Heft 01

Heft 01. Ein Tag im Hause Josephs

Inhaltsverzeichnis
01. Ein Tag im Hause Josephs
02. Auf der Baustelle
03. Jesus und Maria
04. Zeugnis des Erzengels
05. Ein Besuch bei Joseph in der Werkstatt
06. Gespräche Jesu mit Johannes

 



01. Ein Tag im Hause Josephs

    „Erwachet, ihr Schläfer! — Der Tag graut, und schon künden die rosig schimmernden Lämmerwolken das Erwachen eines neuen Tages!“ — so ruft Jakob, der jüngste Sohn Josephs, und in kurzer Zeit ist alles ausser dem greisen Joseph auf den Beinen.
    „Wo ist Jesus!“, fragt Maria, „ist Er heute Nacht zurückgekehrt?“
    „Wir sahen Ihn nicht“, wird der bekümmerten Mutter zur Antwort, und ein jedes Wort drang tief in ihre Seele, Schmerzen verursachend, und doch gleich darnach auch wieder beruhigend.
    Schweigend setzte sich die Familie, ohne Joseph, an den grossen Tisch in der geräumigen Stube, und mit einem Lob-Psalm begannen sie ihr Morgenmahl, welches aus Suppe bestand. Kurz danach ging jedes an seine Arbeit, denn der greise Joseph hielt auf Ordnung.
    Noch sass Maria am Tische, da kam Joseph, küsste dieselbe und fragte nach Jesus. — Tränen stürzten aus den Augen Marias. — Schweigend ging Joseph in die Kammer zurück. Dann hörte Maria Joseph beten, wie er sprach: „O Jehova, du grosser, lebendiger Gott! Kniend schaue ich auf zu Dir, Dir Dank darbringend für Deine grosse Gnadenfülle durch all mein Erdenleben. Gehorsam und willig nahm ich alles auf mich und erkannte darin: Deine Gerechtigkeit und Deine Ordnung! Aber, Herr, jetzt verstehe ich Dich nicht mehr. Gib Licht! — Gib Klarheit! — Gib Kraft, damit ich ausharren kann in den Gnadenprüfungen, die Du, grosser Gott, über uns beschlossen hast! Nimm Du Selbst die Führung in Deine Hände und führe uns aus Not und Zweifel!“
    Maria kniete neben Joseph, und durch ihr von Mutterliebe erfülltes Herz floss ein Strom von Liebe auf den in der Ferne weilenden Jesus. So blieben beide in Anbetung versunken bis Joseph sprach: „Herr! Wie Jakob einst, so bleibe ich betend knien bis Du geholfen gnädiglich!“ — Da, auf einmal wird die Kammer mit köstlichem Duft erfüllt, und Trost zieht ein in die wunden Herzen. „Jehova! Sei gelobt und gepriesen!“, mit diesen Worten erhebt sich Joseph; wortlos reichen beide sich die Hand und verstehen sich.
    „O Joseph“, spricht Maria, „vergib mir, dass ich schwach im Glauben wurde! Sei du mir weiter Stütze, damit ich Jesus stärken kann in Seinem Lebenskampf!“ —
    Da öffnet sich die Tür, der Langersehnte tritt herein und grüsst ehrfurchtsvoll Mutter und Pflegevater. „Mein Sohn“, spricht Joseph, „Du Licht meiner Augen! Du Stütze meines Alters! Siehe, Deine Mutter leidet um Dich; sie leidet, — weil sie Dich liebt über alle Massen. Kannst Du nicht die Kraft aufbringen, Dich aufzuraffen? — Warum kommst Du nicht hierher zu uns, die wir schon manchen Glaubenskampf siegreich durchfochten haben. Jehova hilft auch Dir! Darum sei unser lieber Sohn und werde gleich deinen Brüdern.“
    Ernst antwortet Jesus: „Mein Joseph, und du, Meine Mutter! Sehet, Mein Kampf geht um vieles weiter als der eure! Nicht ihr Lieben könnet Mir helfen, Ich bin auf Mich selbst angewiesen. Denn, würde Ich eure Hilfe in Anspruch nehmen, so müsste Ich dauernd zu euch zurückkehren. Wo aber gehe Ich hin, wenn ihr nicht mehr seid? Denke nicht, Mein treuer Joseph, dass Ich je zu einem Rabbi noch zu einem Hohenpriester gehen werde. — Nein! — Denn alle nehmen ihre Kraft von aussen! Ich aber suche und finde diese Kraft von innen! Je mehr ich alle Hindernisse überwinde, je mehr der Gottes-Liebe Raum geschafft wird im unruhvollen Herzensgrund, desto lieblicher wird die Fülle der grossen lebendigen Quelle im ureigentlichen Herzens-Haus.
    Darum vergebt mir! Ich kann und darf nicht anders handeln, wenn Ich werden will Mein eigen Ich’, das im All, an allen Orten, sich widerspiegeln soll als ,die gewaltige Gottesordnung’ im Menschenherzen! Und es kommt die Zeit, wo ihr Mich noch verstehen werdet.“ *)
    Gross sehen sich die beiden an, und ihre Augen erschauen — nur einen Moment — die in Jesus schlummernde Herrlichkeit. „Lass uns allein“, spricht Jesus, „Ich gehe mit Joseph zu den Brüdern.“

*) Nach der Offenbarung des Herrn hatte Joseph aus erster Ehe 5 Söhne: Joel, Joses, Samuel, Simeon und Jakob. Jakob als Jüngster war 16 Jahre älter als Jesus.

