du alles als unwahr
und Schwärmerei hinstellen! Geh, sage ich dir, und suche deine Idaea zu
schützen, denn in meinem Geiste sehe ich, wie sich finstere Wolken über ihr Sein
zusammenziehen! Bedenke aber auch du, dass es einzig Jesus möglich ist, sie und
dich zu retten!"
Da horchte die Gemeinde auf, und Johannes sagte:
„Brüder, es ist so, wie unser Bruder Julius sagte; geht alle in die rechte
Fürbitte für die beiden, und du, Coeranus, gehe und versuche Idaea zu retten,
sonst ist sie morgen um diese Zeit nicht mehr unter den Lebenden."
Alle erschraken über diese Worte, aber Johannes sagte:
„Fürchtet euch nicht; wollet ihr nicht die Herrlichkeit Gottes sehen, weil uns
dieses offenbart wurde? Idaea wird ein Opfer des Lebensfeindes, wenn nicht dem
Heiland Raum gegeben wird, dass Er sich als der Retter und Heiland erweisen
kann."
„Ihr seid alle zu Narren geworden", schrie Coeranus, dann eilt er schnell aus
dem Hause.
Julius entschuldigte sich vor der Gemeinde und sprach:
„Meine Freunde und Brüder, das Unglück nimmt seinen Lauf; ihr aber sollt euch
freisprechen von all dem, was kommen wird. Noch kann alles aufgehalten werden,
aber wehe, wenn sich beide nicht helfen lassen wollen! Ich meine, wenn ihr in
der Liebe zu eurem Bruder beiden Kräfte zukommen lasset, so habt ihr der Liebe
Raum gegeben. Wir aber wollen uns nicht stören lassen, die Zeit ist
vorgeschritten, und wir wollen doch noch im Geiste Jesu etwas zusammenbleiben.
Darum habe ich vorgesorgt, dass wir ein kleines Abendmahl halten, das ich durch
meine Leute habe besorgen lassen. Es ist doch recht, lieber Hausvater und liebe
Hausmutter, Jesu zuliebe?"
Wie froh waren die armen Menschen, ein Mahl im Geiste Jesu zu halten, das die
Liebe bescherte, und Julius rief seine Leute, die Brot, Früchte und einen guten
Wein brachten, und rasch war mit dem vorhandenen Geschirr das Mahl bereitet.
Johannes segnete beides, das Mahl und die Menschen, und dann fingen sie alle an
zu essen. Johannes erzählte einiges aus dem Erdenleben des Meisters, und so
verging eine Stunde nach der anderen, und es war, als wenn ein Hauch vom Himmel
durch alle Herzen zöge.
Julius aber konnte nicht schweigen; auch er erzählte von seinen Erlebnissen, wie
ihm immer der Heiland entgegengekommen sei. Da kam ein heller Glanz über sie,
und an der Türe erschauten alle den Heiland. Segnend hielt Er die Hände über sie
und ging durch die Menge bis hin zu Johannes, Johannes war wie verklärt, dann
sprach er:
„Der Meister spricht: Kindlein, endlich ist die Stunde gekommen, wo Ich euch
Meine Liebe offenbaren kann. Endlich ist die Schranke gefallen, die Mich noch
von euch trennte. Lasst nie mehr unter euch das Band zerreissen, das uns alle
eint. Nicht als der Allmächtige komme Ich zu euch, sondern als euer Vater,
Bruder und Freund und segne euch aus Meiner Liebe und aus dem Verlangen, euch
Mein Leben zu schenken nach dem Masse eurer Liebe und eures Sehnens.
Du, mein Julius, hast aus Meiner Liebe Mir grosse Liebe offenbart, und nun will
Ich das Meine dazu noch tun. Esset noch einmal von dem übrig gebliebenen Brot
und trinket von dem Wein; alles soll euch Meine grosse Liebe offenbaren, und
sooft ihr zusammenkommt, gedenket dieser Stunde! Seid gesegnet aus Meiner Liebe
und Meiner Erbarmung, auf dass dieser Segen an euch und unter euch offenbar
werde! Amen."
Der Herr verschwand nun ihren Blicken, aber Johannes fuhr fort: „Noch ist der
Herr unter uns und wird auch bleibend durch unsere Herzen sich weiter
offenbaren, aber nun geniesset weiter, was der Herr uns besonders gesegnet hat!"
Da wunderten sie sich über den guten Geschmack des Brotes und vor allem des
Weines, und beides wurde nicht aufgezehrt.
Da sagte Joseba: „Bruder Johannes, was übrig bleibt, werde ich den Kranken und
Idaea geben, es ist dir doch recht?"
