Heft 03. Jakobs Erzählung aus der Jugendzeit Jesu
Inhaltsverzeichnis
01. Ein Wiedersehen mit
Kornelius und Julius
02. Jakobs Erzählungen aus
Jesu Jugendzeit
03. Gespräche über
Jehovas Stimme im Menschen
04.
Offenbarungen über die Ur-Schöpfung des Menschen
05. Geistige Erlebnisse auf
der Anhöhe
06. Rafael als Diener des Herrn
07. Rafael
zeigt allen die Beherrschung der Naturkräfte
08. Abschied
01. Ein Wiedersehen
mit Kornelius und Julius
Frisch und munter beendeten Jesus und Jakob den Saalbau, und
um die Mitte der Woche war alles fertig und bereit, den Menschen zu dienen. Am
Abend meinte dann Jesus zu Zachäus: „Wir haben’s geschafft! — Und nun das Werk
vollendet, das dem Leibe dient, so hoffen wir, dass auch das Werk vollendet
werde, das dem Geiste dient. Doch heute lasse uns noch allein! — Morgen hast du
Gäste, und dann wollen wir gern dir weiter dienen.“
Nach einer Stunde war im Haus alles zur Ruhe gegangen. — In der Nacht aber erhob
sich ein mächtiger Sturm, der alle wieder aufstehen machte. Doch Jesus und Jakob
blieben in ihrer Kammer und ließen sich nicht aus der Ruhe und ihrem Schlaf
bringen, wussten sie doch, dass dieser Spektakel nur eine Szene
spektakellustiger Geistwesen war; und nach dem Morgen zu ward auch alles wieder
ruhig.
Jesus und Jakob standen eine Stunde vor dem Aufgang der Sonne auf und gingen
wieder zur Anhöhe, um ihre gewohnte Andacht zu halten. Sie blieben sogar noch
etwas länger, da doch keinerlei Arbeit ihrer harrte, bis Jakob meinte: „Mein
lieber Jesus! Uns wird diese Ruhe nicht lange behagen, da wir an Arbeit gewöhnt
sind.“
Jesus antwortete: „Ja, du hast recht. Aber dieses Mal ist es auch schon aus mit
der Ruhe, trotzdem die Arbeit fertig ist. Wir arbeiten eben nun für das ewige
und unendliche Reich.“ Im Haus wurde es lebendig. Der alte Zachäus kam nach der
Anhöhe gelaufen, um die beiden aufzusuchen, wusste er sie doch dort oben; und
Jesus sagte: „Komm, Jakob! Gehen wir ihm entgegen und mit ihm nach Hause zurück,
denn es gibt heute noch viel Arbeit für das Haus Zachäus.“
Herzlich begrüßten sich die Begegnenden und Zachäus fragte: „Habt ihr denn in
dieser Nacht keine Furcht gehabt?“ — Jesus antwortete lächelnd: „Furcht kennen
wir nicht — und vor dem bisschen Sturm gleich gar nicht. Wissen wir doch, dass
all unsere Furcht und Sorge zwecklos ist. Denn Gott, der Herr Zebaoth, ist
unsere Zuflucht und unsre Stärke. — Und ohne Seinen Willen fällt kein Stein,
geschweige denn ein Mensch.“
Lange sieht Zachäus Jesus an und sagt dann: „Ja, ich vergesse, dass in dir mehr
lebt als in mir.“ — Jesus bittet nun, ins Haus zurückzugehen, und ersucht
Zachäus, für die gegen Mittag eintreffenden Gäste alles zu rüsten. Da schüttelt
Zachäus zweifelnd den Kopf und spricht: «Ja, mein Sohn wollte wohl kommen. Aber
Gäste? Ist es doch heute nicht an der Zeit, große Gastmähler zu halten!“ —
„Glaube nur“, spricht Jesus, „dein Haus wird voll sein, und dein neuer Saal
erhält noch heute seine Weihe.“ Da sagt nun Zachäus nichts mehr und veranlasst
alles Weitere.
Jakob und Jesus besehen sich inzwischen das ganze Haus und legen mit Hand an, da
noch vieles in Unordnung war.
Gegen Mittag nun kommt Zachäus, der Sohn, und bringt noch mehrere Gäste mit:
einen römischen Richter nebst Julius und Kornelius sowie die dazugehörige
Bedienung.
Als nämlich der junge Zachäus seine Verhandlungen mit den Römern abgeschlossen
und alle Verträge in den Händen hatte (es handelte sich um die im ganzen Bezirk
liegenden Wege- und Brückenzölle), da lud dann Zachäus den römischen Richter und
Julius ein, mit ihm seinen Vater zu besuchen.
Julius aber ließ dann seinen Bruder Kornelius holen, um auch ihn an dieser
seltenen Einladung teilnehmen zu lassen; denn Zachäus hatte dem Julius schon von
den merkwürdigen Zimmerleuten aus Nazareth erzählt.
In kurzer Zeit waren Bediente, Pferde und Gepäck untergebracht, und nun erst
begrüßte der alte, ehrwürdige Zachäus die Freunde seines Sohnes aufs
herzlichste, indem er mit den Worten schloss: „Seid versichert: dieses Haus ist
dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs geweiht! — Und so, wie ich mit freudigem
Herzen euch begrüße und segne, so möge auch unser Gott, der Herr Jehova, euch
ansehen und segnen! — Willkommen! — Willkommen!“
Der römische Richter dankt freudig bewegt dem alten Biedermann und sagt zum
Schluss: „So wie ich dir danke, so möchte ich auch deinem Gott danken. Aber ich
kenne Ihn noch nicht; ich habe bis jetzt nur von Ihm gehört; doch im Lauf des
Tages erfahre ich vielleicht mehr von Ihm.“
Die Tische waren soweit gedeckt, und der alte Hausvater bat seine Gäste, Platz
zu nehmen.
Zachäus der Jüngere aber holte Jesus und Jakob und stellte diese jungen
Handwerker seinen römischen Freunden vor, und die beiden verneigten sich. Da
konnten nun Kornelius und Julius nicht mehr zurückhalten und begrüßten mit
bewegten, herzlichen Worten die beiden. Der alte Zachäus aber kam von einem
Staunen ins andere, als sich herausstellte, dass die beiden römischen Offiziere
Bekannte der Nazarener waren.
Die Speisen wurden aufgetragen, und infolge der anstrengenden Reise waren Hunger
und Durst auch genügend vorhanden. Doch zuvor bat Zachäus der Ältere Jesus, das
Mahl nach der Art der getreuen Juden zu segnen. Und Jesus segnete mit beiden
Händen Mahl und Gäste.
Nach längerer Zeit, als das Mahl beendet war, besichtigten alle den neuen Saal
und bewunderten die gediegene Arbeit. Jesus und Jakob mussten manche Erklärung
geben, denn der Saal ruhte nur auf Säulen und war verandamässig gebaut. Eine
Treppe führte ins obere Stockwerk, wo ein kleiner Saal mit schöner Aussicht das
Wohlgefallen aller auslöste. In diesem Saal machten es sich alle bequem; und
hier ging nun Zachäus der Jüngere
auf Jesus und Jakob zu und dankte nochmals den beiden für die schöne Arbeit.
Jesus aber sagte freundlich: „Zachäus, rede weniger! — Lausche, und lass den Bau
zu dir sprechen, damit auch dein Sinn erfüllt werde von dem Geist, der uns die
Kräfte verlieh zu dieser Arbeit! — Und erkenne: dieser Geist trägt den Wesenszug
der Liebe in sich! Doch, wenn wir auch das herrlichste Kunstwerk herstellten,
aber aus dem Geist alles Niedrigen, wahrlich Ich sage dir: Ehe es fertig
gestellt, würde schon der Zerfall beginnen! — Doch dieses Haus soll noch Zeuge
von vielem Herrlichen werden! Nun aber frage nichts! Denn mit der Zeit erst und
mit Geduld wird dir auch dieses klarer.“
02. Jakobs Erzählung aus
Jesu Jugendzeit
Julius steht von seinem Platz auf, begibt sich hin zu Jakob
und bittet ihn um einige Aufklärungen, sagend: „Ja, wie konnte es denn nur
kommen, dass niemand von euch etwas hörte? — Mein Bruder Kornelius hätte gern so
manches von euch vernommen, doch nichts von alledem!“
Jakob sagte nun ruhig und bescheiden: „Siehe an, du Herr und Gebieter, um dir
dies alles von uns zu erzählen, reichten wohl Tage nicht aus! — Im Haus Josefs,
meines Vaters, ging alles seinen ruhigen Gang; da konnte auch nicht einer
geschont werden, denn wir waren arm und blieben arm. Unser einziger Reichtum
war: Vertrauen auf Jehova; — und darin wurden wir oft sehr schwer geprüft.“
Und sich zu Kornelius wendend, spricht Jakob weiter: „Du Herr und Freund unseres
Hauses, Kornelius! Du kennst den redlichen Willen meines Vaters Josef, kennst
auch die Bescheidenheit meiner Mutter Maria! — Solange im Haus etwas war, wurde
gereicht und das letzte Brot noch mit Hungrigen geteilt; doch mit Arbeit waren
wir immer versorgt. Und dann fingen damals die Sorgen mit Jesus an. Ich leugne
nicht, von Jesus erhofften wir viel; und was wir erhofften, war Besserstellung
unseres Menschlichen! Und hier enttäuschte uns Jesus vollständig. Still,
verschlossen und wortkarg nur arbeiteten wir mit unserem Bruder, wodurch im Haus
manchmal eine solch trübe Stimmung vorherrschte, dass wir in unserm Herzen
Abneigung gegen Jesus wachsen fühlten; doch eben dann kamen Sorgen über Sorgen!
