Jugend Jesu - Das Jakobus - Evangelium
Biographisches Evangelium des Herrn von der Zeit an, da Joseph Mariam zu sich
nahm.
( Text )
Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber.
Nach der 11. Auflage 1996.
Inhaltsverzeichnis
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Vorrede
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Das Jakobus-Evangelium über die Jugend Jesu.
- Kapitel
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Vorrede
Vom Herrn Selbst kundgegeben als Einleitung zu Seiner Jugendgeschichte unterm
22. Juli 1843 und 9. Mai 1851 durch denselben Mund, den Er zum Organ dieses
Werkes erwählte.
1. Ich lebte die bekannte Zeit bis zum dreißigsten Jahre geradeso, wie da lebt
ein jeder wohlerzogene Knabe, dann Jüngling und dann Mann, und mußte durch den
Lebenswandel nach dem Gesetze Mosis die Gottheit in Mir – wie ein jeder Mensch
Mich in sich – erst erwecken.
Ich Selbst habe müssen so gut wie ein jeder andere ordentliche Mensch erst an
einen Gott zu glauben anfangen und habe Ihn dann stets mehr und mehr mit aller
erdenklichen Selbstverleugnung auch müssen mit stets mächtigerer Liebe erfassen
und Mir also nach und nach die Gottheit erst völlig untertan machen.
Also war Ich, als der Herr Selbst, ein lebendiges Vorbild für jeden Menschen,
und so kann nun deshalb auch ein jeder Mensch Mich geradeso anziehen, wie Ich
Selbst die Gottheit in Mir angezogen habe, und kann mit Mir selbständig ebenalso
völlig Eins werden durch die Liebe und durch den Glauben, wie Ich Selbst als
Gottmensch in aller endlosen Fülle vollkommen Eins bin mit der Gottheit.
2. Auf die Frage, wie die Kindes-Wunder Jesu und dessen göttlich geistige
Tätigkeit mit Seinem gleichsam isolierten Menschsein in den Jünglings- und
Mannesjahren und in diesen wieder die in denselben verrichteten Wunder
zusammenhängen, wenn man sich Ihn in diesen Jahren nur als Mensch denken solle,
– diene als Antwort der Anblick eines Baumes vom Frühjahre bis in den Herbst.
Im Frühjahre blüht der Baum wunderbar und beherrscht ihn eine große Tätigkeit.
Nach dem Abfalle der Blüte wird der Baum wieder, als wäre er untätig. Gegen den
Herbst hin aber erscheint der Baum wieder in seiner vollsten Tätigkeit: die
Früchte, die sicher wunderbaren, werden gewürzt, gefärbt, schöner denn vorher
die Blüte, und also gereift, und der ihnen gegebene Segen wird seiner Bande los
und fällt als solcher in den Schoß der hungrigen Kindlein.
Mit dem Auge des Herzens wird man imstande sein, dies Bild zu fassen, aber
niemals mit den Augen des Weltverstandes. – Die fraglichen Stellen, ohne der
Gottheit Jesu nahe zu treten, sondern diese im Glauben des Herzens, der da ist
ein Licht der Liebe zu Gott, festhaltend – lassen sich nur zu leicht erklären,
sobald man aus dem Herzen heraus rein wird, daß die volle Einung der Fülle der
Gottheit mit dem Menschen Jesu nicht auf einmal, wie mit einem Schlage, sondern
– wie alles unter der Leitung Gottes – erst nach und nach, gleich dem
sukzessiven Erwachen des göttlichen Geistes im Menschenherzen, und erst durch
den Kreuzestod vollends erfolgt ist; obschon die Gottheit in aller ihrer Fülle
auch schon im Kinde Jesus wohnte, aber zur Wundertätigkeit nur in der Zeit der
Not auftauchte.
3. Der leibliche Tod Jesu ist die tiefste Herablassung der Gottheit in das
Gericht aller Materie und somit die eben dadurch mögliche vollends neue
Schaffung der Verhältnisse zwischen Schöpfer und Geschöpf.
Durch den Tod Jesu erst wird Gott Selbst vollkommen Mensch und der geschaffene
Mensch zu einem aus solcher höchsten göttlichen Gnade neu gezeugten Kinde
Gottes, also zu einem Gotte, und kann erst also als Geschöpf seinem Schöpfer als
dessen vollendetes Ebenmaß gegenüberstehen und in Diesem seinen Gott, Schöpfer
und Vater schauen, sprechen, erkennen und über alles lieben und allein dadurch
gewinnen das vollendete ewige, unzerstörbare Leben in Gott, aus Gott und neben
Gott. Dadurch ist aber auch des Satans Gewalt (besser: Wille) dahin gebrochen,
daß er die vollste Annäherung der Gottheit zu den Menschen, und umgekehrt dieser
ebenalso zur Gottheit, nicht mehr verhindern kann.
Noch kürzer gesagt: Durch den Tod Jesu kann nun der Mensch vollends mit Gott
fraternisieren, und dem Satan ist da kein Zwischentritt mehr möglich; darum es
auch im Worte zu den grabbesuchenden Weibern heißt: „Gehet hin und saget es
Meinen Brüdern!“ – Des Satans Walten in der äußeren Form mag wohl stets noch
bemerkbar sein, aber den einmal zerrissenen Vorhang zwischen der Gottheit und
den Menschen kann er ewig nicht mehr errichten und so die alte unübersteigbare
Kluft zwischen Gott und den Menschen von neuem wiederherstellen.
Aus dieser kurzen Erörterung der Sache aber kann nun jeder im Herzen denkende
und sehende Mensch sehr leicht und klar den endlosesten Nutzen des leiblichen
Todes Jesu einsehen. Amen.
Das Jakobus-Evangelium
über die Jugend Jesu.
Biographisches Evangelium des Herrn von der Zeit an, da Joseph Mariam zu sich
nahm.
22. Juli 1843
Jakobus, ein Sohn Josephs, hat solches alles aufgezeichnet; aber es ist mit der
Zeit so sehr entstellt worden, daß es nicht zugelassen werden konnte, als
authentisch in die Schrift aufgenommen zu werden. Ich aber will dir das echte
Evangelium Jakobi geben, aber nur von der obenerwähnten Periode angefangen; denn
Jakobus hatte auch die Biographie Mariens von ihrer Geburt an mit aufgenommen,
wie die des Joseph. – Und so schreibe denn als erstes Kapitel:
1. Kapitel – Joseph der Zimmermann. Die
Verlosung Mariens im Tempel. Gottes Zeugnis über Joseph. Josephs Gebet. Maria im
Hause Josephs.
Joseph aber war mit einem Hausbaue beschäftigt in der Gegend zwischen Nazareth
und Jerusalem.
Dieses Haus ließ ein vornehmer Bürger aus Jerusalem dort der Herberge wegen
erbauen, da sonst die Nazaräer bis Jerusalem kein Obdach hatten.
Maria aber, die im Tempel auferzogen ward, ist reif geworden und war nach dem
Mosaischen Gesetze not, sie aus dem Tempel zu geben.
Es wurden darum Boten in ganz Judäa ausgesandt, solches zu verkünden, auf daß
die Väter kämen, um, so jemand als würdig befunden würde, das Mägdlein zu nehmen
in sein Haus.
Als solche Nachricht auch zu Josephs Ohren kam, da legte er sobald seine Axt weg
und eilte nach Jerusalem und daselbst an den bestimmten Versammlungs- und
Beratungsplatz in dem Tempel.
Als sich aber nach Ablauf von drei Tagen die sich darum gemeldet Habenden wieder
am vorbestimmten Orte versammelt hatten und ein jeder Bewerber um Maria einen
frischen Lilienstab so bestimmtermaßen dem Priester dargereicht hatte, da ging
der Priester sobald mit den Stäben in das Innere des Tempels und betete dort.
Nachdem er aber sein Gebet beendet hatte, trat er wieder mit den Stäben heraus
und gab einem jeglichen seinen Stab wieder.
Alle Stäbe aber wurden sobald fleckig, nur der zuletzt dem Joseph überreichte
blieb frisch und makellos.
Es hielten sich aber darob einige auf und erklärten diese Probe für parteiisch
und somit für ungültig und verlangten eine andere Probe, mit der sich durchaus
kein Unfug verbinden ließe.
Der Priester, darob etwas erregt, ließ sobald Mariam holen, gab ihr eine Taube
in die Hand und behieß sie zu treten in die Mitte der Bewerber, auf daß sie
daselbst die Taube frei solle fliegen lassen,
und sprach noch vor dem Auslassen der Taube zu den Bewerbern: „Sehet, ihr
Falschdeuter der Zeichen Jehovas! – Diese Taube ist ein unschuldig reines Tier
und hat kein Gehör für unsere Beredung,
sondern lebt allein in dem Willen des Herrn und verstehet allein die allmächtige
Sprache Gottes!
Haltet eure Stäbe in die Höhe! – Auf dessen Stab diese Taube, so sie das
Mägdlein auslassen wird, sich niederlassen und auf dessen Haupt sie sich setzen
wird, der solle Mariam nehmen!“
Die Bewerber aber waren damit zufrieden und sprachen: „Ja, dies soll ein
untrüglich Zeichen sein!“
Da aber Maria die Taube auf Geheiß des Priesters freiließ, da flog dieselbe
sobald zu Joseph hin, ließ sich auf seinen Stab nieder und flog dann vom selben
sogleich auf das Haupt Josephs.
Und der Priester sprach: „Also hat es der Herr gewollt! Dir, du biederer
Gewerbsmann, ist das untrügliche Los zugefallen, die Jungfrau des Herrn zu
empfangen! So nehme sie denn hin im Namen des Herrn in dein reines Haus zur
ferneren Obhut, Amen.“
24. Juli 1843
Als aber der Joseph solches vernommen hatte, da antwortete er dem Priester und
sprach: „Siehe, du gesalbter Diener des Herrn nach dem Gesetze Mosis, des
getreuen Knechtes des Herrn Gott Zebaoth, ich bin schon ein Greis und habe
erwachsene Söhne zu Hause und bin seit lange her schon ein Witwer; wie werde ich
doch zum Gespötte werden vor den Söhnen Israels, so ich dies Mägdlein nehme in
mein Haus!
Daher lasse die Wahl noch einmal ändern und lasse mich draußen sein, auf daß ich
nicht gezählt werde unter den Bewerbern!“
Der Priester aber hob seine Hand auf und sprach zum Joseph: „Joseph! Fürchte
Gott den Herrn! Weißt du nicht, was Er getan hat an Dathan, an Korah und an
Abiram?
Siehe, es spaltete sich die Erde, und sie alle wurden von ihr verschlungen um
ihrer Widerspenstigkeit willen! – Meinst du, Er könnte dir nicht desgleichen
tun?
Ich sage dir: Da du das Zeichen Jehovas untrüglich gesehen und wahrgenommen
hast, so gehorche auch dem Herrn, der allmächtig ist und gerecht und allzeit
züchtiget die Widerspenstigen und die Abtrünnlinge Seines Willens!
Sonst aber sei gewaltig bange dir in deinem Hause, ob der Herr solches nicht
auch an deinem Hause verübe, was Er verübet hat an Dathan, Korah und Abiram!“
Da ward dem Joseph sehr bange, und er sprach in großer Angst zum Priester: „So
bete denn für mich, auf daß der Herr mir wieder gnädig sein möchte und
barmherzig, und gebe mir dann die Jungfrau des Herrn nach Seinem Willen!“
Der Priester aber ging hinein und betete für Joseph vor dem Allerheiligsten, –
und der Herr sprach zum Priester, der da betete:
„Betrübe Mir den Mann nicht, den Ich erwählet habe; denn gerechter als er
wandelt wohl keiner in Israel, und keiner auf der ganzen Erde, und keiner vor
Meinem ewigen Throne in allen Himmeln!
Und gehe hinaus und gebe die Jungfrau, die Ich Selbst erzogen habe, dem
gerechtesten der Männer der Erde!“
Hier schlug sich der Priester auf die Brust und sprach: „O Herr, Du allmächtiger
einiger Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sei mir Sünder vor Dir barmherzig;
denn nun erkenne ich, daß Du Dein Volk heimsuchen willst!“
Darauf erhob sich der Priester, ging hinaus und gab segnend im Namen des Herrn
das Mägdlein dem geängstigten Joseph
und sprach zu ihm: „Joseph, gerecht bist du vor dem Herrn, darum hat Er dich
erwählt aus vielen Tausenden! Und so magst du im Frieden ziehen, Amen.“
Und Joseph nahm Mariam und sprach: „Also geschehe denn allzeit der allein
heilige Wille meines Gottes, meines Herrn! Was Du, o Herr, gibst, ist ja allzeit
gut; daher nehme ich ja auch gerne und willigst diese Gabe aus Deiner Hand!
Segne sie aber für mich und mich für sie, auf daß ich ihrer würdig sein möchte
vor Dir jetzt, wie allzeit; Dein Wille, Amen.“
26. Juli 1843
Da aber Joseph solches geredet hatte vor dem Herrn, da ward er gestärkt im
Herzen, ging sodann mit Maria aus dem Tempel und führte sie dann in die Gegend
von Nazareth und daselbst in seine ärmliche Behausung.
Es wartete aber die nötige Arbeit des Joseph; daher machte er in seiner
Behausung diesmal auch nicht Säumens und sprach daher zur Maria:
„Maria, siehe, ich habe dich nach dem Willen Gottes zu mir genommen aus dem
Tempel des Herrn, meines Gottes; ich aber kann nun nicht bei dir verbleiben und
dich beschützen, sondern muß dich zurücklassen, denn ich muß gehen, um meinen
bedungenen Hausbau zu besorgen an der Stelle, die ich dir auf der Reise hierher
gezeigt habe!
Aber siehe, du sollest darum nicht allein zu Hause sein! Ich habe ja eine mir
nahe anverwandte Häuslerin, die ist fromm und gerecht; die wird um dich sein und
mein jüngster Sohn; und die Gnade Gottes und Sein Segen wird dich nicht
verlassen.
In aller Bälde aber werde ich mit meinen vier Söhnen wieder nach Hause kommen zu
dir und werde dir ein Leiter sein auf den Wegen des Herrn! Gott der Herr aber
wird nun über dich und mein Haus wachen, Amen.“
2. Kapitel – Der neue Vorhang im Tempel. Marias
Arbeit am Vorhang.
Es war aber zu der Zeit noch ein Vorhang im Tempel vonnöten, da der alte hie und
da schon sehr schadhaft geworden war, um zu decken das Schadhafte.
Da ward denn von den Priestern ein Rat gehalten, und sie sprachen: „Lasset uns
einen Vorhang machen im Tempel des Herrn zur Deckung des Schadhaften.
Denn es könnte ja heute oder morgen der Herr kommen, wie es geschrieben steht, –
wie würden wir dann vor Ihm stehen, so Er von uns den Tempel also verwahrlost
fände?“
Der Hohepriester aber sprach: „Urteilet nicht doch gar so blind, als wüßte der
Herr, dessen Heiligtum im Tempel ist, nicht, wie nun da bestellet ist der
Tempel!
Rufet mir aber dennoch sieben unbefleckte Jungfrauen aus dem Stamme Davids, und
wir wollen dann eine Losung halten, wie da die Arbeit ausgeteilt sein solle!“
Nun gingen die Diener aus, zu suchen die Jungfrauen aus dem Stamme Davids und
fanden mit genauer Not kaum sechs und zeigten solches dem Hohenpriester an.
Der Hohepriester aber erinnerte sich, daß die dem Joseph erst vor wenigen Wochen
zur Obhut übergebene Maria ebenfalls aus dem Stamme Davids sei, und gab solches
sobald den Dienern kund.
Und sobald gingen die Diener aus, zeigten solches dem Joseph an, und er ging und
brachte Mariam wieder in den Tempel, geleitet von den Dienern des Tempels.
27. Juli 1843
Als aber die Jungfrauen in der Vorhalle versammelt waren, da kam sobald der
Hohepriester und führte sie allesamt in den Tempel des Herrn.
Und als sie da versammelt waren in dem Tempel des Herrn, da sprach sobald der
Hohepriester und sagte:
„Höret, ihr Jungfrauen aus dem Stamme Davids, der da verordnet hatte nach dem
Willen Gottes, daß da die feine Arbeit am Vorhange, der da scheidet das
Allerheiligste vom Tempel, allzeit solle von den Jungfrauen aus seinem Stamme
angefertigt werden,
und solle nach seinem Testamente die mannigfache Arbeit durch Verlosung
ausgeteilt werden, und solle dann eine jede Jungfrau die ihr zugefallene Arbeit
nach ihrer Geschicklichkeit bestens verfertigen!
Sehet, da ist vor euch der schadhafte Vorhang, und hier auf dem goldenen Tische
liegen die mannigfachen rohen Stoffe zur Verarbeitung schon bereitet!
Ihr sehet, daß solche Arbeit not tut; daher loset mir sogleich, auf daß es sich
herausstelle, diewelche aus euch da spinnen solle den Goldfaden und den Amiant-
und den Baumwollfaden,
den Seidenfaden, dann den hyazinthfarbigen, den Scharlach und den echten
Purpur!“
Und die Jungfrauen losten schüchtern, da der Hohepriester über sie betete; und
da sie gelost hatten nach der vorgezeichneten Ordnung, hatte es sich
herausgestellt, wie die Arbeit verteilt werden sollte.
Und es fiel der Jungfrau Maria, der Tochter Annas und Joakims, durchs Los zu der
Scharlach und der echte Purpur.
Die Jungfrau aber dankte Gott für solche gnädige Zuerkennung und Zuteilung solch
rühmlichster Arbeit zu Seiner Ehre, nahm die Arbeit und begab sich damit, von
Joseph geleitet, wieder nach Hause.
Daheim angelangt machte sich Maria sogleich an die Arbeit freudigen Mutes;
Joseph empfahl ihr allen Fleiß, segnete sie und begab sich dann sogleich wieder
an seinen Hausbau.
Es begab sich aber dieses zur selbigen Zeit, als der Zacharias, da er im Tempel
das Rauchopfer verrichtete, zufolge seines kleinen Unglaubens ist stumm
geworden, darum für ihn ein Stellvertreter ward erwählt worden, unter dem diese
Arbeit ist verloset worden.
Maria aber war verwandt sowohl mit Zacharias wie mit dessen Stellvertreter,
darum sie denn auch ums Doppelte ihren Fleiß vermehrte, um ja recht bald, ja
womöglich als erste mit ihrer Arbeit fertig zu werden.
Aber sie verdoppelte ihren Fleiß nicht etwa aus Ruhmlust, sondern nur um nach
ihrer Meinung Gott dem Herrn eine recht große Freude dadurch zu bereiten, so sie
baldmöglichst und bestmöglichst ihre Arbeit zu Ende brächte.
Zuerst kam die Arbeit an dem Scharlach, der da mit großer Aufmerksamkeit mußte
gesponnen werden, um den Faden ja nicht hier und da dicker oder dünner zu
machen.
Mit großer Meisterschaft wurde der Scharlachfaden von der Maria gesponnen, so
daß sich alles, was nur ins Haus Josephs kam, höchlichst verwunderte über die
außerordentliche Geschicklichkeit Mariens.
In kurzer Frist von drei Tagen ward Maria mit dem Scharlach zu Ende und machte
sich sodann alsogleich über den Purpur; da sie aber diesen stets annässen mußte,
so mußte sie während der Arbeit öfter den Krug nehmen und hinausgehen, sich
Wasser zu holen.
3. Kapitel – Die Ankündigung der Geburt des
Herrn durch einen Engel. Marias demutvolle Ergebenheit.
28. Juli 1843
An einem Freitage morgens aber nahm Maria abermals den Wasserkrug und ging
hinaus, ihn mit Wasser zu füllen, und horch! – eine Stimme sprach zu ihr:
„Gegrüßet seist du, an der Gnade des Herrn Reiche! Der Herr ist mit dir, du
Gebenedeite unter den Weibern!“
Maria aber erschrak gar sehr ob solcher Stimme, da sie nicht wußte, woher sie
kam, und sah sich darum auch behende nach rechts und links um; aber sie konnte
niemanden entdecken, der da geredet hätte.
Darum aber ward sie noch voller von peinigender Angst, nahm eiligst den
gefüllten Wasserkrug und eilte von dannen ins Haus.
Als sie da bebend anlangte, stellte sie sobald den Wasserkrug zur Seite, nahm
den Purpur wieder zur Hand, setzte sich auf ihren Arbeitssessel und fing den
Purpur wieder gar emsig an fortzuspinnen.
Aber sie hatte sich noch kaum so recht wieder in ihrer Arbeit eingefunden,
siehe, da stand schon der Engel des Herrn vor der emsigen Jungfrau und sprach zu
ihr:
„Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast eine endlos große Gnade gefunden vor
dem Angesichte des Herrn; siehe, du wirst schwanger werden vom Worte Gottes!“
Als Maria aber dieses vernommen hatte, da fing sie an, diese Worte hin und her
zu erwägen, und konnte nicht erfassen ihren Sinn; darum sprach sie denn zum
Engel:
„Wie solle denn das vor sich gehen, bin ich doch noch lange nicht eines Mannes
Weib und habe auch noch nie dazu eine Bekanntschaft mit einem Manne gemacht, der
mich sobald nähme zum Weibe, auf daß ich gleich andern Weibern schwanger würde
und dann gebäre ihnen gleich?“
Der Engel aber sprach zur Maria: „Höre, du erwählte Jungfrau Gottes! Nicht also
solle es geschehen, sondern die Kraft des Herrn wird dich überschatten.
Darum wird auch das Heilige, das da aus dir geboren wird, der Sohn des
Allerhöchsten genannt werden!
Du sollst Ihm aber, wann Er aus dir geboren wird, den Namen Jesus geben; denn Er
wird erlösen Sein Volk von all den Sünden, vom Gerichte und vom ewigen Tode.“
Maria aber fiel vor dem Engel nieder und sprach: „Siehe, ich bin ja nur eine
Magd des Herrn; daher geschehe mir nach Seinem Willen, wie da lauteten deine
Worte!“ – Hier verschwand der Engel wieder, und Maria machte sich wieder an ihre
Arbeit.
4. Kapitel – Marias kindlich-unschuldiges
Gespräch mit Gott und die Antwort von oben.
1. August 1843
Als aber darauf der Engel sobald wieder verschwand, da lobte und pries Maria
Gott den Herrn und sprach also bei sich in ihrem Herzen:
„O was bin ich denn doch vor Dir, o Herr, daß Du mir solche Gnade erweisen
magst? –
Ich solle schwanger werden, ohne je einen Mann erkannt zu haben; denn ich weiß
ja nicht, was Unterschiedes da ist zwischen mir und einem Manne.
Weiß ich denn, was das so in der Wahrheit ist: schwanger sein? O Herr! siehe,
ich weiß es ja nicht!
Weiß ich wohl, was das ist, wie man sagt: ,Siehe, ein Weib gebäret‘? – O Herr!
siehe mich gnädig an; ich bin ja nur eine Magd von vierzehn Jahren und habe
davon nur reden gehört – und weiß aber darum doch in der Tat nichts!
Ach, wie wird es mir Armseligen ergehen, so ich werde schwanger sein – und weiß
nicht, wie da ist solch ein Zustand!
Was wird dazu der Vater Joseph sagen, so ich ihm sagen werde, oder er es etwa
also merken wird, daß ich schwanger sei?!
Etwas Schlimmes kann das Schwangersein ja doch nicht sein, besonders wenn eine
Magd, wie einst die Sara, vom Herrn Selbst dazu erwählet wird?
Denn ich habe es ja schon öfter im Tempel gehört, welch eine große Freude die
Weiber haben, wenn sie schwanger sind!
Also muß das Schwangersein wohl etwas recht Gutes und überaus Beseligendes sein,
und ich werde mich sicher auch freuen, wann mir das von Gott gegeben wird, daß
ich schwanger werde!
Aber wann, wann wird das geschehen, und wie? – oder ist es schon geschehen? Bin
ich schon schwanger, oder werde ich es erst werden?
O Herr! Du ewig Heiliger Israels, gebe mir, Deiner armen Magd, doch ein Zeichen,
wann solches geschehen wird, auf daß ich Dich darob loben und preisen möchte!“
Bei diesen Worten ward Maria von einem lichten Ätherhauche angeweht, und eine
gar sanfte Stimme sprach zu ihr:
„Maria! sorge dich nicht vergeblich; du hast empfangen, und der Herr ist mit
dir! – Mache dich an deine Arbeit, und bringe sie zu Ende, denn fürder wird für
den Tempel keine mehr gemacht werden von dieser Art!“
Hier fiel Maria nieder, betete zu Gott und lobte und pries Ihn für solche Gnade.
– Nachdem sie aber dem Herrn ihr Lob dargebracht hatte, erhob sie sich und nahm
ihre Arbeit zur Hand.
5. Kapitel – Die Übergabe der beendeten
Tempelarbeit Mariens. Maria und der Hohepriester. Maria besucht ihre Muhme
Elisabeth.
2. August 1843
In wenigen Tagen ward Maria auch mit dem Purpur fertig, ordnete ihn dann und
nahm den Scharlach und legte ihn zum Purpur.
Darauf dankte sie Gott für die Gnade, daß Er ihr hatte lassen ihre Arbeit so
wohl vollenden, wickelte dann das Gespinst in reine Linnen und machte sich damit
nach Jerusalem auf den Weg.
Bis zum Hausbau, da Joseph arbeitete, ging sie allein; aber von da an begleitete
sie wieder Joseph nach Jerusalem und daselbst in den Tempel.
Da angelangt, übergab sie sobald die Arbeit dem Hohenpriester.
Dieser besah wohl den Scharlach und den Purpur, fand die Arbeit
allerausgezeichnetst gut und belobte und begrüßte darum Mariam mit folgenden
Worten:
„Maria, solche Geschicklichkeit wohnet nicht natürlich in dir, sondern der Herr
hat mit deiner Hand gewirket!
Groß hat dich darum Gott gemacht; gebenedeiet wirst du sein unter allen Weibern
der Erde von Gott dem Herrn, da du die erste warst, die da ihre Arbeit dem Herrn
in den Tempel überbracht hat.“
Maria aber, voll Demut und Freude in ihrem Herzen, sprach zum Hohenpriester:
„Würdiger Diener des Herrn in Seinem Heiligtume! O lobe mich nicht zu sehr, und
erhebe mich nicht über die andern; denn diese Arbeit ist ja nicht mein
Verdienst, sondern allein des Herrn, der da meine Hand leitete!
Darum sei Ihm allein ewig alles Lob, aller Ruhm, aller Preis und alle meine
Liebe und alle meine Anbetung ohne Unterlaß!“
Und der Hohepriester sprach: „Amen, Maria! du reine Jungfrau des Herrn, du hast
wohl geredet vor dem Herrn! – So denn ziehe nun wieder hin im Frieden; der Herr
sei mit dir!“
Darauf erhob sich Maria und ging mit Joseph wieder bis zur Baustelle hin, allda
sie eine kleine Stärkung, bestehend aus Brot und Milch und Wasser, zu sich nahm.
Es wohnte aber bei einer halben Tagereise weit vom Bauplatze über einem kleinen
Gebirge eine Muhme Mariens, namens Elisabeth; diese möchte sie besuchen und bat
den Joseph darum um die Erlaubnis.
Joseph aber gestattete ihr gar bald, solches zu tun, und gab ihr zu dem Behufe
auch den ältesten Sohn zum Führer mit, der sie so weit begleiten mußte, bis sie
das Haus Elisabeths erschaute.
