Heft 15. Der Kämmerer aus dem Morgenland
Inhaltsverzeichnis
01. I. Wie die Heilung
eines Blinden sich vollzog
02. II.
Jesu Gegenwart wird bezeugt durch Sein heilendes Wirken
03. III. Warum bleibt Jesus
uns unsichtbar?
04. IV. Des
Kämmerers Sehnsucht nach dem Wahren Gott
05. V. Themann erlebt
Jesus in der Geistigen Welt
06. VI. Vom Geheimnis
der Mensch-Werdung Gottes
07. VII. Themann als Werkzeug
des Herrn
08. VIII. Das Geschenk
Gottes an die Königin
I. Wie die Heilung
eines Blinden sich vollzog! (Wer die verschiedenen aufeinanderfolgenden
Seelenzustände in Philippus beachtet, kann etwas von dem geheimen Verlauf
solcher ungewöhnlichen Heilung verstehen lernen)
In und um Jerusalem war in den Reihen der Gläubigen grosses Wehklagen, denn die
Härte und Bosheit der Priester hatte den beliebten Stephanus, den gewaltigen
Zeugen des Heilandes Jesu, ohne Scheu öffentlich gesteinigt! Vergessen schienen
die Tage um Pfingsten, vergessen die grossen Erfolge der Apostel. Der offenbare
Hass des Tempels versetzte die Anhänger Jesu in Angst und Schrecken, so dass
viele Jerusalem eilig verliessen und ihre Zuflucht bei Freunden und Bekannten
ausserhalb Judäas suchten.
Einem Trupp solcher Bürger aus Jerusalem auf ihrer Flucht nach Samaria begegnete
Philippus, der Almosenpfleger, und grüsste: „Der Friede Gottes sei mit euch!"
„Und mit dir, und alle Tage", dankte der Älteste der Flüchtenden.
Erstaunt fragte Philippus: „Bruder Kinkar! Warum fliehet auch ihr aus eurem
Hause? Ist es die Angst um euer Leben, oder die Furcht vor den Tempelschergen?
Fühlt ihr euch nicht geborgen in der Hut und Gnade Gottes?"
„Bruder Philippus", entgegnete ihm Kinkar traurig, „siehe, mein Weib und meine
Kinder und alle, die zu meinem Hause gehören, fürchten sich! Aller Frohsinn ist
von uns gewichen, und Furcht und Schrecken durchzittert unsere Herzen, so sich
jemand meinem Hause nahet. Ist es da nicht besser, man sucht den Frieden in der
Ferne? Erst gestern wurden wieder einige von unseren Brüdern in die Gefängnisse
eingeliefert — und wer weiss, welches Los ihrer harret?"
„Mein Bruder", antwortete Philippus gütig, „der Glaube an den Beistand Jesu
Christi besitzt doch aber eine Kraft, die alle Angst und allen Schrecken zu
überwinden vermag! Da, wo der Auferstandene in Wirklichkeit in uns lebt, ist
jede Sorge oder Angst unbegründet! Gewiss, es ist jetzt eine gewaltige Zeit der
Prüfung! So ich aber bedenke, welch kostbares und herrliches Gut wir empfingen,
so ist es schon wert, darum zu kämpfen. Was ist alles Leid, alle Angst und Sorge
gegen das, was wir hier zu hüten haben! Bist nicht auch du erwählt, erfüllt zu
werden von Seinem Geiste, von der Kraft, die da frei macht und frei machen
kann?! - Ich würde meinem Herrn einen schlechten Dienst erweisen, so ich mich
nicht treiben liesse von Seinem Heiligen Geiste! Eure Flucht ist Schwäche und
macht den Gegner stark. Siehe, was tat der Meister? Wohin konnte Er sich wenden,
so auch Ihn Schwäche überfallen wollte? Er hatte nur den heiligen Glauben an
Seine gewaltige Aufgabe, die Ihm von der ewigen Liebe, Seinem heiligen Vater,
gegeben war. Mitten unter Seine Feinde gestellt, blieb Er treu und gehorsam und
suchte — und fand in der eigenen Tiefe die Quellen der Kraft, aus der Er wirkte
und schaffte." (ebenso sollen auch wir im Leid, wie im Kampf, die Quellen
unserer Kraft in uns suchen und finden!)
Sprach Kinkar nachdenklich: „Bruder! Du verkennst unsere Lage, du fühlst nicht
meine Sorgen! Siehe, handelte es sich nur um mein Leben, gerne würde ich bleiben
und mit euch kämpfen. Wenn ich aber von den Qualen der Gefangenen höre und die
Angst der Meinen sehe, vergeht mir aller Mut. Es ist aber noch eins
dazugekommen, nämlich: unsere Gebete — haben keine Kraft mehr, und so fühlen wir
uns ohne Halt! Und darum ist es besser, der Gefahr aus dem Wege zu gehen und
dann dort, Gott zur Ehre, in einer neuen Heimat zu leben!"
„Nun, so ziehet in Frieden eure Strasse", antwortete Philippus, „und suchet dort
das Heil, das Christus Jesus Selbst doch ist! Aber bedenke: Er ist weder hier,
noch dort, zu finden, wenn du in dir die Verbindung mit Gott verloren hast! Habt
ihr alle denn die gnadenvolle Zeit vergessen, wo Sein Auge euch huldvoll suchte
und der Lockruf Seiner Liebe euch das grösste Gnadengeschenk bringen wollte? O
Kinkar! Soll Sein grosses Opfer umsonst gewesen sein, das auch dich und die
Deinen zu Seinen Kindern machen wollte? Jetzt, wo der Herr Zeugen, und seien es
Blut-Zeugen, braucht, suchet ihr Hilfe bei anderen Menschen? Noch nie war ich so
durchdrungen von Kraft und voll Sieges-Bewusstsein als jetzt, da ich im
Lebens-Kampfe für Ihn und Seine Lehre stehe und Gottes gnädige Gegenwart so
lebendig in mir fühle."
Kinkar antwortete sinnend: „Bruder! Ich kann mein Weib nicht allein ziehen
lassen, da ich ihr und den Meinen doch Stütze sein muss! Aber mein Glaube an den
Herrn wird nicht wankend, denn überall ist die Erde Gottes, und überall hat Er
ja Selbst Menschen berufen, die an Ihn glauben. So halte uns nicht auf, da die
Pflicht uns zum Weiterziehen mahnt!"
„Du hast wohl recht, mein Kinkar, die Pflicht stellt uns an unseren Platz! Der
deine ist bei deinem Weibe, der meine — ist bei meinem Heiland Jesus! Dieser
spricht jetzt in mir: Fürchte dich nicht! — Siehe, Ich bin bei dir! Und wenn
sich alles gegen dich wenden würde, so bin Ich doch der Herr, und alles muss
sich Meinem Willen beugen! Und dieses glaube ich nicht nur, sondern ich bin
dessen gewiss! Er ist meine ganze Zuversicht! Dir aber sage ich noch: Gib nie,
in keiner Not, deinen Glauben an die Gnade Gottes preis!"
So zog nun Kinkar weiter mit den Seinen; — Philippus aber betete in seinem
Herzen: „Herr! Wenn noch mehr Fliehende mir begegnen und Angst und Furcht in
ihrem Herzen tragen — was soll ich da tun?"
Da antwortete die ewige Liebe in ihm: „Stärke deine Brüder! Stärke ihren
schwachen Glauben! Besser, sie fliehen aus Angst, als dass sie Mich verleugnen!
Doch du sei ohne Sorge! Ich kenne die Meinen und weiss um alle ihre Sorgen! Du
aber gehe nach Samaria, dort wird dich viel Volk hören wollen!"
Philippus tat nach dem Willen des Herrn, kehrte um und erfuhr immer lebendiger
die Gnade von Oben. Je mehr er den Auferstandenen bezeugte, um so mehr steigerte
sich in ihm die Kraft aus Gott und das hehre Selbstbewusstsein, dem Herrn damit
dienen zu dürfen!
So gelangte er nach Sebaste, der Hauptstadt von Samaria, die hoch auf Hügeln
erbaut war und einen freundlichen Eindruck machte. Aber die Bewohner dieses
Städtchens brachten ihm kein Interesse entgegen, weil Simon, ein Zauberer, der
mit niederen Mächten in Verbindung stand, es verstanden hatte, sich die Gunst
des Volkes zu gewinnen. Ein Engel, der ihm Gottes Willen vermittelte, riet dem
Philippus aber, nicht zu weichen, sondern jede Gelegenheit aufzusuchen, wo er
von dem Herrn und Meister zeugen könnte!
Im Begriff, den Zauberer aufzusuchen, kam ein Blinder, geführt von einem kleinen
Mädchen, ihm entgegen und bat um eine kleine Gabe. Philippus aber hatte nichts,
ihm zu geben, doch jammerte es ihn, den Armen so weitergehen zu lassen, und so
bat er im Herzen: „Jesus! Du Heiland! — Du Heil aller Welt! Erweise Dich auch an
diesem Blinden als der Herrliche, als der herrlichste Geber aller Gaben!"
Da klang es leise in ihm zurück: „Wolle du in Meinem Geiste geben, dann kann Ich
in dir die Kraft zum Heilen sein!"
So trat Philippus hin zu dem armen blinden Manne, sagend: „Bruder! Dein Leid
fühle ich als das meine; aber aus allem Leid führen ja Stufen hin zur Freude!"
„Ja, da hast du wohl recht", antwortete der Blinde, „wenn Jehova uns Arme
endlich erlöst und wir zu unseren Vätern in die Grube fahren! Dieses ist auch
mein sehnsüchtiges Verlangen; aber leider scheint es für Gott eine gewisse
Freude zu sein, wenn sich arme, elende Wesen auf diesem Stück Erde abmühen und
abquälen müssen." —
„Mann! Sprich nicht so", ereifert sich Philippus, „denn das beweist ja, wie
wenig du von Gott noch kennst! Ist denn in den letzten Zeiten das Leben gar so
nichtssagend vor dir und deinem Elend vorbeigezogen? Hast du nicht davon gehört,
wie der grosse Meister und Heiland Jesus in allen Landen und Städten so viele
elende Menschen wieder gesund und froh gemacht hat?"
„Ja, gehört schon", antwortete langsam der Blinde, „aber so ich kam, war Er
schon weitergezogen. Immer kamen wir zu spät, und nie konnten wir den rechten
Zeitpunkt erfahren, so Er wieder durch diese Gegend zog. Nun aber soll Er tot
sein, gekreuzigt mit zwei grossen Übeltätern! Was hätte ich da noch von Ihm zu
erhoffen?"
„Viel — und eigentlich alles", sprach Pilippus eindringlich; „denn, obwohl
gestorben, lebt Er dennoch in Seinem geistigen Sein und kann, wenn auch
unsichtbar, so an Seine helfende Erbarmung geglaubt wird, genau dieselben Wunder
wirken wie in Seinem Erden-Leben."
„Könntest du mir das vermitteln", fragte lebhaft der Blinde, „dass auch ich an
Ihn als den Helfer und Heiler glauben lernte? Wäre es doch die grösste Wohltat
in meinem Leben, so ich wieder sehend würde und nicht mehr auf Almosen Anderer
angewiesen wäre!"
„So glaube meinen Worten — und bitte in der Tiefe deines Herzens den Heiland
Jesus, dann könnte Er auch dir wohl helfen!"
Da kniete der Blinde nieder und bat innig: „Ich glaube, Herr und Heiland Jesus,
dass Du meine Bitte nicht abweisen wirst — und so hilf auch mir, wie Du
Tausenden geholfen hast!"
Nun legte Philippus die Rechte auf das Haupt des Blinden und die Linke auf den
Kopf des kleinen Mädchens und betete laut: „Herr! — Jesus! — In Deinem Namen und
in Deiner Liebe! Erweise Du Dich als der Allmächtige an diesem Armen und mache
ihn gesund durch Deine Kraft und Deine Gnade!"
Ein Strom lebendiger Kraft ging von Philippus aus und durchzuckte den noch
Knieenden — dieser aber sprang plötzlich auf und rief überlaut: „Ich sehe! — O
Gott! — Ich kann wieder sehen! — Seit vierzig Jahren sah ich keine Sonne, keinen
Menschen, keinen Baum, und jetzt habe ich wie einst mein Augenlicht wieder! O
Gott! — O Jesus! — Das konntest nur Du tun, darum gehöre ich nun auch ganz Dir!"
Die Vorübergehenden wurden aufmerksam, umdrängten die drei und fragten: „Asser,
warum gebärdest du dich wie unsinnig? Was ist dir denn widerfahren?"
„Ich sehe! — Ich sehe euch — und ich sehe diesen Mann, durch den mir geholfen
ward!"
Philippus hob seine Rechte hoch und sprach: „Höret, liebe Leute! Diesem eurem
Bruder, der nur von euren Almosen und von eurer Liebe lebte, ist eine grosse
Gnade zuteil geworden! Der Heiland Jesus, der am Kreuz auf Golgatha Sein Leben
opferte und von den Toten wieder auferstanden ist, will ja, dass allen, die an
Ihn als Heiland glauben, auch die Segnungen Seiner Liebe und Seiner
Erlöser-Kraft zuteil werden. Er gab mir den Auftrag, zu euch zu gehen, um von
dieser Seiner Heil-Kraft und Seinem wahren Leben in uns Menschen zu zeugen.
Das Leid dieses eures armen und blinden Bruders jammerte mich, wie jedes Leid
auch den Herrn und Meister Jesus schmerzt. Und so kam es, dass ich, getrieben
von Seinem Geiste der allerbarmenden Liebe, Ihn um Kraft zur Heilung für diesen
Bruder bat. Und sehet, er glaubte an diese Liebe und an die Heilkraft Jesu, der
im Geiste stets gegenwärtig ist, wo man Ihn bittet und ruft, und so erhielt
dieser nun als Gnadengeschenk für seinen Glauben sein Augenlicht wieder. Wundert
euch aber deswegen nicht so sehr, denn Jesus, der Heiland, lebt jetzt überall!
Doch wird Er nur dann unter uns wirken können, wenn unsere Herzen einladend für
Ihn offen stehen. Schlugen eure Herzen Ihm nicht entgegen, als Er mit Seinen
Jüngern durch eure Strassen und Gassen zog? Habt ihr nicht gejubelt, so Er eure
Leiden linderte und vielen neues Glück und den rechten Glauben an Gott
wiedergab?
Seinen Segen liess Er euch zurück und hoffte, dass eure Liebe Ihm erhalten
bliebe. Aber die Zeit machte Seine Gnaden-Geschenke vergessen! Ja, es kam
soweit, dass ihr anderen Menschen jetzt zujubelt, die aus gefälschten Tatsachen
heraus Scheinwunder vollbringen und aus schnöder Gewinnsucht alles Göttliche
leugnen! Aber die Liebe Jesu wacht noch immer über euch und lässt aufs neue,
durch mich, euch allen zurufen: ‚Vergesset Gott und Seine Gnade nicht!' Erinnert
euch doch Seiner gnaden- und liebevollen Art! Er will ja euer Heil und euer
ewiges Glück befestigen. Nur eine einzige Bedingung ist daran geknüpft: Glaubet
an Seine stete Gegenwart und handelt im Geiste Seiner Liebe! Du aber, du von der
Liebe Jesu Begnadeter, gehe heim und gib Ihm allezeit die Ehre!"
Still waren die Zuhörer bei der Rede des Philippus geworden — dann aber brach
ein Jubel aus, und ein jeder wollte dem Geheilten die Hand drücken. Es kamen
immer mehr Leute und wollten wissen, was sich hier zugetragen habe. Asser aber,
der Geheilte, sagte zu Philippus: „Du lieber Mann und Freund Gottes! Ich bin arm
und kann dir nichts anbieten, aber all meine Herzens-Liebe soll dir werden, so
du in meiner armseligen Hütte einkehren und sie zu deinem Aufenthaltsorte machen
willst. So, wie Gott, der Herr, Sich mächtig an mir erwies, so möge er Sich auch
gnädig an uns erweisen und dir Speise und Trank zukommen lassen!"
Und Philippus kehrte bei diesem Armen ein. Es war nur ein kleiner Grund, der von
dem Weibe und seinem Sohne bearbeitet wurde; schwer rangen sie dem Boden die
Früchte ab, und sehr kärglich fristeten die vier ihr Leben damit.
Das Weib schrie auf, als Asser voller Freude ihr zurief: „Ich sehe dich, Eva!
Ich sehe alles, hier und überall, denn Gott hat mich sehend gemacht!"
„Gott?" fragte Eva endlich hoch erstaunt, „hast du nicht jahrelang Gott gebeten
und angefleht um Heilung? Wie kam es denn, dass Er dir jetzt erst dein Gebet
erhörte?“ („Warum wohl nicht eher?", fragen auch wir hier, und die Antwort wird
lauten: Weil durch diese Heilung noch viele seiner Mitmenschen auf den rechten
Weg geführt werden sollten, darum musste dieser Blinde solange scheinbar
vergebens beten)
„Frage diesen da, und siehe auf die Strasse", antwortete Asser, „viel Volk folgt
uns, denn dieser Mann ist ein Freund Jesu und ein Bote Gottes!"
„Der Friede Gottes sei mit dir!" grüsste, eintretend, Philippus, „Die Liebe und
die Gnade Gottes wollte es, dass ich hierher nach Sebaste zog, um euch die
Wahrheit um Jesus, den Auferstandenen, und Sein Wort zu verkünden. Lasset nur
die Leute herein, denn alle geht es an! Alle sollen Seine Botschaft von dem
Gottes-Frieden im Menschen hören. Alle können jetzt Träger des heiligen
Gottes-Reiches werden durch Jesum, den Gekreuzigten und nun zum ewigen Leben
Auferstandenen."
So füllte sich die kleine Stube, und Philippus wurde nicht müde, zu lehren, und
zuletzt versprach er ihnen, am nächsten Morgen wieder auf dem Markt zu sein.
Fröhliche, gläubige Menschen brachten Geschenke und Speise und Trank in reicher
Menge, und dankbar falteten die Beschenkten ihre Hände.
Kaum war die Sonne aufgegangen, da kamen schon viele Neugierige, um den so
wunderbar geheilten Asser zu sehen und die Worte des grossen Gottes-Boten mit
anzuhören. Andächtig stimmten einige ein Loblied vor der Hütte an, und freudig
sangen alle den Psalm 130 (V. 5—8). „Meine Seele harret des Herrn, und ich hoffe
auf Sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn von einer Morgenwache zur
anderen. Israel, hoffe auf den Herrn! denn bei dem Herrn ist Gnade und viel
Erlösung ist bei Ihm, und Er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden."
Philippus trat vor die noch singende Menge und segnete sie. Und als der Gesang
beendet war, hob er nochmals beide Arme hoch und betete laut: „Herr! — und
ewiger Gott! — Es hat Dir gefallen, diese Herzen zu bewegen, dass sie nun
bittend Deiner harren! Sende uns Deinen Geist der Gnade, der Liebe und des
Lebens, damit ihr Hunger gestillt, doch ihr Verlangen nach Dir ein bleibendes
werde! Herr Jesu! Offenbare Dich uns durch Dein Wort um Deiner Liebe und
Wahrheit willen. Amen!"
Dann sprach er weiter zu allen: „Freunde und Brüder! Freuet euch alle, denn der
Gott des Friedens und der Wahrheit lässt euch durch meinen Mund aufs neue
verkünden, dass Er eure Herzen und euer Verlangen gesehen hat und will, dass ihr
alle erfahren und erleben sollt, wie Gott Sein Volk und Seine Menschenkinder
liebt!
Aber ihr müsset diese Liebe Gottes erst verstehen lernen, damit nicht Irrtum und
falsches Verlangen in euch Platz greife. Wohl hat der grosse Heiland euch so
manches schon geschenkt, doch es ist langsam in Vergessenheit geraten. Darum
bedenket es immer wieder: alle diese Gaben, die der ewige Gott durch Jesus der
Erde reichte, waren geistige Güter aus den Himmeln, und sollten dazu dienen, uns
für das Reich Gottes (in uns) reif und würdig zu machen. Doch der Einfluss des
Bösen war stärker als die Gnade aus den Himmeln, und so musste der von Gott
Gesandte der Finsternis zum Opfer fallen.