02. Auf der Baustelle

    Was taten mittlerweile dieselben? — Rüstig schritten sie aus, und es war Jakob, als wenn der Tag noch mal so schön würde. Und doch galt ihr Reden und Sorgen nur Jesus. Jakob, als der ruhigste, sagte: „Alles hat seine Zeit! Alles wird seine Löse finden! Noch glaube und fasse ich es nicht, dass alles, was wir erleben und erfahren durften, schon zu Ende sein soll. Denn wir Menschen belieben auf halbem Wege stehen zu bleiben, Gott aber nie! Was Er beginnt, führt Er herrlich hinaus! Und ihr könnt sagen was ihr wollt. Alle mit Jesus erlebten Herrlichkeiten bleiben mir unvergessen und nähren meine Hoffnung: Es wird alles noch gut! Lassen wir Jesus gehen. — Was Er an Arbeit versäumte, holte Er nachher doppelt ein; und in Seiner Abwesenheit wurde oft genau so viel fertig, als wenn Er dabei war.“
    Recht mussten die Brüder dem Jakob geben, jedoch meinte Joel: „Heute fehlt Er uns aber bestimmt, denn wir wollten heute doch fertig werden!“
    Beim Hausbau angelangt, geht jedes an seine Arbeit; doch zum Leidwesen Jakobs geht die Arbeit nicht vorwärts, denn in heftigen Worten geben die Brüder ihrer Unlust Ausdruck, weil Jesus fehlte.
    Höher und höher stieg die Sonne, und der Mittag war nicht mehr fern; da kommt der schweigsame Joseph mit dem noch schweigsameren Jesus. Ein kurzer Gruss, und die beiden Neuangekommenen beteiligen sich schweigend an der Arbeit, — und jetzt mussten die Brüder erkennen, die Arbeit ging doppelt schnell vonstatten.
    Ein schwerer Balken war hinaufzuziehen, und es schien, als wenn die Kräfte nicht ausreichten. Da drängte Jesus hin zu Joseph, um ihm zu sagen: „Nimm dort Meinen Platz ein!“ Dann - ein Druck - ein Heben - ein Ruck - - der Balken war oben.
    Erstaunt sehen sich die Brüder an. In Jakobs Herzen aber erzitterte eine Saite voll Freude, so dass der Widerschein derselben sich auf seinem Gesichte spiegelte. Erstaunt schauten die Brüder auch dieses an, aber sie schwiegen.
    Schweigend wurde nun das Mittagbrot eingenommen. — Der alte Joseph lagerte sich im Schatten und war nach kurzer Zeit eingeschlafen. Die Brüder unterhielten sich leise über die noch zu leistende Arbeit.
    Jesus aber kannte keine Ruhe. Es schien, als wollte Er die drei versäumten Tage einholen, und die ändern liessen Ihn gewähren, wussten sie doch, dass Jesus keinen Widerspruch duldete und überhaupt schwer zugängig war für eine Unterhaltung. So gingen auch sie wieder an die Arbeit, mussten aber sehen, dass Jesus in der halben Stunde ausserordentlich viel geleistet hatte. Ruhig und wortlos ging die Arbeit vorwärts, und am späten Nachmittag war sie beendet.
    Doch wer nicht mit nach Hause ging, war Jesus! Ich will noch zu einem entfernten Nachbar, Mich um Arbeit umsehen, doch zum Schlafengehen bin Ich wieder daheim.“
    So nehmen sie in Liebe Abschied von ihrem Bruder, dem sie so oft wehe getan — doch Jakob fragte noch: „Könnten wir nicht zusammen gehn? Mutter ist beruhigt, wenn sie mich bei Dir weiss. Denn du bist recht still geworden, seit ——“
    „Sprich nicht weiter, Mein Jakob, denn was man nicht weiss, soll man nicht nach aussen stellen. Leider verschwendet ihr die besten Kräfte durch euer vieles Reden und falsches Tun. Warum gebt ihr nicht allezeit Gott die Ehre in euren Herzen und erkennet die hohen Ziele, die Gott euch stellte? — Darum, Mein Bruder, frage nichts mehr. Liebe deine Brüder und mache keine Ausnahme mit Mir. Grüsse nochmals die Mutter! Ich komme noch heute heim.“
    Wieder zu Hause angelangt, suchten die Augen Marias Jesus; und neuer Schmerz durchzuckte ihr Herz, als ihr geliebter Jesus nicht mit heimkehrte.
    Jakob richtete nun die Grüsse aus und erzählte die Worte Jesu. Dazu sprach Joseph: „Ja, wollen wir unserem Herrn und Gott Zebaoth danken und Ihm die Ehre geben. Denn Seine Wege und Seine Gedanken sind andere als die unsrigen.
    Und du, Maria, verziehe mir Jesus nicht noch mehr, denn Er ist kein Kind mehr. Er kann uns mehr geben, als wir brauchen, und Schwachheit ist es, wenn wir uns sorgen um Ihn. Ich habe heute, wie schon oft, Jesus beobachtet bei all Seinem Tun. Trotz schlafloser Nacht ist Er der munterste, und Seine Bedürfnisse sind nur die Hälfte von den unsrigen.
    H i e r   h a t   G o t t   B e s t i m m t e s   v o r !
    Darum beugen wir unsern Sinn und glauben Seiner Verheissung: Es kommt die Zeit, wo unser Gott eine noch schönere Sprache spricht als in vergangenen Zeiten!“
    Maria schweigt, ist doch ihr Kummer grösser als ihr Glaube, ist sie doch ‚Mutter’ und möchte nur leben für ihren Sohn, obgleich bisher schon viel Leiden und Kummer auf ihr Herz fiel.