6. Kapitel – Der wunderbare Empfang Mariens bei
Elisabeth. Demut und Weisheit der Maria. Marias Heimkehr zu Joseph.
3. August 1843
Bei der Elisabeth angelangt, d.h. bei ihrem Hause, pochte sie gar bald
schüchternen Gemütes an die Türe nach dem Gebrauche der Juden.
Als aber Elisabeth vernommen hatte das schüchterne Pochen, gedachte sie bei
sich: „Wer pochet denn da so ungewöhnlich leise?
Es wird ein Kind meines Nachbars sein; denn mein Mann, der da stumm noch ist im
Tempel und harret der Erlösung, kann es nicht sein!
Meine Arbeit aber ist wichtig; solle ich sie wohl weglegen des unartigen Kindes
meines Nachbars wegen?
Nein, das will ich nicht tun, denn es ist eine Arbeit für den Tempel, und diese
steht höher denn die Unart eines Kindes, das da sicher wieder nichts anderes
will, als mich bekanntermaßen necken und ausspötteln.
Daher werde ich fein bei der Arbeit sitzen bleiben und das Kind lange gut pochen
lassen.“
Maria aber pochte noch einmal, und das Kind im Leibe der Elisabeth fing an vor
Freude zu hüpfen, und die Mutter vernahm eine leise Stimme aus der Gegend des in
ihr hüpfenden Kindes, und die Stimme lautete:
„Mutter, gehe, gehe eiligst; denn die Mutter meines und deines Herrn, meines und
deines Gottes ist es, die da pochet an die Türe und besucht dich im Frieden!“ –
Elisabeth aber, als sie das gehört hatte, warf sogleich alles von sich, was sie
in den Händen hatte, und lief und öffnete der Maria die Türe,
gab ihr dann nach der Sitte sogleich ihren Segen, umfing sie dann mit offenen
Armen und sagte zu ihr:
„O Maria, du Gebenedeite unter den Weibern! Du bist gebenedeit unter allen
Weibern, und gebenedeiet ist die Frucht deines Leibes!
O Maria, du reinste Jungfrau Gottes! – Woher wohl kommt mir die hohe Gnade, daß
mich die Mutter meines Herrn, meines Gottes besucht?!“
Maria aber, die nichts von all den Geheimnissen verstand, sagte zu Elisabeth:
„Ach liebe Muhme! – ich kam ja nur auf einen freundlichen Besuch zu dir; was
sprichst du denn da für Dinge über mich, die ich nicht verstehe? – Bin ich denn
schon im Ernste schwanger, daß du mich eine Mutter nennst?“
Elisabeth aber erwiderte der Maria: „Siehe, als du zum zweiten Male pochtest an
die Türe, da hüpfte sobald das Kindlein, das ich unter meinem Herzen trage, vor
Freude und gab mir solches kund und grüßte dich in mir schon zum voraus!“
Da blickte Maria auf zum Himmel und gedachte, was da der Erzengel Gabriel zu ihr
geredet hatte, obwohl sie von all dem noch nichts verstand, und sprach:
„O Du großer Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, was hast Du wohl aus mir gemacht?
Was bin ich denn, daß mich alle Geschlechter der Erde selig preisen sollen?“
Elisabeth aber sprach: „O Maria, du Erwählte Gottes, trete in mein Haus und
stärke dich; da wollen wir uns besprechen und gemeinschaftlich Gott loben und
preisen aus allen unseren Kräften!“
4. August 1843
Und die Maria folgte sobald der Elisabeth in ihr Haus und aß und trank und
stärkte sich und ward voll heiteren Mutes.
Elisabeth aber fragte die Maria um vieles, was alles sie im Tempel während ihres
Dortseins als Zuchtkind des Herrn erfahren habe, und wie ihr alles das
vorgekommen sei.
Maria aber sagte: „Teure, vom Herrn auch gar wohl gesegnete Muhme! – Ich meine,
diese Dinge stehen für uns zu hoch, und wir Weiber tun unklug, so wir uns über
Dinge beraten, darüber der Herr die Söhne Aarons gesetzt hat.
Daher bin ich der Meinung, wir Weiber sollen die göttlichen Dinge Gott
überlassen und denen, die Er darüber gestellt hat, und sollen nicht darüber
grübeln.
So wir nur Gott lieben über alles und Seine heiligen Gebote halten, da leben wir
ganz unserem Stande gemäß; was darüber ist, gebühret den Männern, die der Herr
beruft und erwählt.
Ich meine, liebe Muhme, das ist recht, darum erlasse mir die Ausschwätzerei aus
dem Tempel; denn er wird darum nicht besser und nicht schlechter. Wann es aber
dem Herrn recht sein wird, dann wird Er schon den Tempel züchtigen und umstalten
zur rechten Zeit.“
Elisabeth aber erkannte in diesen Worten die hohe Demut und Bescheidenheit
Mariens und sagte zu ihr:
„Ja, du gnaderfüllte Jungfrau Gottes! Mit solchen Gesinnungen muß man ja auch
die höchste Gnade vor Gott finden!
Denn also, wie du sprichst, kann nur die höchst reinste Unschuld sprechen; – und
wer darnach lebt, der lebt sicher gerecht vor Gott und aller Welt.“
Maria aber sagte: „Das gerechte Leben ist nicht unser, sondern des Herrn, und
ist eine Gnade!
Wer da aus sich gerecht zu leben glaubt, der lebt vor Gott sicher am wenigsten
gerecht; wer aber stets seine Schuld vor Gott bekennt, der ist es, der da
gerecht lebt vor Gott.
Ich aber weiß nicht, wie ich lebe, mein Leben ist eine pure Gnade des Herrn;
daher kann ich auch nichts anderes tun, als Ihn allzeit lieben, loben und
preisen aus allen meinen Kräften! – Ist dein Leben wie das meinige, da tue
desgleichen, und der Herr wird daran mehr Wohlgefallen haben, als möchten wir
noch soviel über die Verhältnisse des Tempels miteinander verplaudern.“
Elisabeth aber erkannte gar wohl, daß aus der Maria ein göttlicher Geist wehe,
stellte daher ihre Tempelfragen ein und ergab sich, Gott lobend und preisend, in
Seinen Willen. –
5. August 1843
Also verbrachte aber Maria noch volle drei Monate bei der Elisabeth und half ihr
wie eine Magd alle Hausarbeit verrichten.
Mittlerweile hatte aber auch unser Joseph seinen Bau beendet und befand sich mit
seinen Söhnen wieder zu Hause und besorgte da seinen kleinen, freilich nur
gemieteten Grund.
Eines Abends aber sagte er zum ältesten Sohne: „Joel, gehe und rüste mir für
morgen früh mein Lasttier; denn ich muß Mariam holen gehen!
Das Mädchen ist nun schon bei drei Monate aus meinem Hause, und ich weiß nicht,
was da mit ihr geschieht.
Ist sie auch beim Weibe des stumm gewordenen Hohenpriesters, so kann man aber
doch nicht wissen, ob dieses Haus von allen Versuchen dessen, der Eva verlocket
hatte, frei ist!
Also will ich denn morgen hinziehen und mir das Mädchen wieder holen, auf daß
mir nicht etwa mit der Zeit Israels Söhne übel nachreden sollen und der Herr
mich züchtige ob meiner Sorglauheit des Mädchens willen.“
Und Joel ging und tat nach den Worten des Joseph; aber der Joel war kaum fertig
mit seiner Arbeit, so stand auch schon Maria vor der Hausflur und grüßte den
Joseph und bat ihn um die Wiederaufnahme in sein Haus.
Joseph, ganz überrascht von dieser Erscheinung Mariens, fragte sie sogleich:
„Bist du es wohl, du Ungetreue meines Hauses?“
Und Maria sprach: „Ja, ich bin es, aber nicht ungetreu deinem Hause; denn ich
wäre lange schon wieder gerne dagewesen, aber ich habe mich nicht getraut,
allein über das waldige Gebirge zu ziehen, – und du sandtest auch keinen Boten
um mich! Also mußte ich ja wohl so lange ausbleiben!
Nun aber besuchten drei Leviten das Weib Zacharias', und da sie wieder
heimkehrten nach Jerusalem, so nahmen sie mich mit, brachten mich an die Grenze
deines Grundes, segneten mich dann und dein Haus und zogen dann ihres Weges
weiter, und ich eilte hierher zu dir wieder, mein lieber Vater Joseph!“
Obschon der Joseph gerne die Maria ein wenig ausgezankt hätte ob ihres langen
Ausbleibens, so konnte er aber solches doch nicht über sein Herz bringen; denn
fürs erste hatte die Stimme Mariens sein edelstes Herz zu sehr gerührt, und fürs
zweite sah er sich selbst als Schuldigen, da er Mariam so lange nicht durch
einen Boten hatte holen lassen.
Er ließ daher das Mädchen zu sich kommen, um es zu segnen, und das Mädchen
sprang zu Joseph hin und kosete ihn, wie da die unschuldigsten Kinder ihre
Eltern und sonstigen Wohltäter zu kosen pflegen.
Joseph aber ward darüber ganz gerührt und ward voll hoher Freude und sprach:
„Siehe, ich bin ein armer Mann und bin schon bejahrt, aber deine kindliche Liebe
macht mich vergessen meine Armut und mein Alter! Der Herr hat dich mir gegeben
zu einer großen Freude, darum will ich ja auch ziehen und arbeiten mit Freuden,
um dir, mein Kindlein, ein gutes Stückchen Brot zu verschaffen!“
Bei diesen Worten fielen dem alten Manne Tränen aus seinen Augen. Maria aber
trocknete behende dessen feuchte Wangen und dankte Gott, daß Er ihr einen so
guten Nährvater gegeben hatte.
In der Zeit aber vernahm Joseph plötzlich, als würden Psalmen gesungen vor
seinem Hause. – –
7. Kapitel – Josephs Ahnungen und Prophezeiung.
Marias Trost. Das gesegnete Abendbrot. Das Sichtbarwerden von Mariens
Schwangerschaft.
7. August 1843
Joseph aber ward von hohen Ahnungen erfüllt und sprach zur Maria: „Kind des
Herrn! Viel Freude ist meinem Hause in dir gegeben, meine Seele ist von hohen
Ahnungen erfüllt!
Aber ich weiß es auch, daß der Herr diejenigen, die Er liebhat, allzeit
schmerzlich heimsucht; daher wollen wir Ihn allzeit bitten, daß Er uns allen
allzeit gnädig und barmherzig sein möchte!
Es ist sogar möglich, daß der Herr durch dich und mich die alte, schon morsch
gewordene Bundeslade wird erneuert haben wollen?!
Sollte so etwas aber im Zuge sein, da wehe mir und dir; wir werden da eine gar
harte Arbeit zu überstehen haben! – Doch nun nichts mehr davon!
Was da kommen muß, das wird auch sicher kommen, und wir werden es nicht zu
verhindern vermögen; aber so es kommen wird, dann wird es uns ergreifen mit
allmächtiger Hand, und wir werden zittern vor dem Willen Dessen, der die Festen
der Erde gestellet hat!“
Maria aber verstand von all diesem nichts und tröstete daher den sehr bekümmert
aussehenden Joseph mit solchen Worten:
„Lieber Vater Joseph! Werde nicht betrübt ob des Willens des Herrn; denn wir
wissen es ja, daß Er mit Seinen Kindern ja allzeit nur das Beste will! – Ist der
Herr mit uns, wie Er es war mit Abraham, Isaak und Jakob, und wie Er noch
allzeit war mit denen, die Ihn liebten, was Leids und Arges sollte uns da wohl
begegnen?“
Joseph aber war mit dieser Tröstung zufrieden und dankte dem Herrn in seinem
Herzen aus allen seinen Kräften, darum Er ihm in der Maria einen solchen
Trostengel hatte gegeben, und sagte darauf:
„Kinder, es ist schon spät des Abends geworden; darum stimmen wir den Lobgesang
an, verzehren dann unser gesegnetes Abendbrot und begeben uns dann zur Ruhe!“
Solches geschah, und Maria eilte dann und brachte das Brot her, und Joseph
teilte es aus; es nahm aber alle wunder, daß das Brot diesmal von einem gar so
guten Geschmacke war.
Joseph aber sagte: „Dem Herrn alles Lob! Was Er segnet, das schmecket allzeit
wohl und ist vom besten Geschmacke!“
Und die Maria aber bemerkte dann dem Joseph gar liebreichst weise: „Siehe,
lieber Vater, also sollst du dich ja auch nicht fürchten vor den Heimsuchungen
des Herrn; denn sie sind ja eben auch Seine gar köstlichen Segnungen!“
Und der Joseph sprach: „Ja, ja, du reine Tochter des Herrn, du hast recht! Ich
will ja in aller Geduld tragen, was immer der Herr mir aufbürden wird; denn zu
schwer wird Er mir Seine Bürde und zu hart Sein Joch ja nicht machen, denn Er
ist ja ein Vater voll Güte und Erbarmung – auch in Seinem Eifer! Und so geschehe
denn allzeit Sein heiliger Wille!“
Darauf begab sich die fromme Familie zur Ruhe und arbeitete zu Hause die
folgenden Tage. –
Tag für Tag aber ward der Leib Marias voller; da sie solches wohl merkte, so
suchte sie ihre Schwangerschaft vor den Augen Josephs und seiner Söhne so gut
als nur immer möglich zu verbergen.
Aber nach einer Zeit von zwei Monaten half ihr ihr Verbergen nichts mehr, und
Joseph fing an Argwohn zu schöpfen und beriet sich insgeheim mit einem seiner
Freunde in Nazareth über den sonderbaren Zustand Mariens.
8. Kapitel – Die Ansicht des Arztes. Joseph
verhört Maria. Marias Erklärung.
9. August 1843
Der Freund Josephs aber war ein Sachkundiger; denn er war ein Arzt, der da die
Kräuter kannte und bei gefährlichen Geburten nicht selten den Wehmüttern
beistand.
Dieser ging mit Joseph und besah insgeheim Mariam, – und als er sie beschaut
hatte, sprach er zu Joseph:
„Höre mich an, Bruder aus Abraham, Isaak und Jakob, deinem Hause ist ein großes
Unheil widerfahren, – denn siehe, die Magd ist hochschwanger!
Du bist aber auch selbst schuld daran; denn siehe, es ist nun der sechste Mond,
da du aus warest auf deinem Hausbaue! – Sage, wer hätte denn da wohl achthaben
sollen auf die Magd?“
Joseph aber antwortete: „Siehe, Maria war unter der Zeit kaum drei Wochen in
einem fort zu Hause, und das im Anfange, da sie in mein Haus kam; dann brachte
sie volle drei Monde bei ihrer Muhme Elisabeth zu!
Nun aber sind bereits auch zwei Monde, da sie unter meiner beständigen Aufsicht
sich befindet, verflossen, und ich habe nie jemanden gesehen, der da zu ihr
offen oder heimlich gekommen wäre!
Und in der Zeit meiner Abwesenheit aber war sie ja ohnehin in den besten Händen;
mein Sohn, der sie geleitet hat zur Elisabeth, gab mir den teuersten Eid zuvor,
daß er, außer im Notfalle, auch nicht einmal ihr Kleid anrühren wolle auf dem
ganzen Wege!
Und so weiß ich mit großer Bestimmtheit, daß da Maria von meinem Hause aus
völlig rein sein müsse; ob aber solches auch der Fall ist mit dem Hause des
Zacharias, das unterliegt freilich wohl einer andern Frage!
Sollte ihr das etwa im Tempel begegnet sein von einem Diener desselben? – Davor
wolle mich der Herr bewahren, so ich da möchte einer solchen Meinung sein; denn
so was hätte der Herr längst ruchbar gemacht durch die allzeitige Weisheit des
Hohenpriesters!
Ich aber weiß nun, was ich tun werde, um der Wahrheit der Sache auf die rechte
Spur zu kommen. – Du, Freund, magst nun wieder im Frieden ziehen, und ich werde
mein Haus einer starken Prüfung unterziehen!“
Josephs Freund verzog nicht und ging sobald aus dem Hause Josephs; Joseph aber
wandte sich sobald an Maria und sprach zu ihr:
„Kind! mit welcher Stirne solle ich nun aufschauen zu meinem Gott? Was solle ich
nun sagen über dich?
Habe ich dich nicht als eine reine Jungfrau aus dem Tempel empfangen, und habe
ich dich nicht treulich gehütet durch mein tägliches Gebet und durch die
Getreuen, die da sind in meinem Hause?
Ich beschwöre dich darum, daß du mir sagest, wer es ist, der es gewagt hat, mich
zu betrügen und sich also schändlichst zu vergreifen an mir, einem Sohne Davids,
und an dir, die du auch demselben Hause entsprossen bist!
Wer hat dich, eine Jungfrau des Herrn, verführt und geschändet?! – Wer hat es
vermocht, deinen reinsten Sinn also zu trüben? – und wer, zu machen aus dir eine
zweite Eva?!
Denn also wiederholt sich an mir ja leibhaftig die alte Geschichte Adams, denn
dich hat ja augenscheinlich gleich der Eva eine Schlange betöret!
Also antworte mir auf meine Frage! Gehe aber, und fasse dich; denn dir solle es
nicht gelingen, mich zu täuschen!“ – Hier warf sich Joseph vor Gram auf einen
mit Asche gefüllten Sack auf sein Angesicht und weinte.
Maria aber zitterte vor großer Furcht, fing an zu weinen und zu schluchzen und
konnte nicht reden vor zu großer Furcht und Traurigkeit.
Joseph aber erhob sich wieder vom Sacke und sprach mit einer etwas gemäßigteren
Stimme zur Maria:
„Maria, Kind Gottes, das Er Selbst in Seine Obhut genommen, warum hast du mir
das getan? – Warum hast du deine Seele so sehr erniedrigt und vergessen deines
Gottes?!
Wie konntest du solches tun, die du auferzogen wardst im Allerheiligsten und
hast deine Speise empfangen aus der Hand der Engel und hast diese glänzenden
Diener Gottes allzeit gehabt zu deinen Mitgespielen?! – O rede, und schweige
nicht vor mir!“
Hier ermannte sich Maria und sprach: „Vater Joseph, du gerecht harter Mann! Ich
sage dir: So wahr ein Gott lebt, so wahr auch bin ich rein und unschuldig und
weiß bis zur Stunde von keinem Manne etwas!“
Joseph aber fragte: „Woher ist denn hernach das, was du unter deinem Herzen
trägst?“
Und Maria erwiderte: „Siehe, ich bin ja noch ein Kind und verstehe nicht die
Geheimnisse Gottes! Höre mich aber an, und ich will es dir ja sagen, was mir
begegnet ist! Solches aber ist auch so wahr, als wie da lebet ein gerechter Gott
über uns!“
9. Kapitel – Mariens Erzählung über die
geheimnisvollen heiligen Vorkommnisse. Josephs Kummer und Sorge und sein
Entschluß, Maria heimlich zu entfernen. Ein Engel des Herrn erscheint Joseph im
Traum. Maria bleibt im Hause Josephs.
10. August 1843
Und Maria erzählte dem Joseph alles, was ihr, da sie noch am Purpur arbeitete,
begegnet ist, und schloß dann ihre Erzählung mit dieser Beteuerung:
„Darum sage ich dir, Vater, noch einmal: So wahr Gott, der Herr Himmels und der
Erde lebt, so wahr auch bin ich rein und weiß von keinem Manne und kenne auch
ebensowenig das Geheimnis Gottes, das ich unter meinem Herzen, zu meiner eigenen
großen Qual, nun tragen muß!“ –
Hier verstummte Joseph vor Maria und erschrak gewaltig; denn die Worte Mariens
drangen tief in seine bekümmerte Seele, und er fand bebend seine geheime Ahnung
bestätigt.
Er aber fing darum an, hin und her zu sinnen, was er da tun solle, und sprach so
bei sich in seinem Herzen:
„So ich ihre vor der Welt, wie sie nun ist, doch unwiderlegbare Sünde darum
verberge, weil ich sie nicht als solche mehr erkenne, so werde ich als Frevler
erfunden werden gegen das Gesetz des Herrn und werde der sichern Strafe nicht
entgehen!
Mache ich sie aber wider meine innerste Überzeugung als eine feile Sünderin vor
den Söhnen Israels offenbar, da doch das, was sie unter ihrem Herzen trägt, nur
– nach ihrer unzweideutigen Aussage – von einem Engel herrühret,
so werde ich ja von Gott dem Herrn erfunden werden als einer, der ein unschuldig
Blut überliefert hat zum Gerichte des Todes?!
Was solle ich also mit ihr beginnen? – Solle ich sie heimlich verlassen, d.h.,
solle ich sie heimlich von mir tun und sie irgend verbergen im Gebirge, nahe an
der Grenze der Griechen? – Oder solle des Tages des Herrn ich harren, auf daß Er
mir am selben kundtue, was ich da tun solle?
Wenn aber morgen oder übermorgen jemand zu mir kommt aus Jerusalem und erkennet
Mariam, was dann? – Ja, es wird wohl das Beste sein, ich entferne sie heimlich
und sorge für sie geheim, ohne daß da jemand anderer außer meinen Kindern etwas
davon erfährt!
Ihre Unschuld wird mit der Zeit der Herr sicher offenbar machen, und dann ist
alles gerettet und gewonnen; und so geschehe es denn im Namen des Herrn!“
Darauf tat Joseph solches der Maria ganz insgeheim kund, und sie fügte sich
vorbereitend in den beabsichtigten guten Willen Josephs und begab sich dann, da
es schon spät abends geworden war, zur Ruhe.
Joseph aber versank über seinen mannigfachen Gedanken ebenfalls in einen
Schlummer; und siehe, ein Engel des Herrn erschien ihm im Traume und sprach zu
ihm:
„Joseph, sei nicht bange ob der Maria, der reinsten Jungfrau des Herrn! – Denn
was sie unter dem Herzen trägt, ist erzeuget vom heiligen Geiste Gottes, und du
sollst ihm, wenn es geboren wird, den Namen Jesus geben!“ –
Hier erwachte Joseph vom Schlafe und pries Gott den Herrn, der ihm solche Gnade
erwiesen hatte.
Da es aber schon des Morgens war, so kam Maria schon für die beabsichtigte Reise
fertig zum Joseph und zeigte ihm an, daß es schon an der Zeit sein dürfte.
Joseph aber umfaßte das Mädchen, drückte es an seine Brust und sprach zu ihr:
„Maria, du Reine, du bleibst bei mir; denn heute hat mir der Herr ein mächtig
Zeugnis über dich gegeben, denn das aus dir geboren wird, solle Jesus heißen!“
Hieran erkannte Maria sobald, daß der Herr mit Joseph geredet hatte, da sie
denselben Namen vernahm, den ihr der Engel gab, da sie davon dem Joseph doch
nichts erwähnt hatte zuvor!
Und der Joseph hütete darauf das Mädchen sorgsam und ließ es an nichts
gebrechen, das ihr in dem Zustande vonnöten war. – –
10. Kapitel – Die römische Volkszählung.
Josephs Nichtbeteiligung am Volksrat in Jerusalem. Der Verräter Annas.
11. August 1843
Es ist aber zwei Wochen nach diesem Begebnisse ein großer Rat in Jerusalem
gehalten worden, und zwar darüber, da man von einigen in Jerusalem wohnenden
Römern vernommen hatte, daß der Kaiser werde das gesamte jüdische Volk zählen
und beschreiben lassen.
Solche Nachricht hatte einen großen Schreck bei den Juden, denen es verboten
war, Menschen zu zählen, hervorgebracht.
Darum berief der Hohepriester zu dem Behufe eine große Versammlung zusammen, zu
der alle Ältesten und Kunstmänner, wie da der Joseph einer war, erscheinen
mußten.
Joseph aber hatte gerade eine kleine Reise ins Gebirge wegen Bauholz unternommen
und blieb etliche Tage aus.
Der Bote aus Jerusalem aber, der unter der Zeit zu Joseph kam und ihm die
Einladung zur großen Versammlung überbrachte, gab, da er Joseph nicht antraf,
dessen älterem Sohne die Beheißung, daß dieser solches, sobald Joseph nach Hause
käme, ihm ja unverzüglich auf das dringendste zu benachrichtigen habe!
Joseph aber kam schon am nächsten Tage morgens wieder nach Hause. Der Sohn Joses
benachrichtigte ihn sogleich davon, was da gekommen ist aus Jerusalem.
Joseph aber sagte: „Nun bin ich fünf Tage lang im Gebirge herumgestiegen und bin
daher überaus müde geworden, und meine Füße würden mich nimmer tragen, so ich
nicht zuvor ein paar Tage werde geruht haben; daher bin ich diesmal genötigt,
dem Rufe Jerusalems nicht zu folgen.
Übrigens ist diese ganze große Versammlung keine hohle Nuß wert; denn der
mächtige Kaiser Roms, der sein Zepter nun schon sogar über die Länder der
Skythen schwingt, wird wenig Notiz nehmen von unserer Beratung und wird tun, was
er will! Daher bleibe ich nun fein zu Hause!“
Es kam aber nach drei Tagen ein gewisser Annas aus Jerusalem, der da ein großer
Schriftgelehrter war, zu Joseph und sprach zu ihm:
„Joseph, du kunstverständiger und schriftgelehrter Mann aus dem Stamme Davids! –
Ich muß dich fragen, warum du nicht in die Versammlung gekommen bist?“
Joseph aber wandte sich zum Annas und sprach: „Siehe, ich war fünf Tage lang im
Gebirge und wußte nicht, daß ich berufen ward.
Da ich aber nach Hause kam und durch meinen Sohn Joses die Nachricht erhielt,
war ich zu müde und schwach, als daß es mir möglich gewesen wäre, mich sobald
gen Jerusalem auf die Beine zu machen! – Zudem aber ersah ich ja aber ohnehin
auf den ersten Blick, daß diese ganze große Versammlung wenig oder gar nichts
nützen wird.“
Während aber Joseph solches gesprochen hatte, sah sich der Annas um und
entdeckte unglücklicherweise die hochschwangere Jungfrau.
Er verließ daher auch wie ganz stumm den Joseph und eilte, was er nur konnte,
nach Jerusalem.
Allda ganz atemlos angelangt, eilte er sogleich zum Hohenpriester und sagte zu
ihm:
„Höre mich an, und frage mich nicht, warum der Sohn Davids nicht in die
Versammlung kam; denn ich habe unerhörte Greueldinge in seinem Hause entdeckt!
Siehe, Joseph, dem Gott und du das Zeugnis gabst dadurch, daß du ihm die
Jungfrau anvertraut hast, hat sich unbeschreiblich tief und grob vor Gott und
vor dir verfehlt!“
Der Hohepriester aber war ganz entsetzt über die Nachricht Annas' und fragte
ganz kurz: „Wie so, wie das? – Rede mir die vollste Wahrheit, oder du bist heute
noch des Todes!“
Und der Annas sprach: „Siehe, die Jungfrau Maria, die er laut des Zeugnisses
Gottes aus diesem Tempel des Herrn zur Obhut erhielt, hat er weidlichst
geschändet; denn ihre schon hohe Schwangerschaft ist ein lebendiges Zeugnis
davon!“
Der Hohepriester aber sprach: „Nein, Joseph hat das nimmer getan! – Kann auch
Gott ein falsches Zeugnis geben?!“
Annas aber sprach: „So sende denn deine vertrautesten Diener hin, und du wirst
dich überzeugen, daß da die Jungfrau im Vollernste hochschwanger ist; ist sie es
aber nicht, so will ich hier gesteiniget werden!“
11. Kapitel – Des Hohenpriesters Bedenken wegen
Marias Zustand. Das Verhör Marias und Josephs im Tempel. Josephs Klage und Hader
mit Gott. Das Todesurteil über Joseph und Maria und ihre Rechtfertigung durch
ein Gottesurteil. Maria wird Josephs Weib.