Sagte Johannes: „Schwester, du hast damit den Willen des Herrn zum Ausdruck
gebracht, ja so soll es sein und auch bleiben. Was der Herr segnet, soll allen
gelten, und in dieser Gnade wollen wir dem Herrn würdige Diener Seiner Liebe und
Seines Segens werden."
Die Nacht blieben nur wenige im Hause des Jasis, auch Julius ging in die
Herberge, die seine Leute ausgemacht hatten.
Schon sehr frühe — alle gaben sich noch der Ruhe hin ausser Joseba, die ein
Frühmahl bereitete —kamen wieder einige Frauen mit kranken Kindern. Eine Frau
hatte einen bösen Aussatz, der üblen Geruch verbreitete. Diese wollte des üblen
Geruches wegen nicht mit in das Haus gehen und blieb deswegen im Hofe. Im Hofe
aber waren schon Leute des Julius gekommen und fragten nun die Frau, warum sie
nicht mit in das Haus gegangen sei, denn sie könnten sie nicht heilen.
Die Frau zeigte auf ihren bösen Aussatz, da wichen die Männer zurück, denn so
etwas hatten sie noch nie gesehen. Die Frau umwickelte wieder ihren Arm und
setzte sich auf den Boden. Julius erschien und ging zu seinen Leuten; diese
zeigten auf die Frau und fragten, ob der Jünger auch diesen Aussatz heilen
könne. „Gewiss", sagte Julius, „noch Schlimmeres kann er heilen, da ja die Kraft
des wahren Gottes alles durchdringt und alles erhält." „Kann denn der Jünger
auch Tiere heilen?" fragte ein Mann. „Mein Pferd lahmt gewaltig und müsste dann
hergeführt werden."
„Ich denke ja, mein Freund", antwortete Julius, „bringe es nur hierher, und wir
werden sehen."
Da ging der Mann und holte sein Pferd, die anderen aber unterhielten sich und
sagten: „Ein Pferd hat aber doch keinen Glauben, denn bei Julius heisst es ja
immer, erst glauben, dann wirst du das Herrliche erleben; unser Julius ist wohl
ein gerechter Führer, aber wenn es um seinen Jesus geht, vergisst er manches."
Julius aber wurde von Johannes unterrichtet, was für eine Unterhaltung sich im
Hofe um ihn drehe, und sagte darum zu ihm:
„Weisst du, Julius, jetzt musst du deinen Männern zeigen, dass dir Jesus
wirklich alles ist; du wirst in dir die Kraft fühlen und das Pferd durch die
Gnade Jesu heilen."
„Aber Johannes, das geht doch nicht; wenn nun einmal ein Mann krank ist, dann
muss ich doch auch imstande sein, diesen zu heilen."
Johannes: „Das kannst du doch auch; was du deinen Männern sagst, sage ich jetzt
dir: erst glauben und dann erleben."
Der Mann brachte das Pferd, es lahmte wirklich sehr; da sagte Julius zu dem
Manne: „Du hättest mir früher Meldung machen müssen, da wäre das Pferd längst
gesund."
Da riss der Mann den Mund auf, als müsste er sich erst etwas besinnen, dann
sagte er: „Es ist ja der Jünger nicht bei uns gewesen, wie hätte es da geheilt
werden können, und ausserdem kann ein Pferd doch nicht glauben!"
Julius lächelte, ging zu dem Pferd, hob die Hufe hoch und strich den lahmen
Schenkel bis zum Hufe unter Beten, und das Pferd war in Ordnung. Julius merkte
die Kraft, die von ihm ausging, und sagte: „Dein Pferd ist wieder in Ordnung,
aber nimm dich recht in acht, damit du nicht mehr Unglück hast, denn auch ein
Tier ist Gefahren ausgesetzt."
Da rissen die anderen Augen und Mund auf, und einer sagte: „Julius, wenn du das
Pferd heilen konntest, so musst du auch die Frau heilen können, es ist ja zum
Erbarmen, wenn man den Arm ansieht."
Julius: „Zu mir ist ja die Frau nicht gekommen, sondern zu dem Jünger Johannes.
Ein Pferd zu heilen, ist einfacher, denn da muss der Heiler doppelten Glauben
aufbringen, aber ein kranker Mensch muss selbst glauben und wird dann die
Herrlichkeit Gottes erleben."
Die Frau hörte das Gespräch mit an, schnell trat sie zu Julius und sagte:
„Herr, ich habe gesehen, wie du dem Pferd Hilfe gebracht hast durch doppelten
Glauben; bitte, versuche auch an mir die Kraft, ich glaube, dass es dir möglich
sein wird. Wer einem Tier Heilung bringen kann, ist auch fähig, einen Menschen
zu heilen."
Julius zögerte, seine Männer sahen ihn an; dann sagte er zu dem Weibe: „Zeige
mir deinen Arm, und so du glaubest, dass nicht ich, sondern der Heiland Jesus
dich heilen kann, wirst du glücklich werden."