03. Jesus und Maria

    Ihr aber schien, als wollte Jesus von diesem Kummer nichts sehen; und reden konnte sie auch nicht mit Ihm, denn dann schaute Er sie an und ging schweigend hinaus, um darnach viele Stunden, ja tagelang oft vom Hause fern zu bleiben, ohne Nahrung, ohne Nachtlager. „Was geht in Jesus vor? — Warum spricht Er nicht zu Seiner Mutter? Bin ich es nicht wert, oder wo habe ich Ihn verletzt?“ so umkreisten die Gedanken Maria und liessen sie nicht zur Ruhe gelangen. „Heute frage ich Ihn aber bestimmt“ — nahm sie sich vor — und bereitete dann das Nachtmahl.
    Stunden vergingen — und alles ging zur Ruhe. Maria setzte sich auf die Bank vor dem Hause und wartete auf Jesus, der nach kurzer Zeit kam. Schweigend grüsste Er Seine Mutter — und setzte sich neben sie; schweigend vergingen Minuten um Minuten. Marias Herz krampfte sich schmerzlich zusammen; dann endlich sprach Jesus: „Warum bist du so traurig und lassest dich von Sorgen niederdrücken? — Hast du vergessen den grossen Dienst, den Gott dir getan?
    Warum machst du Mir Meinen Kampf so schwer? — Bist Du doch der einzige Mensch, der Mich verstehen könnte!
    Nicht Ich bin ein anderer geworden, — ihr seid es! Ich bin derselbe noch wie früher, nur muss Ich Meinen Anteil erst zurückzahlen an die Erde, der auch Ich tributpflichtig bin. Darum — so lange noch diese Fesseln bestehen muss Ich ringen, ringen damit und bin allein!
    Lasse doch alle deine menschlichen Gedanken und Wünsche beiseite, denn das, was du glaubst, es könnte Mir dienen zu Meinem Glück, wäre der Menschheit Unglück! Nicht Mir gilt der Kampf, nein, all dem Irdisch-Menschlichen gilt er! Nicht menschliche Ziele suche Ich zu erstreben, sondern göttliche!
    Und darum gib Mir die Hand und verbanne allen Kummer; (leise: — — noch grösserer wird dir einst das Herze brechen). Darum lasse alle Wünsche und nähre nur ein Hoffen: Dass sich ,in Mir’ vereinigen möchte ,Gott — und Mensch’!
    Dann erst kann Ich zum Ziele dringen. Dann kann auch Ich Menschen dingen, die, gleich Mir, ein Einzig Ziel erstreben, um zu erringen ewiges Leben. Sei nun ruhig und glaube: Bald ist es an der Zeit; doch habe Ich noch so vieles vor, ehe Ich beginnen kann.
    Als Ich noch ein Kind war, da besass Ich deine ganze Liebe, die sich trennen konnte vom eigenen Ich. Da vertrautest du Gott, dem Ewigen. Dir wurden Gnadenbeweise in reicher Fülle, und dankbar drücktest du Mich an dein Herz. Heute, wo Ich dich noch tausendmal mehr brauche, heute, wo Ich ringe mit den verneinenden Mächten in Mir, stosse Ich überall auf Nicht-Verstehen. Und darum bin Ich so einsam und werde auch einsam bleiben, bis die Löse kommt. Dann werdet Ihr euch alle freuen! Dann wird wahr was geschrieben steht: Das Kleinste — wird zum Höchsten erhoben. *) Doch Hochmut — kommt zum Fall!
    Sei versichert, Maria, des Himmels Seligkeiten beginnen erst dort, wo Demut und Ergebenheit vor Gott sich paaren! — Und aller Himmelsglanz ergiesst sich in das Herz, das kindlich kann — nur glauben, ohne wissen zu wollen! Darum haltet Mich nicht auf; die Quelle in Mir, sie muss rieseln, damit der Lauf der Welt wieder eingeordnet werde in die Gesetze der ewigen Gottesordnung!“
    „Jesus!“, ruft Maria entsetzt aus, „was hast Du vor? Bleibe im Hause und bringe nicht neuen Kummer! Was brauchst Du zu sorgen nach neuen Kräften? Was willst Du ändern hier im Erdensein? Siehe mich an! Ich, Deine Mutter, habe dich so lieb; erspare mir weiteren Kummer! Wie bald kann der greise Joseph uns verlassen, um heimzukehren zu seinen Vätern, dann habe ich nur Dich! Es ist vorbei mit den grossen Hoffnungen. —
    Wohl muss ich oft an Vergangenes denken; wie stand uns Jehova bei und hat sichtbare Engel uns gesandt. Er muss es doch in Seinem Plan wohl anders eingeordnet haben! Denn wenn ich daran denke, als ich Dich empfangen: ,Ein Licht — in der Finsternis’ solltest Du darstellen. — Doch heute weisst Du fast nicht mehr, dass Du eine Mutter hast, bist taub und stumm und kehrest Dich an andere Menschen. O Jesus! Mein Jesus, mir bricht das Herz vor Weh!
    Oh, wenn Du heute morgen Deinen Pflegevater hättest gehört, wie er klagte vor seinem Gott, Du würdest ganz bestimmt Dich wieder zu uns finden — und sein ,unser guter, lieber Jesus.’“
    „Hör auf, Weib! — O Maria, du weisst nicht, was du willst! Würde Ich nachgeben und euren Willen tun, würde Ich bestimmt nicht Gottes Wunsch erfüllen! Gottes Wunsch und Wille lebt in Mir wie ein Samenkorn, und also muss Ich es auch pflegen. Ich suche nicht Neue Kräfte’, o nein! „Die alte Ur-Kraft’ ist’s, — die freizulegen ist im Menschenherzen. Darum bitte Ich dich — sei still und lass auch Du mich still gewähren; einst wird vergolten werden dir dein Lieben, Sorgen, Härmen. Noch kurze Zeit, dann ist auch der Weg geebnet und die Bahn freigelegt zu dieser Ur-Kraft im Innern. Dann folgt ihr Mir, doch nicht gezwungen, sondern getrieben von dem Geiste, um den Ich ringe, den Ich entbinden muss von allen Schlacken und seelischen Anhängern. Und dieses ist so schwer, so schwer! —
    O Mutter, verstehe Mich doch dieses Mal — Lass Mich nicht umsonst dicht bitten! — Sei gross und stark und schau auf Den, der dich erwählte! O Mutter! — Segne Mich, Deinen Sohn! Heute bin Ich es noch; — ob Ich es noch einmal sagen kann, ist ungewiss. Denn ein Grösseres, Gewaltigeres hat Mich erkoren und ergriffen, auf dass der Feind alles Lebens beraubet würde aller seiner Waffen.
    Sieh herab zu Mir: Ich knie vor dir und bekunde Sohnesliebe. Und was hast du bisher getan? — Meinen Leib nährtest du, doch Meine Seele sehnet sich nach einer Liebe, die Leben und Verstehen ist; und dies in einem solchen Ausmass, dass du erschrecken würdest! Glaube Mir, Meine Mutter, eine Sehnsucht lebt in Mir und kann nicht gestillt werden, bis Ich losgelöst bin von allem seelisch-vergänglichen Sein! Der Geist ist es, der Mir leuchtend den Weg zeigt zu der Fülle von Kraft und Leben — in Mir! Und zeigt mit noch grösserer Klarheit auch all die Hindernisse zu diesem Ziel! Und ein grosses Hemmnis war Meine kindliche, doch blinde Liebe zu dir! Ich wollte überwinden — doch dich nicht kränken! Ich wollte ringen, kämpfen, doch du solltest nichts erschauen davon! Ich wollte dich glücklich machen als ein guter Sohn, und ist Mir doch nicht gelungen. Denn Mich Selbst
hielt es auf, bis Ich Mich nun durchgerungen zum freien, offenen Kampf mit allen diesen verneinenden Mächten — in Mir.
    Darum verliess Ich euch, eilte in die Waldesstille und auf Gebirgshöhen und fand Mich zurecht erst durch den immer stärker werdenden Liebe-Geist in Mir, der da mahnet und dränget zur höchsten Eile. — Ich werde nicht müde — wenn Ich nicht will! Ich hungere nicht — wenn Ich nicht will! Aber Mein Herz kann noch nicht schweigen — wenn Ich will; es sind noch zu viel der irdischen Wünsche vorhanden.
    Nun habe Ich dir offen klargelegt Mein Innenleben und auch Mein Ziel. Segne Mich! Ich bedarf deiner Liebe! Doch schweige weiter vor den Brüdern und zeige ja nicht mehr, dass du dich über Mich grämst. Versprich es Mir nicht, aber dir selber versprich es. Und Jehovas Geist und Liebes-Wehen umschwebe dich und stärke dich, bis zum vollendeten Sieg! — Gute Nacht!“

*) Der in Demut, als klein — vor Gott sich neigt!

04. Zeugnis des Erzengels

    Eilig verschwand Jesus im Haus, doch in Maria wurden noch einmal alle Seine Worte laut, die so mächtig widerhallten in ihrer Seele.
    Da, nach minutenlangem Schweigen zerriss ein Blitz die Nacht, und eine Gestalt in lichtem Schein steht vor der erschreckten Mutter.
    „Fürchte Dich nicht, Du Schmerzensreiche! Erwählet bist Du vor allen Müttern, da Du noch erleben wirst alle die Herrlichkeiten der ewigen Gottes-Liebe! Grosses steht Dir und aller Welt noch bevor! Du solltest dieses nicht vergessen, denn höre: „Der Sieg ist auf Jesus gefallen!“
    Die ganze Hölle tobt und lässt nichts unversucht, Jesus zu bestimmen, etwas zu tun — was Er aus ‚fremden Kräften’ gewonnen.
    Und das Schlimmste ist für uns: Wir sehen den Kampf und dürfen nicht helfen.
    Wo Jesus allein steht, da stehen die Gegner in grosser Zahl. — Auch du, holde Mutter, standest auf Seiten der Gegner und hast unserm Herrn und Gott — in Jesus — den Sieg erschwert. Darum stärke du dich in meinem Lichte und an meinem Worte und lasse da, wo Glaube fehlt — nur Liebe und Hoffnung sein. Dann wird allem Guten in dir das Tor geöffnet; und im starken, rechten Wollen findest du auch genügend Kraft. Und wer aus dieser Kraft wirkt, hat nicht umsonst geschafft.
    Nun muss ich wieder ziehen bis Gott der Herr uns wiederum beruft: um euch in Seiner Ewigen Liebe weiterhin zu dienen.
    Dann eilen wir in süsser, heiliger Lust und dürfen weiter nähren den Keim in eurer Brust. Harren wir weiter aus!
    Und so verbleibe ich in Demut Dein seliger Diener Gabriel. Amen!“