16. August 1843
Der Hohepriester aber besann sich eine Zeitlang und sprach also bei sich: „Was
soll ich tun? Annas ist voll Eifersucht seit der Wahl der Jungfrau, und man soll
nie auf den Rat eines Eifersüchtigen handeln.
Wenn sich's aber mit Maria dennoch also verhalten würde, und ich hätte die Sache
gleichgültig behandelt, was werden dann die Söhne Israels sagen, und zu welch
einer Rechenschaft werden sie mich fordern?
Ich will daher dennoch insgeheim Diener hinsenden zu Joseph, die, falls sich die
schlimme Sache bestätigen sollte, die Jungfrau samt Joseph sogleich hierher
ziehen sollen!“
Also ward es gedacht und beschlossen. Der Hohepriester berief insgeheim
vertraute Diener und gab ihnen kund, was sich im Hause Josephs zugetragen habe,
und sandte sie dann sobald zu Joseph hin mit der Bestimmtheit, wie sie zu
handeln haben, falls sich die Sache bestätigen sollte.
Und die Diener begaben sich eiligst hin zu Joseph und fanden alles so, wie es
ihnen der Hohepriester bezeichnet hatte.
Und der älteste aus ihnen sagte zu Joseph: „Siehe, darum sind wir aus dem Tempel
hierher gesandt worden, auf daß wir uns überzeugen sollen, wie es mit der
Jungfrau stehet, da von ihr üble Gerüchte zu den Ohren des Hohenpriesters
gelangt sind.
Wir aber fanden die traurige Mutmaßung leider bestätigt; daher lasse dir keine
Gewalt antun, und folge uns mit der Maria in den Tempel, allda du aus dem Munde
des Hohenpriesters das gerechte Urteil vernehmen sollst!“
Und Joseph folgte mit Maria sobald ohne Widerrede den Dienern vor das Gericht in
den Tempel.
Als er da vor dem Hohenpriester anlangte, fragte der erstaunte Hohepriester
sobald die Maria, in ernstem Tone redend:
„Maria! Warum hast du uns das getan und hast mögen gar so gewaltig erniedrigen
deine Seele?
Vergessen hast du des Herrn, deines Gottes, – du, die du auferzogen wardst im
Allerheiligsten, und hast deine tägliche Speise empfangen aus der Hand des
Engels,
und hast allzeit vernommen seine Lobgesänge, und hast dich erheitert, hast
gespielt und getanzt vor dem Angesichte Gottes! – Rede, warum hast du uns
solches getan?“
Maria aber fing an bitterlich zu weinen und sprach unter gewaltigem Schluchzen
und Weinen: „So wahr Gott, der Herr Israels, lebet, so wahr auch bin ich rein
und habe noch nie einen Mann erkannt! – Frage den von Gott erwählten Joseph!“
Und der Hohepriester wandte sich darauf zu Joseph und fragte ihn: „Joseph, ich
beschwöre dich im Namen des ewig lebendigen Gottes, sage mir es unverhohlen, wie
ist das geschehen? Hast du solches getan?“
Und der Joseph sprach: „Ich sage dir bei allem, was dir und mir heilig ist, so
wahr der Herr, mein Gott, lebet, so wahr auch bin ich rein vor dieser Jungfrau,
wie vor dir und vor Gott!“
Und der Hohepriester erwiderte: „Rede nicht ein falsches Zeugnis, sondern sprich
vor Gott die Wahrheit! – Ich aber sage dir: Du hast erstohlen dir deine
Hochzeit, hast nicht Kunde gegeben dem Tempel und hast nicht zuvor dein Haupt
gebeugt unter die Hand des ewig Gewaltigen, auf daß Er gesegnet hätte deinen
Samen! – Daher rede die Wahrheit!“
18. August 1843
Joseph aber ward stumm auf solche Rede des Hohenpriesters und mochte kein
Wörtlein erwidern; denn zu bitter ungerecht ward er vom Hohenpriester
beschuldigt.
Da aber Joseph tief schweigend vor dem Hohenpriester dastand und nicht reden
mochte, da öffnete sobald wieder der Hohepriester seinen Mund und sprach:
„Gib uns die Jungfrau wieder, wie du sie erhalten hast aus dem Tempel des Herrn,
da sie war so rein wie eine aufgehende Sonne an einem allerheitersten Morgen!“
In Tränen zerfließend stand Joseph da und sprach nach einem mächtigen Seufzer:
„Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, was habe ich armer Greis denn vor Dir
so Arges getan, daß Du mich nun so gewaltig schlägst?!
Nehme mich von der Welt; denn zu hart ist es, als ein allzeit Gerechter vor Dir
und aller Welt solch eine Schmach zu erleiden!
Meinen Vater David hast Du gezüchtiget, darum er gesündigt hatte am Urias.
Ich aber habe noch nie an einem Menschen mich versündiget und vergriffen mich an
irgendeines Menschen Sache, noch an einem Tiere, und habe das Gesetz allzeit
beobachtet bis auf ein Häkchen; o Herr, warum schlägst Du mich denn?
O zeige mir eine Sünde vor Dir, und ich will ja gerne die Strafe des Feuers
erleiden! – Habe ich aber gesündigt vor Dir, da sei verflucht der Tag und die
Stunde, da ich geboren ward!“
Der Hohepriester aber ward erbittert ob dieser Rede Josephs und sprach in großer
Aufgeregtheit seines Gemütes:
„Wohl denn, da du vor Gott deine laute Schuld bekämpfest, so will ich euch beide
trinken lassen das Fluchwasser Gottes, des Herrn; und es werden offenbar werden
eure Sünden in euren Augen und vor den Augen alles Volkes!“ –
Und sobald nahm der Hohepriester das Fluchwasser und ließ davon den Joseph
trinken und sandte ihn dann nach dem Gesetze in ein dazu bestimmtes Gebirge, das
da nahe an Jerusalem lag.
Und desgleichen gab er auch solches Wasser der Jungfrau zu trinken und sandte
sie dann ebenfalls ins Gebirge.
Nach drei Tagen aber kamen beide gänzlich unverletzt zurück, und alles Volk
wunderte sich, daß an ihnen keine Sünde ist offenbar gemacht worden.
Der Hohepriester aber sprach dann selbst ganz über alle Maßen erstaunt zu ihnen:
„So Gott der Herr eure Sünde nicht hat offenbar machen wollen, da will auch ich
euch nicht richten, sondern spreche euch für schuldlos und ledig.
Da aber die Jungfrau schon schwanger ist, so soll sie dein Weib sein zur Buße,
darum sie mir unbewußtermaßen ist schwanger geworden, und solle fürder nimmer
einen andern Mann bekommen, so sie auch eine junge Witwe würde! Also sei es! –
Und nun ziehet wieder im Frieden von dannen.“
Joseph aber nahm nun Mariam und ging mit ihr in seine Heimat und ward voll
Freuden und lobte und pries seinen Gott. Und seine Freude war nun um so größer,
da nun Maria sein rechtmäßiges Weib ist geworden.
12. Kapitel – Das Gebot des Augustus zur
Schätzung und Zählung aller Landesbewohner. Neuer Kummer und Trost.
19. August 1843
Und Joseph verbrachte nun ganz wohlgemut mit Maria, die nun sein Weib war, noch
zwei Monate in seinem Hause und arbeitete für den Unterhalt Mariens.
Als aber diese Zeit verstrichen und Maria der Zeit der Entbindung nahe war, da
geschah ein neuer Schlag, welcher unseren Joseph in eine große Bekümmernis
versetzte.
Der römische Kaiser Augustus ließ nämlich in allen seinen Landen einen Befehl
ergehen, demzufolge alle Völker seines Reiches sollten beschrieben und gezählt
und der Steuer und der Rekrutierung wegen klassifiziert werden.
Und so waren auch die Nazaräer von diesem Gebote nicht ausgenommen, und Joseph
ward genötigt, sich auch nach Bethlehem, der Stadt Davids, zu begeben, in
welcher die römische Beschreibungskommission aufgestellt war.
Als er aber dieses Gebot vernahm, dessentwegen er schon ohnehin zu einer
Versammlung nach Jerusalem ist berufen worden, da sprach er bei sich selbst:
„Mein Gott und mein Herr, das ist ein harter Schlag für mich gerade zu dieser
Zeit, da Maria der Entbindung so nahe ist!
Was soll ich nun tun? – Ich muß wohl meine Söhne einschreiben lassen, denn diese
sind dem Kaiser leider waffenpflichtig; aber was soll ich, um Deines Namens
willen, o Herr, mit Maria machen?!
Daheim kann ich sie nicht lassen; denn was würde sie da machen, wenn ihre Zeit
sie zu drängen anfinge?
Nehme ich sie aber mit, wer steht mir da dafür, daß ihre Zeit sie nicht schon
unterm Wege befällt und ich dann nicht wissen werde, was da mit ihr zu machen
sein wird, da sie doch noch mehr ein Kind als ein so ganz festes Weib ist?
Und bringe ich sie auch noch mit genauer Not hin vor die Amtleute Roms, wie soll
ich sie da einschreiben lassen?
Etwa als mein Weib, davon doch niemand außer mir und dem Hohenpriester bis jetzt
noch etwas weiß?
Wahrhaftig, dessen schäme ich mich beinahe vor den Söhnen Israels; denn sie
wissen es, daß ich ein über siebzig Jahre alter Greis bin! – Was werden sie
sagen, so ich das kaum fünfzehnjährige Kind, im hochschwangeren Zustande noch
dazu, als mein rechtmäßiges Weib einschreiben lasse?!
Oder soll ich sie als meine Tochter einschreiben lassen? – Es wissen aber ja die
Söhne Israels, woher Maria ist, und daß sie nimmer meine Tochter ist!
Lasse ich sie als die mir anvertraute Jungfrau des Herrn einschreiben, was
dürften da einige, die noch nicht wissen möchten, daß ich mich im Tempel
gerechtfertiget habe, zu mir sagen, so sie Mariam hochschwanger erschauen
würden?
Ja, ich weiß, was ich nun wieder tun will: den Tag des Herrn will ich abwarten!
An diesem wird der Herr, mein Gott, machen, was Er wird wollen, und das wird
auch das Beste sein. Und also geschehe es denn!“
13. Kapitel – Ein alter Freund stärkt und
segnet Joseph. Josephs Reiseanordnungen an seine fünf Söhne. Das tröstliche
Zeugnis von oben. Die fröhliche Abreise.
21. August 1843
Am selben Tage aber noch kam ein alter weiser Freund aus Nazareth zu Joseph und
sagte zu ihm:
„Bruder! siehe, also führet der Herr Sein Volk über allerlei Wüsten und Steppen!
– Die aber willig folgen, dahin Er lenket, die kommen ans rechte Ziel!
Wir schmachteten in Ägypten und weinten unter Babels Ketten, und der Herr hat
uns dennoch wieder frei gemacht!
Nun haben die Römer ihre Adler über uns gesandt; es ist des Herrn Wille! – Daher
wollen wir auch tun, was Er will; denn Er weiß es sicher, warum Er es also
will!“
Joseph aber verstand wohl, was der Freund zu ihm geredet hatte, und als der
Freund ihn segnete und wieder verließ, da sprach der Joseph zu seinen Söhnen:
„Höret mich an! Der Herr will es, daß wir alle nach Bethlehem ziehen müssen;
also wollen wir uns denn auch Seinen Willen gefallen lassen und tun, was Er
will.
Du, Joel, sattle die Eselin für Maria und nehme den Sattel mit der Lehne; und
du, Joses, aber zäume den Ochsen und spanne ihn an den Karren, in dem wir
Lebensmittel mitführen wollen!
Ihr drei, Samuel, Simeon und Jakob, aber bestellet den Karren mit haltbaren
Früchten, Brot, Honig und Käse, und nehmet davon so viel, daß wir auf vierzehn
Tage versehen sind; denn wir wissen es nicht, wann die Reihe an uns kommen wird,
und wann wir frei werden, und was mit Maria geschehen kann unterwegs! Darum
leget auch frische Linnen und Windeln auf den Karren!“
Die Söhne aber gingen und bestellten alles, wie es ihnen der Joseph anbefohlen
hatte.
Als sie aber alles nach dem Willen Josephs bestellt hatten, kamen sie zurück und
zeigten es dem Joseph an.
Und Joseph kniete nieder mit seinem ganzen Hause, betete, und empfahl sich und
all die Seinen in die Hände des Herrn.
Als er aber mit solchem Gebete, Lobe und Preise zu Ende war, da vernahm er eine
Stimme wie außerhalb des Hauses, welche da sprach:
„Joseph, du getreuer Sohn Davids, der da war ein Mann nach dem Herzen Gottes!
Als David auszog zum Kampfe mit dem Riesen, da war mit ihm die Hand des Engels,
den ihm der Herr zur Seite stellte, und siehe, dein Vater ward ein mächtiger
Sieger!
Mit dir aber ist nun Der Selbst, der ewig war, der Himmel und Erde erschaffen
hat, der zu Noahs Zeiten regnen ließ vierzig Tage und Nächte und ersaufen ließ
alle Ihm widrige Kreatur,
der dem Abraham gab den Isaak, der dein Volk führte aus Ägypten und mit Moses
erschrecklich redete auf dem Sinai!
Siehe, Der ist in deinem Hause nun leibhaftig und wird ziehen mit dir auch nach
Bethlehem; daher sei ohne Furcht, denn Er wird es nicht zulassen, daß dir ein
Haar gekrümmet werde!“
Als aber Joseph solche Worte vernommen hatte, da ward er fröhlich, dankte dem
Herrn für diese Gnade und ließ dann sogleich alles zur Reise sich bereiten.
Er nahm Mariam und setzte sie so weich und bequem als nur immer möglich auf das
Lasttier und nahm dann den Zügel in seine Hand und führte die Eselin.
Die Söhne aber machten sich um den beladenen Karren und fuhren mit demselben
nach der Eselin Getrabe.
Nach einiger Zeit aber übergab Joseph den Zügel seinem ältesten Sohne; er aber
ging Mariam zur Seite, da diese manchmal schwach ward und sich im Sattel nicht
selbst zu halten imstande war.
14. Kapitel – Marias Gesicht von den zwei
Völkern. Der Eintritt der Wehen. Zuflucht in einer nahen Höhle.
23. August 1843
Also kam unsere frömmste Gesellschaft nahe bis auf sechs Stunden vor Bethlehem
hin und machte da eine Rast im Freien.
Joseph aber sah nach der Maria und fand, daß sie voll Schmerzes sein mußte;
daher gedachte er ganz verlegen bei sich selbst:
„Was kann das sein? Marias Antlitz ist voll Schmerzes, und ihre Augen sind voll
Tränen! – Vielleicht bedränget sie ihre Zeit?“
Darum sah Joseph Mariam noch einmal genauer an; und siehe, da fand er sie zu
seinem großen Erstaunen lachend!
Darum fragte er sie auch sobald: „Maria, sage mir, was wohl gehet in dir vor? –
Denn ich sehe dein Angesicht bald voll Schmerzes, bald aber wieder lachend und
vor großer Freude glänzend!“
Maria aber sagte darauf zu Joseph: „Siehe, ich sah nun zwei Völker vor mir; das
eine weinte, und da weinte ich notgedrungen mit.
Das andere aber wandelte lachend vor mir und war voll Freude und Heiterkeit; und
ich mußte mitlachen und in seine Freude übergehen! – Das ist alles, was meinem
Antlitze Schmerz und Freude entwand.“
Als Joseph solches vernommen hatte, da ward er wieder beruhigt, denn er wußte,
daß Maria öfter Gesichte hatte; daher ließ er denn auch wieder zur Weiterreise
aufbrechen und zog hinauf gen Bethlehem. –
Als sie aber in die Nähe von Bethlehem kamen, da sprach Maria auf einmal zum
Joseph:
„Höre mich an, Joseph! – Das in mir ist, fängt an mich ganz gewaltig zu
bedrängen; lasse daher stillehalten!“
Joseph erschrak völlig vor diesem plötzlichen Aufrufe Mariens; denn er sah nun,
daß das gekommen ist, was er eben am meisten befürchtet hatte.
Er ließ daher auch plötzlich stillehalten. Maria aber sprach wieder sobald zu
Joseph:
„Hebe mich herab von der Eselin; denn das in mir ist, bedränget mich mächtig und
will von mir! Und ich vermag dem Drange nicht mehr zu widerstehen!“
Joseph aber sprach: „Aber um des Herrn willen! Du siehst ja, daß hier nirgends
eine Herberge ist, – wo solle ich dich denn hintun?“
Maria aber sprach: „Siehe, dort in den Berg hinein ist eine Höhle; es werden
kaum hundert Schritte dahin sein! Dorthin bringet mich; weiter zu kommen, ist
mir unmöglich!“
Und Joseph lenkte sobald sein Fuhr- und Reisewerk dahin und fand zum größten
Glücke in dieser Höhle, da sie den Hirten zu einem Notstalle diente, etwas Heu
und Stroh, aus welchem er sogleich für Maria ein notdürftiges Lager bereiten
ließ.
15. Kapitel – Maria in der Grotte. Joseph auf
der Suche nach einer Hebamme in Bethlehem. Josephs wunderbare Erfahrungen. Das
Zeugnis der Natur. Die Begegnung Josephs mit der Wehmutter.
24. August 1843
Als aber das Lager bereitet war, brachte Joseph Mariam sobald in die Höhle, und
sie legte sich aufs Lager und fand Erleichterung in dieser Lage.
Als Maria aber also erleichtert sich auf dem Lager befand, da sagte Joseph zu
seinen Söhnen:
„Ihr beiden Ältesten bewachet Mariam und leistet ihr im Falle früher Not die
gerechte Hilfe, besonders du Joel, der du einige Kenntnisse in dieser Sache dir
durch den Umgang mit meinem Freunde in Nazareth erworben hast!“
Den andern dreien aber befahl er, den Esel und den Ochsen zu versorgen und den
Karren auch irgend in der Höhle, welche so ziemlich geräumig war,
unterzubringen.
Nachdem aber Joseph solches alles also wohl geordnet hatte, sagte er zu Maria:
„Ich aber will nun gehen hinauf auf den Berg und will in der Stadt meines Vaters
mir eine Wehmutter in aller Eile suchen und will sie bringen hierher, dir zur
nötigen Hilfe!“
Nach diesen Worten trat der Joseph sobald aus der Höhle, da es schon ziemlich
spät abends war und man die Sterne am Himmel recht wohl ausnehmen konnte.
Was aber Joseph bei diesem Austritte aus der Höhle alles für wunderliche
Erfahrungen gemacht hat, wollen wir mit seinen eigenen Worten wiedergeben, die
er seinen Söhnen gab, als er mit der gefundenen Wehmutter in die Höhle
zurückkehrte und Maria schon geboren hatte.
Die Worte Josephs aber lauten also: „Kinder! wir stehen am Rande großer Dinge! –
Ich verstehe nun dunkel, was mir die Stimme am Vorabende vor unserer Abreise
hierher gesagt hat; wahrlich, wäre der Herr unter uns – wennschon unsichtbar –
nicht gegenwärtig, so könnten unmöglich solche Wunderdinge geschehen, wie ich
sie jetzt geschaut habe!
Höret mich an! – Als ich hinaustrat und fortging, da war es mir, als ginge ich,
und als ginge ich nicht; – und ich sah den aufgehenden Vollmond und die Sterne
im Aufgange wie im Niedergange, und siehe, alles stand stille, und der Mond
verließ nicht den Rand der Erde, und die Sterne am abendlichen Rande wollten
nimmer sinken!
Dann sah ich Scharen und Scharen der Vöglein sitzen auf den Ästen der Bäume;
alle waren mit ihren Gesichtern hierher gewendet und zitterten wie zu Zeiten
großer bevorstehender Erdbeben und waren nicht zu verscheuchen von ihren Sitzen,
weder durch Geschrei noch durch Steinwürfe.
Und ich blickte wieder auf dem Erdboden umher und ersah unweit von mir eine
Anzahl Arbeiter, die da um eine mit Speise gefüllte Schüssel saßen. Einige
hielten ihre Hände unbeweglich in der Schüssel und konnten keine Speise aus der
Schüssel heben.
Die aber schon eher einen Bissen der Schüssel enthoben hatten, die hielten ihn
am Munde und mochten nicht den Mund öffnen, auf daß sie den Bissen verzehreten;
aller Angesichter aber waren nach aufwärts gerichtet, als sähen sie große Dinge
am Himmel!
Dann sah ich Schafe, die von den Hirten getrieben wurden; aber die Schafe
standen unbeweglich da, und des Hirten Hand, der sie erhob, um zu schlagen die
ruhenden Schafe, blieb wie erstarrt in der Luft, und er konnte sie nicht
bewegen.
Wieder sah ich eine ganze Herde Böcke, die hielten ihre Schnauzen über dem
Wasser und mochten dennoch nicht trinken, denn sie waren alle wie gänzlich
gelähmt.
Also sah ich auch ein Bächlein, das hatte einen starken Fall vom Berge herab,
und siehe, des Wasser stand stille und floß nicht hinab ins Tal! – Und so war
alles auf dem Erdboden anzusehen, als hätte es kein Leben und keine Bewegung.
Als ich aber also dastand oder ging und nicht wußte, ob ich stehe oder gehe,
siehe, da ersah ich endlich einmal wieder ein Leben!
Ein Weib nämlich kam dem Berge entlang herabgestiegen gerade auf mich an und
fragte mich, als sie vollends bei mir war: ,Mann, wo willst du hingehen so
spät?‘
Und ich sprach zu ihr: ,Eine Wehmutter suche ich; denn in der Höhle dort ist
eine, die gebären will!‘
Das Weib aber antwortete und sprach: ,Ist sie aus Israel?‘ – Und ich antwortete
ihr: ,Ja, Herrin, ich und sie sind aus Israel; David ist unser Vater!‘
Das Weib aber sprach weiter und fragte: ,Wer ist die, welche in der Höhle dort
gebären will? Ist sie dein Weib, oder eine Anverwandte, oder eine Magd?‘
Und ich antwortete ihr: ,Seit kurzem – allein vor Gott und dem Hohenpriester nur
– mein Weib. Sie aber war noch nicht mein Weib, da sie schwanger ward, sondern
ward mir nur zur Obhut in mein Haus vom Tempel durch das Zeugnis Gottes
anvertraut, da sie früher auferzogen ward im Allerheiligsten!
Wundere dich aber nicht über ihre Schwangerschaft; denn das in ihr ist, ist
wunderbar gezeuget vom heiligen Geiste Gottes!‘ – Das Weib aber erstaunte darob
und sagte zu mir: ,Mann, sage mir die Wahrheit!‘ – Ich aber sagte zu ihr: ,Komm,
siehe und überzeuge dich mit deinen Augen!‘“ – – –
16. Kapitel – Die Erscheinungen bei der Höhle.
Das Traumgesicht der Wehmutter und ihre prophetischen Worte. Die Wehmutter bei
Maria und dem Kinde. Salomes, ihrer Schwester, Zweifel an der Jungfräulichkeit
Mariens.
25. August 1843
Und das Weib willigte ein und folgte dem Joseph hin zur Höhle; da sie aber zur
Höhle kamen, da verhüllte sich dieselbe plötzlich in eine dichte weiße Wolke,
daß sie nicht den Eingang finden mochten.
Ob dieser Erscheinung fing sich die Wehmutter hoch zu verwundern an und sprach
zu Joseph:
„Großes ist widerfahren am heutigen Tage meiner Seele! – Ich habe heute morgen
ein großwunderbarstes Gesicht gehabt, in dem alles sich also gestaltete, wie ich
es jetzt in der Wirklichkeit gesehen habe, noch sehe und noch mehr sehen werde!
Du bist derselbe Mann, der mir im Gesichte entgegenkam; also sah ich auch zuvor
alle Welt ruhen mitten in ihrem Geschäfte und sah die Höhle, wie eine Wolke über
sie kam, und habe mit dir geredet, wie ich nun geredet habe.
Und ich sah noch mehreres Wunderbarstes in der Höhle, als mir meine Schwester
Salome nachkam, der ich allein mein Gesicht am Morgen anvertraute!
Darum sage ich denn nun auch vor dir und vor Gott, meinem Herrn: Israel ist ein
großes Heil widerfahren! Ein Retter kam, von oben gesandt, zur Zeit unserer
großen Not!“
Nach diesen Worten der Wehmutter wich sobald die Wolke von der Höhle zurück, und
ein gewaltiges Licht drang aus der Höhle der Wehmutter und dem Joseph entgegen –
so, daß es die Augen nicht zu ertragen imstande waren, und die Wehmutter sprach:
„Wahr ist also alles, was ich gesehen habe im Gesichte! – O Mann! du
Glücklicher, hier ist mehr denn Abraham, Isaak, Jakob, Moses und Elias!“ –
Nach diesen Worten aber fing das starke Licht an, nach und nach erträglicher zu
werden, und das Kindlein ward sichtbar, wie es gerade zum ersten Male die Brust
der Mutter nahm.
Die Wehmutter aber trat mit Joseph nun in die Höhle, besah das Kindlein und
dessen Mutter, und als sie alles auf das herrlichste gelöset fand, sagte sie:
„Wahrlich, wahrlich, das ist der von allen Propheten besungene Erlöser, der da
ohne Bande frei sein wird schon im Mutterleibe, um anzudeuten, daß er all die
harten Bande des Gesetzes lösen wird!
Wann aber hat jemand gesehen, daß ein kaum gebornes Kind schon nach der Brust
der Mutter gegriffen hätte!?
Das bezeuget ja augenscheinlichst, daß dieses Kind einst als Mann die Welt
richten wird nach der Liebe und nicht nach dem Gesetze!
Höre, du glücklichster Mann dieser Jungfrau, es ist alles in der größten
Ordnung; darum lasse mich aus der Höhle treten, denn mir fällt es schwer nun auf
die Brust, da ich empfinde, daß ich nicht rein genug bin, um die zu heilige Nähe
meines und deines Gottes und Herrn zu ertragen!“
Joseph erschrak völlig über diese Worte der Wehmutter. – Sie aber eilte aus der
Höhle ins Freie.
Als sie aber aus der Höhle trat, da traf sie draußen ihre Schwester Salome,
welche ihr ob des bewußten Gesichtes nachgefolgt ist, und sprach sogleich zu
ihr:
„Salome, Salome! komme und sehe mein Morgengesicht in der Wirklichkeit
bestätigt! – Die Jungfrau hat in der Fülle der Wahrheit geboren, was die
menschliche Weisheit und Natur nimmer zu fassen vermag!“
Die Salome aber sprach: „So wahr Gott lebt, kann ich eher nicht glauben, daß
eine Jungfrau geboren habe, als bis ich sie werde mit meiner Hand untersucht
haben!“
17. Kapitel – Der ungläubigen Salome Bitte an
Maria. Salomes Zeugnis der unverletzten Jungfräulichkeit Mariens. Das
Gottesgericht. Des Engels Weisung an Salome. Salomes Genesung.