Da nahm das Weib das Tuch ab; Julius musste die Augen einen Augenblick
schliessen, dann legte er seine beiden Hände auf den kranken Arm und strich
lange unter leisem Gebet über die brandigen Wunden. Nun merkte er, wie eine
Kraft von ihm ausging, da sagte er:
„Habe innigen Dank, Du bester und liebster Heiland, für diese Deine Gnade und
Deinen Beistand. Du aber, Weib, sei fortan gesund und suche ganz mit dem
Heilande Jesus in innige Verbindung zu kommen, denn Er ist das Heil und die
Rettung unseres Leibes und unserer Seele."
Da weinte das Weib aus Freude und Dankbarkeit und sagte:
„Freund, wie kann ich als eine Sünderin in innige Verbindung mit dem Heilande
Jesus kommen, da ich ja vor dem strafenden Gott nicht bestehen kann?"
„O du armes Weib, wer hat dich denn so verblendet; komme ins Haus, dort wirst du
auch an deiner Seele geheilt werden."
Julius nahm die Weinende bei der geheilten Hand, zog sie ins Haus zu Johannes
und sagte:
„Bruder, hier ist eine kranke Seele, ebne ihr den Weg zum Heiland, ich fühle,
hier ist viel gesündigt worden an den Menschen und an Jesus, unserem Vater."
Johannes umarmte Julius und sagte:
„Bruder, das ist das richtige Verstehen; du hast recht, an Menschen und an dem
Herrn ist viel gesündigt worden. Darum soll Seine Liebe, die alles trägt und
verzeiht, herrlich offenbar werden. Ich danke dir, Bruder, für deine Liebe und
das Verstehen, und nun lasse dich segnen, damit Sein Geist und Seine Kraft dir
erhalten bleibe!"
Julius kniete nieder und empfing den Brudersegen aus Gottes Kraft und Gnade,
dann sagte er:
„Bruder, mir ist so wohl; ich könnte die ganze Welt umarmen, aber nun muss ich
sehen, wie ich dir helfend unter die Arme greifen kann, damit auch dir
Erleichterung wird. Ich werde dir einen Wagen besorgen, damit du nicht mehr so
viel zu Fuss gehen musst; denn diese Irrtümer an allen Enden und Ecken müssen
baldigst aufgeklärt werden. Schon zuviel des übergrossen Unglücks ist über die
Gemeinden hereingebrochen."
Die anderen Frauen hatten schon die Gnade erfahren, ihre Kinder geheilt zu
sehen, da sagte Johannes:
„Julius, heute und morgen wird es den ganzen Tag so weiter gehen, besorge du
deinen Dienst, denn wir werden wenig sprechen können, aber übermorgen werde ich
deine Liebe in Anspruch nehmen; mein Ziel ist Sardes."
An diesem Tage war ein Kommen und Gehen im Hause des Jasis, und jedem wurde
geholfen, der als Bittender kam, und Jasis konnte manches erleben. Er wich aber
auch nicht von der Seite des Johannes, denn diese Liebe legte in ihm einen
Grund, der ihn zu einem Felsen machte, und manchen, der in sein Haus kam,
bereitete er vor, damit Johannes ein leichteres Wirken hatte. Auch viele Heiden
kamen und erlebten Wunder über Wunder. Coeranus jedoch war nicht zurückgekehrt.
Der folgende Tag liess sich ruhiger an; nur Boten anderer Gemeinden trafen ein
und baten, Johannes möchte kommen, was auch versprochen wurde, wenn der
Zeitpunkt gekommen sei. Unter sachlichen Belehrungen der Fragenden schien alles
in Ruhe und Ordnung sich weiter zu gestalten.
Da kam ein Bruder in grosser Eile und Aufregung und erzählte, dass Idaea das
Opfer eines Unglücks geworden sei.
Im Hause des Coeranus, wo auch Idaea weilte, ging es sehr lebhaft zu. Idaea war
nicht zu beruhigen, einige meinten, dass nur Johannes, der Jünger, die Kraft
habe, sie wieder in Ordnung zu bringen, aber Coeranus war dagegen und
verhinderte es geradezu.
Das war gestern gewesen; heute schien sich der Zustand Idaeas zu verschlimmern,
und wieder sagten einige: Bringet sie zu Johannes, dort wird Heilung für sie
werden; viele haben gestern dort Heilung gefunden. Coeranus wehrte sich mit
allen Kräften und Mitteln, da kam es zum Bruch. Die da wollten, dass Idaea zu
Johannes gebracht werden solle, warfen nun Coeranus vor, er liesse nun erkennen,
dass er nichts von dem Heiland Jesus halte und seine Gotteslehre nun auch
hinfällig geworden sei.