—
Die Mutter verstand uns nicht mehr, aber auch nicht unsern Bruder Jesus. Und
wenn sie nun auf Ihn einredete, sahen Seine Augen von der Mutter weg ins Weite,
und dann ging Bruder Jesus Seine eigenen Wege. Ich erinnere midi: eines Tages
war Jesus verschwunden! Einen Tag, und noch einen Tag, doch Er kam nicht! Der
alte Vater zerriss sein Gewand, die Mutter weinte, und wir legten die Arbeit
beiseite. Wir suchten Ihn überall aber fanden Ihn nicht, und unverrichteter
Sache kamen wir heim. Im Haus Josefs war Trauer eingezogen, denn Jesus musste
tot, musste irgendwo verunglückt sein) Alle Bekannten wurden gefragt, von Jesus
keine Spur, und auch in mir war etwas zusammengebrochen.
Da, nach sieben Tagen, kommt Jesus zur Tür herein, abgemagert, sein Kleid
zerrissen, grüßt uns und bittet uns alle um Verzeihung. Er könne nicht anders
handeln, denn Sein Geist wolle sich entbinden von den Fesseln des Fleisches und
der Seele!
Wir alle eilten, Tränen in den Augen, zu Ihm hin und baten Ihn: „Komm! Mach dich
frisch! Stärke dich, und alles soll vergessen sein!“
Doch dieses Bittere wiederholte sich noch öfter!
Und jedes Mal, wenn sich Lustigkeit und Ausgelassenheit bei uns bemerkbar
machten, dann verschwand — still und ungesehen — unser Bruder Jesus.
Wie oft machten wir Maria Vorwürfe, weil immer Jesus und immer nur Jesus der
Gegenstand ihrer Liebe war! Und so litten wir alle, so litten Vater und Mutter.
Doch jetzt haben wir uns damit abgefunden, weil wir wissen, dass alles das für
Ihn eine innerste Notwendigkeit war. Und nun lasst euch von Jesus selbst alles
andere erzählen! Denn hättest du, Herr und Freund Julius, mich nicht
aufgefordert, so hätte ich bestimmt geschwiegen.“
Der römische Richter, ein ernster, ruhiger Mann von herkulischem Wuchs und doch
mit einer feinen Zartheit im Gesicht, geht hin zu Jesus und sagt: „Wenn dies
alles so war, wie es Dein Bruder schilderte, so erlaube ich mir, Dich zu fragen:
„Was trieb Dich denn fort aus dem Kreis derer, die Dich so liebten? — Und wenn
es Dich nicht kränkt, so bescheide mich mit einer Antwort. Gehört habe ich wohl
schon manches von Dir, doch dem allen keinen Glauben geschenkt.“
Jesus schaut alle Anwesenden mit Seinen treuen Augen an und sagt: „Meine lieben
Freunde! Hier ist nicht gut zu reden davon! Warten wir, bis sich die Sonne
neigt; dort auf der Anhöhe können wir uns viel besser unterhalten, wollen wir
doch erst etwas persönlicher bekannt werden.“ Und dieser Vorschlag wurde
angenommen.
03. Gespräche über
Jehovas Stimme im Menschen
Nun hatte auch Zachäus der Jüngere mit seinem Vater und in
Gegenwart des römischen Richters noch manches zu besprechen, vor allem: „Wie ist
es mit dem Glauben unserer Väter zu vereinbaren, wenn ich den Heiden diene? Und
doch kann ich gar nichts anderes tun! Denn lieber ein Sünder und Zöllner sein,
als die Gräuel des Tempels zu unterstützen!“
Der alte Vater ward bekümmert ob dieser Rede und sagte seufzend: „Vielleicht
hilft hier recht bald Jehova und sendet uns den sehnsüchtig erwarteten Messias,
der uns von allen Fragen frei machen wird und jeden Irrtum wohl zu beseitigen
weiß.“ So ging die Rede hin und her, und auch der römische Richter beteiligte
sich daran.
Kornelius und Julius aber unterhielten sich abseits mit Jesus und Jakob. — Dann,
nach einer Weile, kam Zachäus d. J. hin zu den Vieren, erbat sich von Jesus
Gehör und trug auch Ihm sein und seines Vaters Anliegen vor.
Jesus, in Seiner sanften Weise, ging auf diese Bitte ein und sprach: „Siehe!
Euer Glaube an Jehova ist euer altes Familienrecht, dieweil ihr von Abraham
abstammt. — Abraham gehorchte der Stimme Gottes: „Gehe in ein Land, das ich dir
zeigen will!“ (1. Mose 12, 1) Und siehe, er holte nicht Rates ein von ändern,
sondern gehorchte sofort! Für ihn war es klar: „Gott will nur mein Gutes!“
Denkt nun nicht, dass Gott dabei sichtbar zu ihm trat. — Nein! Im
Herzens-Verband klar wahrnehmend Seinen ewigen Willen, erfüllte Abraham diesen
Willen Gottes. Und sein Tun ist heute noch — und wird für Ewigkeiten sein — ein
Zeugnis für solchen inneren Verkehr mit Gott.
Nimm nun an, Gott hätte auch dir zugerufen: „Diene denen, die deinen Gott noch
nicht kennen! — Was würdest du tun? Denkst du: wie Abraham gehorchen? — Denn
siehe! Es ist genau so wie damals. Du erhieltest den Ruf, wenn auch nicht direkt
von Gott, doch die Beherrscher dieses deines Vaterlandes beriefen dich in ihren
Dienst. Und so hast du angenommen, da du den Tempel nicht zu fürchten brauchst,
denn du bist ein Römer geworden. Mein Pflegevater Josef tat ähnliches. Auch er
ließ sich den Schutz der Römer gefallen und hat die Treue seinem Gott doch nicht
gebrochen!
Denke du allezeit so: Gott ist überall. Sein Auge überschaut im Nu alles, was da
lebet und webet. Und Seine große, erhabene und allerreinste Liebe gilt allen
Wesen, also auch den Heiden. Darum: erfülle deine äußere Pflicht gegen alle,
doch bleibe im Herzen stets Gott getreu! — Und Gott wird dir jederzeit beweisen,
dass Er dir Seine Treue zu halten vermag. — Hast du dieses — im Grunde —
verstanden?“
„Nun bin ich aller Sorgen ledig“, war die frohe Antwort. — „Und du, guter, alter
Vater, gib dich zufrieden; ich bedarf deines Messias’ nicht mehr! Denn in diesem
jungen Handwerksmann schlägt ein Herz voll Liebe, Weisheit und Verstand. — Dies
genügt mir vollauf, und die Zukunft wird Besseres noch lehren.“
Der alte Zachäus bittet nun seine Gäste, einige leichte Erfrischungen
einzunehmen, weitersprechend: „Und dann wollen wir die Anhöhe besuchen. — Ich
lasse inzwischen Decken und Sitzgelegenheiten hinaufschaffen.“ So geschah es
auch, und der Zug ging nach der Anhöhe.
04.
Offenbarungen über die Ur-Schöpfung des Menschen
Vorerst genossen alle den wunderschönen Ausblick hier oben.
Dann, Tränen im Auge, sagte der alte Zachäus: „O Gott meiner Väter! Wenn ich
unser schönes Vaterland ansehe, die wunderbaren Palmenhaine, die herrlichen,
schönen Obst- und Ölkulturen und darin das geknechtete und unstete Volk unter
fremder Herrschaft, da möchte ich bitten: ,O nimm midi hinweg von dieser Stätte,
die mein Herz und mein Auge so betrübt!’
Aber wiederum denke ich nun: Laß mich noch recht lange leben, damit ich den noch
erschauen kann, der da uns erlösen wird aus aller Knechtschaft und Trübsal! —
Doch ihr, meine lieben Gäste und Freunde meines Sohnes! Verzeiht mir altem Mann,
wenn ich mein Herz nicht fest in Händen hielt und bekundete, dass ihr diese
unliebsamen Herren seid!“
Der alte römische Richter reichte ihm die Hand und sprach: „Glaube, du bester
und edler Mensch, wir verstehen und würdigen dein Leid und auch deinen Schmerz!
Darum kommen wir nicht als Feinde, sondern als Freunde. Nie griffen wir ein in
eure besonderen Rechte. Euer Gesetz aus Moses respektieren wir, und eurem Gott
setzten wir selbst einen Tempel, als dem unbekannten Gott.
Und darum fürchten wir auch euren kommenden Erlöser oder Messias nicht. Kommt
Er, dann kommt Er auch zu uns. Denn, obwohl wir ändern Göttern dienen, so
verehren wir in ihnen nicht Persönlichkeiten, sondern Wesenheiten. Und alle die
Bilder oder Bildnisse unserer Götter sollen uns nur erinnern, dass Gottesdienst
das Heiligste sein soll im Erdenleben.