05. Ein Besuch bei Joseph in der Werkstatt

    „Grüss Gott, Bruder aus Abraham, Isaak und Jakob!“ Mit diesen Worten reicht ein alter Mann mit lang wallendem Haar und Bart dem betagten Joseph die Hand. „Endlich darf ich dich begrüssen, denn ich habe sehnsüchtiges Verlangen, mit dir zu sprechen! Schon vor zwei Tagen war ich hier, doch dein Weib verwies mich an dich mit meiner Herzens- und Frage-Not.“
    „Sei herzlich willkommen, lieber Bruder Andreas aus dem Herrn! Möge der Geist Jehovas Erleuchtung geben, damit wir uns verstehen. Ich weiss, mein Weib erzählte schon von deiner Ankunft, doch versichere ich dir im Namen Jehovas, dass du im völlig falschen Bilde bist wegen meinem Sohn Jesus. Warum kümmerst du dich um Ihn? Und wenn Jesus auch vom Hause weggeht und für uns lange Tage fortbleibt, da ist ER doch ein zu guter Sohn, um uns, die wir aus dem Stamm Davids sind, Schande zu machen. Doch komm und ruhe dich aus! Vielleicht sprichst du selbst mit Ihm, denn Er ist im Hause beim Frühstück.“ —
    Beklommen und betreten ist der alte Jude, nur Liebe zum Hause Joseph ist es, dass er heute wieder hierher kam; nährt er doch schon lange einen Gedanken, an dessen Erfüllung ihm so viel liegt; und darum bekümmerte er sich mehr als sonst um Joseph und Jesus.
    Eben betritt Jesus die Werkstatt, grüsst kurz, schaut Andreas mit Seinen grossen Augen durchdringend an und reicht ihm dann wortlos die Hand.
    Andreas hielt dieselbe fest, als wollte er sie nicht wieder loslassen, dann sagte er zu Jesus: „Mein lieber junger Freund und Bruder aus Gott! Zu Dir ziehts mich hin als wärest Du mein Sohn! Ich nehme Anteil an der Freude, die Deine Eltern an Dir haben, muss aber leider auch das Schmerzliche erleben, dass Du in Deinen Pflichten doch nicht jenen heiligen Ernst walten lässt, den Gott — durch Moses — uns und allem Volk übermitteln liess.
    Ich komme, Dir und Deinen Eltern einen Vorschlag zu machen. Ihr wisset, dass ich einen grossen Grund-Besitz mein eigen nenne und in dieser grossen, gewaltigen Zeit, wo das Heer der Heiden, der Römer, allen Glauben und alle guten Sitten zu vernichten droht, brauche ich einen zuverlässigen jungen Mann.
    Ihr wisst, ich habe keinen männlichen Samen, nur meine Tochter Edith ist bei mir; und einsam und trostlos ist’s in meinem Hause geworden, seit Jehova mein Weib ins Reich des Todes berief.
    Siehe an, lieber Bruder Joseph, alt bist du, gleich mir; deine Söhne betreiben dein Handwerk; auch ohne dich kommen dieselben sehr gut weiter und verstehen ihre Arbeit; doch arm bist du geblieben, und dein Grund ist auch nicht grösser geworden.
    Nicht tadeln will ich deine oft zu blinde Liebe und falsche Bescheidenheit, mit der du manchmal, statt dir zu nützen, nur schadest. Darum lass nun endlich die Weisheit sprechen — und komm zu uns, du, dein Weib und Jesus, dein jüngster Sohn. Alles andere aber überlassen wir Jehova, dem Herrn.“ —
    Joseph sieht Andreas lange an; — dann zeigt er mit bewegten Worten diesem an, dass dieses eben nicht möglich sei, — „denn Jehova will, dass wir hier in Nazareth verbleiben. Doch fragen wir auch einmal Jesus!“
    Jesus, welcher der ganzen Unterhaltung zuhörte, kommt sogleich auf die beiden alten Männer zu, verneigt sich vor Andreas und spricht: „Zwecklos ist da jedes Wort aus Meinem Munde, weil Ich in eurem Herzen und in eurem Sinn nichts anderes bin als der verzogene Liebling Meiner Mutter und als solcher keinen Willen hätte. Doch da irrt ihr euch gewaltig! Und wenn du denkst: einen Sohn wie Mich könntest du brauchen als Tochter-Mann, da sei versichert, dass Ich nie daran denken darf, denn Mein Leben hat ein höheres Ziel!
    Doch weil ihr ehrlich seid und du, Andreas, mit guter Absicht zu uns gekommen bist, so wollen wir uns unterhalten über das, was da allein nottut — jetzt — und fürder für alle Zeit.
    Du, so gerechter Joseph! Wie konntest du so leicht vergessen der grossen Gnadenbeweise Gottes? — Und du, Andreas, du Gerechter nach dem Gesetze Mosi, wie kommt es, dass dir nicht genügen die Verheissungen Jehovas? Seid ihr beide nicht in dem Alter, wo ihr längst aus allem Bangen, Fragen und Sorgen heraus sein solltet?
    Du, Joseph, siehest in Mir die grosse Aufgabe gelöst: dass, durch gewaltigen, aufreibenden Kampf mit Mir selbst, Ich Fähigkeiten und einen Willen entwickele, vor dem du dich beugen musst. Und folglich müsste dir klar sein: Dass Gott, der Ewige, als die grosse, wahre Liebe, doch allen erfolgreich geführten Kampf nicht umsonst zuliess. Denn Seine Liebe hat wahre Weisheit zum Grunde. Und dass Ich nun vor dir stehe, nicht als dein Sohn, sondern als Der, der da sagen kann:
    Noch eine kurze Zeit, dann hat aller Kampf ein Ende! Dann baue Ich einen Weg, der geradeaus zum wahren Ziele der Menschheit führt! Und dieser Heilige Weg heisst:
Erlösende Liebe zu allem noch gebundenen Leben!
    Du, Andreas! Dein Sehnen heisst: Glücklich sein und vom Unglück anderer nichts sehen wollen. Darum bangst du um deine Tochter Edith, die du über alle Massen liebst und wünschest ihr das grösste Glück. Und in ihrem jungen Glücke möchtest du dein Alter und den nahenden Tod vergessen. Hast du aber jemals in deinem Leben wahre Glückseligkeit gekannt? Nein, und abermals Nein sage Ich dir! Denn im Rausche der Leidenschaft, die keine Liebe kennt, hast du geschwelgt! Was hast du bisher getan, um die Güte Jehovas zu lohnen, die dich reich und gross machte vor aller Welt? — Hast du je erkannt, was es heisst: „Reich sein?“ — Siehe, Ich will dir einen Namen nennen, der da reich ist! Er heisst „Jesus“ — und stehet vor dir! Reich bin Ich! Denn das, was Ich besitze, gehört nicht der Erde Macht, und nie wird Mich, die Welt’ um Meinen Besitz beneiden, weil er ihr unsichtbar ist! — Aber wenig Hände nur strecken sich aus nach diesem hohen Besitz, der da heisst „Freiheit“! Frei sein — im Willen und Wollen! Frei sein — in allem Tun und Handeln! Keine Macht — ausser der göttlichen im Menschen und ausser dem Menschen — anzuerkennen, das ist Reichtum über Reichtum! Darum ziehe wieder heim und prüfe deinen Besitz, ob er wohl so gediegen ist, dir nach deinem Leibestode zu verbleiben? Und dann kannst du vielleicht den Sinn Meiner Worte verstehen!“
„Joseph!“, ruft Andreas, „hab ich es doch gewusst, dass dein Sohn durch sein vieles Alleinsein verrückte Ideen und Hirngespinste sich aneignete und alles kluge und klare Denken beiseite schob, um als Sonderling von sich reden zu machen.