26. August 1843
Nachdem aber die Salome solches geredet hatte, trat sie sobald hinein in die
Höhle und sprach:
„Maria, meine Seele beschäftiget kein geringer Streit; daher bitte ich, daß du
dich bereitest, auf daß ich mit meiner wohlerfahrnen Hand dich untersuche und
daraus ersehe, wie es mit deiner Jungfrauschaft aussehe!“
Maria aber fügte sich willig in das Begehren der ungläubigen Salome, bereitete
sich und ließ sich untersuchen.
Als aber die Salome Marias Leib anrührte mit ihrer prüfenden Hand, da erhob sie
sobald ein gewaltiges Geheul und schrie überlaut:
„Wehe, wehe mir meiner Gottlosigkeit wegen und meines großen Unglaubens willen,
daß ich habe wollen den ewig lebendigen Gott versuchen! – denn sehet, sehet
hierher! – meine Hand verbrennt im Feuer des göttlichen Zornes über mich
Elende!!!“
Nach diesen Worten aber fiel sie sobald vor dem Kindlein auf ihre Knie nieder
und sprach:
„O Gott meiner Väter! Du allmächtiger Herr aller Herrlichkeit! Gedenke mein, daß
auch ich ein Same bin aus Abraham, Isaak und Jakob!
Mache mich doch nicht zum Gespötte vor den Söhnen Israels, sondern schenke mir
meine gesunden Glieder wieder!“
Und siehe, sobald stand ein Engel des Herrn neben der Salome und sprach zu ihr:
„Erhört hat Gott der Herr dein Flehen; tritt zu dem Kindlein hin und trage Es,
und es wird dir darob ein großes Heil widerfahren!“
Und als solches die Salome vernommen hatte, da ging sie auf den Knien vor Maria
hin und bat sie um das Kindlein.
Maria aber gab ihr willig das Kindlein und sprach zu ihr: „Es möge dir zum Heile
gereichen nach dem Ausspruche des Engels des Herrn; der Herr erbarme Sich
deiner!“
Und die Salome nahm das Kindlein auf ihre Arme und trug es kniend und sprach,
sobald sie das Kindlein auf dem Arme hatte:
„O Gott! Du allmächtiger Herr Israels, der Du regierest und herrschest von
Ewigkeit! – In aller, aller Fülle der Wahrheit ist hier Israel ein König der
Könige geboren, welcher mächtiger sein wird denn da war David, der Mann nach dem
Herzen Gottes! Gelobet und gepriesen sei Du von mir ewig!“
Nach diesen Worten ward die Salome sobald völlig wieder geheilt, gab dann unter
der dankbarsten Zerknirschung ihres Herzens das Kindlein der Maria wieder und
ging also gerechtfertigt aus der Höhle wieder.
Als sie aber draußen war, da wollte sie sobald laut zu schreien anfangen über
das große Wunder aller Wunder und hatte auch ihrer Schwester sogleich zu
erzählen angefangen, was ihr begegnet ist.
Aber sobald meldete sich eine Stimme von oben und sprach zur Salome: „Salome,
Salome! verkündige ja niemandem, was Außerordentliches dir begegnet ist; denn
die Zeit muß erst kommen, wo der Herr von Sich Selbst zeugen wird durch Worte
und Taten!“
Hier verstummte sobald die Salome, und Joseph ging hinaus und bat die beiden
Schwestern, nun wieder in die Höhle zurückzutreten nach dem Wunsche Marias, auf
daß da niemand etwas merken solle, was Wunderbarstes in dieser Höhle nun
vorgefallen sei. – Und die beiden traten wieder demütig in die Höhle.
18. Kapitel – Die Nachtruhe der hl. Familie in
der Höhle. Die Lobgesänge der Engel am Morgen. Die Anbetung der Hirten. Des
Engels aufklärende Worte an Joseph.
28. August 1843
Als aber alle also in der Höhle versammelt waren, da fragten die Söhne Josephs
ihren Vater (den Joseph nämlich):
„Vater, was sollen wir nun tun? Es ist alles wohl versorgt! Die Reise hat
ermüdet unsere Glieder, dürfen wir uns denn nicht zur Ruhe legen?“
Und Joseph sprach: „Kinder! ihr sehet ja, welch eine endlose Gnade von oben uns
allen widerfahren ist; daher sollet ihr wachen und Gott loben mit mir!
Ihr aber habt ja gesehen, was da der Salome begegnet ist in der Höhle, da sie
ungläubig war; daher sollen auch wir nicht schläfrig sein, wann uns der Herr
heimsucht!
Gehet aber hin zur Maria, und rühret an das Kindlein; wer weiß es, ob eure
Augenlider nicht sobald also gestärkt werden, als hättet ihr mehrere Stunden
lang fest geschlafen!“
Und die Söhne Josephs gingen hin und rührten das Kindlein an; das Kindlein aber
lächelte sie an und streckte Seine Händchen nach ihnen, als hätte Es sie als
Brüder erkannt.
Darob sie sich alle hoch verwunderten und sprachen: „Fürwahr, das ist kein
natürliches Kind! Denn wo hat je jemand so etwas erlebt, daß jemand wäre von
einem kaum gebornen Kinde gottseligst also begrüßet worden!?
Zudem sind wir nun auch im Ernste noch obendrauf plötzlich also gestärkt worden
in allen unseren Gliedern, als hätten wir nie eine Reise gemacht und befänden
uns daheim an einem Morgen mit völligst ausgerastetem Leibe!“
Und der Joseph sagte darauf: „Sehet, also war mein Rat gut. Aber nun merke ich,
daß es anfängt, mächtig kühl zu werden; daher bringet den Esel und Ochsen
hierher! Die Tiere werden sich um uns lagern und werden durch ihren Hauch und
ihre Ausdünstung einige Wärme bewirken; und wir selbst wollen uns darum auch um
die Maria lagern!“
Und die Söhne taten solches. Und als sie brachten die beiden Tiere in die Nähe
Marias, da legten sich diese sogleich am Hauptteile des Lagers Mariens und
hauchten fleißig über Mariam und das Kindlein hin und erwärmten es also recht
gut.
Und die Wehmutter sprach: „Fürwahr, nichts Geringes kann das sein vor Gott, dem
sogar die Tiere also dienen, als hätten sie Vernunft und Verstand!“
Die Salome aber sprach: „O Schwester! Die Tiere scheinen hier mehr zu sehen als
wir! – Was wir uns noch kaum zu denken getrauen, da beten schon die Tiere an
Den, der sie erschaffen hat!
Glaube mir, Schwester, so wahr Gott lebt, so wahr auch ist hier vor uns der
verheißene Messias; denn wir wissen es ja, daß sich nie bei der Geburt selbst
des größten Propheten solche Wunderdinge zugetragen haben!“
Maria aber sagte zur Salome: „Gott der Herr hat dir eine große Gnade erwiesen,
darum du solches erschauest, davor selbst meine Seele erbebt!
Aber schweige davon, wie es dir zuvor der Engel des Herrn geboten hat; denn
sonst könntest du uns ein herbes Los bereiten!“
Die Salome aber gelobte der Maria zu schweigen ihr Leben lang, und die Wehmutter
folgte dem Beispiele ihrer Schwester.
Und so ward nun alles ruhig in der Höhle. In der ersten Stunde aber vor dem
Sonnenaufgange vernahmen alle gar mächtige Lobgesänge draußen vor der Höhle.
Und Joseph sandte sogleich seinen ältesten Sohn, nachzusehen, was es sei, und
wer so gewaltig singe die Ehre Gottes im Freien.
Und Joel ging hinaus und sah, daß alle Räume des Firmaments erfüllt waren hoch
und nieder mit zahllosen Myriaden leuchtender Engel. Und er eilte erstaunt in
die Höhle zurück und erzählte es allen, was er gesehen.
29. August 1843
Alle aber waren hoch erstaunt über die Erzählung des Joel und gingen hinaus und
überzeugten sich von der Wahrheit der Aussage Joels.
Als sie solche Herrlichkeit des Herrn aber gesehen hatten, da gingen sie wieder
in die Höhle und gaben Maria auch das Zeugnis. Und der Joseph sagte zur Maria:
„Höre, du reinste Jungfrau des Herrn, die Frucht deines Leibes ist wahrhaftig
eine Zeugung des heiligen Geistes Gottes; denn alle Himmel zeugen nun dafür!
Aber wie wird es uns gehen, so nun alle Welt notwendig erfahren muß, was hier
vor sich gegangen ist? Denn daß nicht nur wir, sondern auch alle andern Menschen
nun sehen, welch ein Zeugnis für uns durch alle Himmel strahlet, – das habe ich
an vielen Hirten nun gesehen, wie sie ihre Angesichter gen oben gerichtet
hielten!
Und sangen mit gleicher Stimme mit den mächtigen Chören der Engel, welche nun –
allen sichtbar – erfüllen alle Räume der Himmel hoch und nieder bis zur Erde
herab!
Und ihr Gesang lautete wie der der Engel: ,Tauet herab, ihr Himmel, den
Gerechten! Friede den Menschen auf der Erde, die eines guten Willens sind!‘ –
Und: ,Ehre sei Gott in der Höhe in Dem, der da kommt im Namen des Herrn!‘
Siehe, o Maria, solches vernimmt und sieht nun die ganze Welt; also wird sie
auch kommen hierher und wird uns verfolgen, und wir werden müssen fliehen über
Berg und Tal!
Daher meine ich, wir sollten uns so bald als nur immer möglich heben von hier
und, sobald ich werde beschrieben sein – was heute früh noch geschehen soll – ,
uns wieder begeben nach Nazareth zurück und von dort gehen zu den Griechen über,
von denen ich einige recht wohl kenne. – Bist du nicht meiner Meinung?“
Maria aber sprach zu Joseph: „Du siehst aber ja, daß ich heute noch nicht dies
Lager verlassen kann; daher lassen wir alles dem Herrn über! Er hat uns bisher
geführt und beschützt, so wird Er uns auch sicher noch weiter führen und gar
treulich beschützen!
Will Er uns vor der Welt offenbaren, sage: wohin wollen wir fliehen, da Seine
Himmel uns nicht entdecken möchten?!
Daher geschehe Sein Wille! – Was Er will, das wird recht sein. Siehe, hier auf
meiner Brust ruht ja, Dem dieses alles gilt!
Dieser aber bleibet bei uns, und so wird auch die große Herrlichkeit Gottes von
uns nicht weichen, und wir können da fliehen, wohin wir nur immer wollen!“
Als Maria aber noch kaum solches ausgeredet hatte, siehe, da standen schon zwei
Engel als Anführer einer Menge Hirten vor der Höhle und zeigten den Hirten an,
daß hier Derjenige geboren ist, dem ihre Lobgesänge gelten.
Und die Hirten traten ein in die Höhle und knieten nieder vor dem Kindlein und
beteten Es an; und die Engel kamen auch scharenweise und beteten an das
Kindlein.
Joseph aber blickte mit seinen Söhnen ganz erstaunt hin nach der Maria und dem
Kindlein und sprach: O Gott, was ist denn das? – Hast Du denn Selbst Fleisch
angenommen in diesem Kinde?
Wie wohl wäre es möglich sonst, daß Es angebetet würde selbst von Deinen
heiligen Engeln? Bist Du aber hier, o Herr, was ist denn nun mit dem Tempel –
und mit dem Allerheiligsten?!“
Und ein Engel trat hin zum Joseph und sprach zu ihm: „Frage nicht, und sorge
dich nicht; denn der Herr hat die Erde erwählt zum Schauplatze Seiner
Erbarmungen und hat nun heimgesucht Sein Volk, wie Er es vorhergesagt durch den
Mund Seiner Kinder, Seiner Knechte und Propheten!
Was aber geschieht nun vor deinen Augen, das geschieht nach dem Willen Dessen,
der da ist heilig, überheilig!“
Hier verließ der Engel den Joseph und ging wieder hin und betete an das
Kindlein, welches nun alle die Betenden mit offenen Händchen anlächelte.
Als aber nun die Sonne aufging, da verschwanden die Engel; aber die Hirten
blieben und erkundigten sich beim Joseph, wie möglich doch solches vor sich
gegangen ist.
Joseph aber sagte: „Höret, wie wunderbar das Gras wächst aus der Erde, also
geschah auch dieses Wunder! Wer aber weiß, wie das Gras wächst? – So wenig weiß
ich euch auch von diesem Wunder kundzugeben! Gott hat es also gewollt; das ist
alles, was ich euch sagen kann!“
19. Kapitel – Josephs Beschreibungssorge. Der
Wehmutter Bericht vor dem römischen Hauptmann Cornelius. Des Hauptmanns Besuch
in der Grotte. Joseph und Cornelius. Des Cornelius Frieden und Freude in der
Nähe des Jesuskindes.
30. August 1843
Die Hirten aber waren mit diesem Bescheide zufrieden und fragten den Joseph
nicht weiter und gingen von dannen und brachten der Maria allerlei Stärkungen
zum Opfer.
Als die Sonne aber schon eine Stunde der Erde geleuchtet hatte, da fragte der
Joseph die Wehmutter:
„Höre mich an, du meine Freundin und Schwester aus Abraham, Isaak und Jakob! –
Siehe, mich drückt die Beschreibung ganz gewaltig, und ich wünsche nichts
sehnlicher, als sie hinter mir zu haben!
Ich aber weiß nicht, wo in der Stadt sie gehalten wird; lasse daher die Salome
hier bei der Maria, mich aber führe mit meinen Söhnen hin zu dem römischen
Hauptmann, der da die Beschreibung führt!
Vielleicht werden wir sogleich vorgenommen werden, so wir sicher die ersten dort
sein werden?“
Und die Wehmutter sagte zum Joseph: „Gnadenvoller Mann, höre mich an! – Der
Hauptmann Cornelius aus Rom wohnt in meinem Hause, das schier eines der ersten
ist in der Stadt.
und hat daselbst auch seine Amtsstube. Er ist zwar ein Heide, aber sonst ein
guter und rechtlicher Mensch; ich will hingehen und ihm alles anzeigen bis auf
das Wunder, und ich meine, die Sache wird abgetan sein!“
Dieser Antrag gefiel Joseph wohl, da er ohnehin eine große Scheu vor den Römern,
besonders aber vor der Beschreibung hatte; er bat daher obendrauf noch die
Wehmutter, solches zu tun.
Und die Wehmutter ging und fand den Cornelius, der noch sehr jung war und am
Morgen gerne lang schlief, noch im Bette und gab ihm alles kund, was da
notwendig war.
Cornelius aber stand sogleich auf, warf seine Toga um und sprach zu seiner
Hausherrin: „Weib, ich glaube dir alles; aber ich will dennoch selbst mit dir
hingehen, denn ich fühle einen starken Drang dazu!
Es ist nach deiner Erzählung nicht weit von hier, und so werde ich zur rechten
Zeit noch am Arbeitstische sein! Führe mich also nur gleich hin!“
Und die Wehmutter erfreute sich dessen und führte den ihr wohlbekannten
biederen, jungen Hauptmann hin, welcher ihr vor der Höhle gestand und sagte: „O
Weib, wie leicht gehe ich in Rom zu meinem Kaiser, und wie schwer wird es mir
hier, in diese Höhle einzutreten!
Das muß etwas Besonderes sein! – Sage mir doch, ob du irgendeinen Grund weißt;
denn ich weiß, daß du eine biedere Jüdin bist!“
Die Wehmutter aber sprach: „Guter Hauptmann des großen Kaisers! Harre hier vor
der Höhle nur einen Augenblick; ich will hineingehen und will dir die Lösung
bringen!“
Und sie ging und sagte es dem Joseph, daß der gute Hauptmann selbst draußen vor
der Höhle harre, und daß er herein möchte, aber sich nicht getraue aus einem ihm
unerklärlichen Grunde.
Als der Joseph solches vernahm, ward er gerührt und sprach: „O Gott, wie gut
bist Du, daß Du sogar das vor mir in Freude verwandelst, davor ich mich am
meisten gefürchtet habe! – Darum sei Dir allein alles Lob und alle Ehre!“
Nach diesen Worten eilte er sogleich aus der Höhle und fiel dem Cornelius zu
Füßen, sagend: „Machtträger des großen Kaisers, habe Erbarmen mit mir armem
Greise! Siehe, mein junges Weib, das mir durchs Los im Tempel zuteil ward, hat
hier sich entledigt ihrer Frucht diese Nacht, und gestern bin ich erst hier
angekommen, daher mochte ich nicht mich sogleich bei dir melden lassen!“
Und der Cornelius sagte, den Joseph aufhebend: „O Mann! sei des unbesorgt, es
ist schon alles in der Ordnung! Lasse mich aber auch hineintreten und sehen, wie
du hier eingelagert bist!“
Und Joseph führte den Cornelius in die Höhle. Als aber dieser das Kindlein
erblickte, wie Es ihm entgegenlächelte, da erstaunte er ob solchen Benehmens des
Kindleins und sagte: „Beim Zeus, das ist selten! Ich bin ja wie neu geboren, und
nie noch habe ich eine solche Ruhe und Freude in mir gewahret! – Fürwahr, heute
sind Geschäftsferien, und ich bleibe euer Gast.“
20. Kapitel – Des Cornelius Fragen über den
Messias. Josephs Verlegenheit. Des Hauptmanns Fragen an Maria, Salome und die
Wehmutter. Der Engel Warnung vor dem Verrat des göttlichen Geheimnisses. Des
Cornelius heilige Ahnung von der Göttlichkeit des Jesuskindes.
31. August 1843
Joseph aber, darüber hoch erfreut, sprach zum Hauptmann: „Machtträger des großen
Kaisers, was wohl kann ich armer Mann dir für deine große Freundschaft
entgegenbieten? – Womit werde ich dir in dieser feuchten Höhle aufwarten können?
Wie dich bewirten deinem hohen Stande gemäß? – Siehe, hier in dem Karren ist
meine ganze Habseligkeit, teils mitgebracht aus Nazareth, teils aber ein
Geschenk schon von den hierortigen Hirten!
Wenn du davon etwas genießen kannst, so sei ein jeder Bissen, den du in deinen
Mund führen möchtest, tausendfach gesegnet!“
Cornelius aber sagte: „Guter Mann, kümmere und sorge dich ja nicht um mich; denn
siehe, hier ist ja meine Hausherrin, diese wird schon Sorge tragen für die
Küche, und wir werden alle genug haben um ein lichtes Geldstück, das da gezieret
ist mit des Kaisers Haupte!“
Hier gab der Hauptmann der Wehmutter eine Goldmünze und hieß sie sorgen für ein
gutes Mittag- und Abendmahl und, sobald es der Kindbetterin möglich wird, auch
für eine bessere Wohnung.
Joseph aber sagte darauf zum Cornelius: „O herrlicher Freund! Ich bitte dich,
mache dir doch unsertwegen keine Unkosten und Bemühungen; denn wir sind für die
wenigen Tage, die wir hier noch zubringen werden, ohnehin – dem Herrn, Gott
Israels, alles Lob! – gut versorgt!“
Hier sagte der Hauptmann: „Gut ist gut, aber besser ist besser! Daher laß es nur
geschehen, und lasse mich dadurch deinem Gotte auch ein freudig Opfer bringen;
denn siehe, ich ehre aller Völker Götter!
Also will ich auch den deinigen ehren; denn Er gefällt mir, seit ich Seinen
Tempel zu Jerusalem gesehen habe. Und Er muß ein Gott von großer Weisheit sein,
da ihr solch eine große Kunst von Ihm erlernt hattet!?“
Joseph aber sprach: „O Freund! wäre es möglich mir, dich von der alleinigen
einigen Wesenheit unseres Gottes zu überführen, wie gerne würde ich es tun zu
deinem größten ewigen Wohle!
Aber ich bin ein schwacher Mensch nur und vermag solches nicht; aber suche du
irgend unsere Bücher auf und lese sie, da du unserer Sprache so wohl kundig
bist, und du wirst da Dinge finden, die dich ins höchste Erstaunen setzen
werden!“
Und der Cornelius sagte: „Guter Mann, was du mir nun freundlichst geraten hast,
das habe ich schon getan, habe auch wirklich Erstaunliches darinnen gefunden!
Unter anderem aber bin ich auch auf eine Vorhersage gekommen, in der den Juden
ein neuer König für ewig verheißen ist; sage mir, ob du wohl weißt, nach der
Auslegung solcher Vorsage, wann da dieser König kommen wird – und von woher?“
Hier ward der Joseph etwas verlegen und sagte nach einer Weile: „Dieser wird
kommen aus den Himmeln als der Sohn des ewig lebendigen Gottes! Und Sein Reich
wird nicht von dieser, sondern von der Welt des Geistes und der Wahrheit sein!“
Und der Cornelius sprach: „Gut, ich verstehe dich; aber ich habe auch gelesen,
daß dieser König in einem Stalle bei dieser Stadt solle geboren werden von einer
Jungfrau! – Wie ist denn das zu nehmen?“
Joseph aber sprach: „O guter Mann, du hast scharfe Sinne! – Ich kann dir nichts
anderes sagen als: Gehe hin, und siehe an das Mägdlein mit dem neugebornen
Kinde; dort wirst du finden, das du finden möchtest!“
1. September 1843
Und der Cornelius ging hin und betrachtete die Jungfrau mit dem Kindlein mit
scharfen Augen, um aus ihr und in dem Kinde den künftigen König der Juden zu
entdecken.
Er fragte daher auch die Maria, auf welche Weise sie also früh ihres Alters ist
schwanger geworden.
Maria aber erwiderte: „Gerechter Mann, so wahr mein Gott lebt, so wahr auch habe
ich nie einen Mann erkannt!
Es geschah aber vor drei Vierteln des Jahres, da ein Bote des Herrn zu mir kam
und unterrichtete mich mit wenig Worten, daß ich vom Geiste Gottes aus solle
schwanger werden.
Und also geschah es denn auch; ich ward, ohne je einen Mann erkannt zu haben,
schwanger; und siehe, hier vor dir ist die Frucht der wunderbaren Verheißung!
Gott aber ist mein Zeuge, daß solches alles also geschehen ist!“ –
Hier wandte sich der Cornelius an die beiden Schwestern und sagte: „Was sagt
denn ihr zu dieser Geschichte? Ist das ein feiner Trug von diesem alten Manne,
ein für ein blindes, abergläubiges Volk guter Vorschutz, um sich bei solchen
Umständen der gesetzlichen Strafe zu entziehen?
Denn ich weiß, daß Juden für derlei Fälle die Todesstrafe gesetzt haben! – Oder
sollte daran im Ernste etwas sein, – das noch schlimmer wäre als im ersten
Falle, weil da des Kaisers Gesetz müßte in schärfste Anwendung gebracht werden,
das da jeden Aufwiegler schon im ersten Keime erstickt haben will?! O redet die
Wahrheit, damit ich weiß, wie ich mit dieser sonderbaren Familie daran bin!“
Die Salome aber sprach: „Höre mich an, o Cornelius, ich bitte dich bei aller
deiner großkaiserlichen Vollmacht! Habe ja mit dieser armen und doch wieder
endlos reichen Familie nichts Ernstes und Gesetzliches zu schaffen!
Denn du kannst es mir glauben, denn ich stehe mit meinem Kopfe für die Wahrheit:
dieser Familie stehen alle Mächte der Himmel, wie dir dein eigener Arm, zu
Gebote, davon ich die lebendigste Überzeugung erhielt.“
Hier stutzte Cornelius noch gewaltiger und fragte die Salome: „Also auch Roms
heilige Götter, Roms Helden, Waffen und unbesiegbare Macht? – O Salome! was
redest du?!“
Salome aber sagte: „Ja, wie du gesagt, also ist es! – Davon bin ich lebendigst
überzeugt; magst du es aber nicht glauben, da gehe hinaus und sehe an die Sonne!
Sie leuchtet heute schon bei vier Stunden, und siehe, sie steht noch im Osten
und getraut sich nicht weiterzuziehen!“
Und der Cornelius ging hinaus, sah an die Sonne, kam sobald wieder zurück und
sagte ganz erstaunt: „Fürwahr, du hast recht; wenn die Sache mit dieser Familie
in Beziehung steht, so gehorcht dieser Familie sogar der Gott Apollo!
Also muß hier Zeus sein, der mächtigste aller Götter, und es scheint sich die
Zeit Deukalions und der Pyrrha zu erneuen; wenn aber das der Fall ist, so muß
ich solch eine Begebenheit ja sogleich nach Rom vermelden!?“
Bei diesen Worten erschienen zwei mächtige Engel; ihre Angesichter leuchteten
wie die Sonne und ihre Kleider wie der Blitz. Und sie sprachen: „Cornelius! –
Schweige sogar gegen dich von dem, was du gesehen hast, – sonst gehest du und
Rom heute noch zugrunde!“
Hier überfiel den Cornelius eine große Furcht. Die beiden Engel verschwanden; er
aber ging hin zum Joseph und sprach: „O Mann! – Hier ist endlos mehr als ein
werdender König der Juden! Hier ist Der, dem alle Himmel und Höllen zu Gebote
stehen! Daher laß mich wieder ziehen von hier; denn ich bin's nicht wert, in
solcher Nähe Gottes mich zu befinden!“ – –
21. Kapitel – Josephs Worte über den freien
Willen des Menschen und sein Rat an Cornelius. Des Hauptmanns Fürsorge für die
heilige Familie.
2. September 1843
Und der Joseph, selbst ganz frappiert durch diese Äußerung des Cornelius, sagte
zu ihm: „Wie groß dieses Wunder ist in sich, wüßte ich dir selbst zu künden
nicht!
Daß aber große und mächtige Dinge dahinterstecken, das kannst du mir glauben;
denn um geringer Sachen wegen würden sich nicht alle Mächte der ewigen Himmel
Gottes also bewegen!
Aber darum ist dennoch kein Mensch in seinem freien Willen gehemmt und kann tun,
was er will; denn das erkenne ich aus dem Gebote, das dir die zwei Engel des
Herrn gegeben haben!
Denn siehe, der Herr könnte ja unsern Willen bei dieser Gelegenheit gerade also
durch Seine Allmacht binden, wie Er den Willen der Tiere bindet, und wir müßten
dann handeln nach Seinem Willen!
Aber Er tut das nicht und gibt dafür nur ein freies Gebot, daraus wir ersehen
können, daß wir frei aus uns das wollen und tun können, was da ist Sein heiliger
Wille.
Also bist auch du in keiner Fiber deines Lebens im geringsten gebunden und
kannst daher tun, was du willst! Willst du heute mein Gast sein, da bleibe;
willst du aber das nicht oder getrauest dir es nicht, so hast du ebenfalls den
freiesten Willen.
Hätte ich dir aber zu raten, da würde ich freilich dir wohl also raten und
sagen: O Freund, bleibe! – denn besser aufgehoben bist du nun wohl in der ganzen
Welt kaum irgendwo, als hier unter dem sichtbaren Schutze aller himmlischen
Mächte!“
Und der Cornelius sagte: „Ja, du gerechter Mann vor den Göttern und vor deinem
Gotte, und vor allen Menschen, dein Rat ist gut, und ich will ihn befolgen und
will bleiben bis morgen bei dir!
Aber nur so viel werde ich mich jetzt mit meiner Hausherrin auf eine kurze Zeit
entfernen, daß ich Anstalten treffen kann, durch die ihr alle – wenn schon hier
in dieser Höhle – besser gelagert werdet.“
Und der Joseph sagte: „Guter Mann, tue, was du willst! Gott, der Herr, wird es
dir dereinst vergelten!“
Hier ging der Hauptmann mit der Wehmutter in die Stadt und ließ zuerst verkünden
durch alle Gassen, daß an dem Tage Amtsferien seien, nahm dann dreißig
Kriegsknechte, gab ihnen Bettzeug, Zelte und Brennholz und hieß sie dies alles
hinaustragen zur Höhle.