Da gab es grosse Auseinandersetzungen, und tatsächlich verliess die Hälfte das
Haus des Coeranus. Dieser aber grollte, machte die Verwirrung noch grösser und
schrie, die anderen sollen doch auch gehen. Da wurde Idaea wild, und ehe es
jemand verhindern konnte, war sie aus dem Hause geeilt und lief die Heerstrasse
entlang in grosser Eile. Einige eilten ihr nach, konnten sie aber nicht
einholen. Da kam ein schweres Römergespann dahergerast, und ehe es verhindert
werden konnte, lief Idaea in die Pferde und der Wagen fuhr über sie hinweg.
Wir sahen, berichtete der Bote, wie die Pferde erschrocken in die Höhe gingen,
und der Fahrer hatte Mühe, sie zum Halten zu bringen, bis wir kamen und ihm die
Pferde mit hielten.
Idaea blutete am Kopf, den Schultern und den Armen, wir aber waren nicht in der
Lage, ihr etwas Hilfe zu bringen. Der Römer lud sie mit Anderer und unserer
Hilfe auf. Wir wollten sie zu dir bringen, da aber sagte der Römer: Es ist alles
vorbei, dieses Weib hat ausgelitten. Da schafften wir sie zu Coeranus, und
dieser riss sich die Kleider vom Leibe und die Haare vom Kopf, und es schien,
als wenn er einen Tobsuchtsanfall bekäme. Da trat der Römer Julius in das Haus,
legte ihm die Hände auf das Haupt, und es wurde sogleich besser.
Julius liess sich nun den Vorgang in aller Ruhe berichten, denn was er erfuhr,
waren nur Brocken; er verhörte uns in aller Ruhe und sagte dann zu Coeranus:
,Nun ist eingetroffen, was dir gesagt worden ist; siehe zu, wie du mit dir und
mit Jesus Christus ins Reine kommst. Dieses Unglück hast du verschuldet. Ich als
Vertreter des weltlichen Gesetzes spreche dich frei, aber nach göttlichen
Gesetzen bist du schuldig.'
Julius bat uns, dich, Johannes, zu grüssen: er stehe dir morgen zu Diensten.
Alle waren erschüttert, als sie die Erzählung hörten. Johannes aber machte
keinen Vorwurf, sondern sagte:
„Brüder, eure Aufgabe ist es, Coeranus nicht aufzugeben, sondern ihn in aller
Liebe zu tragen. In einigen Wochen komme ich wieder zu euch; bis dahin werden
euch Jasis und Joseba dienen. Idaea aber ist das Opfer finsterer Wesen geworden;
darum segnet und liebet, wo ihr nur könnt, aber aus dem Geiste unseres Heilandes
Jesu! Wenn ihr euch vor Herzeleid bewahren wollt, dann nur in und durch die
Liebe Jesu! Wollet ihr aber von allem eurem Irrtum ganz frei sein, dann wird das
nur möglich sein, wenn ihr in Jesus lebet und Er in euch. Mit Wunderwerken aus
Seiner Kraft und Herrlichkeit seid ihr noch nicht Seine Kinder und Erben Seiner
Himmel, sondern erst, wenn ihr ganz in Seinem Sinne lebt und im Geiste Seiner
erlösenden Liebe handelt, wie Er gehandelt hat. Idaea wird lange umherirren;
denn die Geister, die ihre Diener waren, verlangen, dass sie nun ihnen dient,
und schwer ist es, im Geisterreich sich von den Banden zu lösen, die man im
Erdenleben um sich band. Denn ohne den Beistand des Erlösers ist es glatt
unmöglich, sich wiederum auf eine höhere Lebensstufe zu schwingen, da dort
überall die Mittel fehlen. Betet für eure Schwester, damit ihr die Kraft dazu
geschenkt werde, und segnet sie, weil sie auch euch diente."
Da gingen nun auch den anderen die Augen auf, und sie grollten Coeranus.
Johannes aber verwies es ihnen und gab ihnen den Rat, diesen ja nicht zu
verlassen, sondern ihm die Augen zu öffnen, aber in und mit Liebe. —
Schon in aller Frühe hielten zwei Wagen vor dem Hause des Jasis, und noch einmal
segnete Johannes alle, dann bestieg er den Wagen des Julius, der nicht
abgestiegen war. Er wollte sich nicht aus seiner Ruhe und seinem Herzensfrieden
bringen lassen und mit Johannes Tage der Ruhe und der Freude verleben. Der Tod
Idaeas lagerte noch wie eine Wolke auf seiner Seele.
In diesen Tagen erhielt nun auch Julius die rechte Weihe, und der Johannes
begleitende Engel hatte das Seine dazu getan, dass Julius nun auch ganz von dem
Drucke seiner Seele frei wurde.