Aber höret weiter, liebe Leute: die Feinde triumphierten wohl einen Augenblick,
wussten aber nicht, dass sie sich selber das Todes-Urteil damit fällten. Sie
konnten nicht ahnen, dass durch den willig hingenommenen Opfer-Tod Jesu ein
Geist in Seinem Innersten entbunden wurde, der allen Seinen Anhängern die
Erlösung von der harten Knechtschaft der Materie bringen wird. Wie der Herr,
unser Meister, Seine eigene Todes-Nacht mit dem Ihm innewohnenden Lichte zum
Lebensvollsten Tage umstaltete, so wird auch in allen denen, die Ihm vertrauen
und auf Seinen Wegen Ihm im Innern nachfolgen, Sein Licht erstehen und ein neues
Leben. So bin ich zu euch gesandt und bringe die frohe Botschaft: Jesus — lebt!
Und alle, die an Ihn glauben, dürfen mit Ihm leben in Seinem Reiche der reinsten
Liebe. Jesus hat jeglichen Tod überwunden und das Kreuz, das Symbol leidvollster
Schrecken, ist von Ihm zum Fundament des neuen Lebens erhoben worden. Denn
sobald der Mensch seine Leiden auf dieser Erde, sein Kreuz, als durch Gottes
Zulassung ihm auferlegte Lasten anerkennt, und nicht mehr um Abnahme, sondern um
Kraft zum willigen Tragen bittet, wird auch sein innerster Geist, sein
Gottesfunke, entbunden! Dieser durchleuchtet uns den heiligen Zweck aller Leiden
(als notwendig zu tragender Ballast, damit unser Lebensschiff nicht hin und
herschwankt, sondern auch im Sturm seinen festen Kurs einhalten kann), und kann
uns zum Licht-Bringer für andere in Dunkelheit noch Suchende und Leidende
machen!"
Tiefes Schweigen folgte den Worten, die im Herzen des Philippus geboren waren;
dann, nach einer Pause, schloss er seine Predigt: „Ich bin ein Zeuge von vielem!
Ich habe den Herrn gesehen und vernommen den Ton aus Seinem Munde; habe gesehen,
wie Er Kranke heilte durch Sein Wort und zu Tode Betrübte wieder froh machte.
Aber so gross und gewaltig auch alles dieses war, ist es doch nicht zu
vergleichen mit dem, da Er als der Auferstandene aus Todesnacht voll heiligen
Geistes-Lebens unter uns trat! Seine durchbohrten Hände und Füsse waren wohl
Seine äusseren Merkmale, aber Seine grosse Güte, Seine heilige Liebe offenbarte
uns mehr als alle Zeichen Seiner göttlichen Allmacht! Sie offenbarten uns der
Gottes-Liebe grösstes und heiligstes Sehnen nach ihren Ebenbildern — im
Menschen! So neigte sich unser Gott in Seiner Gnade zu jedem einzelnen
hernieder, um uns zu bitten: „Werdet — Meine Kinder!"
Tief bewegt von seinen eigenen Worten trat Philippus zurück.
Danach fühlte Asser den Drang im Herzen, nochmals laut dem Herrn und Heiland
Jesus zu danken für die gewaltige Gnade, nun wieder sehen zu dürfen, womit er
allen so sichtbar Seine Liebe zu den leidenden Menschen bekundet hätte. Und so
setzte ein allgemeiner Freuden-Jubel ein, der in einem Dank-Psalm endete.
Es trat aber einer zu Philippus und sagte: „Du lieber Gottesbote! Hättest du
unserem Asser die Augen nicht geöffnet, wahrlich: deine Worte wären wie Spreu im
Winde verflogen; nun aber trafen sie unser Herz, und wir alle fühlen uns zu
grossem Dank gegen unseren Gott verpflichtet! Wie recht aber hattest du, uns zu
mahnen, dass das Beste vom Heiland schon wieder in Vergessenheit geraten sei!
Wir sehen nun ein, dass dieser begangene Fehler wieder gutgemacht werden muss.
Darum möchten wir dich bitten: Bleibe bei uns, bis wir wieder treue Befolger
Seiner reinsten Gotteslehre sind. Doch nun komme mit uns zum Marktplatz, dort
warten noch viele auf deine Lehren von der Gottes-Liebe, aber du wirst auch
sehen, dass es viel Elend bei uns gibt."
Sprach Philippus: „Gehet voraus, liebe Freunde, bis ich ein Frühmahl eingenommen
habe, und sagt allen, mein Herz und meine Liebe sei schon bei ihnen."
II.
Jesu Gegenwart wird bezeugt durch Sein heilendes Wirken.
Nach dem Morgenmahl wollte die fleissige Eva die gewohnte Hausarbeit besorgen,
doch Philippus sprach zu ihr: „Dein Sohn Kenan wird alles bestens ausführen!
Komme nur mit uns, damit auch du heute die Herrlichkeit Gottes erlebest und
erfahren sollst, was Dem möglich ist, dem wir vertrauen!" Und so geschah es; die
kleine Tochter aber ging wie immer dicht neben ihrem Vater, denn sie konnte es
nicht fassen, dass der Vater nun auch ohne sie seinen Weg fand. Auf dem
Marktplatz hatte sich schon viel Volk angesammelt, und auch Simon, der Zauberer,
sah den Ankommenden entgegen, jedoch mit sehr gemischten Gefühlen, denn er
wusste, seine Handlungen trugen nicht immer den Charakter der Ehrlichkeit.
Philippus erhob seine Hände, segnete die Menge und hub an zu reden: „Ihr Männer!
und ihr lieben Brüder! Mit dem Grusse des Herrn und Heilandes Jesu: Friede sei
mit euch! trete ich in eure Mitte und tue euch den Willen des Herrn kund, wie
ich ihn in mir für euch finde. Ihr wisset fast alle von den dunklen Tagen in
Jerusalem, wo die Templer geschworen hatten, den Edelsten und Besten unter allen
Menschen gewaltsam zu töten. Und es gelang ihnen auch! — Aber warum? Weil dieses
Sich-Opfern der ausgesprochene Wille des Meisters war! Denn alle Seine Lehren,
Seine Liebes-Beweise, Seine Wunder-Taten hätten diese umwälzende Wirkung im
Welten-All nicht erzielt, so Er die Leiden und das bitterste Sterben am Kreuz
nicht freiwillig auf Sich genommen hätte!
Wohl besass Er Macht genug, Seine Feinde zu vernichten. Er tat es aber nicht,
weil Er wusste: Nur durch Meine Liebe kann Ich siegen! Denn diese ewig
unbesiegbare Macht über alle Feinde liegt in Seiner opferbereiten Liebe zu allen
Geschaffenen. Er starb! — und schuf durch Seinen Tod einen neuen Weg von der
Erde bis zu den Himmeln. Er starb! — und ist wieder auferstanden! Er hat die
Gesetze der Materie durchbrochen und dadurch die bestehende Kluft zwischen Gott
und Mensch überbrückt.
Wenn wir alle Seine Lehren und Taten vor unseren Augen vorüberziehen lassen,
stehen wir bewundernd still vor der Grösse Seines Geistes und Seiner Macht!
Versetzen wir uns aber hinein in Sein Sterben - mit welcher Duldsamkeit, mit
welcher Erhabenheit Er Sein bitterstes Geschick ertrug -, so erschauern wir vor
der Grösse Seiner Liebe. Der Tempel aber, mit seinen Dienern, handelt bewusst
gegen Gott und häuft Schuld auf Schuld! Jesu Auferstehung, Sein wunderbares
Erscheinen hier und da, sowie Seine Auffahrt in Seine Himmel, leugnen sie
hartnäckig und verfolgen mit Feuer und Schwert alle Anhänger Seiner
Liebe-Lehren! Vor wenigen Tagen erst steinigten die erbosten Templer Stephanus,
den treuen Zeugen der Jesus-Lehre, doch auch hier bewahrheitete sich die
herrliche Verheissung: Gott steht auch im grössten Leiden allen denen bei, die
Ihn lieben, und gibt ihnen wunderbaren Mut und Kraft zum Ausharren!
Stephanus erlebte den lebendigen Gott im Innern, und sein Sterben ward ein
Triumph über alle Gottes-Feinde! Der unerschütterliche Glaube an Jesu lebendige
Gegenwart schafft ganz neue Quellen von Kraft in uns und gibt uns täglich
Beweise von der innigen Verbundenheit zwischen Gott und Mensch. Das Höchste, was
ein Mensch hier empfangen kann, ist das klare Bewusstwerden: Mein Gott und Vater
hat auch mich zu Seinem Kinde angenommen! Dieses Erleben aber verpflichtet uns,
durch unsern ganzen Lebenswandel nun auch Andere auf diese Gnade hinzuweisen,
denn ein gläubig Kind gehört sich nicht mehr selber an; und so gehöre ich nun
euch! Die ewige Liebe hat mich hierher gerufen, und Seine Gnade macht mich zu
eurem Diener. Doch über uns allen stehet Gott, der Ewige, der im Menschensohn
Jesus uns bekundete: Ich bin das A — und das O! — Der Anfang und das Ende! So
sei auch Du, Herr Jesus, in dieser Morgenstunde der Anfang hier — und der alles
herrlich zu Ende Führende! Amen!"
Philippus schwieg — er sah auf die um ihn Versammelten — und über sie hinweg wie
in weite Fernen der Vergangenheit. Dann fuhr er langsam fort: „Bisher habt ihr
an den Gott Abrahams geglaubt,
an den grossen Gott der ewigen Gerechtigkeit, und hieltet euch streng an Sein
euch gegebenes Gesetz. Schwer waren die Bedingungen zu erfüllen, und es schien,
als wenn auch nicht einer völlig gerecht befunden würde. Nun kam Gott Selbst im
Menschen-Sohn Jesus zu uns, überwand als Mensch mit Aufbietung all der auch in
ihm schlummernden Geisteskräfte die seelischen Fesseln der bitteren Knechtschaft
in dieser Materie und erfüllte damit als Erster die zu haltenden Gottes-Gebote.
Gott war gerechtfertigt! Denn nun konnte niemand mehr sagen: Herr! Deine Gebote
sind nicht zu erfüllen! Du verlangst zuviel! Gott lässt nun allen sagen: Sehet,
was dieser Menschen-Sohn Jesus als Fesseln Seiner Seele in Sich überwunden hat,
ist nun jedem, der denselben guten und ernsten Willen dazu hat, auch möglich!
Und nun höret weiter: Damit es nun allen möglich werde, ein Kind des ewigen
Gottes zu werden, und sich schon hier im Erdenleben zu sonnen in Seiner
herrlichen Vater-Liebe, hinterliess Jesus uns die grosse Verheissung, dass jeder
mit Seinem heiligen Überwinder-Geiste erfüllt wird, sobald er die Bedingungen
Seiner neuen, leichten Liebe-Gesetze einzuhalten sich bestrebt. Viele von euch
hörten selbst aus dem Munde des Herrn die Botschaft von dem Gottes-Reiche der
Liebe und des Friedens, das im Menschen erstehen wird, sobald man Seiner Lehre
sich anvertraut.
Darum, ihr Lieben: des Meisters Erden-Leben sei unser Vorbild und steter
Spiegel! Seine Liebe und Seine Barmherzigkeit sei die Triebkraft, die uns drängt
und treibt, zu Seinem Reiche hinzustreben! Was Sein Tod noch an Zweifeln an
Seine Sendung auslöste, wurde durch Seine Auferstehung zur siegenden Gewissheit!
In Seiner Himmelfahrt erlebten wir Seine Hoffnungen auf uns, soweit wir Ihn
erfasst haben mit der ganzen Liebe unserer Herzen. Und zu Pfingsten, da kam die
Erfüllung Seiner Verheissung. Die Erfüllung aller unserer Sehnsucht nach Ihm!
Denn diesem Heiligen Geiste, der uns da durchflutete, steht alle Welt machtlos
gegenüber! Wer von diesem Licht-Geiste noch nicht berührt ward, ist für die
Herrlichkeiten Seines Reiches noch blind, denn nur diesem Heiligen Geiste bleibt
es vorbehalten, unsere Seele völlig von den angeborenen Fesseln zum Weltlichen
zu lösen und an Ihn zu binden. Dieser Überwinder-Geist ist schon der
wiederkehrende Jesus als Wesenheit und Kraft in der Brust dessen, der Ihn
empfangen hat aus dem Herzen Seines ewigen Vaters! Wollet ihr, dass dieser
heilige Jesus-Geist auch in euch lebe, so glaubet an Seine Liebe und hoffet auf
Seine Gnade und dienet mit liebendem Herzen allen Mitmenschen! — Dann wird sich
Seine Hoffnung auch durch euch erfüllen: dass ihr Kinder nach dem Herzen Gottes
werdet!"
Philippus schwieg — seine Rede war tief eingedrungen in die Herzen seiner
andächtigen Zuhörer, und Stille herrschte ringsum.
Da trat ein alter Priester, Joram, zu ihm und sprach: „Lieber Freund! Deine Rede
war wie ein Licht-Quell, der in meinem Herzen manches Dunkle beleuchtete. Ich
habe ernstlich geprüft und erkannt, dass von der Lehre deines Jesus eine neue
Lebens-Kraft ausgeht. Wir wissen um Seinen Tod und auch um Seine Auferstehung,
glaubten aber, Seine Sendung sei damit vollbracht. Wie du es aber hinstellst:
dieses Leben Jesu sei uns Vorbild und Spiegel zu unserer Vollendung; dazu,
Freund und Bruder, fehlt uns doch viel! Das Ziel ist zu hoch!"
Philippus antwortete ihm: „Bruder! Siehe, so sich jemand schon fürchtet, die
ersten Wege zu solchem Ziele zu beschreiten, kann er ja nie das Grosse und
Herrliche erreichen! Denke an Abraham — er glaubte dem Worte des Herrn und ging
gehorsam und voll Vertrauen auf den Wegen vorwärts, die Gott Selber ihm
anzeigte, und kam an sein hohes Ziel! Denke an Joseph in Ägypten. Er blieb
seinem Gottes-Glauben trotz vieler Drangsale treu. Still duldete er in der
Gefangenschaft, hoffend auf seines Gottes gnädige Führungen, und hat so alle
Widerstände überwunden und dann die Herrlichkeit der Wegführungen seines Gottes
erlebt. Und so könnte ich dir noch manchen nennen, der trotz vieler Drangsale
dem Worte des Herrn fest glaubte, Seinen Führungen vertraute und zum Ziel
emporstieg.
Ist es denn so schwer zu glauben: Gott! Du reinste Liebe! Der Du in Jesus Mensch
wurdest! Du willst, dass der Mensch sich durch Deine Gnade und Mithilfe zur
reinsten Liebe umstalte! Mir wird so leicht, so wohl dabei, dieses zu glauben,
ich bin innerlich erfüllt von einem so seligen Glück, dass selbst den Tod dafür
erleiden zu müssen mir wie Gnade erscheinen muss!"
„Ich kann dieses noch nicht so schnell erfassen", entschuldigte sich Joram,
„vielleicht lerne ich dich noch besser verstehen."
Unter den Zuhörern war auch einer, der öfter an Besessenheit litt. Der wurde in
diesem Moment arg davon geplagt und der Dämon schrie: „Ins Feuer mit ihm — dort
ist sein Platz! Windet Schlangen um seine Hände und Füsse, denn er ist mit
schuldig an unserm grossen Elend."
Da ging Philippus hin zu dem Armen, machte das Zeichen des Kreuzes über ihn und
sagte zu dem Dämon: „Im Namen Jesu, des Gekreuzigten und Auferstandenen!
Verlasse dieses Haus und begebe dich in die Wüste zu den Deinen!"
„Nie und nimmer!" schrie er, „gehe ich von hinnen, eher..."
„Im Namen Jesu gebiete ich es dir!" sprach jetzt Philippus laut. „Folge meinen
Worten, sonst verscherzest du dir auch die letzte Gnade! Doch höre: Auch für
dich hat Jesus Sein Opfer gebracht. Ziehe nach dort, wie ich dir sagte, und
Jesus, der Herr, ist bereit, auch dir zu helfen!"
Der Kranke wurde ruhiger — da legte Philippus ihm seine rechte Hand aufs Haupt
und sagte: „So segne dich die Liebe und gebe dir Kraft! Du aber, Herr Jesus,
mache ihn ganz gesund! Dein heiliger Name sei gelobt. Amen."
Dem Armen war geholfen. — Nach einer Weile des Besinnens sagte er: „Ihr
Menschen, höret meine wenigen Worte. Ich lebte in einer Hölle, furchtbar war der
Ort und grässlich die Gestalten. Da trat ein lichter Bote zu mir und befreite
mich daraus. Wie froh bin ich, dass ich die Worte von dir, du Gottes-Bote,
vernehmen konnte, die mir Heilung brachten. Ja, Herr Jesus! Dein Name soll
allezeit hoch gelobet sein!"
Es war aber dem Zauberer Simon etwas beängstigend zumute bei der Szene mit dem
Besessenen, denn er fühlte sich nicht frei von Schuld; er fürchtete nun den
Philippus und wollte sich still entfernen.
Dies bemerkte der Geheilte. Er ging sogleich hin, hielt ihn fest und sagte:
„Höre, Simon! Dieser Mann bringt uns ein anderes Evangelium denn du, und von
Bezahlung hörte ich noch kein Wort! Es ist nicht fein von dir, dass du von
hinnen gehen willst, nun ich vom Übel erlöst bin, in welches du mich brachtest.
Danke dem Gottesboten, dass du den Lohn nicht erhältst, der dir eigentlich
gebührte!"
Sprach der Zauberer erregt: „Schweige, Jonas! denn du willst mir übel. An deinem
Zustand bin ich doch unschuldig. Du hättest dich nicht verlieren sollen, dann
wärest du nicht elend geworden."
Da trat Philippus zu den Zweien und sprach: „Höret, ihr Männer, auf meine Worte
und traget nicht Streit und Zwiespalt in euch! Du, Jonas, freue dich und sei
dankbar, dass die helfende Hand Jesu dir in dienender Liebe entgegenkam; und du
Simon, gehe in dich, und halte dir vor Augen, dass trotz deines gewissenlosen
Handelns auch dir der Heiland und Retter Jesu die Hand zur Hilfe bietet! Dein
Tun und Handeln nützt dir ja nur scheinbar. Nicht lange mehr, dann wird es Nacht
in dir, weil du von dunklen Mächten umlagert bist. Jesus aber bringt Allen
Licht! Er ist das Licht! In diesem Lichte wird auch dir ein neues Leben, Leben
aus der Fülle Gottes, so wie es gestern euer Bruder Asser und heute du, Jonas,
erfahren hast."
Entgegnete Simon: „Was weisst du von meinem Leben und meinem Tun? Hier frage
alle die Umstehenden, was ich ihnen geboten habe; waren sie nicht erfreut und
begeistert von meinen Darbietungen? Freilich, Blinde sehend machen und Besessene
heilen, kann ich nicht. Ich hätte aber grosse Lust, es von dir zu erlernen!"
Philippus, voll des Geistes, sprach ernst: „Simon, und ihr alle! Vernehmet in
Ruhe und mit offenem Herzen, was ich euch sagen muss, da der Geist reiner und
selbstloser Liebe mich dazu drängt! Es ist nicht einer unter uns, der da von
sich selber sagen könnte, ich habe jederzeit die Gebote Gottes und den Willen
des Herrn Jehova Zebaoth erfüllt, und es ist keiner, der da bezeugen könnte, ich
kann verzichten auf die Gnade Gottes! Alle sind wir schuldig, und alle bedürfen
wir Seiner Gnade! Seit aber der Herr Sein Leben aus übergrosser Liebe für uns
opferte, ist ein ganz neuer Weg geebnet, der jedem die Möglichkeit bietet,
dorthin zu gelangen, wo das Ziel unserer Sehnsucht liegt. Ich bin nicht zu euch
gesandt, um von euren Wünschen zu reden, sondern um euch den Weg zu diesem neuen
Leben zu zeigen, und euch zu bekunden, wessen Heiligen Geistes Kinder ihr werden
könnt, so ihr diese Wege beschreiten wollet.