Doch meine ich, wir sollten jetzt Jesus anhören, weil der Wunsch, hier uns
zusammenzufinden, von Ihm ausgegangen ist. Und so, lieber junger Mann,
wiederhole ich hier meine Bitte: Erzähle uns aus Deinem Leben! Und warum und
wozu Du Dich so oft ausgeschlossen hast aus der menschlichen Gesellschaft!“ —
„Liebe Freunde!“ begann Jesus, als nun alle sich recht bequem gelagert hatten.
„Was soll Ich euch von Mir erzählen, da ihr Mich doch nicht ganz verstehen
werdet! Aber zeigen will Ich euch allen das Bild eines Menschen, wie es ist, und
wie es sein sollte. Sehet! „Alles hat seinen Anfang und auch sein Ende“ heißt
ein bekanntes Sprichwort. — Doch beim Menschen trifft dies nicht zu; einen
Anfang — ja, doch kein Ende!
Hätte Gott die Menschen nur erschaffen, um sie später wieder vergehen zu lassen,
so könnte diese Erde samt allen Bewohnern ganz anders aussehen. Und zur Freude
ihres Schöpfers würden Liebe und Verstehen untereinander Allgemeingut sein. Da
aber diese Menschheit für ein ewiges Weiterleben und Weiterentwickeln geschaffen
ist, so schenkte der Schöpfer ihnen nur die Mittel, sich diese
Entwicklungsmöglichkeiten, bis zur Gottähnlichkeit hin, selber zu erringen.
Der Mensch, wie er jetzt ist, missbraucht aber diese kostbaren Mittel — Er will
die hohen Absichten seines Schöpfers mit dem Menschen nicht ins Auge fassen. Er
denkt nur an das Irdische, das er vor Augen hat, und möchte hier für immer als
Herrscher leben. So sucht er sich zu bereichern auf Kosten seiner Mitmenschen,
um ja so viel zu besitzen, dass es wie für Ewigkeiten reichen sollte, und lässt
dabei den andern ruhig zu Grunde gehen.
Nun will ich euch zeigen das Bild eines Menschen, wie es sein sollte. Sehet!
Gott, der Ewige, als der Schöpfer und Sein erstgeschaffener Engel stellen dar:
Gott = Das Gebende. Das Ur-Feuer. (Das Ur-Licht.)
Luzifer = Das Nehmende. Der Lichtträger.
Gott = Das Zeugende. Das positive Prinzip.
Luzifer = Das Gebärende. Das negative Prinzip.
Und aus ihrem Bund gingen hervor Schöpfungen über Schöpfungen. Und alle
herrlichen Schöpfungen erhielten ihr Licht von Luzifer, aber ihren Bestand aus
Gott. Und in dieser Harmonie vergingen Ewigkeiten.
Da regte sich in Luzifer der Neid gegen das gebende Prinzip. — Und als etwas
Ungekanntes (ihm bisher Fremdes) nährte er in sich diesen falschen Gedanken, bis
er Gott um Rechenschaft und Aufklärung darüber bat
Da offenbarte sich Gott Seinem von Ihm geschaffenen Wesen als Sein ‚Vater’, als
die zeugende Urkraft des Urfeuers und zeigte dem Luzifer und allen bewussten,
aus ihm hervorgegangenen Wesen, dass sie nur das empfangende Prinzip, der
negative Pol, seien, nur Licht-Empfänger und Licht-Träger dieses Ur-Feuers sein
könnten. Und dass eine wahre Verbindung — für ewig — zwischen ihnen beiden nur
bestehen könne, wenn alles das, was trennen könnte, freiwillig von ihnen
überwunden sei.
„Denn siehe“, sprach Gott, «würdest du bleiben das, was du jetzt bist aus Mir
als deinem Schöpfer, wo du nicht anders sein kannst, — dann würdest du, Luzifer,
und alles aus uns Hervorgegangene nichts anderes sein als ein Kleid Meiner
Gottheit, das, wenn es verbraucht ist, einem ändern Platz machen muß. Denn Ich
könnte, als Gott und Schöpfer, Mir noch einen andern Geist als empfangendes
Prinzip erschaffen, und so fort. Doch nein! Dies wollte Ich nicht!
Darum habe Ich als der Ur-Wille, als das Ur-Feuer aller Schöpfungskraft Meine
ganze Liebe hineingelegt: in deine äußere Form (in vollkommener Schönheit), in
deine innere Gestaltung (das selbständige Denken und Erkennen) und in die großen
Entwicklungs-Möglichkeiten deines Strebens.
Ja, die völlige innere Freiheit deines Wollens zu den höchsten Zielen hin habe
Ich dir geschenkt, damit du durch diese Mittel (siehe S. 14) wie ein zweiter
Gott neben Mir deine herrliche Vollendung dir selber erringen kannst.
Doch nun siehe: Es ist deine Aufgabe, dich mit diesen Mitteln, durch die dir
auch ein Andersseinwollen und Andersseinkönnen möglich ist, freiwillig zu
reinigen und zu läutern, um dich durch diese kostbaren Mittel Mir ebenbürtig —
Gott ähnlich — zu vollenden und dann erst mit Mir ‚Eines’ zu werden und auf ewig
zu sein.
Luzifer hörte diese Botschaft wohl, doch sein völlig freigestellter Eigenwille
ertötete in ihm allen guten Willen zum Göttlichen, und er erhob sich selbst zum
Herrn seiner Welt und aller seiner Schöpfungen aus ihm.
Da nahm dann Gott das Licht, die göttliche Weisheit, die Er Seinem Lichtträger,
dem Luzifer, geschenkt hatte, und legte dieses Licht als kleinste ,Fünkchen’ in
die Herzen der durch Luzifer geschaffenen Wesenheiten und ordnete an:
dass jeder, der das zu Luzifer gesagte vollbringen will, eins werden kann mit
Gott selbst und zum Erben und Mitbesitzer aller Seiner Schöpfungen im
unendlichen Raum berufen sei!
Gott sah, Weltenzeiten lang, diese Seine Hoffnungen unerfüllt. Da erbarmte sich
die Liebe in Gott und schuf den Menschen, in sich tragend beide Pole: Gott und
Luzifer, das Göttliche und das Luziferische. Und dieser aus Gottes Liebe
hervorgegangene Mensch bevölkerte die im Sonnengebiet der Erde bestehenden
Welten.
Da verlor sich der Mensch.
Und um eine Hoffnung ärmer ging Gottes Liebe einen Schritt weiter, und beide
Pole wurden getrennt und wurden Mann und Weib. (1. Mose 2; 22) Es sollte sich
der Mann im Weib und das Weib im Mann wiederfinden und sollten dann sein die
Einheit, die nötig ist, um mit Gott, eins’ zu werden. —
Doch auch diese beiden versagten, und diese Hoffnung der göttlichen Liebe musste
auf ihre Nachkommen verlegt werden. (1. Mose 3j 6, 7 u. 15)
Und sehet, liebe Freunde, Gottes Liebe und Geduld mussten lange warten! Da
endlich, im Menschen Abraham keimte dieser Gottesfunke, der als Samenkorn in ihm
lag, zum Wachstum. Freiwillig nährte Abraham dieses Fünklein des Gotteslichts in
seinem Innern und ließ, auch in harten Glaubensproben, in sich diesen göttlichen
Geist seines Innenlebens siegen. (1. Mose 22) Dann offenbarte Sich Gott dem
Abraham als sein ewiger Vater (1. Mose 15), damit er erkenne, ein Kind höchster
Abstammung zu sein, und gab Segen über Segen. (1. Mose 14; 19) Und gab ihm eine
Verheißung, die besagte, dass aus seinem Samen einst der hervorgehen solle, der
in freiwilliger Liebe zu Gott als seinem Vater alles das in sich opfere, was da
hindert, mit Gott wahrhaft „eins“ zu werden.
Geschlechter kamen und vergingen, aber dieser Verheißung Segen kam nicht! Immer
gab es zwar bewusste Träger des göttlichen Geistes, aber keiner konnte dieses
allergrößte Opfer an sich selbst darbringen, um mit Gott völlig, eins’ zu
werden.
Und so bin auch Ich hervorgegangen aus und nach dem Willen Gottes. Und bin ein
Träger, ein Gefäß des göttlichen Geistes und göttlichen Lebens. Und bin bereit,
Mich mit freiem Willen zuzubereiten, um dieses Opfer darzubringen.
Du, Freund Kornelius, kennst Meine Kindheit und mußt gestehen, dass du noch kein
selbstbewussteres Kind gekannt denn Mich, und bewundertest manchmal Meinen
Willen.
Siehe, dies war der Segen derer, die in treuem Gehorsam erfüllten ihre Pflicht
als Gottesdiener und als Priester am Volk der Juden; und alles andere an Mir war
die Folge reinster Empfängnis.
Dadurch ist Meine Seele reiner und freier als die, so in Sünden empfangen und
geboren sind. Aber von den menschlichen Fesseln bin auch Ich nicht frei; und
alle diese Fesseln müssen freiwillig geopfert werden.