Johannes in Sardes
In Sardes hatte keiner der Gläubigen eine Ahnung von dem Kommen des Jüngers. Mit
Freuden wurde er willkommen geheissen; aber bald merkte Johannes, welche Lauheit
auch dort in der Gemeinde und in den Herzen sich breitgemacht hatte. Wohl gab es
noch einige Heiler, aber das Heilen dauerte immer lange, ehe ein Kranker gesund
wurde.
Bei einem Freunde des Julius, einem römischen Kaufmann, nahm Julius Quartier,
und Johannes musste wohl oder übel mit bei dem Römer bleiben. Julius sagte:
„Endlich kann auch ich mein Wort einlösen und dir, lieber Freund und Bruder
Constantius, einen Zeugen meines Heilandes Jesu bringen. Es ist Johannes, meines
Heilands innigster Freund und Bruder."
Constantius: „Julius, ich habe rechte Freude über deine Liebe, aber ich werde
sie dir schlecht lohnen können, denn schon lange leidet Lydia, und der Versuch,
sie von einem hiesigen Priester der Christen heilen zu lassen, hat noch zu
keinem Erfolg geführt."
Sprach Julius zu Johannes: „Bruder, was sagst du zu diesem Misserfolg? Ich
müsste froh sein, dass mein Freund diesen Weg betreten hat, und nun war es
nutzlos."
„Nicht nutzlos, lieber Julius, es ist das die Folge davon, dass so viele in
ihrem Eifer um den Herrn und Heiland recht nachgelassen haben", erwiderte
Johannes, „denn siehe, wie kann der Meister Helfer sein, wenn sich Seine Diener
der Trägheit hingeben? Alles, was da in der rechten Liebe und im vollen Glauben
geschieht, führt zum Erfolg."
Constantius: „Julius, ich verstehe deinen Freund und Bruder nicht, denn dieser
Priester hat sich die grösste Mühe gegeben; an dem nötigen Eifer kann es also
nicht gefehlt haben."
Sprach Johannes: „Lieber Freund, es freut mich, dass du keinen Schatten auf den
Diener des Herrn fallen lässt, aber nun frage ich dich ernstlich: Kannst du
glauben, dass Jesus der Heiland, wenn Er auch auf Golgatha gestorben und jetzt
im Reiche Gottes volles Leben geworden ist, auch heute noch helfen kann?"
„Ich muss es wohl glauben, denn Julius könnte ich keiner Lüge zeihen", spricht
Constantius, „darum will ich den Priester holen lassen, oder darf ich mich an
deine Liebe wenden?"
Johannes: „Du darfst es, lieber Freund, und darum, weil du es glaubst, so sage
ich dir: dein Weib ist gesund; in wenigen Minuten wird sie dir das grosse Wunder
schildern."
Constantius schaute auf Johannes und auf Julius, dann sagte er: „Nun soll
niemand mehr sagen können: Constantius hängt noch an seinen alten, toten
Göttern, und niemand in meinem Hause soll jemals über den Judengott noch
lächeln." Nach einigen Minuten betrat Lydia das Zimmer, in dem die drei Männer
sich befanden; sie wollte ihrem Manne etwas sagen, da erblickte sie Johannes und
sprach:
„Träume ich oder narrt mich ein Gesicht? Hast du nicht vor wenigen Minuten an
meinem Lager gestanden und zu mir gesagt: ,Kind, stehe auf, denn dein Heiland
will, dass du gesund seiest und Ihm eine' rechte Tochter werdest?"
Sprach Constantius: „Lydia, du bist ja gesund, denn vor wenigen Minuten sagte
dieser Freund: dein Weib ist gesund; in wenigen Minuten wird sie dir das grosse
Wunder schildern. Dieser Freund," aber hat seit seiner Einkehr in unserem Hause
noch keinen Augenblick dieses Zimmer verlassen."
Lydia reichte Johannes die Hand und sprach: „Und doch wärest du es, der mir
meine Gesundheit wiedergab; es sind dieselben treuen Augen, die mich anschauten,
und dieselben Lippen, die da die beseligenden Worte sagten, und so bitte ich
dich: sprich ein Wort, damit ich auch den Ton deiner Stimme vernehme!"
Da sagte Johannes: „Meine Tochter, nicht ich war es, sondern der Heiland Jesus.
Er bediente sich meiner Liebe, und so erlebtest du das Wunder Seiner Liebe."
Lydia sprach, indem sie immer noch Johannes bei den Händen hielt:
„Ja, es ist auch dieselbe Stimme, und ich glaube deinen Worten genau so, wie ich
deinen Worten glaubte, als du an meinem Lager standest. Nur erklären möchtest du
mir dieses Wunder; denn ein Wunder ist und bleibt es doch. Sei uns herzlich
willkommen und auch du, lieber Julius. Wie soll ich denn je einmal die Schuld
abtragen, die ich dir gegenüber habe?"