Die Wehmutter nahm Speise und Trank in gerechter Menge mit sich und ließ noch
mehr nachtragen.
In der Höhle angelangt, ließ der Hauptmann sogleich drei Zelte aufrichten: ein
reiches für Maria, eines für sich, Joseph und seine Söhne und eines für die
Wehmutter und ihre Schwester.
Und im Zelte Mariens ließ er ein frisches und gar weiches Bett aufrichten und
versah das Zelt noch mit andern nötigen Einrichtungen. Also richtete er auch die
andern Zelte zweckmäßig ein, ließ dann einen Kochherd in aller Geschwindigkeit
von seinen Knechten erbauen, legte selbst Holz darauf und machte Feuer zur
Erwärmung der Höhle, in welcher es sonst ziemlich kalt war in dieser Jahreszeit.
22. Kapitel – Cornelius bei der heiligen
Familie in der Grotte. Die Hirten und der Hauptmann. Die neue ewige
Geistessonne. Des Cornelius Abschied. Josephs Dankesworte über die Güte des
heidnischen Hauptmanns.
4. September 1843
Also versorgte unser Cornelius die fromme Familie und blieb den ganzen Tag und
die ganze Nacht bei ihr.
Des Nachmittags aber kamen auch wieder die Hirten, anzubeten das Kindlein, und
brachten allerlei Opfer.
Als sie aber in der Hütte Zelte und den römischen Hauptmann erschauten, da
wollten sie fliehen aus großer Furcht vor ihm;
denn es waren mehrere Beschreibungsflüchtlinge unter ihnen, die sich vor der auf
solche Flüchtlinge gesetzten Strafe gar gewaltigst fürchteten.
Der Hauptmann aber ging hin zu ihnen und sprach: „Fürchtet euch nicht vor mir,
denn ich will euch nun alle Strafe nachlassen; aber bedenket, was da nach dem
Willen des Kaisers geschehen muß, und kommet daher morgen, und ich werde euch so
zart und sanft als nur möglich beschreiben!“
Da nun die Hirten erfahren hatten, daß der Cornelius ein so sanfter Mensch ist,
da verloren sie ihre Scheu und ließen sich am nächsten Tage alle beschreiben.
Nach der Rede mit den Hirten aber fragte der Hauptmann den Joseph, ob die Sonne
diesmal nimmer den Morgen verlassen werde.
Und der Joseph erwiderte: „Diese Sonne, die heute der Erde aufgegangen ist, ewig
nimmer! Aber die natürliche gehet ihren alten Weg nach dem Willen des Herrn fort
und wird in etlich Stündlein untergehen.“
Solches aber sprach der Joseph prophetisch und wußte und verstand im Grunde
selbst kaum, was er geredet hatte!
Und der Hauptmann aber fragte den Joseph: „Was sagst du hier? – Siehe, ich habe
deiner Worte Sinn nicht begriffen; daher rede verständlicher zu mir!“
Und der Joseph sprach: „Es wird eine Zeit kommen, in der du dich wärmen wirst in
den heiligen Strahlen dieser Sonne und baden in den Strömen ihres Geistes!
Mehr zu sagen aber weiß ich dir nicht und verstehe selbst nicht, was ich dir nun
gesagt habe; die Zeit aber wird es dir enthüllen, da ich nicht mehr sein werde,
in aller Fülle der ewigen Wahrheit.“
Und der Hauptmann fragte den Joseph nicht mehr und behielt diese tiefen Worte in
seinem Lebensgrunde.
Am nächsten Tage aber grüßte der Hauptmann die gesamte Familie und gab ihr die
Versicherung, daß er so lange für sie sorgen werde, als sie sich allda aufhalten
werde, und werde sie in seinem Herzen behalten sein Leben lang.
Nachdem aber begab er sich an sein Geschäft und gab der Wehmutter wieder eine
Münze, zu sorgen für die Familie.
Joseph aber sprach zu seinen Söhnen, als der Hauptmann schon fort war: „Kinder,
wie ist denn das, daß ein Heide besser ist als so mancher Jude? – Sollten etwa
hierher die Worte Isaias passen, da er spricht:
,Siehe, Meine Knechte sollen vor gutem Mute jauchzen; ihr aber sollt vor
Herzeleid schreien und vor Jammer heulen!‘?“ – Und die Söhne Josephs erwiderten:
„Ja, Vater, diese Stelle wird hier in ihrer Fülle erklärt und verstanden.“
23. Kapitel – Die liebevolle Fürsorge des
Cornelius. Des Engels Anweisung an Joseph zum Aufbruch nach Jerusalem zur
Darstellung im Tempel. Marias Traum. Die militärische Wache vor der Grotte.
5. September 1843
Also verlebte Joseph sechs Tage in der Höhle und ward an jedem Tage besucht von
Cornelius, der da emsigst sorgte, daß dieser Familie ja nichts abgehen solle.
Am sechsten Tage frühmorgens aber kam ein Engel zu Joseph und sprach:
„Verschaffe dir ein Paar Turteltauben, und ziehe am achten Tage von hier nach
Jerusalem!
Maria solle die Turteltauben nach dem Gesetze opfern, und das Kind muß
beschnitten werden und erhalten den Namen, der dir und der Maria ist angezeigt
worden!
Nach der Beschneidung aber ziehet wieder hierher, und verweilet hier so lange,
bis ich es euch anzeigen werde, wann und wohin ihr von hier ziehen sollet!
Du, Joseph, wirst dich zwar früher zur Abreise anschicken; aber ich muß dir
sagen: Du wirst nicht um einen Pulsschlag eher von hier kommen, als bis es der
Wille Dessen sein wird, der bei dir ist in der Höhle!“
Nach diesen Worten verschwand der Engel, und der Joseph ging hin zur Maria und
zeigte ihr solches an.
Maria aber sprach zu Joseph: „Siehe, ich bin ja allzeit eine Magd des Herrn, und
so geschehe mir nach Seinem Worte!
Ich aber hatte heute einen Traum, und in diesem Traume kam das alles vor, was du
mir jetzt eröffnet hast; daher sei nur besorgt um das Taubenpaar, und ich werde
mit dir am achten Tage getrost ziehen nach der Stadt des Herrn.“
Es kam aber bald nach dieser Erscheinung eben auch wieder der Hauptmann auf
einen Morgenbesuch, und der Joseph zeigte ihm sogleich an, warum er am achten
Tage werde nach Jerusalem ziehen müssen.
Und der Hauptmann bot dem Joseph sogleich alle seine Gelegenheit an und wollte
ihn führen lassen nach Jerusalem.
Aber Joseph dankte ihm darum für den herrlich guten Willen und sprach: „Siehe,
also ist es der Wille meines Gottes und Herrn, daß ich also ziehen solle nach
Jerusalem, wie ich hierher gezogen kam!
Und so will ich denn auch die kurze Reise also anstellen, auf daß der Herr mich
nicht züchtige meines Ungehorsams willen.
So du aber schon bei dieser Gelegenheit mir etwas tun willst, so verschaffe mir
zwei Turteltauben, die da zu opfern sind in dem Tempel, und erhalte mir die
Wohnstätte!
Denn am neunten Tage werde ich wieder hierher kommen und werde mich darinnen so
lange aufhalten, als es da von mir verlangen wird der Herr!“
Und der Cornelius versprach dem Joseph, all das Verlangte zu bieten, und ging
darauf fort und brachte dem Joseph selbst eine ganze Taubensteige voll
Turteltauben, aus denen sich Joseph die schönsten aussuchen mußte.
Nachdem aber ging der Hauptmann wieder an sein Geschäft und ließ die
Taubensteige (Taubenhaus) unterdessen bis auf den Abend in der Höhle, allda er
sie dann selbst wieder abholte.
Am achten Tage aber, als Joseph nach Jerusalem abgereist war, ließ Cornelius
eine Wache hinstellen vor die Höhle, die da niemanden aus und ein gehen ließ,
außer die zwei ältesten von Joseph zurückgelassenen Söhne und die Salome, die
sie mit Speise und Trank versah; denn die Wehmutter zog mit nach Jerusalem.
24. Kapitel – Die Beschneidung und Namensgebung
des Kindleins und die Reinigung der Maria. Die Darstellung des Kindes im Tempel
durch die Mutter. Der fromme Simeon und das Jesuskind.
6. September 1843
Am achten Tage nachmittags aber – nach gegenwärtiger Rechnung um die dritte
Stunde – ward das Kindlein im Tempel beschnitten und bekam den Namen Jesus, den
der Engel genannt hatte, ehe noch das Kindlein im Mutterleibe empfangen war.
Da aber für den äußersten Fall der erwiesenen Jungfrauschaft Marias auch ihrer
Reinigung Zeit konnte als gültig angesehen werden, so wurde Maria auch sogleich
gereinigt im Tempel.
Darum nahm Maria bald nach der Beschneidung das Kindlein auf ihren Arm und trug
Es in den Tempel, auf daß sie Es mit Joseph darstellete dem Herrn nach dem
Gesetze Mosis.
Wie es denn auch geschrieben steht im Gesetze Gottes: „Allerlei Erstgeburt solle
dem Herrn geheiligt sein.
Und solle darum geopfert werden ein Paar Turteltauben oder ein Paar junge
Tauben!“
Und Maria opferte ein Paar Turteltauben und legte es auf den Opfertisch; und der
Priester nahm das Opfer und segnete Mariam.
Es war aber auch ein Mensch zu Jerusalem, namens Simeon, der war überaus fromm
und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels; denn er war erfüllt mit
dem Geiste Gottes!
Diesem Manne hatte zuvor der Geist des Herrn gesagt: „Du wirst nicht den Tod des
Leibes sehen, bevor du nicht sehen wirst Jesum, den Gesalbten Gottes, den
Messias der Welt.“
Darum kam er nun aus einer inneren Anregung in den Tempel, da gerade Joseph und
Maria sich mit dem Kinde noch in dem Tempel befanden und noch taten, was alles
das Gesetz verlangte.
Als er aber das Kindlein erblickte, da ging er sobald hin zu den Eltern und
verlangte bittend, daß sie ihn möchten dasselbe auf eine kurze Zeit auf seine
Arme nehmen lassen.
Das frommste Elternpaar aber tat das gerne dem alten, überfrommen Manne, den sie
wohl kannten.
Und Simeon nahm das Kindlein auf seine Arme, kosete es, lobte dabei Gott
inbrünstigst und sprach endlich:
„Herr! nun lasse Du Deinen Diener im Frieden fahren, wie Du es gesagt hast;
denn meine Augen haben nun den Heiland gesehen, den Du verheißen hast den Vätern
und den Propheten.
Dieser ist es, den Du bereitet hast vor allen Völkern!
Ein Licht zu leuchten den Heiden, ein Licht zum Preise Deines Volkes Israel.“
Joseph und Maria aber wunderten sich selbst über die Worte Simeons; denn sie
verstanden noch nicht, was er von dem Kinde ausgesagt hatte.
Simeon aber gab das Kindlein nun der Maria wieder, segnete darauf beide und
sprach dann zur Maria:
„Siehe, dieser wird gesetzt zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel, und
zu einem Zeichen, dem widersprochen wird!
Ein Schwert aber wird durch deine Seele dringen, auf daß da vieler Herzen
offenbar werden!“
Maria aber verstand die Worte Simeons nicht; aber dessenungeachtet behielt sie
dieselben tief in ihrem Herzen.
Desgleichen tat es auch der Joseph und lobte und pries Gott darum gar mächtig in
seinem Herzen. – –
25. Kapitel – Die Prophetin Hanna im Tempel und
ihr Zeugnis über das Jesuskind. Hannas Warnung an Maria. Das Notquartier der
heiligen Familie beim reichen Israeliten.
7. September 1843
Es war aber zu dieser Zeit auch eine Prophetin im Tempel – Hanna war ihr Name;
sie war eine Tochter Phanuels vom Stamme Assers.
Diese war schon im hohen Alter und war so fromm, daß sie, als sie sich in ihrer
Jugend mit einem Manne verband, aus Liebe zu Gott sieben Jahre sich nicht
enthüllte dem Manne und behielt diese Zeit ihre Jungfrauschaft.
In ihrem achtzigsten Jahre ward sie Witwe, ging da sobald in den Tempel und
verließ denselben nicht mehr.
Sie diente hier ausschließlich Gott dem Herrn allein durch Beten und Fasten nahe
Tag und Nacht aus eigenem Antriebe.
Bei dieser Gelegenheit aber war sie schon vier Jahre also im Tempel und kam nun
auch herzu, pries Gott den Herrn und redete also zu allen, die da auf den
Erlöser harrten zu Jerusalem, was ihr der Geist Gottes gab.
Als sie aber zu Ende war mit ihren prophetischen Worten, da bat auch sie um das
Kindlein, kosete es und pries und lobte Gott.
Nachdem aber gab sie das Kindlein wieder der Maria und sagte zu ihr: „Glücklich
und gebenedeiet bist du, o Jungfrau, darum du die Mutter meines Herrn bist.
Lasse dir es aber ja nie gelüsten, dich darum preisen zu lassen; denn Das nur,
was da sauget an deiner Brust, ist allein würdig, von uns allen gelobt,
gepriesen und angebetet zu werden!“
Nach diesen Worten kehrte die Prophetin wieder zurück, und Joseph und Maria
gingen, nachdem sie bei drei Stunden im Tempel zugebracht hatten, wieder aus
demselben und suchten bei einem Verwandten Herberge.
Als sie aber dahin kamen, fanden sie das Haus verschlossen; denn der Verwandte
befand sich diesmal eben auch in Bethlehem bei der Beschreibung.
Joseph aber wußte nicht, was er nun tun solle; denn fürs erste war es bereits
tiefe Nacht, wie es in dieser kürzesten Tageszeit gewöhnlich zu sein pflegt, und
es war auch fast kein Haus mehr offen um diese Zeit, und das um so mehr, da es
ein Vorsabbat war.
Im ganz Freien zu übernachten, war es zu kalt, indem der Reif auf den Feldern
lag und dazu noch ein kalter Wind wehte.
Als Joseph also hin und her dachte und den Herrn bat, daß Er ihm helfen möchte
aus dieser Not,
siehe, da kam auf einmal ein junger vornehmer Israelit auf den Joseph
zugeschritten und fragte ihn: „Was machst du denn so spät mit deinem Gepäck auf
der Gasse? Bist du nicht auch ein Israelit – und weißt nicht den Gebrauch?“
Joseph aber sagte: „Siehe, ich bin aus dem Stamme Davids! Ich war aber im Tempel
und habe geopfert dem Herrn; da hat mich die frühe Nacht übereilt, und nun kann
ich keine Herberge finden und bin in großer Angst ob meines Weibes und ihres
Kindes!“
Und der junge Israelit sagte zu Joseph: „So kommt mit mir denn; ich will euch
bis morgen eine Herberge vermieten um einen Groschen oder um dessen Wert!“
Und Joseph folgte mit Maria, welche sich auf dem Lasttiere befand, und mit
seinen drei Söhnen dem Israeliten in ein prachtvollstes Haus und nahm dort in
einer niederen Kammer Herberge.
26. Kapitel – Der Tadel des Herbergsbesitzers
Nikodemus. Josephs Rechtfertigungsrede. Das Zeugnis der Wehmutter. Ein
Gnadenwink an Nikodemus, der den Herrn erkennt.
9. September 1843
Am Morgen aber, als Joseph sich schon zur Abreise nach Bethlehem angeschickt
hatte, kam der junge Israelit und war willens, den Mietgroschen zu verlangen.
Aber als er in die Kammer trat, befiel ihn alsobald eine so mächtige Angst, daß
er darob keinen Laut über seine Lippen zu bringen vermochte.
Joseph aber trat hin zu ihm und sagte: „Freund! siehe, was wohl hältst du an mir
für einen Groschen wert? – Das nehme, da ich kein Geld in meinem Besitze habe!“
Nun erholte sich der Israelit etwas und sagte mit bebender Stimme: „Mann aus
Nazareth, nun erst erkenne ich dich! – Du bist Joseph, der Zimmermann, und bist
derselbe, dem vor neun Monden Maria, die Jungfrau des Herrn, aus dem Tempel
durchs Los zugefallen ist!
Hier ist dieselbe Jungfrau! – Wie hast du sie gehütet, da sie nun Mutter ist in
ihrem fünfzehnten Jahre? – Was ist da vorgefallen?
Wahrlich, du bist der Vater nicht! Denn Männer von deinem Alter und von deiner
Gottesfurcht, die anerkannt ist in ganz Israel, tun desgleichen nimmer.
Aber du hast erwachsene Söhne; kannst du bürgen für deren Unschuld? Hast du sie
stets in den Augen gehabt und hast beobachtet all ihr Denken, Handeln, Tun und
Lassen?“
Joseph aber entgegnete dem jungen Manne und sprach: „Nun habe auch ich dich
erkannt; du bist Nikodemus, ein Sohn Benjams aus dem Stamme Levi! Wie magst du
mich erforschen wohl, da dir solches nicht zukommt? – Mich aber hat der Herr
erforschet darum im Heiligtume und auf dem Berge des Fluches und hat mich
gerechtfertiget vor dem Hohen Rate; was für Schuld willst du noch an mir und
meinen Söhnen finden?
Gehe aber hin in den Tempel und erforsche den Hohen Rat, und es wird über mein
ganzes Haus dir ein rechtes Zeugnis gegeben werden!“
Diese Worte drangen dem jungen reichen Manne tief ins Herz, und er sagte: „Aber
um des Herrn willen, wenn es also ist, so sage mir doch, wie es zugegangen ist,
daß diese Jungfrau also geboren hat! – Ist das ein Wunder, oder ist es
natürlich?“
Hier trat die anwesende Wehmutter hin zum Nikodemus und sprach: „Mann! Hier ist
der Mietgroschen für die höchst dürftige Herberge! Halte uns aber nicht
vergeblich länger auf; denn wir müssen noch heute in Bethlehem eintreffen!
Bedenke aber, was das ist, was heute in deinem Hause dürftig beherberget war um
einen Groschen! – Wahrlich, wahrlich! deine herrlichsten Zimmer, die mit Gold
und Edelsteinen gezieret sind, wären zu schlecht für solche Herrlichkeit Gottes,
die da eingekehrt ist in diese Kammer, die sich höchstens für Sträflinge
schickt!
Gehe aber hin und rühre an das Kindlein, auf daß von deinen Augen falle die
grobe Decke und du sehest, wer dich heimgesucht hatte! – Ich als Wehmutter aber
habe das alte Recht, dir zu gestatten, das Kindlein anzurühren.“
Hier ging Nikodemus hin und rührte an das Kindlein; und als er es berührt hatte,
da ward ihm die innere Sehe auf eine kurze Zeit erschlossen, daß er ersah die
Herrlichkeit Gottes.
Er fiel sobald nieder vor dem Kinde und betete es an und sprach: „Welche Gnade,
welche Liebe und welche Erbarmung muß, o Herr, in Dir sein, daß Du also dein
Volk heimsuchest!
Was solle aber ich nun mit meinem Hause geschehen lassen, und was mit mir, daß
ich die Herrlichkeit Gottes also verkannt habe?!“
Die Wehmutter aber sprach: „Bleibe in allem, wie du bist; aber allertiefst
schweige von dem, was du gesehen, sonst unterliegst du dem Gerichte Gottes!“ –
Hier gab Nikodemus den Groschen zurück, ging weinend hinaus und ließ hernach
diese Kammer mit Gold und Edelsteinen verzieren. – Joseph aber machte sich
sogleich auf die Reise.
27. Kapitel – Die Rückkehr der heiligen Familie
nach Bethlehem. Der herzliche Empfang in der Grotte durch die Zurückgebliebenen.
Eine Futterkrippe als Bettchen für das Kindlein. Gute Ruhe in der Frostnacht.
11. September 1843
Abends, noch eine Stunde vor dem Untergange der Sonne, erreichten die hohen
Reisenden Bethlehem wieder und zogen ein in die schon bekannte Höhle.
Die beiden zurückgebliebenen Söhne, die Salome und der Hauptmann kamen ihnen mit
offenen Armen entgegen und fragten die Zurückkehrenden sorglichst, wie es ihnen
ergangen sei auf der Reise.
Und Joseph erzählte alles, was ihnen begegnet ist, bekannte aber auch zuletzt,
daß er an diesem Tage noch völlig nüchtern sei samt allen den Mitreisenden; denn
der höchst geringe Vorrat hatte kaum für die schwache Maria hingereicht.
Als der Hauptmann solches von Joseph vernommen hatte, da ging er sogleich in den
Hintergrund der Höhle und brachte eine Menge den Juden erlaubter Speisen hervor
und sprach dann zum Joseph:
„Hier segne es dir dein Gott, und segne es du nach deiner Sitte, und stärket und
sättiget euch alle daran!“
Und der Joseph dankte Gott und segnete die Speise und aß dann ganz wohlgemut mit
Maria und seinen Söhnen und mit der Wehmutter.
Es war aber der Maria das Kindlein den ganzen Tag hindurch schon schwer
geworden, darum sie denn auch zum Joseph sagte:
„Joseph, siehe, wenn ich nur neben mir ein Plätzchen hätte, das Kindlein
niederzulegen, um meinen Armen eine kleine Ruhe zu gönnen, da wäre ich für alles
versorgt, und das Kindlein Selbst könnte Sich ruhiger im Schlafe stärken!“
Als der Hauptmann solchen Wunsch Mariens noch kaum gemerkt hatte, da sprang er
sogleich in den Hintergrund der Höhle zurück und brachte eilends eine kleine
Futterkrippe hervor, welche für Schafe bestimmt war (und also aussah, wie
heutzutage die Futtertröge vor den Gasthöfen auf dem Lande).
Die Salome aber nahm sogleich schönstes frisches Heu und Stroh, belegte das
Kripplein damit, deckte dann ein frisches Tuch darüber und machte also ein
weiches Bettchen fürs Kindlein.
Maria aber wickelte das Kindlein in frische Linnen, drückte Es dann an ihre
Brust, küßte Es und gab Es dann dem Joseph zu küssen und dann auch allen
Anwesenden und legte Es dann in das wohl sehr ärmliche Bettchen für den Herrn
Himmels und der Erde!
Gar ruhig schlief das Kindlein, und Maria konnte nun ruhig essen und sich
stärken am Mahle, welches ihnen der überaus gutherzige Hauptmann bereitet hatte.
Nach der Mahlzeit aber sprach wieder Maria zu Joseph: „Joseph, lasse mir mein
Lager zurechtmachen, denn ich bin gewaltig müde von der Reise und möchte mich
darum zur Ruhe begeben!“
Salome aber sprach: „O Mutter meines Herrn, siehe, dafür ist schon lange bestens
gesorgt; komm und siehe!“
Und Maria erhob sich, nahm wieder das Kindlein und ließ sich auch das Kripplein
in ihr Zelt tragen und begab sich also zur Ruhe; und das war die erste völlige
Schlafnacht für Maria nach der Geburt.
Der Hauptmann aber ließ ja fleißig heizen auf dem Herde und weiße Steine wärmen
und mit selben das Zelt Mariens umstellen, auf daß sie mit dem Kindlein ja keine
Kälte leiden solle; denn es war dies eine kalte Nacht, in der das Wasser im
Freien zu festem Eise ward.
28. Kapitel – Joseph drängt zum Aufbruch nach
Nazareth. Des Hauptmanns Rat zu warten. Die Kunde von der persischen Karawane
und von des Herodes Fahndung nach dem Kinde. Marias Furchtlosigkeit und
Gottvertrauen.
12. September 1843
Am Morgen des kommenden Tages aber sprach Joseph: „Was sollen wir nun noch
länger hier? Maria ist wieder gestärkt, daher wollen wir aufbrechen und uns nach
Nazareth begeben, allwo wir doch eine ordentliche Unterkunft haben!“
Als aber der Joseph schon sich zum Aufbruche anzuschicken anfing, da kam der
Hauptmann, welcher vor Tagesanbruch schon in der Stadt etwas zu tun hatte,
wieder zurück und sprach zum Joseph:
„Gotteswürdiger Mann! – Du willst aufbrechen zur Heimreise; aber für heute,
morgen und übermorgen widerrate ich es dir!
Denn siehe, soeben sind Nachrichten durch meine Leute, die heute gar früh schon
von Jerusalem angekommen sind, zu meinen Ohren gekommen, daß da in Jerusalem
drei mächtige persische Karawanen eingezogen sind!
Drei oberste Anführer als Magier hatten sich bei Herodes um den neugeborenen
König der Juden angelegentlichst erkundigt!
Dieser, von der Sache als ein römischer Mietfürst aus Griechenland nichts
wissend, wandte sich an die Hohenpriester, auf daß sie ihm kundgäben, wo der
Neugesalbte geboren werden sollte.
Diese aber gaben ihm kund, daß solches in Judäa, und zwar in Bethlehem,
geschehen solle; denn also stünde es geschrieben!
Darauf entließ der Herodes die Priester und begab sich mit seiner ganzen
Dienerschaft wieder zu den drei Anführern und gab ihnen kund, was er von den
Hohenpriestern erkundschaftet hatte,
und empfahl darauf den dreien, in Judäa ja sorglichst den Neugesalbten der Juden
zu suchen und, wenn sie ihn fänden, ja sobald wieder zu ihm zurückzukehren, auf
daß auch dann er käme und dem Kinde seine Huldigung darbrächte.
Weißt du aber, mein geliebtester Freund Joseph, daß ich weder den Persern, am
allerwenigsten aber dem überaus herrschsüchtigen Herodes traue?!
Die Perser sollen Magier sein und sollen die Geburt durch einen sonderbaren
Stern entdeckt haben. Das will ich gar nicht in Abrede stellen; denn haben sich
hier bei der Geburt dieses Knäbleins so große Wunder gezeigt, so hat solches
auch in Persien geschehen können.
Aber das ist für die Sache eben auch der mißlichste Umstand; denn offenbar geht
es dieses Kind an. Finden es die Perser, so wird es auch der Herodes finden!
Und wir werden uns dann sehr auf die Hinterbeine zu stellen haben, um dem alten
Fuchse aus den Krallen zu kommen!
Daher mußt du, wie gesagt, wenigstens drei Tage noch hier verweilen an diesem
abseitigen Orte, binnen welcher Zeit ich mit den Königsuchern sicher eine gute
Wendung machen werde; denn siehe, ich gebiete hier über zwölf Legionen Soldaten!
– Mehr brauche ich dir zu deiner Ruhe nicht zu sagen. Nun weißt du das Nötigste;
bleibe daher! Ich aber gehe nun wieder und werde um des Tages Mitte wieder zu
dir kommen!“
13. September 1843
Joseph, durch diese Nachricht samt seiner Familie eingeschüchtert, blieb und
wartete in aller Ergebung in den Willen des Herrn ab, was da aus dieser
sonderbaren Fügung werden solle.
Und er ging hin zur Maria und erzählte ihr, was er soeben vom Hauptmanne
vernommen hatte.
Die Maria aber sprach: „Des Herrn Wille geschehe! Was alles für bittere Dinge
sind uns schon bisher begegnet, – und der Herr hat sie alle in Honig verwandelt!