Glaube ja nicht, — lieber Bruder aus Abraham, dass diese Geschichten alle, die wegen Jesus im Umlauf sind, dem Hause Jehova und dem Hohenpriester Freude machen. Denn es ist in der ganzen Geschichte Israels kein solcher Fall bekannt; und ich kann wahrlich nicht verstehen, dass du dieses so weit kommen liessest! Denn gerade von dir kannten wir nur Gottesfurcht und Glauben. Aber noch ist es nicht zu spät! Biete doch deinen ganzen Einfluss auf, mitsamt deinem Weibe, und ziehe zu mir! Denn in einer anderen Umgebung wird Jesus ein anderer werden, und wir kommen doch noch zum Ziel.“
„Lieber Bruder Andreas“, antwortet Joseph ernst, „es hätte der vielen Worte nicht bedurft, denn da kennst du Jesus zu wenig und ich — zu gut! Gerade was wir wollen, tut Er nicht!
Wie hat mein Weib gesorgt, gerungen und gekämpft! Wie haben wir gebetet, — und weisst du, was wir erreicht haben? Die Gewissheit: Jesus ist zu anderem berufen!
Noch weiss ich nicht, wie in Folge alles werden wird; und wer weiss, ob ich noch vieles davon zu erleben habe? Aber dieses Eine ist gewiss:
Jesus ist anders als wir!
Zum Beispiel: Wir beten oder singen unsern Psalm; — da geht Jesus allein auf die Anhöhe! Wir alle hungern und sind abgespannt nach des Tages Last und Mühe, - — Jesus scheint eine Natur wie von Eisen zu haben! Wir alle haben das Bedürfnis uns auszusprechen, — Jesus nie! Nicht ein einzig Wort kannst du von ihm erfahren. Und es wundert mich längst, dass Er so viele Worte an dich richtete.
Wir z. B. reden dann und wann von der Zukunft; — Jesus nicht ein einziges Mall Doch kommt ein Kranker oder ein Bettler ins Haus, — Jesus ist bei ihm und gibt ihm Trost und Almosen. Und so habe ich Jesus beobachtet in all Seinem Tun und Schaffen, ohne dass ich nur ein einziges Mal Grund gehabt hätte zu tadeln.
Ein Trupp Römer kommt die Strasse daher und hält vor dem Brunnen. Du weisst es selbst, wie streng es verboten ist, den armen hungrigen und durstigen Gefangenen Brot oder Wasser zu geben. Was tut Jesus? — Er geht hinaus mit Brot und Wasser — ein Blick auf die Römer — und sie dulden, dass Jesus die Gefangenen erquickt.
Und wie war ich in Sorge wegen dieser Tat; — doch Jehova war uns gnädig. Wir hatten keinerlei Nachteile. Im Gegenteil, meine Söhne erhielten darnach eine gut lohnende Beschäftigung von dem römischen Kommandanten.
Und so lebe ich in der Erkenntnis: Schweigen ist hier das allerbeste. Schweigt schon Jesus den ganzen Tag, werde ich wohl auch schweigen können, wenn der Mund noch so viel reden möchte.“ —
In diesem Augenblick kommt Maria herein und sieht fragend auf die drei Männer, weil alles so ruhig und still in der Werkstatt war. — Dann grüsst sie herzlich den Gast, geht hin zu Jesus und sagt Ihm, dass sie Ihn zu einer Handreichung brauche.
Jesus antwortet in bescheidener Art: „Bleibe doch lieber ein paar Augenblicke hier; es gab Verhandlungen wegen Meiner, und wenn du Lust hast mit Joseph zu Andreas zu ziehen, — Ich bleibe hier, bis das drängende Leben in Mir gebietet zu wirken und zu schaffen! Schlimm, sehr schlimm steht es noch um den Menschen, der einesteils nur viele Vorteile sich mit seinem Gute verschaffen will. Andererseits ist es aber genau so schlimm, wenn ein Mensch leichtfertig den Boden verlässt, der ihn schon Jahre lang nährte und ihm Glück und so manches Schöne brachte. Denn nur in Erfüllung seiner Pflichten löst sich der Mensch vom Sorgengeist und lässt Vertrauen reifen erst in sich und dann zum ewigen Gott und Schöpfer. — Und so ergibt sich vieles dadurch wie von selbst.—
Liebe Freunde und auch du, Maria! Ich bin des Erfolges gewiss, weil sich schon ,Ein Neues Leben’ kündet in Meiner Brust. Ich aber nur das für ‚Leben’ achte, was ihr alle noch nicht fassen könnet!
Denn nicht ein menschliches Wollen zeitigt diesen Erfolg! Nein, — ein ernstes überwinden eigener Wünsche! Nicht auf morgen oder übermorgen hoffe Ich, nein, —mit dem Heute rechne Ich! Ich will die Aufgaben erfüllen, die das Leben heute an Mich stellt. Und dazu gibt Mir Gott, der Ewige, die Kraft und das Gelingen!
Sehet hier dieses grobe grosse Stück Holz; es ist mindestens eine Zeit von 2—3 Stunden nötig, um ein grosses Loch hindurch zu bohren. Ich aber setze nur das Eisen an, drehe mit der Hand durch — und fertig ist die Arbeit.
Wie lange aber glaubst du wohl, lieber Freund, dass Ich zu diesem Kunststück brauchte? Jahre waren nötig, um Meinen Willen so zu festen, dass sich diese Kräfte in Mir so ordneten, wie wenn ein zweiter Mensch in Mir mit Riesenkräften Mir zu Hilfe eilt. — Doch dieses werdet ihr erst später verstehen lernen.
Darum seid ruhig und stille und redet nicht über Mich, ärgert euch aber auch nicht über Mich! Glücklich ist nur der Mensch zu preisen, den alles an ihn Herantretende — gleich, ob so oder so — nicht aus seiner Ruhe und seinem inneren Frieden zu bringen vermag, auf dass der Mensch mit der Hilfe rechnen lerne, die sich wie von allein ihm darbietet — innerlich!
Und damit wollen wir unser Gespräch beenden. Komm, Maria, Ich will dir deinen Wunsch erfüllen. Gottes Segen mit euch! Doch du, Bruder Andreas, sei heute der Gast Josephs! Ich aber habe noch vieles vor, was Ich euch nicht erzählen darf um eurer Ruhe willen. — Grüsse deine Tochter Edith, Ich weiss, sie kennt Mich und liebt Mich nach ihrer Weise. — Ich liebe sie auch, doch nur so, wie Ich dich liebe. Darum ist jeder andere Wunsch zu ertöten, selbst mit dem Einsatz dessen, was ihr glücklich nennt. Das Ziel, das Ich erstrebe, ist nötig, damit in Zukunft alle Menschen nur diesem einen Ziel zustreben: Eins mit Gott zu werden. Und wenn sich Gegensatz auf Gegensatz, Hindernis auf Hindernis auftürmt, so bin Ich doch soweit hindurch, um zu wissen, dass sich dieses alles beiseite schieben lässt durch die innerste Ruhe und Erhabenheit in Gott.
Nichts, auch gar nichts darf uns noch trennen von diesem heiligen Zug zu Gott hin, damit Gott in Seiner ganzen Liebe und Kraft uns gegenwärtig werde — innerlich. Doch solange noch Gott und Mensch zwei sind, kann der Satan triumphieren. — Erst wenn Gott und Mensch Eins geworden’, ist alles Trennende überwunden! Dann kann Ich sein an allen Orten! Dann wird sich künden überall das erwachende, fröhlich arbeitende, herrliche, das alle glücklich machende Leben — in und aus Gott! Gebet nicht Widerspruch, sondern behaltet Meine Worte; sie werden dereinst ein Licht, ein Signal sein, um auch euch einzustellen auf diesen göttlichen Geist alles Lebens!
Glücklich bist du, Joseph — weil du dich durchgerungen und Mir nicht mehr hinderlich bist! Und gross bist du, Maria, vor Gott — weil du demütig Meinem Willen dich beugst! Doch der Feind alles Lebens ist auf der Hut, Ich weiss es längst! — Haltet auch ihr die Parole fest: „Mit Gott: Alles — Ohne Ihn: Nichts“ und nun Gott befohlen! Amen!“