„O Lydia, nur als Schuldnerin willst du dich ansehen? Was uns Jesus, der
lebendige Heiland, in Seiner Liebe gibt, dürfen wir nicht als etwas ansehen, was
uns zum Schuldner macht, oder siehest du die Liebe deiner Kinder auch als etwas
an, was nach Schuldentilgung verlangt? Nimmermehr, denn Liebe aus der Liebe Jesu
erzeugt wiederum Liebe, und was wir erlebten, war, ist und bleibt Liebe."
Lydia: „Julius, immer habe ich dich als einen kleinen Liebesschwärmer im
geheimen angesehen, aber heute ist mir der Beweis geworden durch dich, du lieber
Gottesbote, denn nichts anderes bist du."
So erwachte im Hause des reichen Römers ein ganz neues Leben. Erst wurde der
Priester zu der lebendigen Quelle geführt, und nun war es für Johannes leicht,
alle Gemeinden in und um Sardes immer lebendiger zu machen durch die lebendige
Gnade des Herrn, die immer mehr und mehr offenbar wurde.
Julius war weiter gezogen, aber er sorgte immer noch für Johannes. Dieser hatte
nun einen Wagen und einen Knecht, der nur für das Gespann zu sorgen hatte. Der
alte Knecht verehrte seinen neuen Herrn wie einen Boten aus den Himmeln.
Johannes in Philadelphia
So waren nun die Gemeinden wieder in die alte Ordnung gebracht, und Johannes
fuhr nach Philadelphia. Schon auf dem Wege dahin konnte er viel wirken, denn
sein Ruf eilte ihm voraus. In den Herbergen und in den kleinen Gemeinden wurde
überall das Evangelium des Heilandes Jesus wieder in alter Kraft lebendig, und
die Römer schienen alle Johannes zu kennen. Das war das Werk des Julius und des
Constantius. In Philadelphia wurde er gleich einem Bischof empfangen, und
übervoll waren die Schulen, wie auch die Synagogen. Die Heidenchristen überwogen
bei weitem an Zahl die Judenchristen, aber überall herrschte die gleiche
Sehnsucht nach der rechten Weihe und nach neuen Verheissungen.
Johannes in
Laodicea - Die Heilung der Aussätzigen
Viele Monate blieb Johannes in Philadelphia; dann machte er noch eine Fahrt nach
Laodicea und regte mit seiner alles belebenden Liebe die dortigen Gemeinden zu
einer neuen Tätigkeit an. Auch hier war eine Lauheit eingezogen, und darum wurde
fast niemand mehr durch die Brüder geheilt. Johannes, der allen Ernstes gewillt
war, alle Lauheit anzuprangern, hatte sich im Anfang viele Gegner bei den
Judenchristen geschaffen. Die Heidenchristen aber bewiesen grossen Eifer, und
dieser wurde herrlich belohnt.
Mehrere Aussätzige lebten dort in einem kleinen Erdenwinkel, und die bekehrten
Heiden hatten es sich zur Pflicht gemacht, den Armen das Betteln zu ersparen.
Vor allem tat sich ein ehrwürdiger Greis mit einer rührenden Liebe hervor und
wurde dafür aus Angst, dass er jemanden anstecken könnte, gemieden. Er selbst
schien unempfänglich für die furchtbare Krankheit zu sein; denn wenn er Brot und
Früchte zu den Aussätzigen brachte, hielt er sich immer einige Stunden bei ihnen
auf und zeugte gern von dem Heiland und Erlöser, der alle Sünden mit Seinem
Blute abgewaschen und getilgt habe, und betete sehr viel mit ihnen. Seine Gebete
waren rührend, und doch wurde keines erhört.
Nun hörte auch Johannes von diesem alten Bruder. Kurz entschlossen suchte er ihn
auf. Es war vielen nicht recht, dass er diesem Sonderling, wie man ihn nannte,
einen Besuch abstattete; aber Johannes kehrte sich nicht daran, in ihm war ein
heiliges Drängen. Lange unterhielt er sich mit dem Alten und fragte ihn, warum
er nicht wage, seinen Pfleglingen die Hände aufzulegen.
„Darf ich denn das?" fragte dieser. „Ist es mir nicht genug Geschenk, dass ich
weiss, der Heiland ist auch mein Erlöser? Darf ich noch mehr? Denn was ich
erhoffe, möchte doch erbeten sein."