Sicher werden uns auch die Perser nichts zuleide tun, falls sie im Ernste zu uns
kommen sollten; und sollten sie an uns irgendeine bedungene Gewalt verüben
wollen, so haben wir ja durch die Gnade Gottes den Schutz des Hauptmanns für
uns!“
Und der Joseph sagte: „Maria, das alles ist in der Ordnung! Die Perser fürchte
ich auch eben nicht so sehr; aber den graubärtigen Herodes, dieses reißende Tier
in menschlicher Gestalt, – der ist es, den ich fürchte, und auch der Hauptmann
sich scheut vor ihm!
Denn wird es durch die Perser allenfalls erwiesen, daß da unser Knäblein der
neugesalbte König ist, dann wird uns nichts als eine schnöde Flucht
übrigbleiben!
Denn dann wird auch unser Hauptmann aus staatlichen römischen Rücksichten uns
seines Heiles willen zum Feinde werden müssen und wird uns, statt zu retten, nur
verfolgen müssen, will er nicht als ein Abtrünniger und als ein geheimer
Verräter seines Kaisers angesehen werden!
Und das sieht er heimlich auch sicher ein, da er selbst zu mir bezüglich des
Herodes nicht unbedeutende Bedenklichkeiten zu erkennen gab.
Darum, meine ich, läßt er uns auch noch drei Tage hier harren! Geht es gut, so
bleibt er sicher unser Freund;
geht es aber schlecht, so hat er uns aber auch bei der Hand, um uns der
Grausamkeit Herodis auszuliefern, und wird dadurch noch obendrauf von seinem
Kaiser eine große Auszeichnung erhalten, darum er auf eine so feine Art einen
jüdischen König, der einst dem Staate gefährlich werden könnte, aus der Welt
befördert hat!“
Maria aber sagte darauf: „Joseph! Ängstige dich und mich nicht vergeblich! –
Siehe, haben wir doch das Fluchwasser getrunken, und es ist uns nichts
geschehen! Warum sollen wir uns denn nun ängstigen, da wir doch schon so viel
der Herrlichkeit Gottes ob dieses Kindes gesehen und erprobet haben?!
Gehe es, wie es wolle, ich sage dir: Der Herr ist mächtiger denn die Perser, der
Herodes, der Kaiser Roms und der Hauptmann samt seinen zwölf Legionen! Daher sei
ruhig, wie du siehst, daß ich ruhig bin!
Übrigens aber bin ich überzeugt, daß der Hauptmann eher alles aufbieten wird,
als bis er notgedrungen unser Feind werden wird!“
Damit ward der gute, frommste Joseph wieder beruhigt und ging hin und erwartete
den Hauptmann und ließ von seinen Söhnen die Höhle beheizen und einige Früchte
kochen für Maria und für sich und die Söhne.
29. Kapitel – Des bangen Joseph Bitte an den
Herrn. Die persische Karawane vor der Grotte. Der erstaunte Hauptmann. Der drei
Weisen Zeugnis über das Kind: ein König der Könige, ein Herr der Herren von
Ewigkeit! Ihre Warnung vor Herodes.
14. September 1843
Der Mittag war herangekommen, aber der Hauptmann verzog diesmal, und Joseph
zählte mit banger Erwartung die Augenblicke; aber der Hauptmann kam nicht zum
Vorscheine.
Darum wandte sich Joseph zum Herrn und sprach: „Mein Gott und mein Herr, ich
bitte Dich, daß Du mich doch nicht so sehr möchtest ängstigen lassen; denn
siehe, ich bin alt und schon ziemlich schwach in allen meinen Gelenken!
Daher stärke mich durch eine Verkündung, was ich tun solle, um nicht zuschanden
zu werden vor allen Söhnen Israels!“
Als der Joseph also gebetet hatte, siehe, da kam der Hauptmann fast außer Atem
und sprach zu Joseph:
„Mann meiner höchsten Achtung! – Soeben komme ich von einem Marsche zurück, den
ich selbst mit einer ganzen Legion nahe auf den drittel Weg gen Jerusalem
gemacht habe, um etwas von den Persern zu erspähen,
und habe auch allorts Spione aufgestellt, aber bis jetzt konnte ich nichts
entdecken! Sei aber nur ruhig; denn wenn sie kommen, müssen sie auf meine
ausgestellten Posten stoßen!
Da aber solle es ihnen eben nicht zu leicht werden, irgendwo durchzubrechen und
hierher zu gelangen, bevor sie nicht von mir sind verhört und beurteilt worden!
– Ich gehe nun darum sogleich wieder und werde die Wachen verstärken; am Abende
bin ich bei dir!“
Hier eilte der Hauptmann wieder fort, und der Joseph lobte Gott und sprach zu
seinen Söhnen: „Nun setzet die Speisen auf den Tisch, und du, Salome, frage die
Maria, ob sie mit uns am Tische essen will, oder sollen wir ihr die Speisen aufs
Lager bringen?“
Maria aber kam selbst mit dem Kindlein ganz heiteren Mutes heraus aus ihrem
Zelte und sprach: „Weil ich stark genug bin, will ich bei euch am Tische essen;
nur das Kripplein schaffet her fürs Kindlein!“
Joseph aber war darüber voll Freuden und setzte vor Maria die besten Stücke hin;
und sie lobten Gott den Herrn und aßen und tranken.
Als sie aber noch kaum abgespeist hatten, siehe, da entstand auf einmal vor der
Höhle ein starkes Lärmen. Joseph sandte den Joel, nachzusehen, was es gäbe.
Als der Joel aber hinausblickte zur Türe (denn die Höhle war am Ausgange
gezimmert), da sah er eine ganze Karawane von Persern mit belasteten Kamelen und
sprach mit ängstlicher Stimme:
„Vater Joseph! Um des Herrn willen, wir sind verloren! – Denn siehe, die
berüchtigten Perser sind hier mit vielen Kamelen und großer Dienerschaft!
Sie schlagen ihre Zelte auf und lagern sich in einem weiten Kreise, unsere Höhle
ganz umringend, und drei mit Gold, Silber und Edelsteinen gezierte Anführer
packen goldene Säcke aus und machen Miene, sich herein in die Höhle zu begeben!“
Diese Nachricht machte unseren guten Joseph beinahe sprachunfähig; mit großer
Mühe brachte er die Worte heraus: „Herr, sei mir armem Sünder barmherzig! – Ja,
jetzt sind wir verloren!“ – Maria aber nahm das Kindlein und eilte damit in ihr
Zelt und sprach: „Nur wenn ich tot bin, werdet ihr Es mir entreißen!“
Joseph aber ging nun hin zur Türe, geleitet von seinen Söhnen, und sah
verstohlen hinaus, was da macheten die Perser.
Als er aber die große Karawane und die aufgerichteten Zelte erschaute, da ward
es ihm doppelt bange ums Herz, daß er darob inbrünstigst zu flehen anfing, der
Herr möchte ihm nur diesmal aus solcher großen Not helfen.
Als er aber also flehte, siehe, da kam der Hauptmann in ganz kriegerischer
Rüstung, geleitet von tausend Kriegern, und stellte die Krieger zu beiden Seiten
der Höhle auf.
Er selbst aber ging hin und befragte die drei Magier, aus welcher Veranlassung
und wie – von ihm also ganz unbemerkt – sie hierher gelanget seien.
Und die drei sprachen einstimmig zum Hauptmann: „Halte uns ja nicht für Feinde;
denn du siehst ja, daß wir keine Waffen mit uns führen, weder offene noch
verborgene!
Wir sind aber Sternkundige aus Persien, und wir haben eine alte Prophezeiung, in
dieser steht es geschrieben, daß in dieser Zeit den Juden wird ein König der
Könige geboren werden, und seine Geburt wird durch einen Stern angezeigt werden.
Und die da den Stern sehen werden, die sollen sich auf die Reise machen und
ziehen, dahin sie der mächtige Stern führen wird; denn sie werden dort den
Heiland der Welt finden, wo der Stern wird seinen Stand nehmen!
Siehe aber, ob diesem Stalle stehet der Stern, sicher jedermann sichtbar am
hellen Tage sogar! – Dieser war unser Führer hierher; hier aber blieb er stehen
ob diesem Stalle, und wir haben sicher ohne allen Anstand die Stelle erreicht,
allwo das Wunder aller Wunder sich lebendig vorfindet, ein neugebornes Kind, ein
König der Könige, ein Herr der Herren von Ewigkeit!
Diesen müssen wir sehen, anbeten und Ihm die allerhöchste Huldigung darbringen!
– Daher wolle uns ja nicht den Weg verrammen; denn sicher hat uns kein böser
Stern hierher geführt!“
Hier sah der Hauptmann nach dem Sterne und verwunderte sich hoch über ihn; denn
fürs erste stand er ganz nieder, und fürs zweite war sein Licht nahe so stark
wie das Naturlicht der Sonne.
Als der Hauptmann aber sich von alledem überzeugt hatte, da sprach er zu den
dreien: „Gut, ich habe nun aus euren Worten und aus dem Sterne die Überzeugung
erlangt, daß ihr redlichen Sinnes hierher gekommen seid; aber nur sehe ich nicht
ein, was ihr zuvor in Jerusalem bei Herodes zu tun hattet! – Hat euch der Stern
auch jenen Weg gezeigt?
Warum hat euch denn euer Wunderführer nicht sogleich hierher geführt, indem doch
alsonach sicher hier der Ort eurer Bestimmung ist? – Darüber verlange ich noch
eine Antwort von euch, sonst kommt ihr nicht in die Höhle!“
Die drei aber sagten: „Der große Gott wird das wissen! Sicher muß es in Seinem
Plane liegen; denn keiner aus uns hatte je den Sinn gefaßt, sich Jerusalem auch
nur von ferne zu nahen!
Und du kannst uns völlig glauben, uns gefielen die Menschen in Jerusalem gar
nicht, am wenigsten aber der Fürst Herodes! Da wir aber schon dort waren und
aller Stadt Aufmerksamkeit auf uns gerichtet war, so mußten wir doch zeigen, was
da ist unsere Absicht!
Die Priester gaben uns Kunde durch den Fürsten, der uns bat, daß wir ihm wieder
die Kunde überbringen sollen von dem gefundenen Könige, auf daß auch er käme und
brächte dem neuen Könige seine Huldigung dar.“
Der Hauptmann aber sprach: „Das werdet ihr nimmer tun; denn ich kenne die
Absicht dieses Fürsten! Eher bleibet ihr hier als Geiseln! – Ich aber gehe nun
hinein und will mich mit dem Vater des Kindes über euch besprechen.“
30. Kapitel – Der Stern der drei Weisen und die
alte Prophezeiung der persischen Sternkundigen. Die Anbetung des Herrn, des
Schöpfers der Unendlichkeit und Ewigkeit, im Kinde durch die drei Weisen. Ihre
Namen: Chaspara, Melcheor und Balthehasara. Die sie begleitenden Geister: Adam,
Kain und Abraham. Sie huldigen dem Herrn und bringen Ihm Geschenke dar.
16. September 1843
Als der gute Joseph alles das vernommen hatte, da ward es ihm leichter ums
bedrängte Herz; und da er vernommen hatte, daß der Hauptmann zu ihm kommen
werde, so machte er sich auf seinen Empfang bereit.
Und der Hauptmann trat ein, grüßte den Joseph und sprach dann zu ihm: „Mann
meiner höchsten Achtung!
Siehe, durch wunderbare Fügung sind diese draußen nun harrenden Morgenländer
hierher gekommen. – Ich habe sie scharf geprüft und habe an ihnen nichts Arges
entdeckt!
Sie wünschen dem Kinde nach der Beheißung ihres Gottes ihre Huldigung
darzubringen, und so bin ich der Meinung, du kannst sie ohne die allergeringste
Furcht hereinlassen, wann es dir gelegen ist.“
Und der Joseph sprach: „Wenn es also ist, da will ich meinen Gott loben und
preisen; denn Er hat wieder einen glühenden Stein von meinem Herzen genommen!
Aber es hat sich zuvor die Maria etwas entsetzt, als sich die Perser um diese
Höhle zu lagern anfingen; darum muß ich doch zuvor nachsehen, wie sie bestellt
ist, auf daß da ein unvorbereitetes Eintreten dieser Gäste sie nicht noch mehr
erschreckt, als sie sich schon ehedem vor ihnen erschreckt hat.“
Der Hauptmann aber billigte diese Vorsicht Josephs; und Joseph ging hin zur
Maria und benachrichtigte sie von allem, was er vom Hauptmann vernommen hatte.
Und Maria ganz heiteren Mutes sprach: „Friede allen Menschen auf Erden, die
eines treuen und guten Herzens sind und haben einen Willen, der sich von Gott
lenken läßt!
Diese sollen nur kommen, wann es ihnen des Herrn Geist anzeigen wird, und sollen
den Segen ihrer Treue ernten! – Denn ich habe nicht die allergeringste Furcht
vor ihnen!
Aber wenn sie eintreten werden, mußt du doch mir recht nahe zur Seite stehen;
denn es würde sich doch nicht schicken, daß ich sie ganz allein empfinge in
diesem Zelte!“
Joseph aber sagte: „Maria, so du Kraft hast, da stehe auf mit dem Kinde, nehme
das Kripplein und lege Es vor dir in dasselbe, und dann können die Gäste
eintreten und dem Kinde ihre Ehre geben!“
Und die Maria vollzog sogleich diesen Willen Josephs, und Joseph sprach darauf
zum Hauptmann:
„Siehe, wir sind bereit; so da die drei eintreten wollen, da können wir es ihnen
schon andeuten, daß wir nach unserer Armut ganz auf ihren Empfang bereitet
sind!“
Und der Hauptmann ging hinaus und kündigte solches den dreien an. – Die drei
aber fielen sobald zur Erde nieder, lobten Gott für diese Gestattung, nahmen
dann die goldenen Säcke und begaben sich allerehrfurchtsvollst in die Höhle.
18. September 1843
Der Hauptmann öffnete die Tür, und die drei traten mit der allerhöchsten
Ehrfurcht in die Höhle; denn es ging im Augenblicke ihres Eintretens ein
mächtiges Licht vom Kinde aus.
Als sie, die drei Weisen nämlich, sich auf ein paar Tritte dem Kripplein,
darinnen das Kindlein lag, näherten, da fielen sie sobald auf ihre Angesichter
nieder und beteten dasselbe an.
Bei einer Stunde lang lagen sie, von der höchsten Ehrfurcht ergriffen und
gebeugt, vor dem Kinde; dann erst erhoben sie sich langsam und richteten kniend
ihre mit Tränen befeuchteten Angesichter auf und besahen den Herrn, den Schöpfer
der Unendlichkeit und Ewigkeit.
Die Namen der drei aber waren: Chaspara, Melcheor und Balthehasara.
Und der erste, in Gesellschaft des Geistes Adams, sprach: „Gebet Gott die Ehre,
das Lob, den Preis! Hosianna, hosianna, hosianna Gott, dem Dreieinigen, von
Ewigkeit zu Ewigkeit!“
Hier nahm er den goldgewirkten Beutel, in dem dreiunddreißig Pfunde feinsten
Weihrauchs waren, und übergab ihn mit der größten Ehrerbietung der Maria mit den
Worten:
„Nimm ohne Scheu, o Mutter, dies geringe Zeugnis dessen, davon mein ganzes Wesen
ewig erfüllt sein wird! – Nimm hin den schlechten äußeren Tribut, den jedes
denkende Geschöpf aus dem Grunde seines Herzens seinem allmächtigen Schöpfer
schuldet für ewig!“
Maria nahm den schweren Beutel und übergab ihn dem Joseph, und der Spender erhob
sich, stellte sich hin zur Türe und kniete da abermals nieder und betete den
Herrn in dem Kinde an.
Und sobald erhob der zweite, der da ein Mohr war und des Kain Geist in seiner
Gesellschaft hatte, einen etwas kleineren Beutel, aber von gleichem Gewichte,
gefüllt mit reinstem Golde, und überreichte ihn der Maria mit den Worten:
„Was dem Könige der Geister und der Menschen auf Erden gebührt, bringe ich dar,
ein kleinstes Opfer Dir, Du Herr der Herrlichkeit ewig! – Nimm es hin, o Mutter,
die du geboren hast, das aller Engel Zunge ewig nie wird auszusprechen imstande
sein!“
Hier übernahm Maria den zweiten Beutel und übergab ihn dem Joseph. – Und der
opfernde Weise erhob sich und ging hin zum ersten und tat, was dieser tat.
Sodann erhob sich der dritte, nahm seinen Beutel, gefüllt mit allerfeinster
Goldmyrrhe, einer damals allerkostbarsten Spezerei, und übergab ihn der Maria
mit den Worten:
„Der Geist Abrahams ist in meiner Gesellschaft und sieht nun den Tag des Herrn,
auf den er sich so mächtig gefreut hat!
Ich aber, Balthehasara, opfere hier in kleiner Gabe, was da gebühret dem Kinde
der Kinder! – Nimm es hin, o Mutter aller Gnade! – Ein besseres Opfer aber berge
ich in meiner Brust; es ist meine Liebe, – diese solle diesem Kinde ewig ein
wahrstes Opfer bleiben!“
Hier nahm Maria den ebenfalls dreiunddreißig Pfunde schweren Beutel und übergab
ihn dem Joseph. – Der Weise aber erhob sich dann auch und ging hin zu den zwei
ersten, betete an das Kindlein und ging nach vollendetem Gebete mit den ersten
zweien hinaus, da ihre Zelte aufgerichtet waren.
31. Kapitel – Maria weist hin auf die
Gnadenführung Gottes. Josephs Redlichkeit und Treue. Die drei gesegneten
Geschenke Gottes: Sein heiliger Wille, Seine Gnade und Seine Liebe. Marias, des
Hauptmanns und des Kindleins edelstes Zeugnis für Joseph.
19. September 1843
Als die drei Weisen aber völlig wieder draußen waren und sich zur Ruhe begeben
hatten in ihren Zelten, da sagte die Maria zum Joseph:
„Siehe, siehe nun, du ängstlicher, sorgerfüllter Mann, wie herrlich und gut der
Herr, unser Gott, ist, wie gar so väterlich Er für uns sorgt!
Wer hätte von uns sich je im Traume etwas solches können beifallen lassen? Aus
unserer großen Angst hat Er solch einen Segen für uns bewirkt und hat alle
unsere große Furcht und Sorge in eine so große Freude verwandelt!
Von denen wir befürchteten, daß sie nach dem Leben des Kindes trachten möchten,
gerade von denen haben wir erlebt, daß sie Ihm nur eine Ehre dargebracht haben,
wie wir sie nur immer Gott, dem Herrn, schuldig sind!
Und haben uns noch obendrauf so reichlich beschenkt, daß wir uns um den Wert der
Geschenke ein sehr ansehnliches Landgut völlig zu eigen ankaufen können und
können dort für die Erziehung des göttlichen Kindes sicher nach dem Willen des
Herrn bestens sorgen!
O Joseph! – Heute erst will ich dem allerliebvollsten Herrn danken, Ihn loben
und preisen die ganze Nacht hindurch; denn Er ist nun unserer Armut auch so sehr
zuvorgekommen, daß wir uns jetzt recht gütlich behelfen können! – Was sagst denn
du dazu, lieber Vater Joseph?“
Und der Joseph sprach: „Ja, Maria, unendlich gut ist Gott der Herr denen, die
Ihn lieben über alles und alle ihre Hoffnung auf Ihn allein richten; – aber ich
meine, nicht uns, sondern dem Kinde gelten die Geschenke, und wir haben demnach
nicht das Recht, sie zu gebrauchen nach unserem Gutdünken.
Das Kind aber heißt Jesus und ist ein Sohn des Allerhöchsten; daher müssen wir
zuerst den allerhabensten Vater fragen, was da mit diesen Schätzen geschehen
solle!
Und was Er damit anordnen wird, das wollen wir auch tun; ohne Seinen Willen aber
will ich sie nicht anrühren mein Leben lang und will dir und mir lieber auf die
beschwerlichste Art von der Welt ein gesegnetes Stückchen Brotes verdienen!
Habe ich dich und meine Söhne doch bis jetzt durch die vom Herrn gesegnete
Arbeit meiner Hände ernährt; also werde ich es mit der Hilfe des Herrn auch noch
fürder zu tun vermögen!
Daher sehe ich nicht auf diese Geschenke, sondern allein auf den Willen des
Herrn und auf Seine Gnade und Liebe.
Das sind die drei größten, uns allzeit mächtig segnenden Geschenke Gottes; Sein
heiliger Wille ist mir der köstlichste Weihrauch, Seine Gnade das reinste und
schwerste Gold, und Seine Liebe die allerköstlichste Myrrhe!
Diese drei Schätze dürfen wir allzeit ohne Scheu verschwenderisch gebrauchen;
aber diesen Weihrauch, dieses Gold und diese Myrrhen da in den goldenen Säcken
dürfen wir nicht anrühren ohne die ersten drei Hauptschätze, die uns bis jetzt
noch immer die reichlichsten Interessen abgeworfen haben.
Also, liebe Maria, wollen wir tun, und ich weiß, der Herr wird uns darum mit
großem Wohlgefallen ansehen; Sein Wohlgefallen aber sei uns der allergrößte
Schatz!
Was meinst du, holdeste Maria, habe ich recht oder nicht? Ist also nicht am
besten mit diesen Schätzen die rechte Bestimmung getroffen?“
Hier wurde die Maria bis zu Tränen gerührt und lobte die Weisheit Josephs. Und
der Hauptmann fiel dem Joseph um den Hals und sprach: „Ja, du bist noch ein
wahrer Mensch nach dem Willen deines Gottes!“ – Das Kindlein aber sah den Joseph
lächelnd an, hob ein Händchen auf und tat, als segnete Es den Nährvater, den
frömmsten Joseph.
32. Kapitel – Der Engel als Ratgeber der drei
Weisen. Der Abzug der Weisen nach dem Morgenland. Die Ungeduld Josephs. Des
Cornelius beruhigende Worte an Joseph. Josephs Hinweis auf die Macht und Güte
Gottes.
20. September 1843
Die drei Weisen aber traten in einem Zelte zusammen und besprachen, was sie nun
tun sollten.
Sollten sie dem Herodes das gegebene Wort halten, oder sollten sie hier zum
ersten Male wortbrüchig werden?
Und so sie einen anderen Weg in ihr Land einschlagen sollten, da frage es sich,
welchen, der sie sicher wieder brächte in ihr Land.
Und einer fragte den andern: „Wird wohl der wunderbare Stern, der uns hierher
geführt hatte, uns auch wieder anderen Weges nach Hause führen?“
Als sie sich aber also berieten, siehe, da trat auf einmal ein Engel unter sie
und sprach zu ihnen: „Sorget euch nicht vergeblich, der Weg ist schon gebahnt!
So gerade als da fallet der Sonne Strahl auf die Erde am Mittage, ebenso geraden
Weges sollet ihr morgen in euer Land anderen Weges denn über Jerusalem geleitet
werden!“
Darauf verschwand der Engel, und die drei begaben sich zur Ruhe. Und früh am
Morgen zogen sie von da hinweg und gelangten auf dem kürzesten Wege bald wieder
in ihr Land, allwo sie vielen Freunden die große Ehre Gottes verkündeten und
weckten sie wieder im rechten Glauben an den einigen Gott.
Am selben Morgen aber fragte Joseph den Hauptmann, wie lange er denn noch in
dieser Höhle werde verweilen müssen.
Der Hauptmann aber sagte freundlichst zu Joseph: „Mann meiner höchsten Achtung!
Glaubst du denn, ich halte dich hier wie einen Gefangenen?
O welch ein Gedanke! – Wie sollte ich, ein Wurm im Staube vor der Macht deines
Gottes, dich wohl je gefangen halten!? – Was aber meine Liebe zu dir tut, siehe,
das ist ja keine Gefangenschaft!
Von meiner Macht aus bist du zu jeder Stunde frei und kannst ziehen, dahin du
willst! – Aber nicht ebenso frei bist du von meinem Herzen aus; das möchte dich
freilich hier halten für alle Zeit, denn es liebt dich und dein Söhnlein mit
unbeschreiblicher Macht!
Sei aber noch ein paar Tage ruhig; ich will sogleich Kundschafter nach Jerusalem
senden und dort erfahren, was da der graue Fuchs machen wird, so die Perser ihm
das Wort nicht gehalten haben!
Dann aber werde ich mich schon zu richten wissen und werde dich schützen gegen
jede Verfolgung dieses Wüterichs.
Denn du kannst es mir glauben, dieser Herodes ist der größte Feind meines
Herzens, und ich will ihn schlagen, wo ich nur immer mag und kann!
Ich bin freilich nur ein Hauptmann und bin noch selbst ein Untergebener dem
höheren Feldherrn, der zu Sidon und Smyrna residiert und befiehlt über zwölf
Legionen in Asien.
Aber ich bin kein gemeiner Zenturio, sondern bin ein Patrizier und gebiete daher
nach meinem Titel mit über die zwölf Legionen in Asien! So ich eine oder die
andere gebrauchen will, da brauche ich nicht erst nach Smyrna zu senden, sondern
als Patrizier nur zu gebieten, und die Legion muß mir gehorchen! Daher kannst du
auf mich schon rechnen, wenn sich Herodes erheben sollte!“
22. September 1843
Joseph dankte dem Hauptmann für diese allerfreundlichste Sorgfalt, setzte aber
dann hinzu und sprach:
„Höre mich nun auch an, du achtbarster Freund! – Siehe, du hast dich ehedem wohl
auch allerwachsamst gesorget wegen der Perser; aber was hat das alles genützt?!
Die Perser kamen ungesehen von all deinen tausend Augen und hatten lange eher
schon ihr Lager geschlagen, als du auch nur einen von ihnen entdecken mochtest!
Siehe, hätte mich da der Herr, mein Gott, nicht beschützt, wo wäre ich nun schon
mit deiner Hilfe? Ehe du zum Vorscheine kamst, hätten die Perser mich samt
meiner Familie schon lange erwürgen können!
Daher sage ich dir nun als ein wärmsten Dankes vollster Freund: Menschenhilfe
ist zu nichts nütze; denn alle Menschen sind nichts vor Gott!
So aber Gott der Herr uns helfen will und auch allein nur helfen kann, da sollen
wir uns gar nicht viel Mühens machen; denn es wird trotz alles unseres Mühens
dennoch alles also geschehen, wie es der Herr will, aber nie, wie wir es wollen.
Unterlasse daher das mühsame und gefährliche Auskundschaften in Jerusalem, durch
das du fürs erste wenig Erhebliches erfahren möchtest und fürs zweite, so es
aufkäme, dir noch meinetwegen ein herbes Los bereiten könntest!
In dieser Nacht aber wird es mir der Herr ohnehin sicher anzeigen, was da
Herodes tun wird, und was ich werde tun müssen; daher magst du nun samt mir ganz
ruhig sein und den Herrn allein über mich und dich walten lassen, und es wird
schon alles recht sein.“
Als der Hauptmann aber solche Rede von Joseph vernommen hatte, ward er sehr
bewegt in seinem Gemüte, und es tat ihm wehe, daß der Joseph seine Hilfe
abgelehnt hatte.
Joseph aber sprach: „Guter, liebster Freund! dich schmerzt es, weil ich dir es
abgeraten habe, dich ferner noch um meine Wohlfahrt zu kümmern.
Aber so du die Sache beim hellen Lichte betrachtest, da mußt du ja doch selbst
notwendig dasselbe finden!
Siehe, wer von uns hat noch je die Sonne und den Mond und alle die Sterne über
das Firmament getragen? Wer von uns noch je den Winden, Stürmen und Blitzen
geboten?