Du, Simon, warst kein Vorläufer, denn du warst bemüht, in aller Augen ein
Grosser zu sein. Du zeigtest den Weg in die Welt, wo Lust und Zerstreuung lockt,
wodurch du einem Geiste dientest, dessen Endziel Untergang und Tod ist. Nun bin
ich gekommen, getrieben vom Geiste Gottes, und offenbare euch das Gegenteil. Der
Weg, den ich euch zeige, heisst Demut, Hingabe und Entsagung und führt euch zur
Höhe, zur inneren Vollendung und zum ewigen Leben mit Gott! Ihr habt nun zu
wählen, da ihr ja die Folgen eines verkehrten Tuns an eurem Bruder Jonas gesehen
habt, und durftet die Kraft und die Gnade Jesu miterleben, die ihm die Errettung
brachte. Nicht erlernen sollt ihr diese Botschaft des Friedens, sondern selbst
erleben: die Gnade und Gegenwart Jesu! Ich bin nichts, Jesus aber ist alles in
allem! Sein Geistes-Leben will Er uns schenken in der Hoffnung, dass wir Ihm
dann unser niederes Ich übergeben. Nun wählet das Beste vom Besten — euer Wille
ist frei!"
Philippus schwieg — und auch die Menge verharrte in andächtigem Schweigen. Simon
getraute sich nicht mehr zu reden, denn die Wahrheit aller dieser Worte war ja
erwiesen durch die Heilung des Jonas.
So trat nun das Weib des Asser vor Philippus und sprach laut und mit seltenem
Glanz in den Augen: „Ihr Männer und Frauen! Lasset auch mich reden, was mich
bedrückt. Mein Herz ist so übervoll von Freude, und ich möchte im Staube
vergehen, wenn ich damit dem grossen Heiland einen Dienst erweisen könnte. Ihr
alle wisset von unserm jahrelangen Elend. Geduldig ertrugen wir es in der
Hoffnung, dass auch uns einmal die Stunde schlägt, die Erlösung bedeutet, oder
der Tod uns von allem Elend befreien würde. Aber seit gestern bin ich eines
anderen belehrt. Ich weiss nun, wozu alles Leid uns dienen sollte. Es geziemet
mir nicht, vor Männern zu reden, aber mein inneres Erleben ist zu wichtig, darum
will ich vor euch bekennen, welch wunderbares Glück mich erfasst hat:
Leicht könnt ihr euch vorstellen, dass ich vor Freude und Dankbarkeit keinen
Schlaf finden konnte, bis ich erfuhr, dass diese Heilung das wahre Glück noch
gar nicht ist; denn es könnte uns ja trotzdem auch wieder Unglück treffen. Als
ich nun, wie Hanna einst, betete und alle meine Gedanken zu Gott, dem heiligen
Schöpfer, hinleitete, ward ein wunderbares Licht um mich, und in kurzer Zeit
auch Licht in mir! Ganz befremdet schaue ich mich um — verschwunden ist unser
Haus, verschwunden mein Mann und meine Kinder sowie auch unser lieber, lieber
Gast! Da wird mir bange, und ich komme mir selber so fremd vor; doch spricht
eine liebe Stimme neben mir: „Fürchte dich nicht! denn siehe, Ich kenne dich und
habe dich für würdig befunden, dir nun zu geben, wonach dein Herz sich sehnte.
Das Ende deines Leidens ist erst da, wenn du auf jeden irdischen Wunsch
verzichten kannst, da Ich doch Der bin, der dir alles ersetzen kann.
Da fragte ich: Wer bist Du? — und wo bist Du? — und wo bin ich? Die Stimme aber
sagte in einem noch viel lieblicheren Ton denn zuvor: „Ich bin die Liebe, die
alles trägt, und Mein Leben ist das Heil aller Welt! Suche Mich in dir, denn nur
da bin Ich zu finden. Ich will mich umdrehen, will den Sprecher sehen, da
vergeht das Licht, doch zurück bleibt ein innerliches Freuen, ein Freuen, wie
ich es noch nicht erlebte. Und in diesem Moment steht Jesus vor meinen Augen, so
wie ich Ihn gekannt, mit Seiner rechten Hand nach Oben zeigend, die Linke aber
zeigt nach dem Herzen. Ich wollte Ihn festhalten, doch es war nicht möglich, Er
verschwand, aber die grosse Freude blieb! Und in dieser Freude will ich nur noch
treuer meine Pflichten erfüllen, denn nun bin ich nur noch „eine Magd des
Herrn". —
Als das Weib schwieg, segnete Philippus noch einmal die ganze Menge und sprach
voll Heiligen Geistes: „So bringet, wie zu Lebzeiten des Herrn, alle eure
Kranken, damit auch eure äussere Not gebunden werde und ihr erstehen könnet in
dem alles belebenden und beseligenden Geiste Jesu!"
Nachdem nun alle eilig ihre Kranken brachten, und die nicht gehen konnten, gern
getragen wurden, bemächtigte sich aller Herzen eine erwartungsvolle Stille.
Philippus rief laut betend die Gegenwart Jesu an und verherrlichte in Seinem
Namen Seine namenlose Liebe! — In diesem heiligen Augenblick wurden alle
geheilt!
Des Lobens und Preisens darüber ward kein Ende. Der Glaube an Jesu unsichtbare
Gegenwart ward in den geöffneten Herzen neu befestigt. Und selbst der Zauberer
Simon nahm demütig diesen Glauben an.
III. Warum bleibt Jesus uns
unsichtbar?
Am anderen Tage sandte Philippus den Asser nach Jerusalem zu den Aposteln mit
der frohen Kunde: In Samaria ist das Evangelium von Jesum Christum angenommen!
Philippus hatte hier leichte Arbeit, denn der Ruf seiner Heilungen eilte ihm
überall voraus in Dorf und Stadt und machte die Herzen aufnahmefähig; und
überall ward die Gnade Gottes sichtbar. Die Herzen öffneten sich der
beseligenden Kunde: Jesus lebt! und wir dürfen Seine Gegenwart erleben! Eine
besondere Weihe aber waren die Stunden, da Philippus Männer und Frauen auf den
Namen Jesu Christi taufte. In ganz Samaria begann ein neues Leben. Almosen- und
Wohlfahrts-Pflege wurde eingeführt wie in den Gemeinden in Jerusalem, so dass in
den Häusern der Armen das Danken und Loben kein Ende nahm.
Philippus aber lehrte oft im Hause des Asser, und kein Tag verging, wo nicht die
Gnade und die Kraft des Herrn von den Anwesenden lebendig empfunden ward.
Den Höhepunkt erlebten die Samariter, als zwei Jünger aus Jerusalem, Petrus und
Johannes, mit Asser in Sebaste ankamen und auch in dessen ärmlicher Hütte
Wohnung nahmen. Petrus, als der Ältere, predigte mit Eifer von den Worten des
Herrn. Johannes aber segnete nur.
Einige Priester, denen diese Begeisterung zuwider ward, wollten das Volk wieder
abwendig machen. Zu diesen gingen die Apostel des Herrn in die Synagoge, und
viel Volk folgte ihnen nach. Erfreut, aber auch etwas erschreckt über die grosse
Menge der Zuhörer, legten die Priester doch grosse Würde an den Tag und begannen
ihren Gottesdienst. Als Text war Jesaias 44, 6-28 gewählt (Torheit des
Götzendienstes). Der Priester Israel versuchte mit beredten Worten nur das zu
sagen, was sich mit dem Gesetz und den Propheten deckte. „Denn", so sprach er
weiter, „keiner sieht die Gefahren besser als der, der selbst in Gefahr war.
Darum die Bitte des Herrn durch Jesaias: Haltet euch ferne von allem Neuen, von
dem, was geeignet ist, ein Götzentum zu schaffen. Zauberer achtet man auch heute
noch mehr denn Jehova und Seine Diener, und Wundertätern bringt man grössere
Ehre entgegen als dem Worte Gottes und dem Ort, worinnen man Seinen heiligen
Geist verehrt. Kehret daher um, und lasset euch nicht blenden von der neuen
Wahrheit, die doch keine ist!"
Die Zuhörer wurden unruhig, ängstlich schauten sie hin zu Philippus und seinen
Begleitern. Diese aber blieben ganz ruhig und warteten das Weitere ab. Als der
Priester schwieg, segnete er die Gemeinde und wollte zurücktreten, doch Jonas,
der Geheilte, trat zu diesem hin und fragte laut: „Israel! Deine Predigt war
gut, aber mich hat sie unruhig gemacht, denn ,Wundertäter' nennst du Den, der
mich von den Teufeln befreite? Wie oft hast du selber deine Kraft an mir
versucht, als ich noch im Elend war, doch hilf- und ratlos hast du mich jedesmal
verlassen. Siehe, eine einzige Bitte an Jesus, den Gekreuzigten und
Auferstandenen, aus dem Munde dieses Mannes genügte, und ich war befreit! Du
musst mein Elend nicht tief genug erfasst haben und musst an meiner Rettung und
Errettung wenig Freude empfinden, sonst hättest du heute anders reden müssen.
Muss denn nur eure Einsicht und euer Wille massgebend sein, und alle anderen
dürfen nichts anderes wollen denn ihr? Sehet diese Drei an, sie haben keinen
eigenen Willen mehr! Der Wille ihres Herrn und Heilandes Jesu ist ihr Wille
geworden. Ihr Priester, gehet in die Hütten derer, die Krankheit und Not
geduldig ertrugen, doch heute gesund und voller Freude sind! Überzeugt euch, sie
loben nicht Philippus, den Heils- und Freude-Bringer, sondern Jesus, den
Gesalbten und Heiligen Gottes!"
Der Priester war erstaunt, Jonas so sprechen zu hören, darum antwortete er laut:
„Jonas, höre! Du bist der erste, der mir mit kühnem Mute solche Worte sagt,
darum sollst du auch der erste sein, zu dem ich sage: Trifft alles zu, wie du es
hinstellst, dann will ich in Sack und Asche Busse tun und mich auch zu Jesum von
Nazareth bekennen! Niemand soll sagen, der alte Israel sei seinen Mitmenschen
zum leiblichen oder seelischen Wohle je hinderlich gewesen. Zum Zeichen meiner
Verbundenheit mit euch mag nun Philippus oder ein anderer zu uns allen
sprechen."
Nun war der Weg geebnet für Petrus und Johannes, und Petrus hob an zu reden:
„Ihr Männer! liebe Brüder! Die Liebe und die Gnade Gottes sei mit euch! Der
Geist des Friedens sei euer Teil, weil er ein Teil ist aus Jesum Christum,
unserm Herrn, Dessen Zeugen wir hier sind! Zeugen Seines Lebens, Wirkens und
Schaffens, doch Zeugen auch Seines Todes und Seiner Auferstehung! Es ist
richtig, so ihr an dem Wort des allein wahren Gottes und Herrn festhaltet und
nur Ihm die Ehre geben wollet! Denn gerade deswegen sind wir hier, um zu
bezeugen, dass Jesus nichts anderes wollte und lehrte.
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge, sah Seine
Schöpfungen in Gefahr, da der Geist der Zersetzung, der Feind alles Lebens,
nicht nur alle Sinne, sondern auch die Herzen der Menschen mit seinem gottlosen
Wesen zu erfüllen versuchte. Von Adam an, und seitdem, führt Gott den Kampf
gegen seinen Widersacher. Doch dieser Kampf ist nur ein Beschützen Seiner
heiligen Gnadengüter, denn nie wollte Gott seinen Feind vernichten!
Gott wurde Mensch, und gab dem Feinde alles Seins und Lebens erneut dadurch den
Beweis, dass die Erhaltung aller Dinge das Grund-Prinzip Seiner Wesenheit sei!
Mit dem Kreuzes-Tod des Herrn hat sich Sein Geist der ewig dienenden Liebe uns
noch mehr offenbart. Wir, Seine Zeugen, sahen Seine Herrlichkeit in Seiner
Auferstehung vom Tode, und erleben auch heute noch Seine Gegenwart und die
Ströme von Kraft und Leben aus Seinem Geiste! Mögen Seine Feinde toben und mit
Feuer und Schwert Seinen Geist der dienenden Liebe in den Herzen Seiner
Nachfolger auszurotten versuchen, es wird ihnen nicht gelingen! Denn: Jesus —
lebt!
Prüfet dieses mit offenen Augen und erhaltet euch den Frieden in euren Herzen,
den die Liebe Jesu allen schenkt, die da furchtlos und treu nach Seinem Willen
tun! Und so sei die Gnade des Herrn in allen Dingen euer Teil! Amen!"
Nun trat Johannes vor, segnete die Versammelten und sprach: „Die fürsorgende
Liebe zu euren Seelen lässt mich nicht schweigen, da auch ich durch die
unermessliche Gnade des Herrn gewürdigt wurde, ein Jünger und Zeuge Seiner Kraft
und Herrlichkeit zu sein. Es ist nicht nötig, viel von Seinen Zeichen und
Wundern zu reden, da es noch genug Augen-Zeugen davon gibt. Aber zu reden von
Seiner Liebe und Seinem Dienst am Menschengeschlecht drängt mich der Geist,
welcher das herrlichste Gnadengeschenk ist, und allen zugedacht, die Seinen
Spuren folgen wollen. Jesus Christus, das Licht und Heil aller Welt, hat nicht
nur uns, sondern alle zu Trägern dieses Seines Geistes berufen. Denn erst dann
kann man in aller Fülle erkennen: Wer und was Jesus war — und ewig bleiben wird!
Ihr wisset viel von Ihm, aber Seine Wesenheit erkennen und Ihn so erfassen, dass
ihr alle alten in eurer Seele eingewurzelten Begriffe hingeben möchtet für das
neue Licht aus Seiner Liebe, gehet euch noch ab. Euer Elend und eure Not ging
nicht an Seinem Herzen spurlos vorüber; darum kam Er ja zu euch, wie zu so
vielen anderen, und reichte euch die Hand zum heiligen Bunde und will euer
Helfer und Befreier sein. Sein ganzes Streben ging dahin, im Dienen der
Menschheit den Geist zu offenbaren, der ihr verloren ging. Es ist der Geist der
Liebe, der in allen Himmeln seine Ur-Heimat hat, und die Triebkraft ist, die
nicht ruhen und rasten kann, bis alle und alles Geschaffene erfüllt ist von
demselben. So ist das Reich Gottes der unendliche Raum, wo Sein heiliger Wille
das ewig erhaltende und das nach Vollkommenheit strebende Prinzip ist!
Besonders diese Erde mit allen Bewohnern ist für Sein Reich berufen und wurde
als Gnaden-Ort und Erziehungs-Schule dazu erhoben. Denkt nicht: Warum erfahren
wir dies erst heute? Wisset, dem ersten Menschen ward schon diese seine Mission
und hohe Bestimmung geoffenbart. Der Herr hat jetzt den langen Weg, welcher
durch die Haltung der göttlichen Gebote bedingt war, gewaltig abgekürzt und
zeigte uns durch Seine Liebe den neuen kürzesten Weg zu dieser unserer
Bestimmung.
,Ein neu Gebot gebe Ich euch: dass ihr euch liebet, wie Ich euch liebe!' waren
Seine inhaltsschweren Worte. Und darin liegt eben für uns alle der Schlüssel, in
das ewige herrliche Gottesreich zu gelangen. Liebet euch! — und ihr werdet
wieder geliebt! Liebet euch! — und der Himmel tut sich euch auf! Liebet euch! —
dann bauet ihr dem Geiste alles Lebens aus Gott eine Wohnstätte auf dieser Erde.
In dieser Liebe schwindet Hass und Neid, werden Leiden und Trübsal zu Vorstufen
der inneren Erleuchtung. Die Gegensätze zwischen Menschen, Völkern, Kirchen
hören auf, und wir lassen Gott wieder weise alle unsere Geschicke leiten. Nur
dieser Liebe wird es möglich sein, jeden Menschen innerlich so zu umstalten,
dass er nur das tun will, wozu diese Liebe, als sein innerstes Leben, ihn
drängen wird. So gebet denn dieser Liebe Raum in eurer Brust, dass ihr Geist das
schaffende und erlösende Prinzip in euch werde!
Und so komme du, Jonas, und empfange durch mich den Geist, der da heilig,
überheilig ist, und wirke aus demselben nach Gottes heiligem Willen! Alles wird
dir möglich, so du recht glaubst, doch bleibe in Demut und Hingabe immer dankbar
deinem Gott, der sich in Jesum Christum dir heute nahet! Nun brauchst du keinen
Feind je zu fürchten, denn Gott ist Kraft und Macht und Herrlichkeit bis in
Ewigkeit! Amen."
Jonas war niedergekniet, und Johannes legte ihm die Hände bei diesen Worten auf
das Haupt. Dann erhob sich Jonas, und strahlenden Auges schaute er um sich als
er sprach: „O Gott! — o Vater! — Ich bin wie umgewandelt! Welche Wonne lösest Du
in mir aus! Welch ein Glück ist in mir! Dieses aber danke ich nicht dir allein,
du lieber Johannes, sondern dem heiligen Gott in Jesum Christum."
„Dein ganzes Leben sei ein Danken", sprach Johannes, „und deiner Liebe sei kein
Opfer zu gross! Denn in deiner Liebe sollst du ja deinen Brüdern Jesus, den
Gekreuzigten und Auferstandenen, bezeugen. Siehe, dieser Geist, der dir als
Gnadengeschenk wurde, soll dir nun Führer und Leuchte sein. Er wird dein ganzes
inneres Leben und Sein erneuern, so dass du nun wie ein neuer Mensch von den
grossen Gnaden-Gütern zeugen kannst, die du nun in dir finden wirst. So sei
gesegnet aus diesem Geiste und werde zum Segen für andere!
Du aber, Israel, der du ein Priester bist an dieser Stätte, auch du bist
berufen, aus diesem Geiste zu wirken! Leben wird wieder Leben zeugen, und Liebe
sucht immer wieder Gelegenheiten, wo sie sich als Liebe erweisen kann, und
dieses zu bezeugen, sei unser Dienst an unseren Menschenbrüdern. Fürchte dich
nicht, deinem Gott untreu zu werden, denn du wirst inne werden, dass in diesem
Geiste, der da Leben und Liebe ist, du Gott tausendmal näher bist, als wenn du
dich an eure Satzungen und toten Buchstaben hältst. Die Zeit ist gekommen, wo
jede Hülle hinweggenommen wird, wo nur der Kern oder der Geist, als innerstes
und wahrhaftiges Leben im Wort, euch als Wegweiser dienen soll. Du hast gesehen,
was möglich ist dem, der da glaubt, und hast den Feuer-Strom aus der Kraft des
Geistes aus Gott erlebt. Und so rufe ich dir ein Wort aus des Heilandes Jesu
Munde zu: Nur wer danach tuet — wird inne werden, dass dies nicht Menschen-,
sondern Gottes-Worte sind!
Ihr aber, Asser und Eva, richtet euer Haus, wir wollen bei euch das Mahl
einnehmen! Glaubet aber fest, dass die ewige Liebe schon alle eure Sorgen und
eure Wünsche kennt!"
Die Synagoge leerte sich, aber auf der Strasse begegnete ihnen ein Zug Menschen,
begleitet von Wagen, die von Lasttieren gezogen wurden. Petrus ging ihnen
entgegen und wurde sogleich erkannt. Wie freuten sich die Ankommenden, als
Josef, ihr Ältester, den Petrus begrüsste: „Gelobt sei Jesus Christus!" und
Petrus mit den Worten: „Sein heiliger Friede sei mit dir!", dankte.
Josef hielt die Hand des Petrus fest, während er sagte: „Gottlob, dass wir dich
finden! Ganz Samaria ist voll von Wunder-Reden über das, was sich hier in
Sebaste zugetragen haben soll. Meine Brüder lechzen nach Hilfe und Wahrheit,
denn lähmend liegt auf uns allen das Geschick des Herrn. Wir wissen um Seinen
Tod und Seine Auferstehung, aber wir können die Ungewissheit nicht mehr
ertragen: Was soll nun werden? Unsere Kranken haben keine Hoffnung mehr, und
alles Vertrauen ist dahin. Für sie ist der Heiland tot! Doch die Kunde von der
Heilung des Besessenen und der Heilung des Blinden hat wieder neue Hoffnungen
aufsteigen lassen, und darum eilten wir hierher und finden dich!"
„Eure Zweifel sollen zunichte werden, und euer Glaube soll sich wieder
aufrichten", antwortete Petrus, „aber ihr müsset glauben können, dass nicht wir,
sondern nur der Herr und Meister helfen kann! So ihr aber noch Hilfe bei
Menschen sucht, da werdet ihr grosse Enttäuschungen erleben. Was sich in diesen
Tagen hier ereignet hat, ist nicht Wunder-Macht, sondern die Folge von
Glaubens-Kraft. Es ist aber kein gutes Zeichen, dass ihr zweifeln konntet an den
Worten des Meisters, denn ein jeder Zweifel ist ein Verrat an eurer Liebe zu
Ihm. Darum, Bruder Josef, sorge du, dass deine dir anvertraute Schar wieder in
die rechte innere Ordnung komme! Vorläufig führe sie alle in die Herberge, du
aber komme zu uns, wir wohnen bei dem geheilten Asser!" Dies geschah; der ganze
Zug konnte in einer Herberge untergebracht werden, und auch alle Kranken auf den
Wagen wurden bestens versorgt.