Schon frühzeitig erkannte Ich Meine Mission. Und solange Ich von der Mutter
gehütet und gepflegt ward, wurden auch Einflüsse ferngehalten, die vieles in Mir
vergiftet hätten; und so «wuchs Ich und nahm zu an Weisheit und Gnade >. (Lukas
2; 52)
Der Ernst, der da herrschte in unserer Familie, machte Mich früher reif als
andere; und der tägliche Gottesdienst im Hause Josefs führte Mich in Mein
Inneres. So suchte und suchte Ich in Mir alles, was Ich an anderen Menschen sah.
— Und wurde manchmal auf harte Proben gestellt, um in Mir etwas zu schauen, was
Mir doch so ungeheuerlich an andern erschien.
Da fing ich an zu ringen, zu ringen mit Mir selbst, mit Meinem Menschlichen.
Ging freiwillig hin zu Stätten, wo Sünde und Grausen herrschte und bezwang den
Geist, der da erstehen wollte in Mir, der da wollte rechten und richten über die
anderen. — Und so fand Ich alles in Mir.
Doch durch diesen Kampf wuchs in Mir ein neuer Geist. Und in diesem in Mir neu
erstehenden Gottesgeist wurden Mir immer neue Offenbarungen und Gewissheiten.
Ja, nach jedem erfolgreichen Kampf wuchs dieser Geist alles göttlichen Lebens
und lebt nun schon in Mir wie Mein eigen Ich.
Immer geringer wurde Meine Eigenliebe, immer weniger das Interesse an Meiner
menschlichen Person.
Nur schnell reifen und ausreifen, um schneller in den Besitz dieser göttlichen
Kräfte zu kommen, war und ist Meine Losung. Und in der gehorsamen Erfüllung
Meiner irdischen Pflichten wuchs still in Mir der Wille zu diesem großen
Gottesziel, zum Mit-Gott-eins-werden.
Nicht brauchte Ich zu forschen und zu suchen nach Gottes Wahrheiten! — Je mehr
Ich Wahrheit wurde, desto mehr fühlte Ich die Annäherung an den großen Ur-Geist
als Meinen Ursprung, Meinen Vater. Und an jedem Tag, den Ich bis jetzt erlebte,
wuchs diese Bestätigung in Mir: <Ich bin, eins’ mit Gott.»
Schon fühle Ich in Mir die Kraft, herauszutreten aus Meinem Kreis und allen
Wesen zu zeigen —diesen Geist alles göttlichen Lebens und Seins im Menschen. Und
wenn ihr lieben Freunde alles dieses Gesagte nur etwas dem Sinn nach erfasst
habt, dann wird auch euch diese heilige Wahrheit ergreifen, und in ihr werdet
ihr frei werden (von den engen Fesseln) zum Heil eurer Seelen.
Und so frage Ich euch um eures Heils willen: Habt ihr Meine Worte verstanden?“ —
Der alte Zachäus neigte sein Haupt und sprach: „Hören, ja, konnte ich jedes
Wort; aber verstehen so, dass ich es mir zu eigen machen konnte, dies kann ich
noch nicht sagen. — Denn es ist zu viel, was ich in diesen Tagen erlebte. Der
schnelle Bau! — Die schöne Traumvision! — Mein Sohn als Römer- und Heidendiener
und Du, mein junger Freund, als Überwinder alles Sündigen!? — Dies ist zu viel!
Darum laßt mir Zeit und vergebt mir altem
Mann; ich bin zu verwachsen noch mit dem Alten, Daseienden.“ —
Eine Weile ist alles still. — Dann fängt der römische Richter an zu sprechen:
„Liebe Freunde und Du, junger Mann! — Ich hörte nicht nur Deine Worte, sondern
ließ vor meinen Augen vorüberziehen in festen Formen und Bildern Dein geistiges
Innenleben und bekenne feierlich, dass ich in meinem ganzen Leben noch nie diese
Empfindungen und Erlebnisse hatte! Wohl ist manches noch dunkel und ungeklärt,
doch hoffe ich, hierin noch mancherlei zu erfahren. Und so liegt mir nur am
Herzen: Wie willst Du Deine Zukunft gestalten? —
Diese meine Frage entspringt aus zweierlei Gründen. Erstens aus meiner
unbegrenzten Liebe zu Dir, die ich so lebendig in mir fühle. Und dann: kann ich,
als Vorsteher und Beamter meiner Behörde, mit Dir gehen? — Denn ich bin gebunden
durch meinen Eid. Und wenn Du, junger Freund, von Pflichten sprichst: mir, als
altem langjährigen Beamten, ist es zur zweiten Natur geworden, pflichttreu zu
sein. — Und so bitte ich Dich um Bescheid.“
„Lieber, alter, guter Freund!“ antwortete Jesus. „Ich weiß, dass wir beide uns
verstehen werden. Darum sorge dich nicht! Denn der Geist, der Mich frei machte,
wird auch dich frei machen, wenn du die Bedingungen einlöst, die Ich längst
einlöste. Diese Bedingungen lauten, «Liebe du Gott über alles!» und «Betrachte
alle Menschen als deine Brüder!>
Doch wenn du Gott noch nicht kennst, so wird, in Ausübung deiner Bruderliebe,
Gott zu dir kommen. Er wird Sich selbst dir offenbaren und wird auch selber dir
dann zeigen — den Weg zum ewigen Leben.
Wann Gott Mich ruft zum großen Werke, weiß Ich heute noch nicht. Und dunkel ist
Mein Weg Mir selber, da sich die fernere Gestaltung nach den Menschen richten
muss: wie sie Mich und Meine Lehre aufnehmen. Denn mit Meinem Erscheinen wird
das Alte zu einem Neuen und das Obere zu Unterem werden!
In diesem künftigen Reich, das Ich predigen werde, bereite Ich die Menschen
vor, Gott zu suchen im eigenen Herzen und Gottesdienst zu pflegen an Brüdern und
Schwestern. Dabei soll jeder sich gleich achten dem ändern, und jeder soll nur
Gott die Ehre geben. — Bist du nun zufrieden?“ — „Ja. Aber neue Rätsel gibst Du
auf“, spricht der Richter, „und wenn ich weiter frage, dann gibst Du bestimmt
wieder ein neues Rätsel auf l“ — „Da hast du nicht ganz unrecht“, spricht Jesus.
„Denn brächte Ich dir alle Wahrheit und alle Weisheit und würde sie dir beweisen
an Hand von Tatsachen, lieber Freund, dann wäre alles Glück dahin und deine
innere freie Entwicklung würde für ewig Schaden leiden. So lasset nun in
tiefster Stille das Herz, als den Tempel Gottes, ruhig werden, damit auch dieser
schöne Abend euch zu einem Ereignis werde und zum Markstein in der Geschichte
eures Innenlebens!“
05. Geistige Erlebnisse auf
der Anhöhe
Am Himmel werden nun die Sternbilder sichtbar, und in dieser
Stille reichen die Gedanken bis zu den Sternen. Auch im Haus wird nun alles
ruhiger. — Alle Zimmer sind erleuchtet, was dieses Abends Schönheit noch erhöht;
dann kommt ein Bote vom Haus und fragt, was nun noch geschehen solle, da alles
versorgt und erledigt ist und auch für die Gäste die Ruhebetten und -stätten
schon vorgerichtet sind.
Zachäus der Jüngere sagt: „Bleibt alle auf, denn morgen ist für das Haus Zachäus
auch noch Feiertag! Vielleicht brauchen wir noch eure Dienste. — Richtet ein
Nachtmahl an! In zwei Stunden sind wir im Haus.“
Der Sohn fragt den Vater: „War es in Ordnung?“ — und der alte Zachäus nickt mit
dem Kopf.
Im Überschwang seiner Gefühle konnte Zachäus d. J. dann nicht mehr an sich
halten und, sich vor den andern verneigend, spricht er: „Liebe Freunde! Mir ist,
als wenn die Erde verschwunden wäre, als ob ich in einer Welt lebte, wo alles
wie von allein sich fügt und Tausende von unsichtbaren Händen an unserem
Wohlergehen arbeiten! — Mein Inneres ist so voll, dass ich jeden von euch
herzlich umarmen möchte. Ja, ich glaube, ich könnte sogar meinen Feinden Liebe
erweisen! Oh, wie macht es mich froh, Dich, Jesus, kennen gelernt zu haben! Du
hast so eine besondere Art, andere glücklich zu machen.“ „Ja, da hast du wohl
recht“, antwortet Jesus sinnend, „aber hast du schon einmal bedacht, welch einen
großen Vorteil du hast, deinen Mitmenschen gegenüber?
Kennst du Not? — Kennst du Leid? —
Frage einmal deine Freunde, die da kennen Krieg und Leid, die da gesehen haben
die allerbitterste Not in manchen fremden Ländern! Ihre Herzen sind abgehärtet
und haben, nicht nur einmal, selbst mit dem Tod gerungen! — Wer eine solche
Kindheit wie du verlebte und nur in lauter Sorge ums irdische Wohlergehen
dahinträumte, der kennt noch nicht das Leben in seiner Vielheit. Denn aller
Ernst des Lebens wird erst geboren aus den Gegensätzen um uns und in uns! Und so
will Ich auch dir nicht sagen, was zu tun oder zu lassen ist, sondern: Lasse
auch dich frei machen von diesem Hang zum Weltlichen durch den Geist alles
Lebens, damit auch du ein Werkzeug wirst der ewigen Gottesliebe!