06. Gespräche Jesu mit Johannes — dem Sohne des Zacharias — auf einsamer Bergeshöhe

Inmitten hoher Berge, auf einem Felsblock sitzend, schaut Jesus auf die herrlichen Sternbilder, die der Himmel Seinen Augen darbietet. Nacht ist es, und sinnend schweifen Seine Augen in die Ferne; nur die Niederungen lassen die bewaldeten Anhöhen noch erkennen. Einen Punkt suchen immer wieder Seine Augen, um dann, wie enttäuscht, wieder nach dem Himmel zu schauen. Ein leichter Schlummer überkommt nun Jesus, und Er wehrt sich auch nicht gegen den Schlaf, — ist Er doch schon die dritte Nacht auf dieser Gebirgshöhe. Die Sterne verblassen, und eine leichte Morgenröte, wie auch das beginnende Leben der Waldvögel, künden von dem neuen Werden eines kommenden Tages.
Jesus erwacht. — Fröstelnd wickelt Er sich fester in Seinen Mantel, und Sein Blick sucht wiederum den Punkt in der Niederung. Noch ist nichts zu erkennen; — da sinkt Jesus auf Seine Knie nieder, stützt Sein Haupt auf Seine Unterarme und fängt an zu beten:
„Heiliger Vater! Du Liebe aller Liebe! — Du Leben alles Lebens! — Versunken bin Ich in dieser Morgenstunde in stiller Anbetung. Doch siehe, Ich brauche Dich! Deine Kraft ist vonnöten! Ich sehe den Weg und sehe lichtvoll die Aufgaben, die Meiner als Mensch noch harren! — Aber nötig brauche Ich das Bewusstsein: Dass Du in Mir bist, dass Du in Mir lebst; nicht mehr als ein zweites Leben — neben Mir, sondern als Mein Eigenes Leben! O Vater! Auch an diesem neuen kommenden Tag soll alles, auch das Geringste, Mir ein Zeugnis sein: Du bist bei Mir — und in Mir! Amen!“
Jesus erhebt sich, und wieder geht Sein Blick nach dem Punkt, der sich nun im Zwielicht als ein Hohlweg darstellt, über dem Weg kreist ein Geier, um sich auf eine ihm darbietende Beute zu stürzen. Da öffnet Jesus Seinen Mund, und wie zu sich selber sagt Er: „Auch euch wird einstens noch Erlösung werden, wenn erst die Saat gelegt und der Feind überwunden! O du arme Erde — mit den noch ärmeren Bewohnern! Wie glücklich wärest du, wenn der Feind alles Lebens als friedlicher Hirte deiner — den Willen Gottes erfüllen würde! Doch, o guter Vater, für Deine Liebe und Deine Ziele ist die Zeit noch nicht da!“ —
Jesus geht umher und schaut unentwegt auf die wie in Glut eingetauchte neu aufgehende Sonne. — Und höher und höher steigt die Sonne, um im weissen Lichte zu leuchten und zu scheinen.
Jesus streckt die Arme aus, als wollte Er sich baden im Licht, dreht sich dann um und erschaut auf einmal Seinen Schatten’: Seine ausgestreckten Arme, Sein Körper vom Fuss bis zum Kopfe stellte dar — ein Kreuz!
„O du Kreuz! Du Sinnbild der Demut, du Zeichen der Ohnmacht, du das Wahrzeichen der ewigen Gottes-Schöpfung! In deinem Zeichen werde Ich siegen!“
Und Jesus, etwas fröstelnd, setzt sich wiederum auf einen Stein, um weiter nach dem Hohlweg zu schauen.
„Wird er kommen? — Wird er folgen dem Zuge des Geistes?“, so fragt sich Jesus, um wieder, wie betend zu sich zu sagen: „O Du Ewige Liebe! Es ist Dein Wille — (dass Johannes kommt!); Er soll sein der Meine! Weit öffne unser beider Herzen, damit wir reif werden zum Gebrauch in Deinem Dienste!“ —
Am Hohlweg entlang kommt, wie von unsichtbarer Hand geführt, ein junger Mann, um mit schnellen Schritten auf Jesus zuzueilen. Sein Gesicht ist gerötet, seine Pulse und sein Atem gehen schnell und schwer, — ist er doch gelaufen, ohne Rast und Ruh, durch Felsen und Wald, durch Gras und Gestrüpp bei Nacht, um dort zu sein an dem Ort, da Jesus nun sitzt.
„Lass mich ausruhen bei Dir, mein Herzensbruder, und lass mich fragen: Was soll wohl dieses bedeuten? — Denn schon seit drei Tagen zieht es mich gewaltig zu Dir, doch Zweifel über Zweifel über mich selbst stiegen auf, wusste ich Dich doch in Nazareth bei Deinen Lieben.
Und stärker ward der Drang, und so verliess ich das Vaterhaus, wo sich Mutter nun ängstigt, und ging nach dem Gebirge. — Da auf einmal ist es, als wenn das Drängen in mir zur Kraft und Gewissheit wurde, als ob wie unsichtbar ein Finger mir den Weg zeigte durch viele, viele Hindernisse. —
Und nun, — Jehova sei’s gedankt, — nun bin ich hier! Nun wird mir endlich Klarheit: Du brauchst mich! — Lass mich wissen, warum nur und wozu? — Sag, Herzensbruder, hätten wir es bei Euch zu Hause nicht bequemer und schöner gehabt als hier oben in dieser Einöde, wo kein Leben ist. Über uns der Himmel, tief unter uns — die Heimat. — Hier, wie zwei von Gott Verlassene, ohne Nahrung und ohne Schutz. Sag, was hat das alles zu bedeuten?“ —
Sanft antwortet Jesus ihm: „Johannes! Gib Mir deine Hände und lass Mich schauen in deine lieben, treuen Augen! Ich weiss, du bist ohne Falsch, und doch bin Ich um dich in grosser Furcht und Trauer. —
Lass Mich in Ruhe ausreden, blicke auch du Mich an — fest, damit alle Bedenken weichen und du erschauest, den Kern Meiner Seele“! Siehe! Hier oben in dieser reinen Höhenluft, umgeben von frommen Wesen, sind wir losgelöst vom Druck, den die Tiefe auf alle Herzen ausübt. Durch’ Hunger und Durst ermüdet, ja ermattet, — keine Möglichkeiten sind vorhanden uns zu sättigen — hier ist es dem Geiste ein Kleines, uns zu stärken und zu erfrischen. Hier werden unsere Seelen brauchbarer, die hehre Kost und die hohen Gaben — direkt aus der Hand des ewigen Gottes aufzunehmen.
Ich habe dich gerufen, — du kamst! Erinnere dich der Gespräche unserer Väter! — Erinnere dich, wovon wir so oft sprachen bei den kurzen Besuchen! Aber du hast es vergessen — und hast dich einnehmen lassen von dem, was dein Verstand zu dir sagte! — Hast du noch, nicht gefühlt: dass du bei all deinem ehrlichen Willen und Wollen innerlich arm und ruhelos geblieben bist? —
Siehe, wir beide sind berufen zu Grösserem als du je ahnen kannst! Lass dir erzählen, wie Ich gekämpft und gerungen habe; doch es lässt sich nicht in Worte kleiden. — Aber bedenke: Mir ist es jederzeit heiliger Ernst gewesen um dieses grosse, gewaltige Lebens-Ziel! Glaubst du aber so felsenfest: dass Gott, der Ewige, dir entgegen kommen muss, um dir zu reichen Seine Gnaden-Gaben? — Bruder! — Da irrst du gewaltig! — (Nur durch gewaltigen Kampf im Innern und heiligen Ernst erhält der Mensch göttliche Gnadengaben!)