In der Behausung des Asser entstand ein Gedränge, denn viele wollten sich nicht
von den Aposteln trennen; aber Johannes, ganz Liebe, sprach: „Brüder und
Schwestern, höret, es ist genug für heute! Darum suchet eure Wohnungen auf und
verbindet euch im Geiste mit uns, damit ein Strom von Kraft und Segen unsere
Aussenlebenssphäre erfülle! Bedenket, wo ein Himmel, ist auch eine Hölle, und wo
eine Aussaat erfolgte für die Ewigkeit, sucht auch der Feind alles Lebens
Unkraut hineinzuwerfen. Eure Herzen müssen stiller werden, damit ihr die Grösse
dieser heiligen Liebe-Wunder erfassen könnt und aufnahmefähiger werdet, noch
grössere Wunder zu erleben. Das allergrösste und herrlichste Wunder aber ist:
Sein heilig Wort in uns selber zu erleben, welches alle Fähigkeiten besitzt, uns
Menschen selig und glücklich zu machen!
Machet euch Sein Wort zu eigen, denn es besitzt Ewigkeits-Wert! Morgen kommen
wir in die Herberge, wo eure Brüder eingekehrt sind, und dorthin lade ich euch
ein, weil da allen offenbar werden soll, wie der Herr und Meister Sein Wort
einlöst!"
Es wurde ruhiger, aber nicht alle gingen, denn die Sehnsucht nach reiner
Wahrheit war in ihnen gross! Bald war das Mahl aufgetragen, Brot, Wein, Honig
und Früchte, und wie war Eva erstaunt, alles das in ihrem Speisegewölbe
vorzufinden, wo sich seit Jahren fast nichts befand! Aber in ihrem Herzen tönte
es wie Silberklang: „Glaube, Ich bin nicht nur Liebe, sondern auch Macht! Darum
freue dich, damit auch ich Mich freuen kann über dich!"
Wie schnell und freudig sie nun alle Gäste befriedigen wollte; aber einen leisen
Kummer trug sie doch in sich, dass niemand fragte, woher doch all das Gute kam?
Petrus segnete alle und dann das Mahl, und freudig griffen alle zu. Es kam nun
auch bald der alte Josef, der Anführer der Karawane, und Asser führte ihn hin zu
den drei Gottes-Boten, die ihn segneten und ihm Brot und Wein reichten.
Josef sprach ergriffen: „Freunde und Brüder! Mir ist, als wenn der Meister
Selbst mich segnete und mir Brot und Wein zur Stärkung reichte! Darum will ich
auch euch nicht danken, sondern nur dem Herrn und Meister Jesus."
„Tue dies, Bruder Josef!" antwortete Johannes, „denn wir suchen keinen Dank,
sondern Herzen, die aus tiefster Seele dem grossen Geber aller Gaben danken
können! Dann fühlen wir uns eins mit ihnen, und in diesem Einssein werden wieder
neue Kräfte frei. Gemeinsames Bitten und Danken macht jedes Herz freier! Wir
dürfen uns fühlen wie Kinder, die nur den Willen ihres heiligen Vaters erfüllen
wollen."
So fragte nun Josef: „Bruder, sage uns, warum konnte Jesus, der Lebendige und
Auferstandene, nicht hier auf unserer Erde bleiben? Es wäre doch für alle
Menschen der denkbar grösste Beweis Seiner Göttlichkeit und Seiner Sendung, so
Er überall in Seiner ganzen Herrlichkeit und im unzerstörbaren Leibe mit Seinen
Menschenkindern verkehren würde. Wie bald müsste alles Böse weichen und der
heiligen Wahrheit Raum schaffen."
Darauf antwortete Johannes: „Bruder Josef! In deiner Frage liegt noch viel
Unkenntnis über das wahre Sein und Leben Jesu. Du gehst von deinen menschlichen
und verstandesmässigen Begriffen aus, und diese hindern in dir die reine und
wahre Erkenntnis. Vor allem sei versichert, dass der Herr nach Seinen heiligen
Worten immer und alle Tage bei uns gegenwärtig ist bis an der Welten Ende! Nie
wird Er von den Seinen gehen! Nur persönlich und körperlich musste Er sich von
uns, und somit von allen Menschen, entfernen, um uns und allen
Menschengeschlechtern die Möglichkeit zu geben, aus ihrer freiesten Liebe heraus
zu wirken, und zu tun nach Seinem heiligen Willen. Der Mensch, von Natur aus zur
Trägheit veranlagt, wird dadurch genötigt, in die rechte Tätigkeit einzugehen,
auf dass er die grosse, reinste Freude erleben kann, in schöpferischer Art
vieles anders und neu zu gestalten. Der Meister, als vollendeter Mensch, zeigte
uns nicht nur Sein Können, sondern er liess uns das grosse, gewaltige Überwinden
aller Übel miterleben, wodurch Er Sich mit Gott einte und Ihm alles möglich
ward!
Die ganze Menschheit ist auf dem tiefsten Standpunkt angekommen, und ihr ewiges
Los wäre Elend, Tod und Vernichtung. Aber der Herr erbarmte sich ihrer und schuf
durch Sein vorbildliches Erden-Leben Mittel und Wege, damit jeder dem Übel
entgehen könne! Seine Mission als Mensch war beendet, und mit Seinem Opfer
besiegelte Er den neuen Bund, den Er mit allen Menschen machte! Sein
Überwinder-Geist ist nun Sein Vermächtnis an alle, die mit ehrlich gutem Willen
Sein Ziel vor Augen haben, und dieses heisst: Eins werden — mit Jesus! Wenn du,
und ebenso alle Anderen, durch Seine stete persönliche Gegenwart beeinflusst
würdest, Seinen Willen zu erfüllen, so würdest du ja um das Herrlichste beraubt,
nämlich um die Freiheit deines Wollens und Tuns und damit um die
Gottes-Kindschaft als Sein ewiges Erbe. Du wärest wohl Sein Diener oder Knecht
und erhieltest den Lohn für deinen Dienst, müsstest dir aber stets bewusst sein,
dass dieser dein Zustand und Dienst auch einmal ein Ende nehmen könnte.
So du aber aus freier Entschliessung heraus an dem grossen Werk Jesu mitarbeiten
willst, und nicht nach Lohn oder nach Seiner sichtbar-persönlichen Gegenwart
fragst, nimmst du Sein Leben oder Seinen Geist in dich auf und wirst Sein Kind.
Als Sein Kind bist du der Träger und Verwirklicher Seiner grossen Gedanken, und
suchst mit der ganzen Kraft deiner Liebe zu Jesu auch zu verwirklichen, was in
dir als Idee und Ideal ruht. Deine Sehnsucht aber gleicht jetzt noch
verschlossenen Toren, die sich erst öffnen, so du tätig wirst in Seinem
herrlichen Geiste. In Seinem Geiste aber tätig sein dürfen, ist grösste Gnade
und birgt das einzig wahre Glück! Und nur um unseres ewigen Glückes und Heiles
willen konnte Jesus nicht in Menschengestalt bei uns verbleiben!"
Josef schwieg, aber diese Worte arbeiteten mächtig an ihm und den anderen. Und
so ward dieser Tag beendet.
IV. Des Kämmerers
Sehnsucht nach dem wahren Gott.
Als alle zur Ruhe gegangen waren, trat ein Engel sichtbar zu Philippus und
zeigte ihm neue Aufgaben für sein Wirken an. Verwundert, dass der Herr ihm nicht
Selbst in seinem Herzen den Auftrag erteilte, fragte Philippus: „Du lieber
Gottes-Bote, wie kommt es, dass der Herr, dein und mein Gott, dir meine zu
lösenden Aufgaben zeigt, da es mir doch der Wonne grösste ist, so ich den Herrn
und Meister selber in mir vernehme?"
„Mein Bruder!" antwortete der Engel, „Siehe, auch wir haben Sehnsucht, dem Herrn
in vielen Dingen zu dienen, und Seligkeit ist es uns, so wir mit euch
Erden-Bewohnern in Verbindung treten können. Wir suchen nach solchen
Gelegenheiten und bitten den Herrn und heiligen Gott darum, und gern gewährt Er
uns solche Bitten. Du bist erstaunt, weil du als Mensch in deiner Natürlichkeit
unsere Wesensart noch nicht so recht erfassen kannst; aber so wir zu euch
kommen, da gilt unser Dienst nicht euch, sondern dem werdenden Gottes-Leben in
eurer Brust. Noch seid ihr in Dunkel gehalten über all die geistigen
Auswirkungen, die dieses geheiligte Gottes-Leben als Ursachen zeitiget; doch
freue dich, so auch du nun erleben und erfahren darfst, wie du in deinem inneren
Liebe- und Wahrheits-Leben aus Gott von vielen Kräften unterstützt wirst!
Die geistige Nacht ist über die Erde hereingebrochen und hämmert mit ihren
stummen Kräften an die Tore des Lichtes. Ihre Forderung ist Licht (Licht, um die
Wahrheit über den eigentlichen Sinn unseres Erdenlebens zu erkennen). Dem Lichte
aber ist es vorbehalten, die Tore zu öffnen, um in die Finsternis
hineinzuleuchten, damit alles erhellt werde, und jeder im Lichte die grosse,
heilige Wahrheit über Gott und den heiligen Sinn in all den Lebens-Formen
erkenne.
So gehe nun, Bruder, nach dem Willen des Herrn gegen Mittag (nach Süden) auf die
Strasse, die von Jerusalem nach Gaza führt, wo es ringsum wüste und leer ist.
Eines aber nimm noch in dein Bewusstsein auf: Dass vor dem erwachenden Leben aus
Christus in deiner Brust sich der ganze Himmel neigt, und du in diesem Sein und
Leben einem neuen Himmel die Gestaltung gibst, worin der Herr und ewige Gott als
nun dein Vater Wohnung nehmen will! Darum bewerte ich meinen dir geleisteten
Dienst so, als hätte ich damit Gott Selbst gedient. — Der Friede Gottes sei mit
dir!" — und Philippus war allein.
Sogleich machte er sich fertig und ging geraden Weges gen Mittag, seinem vom
Engel gezeigten Ziel entgegen. Froh im Herzen, und ohne viel zu fragen nach der
auf ihn wartenden Aufgabe, wanderte er mit nur kurzen Ruhepausen durch die
Nacht- und Morgen-Stunden und gelangte endlich in eine sandige wüste Gegend, die
wohl sein Ziel sein konnte. Hier sah Philippus von weitem schon einen kleinen
Wagen, worin ein Mann sass, und der Geist in ihm machte ihn auf seine Mission
aufmerksam und sprach: „Gehe hinzu und halte dich zu diesem Wagen." Ohne langes
Überlegen ging er auf das Gefährt zu und hörte, wie der Mann im Propheten
Jesaias laut las (Apostelgesch. 8, v. 26).
Philippus grüsste und fragte: „Verstehst du auch, was du da liesest?"
„Wie kann ich es verstehen, so mich noch niemand unterrichtete und mir die
Kenntnisse gab, die nötig sind, um eure Schriften zu verstehen! Ich bin nach
Jerusalem gekommen, um den allein wahren Gott in eurem Tempel anzubeten, und man
gab mir diese Schriften! Willst du heraufkommen und mir die nötige Anleitung
geben? Ich bin Themann, der Vertraute und Ratgeber meiner Königin Kandaze in
Mohrenland, und wer weiss, wann ich je wieder nach Jerusalem komme!"
So setzte sich Philippus zu ihm in den kleinen Wagen(Bruder M. S. schreibt: „Ich
sah diese Szene, der Wagen hatte nur zwei Räder und war so angeschirrt, dass das
Gleichgewicht von dem Pferd getragen wurde. Ein Zelt-Dach, von vier runden
Holzsäulen getragen, hielt die Sonnenstrahlen ab; und während Themann las, liess
er dem mit blankem Metall behangenen Pferd freien Lauf), nahm ihm die Schrift
aus der Hand und las laut folgende Stelle im 53. Kap., Vers 7 und 8: „Da Er
misshandelt ward, beugte Er Sich und tat Seinen Mund nicht auf wie ein Schaf,
das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer
verstummet und seinen Mund nicht auftut." „Aus Haft und Gericht ward Er
hinweggeführt. Wer bedachte aber zu Seiner Zeit, dass Er aus dem Lande der
Lebendigen weggerissen und von der Missetat seines Volkes zu Tode getroffen
würde?"
Themann sah den Philippus gross an und sagte: „Ich bitte dich, mir den Sinn
dieser Worte zu erklären! Von wem redet euer Prophet solches? Es ist überhaupt
schwer, aus euren Überlieferungen etwas Heiliges zu verstehen."
Da antwortete Philippus: „Das ist nur deine eigene Meinung, da dir unser Gott
noch etwas Fremdes ist! Würdest du diesen unsern grossen Gott kennen,
verständest du auch Sein Wort, denn im Wort ist Er uns allen nahe! Sein heilig
Wort gibt uns Verheissungen von einem Erlöser von allen Übeln. Und von diesem
lasen wir eben im Jesaias. Du hast doch gehört von den grossen Ereignissen im
ganzen Judenlande und dem allergrössten zum Osterfest in Jerusalem? Hier nun
weist der Prophet Jesaias schon hin auf diesen einstigen Erlöser, auf Jesus und
Seine Kreuzigung! Er war durch den grossen Erlösungs-Plan Gottes berufen, der
gesamten Menschheit einen Weg zu bereiten, auf dem sie leichter als durch
Gesetze wieder zu dem allein wahren Gottes-Leben zurückkehren kann.
Wenige nur erkannten in Jesum von Nazareth die Erfüllung aller dieser
Verheissungen und die grosse Herrlichkeit Seines inneren Wesens. Von frühester
Jugend an wusste Er: Grosse Dinge sind nur zu lösen durch einen grossen Geist,
durch einen Geist, den diese Erde noch nicht kennengelernt hat! So wurden alle
in Judäa und Samaria reich gesegnet durch diesen Menschen-Sohn Jesus von
Nazareth. Nicht genug, dass so manches Wunder, so manche Liebes-Tat die Herzen
aufrüttelte und schneller schlagen liess, wenn es hiess: Jesus von Nazareth
kommt! Viel, viel mächtiger als Seine Taten waren Seine Worte - Worte vom
inneren Leben! Worte — aus dem Leben Gottes! Alle alten Begriffe in uns wurden
wie neu. Neue Hoffnungen und neues Leben schufen neue Menschen, Menschen, die in
Jesum nun ihren inneren Halt und ihr ewiges Heil erlebten. So wurde der Erde ein
neuer Geist gegeben, und dieser Geist war das Leben, die Liebe und das Wesen
Jesu!"
Sinnend sprach Themann: „Lieber Freund! Ich kann aber immer noch nicht
begreifen, wie du diesen Jesus mit den vorliegenden Schriftstellen in Verbindung
bringen willst? Du erzähltest viel Grosses und Erstaunliches von deinem Jesus,
diese Worte hier aber weisen hin auf viel Trauriges und eine stille Demut; und
dass Er der Bosheit Seiner Feinde zum Opfer fiel."
Philippus entgegnete: „Ich bin noch nicht ganz fertig mit meinem Zeugnis von dem
Grossen und Herrlichen, der in Seiner grenzenlosen Liebe zum Mittler zwischen
dem heiligen Gott und uns sündigen Menschen wurde. Siehe, die Welt ist bis ins
Innerste verführt von einem Geiste, der Gott und Seine Werke vernichten will. Es
ist so weit gekommen, dass dieser Feind alles friedevollen Lebens in dem Wahne
lebt: Er sei der Herr. Ja, es lebt kein Mensch auf dieser Erde, der nicht schon
einmal ein Opfer dieses verderbenbringenden Geistes geworden wäre! Noch kurze
Zeit, und die ganze Welt stände vor ihrer eigenen Vernichtung, aus der es keine
Erlösung mehr gäbe.
Dieser Mensch Jesus aber sah nicht nur diese Gefahren und die Folgen. Er bannte
sie, und setzte Sein eigen Leben, Sein ganzes Wollen und Können an die Stelle,
wo der Feind alles Lebens dem geistigen Tode einen Thron errichten wollte. Sein
Leben voll Reinheit und übergrosser Liebe und Treue ist das ewige Halt, an dem
jede Sünde und ihre Folgen zerschellen muss! Er Selbst machte sich zum Gefäss,
nahm alle unsere Schuld und Missetat auf sich und trug in Seinem Leibe allen
Fluch auf das Kreuz! Hätte Jesus nur den Willen Gottes erfüllt, so wäre wohl
Seine heilige Mission erfüllt gewesen, aber doch ohne den grossen Wert für die
kommenden Geschlechter. Er musste noch etwas aus Sich selbst dazu tun, und
dieses, als das Grösste, bedenken die Menschen fast nie. Er musste vor allem
vergessen, wer Er war, musste sich hineinleben in Sein menschliches Ich, musste
jene Gottes-Ferne der verirrten Menschheit in Seiner eigenen Innenwelt
aufsuchen, indem Er sich ganz als natürlicher Mensch wiederfand. Von diesem
Zustand aus musste Er der Erde, Seinem Fleisch und Seinem Ich jeden Tribut
zurückzahlen, indem Er alle menschlichen Schwächen und Versuchungen überwand.
Jetzt, als ein Herr und Gebieter über den irdischen Vorgängen und über allen
Naturkräften stehend, blieb Er, als Menschensohn, stets einfach und hilfsbereit
gegen alle Armen, und lebte dadurch dieses in Ihm erstandene Gottes-Leben uns
allen sichtbar vor. Wie hoch die Menschen dieser Erde von Jesus eingeschätzt
wurden, lässt sich nicht in Worte kleiden, denn Er, der Grosse und Herrliche,
legte Sein Leben für die Erlösung der Verirrten in die Waagschale. Er nahm den
Kampf mit dem Feinde des Lebens auf und unterlag scheinbar. Aber — nach drei
Tagen musste die ganze Unendlichkeit erleben, dass Jesus, als der Herr, auch der
Sieger über allen Tod ward und laut ausrufen konnte: Ich — lebe! Und durch Mich
werden nun alle leben, die an Mich glauben und Mir nachfolgen wollen!
Man muss diesen Triumph erlebt haben, muss selbst in allen Stufen tiefsten
Leides gestanden haben, um zu verstehen: Jesus ward Sieger! Jesus ist nun
endlich der Herr, dem sich alle Gewalten beugen müssen! Seine Herrschaft aber
ist wie ein Balsam für alle wunden Herzen, ist ein Lockruf und eine Einladung,
mit Ihm jene grossen geistigen Gnaden-Güter zu geniessen, die Er in Seiner
endlosen Liebe für alle Verirrten bereit stellt!"
Themann fasste nach der Hand des Philippus und sprach ergriffen: „Guter Freund!
Du sagst, Jesus lebt, Er sei durch allen Tod hindurchgegangen! Gab es aber für
Ihn kein anderes Mittel als das Seines allertraurigsten Todes, um die Menschen
zu Gott hinzuführen? Und sage, was hat nun dieser Sein Tod mit mir oder anderen
Menschen zu tun? Wohl hörte ich Seinen Namen, habe auch oft schon Verlangen
gehabt, tiefer in das Geheimnis einzudringen, welches Jesus umgab, bis ich mich
nun selbst an Ort und Stelle von der Sendung Jesu und Seiner Göttlichkeit
überzeugen wollte. Gerne glaube ich dir, würde aber noch lieber Jesum glauben,
so Er sich mir offenbaren könnte."
Philippus sprach: „Freund! Durch mich grüsst dich Jesus, der Heilige, und beruft
auch dich zur Mitarbeit an Seinem Werke! Sein Werk ist die Wiederherstellung der
alten Gottes-Ordnung zwischen Mensch und Gott, und ist die Einsetzung der
Menschheit in die heiligen Rechte der Gottes-Kinder!
Durch das Geschehen auf Golgatha hat Gott durch Jesum bewiesen, dass alles
Fleisch nur die schützende Form jedweden Geistes-Lebens ist, und dass durch das
Einfliessen göttlicher Gnaden-Ströme sich Geist zum Geistigen bekennen muss!