Dir schien bis heute nur immer die Sonne. Als du geboren wurdest, da weintest
du; doch die Deinen freuten sich. — Lebe nun in Zukunft so, dass, wenn du
stirbst, du dich freuen kannst und die Deinen dich beweinen! — Denke oft an
Mich! — Und vergiss nicht: Ich heiße Jesus, doch der Geist in Mir Jehova
Zebaoth! — Und nun schließt für ein paar Minuten eure Augen!“ —
Da wurde es auf einmal hell auf der Anhöhe. — Aller Augen wurden geöffnet’ und
konnten nun alle die lichtvollen Gestalten sehen, die die Anhöhe belebten.
Und der Richter fragte erstaunt: „Kann ich mit diesen Wesen sprechen? Oder ist
dies nur ein Traum oder Phantasie?!“
Da sagte Jesus: „Ja, unterhaltet euch! Eine Stunde sei euch dieses gewährt, dann
aber werden sie wieder verschwinden.“
Und sie alle tun nach Seinem Geheiß und unterhalten sich mit den lichten Wesen;
und so geht Rede, Frage und Antwort hin und her, denn diese Wesen waren
abgeschiedene Angehörige, geführt von seligen Engeln.
Viel zu schnell verging diese Stunde! — Da stand Jesus auf von Seinem Platz und
segnete, allen sichtbar, die seligen Wesen. — Dann aber wurden ihnen die
geistigen Augen wieder geschlossen, und allen war es auf einmal, als wenn eine
furchtbare Finsternis auf dieser Erde sei! —
06. Rafael— als Diener des Herrn
Jetzt erst bemerkten die Römer, dass ein fremder Jüngling
angekommen war, und wunderten sich, dass sein Kommen von niemand bemerkt worden
war. Der Jüngling bittet nun Zachäus, den Wirt, um Aufnahme in sein gastliches
Haus — und gerne wurde dieses gewährt. Doch es wollte keine rechte Unterhaltung
mehr werden, denn es war auf einmal alles so ruhig ringsum, und sie fühlten sich
einsam.
Jesus sprach leise mit Jakob und grüßte dann den Neuangekommenen mit leichtem
Kopfnicken. Der Jüngling aber neigte sich bis zur Erde nieder mit gekreuzten
Händen auf der Brust. Dann ging Jakob hin zum Jüngling und hieß ihn im Namen
Jesu willkommen mit den Worten: „Der Herr will es. — Und so geschehe auch hier
Sein Wille!“ —
Da ging eine herrlich schöne Sternschnuppe nieder, ein pfeifender Ton ließ sich
hören und erhellt war, auf Momente, die ganze Gegend. Dann aber wurde es wieder
finster, denn Jesus wollte es so. Da sprach Zachäus: „Liebe Freunde! Wollt ihr
hier oben bleiben, dann lasse ich Lichter bringen, oder gehen wir ins Haus
zurück?“ Und es wurde beschlossen, ins Haus zurückzukehren und das Nachtmahl
einzunehmen.
Im Haus war alles dazu schon vorbereitet. Der Wirt war geschäftig unter seinen
Gästen und sagte dann zu Jesus: „Weißt Du, alles dieses verdanke ich nur Dir! —
Oh, dürfte ich Dich so hier behalten, dauernd, als meinen Sohn! Wahrlich, Du
wärest ein Trost und ein Licht in meinem Alter, - denn von meinem Zachäus habe
ich doch fast nichts!“
Da sagt Jesus: „Ja, dein Wunsch ist wohl recht; denn auch Ich möchte gerne
dauernd hier bei euch unter euch verbleiben. Doch dem Leibe nach kann ich es
nicht, wohl aber im Geist bleibe Ich bei und unter euch.“
Der Alte schüttelte den Kopf und konnte auch diese einfachen Worte noch nicht
verstehen, denn er sah in Jesus nur den Sohn vom alten Josef. — Nach einer Weile
fragte er darum: „Mein lieber junger Freund! — Wie hast du denn dieses gemeint:
dem Geiste nach? — Es gibt doch nur einen Geist und dieser ist Jehova in Seiner
Macht und Glorie?!“
Jesus antwortet: „Es wird noch eine Zeit kommen, da du dieses verstehst, — wenn
der Messias Einzug hält und Vorkehrung trifft, mit Seinem Geist Sein Volk zu
erlösen. Doch lasst uns das Mahl genießen und dann der Ruhe pflegen!“
Die Römer unterhielten sich noch immer von den lichtvollen Wesen und konnten
ihrer Freude darüber gar nicht genug Ausdruck geben.
Der Ruhigste war und blieb Kornelius. — Denn er wusste genug Bescheid und war
nur immer ruhig gewesen, um alle Worte und alles Tun von Jesus tief in sich
aufzunehmen.
Dann fing der alte römische Richter an, über den Tisch hin Jesus über die heute
erlebten Vorgänge zu fragen und bat um Aufklärung von so manchem Zweifel, der
sich noch in seinem Innern regte.
Jesus in Seiner ruhigen, liebevollen Art fing an zu reden: «Liebe Freunde der
Wahrheit! Nichts tue Ich lieber als dienen denen, die es nötig brauchen; um
erstens Meine Mission zu erfüllen und zweitens, um den Geist des Lebens, der
Liebe und der Wahrheit zu belichten und Werte zu schaffen für die Ewigkeit. Wenn
Ich zu euch spreche von Dingen, die ihr nicht kennt, so seid versichert: es sind
diese nicht für Zeit und Raum, sondern aus der Zeit für die Ewigkeit bestimmt!
Alles, was ihr mit euern Augen schaut, ist aufgebaut auf Gesetzen; und der Zahn
der Zeit schafft wohl diese Dinge aber nicht diese Gesetze beiseite. Das
Grundprinzip aller Erhaltung des Geschaffenen jedoch ist die Auswirkung
göttlicher Kräfte.
überall, wo eure Augen hinblicken, ist Kampf, und der Stärkere siegt und ringt
sich durch nach oben. Wer den Kampf flieht, oder zu feige ist, wird unterliegen.
Dies sagt euch das Leben in der gesamten Natur. So ist es aber auch im Menschen
selbst. Sein ganzes Inneres ist der stete Kampfplatz zwischen der Welt und dem
Geist. Doch zu allem Ringen ist dem Menschen gegeben ein freier Wille, den er
überall da ansetzen kann, wo er, von seinem Verstande aus, nur will. Durch
solchen Willen zur Tat oder zum Widerstand werden dann Kräfte rege, die vorher
wie stumm oder latent in ihm ruhten.
Und so ist des Menschen ganzes Leben nichts weiter, als eine endlose Kette von
Sieg und Niederlage. Doch der im Menschen ruhende Gottes-Pol drängt unaufhörlich
zu neuen Taten. — Freilich spürt der Mensch in seiner äußerlichen Gestaltung
nichts davon.
Aber in Stunden, wo große Bedrängnis oder tiefe Freude ihn bewegt, da löst sich
dann der Riegel, der die Tür ins eigene Innere verschlossen hielt, und lässt auf
Momente den inneren Menschen in seiner wahren Gestaltung erschauen: in seiner
Not, oder auch im seligsten Sein.
Glaubt mir: alle die Wesen, die ihr auf dem Hügel erschautet, sind dieselben wie
ihr! Nur ihr tragt noch Fleisch und Blut und könnt erst nach Ablegung eures
Fleischleibes in diesen geistigen Zustand eingehen.
Sehet, wie es hier im Erdensein auch Menschen gab und gibt, die nahe vor ihrer
Vollendung stehen — Ich denke an Henoch, an Elias und an Meine Leibes-Mutter —
ebenso gibt es auch im Jenseits Wesen, die da noch tief unten, und andere, die
schon nahe an ihrer Vollendung stehen.
Wahrlich, Ich sage euch: Himmelsbewohner nur können schauen das Glück, das da
wohnt in den Herzen solcher gottgetreuen Menschen. Bewohner dieser Erde aber
nie, weil ihr Sinn zu sehr auf Irdisches gerichtet ist. Ausnahmsweise aber
können auch Menschen erschauen das seligste Glück der Engel und reinen Geister,
wenn sie sich den Menschen zeigen dürfen, wie ihr heute abend selbst erleben
konntet.“ — Und Jesus spricht weiter: „Um euch aber dieses herrliche und
erstrebenswerteste Ziel der Vollendung zu zeigen, habe Ich solch einen Bewohner
geladen, damit er euch diene (zu euerm geistigen Fortschreiten) und euch die
Stufen in euern Herzens-Tempel hinein zeige und euch Winke gebe aus seinem
Erfahrungsleben, die euch der ewigen Wahrheit bedeutend näher bringen werden!