Johannes umarmte diesen alten Bruder und sprach zu ihm: „Du hast recht, mein
Bruder, aber Beten und Beten ist nicht eins. Es ist ein gewaltiger Unterschied,
ob du dich zu einem Bettler oder zu einem Diener machst. Hast du noch nötig,
Gott um eine grössere Liebe anzugehen? Wird dir nicht tagtäglich Gottesliebe
mehr und mehr offenbar, und du schweigst alle inneren Mahnungen und Anregungen
tot? O mein Bruder, gross ist deine Liebe, aber tausendmal grösser ist Gottes
Liebe. Sie ist so gross, dass sie nur von einem liebenden Kindlein geahnt werden
kann. Wohl glaubst du an die erlösende Liebe, die Gott durch Jesus Christus
offenbart hat, aber noch ist dir nicht zum Bewusstsein gekommen, dass du mit
diesem Glauben nicht nur ein Diener geworden, sondern in die Gemeinschaft der
Heiligen aufgenommen worden bist. Kann dir denn Gott einen grösseren Beweis
geben als den, den du täglich erlebst? Mitten unter den ärmsten Kranken
geschieht dir kein Unheil. Trotzdem meiden dich alle Brüder wie einen
unheilbaren Kranken, und du bist stark darin geworden. Ist deine Liebe nicht das
herrlichste Gebet, und kennst du nicht das Wort aus des Heilandes Munde, das Er
spricht: Alles, was ihr den Armen getan habt, das habt ihr Mir getan? Darum,
mein Bruder, fürchte nicht, dass du jemals Gott betrüben könntest; denn Er
braucht dich als einen Seiner Zeugen!"
„Mein Bruder", sprach darauf der alte Bruder und Tränen rannen ihm in den Bart,
„ich darf also tun, was ich längst wollte? Was liegt an mir! Gerne wollte ich
für die anderen krank sein, würden nur die anderen gesund, denn dann würde auch
ihr Glauben wachsen."
Johannes: „Bruder, deine Liebe ist ein Geschenk für den heiligen Gott und Vater,
und darum will ich dich segnen."
Johannes legte dem Alten die Hände auf das Haupt; auf den Knien empfing er die
Weihe, und Johannes sagte:
„Bruder, nimm hin den Segen, den Gottes und des Vaters Liebe in mir für dich
lebendig gemacht hat, und erstehe ganz in dem Geist reinster Heilandsliebe.
Alle, denen du deine Hände auflegen wirst, sollen Gesegnete sein, und alle
Krankheiten sollen weichen von der Kraft, die aus deinem Herzen durch deine
Hände fliesst. Alles aber, was du tust, tue im Namen des Herrn Jesus, und
täglich lasse in dir ein Danken und Bitten lebendig werden, dass du immer noch
mehr zunehmest an Liebe, Friede und Kraft! Lasse dich nicht mehr irre machen von
deinen eigenen Gedanken oder von deinen schwachen Brüdern! Dein Heiland soll
Freude erleben an deiner Liebe, und dein Danken soll wiederum Freude sein!
Amen."
Ganz verklärt war der Alte und rief: „Lasse dich umarmen, Bruder, was ich in mir
empfinde, ist unsagbar. Nun weiss ich auch, dass Gott mein ewiger und heiliger
Vater geworden ist und alle Menschen nun meine Brüder sind. O wie wohl und
leicht ist es mir auf einmal. Freuet euch, meine armen Brüder und Schwestern,
mein Gott und Vater soll auch der eure sein, und alle sollen die Liebe und die
Gnade erleben, wie ich sie nun erlebe!"
Johannes war beglückt von dieser Liebe, er wusste: keinen Unwürdigen hatte er
für das grosse Liebeswerk geweiht.
Schon anderntags war eine grosse Aufregung, denn der Alte, den man als einen
Sonderling betrachtete, brachte alle Kranken als Geheilte zu dem Priester, damit
sie freigesprochen würden und sich wieder unter den Menschen aufhalten konnten.
Der erste Gang galt nun dem Johannes, und eine grosse Menge Neugieriger schloss
sich ihnen an. Johannes ahnte ihr Kommen und erwartete sie freudigen Herzens.
„Bruder", sagte der Alte, „hier bringe ich dir die erste Frucht der gestern
erhaltenen Liebe und Gnade; ich bitte dich, segne du sie alle und lasse dich von
nun an Vater nennen!"
Johannes segnete sie alle und sagte:
„Kindlein, nehmet hin meinen Segen, den die Liebe des Vaters in mir für euch
reifen liess; erstehet ganz in dem Geiste eines Kindes, das nur eine Sehnsucht
kennt: den Vater über alles zu lieben und alle Menschen wie sich selber. Lasset
die Liebe unter euch wohnen, und wecket das Leben aus der Liebe für die Liebe.
Bleibet dieser Liebe getreu; dann wird euch auch der heilige Vater eure Treue
lohnen und euch mehr und mehr stärken für den Dienst der Liebe. Amen."