Wer hat dem mächtigen Meere sein Bett gegraben, wer von uns den großen Strömen
ihren Weg vorgezeichnet?
Welchen Vogel haben wir den schnellen Flug gelehrt und wann sein Gefieder
geordnet? Wann für ihn die klang- und sangreiche Kehle gebildet?
Wo wohl stehet das Gras, zu dessen Wachstume wir den lebendigen Samen gebildet
hätten?
Siehe, das alles aber tut der Herr täglich! – So dich aber Sein mächtiges
wunderbares Walten doch in jedem Augenblicke an Seine unendlich liebvollste
Fürsorge erinnert, wie sollte es dich da wundern, wenn ich dich freundlichst
darauf aufmerksam mache, da vor Gott alle Menschenhilfe in den Staub der
Nichtigkeit zurücksinket?“
Diese Worte brachten den Hauptmann wieder in eine günstige Stimmung; aber
dessenungeachtet sandte er dennoch heimlich Kundschafter nach Jerusalem, um zu
erfahren, was dort vor sich ginge.
33. Kapitel – Die Vorbereitungen zur Flucht
nach Ägypten. Die Vorsorge des Herrn. Joseph bespricht sich mit Cornelius.
23. September 1843
In dieser Nacht aber erschien dem Joseph, wie der Maria, ein Engel im Traume und
sprach:
„Joseph! verkaufe die Schätze und kaufe dir noch einige Lasttiere; denn du mußt
mit deiner Familie nach Ägypten fliehen!
Siehe, Herodes ist in einen mächtigen Grimm ausgebrochen und hat beschlossen,
alle Kinder von ein bis zwölf Jahren Alters zu ermorden, darum er von den Weisen
hintergangen ward!
Diese hätten es ihm anzeigen sollen, wo der neue König geboren ward, auf daß er
dann seine Schergen ausgesandt hätte, welche das Kind hätten ermorden sollen,
welches da ist der neue König.
Wir Engel der Himmel aber haben die Weisung vom Herrn erhalten, eher noch, als
Er in die Welt ging, über alles das allsorglichst zu wachen, was eure Sicherheit
betrifft!
Darum denn kam ich nun zu dir, um es dir anzuzeigen, was der Herodes tun wird,
da er des Einen nicht bestimmt habhaft werden kann.
Der Hauptmann selbst wird müssen dem Herodes Subsidien leisten, will er nicht
von ihm beim Kaiser verraten werden; darum sollst du dich schon morgen auf die
Reise machen!
Solches aber kannst denn du wohl auch dem Hauptmann anzeigen, und er wird dir
behilflich sein zur schleunigen Abreise! – Also geschehe im Namen Dessen, der da
lebet und sauget die Brüste Marias!“
Hier ward Joseph wach, und also auch die Maria, die da sogleich mit ängstlicher
Stimme den Joseph zu sich rief und ihm dann sogleich ihren Traum erzählte.
Joseph aber ersah sobald sein Gesicht in der Erzählung Mariens und sagte darauf:
„Maria, sorge dich nicht, noch vor der Mitte des Tages sind wir schon übers
Gebirge – und in sieben Tagen in Ägypten!
Ich will aber nun, da es schon helle wird, sogleich ausgehen und alles bestellen
zur schnellen Abreise.“
Hier ging der Joseph auch sobald mit den drei ältesten Söhnen, nahm die Schätze
und trug sie hin zu einem Wechsler, welcher ihm sobald die Türe öffnete und ihm
alles ablöste um den gerechten Betrag.
Dann ging Joseph zu einem Lasttierhändler, geleitet von einem Diener des
Wechslers, und kaufte sogleich noch sechs lastbare Esel und kam also wohl
ausgerüstet wieder in die Höhle zurück.
Daselbst harrte auch schon der Hauptmann seiner und erzählte ihm sogleich, was
für allergrausamst schändlichste Nachrichten ihm von Jerusalem überbracht worden
sind.
25. September 1843
Joseph aber verwunderte sich nicht sehr über diese Erzählung des Hauptmanns,
sondern sprach nur in einem gottergebenen Tone:
„Geehrter Freund! was du mir hier kundgibst, das alles und viel genauer ließ mir
in dieser Nacht, wie ich es dir gestern meldete, der Herr kundgeben, was alles
der Herodes beschlossen hat!
Siehe, du selbst wirst ihm noch obendrauf müssen Subsidien leisten; denn er will
um Bethlehem und in der Stadt selbst alle Kinder von etlichen Wochen Alters bis
ins zwölfte Jahr erwürgen lassen, um unter ihnen auch auf das meine zu kommen!
Darum muß ich heute noch fliehen von hier, dahin mich des Herrn Geist führen
wird, um der Grausamkeit Herodis zu entkommen.
Darum aber ersuche ich dich, daß du mir den sicheren Weg gen Sidon weisest; denn
schon in einer Stunde muß ich aufbrechen!“
Als der Hauptmann aber solches vernommen hatte, ward er ergrimmt über alle Maßen
über den Herodes und schwor ihm unversiegbare Rache, sagend:
„Joseph, so wahr es jetzt Tag wird und die Sonne schon über dem Horizonte steht,
so wahr dein Gott lebt, so wahr will ich mich als edelster Patrizier Roms eher
ans Kreuz binden lassen, ehe ich solch ein Unternehmen den Wüterich werde
ungestraft verüben lassen!
Führen will ich dich sogleich übers Gebirge selbst mit einer guten Bedeckung;
und weiß ich dich in Sicherheit, dann werde ich zurückeilen und sogleich einen
Eilboten nach Rom senden, der dem Kaiser alles anzeigen soll, was da der Herodes
zu unternehmen gedenkt.
Ich aber werde alles Mögliche aufbieten, um hier das Vorhaben des Scheusals zu
hintertreiben.“
Und der Joseph erwiderte: „Guter, achtbarster Freund! Wenn du schon etwas tun
kannst, da beschütze wenigstens die Kinder von drei bis zwölf Jahren! Solches
wird in deiner Macht stehen!
Aber die Kindlein von der Geburt an bis ins zweite Jahr wirst du nicht zu
schützen vermögen!
Ersteren Schutz aber wirst du auch nicht durch Gewalt, sondern allein durch
Klugheit zu bewerkstelligen imstande sein!
Der Herr aber wird dich in solcher Klugheit leiten! Darum denke nicht viel, was
du tun wirst; denn der Herr wird dich leiten im geheimen!“
Der Hauptmann aber sprach: „Nein, nein, der Kinder Blut solle nicht fließen;
eher will ich militärische Gewalt brauchen!“
Joseph aber sprach: „Siehe, was kannst du wohl tun, so der Herodes schon mit
einer ganzen römischen Legion soeben Jerusalem verläßt, – wirst du wider deine
eigene Macht ins Feld ziehen? – Daher tue, wie dich der Herr leiten wird, damit
du auf freundlichem Wege doch die Drei- bis Zwölfjährigen rettest!“ – Hier gab
der Hauptmann nach.
34. Kapitel – Der Aufbruch zur Flucht. Josephs
Bitte an Salome. Der Abschied vom Hauptmann. Die Abreise. Der Schutzbrief des
Cornelius an Cyrenius. Josephs Reiseweg. Das Erlebnis mit den Räubern. Josephs
Ankunft in Tyrus bei Cyrenius. Des Cyrenius Trostworte und Hilfe.
26. September 1843
Nach dieser Unterredung Josephs mit dem Hauptmanne sprach der Joseph zu seinen
Söhnen: „Machet euch auf, und rüstet die Lasttiere!
Die sechs neuen Esel sattelt für mich und euch und den alten und approbierten
für die Maria! Nehmet, soviel ihr könnet, von den Eßwaren mit; den Ochsen mit
dem Karren aber lassen wir hier der Wehmutter zum Angedenken und zum Lohne für
ihre Aufmerksamkeit für uns!“
Also ward der Ochse mit dem Karren von der Wehmutter in Besitz genommen und
wurde zu keiner Arbeit mehr verwendet.
Die Salome aber fragte den Joseph, ob sie nicht mit ihm ziehen dürfte.
Und der Joseph sprach: „Das kommt auf dich an; ich aber bin arm, das weißt du,
und kann dir keinen Lohn geben, so du mir eine Magd abgeben möchtest!
Hast du aber Mittel und kannst sorgen mit mir für den Mund und für des Leibes
Haut, da kannst du mir ja folgen!“
Die Salome aber sprach: „Höre, du Sohn des großen Königs David! Nicht nur für
mich, sondern für deine ganze Familie solle mein Vermögen auf hundert Jahre
genügen!
Denn ich bin reicher an Weltgütern, als du dir es gedenken möchtest! Warte aber
nur noch eine Stunde, und ich werde mit Schätzen beladen reisefertig dastehen!“
Joseph aber sprach: „Salome, siehe, du bist eine junge Witwe und bist Mutter; du
mußt also auch deine zwei Söhne mitnehmen!
Siehe, das wird dir viel Arbeit machen, und ich habe keine Minute Zeit mehr zu
verlieren; denn in drei Stunden wird schon Herodes hier seinen Einzug halten,
und in einer Stunde werden schon seine Vorboten und Läufer eintreffen!
Daraus aber kannst du ersehen, daß es für mich unmöglich ist, auf deine
Zurechtrichtung zu warten!
Daher meine ich, so du bleibest, tust du besser, indem ich nicht durch dich
aufgehalten werde; komme ich aber einst nach dem Willen des Herrn wieder zurück,
so werde ich wieder Nazareth beziehen.
So du mir aber schon einen Dienst erweisen willst, so ziehe bei Gelegenheit nach
Nazareth und verpachte auf weitere drei bis sieben oder zehn Jahre meinen Grund,
auf daß er nicht in fremde Hände komme!“
Und die Salome stand von ihrer Forderung ab und begnügte sich mit diesem
Auftrage.
Nachdem umarmte Joseph den Hauptmann und segnete ihn – und berief dann die
Maria, auf daß sie sich setzete auf ihr Lasttier mit dem Kindlein.
Als sonach alles zur Abreise bereitet war, sprach der Hauptmann zum Joseph:
„Mann meiner höchsten Achtung! – werde ich dich je wieder zu sehen bekommen! –
und dieses Kind mit der Mutter?!“
Und der Joseph sprach: „Es werden kaum drei Jahre verfließen, werde ich dich
wieder begrüßen und das Kind und Seine Mutter! Des sei versichert; – nun aber
lasse uns aufbrechen, Amen.“ –
Hier bestieg Joseph sein Lasttier, und seine Söhne folgten seinem Beispiele; und
Joseph ergriff die Zügel des Lasttieres der Maria und führte es unter
Lobpreisung des Herrn aus der Höhle.
Als sich nun alles schon im Freien befand, da ersah Joseph, wie sich eine Menge
Volkes aus der Stadt zu drängen anfing, um den Abzug des Neugebornen zu sehen,
indem es durch die heimkehrende Wehmutter und durch den Wechsler erfuhr, daß
solches geschehen werde.
Dem Joseph aber kam die Gafflust sehr ungelegen; er bat daher den Herrn, Er
möchte ihn doch so bald als möglich dieser schnöden Gafflust müßiger Menschen
entziehen.
Und siehe, sobald fiel ein dichter Nebel über die ganze Stadt, und es war
niemandem möglich, auch nur fünf Schritte weit zu sehen.
Das Volk aber ward darob verdrießlich und zog sich wieder in die Stadt zurück,
und Joseph, geleitet vom Hauptmanne und der Salome, konnte ungesehen das nächste
Gebirge erreichen.
Als er so die Grenze zwischen Judäa und Syrien erreichte, da gab der Hauptmann
dem Joseph einen Schutzbrief an den Landpfleger Cyrenius, der über Syrien
gestellt war.
Und Joseph nahm ihn mit Dank an, und der Hauptmann sprach: „Cyrenius ist ein
Bruder zu mir; mehr brauche ich dir nicht zu sagen, und so denn reise glücklich
und komme wieder also!“ Hier kehrte der Hauptmann um mit der Salome, und Joseph
zog weiter im Namen des Herrn.
Um die Mittagsstunde hatte Joseph die Vollhöhe des Gebirges erreicht, in einer
Entfernung von zwölf Stunden von Bethlehem, welche schon ganz in Syrien lag,
auch zu der Zeit von den Römern Coelesyria genannt ward.
Denn Joseph mußte diesen etwas größeren Umweg nehmen, indem von Palästina kein
sicherer Weg nach Ägypten führte.
Seine Reiseroute aber war folgende: Am ersten Tage kam er in die Nähe der
kleinen Stadt Bostra. Allda übernachtete er, den Herrn preisend. Da geschah es
auch, daß Räuber zu ihm kamen, um ihn zu berauben.
Als sie aber das Kindlein ersahen, fielen sie auf ihr Angesicht, beteten
Dasselbe an, und flohen dann überaus erschreckt ins Gebirge.
Von da zog Joseph des andern Tages wieder über ein starkes Gebirge und kam am
Abende in die Gegend von Panea, einem Grenzstädtchen zwischen Palästina und
Syria nördlich.
Von Panea aus erreichte er am dritten Tage die Provinz Phoenicia und kam in die
Gegend von Tyrus, wo er am nächsten Tage sich mit seinem Schutzbriefe zum
Cyrenius begab, welcher in der Zeit sich Geschäfte halber in Tyrus aufhielt.
Cyrenius nahm den Joseph freundlichst auf und fragte ihn, was er ihm tun solle.
Joseph aber sprach: „Daß ich sicher nach Ägypten käme!“ – Und Cyrenius sagte:
„Guter Mann, du hast einen starken Umweg gemacht; denn Palästina liegt Ägypten
ja um vieles näher denn Phoenicia! Nun mußt du doch wieder Palästina
durchwandern – und mußt von hier nach Samaria, von dort nach Joppe, von dort
nach Askalon, von da nach Gaza, von da nach Geras und von da erst nach Elusa in
Arabien!“
Da ward Joseph traurig, darum er sich also verirrt hatte. Aber der Cyrenius
faßte Mitleid mit dem Joseph und sprach: „Guter Mann, es schmerzt mich deine
Not. Du bist zwar ein Jude und ein Feind der Römer; aber da mein Bruder, mein
Alles, dich so lieb hat, da will auch ich dir eine Freundschaft tun.
Siehe, morgen geht ein kleines, aber sicheres Schiff von hier nach Ostracine ab!
Mit diesem sollst du in drei Tagen dort anlangen; und bist du in Ostracine, so
bist du auch schon in Ägypten! – Ich werde dir aber auch einen Schutzbrief
mitgeben, demzufolge du in Ostracine wirst ungehindert verweilen und dir auch
etwas ankaufen können. Für heute aber bist du mein Gast; lasse daher dein Gepäck
hereinbringen!“
35. Kapitel – Die heilige Familie bei Cyrenius.
Josephs Unterredung mit Cyrenius. Cyrenius, der Kinderfreund, und das Jesuskind.
Inneres und äußeres Erfahrungszeugnis von der Göttlichkeit des Jesuskindes.
28. September 1843
Und der Joseph ging hinaus und führte seine Familie vor das Haus, da Cyrenius
wohnte, und dieser befahl sogleich seiner Dienerschaft, Josephs Lasttiere zu
versorgen,
und führte den Joseph mit Maria und den fünf Söhnen in sein vorzüglichstes
Gemach, in dem alles von Edelsteinen, Gold und Silber strotzte.
Es standen aber da auf einem weißen, feinst polierten marmornen Tische eine
Menge etwa einen Schuh hohe Statuen, aus korinthischem Erze gar wohl geformt.
Und Joseph fragte den Landpfleger, was diese Figuren wohl darstellten.
Der Landpfleger aber sagte gar freundlich: „Guter Mann, siehe, das sind unsere
Götter! Wir müssen sie halten und kaufen von Rom gesetzmäßig, wenn wir auch
keinen Glauben daran haben.
Ich betrachte sie bloß nur als Kunstwerke, und darin liegt auch einzig irgendein
kleiner Wert für mich in diesen Götterfiguren; sonst aber muß ich sie nur
allzeit mit der gegründetsten Verachtung ansehen!“
Und der Joseph fragte darauf den Cyrenius: „Höre, wenn du also denkest, so bist
du ja ein Mensch ohne Gott und ohne Religion! Beunruhigt dir denn das nicht dein
Gewissen?“
Und Cyrenius sprach: „Nicht im geringsten; denn wenn es keinen andern Gott gibt,
als diese erzenen es da sind, da ist ja ein jeder Mensch mehr Gott als dieses
dumme Erz, in dem kein Leben ist. Ich aber meine, es gibt irgend einen wahren
Gott, der ewig lebendig ist und allmächtig; darum verachte ich solchen alten
Unsinn!“
Es war aber Cyrenius auch ein großer Kinderfreund und näherte sich darum der
Maria, welche das Kind auf ihren Armen hielt, und fragte die Mutter, ob sie
nicht müde sei ob der beständigen Tragung des Kindes.
Und die Maria sprach: „O mächtiger Herr des Landes! Freilich wohl bin ich schon
gar sehr müde; aber meine große Liebe zu diesem meinem Kinde macht mich alle
Ermüdung vergessen!“
Und der Landpfleger erwiderte der Maria: „Siehe, auch ich bin ein großer
Kinderfreund, bin vermählet wohl, aber die Natur oder Gott haben mich noch mit
keiner Nachkommenschaft gesegnet; daher pflege ich fremde Kinder – sogar die der
Sklaven – nicht selten zu mir zu nehmen an Kindesstelle!
Ich will damit aber nicht sagen, als sollest du mir auch das deinige geben; denn
es ist ja dein Leben!
Aber bitten möchte ich dich, daß du es mir auf meine Arme legen möchtest, auf
daß ich es herzete und kosete ein wenig nur!“
Da Maria in dem Landpfleger solche Herzlichkeit fand, sprach sie: „Wer deines
Herzens ist, der mag wohl dies mein Kindlein auf seine Arme nehmen!“
Hier übergab Maria das Kindlein dem Landpfleger zur Kosung, – und als der
Landpfleger das Kindlein auf seine Arme nahm, da bemächtigte sich seiner ein so
wonnigstes Gefühl, das er noch nie empfunden hatte.
Und er trug das Kindlein im Saale hin und her – und kam mit Ihm auch dem
Göttertische nahe.
Diese Annäherung aber kostete sogleich allen den Götzenstatuen das Dasein, denn
sie zerrannen wie Wachs auf glühendem Eisen.
Darob entsetzte sich Cyrenius und sprach: „Was ist denn das? – Das harte Erz
zerfloß so ganz und gar, daß von ihm aber auch nicht eine Spur zurückgeblieben
ist! – Du weiser Mann aus Palästina, erkläre mir doch das! – Bist du ein Magier
denn?“
36. Kapitel – Joseph im scharfen Verhör und
sein Bericht über das Wesen und die Geburt des Jesuskindes. Des Cornelius Brief.
Josephs Rat zum Schweigen. Widersprüche und Zweifel. Josephs energische
Rechtfertigung vor dem ,Staatsanwalt‘.
29. September 1843
Joseph aber war selbst über die Maßen erstaunt und sprach darum zum Cyrenius:
„Höre mich an, mächtiger Pfleger des Landes! Es kann dir nicht unbekannt sein,
daß da nach dem Gesetze meines Volkes ein jeder Zauberer verbrannt werden muß.
Wäre ich sonach ein Zauberer, da wäre ich nicht so alt geworden, als ich bin;
denn schon lange wäre ich als solcher den Hohenpriestern in Jerusalem in die
Hände gefallen!
Daher kann ich dir hier nichts anderes sagen, als daß diese Erscheinung sicher
von der großen Heiligkeit dieses Kindes abhängt!
Denn schon bei der Geburt dieses Kindes geschahen Zeichen, darüber sich alles
entsetzt hatte: alle Himmel standen offen, die Winde schwiegen, die Bäche und
Flüsse standen stille, die Sonne blieb am Horizonte stehen;
der Mond ging nicht von der Stelle, bei drei Stunden nicht; also rückten auch
die Sterne nicht weiter; die Tiere fraßen und soffen nicht, und alles, was sich
sonst reget und beweget, versank in eine tote Ruhe; ich selbst war im Gehen und
mußte stehen!“
Als der Cyrenius solches von Joseph vernommen hatte, sprach er zu ihm: „Also ist
dies das merkwürdige Kind, von dem mir mein Bruder geschrieben hatte mit den
Worten:
,Bruder, eine Neuigkeit muß ich dir berichten: In der Nähe von Bethlehem ist ein
Kind von einem jungen Weibe jüdischer Nation geboren worden, von dem eine große
Wunderkraft ausgeht; ich möchte meinen, daß es ein Götterkind sei!
Aber dessen Vater ist ein so kreuzehrlicher Jude, daß ich es nicht über mich zu
bringen vermag, darüber nähere Untersuchungen anzustellen!
Wenn du etwa in der Kürze nach Jerusalem ziehen solltest, so dürfte es für dich
nicht ohne Interesse sein, in Bethlehem diesen Mann zu besuchen! – Ich meine
stets, daß das Kind so ein verkappter junger Jupiter oder wenigstens Apollo ist.
Komme aber, und urteile selbst!‘ –
Siehe, guter Mann, so viel ist mir von der Sache bekannt; aber was du mir nun
gesagt hast, ist mir rein unbekannt. Darum sage mir, ob du der nämliche Mann
bist, von dem mir mein Bruder aus Bethlehem gemeldet hatte?“
Und der Joseph sprach: „Ja, mächtiger Herr, ich bin derselbe! Wohl aber deinem
Bruder, daß er dir nicht mehr von dem Kinde kundgab!
Denn er hat vom Himmel ein Wort bekommen, zu schweigen von allem dem, was da
geschehen ist! – Wahrlich, hätte er dir mehr gesagt, so wäre mit Rom das
geschehen, was da jetzt vor deinen Augen geschehen ist mit Götterfiguren, die da
standen auf dem Tische!
Heil aber dir und deinem Bruder, so ihr schweigen möget; denn ihr sollet darum
Gesegnete des Herrn, des ewig lebendigen Gottes, des Schöpfers Himmels und der
Erde sein!“
Diese Worte flößten dem Cyrenius eine große Achtung vor dem Joseph und eine
Furcht vor dem Kinde ein, daß er darob sogleich wieder das Kind auf die Arme der
Maria legte.
30. September 1843
Nachdem aber wandte er sich wieder zum Joseph und sprach zu ihm: „Guter,
ehrlicher Mann, habe nun wohl acht auf das, was ich zu dir reden werde;
denn mir ist jetzt ein guter Gedanke durch den Kopf gefahren, und diesen sollst
du hören und mir darüber zur Rede stehen!
Siehe, wenn dieses Kind göttlicher Abkunft ist, so mußt ja auch du als dessen
Vater es sein; denn ex trunco non fit Mercurius, und auf den Dornen wachsen
keine Trauben! – Also kann wohl auch von einem gewöhnlichen Menschen kein
Götterkind entsprossen!
Du aber scheinst mir im übrigen denn doch ein ganz gewöhnlicher Mensch zu sein,
so wie deine fünf andern Söhne, die da hinter dir stehen; ja die junge Mutter
selbst, zwar eine artige Jüdin, scheint eben auch nichts Götterähnliches zu
besitzen!
Dazu gehört eine große, fast überirdische Schönheit und große Weisheit, wie wir
es aus den Traditionen wissen von den Weibern, mit denen sich einmal die Götter
sollen abgegeben haben, – wozu aber freilich wohl ein überaus starker Glaube
gehört, den ich durchaus nicht besitze!
Zudem aber muß ich dich noch auf etwas aufmerksam machen, und das ist, daß du
dich mit deinem Götterkinde als ein von Bethlehem aus nach Ägypten reisen
Wollender hierher hast verirren mögen, was daraus erhellt, da du traurig und
verlegen warst, als ich dir angezeigt habe, wie du dich gar so weit verirrt hast
auf dem Wege nach Ägypten!
Sollte dein Gott – oder die Götter Roms – denn unkundig des nächsten Weges von
Bethlehem aus nach Ägypten sein?
Siehe, das sind grobe Widersprüche, die sich häufen, je mehr man die Sache
verfolgt! Dazu ist aber doch sogar eine Drohung von dir beim Untergange Roms
gegeben, so ich oder mein Bruder das Kind verriete!
Warum aber sollen Götter dem schwachen Sterblichen drohen, als hätten sie eine
Furcht vor ihm? – Sie brauchen ja nur frei auf die Erde zu treten, und alles muß
blind gehorchen ihrem mächtigen Willen!
Siehe, die Sache deiner Kundgabe kommt mir daher als eine schwache Ausflucht zu
sein vor, um mich hinters Licht zu führen, auf daß ich dich nicht erkennen
solle, wer du so ganz eigentlich bist, ob ein jüdischer Magier, der sich nach
Ägypten begibt, um dort bei diesem Metier sein Brot zu finden, da er in seinem
Vaterlande des Lebens nicht sicher ist, –
oder ob etwa gar ein verschmitzter jüdischer Spion, vom herrschsüchtigen Herodes
bestochen, um zu erspähen, wie da die Uferfestungen Roms bestellt sind?!
Ich habe freilich wohl den Schutzbrief meines Bruders und den Brief, von dem ich
dir erwähnte, – aber ich habe darüber mit meinem Bruder noch nicht gesprochen,
und so können diese Dokumente auch falsch sein; denn auch meines Bruders Schrift
ist nachzumachen!
Ich halte dich aber nun für beides, also für einen Magier und für einen Spion!
Rechtfertige dich nun auf das gründlichste, sonst bist du mein Gefangener und
wirst der gerechten Strafe nicht entgehen!“
Bei dieser Rede sah der Joseph dem Cyrenius fest ins Angesicht und sagte: „Sende
einen Eilboten an deinen Bruder Cornelius, gebe die beiden Briefe mit, und dein
Bruder solle bezeugen, ob sich die Sache mit mir also schändlich verhalte, als
du der argen Meinung bist!
Und solches fordere ich nun von dir; denn meine Ehre ist vor Gott, dem Ewigen,
gerechtfertiget und solle nicht von einem Heiden zertreten werden! – Bist du
auch ein Patrizier Roms, so bin ich aber ein Nachsohn des großen Königs David,
vor dem der Erdkreis bebte, und als solcher lasse ich mich von keinem Heiden
entehren!
Ich aber werde dir nun nicht eher von der Seite gehen, als bis du mir meine Ehre
wieder wirst hergestellt haben; – denn die Ehre, die mir Gott gegeben hat, soll
mir kein Heide nehmen!“
Diese energischen Worte machten den Cyrenius stutzen; denn also hatte er als
Landpfleger, der da unumschränkt über Leben und Tod zu gebieten hat, noch nie
ihm gegenüber reden gehört! – Er dachte darum bei sich: Wenn dieser Mensch sich
nicht einer außerordentlichen Kraft mir gegenüber bewußt wäre, so könnte er
nicht also reden! – Ich muß daher nun ganz anders mit ihm zu reden anfangen. –
37. Kapitel – Des Cyrenius sanftmütigere
Erklärung und Josephs Erwiderung. Die Ehre, der Schatz des Armen. Das
Versöhnungsmahl. Guter Rat Josephs. Des Cyrenius bestrafte Neugier. Die
Empfängnisgeschichte des Kindleins. Die Anbetung des Kindleins durch Cyrenius
und die Bestätigung der Wahrheit.