Durch Seine endlosen, segensreichen Gnaden-Führungen sind wir beide berufen: Verlorenes Leben Ihm wiederzubringen! Und alles Verlorene liegt nun als endloses, ewig nie vergehendes Gut aus Gott in unseren Herzen!
Doch nur der leiseste Zug, die allerkleinste Liebe zum Vergänglichen lässt dieses gnadenvolle Sein nicht in uns zum Vorschein kommen!
Ich habe diese unsere Mission erkannt, habe erschaut den Reichtum von Kraft und Fülle in unserem Geiste, und erstarke nun mehr und mehr im Willen zur Abkehr von allem Irdischen.
Darum, lieber Johannes, blick auch du in dein eigen Herz. Dort ist die Wiege und die Ruhestätte der ewigen Liebe aus Gott. Und nur da, wo diese Liebe ist, da entwickelt sich erst das neue Leben aus ihr.
Alles, was du siehst, ist innerlich krank, sterbenskrank, und du kannst die ganze Erde durcheilen,.— kein Helfer ist zu finden! Der Helfer lebt nur erst in uns als unscheinbares kleinstes Atom und will genährt und gepflegt sein durch unsere Liebe zu diesem ‚Neuen Leben aus Gott’. Und nun siehe, du wirst fragen: Mit was soll ich dieses Gottesleben in mir nähren? — Die Antwort darauf ist nicht leicht. Sie lautet: Mit dem, was du opferst an irdischen Wünschen, mit dem, was du abnimmst am eigenen seelischen Sein! —Dann aber sind alle hemmenden Kräfte dir zu dienen bereit.
Ich brauche dich — als Meinen Herold! Als den, der die Menschen aufmerksam zu machen hat auf das, was da kommt: Als göttliches Leben — in Mir — zu allen Menschen!
Du kennst den Tempel und sein heuchlerisches Tun. Du kennst die Schrift und alle Verheissungen. Du weisst längst, dass in Mir die ewige Liebe sich verkörpern will auf dieser Erde in dieser Zeit. Und doch hältst du fest an dem starren Gesetz. Siehe an, wenn Gott dir Kräfte verliehen hat, dass du die Sünde abweisen kannst, darfst du doch nicht denken, dass alle Menschen so geschaffen sind. Hast du alle Tiefen deiner Seele schon durchlebt
und kannst du die Mittel dein Eigentum nennen, mit denen du die kranken Brüder zu heilen vermagst? Nein! — Es wäre falscher Wahn! — Denn all dein Glauben, Tun und Wirken kann sich nur stützen auf das, was du gelernt im Tempel und in den Schulen.
Man braucht kein scharfer Geist zu sein, um all das Verkehrte und Falsche zu beurteilen; und man braucht kein Erleuchteter zu sein, um alles Böse zu erkennen.
Doch die Zeit ist nun da, wo alles Göttliche im Menschen offenbar werden soll! Es kann aber nur uns offenbar werden im Lichte unseres wahren, ernsten, heiligen Gottes-Dienstes und durch Opferung alles Irdischen am eigenen Ich, — und dies bei allen Menschen.
Darum schaue um dich: Strahlen von Licht umgeben uns, um uns im Lichte erkennen zu lassen, dass alles, was leben will, — vom Licht durchtränkt sein muss. Denn Licht ist es, was alles Wachstum fördert! Licht ist es, das uns das Dunkel öffnet in unserer Seele! Und Licht ist es, was uns auch alles Schädliche in uns erkennen lässt!“
„Lieber Bruder Jesus! Deine Liebe ist gross! Dies fühle ich jetzt in dieser Stunde; aber verstehen kann ich Dich noch nicht. Wohl sind mir Deine früheren Reden in bezug auf unsere Zukunft erinnerlich, und ich erinnere mich noch, dass Du mein Ende als nicht befriedigend darstelltest, indem Du sagtest: Ein Opfer deiner Eigenliebe.
Aber mir ward ganz wirr im Kopf, wenn ich Deine allzu ernsten und doch in grosser Liebe gesprochenen Worte überlegte — und so auch heute wieder in dieser Morgenstunde.
Jetzt erst kommt mir wieder zum Bewusstsein, wo wir eigentlich sind, und all das Geheimnisvolle, das mich hierher zog. O Jesus, mir ist bang hier in dieser Einöde; lass uns umkehren! Unterwegs können wir das besprechen, was ich Dir tun soll. Komme doch fort von hier und lass Dich nicht vergebens bitten.“
„O Johannes! Wenn du Mich heute nicht verstehen willst, dann brichst du eine Stütze, eine Hoffnung in Mir! Siehe, drei Tage sitze Ich hier in Erwartung, — und nun du hier bist, nimmst du keinen Anteil an Meinem Kampf? Du empfindest Meine Liebe — und wohl tut sie deinem Herzen; aber jetzt zeigst du, dass du in dir noch keine wahre Liebe kennst.
Liebe— ist erst Liebe’, wenn sich keine Bedenken erheben; denn da, wo noch gewogen, wagt die Liebe ja nichts! Nur ‚wahre Liebe’ setzt alles ein, ohne Bedenken. Doch der Führer dieser heiligen Liebe muss sein: Gottes Licht und Seine Weisheit! — Darum muss noch vieles, ja alles Eigene sterben in dir! Und so sprich dich weiter aus! Bedenke aber: In allem Geschehen waren es immer zwei! — Als Adam als Herr, als Stellvertreter Gottes auf diese Erde gesetzt ward, da war alles Geschaffene zu ihm in einem Zustand wie Mann zum Weib. Adam = das Göttlich-Zeugende, — die Schöpfung = das Gebärende. Doch durch eigenes Verschulden, durch seine Liebe zum eigenen Ich ging all diese Herrlichkeit in ihm zugrunde. —
Dann sollte Adam (als der Zeugende) sich, im Weibe’ wiederfinden; darum vereinigte Gott in Eva alles Geschöpfliche. Doch Adam ging unter mitsamt seinem Weibe.
Bis heute trug Gott, der Ewige, die Sorge um alles gefallene und gebundene Leben — Selbst. Nun, in uns beiden, sind endlich alle Bedingungen erfüllt, wo wir gleich einem Adam und einer Eva, und so rein wie diese waren am Anfang, vorerst segnend, befruchtend einwirken können auf das verirrte Innenleben der Menschen — und dann wie von selbst auf alles Geschöpf liehe!
Und so stehen wir beide vor grossen Aufgaben! Ich kenne die Meine, und Ich zeige dir die deine. Es kommt nun auf das Gelingen an.
Ich stehe schon am Abschluss Meines grossen Kampfes! Ich will dich stützen und will dir zeigen dein überherrlich grosses Ziel. Denn, Bruder Johannes, versagst du in dieser grossen, gewaltigen Zeit, dann kommt noch eine Probe über dich, die noch viel gewaltiger sein wird!
Siehe! Hast du, Mich’ so, — dass du sagen könntest: ,Ich und Du — sind Eines —? Dann bin Ich (als Liebe), dir alles! und du (als das Verständnis für diese Liebe) bist der Erste, der Früchte’ zeitiget ewigen Seins. Später wirst du erst suchen müssen — und wirst manchmal irren — und alle Proben deines Glaubens werden genau nach dem Masse berechnet, wie du Kraft zum Tragen hast in dir. Also sprich, und sei offen zu Mir!“ —