Gab das eine Aufregung unter den Judenchristen. Ein Priester machte Johannes den
Vorwurf der Einseitigkeit, er grollte, weil gerade der alte Sonderling, der
Schwärmer, zu dieser Kraft geweckt worden sei.
Johannes aber sagte: „Bruder, noch keiner brachte diese Liebe auf wie dieser
alte Bruder; aber was diesem geworden ist, kann ja jedem werden. Warum bemühet
ihr euch nicht, auch die Liebe zu erfassen? Wohl fürchtet ihr euch, zu sündigen,
aber eure Herzen haben sich dabei verhärtet; dabei ist eine derartige Trägheit
in und unter euch gewachsen, dass die ewige Liebe nur Trauer noch für euch
empfindet. Was habt ihr aus Jesus gemacht? Nur einen Diener eurer Sünden und ein
Gefäss eurer niedrigen Gesinnung. Dieser Jesus aber hat uns durch Seine Liebe
und durch Sein Leiden und Sterben nur den Weg und die Mittel gebracht, ein Kind
der grossen Gottesliebe zu werden. Die Mittel und der Weg heissen Demut und
liebevolle Hingabe. Ich mache euch keine Vorwürfe und verdamme euch auch nicht,
aber eines sage ich euch: Wer einem solchen gesegneten Kinde die Erfolge seines
Glaubens und der Liebe neidet, wird lange suchen müssen, ehe er wieder einen
Heiland findet, der ihm die Wege in das ewige Vaterhaus ebnet. Noch ist es Zeit,
und darum richte ich auch an euch den Ruf und die Bitte: Liebet euch
untereinander, damit sich über euch ein Himmel ausbreitet, in dem sich alle, die
darin weilen, als Gesegnete und als Kinder fühlen!"
Johannes erlebte nun in allen Gemeinden, die er besuchte, das wachsende Leben;
aber auch die Gegnerschaft gegen ihn wurde immer grösser.
Wieder waren es die Römer, die um ihn bangten und ihm rieten, vorsichtiger zu
werden. Johannes lächelte zu dem allem. Sein Ruf wurde immer grösser, aber auch
die Gefahren, die ihn bedrohten.
Johannes auf Patmos
Da fuhr Julius in einer Sonderaufgabe nach Rom. Viele Monate vergingen, ehe er
wieder zurückkam, und ohne grosse Vorbereitung wurde Johannes von den Römern auf
eine Insel gebracht, die er nicht verlassen durfte.
Auf Patmos lebte er nun sein Leben ganz im Dienste des Herrn und für die
Menschen. Sichtbar diente ihm der Engel des Herrn und offenbarte ihm die
Seligkeiten der Seligen und die Qualen der Unseligen. Ebenso offenbarte ihm der
Engel die Geschichte der Menschen, der Geister und aller Himmel, und nichts
davon war ihm mehr unbekannt. Himmel und Erde waren ihm in eins verwachsen, und
nur eine Seligkeit belebte ihn, die Liebe seines Jesus, seines Freundes, Bruders
und ewigen Vaters.
Als er nach Jahren die Insel verlassen durfte, musste man ihn dazu nötigen; denn
sein Leben hatte volle Erfüllung erfahren. In den kommenden Jahren liess er sich
fahren oder tragen, wenn es zu dienen gab. Er war allen ein Vater geworden und
nannte alle seine Menschenbrüder und -schwestern Kinder.
Seine Predigten waren kurz, und immer schlossen sie mit den Worten: „Kindlein,
liebet euch, liebet euch, weil ihr alle Kindlein eines Vaters im Himmel seid und
sich nur durch die Liebe die Herrlichkeit des ewigen Vaters wahrhaft offenbaren
kann."
Johannes
- Sein Heimgang
Um die hundert Jahre wurde sein Lebensalter, und sein Sterben war ein Aufleben
für die Himmel, die er so oft geschaut. Keinem kam dabei der Gedanke, dass der
Tod ihres geliebten Vaters Johannes ihnen Schmerzen gebracht habe, denn Johannes
lebte in allen seinen Zeitgenossen als ihr Vater, Freund und Bruder fort.
Die Römer schützten weiterhin das Erbe des treuen Zeugen, und an seinen
Offenbarungen lernen bis in die Jetztzeit noch immer die Menschen, weil sie nie
in das Leben der Liebe so eingehen konnten wie der Jünger, der dem Herrn am
nächsten stand, und der daher den Herrn und Meister am besten verstand.
So lebte er ein Leben als ein Jünger des Herrn, als ein Diener der ewigen Liebe
und als Priester des grossen Meisters der Liebe, der in alle Herzen Seine Liebe
als ewiges Leben verpflanzen möchte, damit alles Leben Seiner Kinder zu einem
einzigen und ewigen werde.