Also sei es! —
Und nun könnt ihr ihn fragen. Er wird euch keine Antwort schuldig bleiben.“ —
Befremdet und doch neugierig schauten nun alle auf den schönen Jüngling; dieser
aber tat, als ob er schon jahrelang in diesem Haus gelebt hätte. Der alte
römische Richter bat nun den Jüngling an seine Seite und fragte, woher er denn
mitten in der Nacht gekommen sei. „Denn es ist doch ganz gegen gute Sitte, als
Fremder Einkehr in einem Haus zu halten, dass nicht einmal Herberge ist!“
Da lächelte der holde Jüngling und sprach: „Ja, da hast du recht gesprochen,
nach deiner Meinung. Ich wieder bin anderer Meinung. Für mich existiert keine
Nacht, und ich kann bleiben, wo ich will. Es rief mich mein Herr, um Ihm zu
dienen, in dieses Haus. Und so bin ich hier und bleibe so lange, wie es mein
Herr und Gebieter will!“
„Ja, wer ist denn dein Herr?“ fragte der Richter erstaunt. „Ich kenne fast alle,
die da Diener, Knechte und Leibeigene haben, dich aber habe ich noch bei keinem
der Herren gesehen! Oder — bist du eines von den Wesen, die wir auf der Anhöhe
wie im Traum erschauten? Doch dich — habe ich auch da nicht gesehen! Ich bitte
dich um zufriedenstellende Antwort, denn nichts ist schlechter als Zweifel.“
„Mein Herr ist auch der deine“, sprach der Jüngling. „Doch du hast die
Herrschaft und das Sein meines Herrn noch nicht erkannt. Denn würdest du meinen
Herrn kennen, auch du dientest Ihm gerne und willig! Darum möchte ich dir zeigen
an mir und in mir die Zeichen meines Herrn und warum ich Ihm ein Diener bin.“
Da erregt sich der alte Römer und spricht: „Junger Freund, wer du auch sein
magst, rede nicht in Rätseln, denn Jesus gab mir schon genug auf. Immer, wenn
das Wichtigste und Wissenswerteste kam oder kommen sollte, kam ein Rätsel Und
nun kommst du und bist wohl auch so ein Wunderknabe? Darum ersuche ich dich, in
natürlicher Form und Art zu sagen, wer und was du bist!“
„Lieber Freund, errege dich nicht!“ antwortete der Jüngling. „Du wirst alles
noch erfahren, was dir dienen wird! Doch höre: wer ich bin, wird dir schwer
glaubhaft zu machen sein! Denn ich trage nach dem Willen meines Herrn diesen
Leib nur, um euch zu zeigen:
dass alle Kräfte, die im Menschen liegen, nicht in seinem Fleisch, sondern im
Geistmenschen wurzeln, der da, nach der ewigen Ordnung des Schöpfers,
unzerstörbar ist!
Greife einmal meine Hände, überhaupt mich an! — Was merkst du?“ Der alte Richter
antwortet: „Nun, dass du ein Junge von etlichen zwanzig Jahren und sehr gut
gepflegt worden bist, denn dein Fleisch zeigt keine einzige Unschönheit.“
Rafael aber spricht lächelnd: „Nun fasse noch einmal zu, aber derb, denn ich bin
nicht so empfindlich, wie du annimmst!“
Da packte der alte Römer zu, um recht fest die Hand des Jünglings zu drücken.
Aber! Er hatte nichts in der Hand und griff hindurch! Er faßte nach dem Kopf,
nach dem Hals, den Ohren: es war nichts Greifbares da, und doch sah er den
Jüngling vor sich stehen und lächeln. — „Nun hört doch alles auf! Dies mag
verstehen, wer will! — Ein Mensch, und doch kein Mensch!“
„Höre, lieber Freund!“ sagte nun Rafael, denn dieser war es, den die ewige Liebe
zu den Männern beschied, „wir werden uns schon noch verstehen, weil die
Bedingungen dazu schon geschaffen sind. Es fragt sich freilich, ob du und ihr
alle es glauben werdet. Denn alle die Wesen, die ihr schautet und mit denen ihr
euch unterhalten habt, sind Bewohner großer, aber geistiger Welten.
Der Herr und ewige Gott hatte euch, für eine Stunde, von den Hüllen gelöst und
euch das reingeistige Leben gezeigt, ansteigend von unten bis zum Höchsten. Auch
in mir seht ihr einen vom Gotteswillen durchdrungenen Bewohner geistiger Welten.
Und da ich keinen ändern Willen, keinen ändern Eifer und keinen ändern Dienst
kenne, als den meines Herrn, meines Schöpfers und ewigen Gottes, so stehe ich
vor euch als ein Zeugnis Seiner unendlichen Größe und Macht, aber auch Seiner
allererbarmendsten Liebe. Wo Gott ist, sind auch wir! —
Für uns Engel ist alles Eins! (eine Einheit) — Ob Tag, ob Nacht; ob hier oder
da, es macht uns nichts! Und schneller als der Gedanke sind alle unsere
Bewegungen. Wir altern nie, bleiben ewig jung und sind in allem außer Raum und
Zeit. Und nur der Gnade und Erbarmung der großen Liebe unseres Gottes ist es
zuzuschreiben, dass wir hier sind, um euch zu dienen!
Ich durchschaue dich und kenne deine Gedanken. Du — hältst dies für unmöglich?
— Doch, um dir meine geistige Realität zu beweisen, bitte ich dich um einen
recht großen Wunsch j ich erfülle ihn dir, nach dem Willen meines heiligen
Gottes!“
Der alte Römer staunt und besinnt sich langsam. „Ja, wenn du kannst, so hole
oder lasse dir hierher besorgen den Ring meiner schon längst verstorbenen
Mutter, der vor zirka dreißig Jahren im Elternhaus verlorenging und um den ich
heute noch trauere!“ Der alte Mann beschattete seine Augen, als wenn er diese
Erinnerungen nicht aufkommen lassen wolle. Da sagt Rafael:
„Hier hast du deinen Ring, der dir schon manche wehmütige Stunde gebracht hat.
Hättest du damals besser aufgepaßt, so hättest du sehen können, wie eine Krähe
ihn forttrug und in einem Gemäuer aufbewahrte! Doch Gott wollte dies so! Denn Er
wußte den rechten Zeitpunkt, da dir der verlorene Ring, deine stille Liebe,
wieder zugestellt werden sollte. Schaue ihn aber erst an!“ —
Da weinte der alte Mann, der sonst keine Träne kannte, wo Tod und Vernichtung
war. Der ruhig blieb bei Vollstreckung so mancher Todesurteile: hier wurde er
weich, überwältigt von seinem Gefühl! — Dieses Erlebnis war nun der erste Strahl
der göttlichen Liebe, der ihn im Allerinnersten packen konnte, der ihm das Sein
und Wesen des wahren Gottes zeigen durfte! —
Rafael trocknet ihm die Tränen und spricht: „Lieber Freund! Jetzt hat dich das
wahre Leben erfaßt, und nun hören auch alle Rätsel für dich auf! Liebe du nun in
diesem Geist Gott, den Ewigen, und alle Menschen wie deine Brüder, dann hast du
hier nicht umsonst gelebt! Bedenke: Dein ganzes Leben lang diente dir, wenn auch
unsichtbar, dein Gott und Schöpfer, um dir in dieser Stunde zuzurufen: «Oh, so
diene du nun auch Mir!» — Und jene unsichtbaren Kräfte und Helfer werden dir
beistehen im Kampf um dieses große Ziel!“ —
Da nahm der alte Mann den Ring und wollte ihn Jesus an den Finger stecken.
Jesus aber sprach: „Mitnichten, Mein alter Freund, kann Ich dieses annehmen, da
für dich eine noch größere Freude damit bereitgehalten wird! Behalte deinen
Ring! Doch sei er dir stets Zeugnis und Zeuge dieser Stunde! — Gehe nur wieder
hin zu deinem jungen Freund und bitte ihn um noch mehr!“
Da sagte dann mit tränenden Augen der Römer zu Rafael: „Ja, lieber Freund, wenn
du mir den Ring meiner Mutter bringen konntest, so bringe doch einmal, wenn Gott
es zulässt, meine Mutter hierher, denn ich glaube nun an das ewige Sein und
Leben. — Und du wirst doch bestimmt auch den Ort ihres Aufenthaltes wissen?“
Da strich Rafael dem Römer über die Augen, und er sah nicht nur seine Mutter,
sondern auch seinen Vater und Großvater; doch getraute er sich nicht, sie
anzusprechen.
Da sagte dann, für alle nun sichtbar und hörbar, die Mutter: Endlich sind meine
vielen Gebete erhört! — Nun danke ich Gott! Ich weiß dich nun gerettet, da du
dich dem lebendigen Gott zugewendet! — Oh, verlasse alle Götzen, verlasse alles
Weltliche, denn es ist Schein, Lug und Trug! — Nur wir sind Wahrheit als
Geistmenschen, ewige Lebenswahrheit, und leben aus der großen Gnadenfülle
Gottes.
Auch du trittst nun bald an die Stufen zur Ewigkeit! Benutze deine Zeit, die dir
noch gegeben ist, denn das Heil ist unter euch! Durch die ganze Geisterwelt geht
ein Raunen: «Gott ist Mensch unter Menschen!» «Der Hölle wird ein Damm
gesetzt!>> Und alle, alle frohen, in Gott seligen Geister ersehnen die Zeit, da
auch für euch die Brücke gebaut wird (die geistige Verbindung), darauf wir zu
euch und ihr zu uns kommen könnt! Gott ist auf der Erde, um diese Erde samt
allen Bewohnern aufnahmefähig zu machen für das große, endlos große Glück: Gott
wird sichtbar werden allen Geschöpfen (Joh.1, 14)! — Und es werden Zeiten
erwartet, da Gott und Mensch sich die Hände reichen wie zwei Brüder, um vereint
zu kämpfen gegen den Geist, der kein ewiges Leben, keine ewige Ordnung und keine
selbstlose Liebe anerkennen will!