Diese erlösende Gottes-Liebe, die Jesus in allem Tun und Lassen erfüllte, ist
das köstlichste Geschenk, welches der Erde als Erbgut angeboten wurde. Wohl
stehet geschrieben: Man riss Jesus aus der Richtung Seines Lebens heraus! Aber
Sein Geist ist ja das alles durchdringende, das alles umfassende und alles
heiligende Leben und kann nie aus Seiner Richtung gerissen werden!"
Sprach Themann: „Ich sehe ein, du hast recht! Und dieses zu glauben, ist mir
leicht geworden. Aber wir sind für euch doch fremde Menschen, fremdes Volk. Die
Gnadenströme eures Gottes aber, gehören sie nicht Seinem von Ihm auserwählten
Volke? Wie willst du mir beweisen, dass der Geist Jesu Allgemeingut aller
Menschen werden soll? Niemand wäre glücklicher als ich, könnte ich diese
Botschaft Jesu mit nach Nubien nehmen, könnte allen sagen: Ich habe nun das Heil
gefunden und bringe es euch als Gnaden-Geschenk der ewigen Gottes-Liebe mit!
Sage Freund, kannst du mir auch hierüber volle Klarheit geben?"
„Bruder", antwortete Philippus, „glaubst du, dass Gott Seine Werke nur halb
vollendet? Wohl nennen wir uns Sein auserwähltes Volk, aber warum? Weil durch
unsere frommen Erzväter der Glaube an unsern Gott Jehova am reinsten erhalten
blieb. Doch durch die auch uns noch anhaftenden Irrtümer und Irrlehren musste
der uralte Gottes-Glaube auch bei uns versanden. Nur einzelne blieben Ihm
getreu, hielten bewusst eine feine Verbindung zwischen Gott und unserm Volke
aufrecht, und warteten auf die Erfüllung der einst von Ihm gegebenen
Verheissungen.
Und so wurde nun jene Verheissung erfüllt, dass Sich Gott Selbst einst bei uns
einzeugen würde. Und was als Mensch ausgeboren wurde — als Jesus —, ward zum
Träger und Sammelpunkt des ewigen Liebe-Lebens aus Gott. Durch viele innere
Kämpfe gegen die auch Ihm angeborenen menschlichen Schwächen machte Er alles
Leid, alles Trübe und Dunkle des Schicksals zu notwendigen Stufen eines
Überwinder-Geistes, der uns zu den geistigen Höhen führen soll. Er schöpfte aus
der Quelle Seiner Demut immer neue innere Kraft, Sein hohes Werk zu vollenden.
Ganz auf Freiheit des Wollens war Sein Wirken und Lehren eingestellt, ohne je
eine Seele zu überreden, an Ihn zu glauben. Offen vor aller Welt erklärte Er:
Handelt nach Meiner Lehre und Meinem Vorbild; dann erst werdet ihr erfahren und
erleben, dass Meine Worte an euch Gottes-Wahrheit sind und Meine Werke aus dem
Geiste der Gottes-Liebe verrichtet wurden!
So liegt es nun am Ernste jedes Einzelnen, Jesu Worte zu prüfen, damit jeder
Zweifel weiche. Was würde es dir nützen, so du mir ohne weiteres glaubst, bei
der nächsten Gelegenheit aber in einem ganz anderen Geiste handeln würdest?
Würde dein Inneres nicht in Zwiespalt kommen und dir Unfrieden und neue Zweifel
bringen? Da hat der grosse und herrliche Meister alles Lebens vorgebaut und
allen Menschen gezeigt, wie allein durch das Tun nach Seiner Liebe-Lehre sich
der Geist reiner Jesus-Wesenheit auch in ihnen bekunden kann. Was aber unsern
Meister belebte und beseligte, soll ja auch alle Seine Nachfolger beleben und
beseligen. Und es wird ein Jeder erfahren, dass nur in diesem Geiste völliger
Hingabe die Beweise sich mehren, dass auch er zu Seinem Kinde erwählt ist. Viele
sind berufen, ja alle, aber wenige sind auserwählt!
Und wer sind diese Auserwählten? Die den Geist Jesu und das Ihm innewohnende
Leben erfassen, und nicht erst fragen, ob es vor dem Verstande auch richtig sei
(z. B.: „Segnet eure Feinde" usw.) , die ihr Herz zu einer neuen, grossen,
herrlichen Liebe-Welt umformen, neuen Himmels-Kräften Raum schaffen, und in
ihrem innersten Leben und Sein nur wie Jesus wirken und schaffen wollen! Alles
dieses aber sage ich dir nicht, damit du mir glaubst, sondern dass du dir selbst
die Aufgabe stellst, diese beglückende Wahrheit der Jesu-Lehre nun auch zu
erfahren und zu erleben. Siehe, der Glaube an das Buchstaben-Wort tötet, aber
der Geist im Worte, der macht unsern Geist lebendig!"
Ganz begeistert von der Antwort des Philippus ergriff Themann die Hände des
Gottes-Boten und sprach: „Mein Freund! Wie ein Gruss aus der Welt meiner
Sehnsucht klingen deine Worte und lösen in mir Freude und seltenes Glück aus.
Ich möchte dich bitten, rede noch weiter von diesem Geiste voll Lebens, der mich
die Welt, die Menschen, und nun auch Gott ganz anders sehen lässt. Es ist ein
grosser Unterschied, ob ich mühsam hier suchen muss in dieser Schrift, oder ob
Gott Selbst sich der Mühe unterzieht und mich fremden Erdensohn auf die Stufe
erhebt, wo ich Gott in Seiner unendlichen Liebe zu den Menschen erkennen kann."
Sprach Philippus: „Mein lieber Bruder! Dass du mich verstehen und die Wahrheit
aus Gott fassen konntest, ist die unendliche Gnade Jesu, unseres Herrn, als
Erfüllung deiner aufrichtigen Sehnsucht. Wohl könnte allen Menschen diese Gnade
zuteil werden, doch wie wenige ersehnen und erfassen sie! Es ist aber eine
selige Gnadenzeit, wenn ein Mensch mit seinem Herzen diesen Geist aufnimmt und
innewird: Dieses ist das wahre Leben, welches uns sicher durch alle wogenden
Lebenslagen tragen kann und uns den Willen stärkt, nun auch dieses grosse
Lebens-Ziel festzuhalten.
So du, als Mensch, erfüllt vom Geiste alles Lebens aus Christo Jesu, dein
ferneres Leben nur als Gnaden-Geschenk betrachtest, bist du schon unauflöslich
verbunden mit dem Herrn! Du wirst, obwohl du noch einen irdischen Körper trägst,
zu einem Bewohner und Bürger der ewigen Gottes-Welt und kannst durch deine
tätige Liebe heilige Lebens-Kräfte aus Gott dieser unserer Erde vermitteln, die
ja zugleich ein Sammelplatz satanischer und zerstörender Kräfte ist. Doch auch
hierin erkennen wir die fürsorgende Liebe Gottes: wie der Meister des Lebens
sich bemüht hat, der Erde und allen Bewohnern einen Geist zu schenken, der in
sich die Kraft und Macht trägt, ohne Gewalt und ganz in der Stille alles
umzugestalten, was sonst dem geistigen Tod und Verderben verfallen wäre.
Wohl lebten wir in der Hoffnung, in dem Erlöser wird Gott unserem Volke die
volle Freiheit schenken! Aber wir erkennen jetzt, dass auch du, Bruder, als
Erdenmensch ebenso berufen bist, Mit-Arbeiter und Mit-Vollender Seines grossen
Erlösungs-Werkes zu sein!
Wie aber könnte dieses geschehen? So du ungezweifelt glaubst, dass Jesus
Christus, der grosse heilige Gott und Herr, Schöpfer Himmels und der Erden, auch
dein Gott, dein Vater und dein Erlöser ist, der durch Seine Sich opfernde und
hingebende Liebe auch dich gedungen hat, ein Träger Seines Lebens und
Verwirklicher Seiner Liebes-Gedanken zu sein! Der aber nun auch, da Er Selbst
das allergrösste Sühne-Opfer brachte, dich nicht mehr als Sünder und
Lebens-Feind ansieht, sondern als Frucht Seines Erlösungs-Werkes und als Kind
Seiner Liebe. In diesem Glauben wird Sein Geist dich erfüllen und dich fähig
machen, für Sein ewiges Liebe-Reich zu zeugen und zu arbeiten. Wie aber dieses
Sein Reich beschaffen ist, will dir die Liebe und Gnade des Herrn selber zeigen,
dieweil du schon das Verlangen in dir trägst, auch deinen Brüdern und
Mitmenschen dieses grosse Heil zu offenbaren."
V. Themann erlebt
Jesus in der Geistigen Welt.
Sie waren abgestiegen — und Philippus legte nun dem Themann die Hände auf das
Haupt und betete: „Herr Jesus! Meine Liebe rät mir, diesem Bruder etwas zu
reichen, was doch nur Du allein ihm geben kannst. So bitte ich Dich, sei Du in
dieser heiligen Stunde der allein Gebende und Glücklichmachende um Deiner Liebe
und Wahrheit willen! Mich aber lasse weiterhin Deinen Knecht und Diener sein.
Amen!"
Da flammte ein Strom, heiss und doch glücklich machend, direkt aus dem Herzen
des Philippus auf Themann über. Dieser schloss die Augen, öffnete sie dann
wieder und fragte erstaunt: „Träume ich — oder wohin bin ich gekommen? Um mich
ist viel Licht! — und eine Welt, wie ich sie in meinen Ahnungen schon ähnlich
empfand. Doch du bist noch da, mein Freund, und trägst ein strahlend Gewand!"
„Bruder", sprach Philippus, „des Herrn Gnade nahm für einen Augenblick die
irdische Hülle von all dem Herrlichen, was denen bereitet ist, die in Seinem
Geiste tätig sein wollen. Darum schaue dich recht um und fühle dich hier in
dieser geistigen Welt nicht fremd, denn was Gott dir hiermit gibt, kommt aus
Seinem liebevollen Herzen und soll dir für alle Zeit ein Licht auf deinem Wege
bleiben. So nimm nun diese Gnade an zu deinem ewigen Heil!"
„Freund und Bruder", antwortete Themann, „Leben hier in diesem Lichte auch
Menschen? Ich fühle das Verlangen, Menschen zu sehen!"
So gingen die beiden eine Strasse entlang, an deren beiden Seiten hohe Palmen
standen, rechts und links aber breiteten sich grüne Wiesen mit bunten Blumen
aus. Diese Strasse aber schien kein Ende zu nehmen, darum fragte Themann den ihn
begleitenden Philippus: „Wo führt denn diese Strasse hin?"
„Dorthin, wohin dich deine Sehnsucht treibt und dir Erfüllung bringen will!"
antwortete Philippus.
„Sehnsucht? — und Erfüllung? O Gott, Du musst wahrhaft gut sein, wenn dieses
Ziel auf dieser sonnigen Strasse zu erreichen ist!" Dann fragte Themann sich
selber: Aber ist denn diese Erfüllung möglich, ohne Gott je zu sehen und ohne
mit Ihm zu sprechen? Sollte nicht alle Sehnsucht sich erfüllen, sobald Gott
selber zu mir käme? Oh, diese herrliche Welt, aber doch — ohne Gott? Sinnend
bleibt er stehen, und da Philippus sich schweigend verhält, spricht er zu sich
weiter: Was ist mit mir geschehen? — Entweder — ich träume jetzt — oder mein
Erdenleben war nur ein wüster Traum? Die Schönheiten dieser Auen berühren mich
fast nicht mehr, und doch ist es mir, als ob ich früher danach hungerte. Danach
langes Schweigen. — —
In weiter Ferne liegt ein Dörfchen. Rechts und links der Strasse sind kleine
Häuschen sehr gut zu erkennen, und nun wird es in Themann lebendig: „Dort müssen
Menschen sein! Lass uns eilen! Dort kommt uns schon ein Mensch entgegen, ob wir
ihn kennen, oder er uns?" Philippus — schweigt — Nun sind sie bei dem ihnen
Entgegenkommenden, und dieser grüsst: „Der Friede Gottes sei mit euch! Seid
willkommen in der Heimat, sie wartet auf euch! Ich bin ausgesandt, um euch
einzuholen, denn alle Brüder und Schwestern sehnen den Zeitpunkt herbei, mit
euch vereint zu sein! — Ihr kommt ja von der Erde, wo der grosse Gott als Mensch
gelebt hat und nun wohl auch weiterhin leben wird."
Sprach Philippus: „Bruder, habe Dank für deinen Willkommengruss. Die
unaussprechliche Gnade des Herrn sandte uns zu euch, um euch zu dienen und um
wiederum entgegenzunehmen euren Dienst."
„Bruder", sprach der Mann, „mir ahnt Grosses! Es ist mir, als ob durch dich der
Herr selber zu uns käme. Wohl haben uns Licht-Boten unterrichtet und genaue
Kunde von der Erde überbracht, doch diese waren Engel und Bewohner der
Geistes-Welt. Ihr aber seid Menschen, wenn auch eure Leiber auf der Erde
verblieben; und müsset wieder zurückkehren nach dem Willen des Herrn."
Antwortete Philippus: „Du hast recht; unser Zustand ist kein natürlicher und nur
möglich durch die ausserordentliche Gnade des Herrn! Aber des Herrn Wege und
Mittel sind, obwohl oft wunderbar, doch nie ohne Grund und besonderen Zweck!
Darum eilen wir, damit diese Gnadenfrist nicht unnütz verstreiche!"
Die drei eilten nach dem Ort, wo die Bewohner sie schon erwarteten. Alle Hände
waren erhoben und Heilrufe tönten ihnen entgegen. Philippus begrüsste sie und
segnete die Gemeinde mit den Worten: „Die Liebe Jesu erfülle euch mit Freude und
Kraft und mache euch ganz zu Seinen Kindern, damit Er Selbst zu euch kommen
kann, um euch Seine grosse Vater-Liebe zu beweisen!"
Ein alter Priester trat hervor und sprach: „Nochmals Dank! Seid herzlich
willkommen in unserer Mitte, die durch den heiligen Geist des grossen Erlösers
nun so lieblich und harmonisch geworden ist. Wir betrachten auch euch als unsere
Brüder, weil wir nichts anderes mehr kennen, und bitten euch, seid die kurze
Zeit unter uns wie daheim. Wir wollen euch unsere Wohnstätten zeigen und dann
nach dem Tempel gehen, damit ihr, und vor allem du (sich zu Themann wendend)
erschauen sollst, was uns im Geiste rechten Wollens möglich ist!"
Themann ist beglückt über die Freundlichkeit, mit der diese Menschen ihm
entgegenkommen, er möchte sprechen — er muss schweigen. So betreten sie die
Wohnung eines alten Ehepaares, das sichtbar sehr beglückt ist über diesen
Besuch. Alles ist hier schön, klein, aber doch geräumig, und die Aussicht nach
dem Morgen entzückt Alle (In dieser geistigen Welt ist alles äussere eine genaue
Entsprechung der inneren Zustände ihrer Bewohner). Themann blieb stumm vor
Bewunderung — da sprach der alte Bewohner: „O Freund, sage uns doch ein Wort von
Jesus, Dem allein wir dieses liebliche Heim zu verdanken haben! Denn unser Herz
vergeht vor Sehnsucht nach Ihm!"
„Bruder", sprach Philippus, „des Herrn Liebe und Sehnsucht zu euch ist unendlich
grösser noch denn die eure! Bald, sehr bald wird eure Sehnsucht erfüllt sein,
doch Zeit und Stunde — weiss Er allein! Gedenket aber in eurer Lichtheit auch
derer, die sich noch im Elend, in innerer Nacht und Unwissenheit befinden, damit
ein Abglanz eurer Liebe ihre finstere Innen-Welt erleuchte und auch sie den
grossen Erlöser von aller Finsternis suchen und erkennen lernen!"
Ehrfurchtsvoll vernahmen die Bewohner diese Worte, dann sprach der Priester:
„Kommet mit nach unserm Tempel, damit alle hören können, was diese Brüder uns
von Ihm bezeugen wollen!" So gingen alle durch wohlgepflegte Strassen einer
Anhöhe zu, wo von weitem schon der Tempel sichtbar ward. Auch Philippus
erstaunte über diese Pracht des Tempels: Auf zehn Säulen ruhend, leuchtete die
Überdachung in allen Farben ihnen entgegen, und an den Säulen rankten Schling-
und Blumenpflanzen in wunderbarer Farbenharmonie empor. Der Fussboden war mit
schneeweissen Platten bedeckt, und die Bänke sahen aus wie mit goldgelbem Moos
bewachsen. Gegenüber dem Eingang stand ein Altar, geschmückt mit einem Kreuz in
Manneshöhe, das ihnen wie in roter Feuerglut schon von weitem entgegenleuchtete;
beim Näherkommen aber sah man es geschmückt mit Blumen und Blüten. Auf dem Altar
stand ein Krug Wein, daneben lag das Brot; wunderbare Strahlen von Licht fielen
darauf und machten auf Jeden einen unvergesslichen Eindruck!
Als der Priester den Tempel betrat — jubelten die Anwesenden. Segnend schritt er
an den Altar — da ereignete sich ein Zwischenfall: von der anderen Seite der
Anhöhe kam ein Zug vieler, vieler Menschen, geführt von einigen, die selber noch
wie fremd in dieser Gegend schienen. Als diese den Tempel erreichten, fielen
alle auf ihre Knie und riefen laut: „O Herr und Gott! Wir sagen Dir Dank, dass
Du uns hierher geführt hast! O lasse uns ausruhen im Zeichen Deiner Heiligkeit,
die da ausgehet von diesem Tempel."
Der Priester eilte hin, segnete sie mit ausgestreckten Armen und sprach: „Im
Namen Jesu grüsse ich euch und heisse auch euch willkommen! Wer ihr auch seid,
und von wannen ihr kommt, frage ich nicht, weil ich weiss: auch ihr seid
berufen, Kinder des ewigen Gottes und Vaters zu werden und möchtet euch
eingliedern in unsere Gemeinschaft. Dass ihr Hilfe nötig habt und erlöst sein
wollet von so mancher Not, verrät mir euer Aussehen. Aber das ist nicht so
leicht, denn ihr müsset versuchen, euch zu reinigen von dem Unrat, der noch von
der Erde her in euch haftet. Unsere Hilfe sei euch gewiss, aber, liebe Freunde,
unsere Bereitschaft allein genügt dazu nicht, auch ihr müsset rein sein wollen!"
Da stand der Anführer auf und sprach: „Habe Dank für deinen Gruss und deine
Bereitwilligkeit zum Helfen! Wir möchten so gern erlöst und befreit sein von all
unseren Übeln, aber die Kräfte dazu reichen nicht. Schon lange suchen wir den
rechten Weg, aber es war, als ob wir gleich dem Volke Israel den Weg durch die
Wüste nehmen müssten! Wir haben oft Hunger und Durst gelitten und sind schon
glücklich, bei euch gelandet zu sein. Unsere Augen sind trübe, darum können wir
nicht beurteilen, ob es schön oder nicht so schön hier ist, aber so wir bleiben
dürfen, wollen wir es mit wahrer Dankbarkeit lohnen!"
„Bleibet", bat der Priester, „aber zuvor wollen wir anbeten und uns alle innigst
verbinden mit dem Heiligen Geiste Gottes, der uns durch Seine Gnade geoffenbart
wurde."
Betenden Herzens ging er zum Altar zurück und bat um Beistand und Segen aus der
Hand des Allmächtigen für alle. „Gnadenvoll ist diese Stunde", sprach er weiter,
„die wir jetzt hier erleben; aber vielfach mehr ist unser Leben wert, wenn es
aus der Liebe in unseren Herzen hervorgegangen ist. Unsere Liebe erst beweist
uns das Leben aus Gott, denn ohne dieses Sein Leben in uns ist eine Verbindung
mit dem ewigen lebendigen Gott nicht möglich! Doch möchte ich schweigen, da
dieser Lichtbote des überherrlichen Erlösers uns berichten will, wie er ein
Zeuge aller Seiner Liebe und Lebens-Fülle ward." Und sich zu Philippus wendend,
sprach der Priester weiter: „Darum, du lieber Bruder und Sachwalter unseres
Herrn, mache uns alle mit deiner Liebe aus deinem übervollen Herzen lebendig,
damit auch wir Seine Kinder werden!"