Johannes schweigt. — Endlich bekennt er: „Lieber Bruder Jesus! Deiner Rede tiefer Sinn ist unfassbar für meinen begrenzten Verstand. Du stellst mich jetzt vor Fragen und Aufgaben, die meiner noch zu unwürdig sind. Suche Dir doch einen Besseren! Einen, der dieser grossen, gewaltigen Liebe, die Du mir eben dargestellt, das rechte Verständnis entgegenbringt. -
Ich kann nicht gegen meine Natur und kann nicht ein Leben leben, das mir noch fremd ist. Siehe, Du kennst meine Erziehung: streng nach den Regeln der Gesetze Mosi. Doch diese Liebe, für die Du dich einsetzen willst, ist mir zu phantasievoll, und ich fürchte, Du wirst gewaltig Schiffbruch leiden.
Was Du mir in Deinem Leben dargestellt als Kampf, um Dein Fleisch zu überwinden und Deine Eigenliebe, ist mir rätselhaft. Du willst zu dem Ziele gelangen: Ein Leben aus Gott darzustellen — und willst einen Weg bahnen, der uns Menschen zum Helfer und Retter für alles Verirrte macht? — O mein Jesus! Du guter, lieber Mensch! Bleibe, was Du bist, und Du dienest Dir am besten! —
Glaube ja nicht, dass Du die Tempel-Macht zerbrichst! — Glaube ja nicht, dass die Hüter des Tempels Dir glauben werden! Nur zu gut ist mir dieses bekannt, und eben dadurch hat mich das Leben bei ihnen so hart und grob gemacht. Wohl bin ich mir bewusst, in keine Sünde zu willigen; — und, habe ich gesündigt am Tage, — ehe die Nacht hereingebrochen, habe ich gebüsst in Sack und Asche. Aber von Liebe, von Nachsicht, von Güte — habe ich noch nie etwas gehört ausser von Dir, von Deiner und meiner Mutter; — und mein Vater ist ja längst nicht mehr. Glaube mir, könnte ich den Tempel zerstören, ich würde es tun, weil dort die Sünde hauset gar mächtig. Aber ich bin ja nur ein Mensch, — und darum will ich auch meinem Vorsatz getreu bleiben und werde, die Ankunft des Himmels’ allem Volk verkünden! Was Du in Dir trägst als Liebe-Macht und -Kraft, ist wohl ein Sehnen in mir. — Ja, ich ahne Grosses in Dir! Aber Wissen ist mir wichtiger als Ahnen. Und darum — erwähle Dir andere, die Dir folgen freiwillig! Denn Du bist der Herr in Deinem Wesen und Sein! ich — nur Dein Knecht. Darum, O Jesus, lass mich heute noch das Recht geniessen, Dich Bruder zu nennen! Lass mich Dich noch ein einziges Mal umarmen und Deinen Mund und Deine treuen Augen küssen! Und aus dieser Erinnerung will ich dann schöpfen, wenn das Leben mich hart erfasst. — O mein Jesus, — mein Bruder! —„
„Komm, Mein Johannes, an Meine Brust! Geistig kettete Ich dich schon immer an Mich, denn Ich liebe dich — liebe dich so innig! Erfasse doch den Geist in Mir und empfinde die Weihe dieser heiligen Morgenstunde! Trinke dich satt und lasse alle Bedenken verschwinden, — denn nur Eins ist not! — Und dieses Eine ist: Erkenne Mich! — Erkenne den Geist des Lichtes und des Lebens in Mir. Dann bist du ausgerüstet zum Sendung, zum Wegbereiter für Mich.
Wohl werde Ich Mir „Brüder“ suchen, die alle zusammen das in sich vereinigen, was eigentlich du darstellen solltest. — Sieh, Ich könnte dich beeinflussen so, wie Ich dich hier herauf zog; doch in Zukunft darf Ich auch dieses nicht mehr tun, weil der Feind alles Lebens zu viele Spione besitzt. — Darum kann nur das das Richtige sein, was in freiester Herzensliebe erfolgt. Und darum geniesse recht diese Stunde!
Denn jetzt ist es der Geist der Liebe, der uns verbindet und in uns den Willen zum heiligen Werke erstarken lassen will.
Ob Ich noch einmal in diesem Sinne zu dir reden kann, hängt ganz von deiner Einstellung, deinem Herzenszustand ab. Willst du Mein treuer Johannes sein und bleiben, so verbanne ja alle Rechthaberei und alle Selbstgerechtigkeit. Denn es ist hundertmal besser, Unrecht leiden — als tun. Und willst du wahrhaft in diesem Geiste der Liebe erstehen und wirken, dann lebe so, dass keiner deiner Mitmenschen enttäuscht von deiner Seite geht. Des Himmels Macht und Segen wird nur dem Herzen eigen, das sich in Demut beugen kann vor Gott dem Herrn. Denn nur das Herz, das von Seinem Geiste durchdrungen ist, wird im Dienste dieser Liebe wirken können. O Mein Johannes, nun überwinde alle Bedenken und mache dich frei! Unsere Zeit ist da, und Hilfe ist allen vonnöten!
Schaue dir dieses schöne Land an, in seinen stillen Wäldern wohnt noch Frieden. Lass aber Menschen kommen, — und aller Frieden ist hin. Sie wissen nicht mehr, was Frieden ist — und was dem Frieden dient! Sie wissen nicht, was Liebe ist — und was der Liebe dient! Und somit rüsten wir uns zum fröhlichen Dienen in dieser Liebe.
Frage nicht — wo und wann dienen? — In deinem Herzen wird dir Antwort zuteil! Gehest du aber — ohne Mich — deinen Weg, — dann werde Ich Mich auch dem beugen lernen und werde dir nicht hinderlich sein in deinem selbstgewählten Dienste am grossen göttlichen Werke. —
Nun habe Ich dir Meinen Wunsch kundgetan. Wähle selbst! — Und wie dein Wirken — so dein Lohn! Nun wollen wir scheiden. — Leicht und frei sei dir der Rückweg! Ich aber verbleibe noch bis zur Nacht hier auf dieser Höhe, um Mich noch mehr zu festen und zu einigen mit dem heiligen Gottwesen — in Mir. So nimm Meinen Liebessegen und bleibe eingedenk dieser Worte von Deinem Jesus! Amen.“ —
Johannes vermag sich fast nicht zu trennen, denn zum ersten Male in seinem Leben fühlt er, was es heisst ‚Scheiden’! Mit Tränen im Auge ruft er noch zum Abschied: „Ich warte Deines Rufes, o treuer Jesus! — und „Gott mit uns“ — bis zum Wiedersehen!“
Mit eiligen Schritten verschwindet Johannes im Hohlweg — und Jesus ist allein! — Allein!! Und Seine Lippen murmeln:
„O Johannes!, wärest du hier geblieben aus freier Liebe! — Wir hätten uns nicht mehr getrennt bis zum Siege! — Doch auch dieses muss heute noch überwunden werden! —
Und zur Nacht, wenn Ich keinem Menschen mehr begegne, dann eile Ich heim zur sehnsüchtig wartenden Mutter.
O Gott! — O Vater! — O Liebe Du! — Wie danke Ich Dir, dass Meine Mutter Mich versteht und nicht mehr fragt! — Ihre linde Hand auf Meinem Haupt gibt Kraft, ist Balsam Meiner wehen Seele. Habe Dank, o Du herrlicher Vater, indem Du in Marias Herz Dich so verherrlichst und Mich fühlen lassest das grosse, gewaltige, herrliche Ziel!
Wohl gehen noch viele dunkle Tage vorüber; doch das Schwerste ist überwunden. O wie glücklich würde Ich noch sein, wenn auch Joseph, ganz wie Maria, Mich verstehen lernte!
Doch, Herz, nun musst du schweigen, damit Gott reden kann in dir!“
Und somit sei beendet diese Szene auf dem Berge. —