Als ich diese geistige Welt betrat, da war ich arm; aber Freunde kamen und
halfen weiter, bis auch ich Ärmeren weiterhelfen konnte. Und so fand ich deinen
Vater. — Wir trennten uns nicht mehr, weil alles Trennende vergangen und alles
Bindende uns von Gott gegeben wurde, den wir jedoch noch nicht ein einziges Mal
erschauen konnten. — Aber Seine Diener und Seine Freunde kamen und halfen; und
so sind wir glücklich. Wenn auch nicht reich, sind wir auch nicht arm.
Ist Gott schon uns so überaus gut gesinnt, so kann Er doch nur gut und höchst
liebevoll sein! Und so verlassen wir dich — nur für dich, äußerlich. — Doch
können wir auch unsichtbar oft bei dir sein, so du lebendig glauben kannst an
den ewig wahren Gott der Juden. — Glaube recht innig: Er ist das Heil und nur
von Ihm kommt alles Heil! — Und so erstehe in dem Geist, in dem auch wir
erstanden sind“ —
Hier verschwanden die Geistwesen. Alle Anwesenden aber waren hochbeglückt, gab
es doch endlich Klarheit (über das jenseitige Leben).
Kornelius und Julius unterhielten sich nun mit Rafael, und Freude über Freude
löste ihr Beisammensein aus. Der alte Zachäus aber konnte noch nicht so recht
froh werden, denn das Ringwunder war zu groß für ihn; und nach einer kleinen
Pause wollte er sich den Hergang erzählen lassen, wie dieser Ring verlorenging.
Doch der alte Römer wußte es selbst nicht mehr, nur den Verlust konnte er nie so
recht überwinden. Und so vergingen die Stunden im Fluge. An Schlafen dachte
niemand, konnte doch Rafael das Wesen und Sein Gottes allen so klar vorstellen!
— Und an den herrlichen Sternbildern, die vom Saal aus sichtbar waren, zeigte er
seinen Zuhörern das große, ewige Walten in der Gottesordnung. —
Stiller wurde es nun im Raum. — Da ersuchte Rafael alle Anwesenden, eine kleine
Stunde zu ruhen, auf dass das Interesse an der großen, heiligen Gottessache
nicht erlahme! „Und dann lasset uns weiter sehen!“ — Hier verschwand Rafael.
Aber es fragte auch niemand nach ihm.
07. Rafael
zeigt allen die Beherrschung der Naturkräfte
Der Morgen zeigte wieder hellen Himmel, und taufrisch war es
draußen. Da erwachte die Gesellschaft, und Jesus fragte, wer mit nach der Anhöhe
gehen wolle, um Morgenandacht zu halten, und alle waren einverstanden. Der alte
Zachäus bestellte nun das Morgenmahl erst in zwei Stunden, und so gingen sie
gemeinsam zur Anhöhe.
Wie aber erstaunten alle, als sie dort ankamen! Da stand auf einmal ein schöner
Pavillon, auf sieben Säulen ruhend! Das Dach war aus Zedernholz, der Fußboden
war getäfelt, schöne, bequeme Ruhebetten waren aufgestellt, und Rafael erwartete
sie schon!
Mit über der Brust gekreuzten Armen neigte Rafael sein Haupt zum Gruß und lud
dann zum Sitzen ein. „Und nun, liebe Freunde, lasst diesen herrlichen Morgen auf
euer Gemüt recht einwirken, damit die Bande sich lösen, die noch trennend sind
zwischen Gott und Mensch! — Als Gott mich zum Dienst berief an diese Stätte,
wollte ich euch dank der großen Gottesliebe nur den Beweis erbringen, was alles
durch die Fülle der Gotteskräfte möglich ist. Und so verbleibe euch dieser
kleine Tempel zum dauernden Angedenken an diese heiligen, ernsten Stunden!
Ich darf nicht alles euch so geben, dass ihr nur zuzugreifen braucht, vielmehr
will ich euch, auf Grund meiner Lebenserfahrungen, den neuen Weg und das hohe
Ziel zeigen.
Nun schaut einmal nach Morgen! — Die Sonne hebt sich langsam höher und höher,
immer stärker wird ihr Licht, und das beginnende Leben in der Natur ist gerade
wie ein Echo davon. Es ist, als wenn jede Kreatur den schuldigen Dank der
aufsteigenden Sonne entgegenbringen wolle, und die in den Niederungen
aufsteigenden Nebel zeigen euch das Entweichen von gebundenen und geknechteten
Lebens- und Wesensteilen der noch in Gärung befindlichen Erdseele.
Und so schauet! Lichter und lichter wird es ringsum, und leichter und froher
wird euer Gemüt!“
Hoch oben in den Lüften fliegt ein Aar und zieht seine Kreise. Da hebt Rafael
seinen Arm und ruft ihm zu: „Hierher eile und gib Zeugnis, dass du, ein König
der Lüfte, dennoch Untertan bist der Kraft Gottes im Menschen!“
Der Aar senkt sich, setzt sich auf die rechte Hand und den Unterarm des Rafael,
und mit leichtem Flügelschlag verneigt er sich vor der kleinen Gemeinde, welche
staunend das Riesentier bewundert, hat es doch wenigstens zwei Meter
Flügelweite.
Niemand wagt ein Wort. Da spricht Rafael zu dem Adler: Höre! Noch einen Dienst
erweise mir, dann kannst du dir dein Morgenmahl suchen! — Dort, unweit des
Gehölzes in einer Schonung, liegt ein junges Reh, das beim Sturz das Bein
gebrochen. Bringe es schnellstens hierher, denn eine Schlange hat es sich als
Beute erwählt!“
Ein Neigen des Kopfes, und der Adler erhebt sich etwa dreißig Meter hoch; dann
schießt er nach dem Gehölz. — Dreimal kreist er darüber hin, dann stürzt er zur
Erde nieder; doch schnell erhebt er sich wieder in die Lüfte, im Schnabel eine
Schlange tragend, die er direkt in den Kopf gefaßt hat. Die Schlange, ein Tier
von vielleicht vier Meter Länge und etwa dreißig Zentimeter Dicke, beginnt nun
sich zu bewegen und will den Unterleib nach oben ziehen. — Da lässt der Aar die
Schlange fallen und stürzt ihr pfeilschnell nach (— wohl um sie zu töten). Doch
nach einem kleinen Augenblick steigt er schon wieder hoch und kreist in der
Luft. Endlich senkt er sich zur Erde und hebt sich dann wieder empor, im
Schnabel ein junges Reh haltend.
Nun kommt er auf die Gesellschaft zugeflogen, kreist wieder dreimal in der Luft,
senkt sich zur Erde nieder und legt zu Rafaels Füßen das laut jammernde
Tierchen. — Dreimal verneigt er sich, gibt einen lauten Schrei von sich, hebt
sich dann bis in schwindelnde Höhe empor und verschwindet in Richtung der Sonne.
Staunend verfolgten alle diese Szene, aber gesprochen wurde kein Wort.
Rafael fährt mit der Hand über das Rehchen. Darauf wird es stille. Es ist gesund
und schmiegt sich an die Füße seines Wohltäters. — „Nun, lieber alter
Hausvater“, beginnt Rafael in dem allgemeinen Schweigen, „was hast du denn für
Wünsche? Sag, was ich dir tun soll! Es wird dir gewährt werden. Aber verlange
etwas, das den Menschen Segen bringen soll!“
Zachäus aber bleibt ruhig und still, er wagt keinen Wunsch auszusprechen.
Da spricht dann Rafael: „Nun, wenn du nichts begehrst, kann dir nichts werden!
Aber zur Erinnerung an diese heilige Stunde soll sich hier eine Quelle öffnen,
um Menschen und Tiere zu laben und um der hungernden und dürstenden Natur zu
dienen! — Es sei!“ —
Da verspürten alle einen kleinen Ruck. Der Erdboden öffnete sich, eine armstarke
Quelle quillt hervor, und das Wasser sucht sich sofort eine Bahn, nach der Tiefe
eilend. Das junge Reh kostet als erstes das Wasser und legt sich wieder vor die
Füße Rafaels.
„Nun ist’s genug der Zeichen“, spricht Rafael, „mein Dienst ist zu Ende. Ihr
aber: Erkennet Gott und Seinen heiligen Willen! Dann wird diese Erkenntnis auch
euch in jene heilige Wahrheit einführen, damit ihr rechten Gebrauch machen könnt
von all den wunderbaren Kräften, die auch in euch schlummern.
Wie mein Wille den Aar bezwang, wie mein Wille das Tier gesundete, wie mein
Wille das Wasser aus der Erde holte, ebenso auch könnt ihr dasselbe und noch
mehr tun. Denn alles, was ich tat, geschah aus Gotteskräften. Ebenso sollt auch
ihr Gebrauch machen von der Gnade, die sich hier in dieser Morgenstunde
Nun preiset Gott mit Herzen, Mund und Händen! — Und der Geist der wahren
Menschenliebe möge auch euch erfüllen im ernsten Dienst am großen Gotteswerk.