Philippus neigte sein Haupt und trat an die Seite des ehrwürdigen Priesters,
segnete die Versammlung und sprach: „Schwestern und Brüder! Gleich einer
strahlenden Sonne leuchtet uns das Leben und die erlösende Liebe Jesu, unseres
Herrn und ewigen Gottes, entgegen! Ihr meint, dass mein Zeugnis von Jesus
grösser sei als das eure, weil ich ein Zeitgenosse des Herrn und noch ein
Bewohner der Erde bin! Dem ist aber nicht so, denn wo ein Herz erfüllt ist von
dem lebendigen Bewusstsein Seiner Gnade, Liebe und Erbarmung, da hat die ewige
Gottes-Liebe ihr wahres Leben schon verankert und ihren Geist eingezeugt!
Gewiss, ich durfte manches Wunderbare in Seiner Mensch-Persönlichkeit mit Ihm
erleben! Bedenket: Er kam in unsere Welt — und lebte als Mensch unter uns — und
musste Sich selber ein Lehrer und ein Führer werden, bis Er alles überwunden
hatte, was Seine Seele verweltlichen konnte. Dass er diesen schweren Kampf mit
Sich nicht führte, um allen Menschen zu zeigen, welch ein Kämpfer Er sei, wird
jedem einleuchten, so er Sein ganzes Leben recht betrachtet. Doch so man in
Seine Gemeinschaft aufgenommen ist, erkennt man erst, warum Er zum Überbringer
Seiner Selbst werden musste: Sein Leben war Lieben und Dienen! Und diese Seine
grosse Liebe zu uns Menschen empfinden können, ist schon Erfüllung aller
Sehnsucht und Wünsche! Denn es ist auch nicht einer, der da sagen könnte, ich
wurde hinausgestossen aus dem Bereiche Seiner Liebe! Dieser Jesus opferte Seiner
Liebe alles, sogar Sein Leben, und machte uns, die wir Seine Sendung begreifen,
an Ihn glauben und in Seinem Geiste tätig werden, zu Stellvertretern Seiner
Geist-Persönlichkeit! Auch ihr alle seid nun mit eingeschlossen in diese grosse
Gemeinschaft Seiner Liebe-Lehre und dürft sie mit ganzem Herzen zu verkörpern
suchen, soweit ihr Jesus, den Herrn und Heiland, schon erkennet!
Wer eure Schönheiten hier sieht, wird sagen: Selig seid ihr in dieser herrlichen
Welt! Ich aber rufe euch zu: Selig ist nur der, der die äussere Welt überwunden
hat und sich eins weiss mit Gott! Er ist selig, da der Himmel nicht mehr ausser
ihm liegt, sondern ein Stück seines eigenen Innenlebens geworden ist! Diesen
inwendigen Himmel zu offenbaren in dienender Art gegen alle Mitmenschen und
hingebender Treue gegen Gott, ist nun unsere Lebens-Aufgabe, da in diesem Himmel
dann Jesus der Grund und die Triebkraft zu allem Tun sein wird.
Meine Lieben! Es sind Worte genug gesprochen! Lasset uns nun eingehen in das
Leben der Tat, welche alle Tore in uns öffnet und die Fesseln alter Begriffe
sprengen wird.
Komme, du Hirte dieser Gemeinde, wir wollen beweisen, dass Jesus durch Seine
Liebe und Wahrheit in Seinen Kindern lebt! So nimm den Kelch — und folge mir!
Ich nehme von dem Brot und gehe voran nach dem Willen des Herrn, und alle sollen
empfinden, wie gut es sich leben lässt in Seiner Liebe!"
So gingen beide mit Brot und Wein durch die Reihen und verteilten die köstlichen
Gaben! Als sie aber zu den Fremden kamen, wollte der Priester den Philippus
zurückhalten, doch dieser liess sich nicht beirren, denn diese Gnaden-Speise
sollte ja Gemeingut aller sein! Nachdem nun alle von dem Brot und dem Wein
genossen hatten, zeigte Philippus ihnen die restlichen Gnadengaben, die nicht
weniger geworden waren, und fragte laut: „Ist dies nicht schon ein kleiner
Beweis Seiner Fülle? Dieses Brot und dieser Wein entsprechen Seiner Liebe und
Seiner Wahrheit, die beim Austeilen nie weniger werden!
Meine Brüder und Schwestern! Lasset eure Herzen sprechen zu allen Armen und
Heimatlosen! Lasset sie erleben, wie glücklich es macht, so wir Handlanger und
Verwalter Seiner Gnaden-Güter sein dürfen! Denn nur dort wird der Herr und
heilige Vater Wohnung nehmen, wo ganz im Sinne Seiner Liebe gehandelt wird! So
nehmet hin den Segen aus Seinem Geiste zu eurem und der Anderen Heile! Amen."
Nun sprach der Priester: „Amen, sagen auch wir hier! Da wir uns glücklich
preisen können, dass diese heilige Liebe uns mahnen lässt, nicht nachzulassen im
Dienste für die Brüder! Und so wollen wir danken und geloben: Du guter Gott,
unser liebevoller Vater! Wir, als Deine noch unvollkommenen Kinder, erkennen
Deine Liebe, Gnade und Erbarmung! Wir wollen uns nur noch vom Geiste Deiner
seligmachenden Liebe leiten lassen, da wir nun endlich erfahren haben, dass wir
ohne Deine Zustimmung und Beihilfe nichts Rechtes ausführen können! Stärke Du
uns alle, und mache uns würdig, dass niemand Enttäuschung durch uns erlebe! O
komme, Du herrlicher und gnadenvoller Vater, auch zu uns! Wir sehnen uns danach,
Dich in unserer Mitte zu haben, und betrachten es als das grösste Glück, so Du
Einkehr bei uns halten willst! Doch geschehe Dein allein heiliger Wille. Amen!
Ihr aber, uns noch fremde Brüder, nehmet auch von mir den Segen, damit euer Herz
ganz frei von Sorgen werde!"
Lieblicher Gesang ertönte, und Alle stimmten mit ein in das Loblied zur Ehre
Gottes! Inzwischen ging der Priester hin zu den Fremden, ergriff nochmals die
Hand des Führers und sprach: „Bruder, wenn ich Dich und die Deinen nochmals
herzlich begrüsse, so geschieht es darum, weil mein Herz mich dazu drängt. Ihr
habet die Worte der Liebe, die Worte des Lebens gehört und habt von unsern
geweihten Gaben genossen, die Seiner Liebe und Wahrheit entsprechen.
Danket dem Bruder dort, der keinen Unterschied machte zwischen euch und den
Meinen; und darum: bleibet bei uns! Für Unterkunft und Unterhalt wird gesorgt
werden. Doch dich frage ich nochmals herzlichst: Wollet ihr alle in unsere
Gemeinschaft eintreten, und wollet ihr euch unseren Anordnungen unterordnen? Ich
habe die Pflicht und die Verantwortung für alles Geschehen - und das Wohlergehen
meiner Pfleglinge liegt mir sehr am Herzen."
Antwortete der Führer der Fremden: „Habe innig Dank für deine lieben Worte und
für die Einladung, die meinem Herzen so überaus wohl tut. Was liegt an mir? —
Nichts. Aber das Wohl dieser Armen liegt mir am Herzen, die infolge falscher,
verkehrter Erziehung noch nichts für ihr Seelenheil tun konnten! Ihre Not hat
sie demütig und dann dankbar gemacht, und darum bitte ich für sie, weil ich
dieselben liebgewonnen habe."
„Und Du?" fragte der Priester, „willst du allein weiterziehen in fremde Fernen?
Bleibe auch du bei uns! Wir werden dich, wie auch die anderen, bald liebgewinnen."
„Gerne würde ich bei euch bleiben", antwortete der Führer, „aber mit innerer
Gewalt zieht es mich fort zu den vielen anderen Armen und Verlassenen. Was
wisset ihr von Not und Elend? Was wisset ihr von denen, die keine Heimat und
keinen Gott und keinen Helfer kennen? Mein Herz müsste vor Weh zerspringen, so
ich mich hier bei euch wohlfühlen könnte und doch wüsste: Andere sind in
Verzweiflung."
Es scharten sich bei dieser Unterhaltung Viele um die Beiden und hörten diese
Worte, die bis in ihr innerstes Herz drangen. Da trat ein Bruder hin zu dem
Fremden, erfasste dessen Rechte und sprach erregt: „Deine Worte sind wie flüssig
Erz und verbrannten alles in mir, was mich bisher so froh machte. Du willst
weiter nach Unglücklichen suchen? O nimm mich mit, sonst müsste ich unglücklich
werden, denn deine Worte waren wie Hammerschläge, die an meine Seele klopften,
und nie werde ich dieselben vergessen können, denn sie zeigten mir ja, wie tot
und gefühllos meine Seele noch ist! Du aber lebst! Deine Seele ist voll Leben!
So lass mich mit dir gehen und mit dir leben, damit auch ich zum Leben erwache!"
Sprach der Fremde: „Gabiel, bleibe du hier! Es ist schon genug, so nur einer
unter euch den Geist erfasst hat, dessen Wesen Mein ganzes Ich lebendig macht!
Ein einziger nur, und doch genug, um dieses neue Leben in den Anderen zu
erwecken!"
„Wer bist du, Fremdling? Du kennst meinen Namen, und wir sehen uns doch zum
ersten Male!" rief Gabiel erstaunt, „Folglich bist du kein Fremder, sondern nur
ein uns noch Unbekannter!"
„Gabiel! Ich kenne die Meinen! und offen liegt vor Mir ihr Herz! Darum frage
nicht weiter, sondern schaue auch du in Mein Herz, welches für die Meinen immer
offen ist!"
Hier stutzte Gabiel, schaute auf den Fremden, dann auf seinen Vater, den alten
Priester, und sprach langsam: „Vater, ich weiss jetzt, warum der Fremdling, dem
du Heimat angeboten hast, nicht bei uns bleiben will: In Seinem Herzen lebt
etwas, das uns allen noch fremd ist!"
Dann, zu dem Führer gewendet, sprach er tief bewegt weiter: „Du aber bist mir
nun kein Fremder mehr! Denn Du wecktest meine schlummernde Sehnsucht und bringst
mir zugleich Erfüllung. Lasse mich Deine Füsse umklammern und zu Deinen Füssen
Treue geloben und den lebendigsten Eifer für Dein Werk! Denn Du bist der Herr,
unser Gott, unser Schöpfer und Erhalter!"
Hier weinte Gabiel, er konnte nicht weitersprechen, sein ganzes Inneres war zu
stark erregt. Da bückte sich der Herr, hob Gabiel empor und sprach sanft: „Gabiel!
Bleibe im Herzen stets so voll Demut, dann ist dein Platz nicht zu Meinen
Füssen, sondern an Meiner Brust! Und sei versichert: du wirst erfüllt werden von
demselben Leben, das Ich lebe! Wer Mir in der dienenden Liebe treu ergeben ist,
erfüllt alle Bedingungen, die da nötig sind, um segensvoll zu wirken aus Meinem
Geiste.
So nimm hin Mein Wort! Es sei der Leit-Stern für dein ferneres Leben und lautet:
Bleibe treu Mir, deinem Herrn, dann bist du treu auch all den Deinen, die Ich
dann auch Mein nennen möchte! Und merke dir für alle Zeiten: Nur was die Liebe
in dir vollbringt, ist geweiht für das ewige Sein und Leben! Und was die Liebe
gewonnen, bleibt dir für immer als eigen. So nimm Meinen Segen und bleibe
eingedenk Meiner Worte — Amen."
Wie Schuppen fiel es dem alten Priester von den Augen, auch er kniete nieder und
sprach bewegt: „Herr! Dein Diener bittet um Verzeihung, dass er Dich nicht
gleich erkannt und Dir nicht mit der gebührenden Hochachtung entgegengekommen
ist, ja Dich sogar behandelt hat wie einen Fremden. Nun ich Dich aber erkenne,
bitte ich Dich, Herr, sage mir, was soll ich tun, um Deine Verzeihung zu
erlangen, und um mich Deiner Gnade würdig zu machen?"
„Stehe auf!", antwortete ihm der Herr, „es genügt, so du im Herzen demütig bist
und Meine Worte in deinem Herzen zu einem Feuerbrand auflodern lässt, damit alle
deine Schwestern und Brüder in dir Meinen Knecht und Diener sehen. Und deine
Treue will Ich lohnen wie ein Herr und Fürst!
Denen aber, die aus Meinem Erlöser-Geiste in Liebe zu ihren Mitmenschen
erstehen, will Ich ein Helfer und Berater, ein Vater und Bruder sein. Ihr
Inneres soll Mein Ich verklären und Mein Leben verherrlichen, welches aller
Schöpfung Grund und Erhaltung ist! Nun du und ihr alle vernommen habt die Worte
aus Meinem Munde: handelt danach, dann werdet Ihr inne werden, dass Ich der Herr
und euer Gott bin!
Stosset euch nicht an Meinem Aussehen, denn es entspricht ja dem Zustand jener
Armen und eurer Erkenntnis, die ihr vom ewigen Leben habt! Nur wer Meine
Sehnsucht kennt, kann auch Meinen Geist der Liebe erfassen und sucht Meine
Sehnsucht zu erfüllen! Diese Erfüllung bewirkt erst wahres Leben, ist Verklärung
und Erschliessung des Aller-Heiligsten in euch. Fraget nun nicht weiter, denn
nur Mein Geist kann euch dieses Leben aus Mir offenbaren. Mein Frieden und Mein
Segen wird euer Teil sein, je nach dem Masse eures ernsten Wollens und Tuns!
Amen."
Mit segnend erhobenen Händen wollte sich der Herr entfernen, da aber kam Leben
in alle, sie umdrängten Ihn und baten laut: „Bleibe bei uns! Bleibe hier! Wir
brauchen Dich nötiger als Speise und Trank, denn nun wissen wir: nur Du hast uns
bisher gefehlt." Da sprach der Herr gütig: „Kindlein, noch ist es zu frühe, und
für euer ewiges Glück wäre es nicht ratsam, so Ich mit Meiner Persönlichkeit bei
euch bleiben würde. Lasst Mich erst in euch eure ganze Liebe erleben, dann komme
Ich wieder, aber in Pracht und Herrlichkeit, die eurer Liebe zu Mir entsprechen
wird! Im Geiste bin ich stets bei euch, und werde nicht aufhören, euch zu mahnen
und zu drängen: zu lieben, zu dulden und zu dienen, damit sie alle erfahren: Ich
bin bei euch und unter euch!"
Leer war der Platz, wo der Herr gestanden!
Der Priester war bekümmert und sprach zu Philippus: „Bruder, nun gibt es nur
noch einen Ausweg: Du musst uns beraten, was eigentlich nun zu tun nötig ist!
Denn es war doch kein Traum, sondern Wirklichkeit: der Herr Selbst ist bei uns
gewesen!"
Philippus antwortete tröstend: „Bruder, und ihr alle, hört: Der Herr ist euch
entgegengekommen und hat alles bestätigt, was ich zuvor sagte. Es ist keiner von
euch ausgeschlossen, nun von den Gnaden-Mitteln Gebrauch zu machen, die euch
allen in Seiner Liebe und Gnade gereicht wurden.
Dass ihr Ihn als Armen gesehen habt, darf euch nicht unglücklich machen, denn in
eurer Vorstellung war ja der Herr wirklich ein Armer! Und warum? Weil die wahre
Liebe euch noch etwas Fremdes und Unbekanntes ist.
Nun wisset ihr alle aus Seinem eigenen Munde, dass nur da das wahre Leben sich
offenbaren kann, wo aus Seinem herrlichen Liebe-Geiste gewirkt wird. Nur durch
euer Tun sollt ihr den Beweis erbringen, dass ihr Kinder und Seine würdigen
Nachfolger geworden seid. Er, der liebevollste und beste Vater hat euch gedungen
in Seinen Weinberg und gab Verheissungen herrlicher Art. Wie die Arbeit, so der
Lohn! Wie die Aussaat, so die Ernte! Seid dankbar der grossen Gnade, die euch
widerfuhr. Sie verpflichtet uns aber wiederum, dem nun erkannten Herrn, Vater
und Gott treueste Nachfolge zu leisten. Dann wird Er wiederkommen, wird das Werk
eurer freien Liebe krönen und wird euch mehr und mehr erfüllen mit Kraft und
unzerstörbarem Herzens-Frieden.
Nun wollen wir scheiden von euch, da die Zeit abgelaufen ist, die wir bei euch
verweilen durften. Es war Gnade, nur Gnade! Erkennt auch ihr es als Gnade, denn
wir sind noch Bewohner jener Erde, auf der der Herr Selbst als Mensch neue Wege,
neue Mittel schuf, damit alle Menschen sich diese Kindschaft erringen können,
die nötig ist, um wahrhaft glücklich zu sein!
Sein Werk scheint wohl beendet, doch Sein ,Es ist vollbracht' ist noch lange
nicht unser Leben! Aber Er stellte uns auf einen Platz, wo auch wir Seinen Geist
der selbstlosen Liebe erkennen und erleben können, der uns lehret: Lebet in
Meinem Sinne und offenbaret allen Meinen Erlöser-Willen, der immer mehr in euch
Platz greifen wird! Dann löset ihr euer Versprechen ein, und aus euch wird ein
Leben voller Freude und Harmonie leuchten! Des Herrn Segen und Sein heiliger
Frieden sei mit euch!"
VI. Vom Geheimnis der
Mensch-Werdung Gottes.
Als Beide aus ihrem geistigen Zustand erwachten, fragte Themann erstaunt:
„Bruder, sage mir, hast du auch bei hellem Tage so geträumt wie ich? Es ist mir
so unbegreiflich, was ich in diesem Traum erlebte!"
„Bruder", antwortete Philippus, „geträumt hast du wie ich, keine Minute. Wisse:
wir Beide wurden in eine geistige Sphäre versetzt, die es unserer Seele
ermöglichte, Gnaden-Vorgänge in einer anderen Welt zu erleben, wie es nur
wenigen erlaubt ist. Dies geschah jedoch nur um deinetwillen, damit deine
Begriffe über den Herrn etwas Klares und Bewusstes würden; denn dein fernes Land
und deine dortigen Brüder und Schwestern werden nur nach deinem Erkennen und
deinen Begriffen sich das Gottes-Leben aneignen können. Viel gab dir der Herr
dadurch zur Verwaltung, aber noch mehr, und Heiliges wird dir anvertraut, indem
Er dir die Entwicklung der werdenden Gottes-Kinder ans Herz legt.
Lebe dich hinein in ihre noch irdische Liebe, und du wirst zum zweiten Male den
Herrn als armen Verlangenden erleben. Nichts sei dir heiliger, als das Verlangen
deiner Brüder nach Wahrheit zu stillen! Und nichts sei dir grösser als das, was
du ihnen aus deiner Herzens-Liebe reichen kannst! Was du aber reichen willst,
lass dir zuvor in reichstem Masse von dem Herrn selber spenden. So bist du nur
Verwalter und Willens-Vollstrecker Dessen, der dich liebt und auserkoren hat zu
solchem Dienst. Selig kannst du sein, dieweil dein Verlangen dich an diese
Quelle führte! Oh, werde nun selber zu einer Quelle, die nie versiegt. Werde zu
einem Heils- und Segens-Bringer für deine Brüder, und werde zu einem Abbild
Dessen, der lieber auf Sein eigenes Leben verzichtete, um der verirrten
Menschheit zu helfen zum wahren Leben!"
Themann ergriff die Hände des Philippus und sprach: „Mein Bruder! Nun hat mich
das Leben schon erfasst! Ich fühle es lebendig: deine Worte sind nicht aus dir,
sondern aus Gott zu mir gesprochen! Es bedarf nun keiner Beweise mehr, ich bin
bereit, Gott, als dem Herrn in Jesum, mein ganzes Leben zu weihen. Wo eine Liebe
sich in solcher Weise offenbart; wahrlich: da ist es uns leicht gemacht, sich zu
ihr zu bekennen! Es gilt nur noch zu fragen: Kann und werde ich auch jederzeit
die rechte Kraft und Ausdauer dazu haben? Denn mir ist, als wenn es noch grosse
Widerstände zu beseitigen gäbe.
Eins ist mir gewiss: Wer in dem Geiste dieser Jesus-Liebe leben will, kann mit
diesen materiellen Weltanschauungen nicht mehr in Harmonie leben! Es wird ein
Abweichen und eine Abkehr kommen müssen, weil die Welt und ihre Anhänger sich
bewusst vom Göttlichen trennen.