Amen!
Ein Blitz, — und leer war der Platz, wo Rafael stand.
Noch erstaunter sehen sich die Anwesenden an und sehen sich um. Da steht
Kornelius auf und spricht zu Jesus, der wie völlig teilnahmslos dasaß: „Dies
verdanken wir Dir, Du teurer Lebensfreund! Dich will ich lieben! Dich will ich
tragen in meinem Herzen! Denn ich erkenne nun wiederum: Mit Dir hat Gott diese
Erde gesegnet! Oh, wie glücklich müssen Deine Angehörigen sein, wenn sie Dich
erst voll erkannt haben!“
„Da hast du recht, Mein lieber, treuer Freund“, antwortete Jesus. „Aber es ist
leider nur zu wahr, dass Mich die Meinen und ebenso alle anderen viel zu spät
erkennen! Hast ja selbst vom Jakob vernommen, welches Leid und Weh im Haus
Josefs herrschte Meinetwegen; doch Meine Zeit ist noch nicht dal —
Schweigen wir darum noch eine Weile! — Erst mit der Reife eurer Seelen reift
auch der göttliche Geist in euch, der euch wiederum hier gezeigt und offenbart
wurde. Doch Ich muss nun noch schweigen! — Schweiget auch ihr darüber noch, es
geschieht ja nur zu eurem Heil! Unterhaltet euch heute noch mit Jakob; — er weiß
in allen Dingen Bescheid. Morgen in der Frühe wandern wir weiter; ihr aber könnt
tun nach eurem Belieben! — Dringet nicht in Mich! Meine Stunde ist noch nicht
da, weil in Mir noch nicht ergangen ist der Ruf: zum Dienst am großen
Gotteswerk!“
Nun stehen alle auf und bitten Jesus, doch bei ihnen zu bleiben: „Denn wir sind
ja geistig so klein — Dir gegenüber!“ — Doch Jesus geht still von dannen; nur
das junge Reh eilt Ihm nach. —
„Lasset Jesus gehen! Lasst Ihn in der Ruhe!“ bittet Jakobus, Er kommt von selber
wieder. — Wir wissen nicht, warum Er solches tut; doch Er weiß bestimmt warum
und wozu!“
Der alte Richter sagt: „Gehen wir zurück zum Haus, damit wir uns stärken. Es
möge der so schön angefangene Tag noch einen würdigen Ausklang haben!“ Und still
und schweigend gehen sie alle nach dem Haus, schweigend genießen sie ihr Mahl,
aber ihre Herzen sind bei Jesus.
Da kommt Jesus lächelnd zur Tür herein und übergibt das kleine Tierchen dem
alten Zachäus zum Geschenk: „Damit du dich freuen kannst über ein munteres
Tierchen und dankbar erkennest den gütigen Schöpfer!“
Niemand fragt: „Wo warst Du?“, doch alle freuen sich: Jesus war ja wieder da! —
Da sagt Jesus zu Jakob: „Nun beginnt dein Dienst! Regle, nach dem Willen Josefs,
deine Sache, damit auch wir uns heute noch recht freuen können im Geiste des
gütigen Schöpfers!“
Und so verging der Tag, und niemand dachte an Abreise. — Jakob konnte nun auch
seine Fähigkeiten entfalten, und seine brüderliche Liebe wurde nicht müde, zu
zeugen von so vielen und so manchen Gnadenbeweisen! Erst nach Mitternacht
suchten alle ihr Lager auf.
08. Abschied
Als sich morgens zum Frühmahl alle zusammengefunden hatten,
fehlte Jesus. Der alte römische Richter brachte in kurzen Worten sein Befremden
darüber zum Ausdruck, dass Jesus ohne Abschied gegangen sei. Doch verteidigte
Jakob seinen Bruder Jesus und bat, man solle doch Sein Tun nicht kritisieren.
„Denn Er weiß, was Er will, und lässt Sich durch nichts abhalten davon!“ Dann
fragte er, ob die schön verlebten Stunden mit Ihm schon vergessen seien. — Da
schwiegen die andern beschämt, doch es wollte keine rechte Unterhaltung wieder
in Fluss kommen.
Man ging zur Anhöhe, blieb ein Weilchen im Pavillon und kehrte wieder ins Haus
zurück in der Hoffnung, Jesus sei inzwischen gekommen.
Der alte Zachäus besprach mit seinem Sohn und Jakob noch so manches und
bestellte dann frühzeitig ein Mittagsmahl, da die Zeit der Abreise gekommen war.
So waren bald die paar Stunden vergangen, und man setzte sich zum Abschiedsmahl.
Jakob, im Herzen tief betrübt, fragte sich: Sollen wirklich die Freunde
abreisen, ohne Jesus noch einmal gesprochen zu haben? Da tat sich die Tür auf,
und Jesus trat herein. Ein Lächeln auf den Lippen, die rechte Hand zum Segnen
ausgestreckt, so trat Er an den Tisch.
„Freunde“, sprach Er, „zürnt Mir nicht! Ich musste allein sein, um frei zu
werden von den eigenen Wünschen meiner Seele! Und eher konnte Ich nicht kommen,
denn das Herz, das ungestüme, hat noch so viel des irdischen Verlangens, dass
Ich eure, Mir so lieb gewordene Anwesenheit fliehen musste. Nun aber bin Ich
wieder der alte! — Doch lasset euch nicht aufhalten in der Erfüllung eurer
Pflichten!“
Hin und her ging beim Essen das Gespräch, und endlich kam die Zeit zum Aufbruch.
Julius und Kornelius baten Jesus und Jakob, doch mit ihnen zu reisen; aber Jesus
sprach:
„Eben weil wir allein gehen wollen, musste Ich mit Mir ins Reine kommen. Denn
bedenke, Mein Julius, auch du brauchst Stille, willst du werden wie Ich! Es
kommt die Zeit, da wir uns wiedersehen; dann ist die Freude doppelt groß! Doch
wollen wir uns stets im Geist dienen mit den Gaben und den Kräften, die uns Gott
gegeben!“ Und so reichten Jesus und Jakob allen die Hand zum Abschied.
Der alte Römer dankt mit Tränen in den Augen. Er zieht Jesus an seine Brust und
spricht: „Oh, könntest du mit mir gehen und mein Sohn sein, wie wollte ich Dich
halten! Denn in meinem Herzen lebt nur noch Liebe für Dich!“
Jesus dankt ihm und spricht: „Im Geist der Liebe sind wir verbunden auf ewig.
Was du Mir tun wolltest, wird dir Mein Vater im Himmel tun. Und dann erst wirst
du erkennen, wer Ich bin.“
Schwer war der Abschied! — Besonders Zachäus der Jüngere, der doch am wenigsten
mit Jesus gesprochen hatte, wollte Seine Hand nicht loslassen. Da sprach denn
Jesus: „Zachäus! Es kommt bald die Zeit, wo du zum Zeugnis für alle Ewigkeiten
werden wirst. Vergiss Mich nicht, damit nicht Tränen des Schmerzes und der Reue
dich vor der Zeit erlahmen! (Lukas 19, 3—10) Ich gedenke immer dein!“ — „Und so
ziehet in Frieden eure Straße! — Auch wir gehen unsern Weg! — Gottes Liebe und
Segen mit euch!“
Und so ist wieder ein Abschnitt Seines Wirkens im Hause Zachäus beendet. — Sie
blieben heute und diese Nacht noch hier, und der alte Wirt freute sich darüber
herzlich, doch konnte er sich nicht seinen Gästen widmen, da er im Ort von den
Ältesten verlangt wurde. Jesus ging mit Jakob noch einmal auf den Hügel, als
wollten sie Abschied nehmen von der Umgebung. Abends legten sie sich sehr zeitig
zur Ruhe, da der alte Zachäus noch nicht heimgekommen war. Frühzeitig weckte der
Alte die beiden, und ehe sie fortwanderten, dankte ihnen Zachäus nochmals.
„Sprich einen Wunsch aus“, bat er Jesus, „wenn ich kann, erfülle ich ihn Dir auf
der Stelle!“ Da lächelte Jesus und sprach: „Ja, einen einzigen Wunsch hätte ich
wohl, und der heißt:
Behalte du und dein ganzes Haus Mich im Herzen! Und lebe und schaffe
aus dem Geist, der in Mir lebt, und alles wird sich in dir und um dich
paradiesisch gestalten!
Doch nun heißt es scheiden! Vergiss uns nicht, wie wir dich nicht vergessen
werden! Und bleibe eingedenk all der herrlichen Gottesoffenbarungen! — Jehovas
Geist mit euch!“
Und so schieden sie. — Ein großes Stück Wegs gab der Alte noch das Geleite, dann
aber ging er zurück mit betendem Herzen. Die beiden aber gingen auf demselben
Weg zurück, auf dem sie hergekommen waren.
Bruder Georg schließt dieses Heft:
Die Gegenwart Jesu bestehet nicht in Seiner uns sichtbaren persönlichen
Anwesenheit, sondern in der heiligen Erfüllung Seiner Liebe-Gebote!
Also Geschwister: Liebet euch, damit wir immer neuen Zustrom an Liebe erhalten!