War Jesu Opfer-Tod ein freiwilliger, dann kostete es Ihn gewaltigen Kampf, denn
die Ihn töteten, waren Vertreter und Anhänger der Welt. War aber Jesu Opferung,
wie ich aus der Schrift annehme, ein von Gott Gewolltes, dann, Bruder, war noch
grössere Kraft dazu vonnöten, da es ein Akt des Gehorsams war."
„Mein Bruder", sprach Philippus, „du hast den Sinn erfasst, bist aber vom
innersten Leben noch nicht ergriffen! Denn siehe: Jesus ist Gott! Von Ewigkeit
zu Ewigkeit! Darum konnte Sein grosses Opfer kein diktiertes, sondern nur ein
freiwilliges sein. Als die geistige Nacht in der Menschheit am finstersten, und
die Macht des Fürsten dieser Welt fast unzerbrechlich schien, da fand Gott die
Zeit für gekommen, der Welt ein neues Licht zu schenken. Er umkleidete Sich mit
der Hülle eines Menschen, um dadurch zu ihrem Erlöser zu werden. Aber nicht mit
Mitteln, die von aussen kommen, sondern mit den Kräften Seiner Liebe, die in
Seiner Brust, wie in jedem Menschen, auf Entwicklung harrten, musste Sein
grosses, gewaltiges Erlösungs-Werk geboren werden, und musste von einem Geiste
getragen sein, den die Erde und ihre Bewohner noch nicht kannten.
Wenn du denkst, dies alles musste so geschehen, damit die Schrift erfüllt werde,
so musst du aber auch bedenken, dass derjenige, der uns diese Verheissungen
einst gab, auch zugleich Derjenige ist, der dieses Opfer bringen wollte!
Jesus als Mensch war sich voll und ganz Seiner Aufgabe und Mission bewusst,
musste aber, um unseres Heiles willen, auf alle jene Kräfte verzichten, die aus
Seiner Allmacht stammten. Es ist Ihm gelungen, das Licht der Wahrheit über die
Liebe Gottes zu uns Menschen aufleuchten zu lassen. Unzerstörbar bleiben die
Tatsachen um das Geschehen auf Golgatha! Die erbarmende Liebe Gottes zu allen
Verirrten und Gefangenen ist aber mit diesem Opfer nicht am Ende, sondern ist
für uns nur ein Anfang, der uns noch viel Grösseres in Aussicht stellt! Denn
alle sind nun berufen, Träger dieses neuen Lichtes zu werden, und mitzuwirken am
ewigen Bau Seines Gottes-Reiches im Menschen, indem diese Licht-Kräfte die Nacht
unserer weltlichen Gesinnungen beleuchten und Überwinder-Kräfte gegen alle
Versuchungen in uns erstehen lassen!"
Philippus schwieg, da sprach Themann: „Siehe, Bruder, dort ist ein Wasser, was
hindert uns, dass ich mich taufen liesse?"
Freundlich antwortete Philippus: „So du wahrhaft glaubst, so mag es wohl
geschehen. Bedenke aber, dass du dann für alle Zeit dieses dein Bekenntnis
aufrechterhalten musst, denn an wen du glaubst, dem bist du zur Treue
verpflichtet!"
„Es sei so, wie du sprichst!" entgegnete Themann, „nun glaube ich mit ganzem
Herzen an Jesus, der als Gott und Mensch Sein Leben einsetzte, um auch mich zu
gewinnen, und dass ich durch Seine Gnaden-Führung Seine Liebe und Sein Erbarmen
erleben durfte! Da ich in das Reich Seines wahren Seins hineinschauen durfte,
ist es mir, als könnte ich Ihm nie mehr untreu werden. Ja ich fühle, durch die
Verbindung mit dem Herrn darf ich immer noch tiefer hineindringen in das Wesen
Seiner grossen erbarmenden Liebe!"
„Wenn es dein Herz verlangt und du Ihm in deiner Liebe einen Beweis von
Gegenliebe schenken willst, so will ich dich gern taufen zur Aufnahme in die
Gemeinschaft mit Jesus! Meine Liebe zu dir möchte dir aber noch etwas dazu geben
als ein Segnen aus dem Grunde meines Herzens. Trage immer das Bewusstsein in
dir: Alles, was du bist, und was du wirken darfst, ist dir geworden durch Jesum
Christum, den Herrn! Möge Sein Wesen dich stets mehr erfüllen, damit du ein
wahrer Zeuge und ein eifriger Bekenner Seiner heiligen Lebens-Lehre wirst! Möge
Sein Geist in dir das Licht und die Kraft sein, damit du kämpfen und dich
durchringen kannst, bis Sein heiliger Friede dein Teil geworden ist!"
Nun taufte Philippus den Kämmerer, segnete ihn dann nochmals und verschwand
durch die Wunder-wirkende Kraft und Macht des Herrn und wurde in Asdod wirkend
vorgefunden.
VII. Themann als Werkzeug des
Herrn.
Themann war allein. Es wunderte ihn nichts mehr, denn das eben Erlebte machte
sein Herz so froh und frei, dass er jubelnd weit die Arme ausbreitete und aus
der Tiefe seines Herzens rief: „Herr und Heiland Jesus! Lass mich werden wie
Du!"
Dann zog er fröhlich seine Strasse weiter, denn noch fern war sein Ziel; doch in
diesem Alleinsein wollte er sich recht in das Wesen der Gottes- und
Erlöser-Liebe vertiefen, die ihn, den Sohn fremder Rasse, auserwählt hatte zu
solch grossem Glück. Dabei zog durch sein Gedankenleben die Erinnerung an seine
Heimat, wo er als Kind gelebt, als Mann gewirkt und geschafft hatte, und ein
grosses Erbarmen kam über ihn für sein Volk, das noch nichts von einem Gott der
Liebe wusste und von solchem Glück, das dieser Gott zu geben vermag. Er sprach
zu sich: „War ich denn blind in der ganzen Zeit, dass ich von diesem Elend
nichts merkte? Was ist Gold, Reichtum und Macht gegen das Heilige, das mir heute
geschenkt wurde. O Gott! Du Guter! Hilf mir, meinen Brüdern ein Helfer zu
werden!"
Da hob in ihm ein Singen, ein Klingen an und alles erstrahlte um ihn in hellem
Licht. Er dankte und lobte Gott und lebte im Geiste dort, wo Jesus als Mensch
gelebt hatte, und achtete dabei nicht auf den Weg. Plötzlich erschrak er, denn
um ihn bellten Hunde; er schaute sich um und musste gewahr werden, dass er von
der rechten Strasse abgewichen war. Wie von unsichtbaren Händen geführt, ging
das Pferd ruhigen Schrittes weiter, aber auch Themann blieb ruhig, denn wo Hunde
sind, ist der Mensch nicht fern.
So schaute er sich um, seine scharfen Augen sahen in weiter Ferne eine Karawane
lagern, und er lenkte seinen Wagen dahin. Als er sie erreichte, wurde er nicht
wie üblich herzlich willkommen geheissen, sondern kurz gebeten, in das Zelt des
Führers einzutreten. Es waren Griechen; für das Pferd wurde gesorgt, und Themann
hatte Zeit, sich umzusehen. Es gefiel ihm hier nicht, doch sein Ziel, Gaza, wo
seine Diener ihn schon erwarteten, war weit entfernt, und so war er gezwungen,
die Gastfreundschaft vorläufig anzunehmen. Das Lager bestand aus 15 Wagen mit
Zelten bedeckt; sie standen in einem Kreise, in dessen Mitte ein Feuer brannte,
worauf Kessel brodelten. Die Maultiere und Pferde waren zusammengekoppelt und
lagen zum Teil schon auf dem Erdboden.
Nun kam der Führer, ein grosser älterer, hagerer Mann, dem Aussehen nach ein
Araber. Er grüsste seinen Gast und bat um Entschuldigung für das kurze Benehmen
seiner Leute. „Es ist ein Unglückstag heute", sprach er weiter, „zwei meiner
besten Leute liegen im Fieber, und von den Leuten, die ich zu transportieren
habe, sind die Hälfte auch krank geworden; eine Folge des schlechten Wassers und
der übergrossen Hitze."
Sprach Themann: „Die Schuld wird wohl weniger am Wasser und der Hitze liegen,
sondern an der übergrossen Eile, mit der dieser Transport betrieben wurde. Ich
sehe es deinen Tieren an, wie müde und gehetzt sie sind, und Ruhe ist ihnen
lieber als Futter. Magst du dir nicht gutes Wasser besorgen? Eine halbe
Tagesreise von hier fand ich solches. Lasse dir davon holen, und du bleibst vor
noch grösserem Schaden bewahrt!"
„Darf ich fragen, woher und wohin?" fragte der Führer ablenkend. „Mein Ziel ist
Gaza. Ich habe leider die Strasse verfehlt und erhoffe von dir den rechten
Aufschluss", antwortete Themann.
Sprach der Karawanenführer: „Dein Ziel liegt genau südwest, und ein Irregehen
ist ausgeschlossen; mein Ziel aber bleibt Geheimnis, da ich mich meinem
Auftraggeber verpflichtet habe!"
Ein Grieche brachte heisses Getränk und beide labten sich. Themann aber wurde
unruhig, in seinem Innern arbeitete es, und ein Gefühl sagte ihm: „Sei auf der
Hut, aber fürchte dich nicht!"
Schweigend leerten sie ihre Gefässe, da kam eilend ein Bote und verlangte den
Führer zu den Erkrankten. Themann sah den Araber an und fragte: „Darf ich
mitkommen? Ich nehme grossen Anteil an eurem Geschick."
„Meinetwegen", war die Antwort, „aber ich übernehme keine Verantwortung."
So eilten beide zu den Kranken, und Themann war erschüttert über das, was er
hier sah! Es waren Juden! Männer und Weiber hockten zusammen und waren sichtlich
bemüht, die Leiden ihrer Genossen zu lindern, aber das Notwendigste fehlte —
frisches Wasser! Die Kranken stöhnten und verlangten nach Wasser — Wasser! Rasch
ging er nach seinem Wagen, auf dem noch einige Schläuche mit Wasser lagen. Als
er sie aber herausnehmen wollte, waren sie nicht mehr da! Er ging hin zum Führer
und sprach: „Unangenehmes muss ich dir sagen. Deine Leute haben sich an meinem
Eigentum vergriffen, meine Wasserschläuche fehlen! Durstige wollte ich tränken,
da merkte ich meinen Verlust."
„Deine Schläuche werden dir wieder zugestellt, wenn auch ohne Wasser, aber die
Not und der Mangel an Wasser liess meine Leute alle guten Sitten vergessen. Ich
bitte um Verzeihung für sie."
„Schon gut", antwortete Themann, „aber deswegen erhalten die Kranken doch nichts
zu trinken, du musst dir auf alle Fälle frisches Wasser verschaffen."
„Der Juden wegen nicht", sprach der Anführer, „denn sie sind Todgeweihte! Es
sind Nazarener, die jedes Anrecht auf Anteilnahme verloren haben."
„Warum? Erkläre dich deutlicher", forderte Themann, „mir ist dies alles so
fremd. War ich doch selbst in Jerusalem anbeten und habe gerade heute
Übergrosses erlebt und nun dieser Gegensatz! Was haben diese Menschen
verbrochen, wenn sie in deinen Augen schon Todgeweihte sind?"
„Verbrochen? Nichts! Nur dass sie an den Nazarener, den Gekreuzigten, glauben."
„So, mein Freund?", fragte Themann erstaunt, „weil sie an Den glauben, der die
höchste Liebe ist? Und weil ihr Herz sie drängt, sich zu Dem zu bekennen, der
ihre Sünden und Missetaten auf Sich nahm und Sein Leben als Sühne hingab für
begangene Schuld, müssen diese Leute mit dem Tode büssen? Dazu seine Hand zu
reichen, ist eines ehrlichen Mannes unwürdig! Gib mir diese Leute, ich will sie
mitnehmen in mein Vaterland und will ihnen Arbeit und Brot geben. Meine Herrin
wird keinen zurückweisen."
Da lächelte der Araber höhnisch und sprach: „Freund! kümmere dich lieber nicht
um diese, und behalte es für dich, dass du auch zu denen gehörst, die solchem
Glauben angehören. Reise ruhig weiter, keinen deiner Schritte will ich bewachen
oder verfolgen; denn mir kann es ja gleich sein, an wen ihr glaubt. Aber lasse
diese Leute in Ruhe, und kümmere dich nicht mehr um Dinge, die nur mich
angehen!"
„Du irrst", sprach Themann erregt, „kranken, hilflosen Menschen zu helfen, ist
Pflicht, und wäre es selbst der schlimmste Feind! Nur ein Tyrann bringt es
fertig, achtlos an Leidenden vorüberzugehen!"
„Wie willst du helfen ohne Mittel?", fragte kalt der Araber, „sei froh, dass
dich nicht gleiches Schicksal getroffen hat! Nur um des Lohnes willen übernahm
ich dieses Geschäft und habe jetzt diese Unannehmlichkeiten."
Themann aber schaute den Araber fest an und sprach: „Mein Freund, doch nur
unangenehm für den, der kein Herz hat. Wie gerne möchte ich helfen, wenn ich
könnte!"
„So versuche es doch! — mich brauchst du deswegen nicht zu bitten! Gehe doch zu
deinem Nazarener", entgegnete spöttelnd der Araber. „Feige Memmen sind es,
lassen sich lieber paarweise in den Tod treiben, als sich zu wehren."
Themann war unruhig geworden, das Verhalten des Arabers stiess ihn ab, er wusste
aber auch nicht, wie er den vielen Kranken helfen könnte, denn es fehlte eben an
Wasser. Vor Stunden noch trat er ins Wasser und wurde getauft, es erschien ihm
als grösstes Glück. Jetzt aber nur einige Schläuche voll davon zu haben für die
Kranken, wäre ihm noch grösseres Glück.
Er erinnerte sich all des Geschehens um Jesus, und immer klarer wurden ihm alle
die Worte des Philippus. Scharf sah er den Araber an und atmete tief. Jetzt
hatte er die rechte Ruhe in sich gefunden, und so ging er an ihm vorüber — hin
zu den kranken Nazarenern, denn die Not der Anderen war seine Not geworden. So
lauschte er ihren Worten, die ihm das Herz schwer und die Augen feucht machten,
und hörte, wie ein Weib zu einem Manne sprach: „Du hast bestimmt mehr von dem
Heiland Jesus erwartet, sonst würdest du nicht solch ein trauriges Gesicht
machen! Bedenkst du aber nicht, dass es doch dein eigenes Verhalten war, dass du
hier bei den Schergen bist."
„Ist es anders bei dir?" antwortete müde der Mann, „was willst du noch erhoffen?
— uns kann nur noch der Tod Erlöser sein!"
„Mitnichten!", sprach das Weib kühn, „ich glaube, hoffe und vertraue! Kann auch
der Herr und Meister nicht Selbst zu uns kommen, so hat er doch Engel, Menschen
und Diener in reicher Zahl! Ich bin überzeugt, dass es nie Sein Wille sein kann,
dass wir hier so leiden und sterben. Es ist genug, dass Er für uns litt! Dieser
Zustand jetzt ist nur Prüfung für uns."
Themann trat näher, grüsste mit der rechten Hand und sprach: „Bleibe bei deinem
Glauben! Deine Worte geben auch mir wieder die rechte Festigkeit. Ich fühle es
lebendig und klar in mir, dass der Herr und ewige Gott nur da helfen kann, wo
rechter Glaube und wahre Zuversicht Seine Hilfe erwartet! Seit heute erst kenne
ich den Herrn durch einen Seiner Boten und will mein ganzes Leben Ihm weihen!
Alle Geschichten, die ich fast als Märchen von Ihm vernahm, sind mir nun
Wahrheit und Wirklichkeit. Ja! Ich glaube an Seine Liebe und an Seine Kraft, und
aus diesem Glauben heraus sage ich zu euch Leidenden: Seid heil und gesund! —
durch die Kraft und Liebe Jesu! Seid gesund, damit ihr Seinen heiligen Willen
erfüllen könnt!"
Die am Boden Hockenden standen langsam auf und fragten erstaunt: „Wer bist du,
dass du so reden kannst in solcher Kraft und Herrlichkeit? Uns ist so wohl
geworden! Ja — wahrlich, der Herr hat uns geholfen!"
Tief ergriffen sprach Themann: „Verzaget auch weiterhin nicht, so ihr auch
glaubet, am Ende zu sein! Der Gott der Kraft und Liebe, der Selbst mit dem Tode
und Verderben rang — hat ja gesiegt und uns und allen Menschen Seinen Heiligen
Geist hinterlassen, damit wir lebendig und voll Seines Geistes werden. Nun hat
Seine Kraft das Wunder vollbracht! So lasset uns Ihm danken mit ganzer Hingabe
und in rechter Treue!" Er konnte nicht weiterreden — denn der Araber stand neben
ihm und fragte hoch erstaunt: „Was hast du hier getan? Ich sehe keine Sterbenden
und Leidenden mehr! Wer bist du eigentlich? Kommst als Hilfesuchender — und
hilfst den Todgeweihten. Der Tempelrat wird rechte Freude haben, so ich dies
berichte."
Hiezu sprach Themann ernst: „Höre mich an! Der Tempel wird nichts erfahren von
diesem Vorgang. Alle diese nehme ich mit in meine Heimat. Du aber ziehe deine
Strasse und suche dir ein anderes Geschäft. Oder willst du, dass auch du krank
am Wege liegenbleibst? In deinem eigenen Interesse bitte ich dich: Versuche Gott
nicht noch mehr! Diesen armen Gefangenen, denen ihr Glaube das Höchste und
Heiligste war, konnte Gott helfen! Siehe zu, wie du vor deinem eigenen Gewissen
bestehen kannst, denn du gabst deinen Willen und deine Hände den Feinden Gottes.
Mich kannst du nicht mehr hindern, das Werk edler Nächstenliebe zu vollbringen,
weil hinter diesem meinem Wollen eben der auferstandene Jesus Christus steht."
Als der Araber etwas erwidern wollte, kam wiederum ein Bote: „Schaba! komm
eilend, ehe deine Leute sterben, ihre Leiden sind schrecklich anzusehen!"
Ohne ein Wort zu sagen, ging Themann dem Araber nach, blieb aber vor dem Zelt
stehen, in das derselbe eingetreten war, und hörte noch, wie er sagte: „Hier ist
alle Hilfe vergebens!" Da konnte Themann nicht anders, er trat in das Zelt und
sah, wie der Tod sich anschickte, das Leben beider Kranken auszulöschen.
Schaba sah den Themann an — und wie nach einem inneren Kampf fragte er langsam:
„Kannst du auch denen da helfen?"
„Nein", antwortete Themann, „weil ich den armen Nazarenern auch nicht geholfen
habe — Christus war ihr Helfer! Nur wo der rechte Glaube mit dem rechten Wollen
sich eint, kann Er der grosse Helfer sein. Ihr aber seid Feinde dieses grössten
Menschen-Freundes, darum kann Seine helfende Liebe euch nicht dienen!"
„Wir sind keine Feinde des Nazareners, sondern nur bezahlte Knechte des Tempels,
und wussten nicht, dass, wer den Auftrag des Tempelrates ausführt, sich die
Feindschaft des Gekreuzigten zuzieht."
„Jesus ist deswegen nicht euer Feind", antwortete Themann, „aber ihr seid in die
Reihen seiner Feinde getreten. Wenn ihr nun wieder ein ehrliches Geschäft
betreibt, und von allem Bösen euch abwendet, wird Gott euch wieder gnädig sein
und grösseres Unheil abwenden. Denn jetzt sind nicht mehr eure Gefangenen die
Todgeweihten, sondern ihr, weil ihr das Gift der Vernichtung in euch traget."
Das machte den Araber nachdenkend — dann trat er an einen der Sterbenden heran
und sagte still: „Also bin ich, um elenden Geldes willen, euer Mörder! Es
geschähe mir recht, so mich ein gleiches Los träfe!" Dann sich zu Themann
wendend: „Bitte deinen Gott, auch meinen Leuten zu helfen, die nur elend durch
mich geworden sind. Ich sehe nun meine Schuld und will sie sühnen."
„Magst du dir keine Mühe geben, diesen herrlichen Gott selber kennenzulernen,
der helfend und liebend allen suchenden und bittenden Menschen entgegenkommt?"
fragte Themann gütig. „Um dir einen rechten Begriff Seiner tiefen Erlöser-Liebe
zu geben, sage ich dir aus einem inneren Drängen heraus: Deinen Leuten ist
geholfen! — Der Tod hat keine Macht mehr über sie! Aber gesund können sie erst
werden, so sie selber sich bekennen wollen zu Dem, der Hilfe und Rettung ist!"
So verliess Themann das Zelt und ging wieder zu den Geheilten, welche ihn
freudig umringten. Er ermahnte sie aber: „Seid stille und dankbar dem treuen
Gott! Doch lasset in euren Herzen Bitten und Flehen erstehen für eure Feinde,
die es nun nicht mehr sind, damit sie eure Brüder werden. Das ist der einzige
Dank an Gott, den Er erhofft für die Hilfe, die Er euch schenkte. Euer Danken
soll sein, dass ihr für die verlorenen Brüder betet. Jedes Schmähwort, jede
lieblose Handlung an euch muss zu einem Ansporn werden, ihnen das Beste und
Heiligste zu geben: eure Liebe und euer selbstloses Dienen! Auch in eurem
ferneren Leben in meinem Heimatlande traget diesen Geist in die Herzen aller
derer, die euch umgeben. Und Jesus, der Heiland und Erlöser, wird helfend und
erlösend unter euch wirken. Nun lasst uns in Ruhe und Stille den Abend
verbringen, um uns in dem Bewusstsein zu stärken: Gott braucht uns! Dann dringen
wir ein in Seinen Liebe-Willen, und Er wird Sich uns allen herrlich offenbaren!
Du aber, du grosser Gott und liebster Heiland und Erlöser, entzünde das Feuer
Deiner Liebe in unseren Herzen! Amen!"
Stille folgte — alle Herzen wurden froher, und ein einziger stummer Dank flammte
empor zum Gottes-Herzen. So wurde hier in dieser Stunde eine neue Gemeinde
gegründet, die nur den einen Dienst sich gelobte: helfen und dienen zum Erlösen!
Doch nun kam der Araber zu Themann, sagend: „Freund, ich brauche dich, denn ich
weiss mir keinen Rat mehr. Deine Worte sind wie scharfe Messer, die schneiden,
aber nicht verwunden. Komm mit in mein Zelt, du findest in mir jetzt einen
anderen wie vor Stunden. Meinen Leuten geht es bedeutend besser dank deiner
Liebe. Hilf auch mir, da ich einsehe, wie falsch und verkehrt mein Handeln und
Tun bisher gewesen ist!"
„Es mag geschehen!", antwortete Themann. „Denke aber nicht, dass ich ohne
weiteres deinen Worten den Glauben beimesse, der da nötig ist, um wahrhaftig zu
helfen. Denn nochmals sage ich dir: nicht ich bin es, der helfen wird, sondern
ich bin nur das Werkzeug der Erlöser-Liebe. Willst du aber rechte Um- und
Einkehr halten, dann folge ich dir gerne in dein Zelt."
„Komme nur", bat der Araber, „denn jetzt fühle ich mich mehr denn je
verantwortlich für meine Leute und Tiere." So gingen beide in sein Zelt und
Schaba sagte: „Freund, Gott muss dich gesandt haben, denn nach menschlichem
Ermessen hätten wir zugrunde gehen müssen; ich kenne dieses Fieber; wen es
erfasst, der ist ein Kind des Todes!"
Nach einer Pause antwortete Themann: „Du siehst ein, dass dich ein heiliges
Walten umgab, und dass all dein Tun und Lassen überwacht wird von Gott und
seinen Dienern? Es ist nicht Zufall, so in Stunden höchster Not sich Rettung
naht, sondern ich glaube nur noch an Fügung und Führungen. Siehe, ich wollte im
Tempel zu Jerusalem nur danken und das hohe Wesen, welches man mit Gott
bezeichnet, anbeten. Doch durch wunderbare Führungen offenbarte Sich mir Gott in
Seiner ganzen Grösse und Liebe-Herrlichkeit. Wohl ist mein Herz voll von
grösster Dankbarkeit, und aus Freude könnte ich nur jubeln, aber da zeigte mir
Gott neben Seiner Herrlichkeit auch das Leid und die Trübsal unter den Menschen,
und ich darf nun klar erkennen: alles dieses Bittere ist ja Selbstverschuldetes!
Wo Gott in Seiner Liebe und Güte sich entfalten kann in den Herzen derer, die
Seine Wesenheit wahrhaft erfassen, hat alles Leid und alle Bitternis aufgehört!
Denn der Menschen Unglück ist aus ihrer Gott-Ferne und ihrer Hartherzigkeit
geboren. Kannst du mir beweisen, dass in deinem Herzen nicht mehr Hartherzigkeit
und Gefühllosigkeit lebt? Auf deine Worte hin, die nur in Angst geboren sind,
ist kein Verlass!"
Antwortete Schaba: „Ja — aber wie könnte ich dir denn in dieser Stunde beweisen,
dass es mir heiliger Ernst ist, mit dem Alten zu rechen?"
Themann unterwies ihn: „Freund! So ich dir sagen würde, tue dies oder jenes,
bist du kein aus dir selbst frei gewordener Mensch, und dein Herz würde sich
nicht froh und frei fühlen können. Würdest du aber frei aus dir heraus tun, wozu
dich dein innerer Geist treibt, wäre schon der Beweis erbracht, dass du Umkehr
gehalten und nun Gott deine Liebe anbieten willst. Darum, Schaba, höre: Ich
verlasse dich jetzt! Dort, bei den Geheilten, werde ich ruhen bis zum Morgen.
Frage mich nicht mehr, sondern frage Gott: ,Was soll ich tun?', damit du endlich
in Verbindung kommst mit Dem, der auch in dir zur Geltung kommen möchte! Du hast
von dem Gekreuzigten gehört, hast gehört von dem Wunder aller Wunder, Seiner
Auferstehung, und hättest genug Zeit gehabt, deren Glauben zu prüfen, die sogar
ihres Glaubens willen in den Tod gegangen wären! Dass ein Gott lebt, weisst du,
dass aber auch du Gott brauchst, lehrt dich diese Stunde! Seine Liebe gehört
auch dir! darf ich dir aus tiefster Überzeugung sagen. So entscheide dich, und
so sei Gottes Hilfe und Segen mit dir!"
Rasch entfernte sich Themann und eilte wieder hin zu den Christen, die in
andächtiger Ruhe der Dinge harrten, die da kommen sollten. Sie wussten: Hilfe
ist da! So kam die Nacht. Sternenklar leuchtete das Firmament in wunderbarer
Pracht, aber Themann hatte keine Ruhe. Der Tag hatte zu viel an Grossem und
Herrlichem gebracht; alles wurde wieder lebendig in ihm, und noch einmal
offenbarte sich ihm Gott in Seiner Gnade, da er den Entschluss ganz Tat werden
lassen wollte: Nur nicht wieder zurück in das vergangene Leben! Was Gott mir
gab, gehört jetzt allen Menschen! Und immer lebendiger wurde dieser Entschluss.
Da auf einmal, er konnte nicht unterscheiden, ob Wirklichkeit oder Traum, stand
eine lichte Gestalt vor ihm und sprach: „Halte dieses dein Wollen im regsten
Eifer fest, denn der ewigen Liebe Kräfte-Strom wird dir zufliessen und dir
geben, was da nötig ist zum Vollbringen! Bedenke aber, dass diesen Ausfluss
lebendigster Gnade nur wenige erleben, weil sie so rasch erlahmen in ihrem
Willen und Wollen!"
Wer bist du? dachte Themann, da sprach diese Gestalt voll Innigkeit: „Ich bin
die Liebe und das Leben! Wer aus Meiner Liebe lebt, trägt auch Mein Leben in
sich! Namenlos bin Ich — bis du Mir einen Namen gibst, und Mir dein Leben für
das Meine reichst. Ich bin nichts mehr, da Ich nur sein will, was du aus Mir
machst! Darum suche Ich mit verlangendem Herzen nach solchen, die dieses Leben
in seinen heiligsten Begriffen erfassen, und überschütte sie mit dem Reichtum
Meines ganzen Herzens, damit sie sich zu einem Träger Meines Wesens und Meines
lebendigsten Geistes umstalten."
Wiederum dachte Themann: „Wo habe ich nur diese Worte schon gehört?" Da wurde
ihm die Antwort zuteil: „Nicht Worte waren es, die dir wie aus der Vergangenheit
wieder gegenwärtig wurden, sondern dein Geist führte dich in die Stunde zurück,
da du dich anschicktest, diese Erde zu betreten. Was höchste Himmel als Aufgabe
ihres Seins betrachten, wolltest du in deinem Fleisch- und Prüfungsleben als
Lebens-Grundsatz in dir tragen! Darum erbarmte sich Gott deiner und ebnete dir
deinen Weg, damit du zu deinem herrlichen Ziele gelangst, und kein anderes Leben
mehr in dir trägst als das seit Ewigkeiten dir errungene Gottes-Leben!"
Und wiederum dachte Themann: „Wie kann ich das verstehen und fassen? Ein ,Leben'
soll ich seit Ewigkeiten gekannt haben?"
Da antwortete weiter die liebliche Gestalt: „Grüble nicht über Vergangenes,
sondern schaue mit klaren Augen deine dir selbst gestellte Aufgabe an! Ein
grosses Ziel winkt! Es ist die Frucht deiner Liebe, deines Wollens und Strebens.
Was dir wie vergangen erscheint, wird neu erstehen in nie endender Pracht und
Vollkommenheit, daran sich erquicken und sättigen werden ganze Geschlechter
dieser und jener Welten."
„Rätsel über Rätsel!" dachte Themann, „und doch wohltuende Wahrheiten."
„Nicht Rätsel", antwortete ihm das herrliche Wesen, „sondern höchste Erfüllung
wird dir zuteil, da alles aus diesem Geiste Begonnene neue
Schöpfungs-Möglichkeiten in sich birgt! Wo dieses Leben wurzelt, wirkt auch der
All-Geist und verleiht einer jeden Tat Ewigkeitswerte. Was scheinbar oft
aussieht wie der grösste Misserfolg, kann doch den Lebensgrund zu Grossem legen
und wird einstens als gute und süsse Frucht zurückstrahlen.
Siehe Meine Hände und Füsse! Sie sind ein Beweis Meiner an dich gerichteten
Worte. Sie sind das Zeichen Meiner scheinbaren Niederlage Meinen Gegnern
gegenüber. Was sind sie aber Meinen Freunden und Bekennern? Der allergrösste
Anreiz, auch diesen Geist besitzen zu wollen, der erhaben über alles Böse ist,
und Liebe und Verstehen reichen will, wo alles erstarrt in tödlichem Hass! Der
aber auch allen Schwachen, Kranken und im Leide Stehenden Kraft und Tröstung
geben kann. Nur in diesem Geiste begegnest du deinem wahren Gott und gibst dich
Ihm ganz zu eigen! Und von Stunde an kümmert dich nicht mehr eigene Sehnsucht,
sondern die Sehnsucht Anderer. So präge dir Mein Bild in dein Herz und lasse es
lebendig werden in dir, damit sich auch das Sehnen Meiner Liebe zum Heile deiner
Brüder erfüllen kann."
Verschwunden war die Erscheinung, Themann schaute sich um, er war allein! Ihm
kam zum Bewusstsein: „Es war doch der Herr! Seine Wundmale sah ich deutlich. Oh,
jetzt habe ich den Beweis Seiner Liebe! Er zeigte sich mir, auf dass nach Seinen
Worten Sein Bild in mir lebe! O Herr, mit dieser Liebe hast Du mir auch den
Schatten genommen, dass ich, ein Kind fremder Rasse, weniger sei als die von Dir
Erwählten."
Selige Ruhe umgab ihn, wie in Mutterarmen fühlte er sich geborgen; und so sprach
er: „Dieser Augenblick sagt mir mehr als tausend Beweise von aussen. O Königin,
freue dich! Welch wunderbares, kostbares Gut bringe ich dir heim! Dein Volk wird
glücklich werden, es wird erleben, wie unser Gott lieben und segnen kann!"
Jetzt wurde er von nahenden Schritten in seiner inneren Zwiesprache gestört;
Schaba, der unruhige Araber, suchte ihn und fand ihn noch wach. „Verzeihe mir",
sprach er leise, „ich finde keine Ruhe in mir. Alle Gefangenen sind gesund, nur
uns droht ein bitteres Los, und allein durch meine Schuld! Ich sehe ein, ich bin
der Unterlegene; bitter schwer rächt sich meine Habgier. Ich bin zu dem
Entschluss gekommen, dir alles zu übergeben. Führe du nach deinem Willen diese
Reise zu Ende. Da ich der Eigentümer all der Pferde, Maultiere und Wagen bin,
kann ich ja nach freiem Willen darüber verfügen; dass du mir mein Eigentum
später wieder zurückstellst, bin ich gewiss, da du doch nur helfen willst."
Themann sprach ganz überrascht: „Du wolltest wirklich, Schaba, mir die freie
Verfügung über alles überlassen? So hat das Gute in dir den Sieg davongetragen!
Nie wirst du es zu bereuen haben, denn du hast dich mit diesem Vorsatz in die
Reihe derer gestellt, die dem allein wahren Gott dienen wollen!"
Antwortete Schaba: „O rede nicht davon! Denn auch eines langen Lebens
Gottesdienst wird geschehenes Leid nicht mehr ändern können. Wenn du alles
wüsstest, würdest du dich voll Abscheu von mir wenden."
„Rede nichts mehr, Schaba", bat Themann, „über dein vergangenes Leben wirst du
mit Gott ins reine kommen! Ich habe es mit der Gegenwart zu tun, weil dein
Entschluss, Gott dienen zu wollen, mir doch schon Abkehr vom Vergangenen
beweist. Lege dich nun in dein Zelt und ruhe, der kommende Tag braucht unsere
Kräfte."
Es geschah, und Ruhe wurde allen zuteil, nur Themann wachte; betend verbrachte
er die Nacht, und mit frohem Herzen grüsste er die aufgehende Sonne. Nun galt es
zu sorgen für frisches Wasser, für die Kranken, und die helfende Liebe der
früheren Gefangenen übte Wunder. Das Fieber wich, und nach drei Tagen konnte
Themann den Aufbruch beginnen.
VIII. Das Geschenk Gottes
an die Königin.
Ohne Unfall kamen sie nach Gaza, und dort erhielt Schaba sein Eigentum zurück.
Die zahlreiche Dienerschaft war erstaunt, als sie ihren Herrn mit den vielen
Fremden ankommen sah. Diese aber waren glücklich, aus dem Lande entkommen zu
sein, wo Tod und Verderben ihrer harrte; und freudig gingen sie mit in die
Heimat ihres Retters. Nach kurzem Aufenthalt bestieg Themann mit dem ganzen
Gefolge das gemietete Schiff, in das schon vorher die eingekauften reichen
Schätze für seine Königin verstaut waren. Auf dieser Fahrt wurde nun den Dienern
und auch den Schiffsleuten die heilige Wahrheit über Jesus offenbart, da doch
jeder von den Anhängern Jesu einst mit dem Heiland in nähere Berührung gekommen
war. Immer Neues wurde erzählt; das grösste Ereignis aber war Seine
Auferstehung! Ein Kreuz hatte man errichtet, und so war aus dem Schiff eine
fahrende Kirche geworden.
Tage vergingen, bis an einem Morgen die Landung erfolgte, an einem Ort am Nil,
wo Themann schon erwartet wurde. Da nun für die vielen Einwanderer nicht genug
Wagen und Tiere vorhanden waren, blieben dieselben zurück unter der Hut von
einigen Dienern Themanns.
Herzlich war der Abschied, und bald sah Themann die Zurückgebliebenen nicht
mehr. Nach Stunden scharfen Rittes endlich sah er die Stadt, die seine Heimat
und auch sein Wirkungsfeld war. Sein Sinn galt jetzt nur seiner Königin, und
eine Unruhe wollte in ihm aufsteigen, doch er wollte ruhig bleiben, und so
betete er. Als das Bild des ihm erschienenen Jesus in ihm lebendig wurde,
erhielt er die Gewissheit: Er ist bei mir!
In diesem Gedanken achtete er nicht auf die Schönheiten seiner Heimat, hörte
kaum auf die freudigen Zurufe seiner Landsleute, bis sie endlich in den Hof des
Palastes einritten. Hier wurde er freudig erwartet, das ganze Haus hatte sich
zur Begrüssung versammelt. Als die Königin ihm ein herzlich „Willkommen in der
Heimat" zurief, ergriff er dankend ihre beiden Hände und sprach voll Freude: „O
Königin! Heil und Glück ist mir widerfahren! Das Herrlichste und Grösste, was
ein Mensch erleben kann, ist mir geschehen: Ich bin Gott begegnet! Ich bringe
dir und allem Volk die Beweise Seiner unendlichen Vater-Liebe zu allen Menschen.
Es sind nicht Märchen, was wir früher über den Gesandten Gottes hörten, sondern
alles sind tiefe heilige Wahrheiten! Bald, bald wird allen die erlösende Kunde:
Auch wir sind berufen, ein Kind des grossen und ewigen Gottes zu werden!"
Da sprach die Königin: „Themann! Du warst immer besonnen und hast nicht leicht
etwas angenommen, wo dir Beweise fehlten! Ist es so, wie du sagst, dann war
deine Mission reich gesegnet, und du hast mir und meinem Volk den grössten
Dienst erwiesen! Doch wir wollen ins Haus gehen, Themann, damit ich vom Anfang
bis zum Ende alles erfahre."
Und so geschah es. Hier fragte die Königin sogleich mit brennendem Interesse:
„Bist du auch sicher, die volle Wahrheit über all das erfahren zu haben, was
über Jesus und Sein Wirken in mein Land gedrungen war, und wie willst du es
begründen?"
„O Königin, höre!" antwortete der Kämmerer begeistert, „im Angesicht des
lebendigen Gottes, dessen Allmacht wir alle kennen, bezeuge ich, dass ich nicht
Worte genug finden werde, dir alle Vorgänge zu schildern, wie ich sie erleben
durfte! Nicht genug, dass mir die Botschaft des lebendigen Evangeliums durch
einen Gottesmann überbracht wurde, nicht genug, dass ich des Erlösers
allmächtige und heilende Liebe miterleben durfte! Er, dessen Wesen uns noch so
unbegreiflich ist, gab mir an dich ein Geschenk von siebzig Seiner treuesten
Anhänger, die im grössten Leid und im Angesicht des leiblichen Todes auf ihren
Glauben durchgeprüft sind!
Nimm sie hin! Am Landungsufer harren sie deiner Anweisungen und deiner Liebe! Es
sind Männer und Frauen, die im persönlichen Verkehr mit dem Heiland Jesus
gestanden haben. Wisse: Harter, böser Tempel-Sinn schlug den Besten aller Besten
in Jerusalem ans Kreuz! Er aber überwand auch den Tod und konnte nach drei Tagen
schon die Kunde allen Menschen übermitteln: „Sehet, Ich lebe - und wer an Mich
glaubt, wird ewig leben!"
Die Königin lauschte mit bewegtem Herzen. Dann sagte sie: „Themann, ich glaube
deinen Worten. O mein Volk, freue dich! Denn nichts will ich unversucht lassen,
alle sollen diese frohe Botschaft hören! Wie glücklich kann mein Volk werden, so
erst der eine Wille zum Durchbruch kommt: dem Anderen ein Helfer zu sein! Morgen
besuche ich selbst mit dir deine Pfleglinge. Dieses Geschenk soll mir ein
heiliges Vermächtnis sein! Ich will ihnen die Wege ebnen, damit sie frohen und
freudigen Herzens Bekenner ihres Gottes bei uns seien, damit sie die hohe
Aufgabe übernehmen und zu Priestern werden!"
Die Königin hielt Wort! Mit ihrer grossen Liebe zur Wahrheit und einer Energie,
die nur Grosses schaffen will, überwand sie alle Schwierigkeiten von Seiten
ihrer Priester. An manchen schönen Orten wurden Kreuze errichtet mit
Inschriften, die auch vom Volke gern geschmückt wurden.
Themann aber blieb die rechte Hand seiner Herrin. Er selbst kannte nur den einen
Ratgeber: den in der Wüste ihm erschienenen Jesus. Mit Ihm verkehrte er täglich,
und in der Liebe zu Ihm fand er auch täglich neue Aufgaben und Pflichten, so
dass er bald seiner Königin, wie auch seinen Mitmenschen, ein unentbehrlicher
Lehrer und Freund ward!