2. Oktober 1843
Nach solcher Vornahme wandte sich Cyrenius wieder an den Joseph und sprach:
„Guter Mann, du brauchst mir darum nicht gram zu werden! – denn das wirst du mir
denn doch zugeben, daß ich als Landpfleger wohl das Recht haben werde, jemandem
auf den Zahn zu fühlen, um zu sehen, wes Geistes er ist?!
Daß ich aber dich davon nicht ausnehmen konnte – wie gerne ich es auch sonst
getan haben würde –, da brauchst du nur auf jenen verhängnisvollen Tisch
hinzublicken, der da seiner Zierde ledig geworden ist, und dir muß es ja doch
klar sein, daß man Menschen deiner Art etwas schärfer ansehen muß als nur
solche, die da bedeutungslos gleich Tagesfliegen umherstreichen.
Ich meine daher, dadurch dir keine Beleidigung zugefügt zu haben, im Gegenteile
nur eine Auszeichnung, indem ich dich also bedeutungsvoll ansah und redete zu
dir, wie es sich für mich als Landpfleger gebührt.
Denn siehe, mir ist einzig und allein nur um die volle Wahrheit über deine
Herkunft zu tun, weil ich dich für sehr bedeutungsvoll ansehe!
Und darum stellte ich auch geflissentlich Zweifel über dich auf, damit du ganz
vor mir auftreten sollest!
Deine Sprache aber hat mir gezeigt, daß du ein Mensch bist, an dem keine Täusche
haftet! Und so brauche ich weder eine zweite Nachricht von meinem Bruder, noch
eine höhere Beglaubigungsurkunde von irgend woandersher; denn ich sehe nun, daß
du ein vollkommen ehrlicher Jude bist! – Sage, braucht es da noch mehr?“
Und der Joseph sprach: „Freund, sieh, ich bin arm; du aber bist ein mächtiger
Herr! – Mein Reichtum ist meine Treue und Liebe zu meinem Gott und die vollste
Ehrlichkeit gegen jedermann!
Du aber bist neben deiner Kaisertreue auch noch überreich an Gütern der Welt,
die ich entbehre. Wenn dir jemand deiner Ehre zu nahe tritt, da bleiben dir aber
dennoch die Güter der Welt.
Was bleibt aber da mir, so ich die Ehre verliere? – Mit Schätzen der Welt kannst
du dir die Ehre erkaufen; womit aber werde ich sie erkaufen?
Darum wird der Arme ein Sklave, so er einmal seine Ehre und Freiheit vor dem
Reichen verloren hat; hat er aber darüber irgend heimliche Schätze, so kann er
sich Ehre und Freiheit wieder erkaufen.
Du aber hast mir gedroht, mich zu deinem Gefangenen zu machen; sage, hätte ich
da nicht alle meine Ehre und Freiheit verloren?
Und hatte ich da nicht recht, so ich mich davor verteidigte, indem ich doch von
dir, dem Landpfleger Syriens und Mitpfleger der Küste zu Tyrus und Sidon, bin
zur Rede gestellt worden?“
Der Cyrenius aber sprach: „Guter Mann! Nun bitte ich dich – lasse uns das
Vorgefallene gänzlich vergessen!
Siehe, die Sonne stehet dem Horizonte nahe! Meine Diener haben die Mahlzeit im
Speisesaale bereitet; gehet daher mit mir und stärket euch, – denn ich habe
keine römischen, sondern eures Volkes Speisen zurichten lassen, die ihr essen
dürfet! Daher folget mir ohne einen Gram auf mich, nun eurem Freunde!“ –
Und der Joseph folgte dem Cyrenius mit Maria und den fünf Söhnen in den
Speisesaal und erstaunte über die Maßen über die unbeschreibliche reiche Pracht
des Speisesaales selbst, wie über die Pracht der Tafelgeschirre, welche zumeist
aus Gold, Silber und kostbaren Edelsteinen angefertigt waren.
Da aber die reichen Gefäße mit lauter heidnischen Götterfiguren geziert waren,
da sprach Joseph zum Cyrenius:
„Freund, ich ersehe, daß da alle diese deine Tafelgefäße mit deinen Göttern
gezieret sind! – Du kennst da aber ja schon die ausgehende Kraft meines Kindes!
Siehe, so ich mich mit meinem Weibe zu Tische hinsetze und mein Weib mit ihrem
Kinde, so kommst du im Augenblick um alle deine reichen Geschirre und Gefäße!
Daher rate ich dir, lasse entweder ganz ungezierte Gefäße oder ganz gemeine
tönerne aufsetzen, sonst stehe ich dir nicht für dein Gold und Silber!“
Als der Cyrenius solches von Joseph vernommen hatte, da erschrak er und befolgte
sogleich den Rat Josephs. – Die Diener brachten sobald in ganz glatten tönernen
Gefäßen die Speisen und schafften die goldenen und silbernen sogleich beiseite.
Es verlockte aber die Neugier dennoch den Cyrenius, dem Kinde einen herrlichen
Goldpokal in die Nähe zu bringen, um sich zu überzeugen, ob des Kindes Nähe wohl
auch aufs Gold so zerstörend einwirken werde, wie ehedem auf die erzenen
Figuren.
Und der Cyrenius mußte diese Neugier im Ernste mit dem plötzlichen Verlust des
kostbaren Pokals auf eine Zeit bezahlen.
Nachdem er aber des Pokals ledig geworden war, erschrak er und stand da, als
wäre er von einem elektrischen Schlage berührt worden.
Nach einer Weile erst sprach er: „Joseph, du großer Mann, du hast mir wohl
geraten, darum danke ich dir!
Ich selbst aber will verflucht sein, so ich eher von dieser Stelle weiche, als
bis ich erfahre von dir, wer da dieses Kind ist, da ihm eine solche Kraft
innewohnt!“
Hier wandte sich Joseph zum Cyrenius und erzählte ihm in aller Kürze die
Empfangs- und Geburtsgeschichte des Kindes.
Und der Cyrenius aber, als er solches von Joseph in festem Tone vernommen hatte,
fiel sobald vor dem Kinde nieder und betete Es an.
Und siehe, im Augenblick stand der zerstörte Pokal, aber ganz glatt, auf dem
Boden vor Cyrenius, von gleichem Gewichte; der Cyrenius erhob sich und wußte
sich nun vor Freude und Seligkeit nicht zu helfen.
38. Kapitel – Des Cyrenius heidnischer
Vorschlag, das Wunderkind an den Kaiserhof nach Rom zu bringen. Josephs gute
Entgegnung mit Hinweis auf die Niedrigkeit des Herrn. Prophetische Worte von der
geistigen Lebenssonne.
4. Oktober 1843
In dieser seligen Gemütsstimmung sprach der Cyrenius zum Joseph: „Höre mich
weiter an, du großer Mann! – Wäre ich nun Kaiser zu Rom, ich würde dir den Thron
und die Kaiserkrone abtreten!
Und wüßte es der Kaiser Augustus also, wie ich nun, – für dieses Kind, da würde
er dasselbe tun! Hält er auch große Stücke darauf, daß er der mächtigste Kaiser
der Erde ist, so aber weiß ich doch auch, wie sehr er alles Göttliche weit über
sich setzt.
Willst du, so schreibe ich an den Kaiser und versichere dir im voraus, daß er
dich nach Rom mit der größten Ehre ziehen wird und wird dem Kinde, als einem
unzweideutigen Sohne des höchsten Gottes, den größten und herrlichsten Tempel
erbauen!
Und wird Ihn erhöhen im selben bis ins Infinitum und wird selbst sich in den
Staub legen vor dem Herrn, dem die Elemente und alle Götter gehorchen müssen!
Daß solches aber bei dem Kinde der Fall ist, habe ich mich nun zum zweiten Male
überzeugt, indem vor Ihm sich nicht einmal der Jupiter zu schützen vermag und
kein Erz vor Seiner Macht besteht!
Wie gesagt, so du willst, will ich heute noch Boten nach Rom senden! – Fürwahr,
das würde in der großen Kaiserstadt eine unendliche Sensation erregen und würde
das stolze Priestertum sicher etwas herabsetzen, das da ohnehin nicht mehr weiß,
auf welche Art es die Menschheit am zweckdienlichsten betrügen und belügen
solle!“
Joseph aber entgegnete dem Cyrenius: „Lieber, guter Freund! – Meinst du denn,
daß Dem an der Ehrung Roms etwas gelegen ist, dem da Sonne, Mond, Sterne und
alle Elemente der Erde allzeit gehorchen müssen!
Hätte Er gewollt, daß Ihn alle Welt ehrete wie einen Götzen, da wäre Er vor
aller Welt Augen in aller Seiner ewig unendlichen göttlichen Majestät zur Erde
herabgekommen! – Dadurch aber wäre auch alle Welt zum Untergange gerichtet
worden!
Er aber hat die Niedrigkeit der Welt erwählt, um die Welt zu beseligen, wie es
geschrieben steht im Buche der Propheten; und so lasse du es mit der Botschaft
nach Rom gut sein!
Willst du aber Rom vernichtet sehen, da tue, wie es dir gut dünket! – Denn
siehe, Dieser ist gekommen zum Falle der Welt der Großen und Mächtigen, und zur
Erlösung der Armseligen, ein Trost den Betrübten, und zur Auferstehung derer,
die im Tode sind!
Ich glaube also fest in meinem Herzen, – aber nur dir habe ich nun diesen meinen
Glauben kundgetan; sonst aber solle ihn niemand von mir ausgesprochen vernehmen!
Behalte aber auch du diese Worte als ein Heiligtum der Heiligtümer in deinem
Herzen bis zur Zeit, da dir eine neue Lebenssonne aufgehen wird, so wirst du gut
fahren!“
Diese Worte Josephs gingen wie Pfeile ins Herz des Cyrenius und stimmten ihn
ganz um, so zwar, daß er sogleich bereit gewesen wäre, all sein Ansehen
niederzulegen und die Niedrigkeit zu ergreifen.
Aber Joseph sagte zu ihm: „Freund! Freund! – bleibe, was du bist; denn die Macht
in der Hand von Menschen deiner Art ist ein Segen Gottes dem Volke! – Denn
siehe, was du bist, das bist du weder aus dir, noch aus Rom, sondern allein aus
Gott! Daher bleibe, was du bist!“ – Und der Cyrenius lobte den unbekannten Gott
und setzte sich dann zum Tische und aß und trank heiteren Mutes mit Joseph und
Maria.
39. Kapitel – Des Cyrenius Mäßigkeit im Essen
und Trinken. Josephs Dankgebet und seine gute Wirkung auf Cyrenius. Josephs
Worte vom Tode und ewigen Leben. Wesen und Wert der Gnade.
5. Oktober 1843
Obschon aber sonst die Römer an lange dauernde Freßgelage gewöhnt waren, so war
aber doch davon der Cyrenius eine Ausnahme.
Wenn er dergleichen Freßgelage nicht dann und wann zur Ehrung des römischen
Kaisers halten mußte, so war bei ihm die Mahlzeit nur kurz; denn er war einer
derjenigen Philosophen, die da sagen: „Der Mensch lebt nicht, um zu essen,
sondern er ißt nur, um zu leben, – und dazu braucht es nicht tagelang dauernder
Freßgelage.“
Und so war denn auch die geheiligte Mahlzeit nur kurz und war bloß auf die
nötige Stärkung des Leibes berechnet.
Nach der also kurzen Mahlzeit dankte der Joseph dem Herrn für Speise und Trank
und segnete dafür den Gastgeber.
Dieser aber ward darob sehr gerührt und sagte zu Joseph: „O wie hoch doch stehet
deine Religion über der meinigen! – Um wie vieles stehest du der allmächtigen
Gottheit näher denn ich!
Und um wie vieles bist du daher auch mehr Mensch, als ich es je werde werden
können!“
Joseph aber erwiderte dem Cyrenius: „Edler Freund, du kümmerst dich um etwas,
was dir der Herr soeben jetzt gegeben hat!
Ich aber sage dir: Bleibe du, was du bist; in deinem Herzen aber allein nur vor
Gott, dem ewigen Herrn, demütige dich und suche allen Menschen im geheimen Gutes
zu tun, und du bist Gott so nahe als meine Väter Abraham, Isaak und Jakob!
Siehe, in diesem Kinde hat dich ja der allmächtige Gott heimgesucht; du hast Ihn
auf deinen Armen getragen! – Was willst du noch mehr? Ich sage dir, du bist
gerettet vom ewigen Tode und wirst hinfort keinen Tod an dir mehr sehen, noch
fühlen, noch schmecken!“ –
Hier sprang der Cyrenius vor Freude auf und sprach: „O Mann! – was sprichst du?!
– ich werde nicht sterben?!
O sage mir, wie ist solches möglich?! – Denn siehe, bis jetzt ist noch kein
Mensch vom Tode verschont geblieben! – Sollte ich also wirklich in die Zahl der
ewig lebendigen Götter aufgenommen werden also, wie ich jetzt lebe?!“
Joseph aber sprach: „Edler Freund, du hast mich nicht verstanden; ich aber will
dir sagen, wie es an deinem irdischen Ende zugehen wird. Und so wolle mich in
aller Kürze anhören!
So du ohne diese Gnade gestorben wärest, da hätten schwere Krankheit, Schmerzen,
Kummer und Verzweiflung deinen Geist und deine Seele samt dem Leibe getötet, und
dir wäre nach diesem Tode nichts geblieben als ein quälendes, dumpfes Bewußtsein
deiner selbst.
In dem Falle glichest du jemandem, der da im eigenen Hause, welches über ihm
zusammengestürzt ist, halb zu Tode verschüttet wurde und ward also beim
lebendigen Leibe begraben und muß nun also den Tod fühlen und gar verzweifelt
bitter schmecken, indem er sich nimmer zu helfen vermag.
Stirbst du aber nun in dieser Gnade Gottes, da wird nur dieser schwere Leib dir
schmerzlos abgenommen werden, und du wirst erwachen zu einem ewigen
vollkommensten Leben, in dem du nicht mehr fragen wirst: Wo ist mein irdischer
Leib?!
Und du wirst, so dich der Herr des Lebens rufen wird, nach deiner geistigen
Freiheit selbst deinen Leib ausziehen können wie ein altes lästiges Gewand!“
Diese Worte machten auf den Cyrenius einen allermächtigsten Eindruck. Er fiel
darob vor dem Kinde nieder und sprach: „O Herr der Himmel! So belasse mich denn
in solcher Gnade!“ Das Kind aber lächelte ihn an und hob ein Händchen über ihn.
–
40. Kapitel – Des Cyrenius Hochachtung vor der
Maria. Die trostreiche Antwort der Maria. Der Glückwunsch des Cyrenius an
Joseph. Josephs Worte über die wahre Weisheit.
6. Oktober 1843
Nachdem stand der Cyrenius auf und sprach zur Maria: „O du glücklichste aller
Weiber und aller Mütter der Erde! – Sage mir doch, wie es dir ums Herz ist, so
du doch sicher in dir die vollste Überzeugung hast, daß da der Herr Himmels und
der Erde auf deinen Armen ruht!“
Maria aber sprach: „Freund, wie fragst du mich darum, was dir dein eigenes Herz
sagt?
Siehe, wir gehen auf derselben Erde, die Gott aus Sich erschaffen hat, Seine
Wunder treten wir fort und fort mit unseren Füßen, – und doch gibt es Millionen
und Millionen Menschen, die ihre Knie lieber vor den Werken ihrer Hände beugen
als vor dem ewig wahren lebendigen Gott!
Wenn aber Gottes große Werke die Menschen nicht zu wecken vermögen, wie solle
das nun ein Kind in den Windeln bewirken?
Darum wird es nur wenigen gegeben sein, in dem Kinde den Herrn zu erkennen! –
Jenen nur, die dir gleich eines guten Willens sind.
Die aber eines guten Willens sind, die werden nicht Not haben, zu mir zu kommen,
auf daß ich ihnen kund täte, wie es mir ums Herz ist.
Das Kind wird Sich Selbst offenbaren in ihren Herzen und wird sie segnen und
wird es sie fühlen lassen, was da fühlt die Mutter, die das Kind auf ihren Armen
trägt! –
Glücklich, ja überglücklich bin ich, da ich dies Kind auf meinen Armen trage!
Aber größer und glücklicher noch werden in der Zukunft diejenigen sein, die Es
allein in ihren Herzen tragen werden!
Trage Es auch du unvertilgbar in deinem Herzen, und es wird dir werden, dessen
dich mein Gemahl Joseph versichert hat!“
Als Cyrenius diese Worte von der holden Maria vernommen hatte, konnte er sich
nicht genug verwundern über ihre Weisheit.
Er sagte darob zum Joseph: „Höre, du glücklichster aller Männer der Erde! Wer
hätte je solch eine allertiefste Weisheit in deinem jungen Weibe gesucht!?
Fürwahr, so es irgend eine Minerva gäbe, da müßte sie sich ja endlos tiefst
verkriechen vor ihr, dieser allerholdesten Mutter!“
Der Joseph aber sprach: „Siehe, ein jeder Mensch kann weise sein in seiner Art
aus Gott; ohne Den aber gibt es keine Weisheit auf der Erde!
Daraus aber ist ja auch die Weisheit meines Weibes erklärlich.
Da aber der Herr aus dem Maule der Tiere schon zu den Menschen geredet hat, wie
sollte Er das nicht können durch den Mund der Menschen?!
Doch lassen wir nun das; denn ich meine, es wird Zeit sein, für die morgige
Abreise zu sorgen!“
Der Cyrenius aber sagte: „Joseph, sei des unbekümmert; denn dafür ist schon
lange gesorgt; ich selbst werde dich morgen bis Ostracine begleiten.“ –
41. Kapitel – Josephs Voraussage vom
Kindermord. Des Cyrenius Grimm über Herodes. Die glückliche Seereise nach
Ägypten. Josephs Segen als Fährlohn an die Schiffer und an Cyrenius.
9. Oktober 1843
Darauf sprach Joseph zum Cyrenius: „Edler Freund, gut und edel ist dein Vorsatz;
aber du wirst ihn kaum auszuführen imstande sein!
Denn siehe, noch in dieser Nacht werden Briefe zu dir gelangen vom Herodes aus,
in denen du aufgefordert wirst, alle Kindlein männlichen Geschlechtes von ein
bis zwei Jahren längs dem Meeresufer aufzufangen und nach Bethlehem zu schicken,
damit sie Herodes dort töten wird!
Du kannst dich aber dem Herodes wohl widersetzen; aber dein armer Bruder muß
leider zu diesem bösen Spiele eine politisch gute Miene machen, um sich nicht
dem Bisse dieser giftigsten aller Schlangen auszusetzen.
Glaube mir, während ich nun bei dir bin, wird in Bethlehem gemordet, und hundert
Mütter zerreißen in Verzweiflung ihre Kleider ob dem grausamsten Verluste ihrer
Kinder!
Und das geschieht alles dieses einen Kindes wegen, von dem die drei Weisen
Persiens geistig aussagten, daß Es ein König der Juden sein wird!
Herodes aber verstand darunter einen Weltkönig, darum will er ihn töten, indem
er selbst die Herrschaft Judäas erblich auf sich bringen will und fürchtet,
dieser möchte sie ihm einst entreißen, – während dies Kind doch nur in die Welt
kam, das Menschengeschlecht zu erlösen vom ewigen Tode!“ –
Als der Cyrenius solches vernommen hatte, da sprang er auf vor Grimm gegen den
Herodes und sprach zu Joseph:
„Höre mich an, du Mann Gottes! Dieses Scheusal solle mich nicht zu seinem
Werkzeuge dingen! – Heute noch werde ich mit dir abreisen, und in meinem eigenen
dreißigruderigen Schiffe wirst du ein gutes Nachtlager finden!
Meinen vertrautesten und bei allen Göttern geschwornen Amtsgehilfen aber werde
ich schon die Weisung geben, was sie mit allen Boten zu tun haben, die da mit an
mich gerichteten Depeschen hier anlangen.
Siehe, nach unseren geheimen Gesetzen müssen sie so lange in Gewahrsam gehalten
werden, bis ich wieder hierher komme!
Die Briefe aber werden ihnen abgenommen und müssen mir ohne Wissen der
Herodesboten nachgesandt werden, auf daß ich daraus ersehe, wessen Inhaltes sie
sind.
Ich aber weiß nun schon, wes Inhaltes die Briefe sicher sein werden, und weiß
auch, wie lange ich ausbleiben werde; sollten Nachboten kommen, so wird auch sie
der Wartturm aufnehmen auf so lange, bis ich wiederkomme!
Und so lasse du nun deine Familie reisefertig machen, und wir wollen sogleich
mein sicheres Schiff besteigen!“
Der Joseph aber ward nun damit zufrieden, und in einer Stunde befanden sich alle
ganz wohl untergebracht im Schiffe; selbst die Lasttiere Josephs wurden wohl
untergebracht. Ein Nordwind blies, und die Fahrt ging wohl vonstatten.
10. Oktober 1843
Sieben Tage dauerte die Fahrt, und alle Matrosen und Schiffsleute beteuerten,
daß sie so ganz ohne den allergeringsten Anstand noch nie dieses Gewässer
durchrudert hätten, als diesmal, –
was sie aber für diese Zeit um so mehr für wunderbar hielten, indem – wie sie
ihres Glaubens sagten – der Neptun in dieser Zeit gar heikel sei mit seinem
Elemente, da er seine Schöpfungen im Grunde des Meeres ordne und mit seiner
Dienerschaft Rat halte!
Der Cyrenius aber sagte zu den sich wundernden Schiffsleuten: „Höret, es gibt
eine zweifache Dummheit: die eine ist frei, die andere geboten!
Wäret ihr in der freien, da wäre euch zu helfen; aber ihr seid in der gebotenen,
welche sanktioniert ist, und da ist euch nicht zu helfen, –
und so möget ihr ja dabei bleiben, als habe Neptunus seinen Dreizack verloren
und habe sich nun nicht getraut, mit seiner schuppigen Hand uns zu züchtigen für
unsern Frevel, den wir an ihm begangen haben!“
Der Joseph aber sprach zum Cyrenius, fragend: „Ist es nicht üblich, daß man den
Schiffsleuten einen Lohn verabreicht? Sage es mir, und ich will es tun, wie
sich's gebührt, damit sie uns nichts Übles nachreden sollen!“
Cyrenius aber sagte: „Lasse das gut sein; denn siehe, diese sind unter meinem
Gebote und haben ihren Dienstsold, – daher hast du dich um Weiteres nicht zu
kümmern!“
Joseph aber erwiderte: „Das ist sicher und wahr, – aber sie sind doch auch
Menschen wie wir; daher sollen wir ihnen auch als Menschen entgegenkommen!
Ist ihre Dummheit eine gebotene, so sollen sie ihre Haut dem Gebote weihen, aber
ihren Geist solle meine Gabe ihnen frei machen!
Lasse sie daher hierher kommen, auf daß ich sie segne und sie in ihren Herzen
möchten zu gewahren anfangen, daß auch für sie die Sonne der Gnade und Erlösung
aufgegangen ist!“
Hier berief der Cyrenius die Schiffsleute zusammen, und Joseph sprach über sie
folgende Worte:
„Höret mich an, ihr getreuen Diener Roms und dieses eures Herrn! – Treu und
fleißig habt ihr das Schiff geleitet; ein guter Lohn solle von mir, dem diese
Fahrt galt, euch dargereichet werden!
Aber ich bin arm und habe weder Gold noch Silber; aber ich habe die Gnade Gottes
im reichen Maße, und das ist die Gnade jenes Gottes, den ihr den ,Unbekannten‘
nennet!
Diese Gnade möge euch der große Gott in eure Brust gießen, auf daß ihr
lebendigen Geistes werdet!“
Auf diese Worte kam über alle ein endloses Wonnegefühl, und alle fingen an, den
unbekannten Gott zu loben und zu preisen.
Und der Cyrenius erstaunte über diese Wirkung des Segens von Joseph und ließ
sich dann selbst segnen von Joseph.
42. Kapitel – Die Wirkung des Gnadensegens an
Cyrenius. Josephs demütiges Selbstbekenntnis und Rat an Cyrenius. Die Ankunft in
Ostracine (Ägypten).
11. Oktober 1843
Auch der Cyrenius ward von einem großen Wonnegefühl befallen, daß er darob
sprach: „Höre du, mein achtbarster Mann! – Ich empfinde nun also, wie ich's
empfunden habe, als ich das Kindlein auf meinen Armen hielt.
Bist du denn mit demselben einer Natur? – Oder wie ist das, daß ich nun den
gleichen Segen empfinde?“
Der Joseph aber sprach: „Edler Freund! – nicht von mir, sondern allein vom Herrn
Himmels und der Erde geht eine solche Kraft aus!
Mich durchströmt sie nur bei solcher Gelegenheit, um dann segnend in dich
überzufließen; aber ich selbst habe solche Kraft ewig nicht, denn Gott allein
ist Alles in Allem!
Ehre aber in deinem Herzen stets diesen einen, allein wahren Gott, so wird die
Fülle dieses Seines Segens nie von dir entweichen!“
Und weiter sprach Joseph: „Und nun Freund, siehe, wir haben mit der allmächtigen
Hilfe des Herrn dieses Ufer erreicht, sind aber, wie es mir vorkommt, noch lange
nicht in Ostracine!
Wo zu liegt es denn, auf daß wir dahin zögen? – Denn siehe, der Tag neiget sich!
Was werden wir tun? Werden wir weiterziehen oder hier verbleiben bis morgen?“
Und der Cyrenius sprach: „Siehe, wir sind am Eingange der großen Bucht, in deren
innerstem Winkel zu unserer Rechten Ostracine liegt als eine reiche
Handelsstadt!
In mäßigen drei Stunden mögen wir sie erreichen; aber so wir in der Nacht dort
anlangen, so werden wir schwer eine Unterkunft finden! Daher wäre ich der
Meinung, für heute hier im Schiffe zu übernachten und uns morgen dahin zu
begeben.“
Joseph aber sprach: „O Freund, wenn es nur drei Stunden sind, da sollten wir
nicht hier übernachten! Dein Schiff mag wohl hier verbleiben, auf daß du kein
Aufsehen erregest in dieser Stadt – und ich im geheimen komme an den Ort meiner
Bestimmung!
Denn würde die römische Besatzung alldort das Schiff eines Landpflegers Roms
entdecken, so müßte sie dich mit großen Ehren empfangen,
und ich müßte dann nolens volens mit dir als Freund deine Beehrungen teilen, was
mir wirklich im höchsten Grade unangenehm wäre.
Daher wäre es mir wohl sehr erwünscht, daß wir uns sogleich weiter auf die Reise
macheten! – Denn siehe, meine Lasttiere sind nun hinreichend ausgerastet und
können uns gar leicht in kurzer Zeit nach Ostracine bringen!
Meine Söhne sind stark und gut bei Füßen; diese können zu Fuß gehen, und du
bedienest dich mit einer nötigen Dienerschaft ihrer fünf Lasttiere, und so
ziehen wir leicht den Weg nach der nimmer fernen Stadt!“
Cyrenius willigte in den Rat Josephs, übergab das Schiff den Schiffsleuten zur
treuen Obhut, nahm dann vier Diener mit sich, bestieg die Lasttiere Josephs und
zog dann sogleich mit Joseph in die Stadt.
In zwei Stunden war diese erreicht. Als sie aber in die Stadt einzogen, wurden
sie um Schutzbriefe von der Torwache belangt.
Cyrenius aber gab sich dem Wachkommandanten zu erkennen; dieser ließ sogleich
ihn begrüßen von den Soldaten und machte dann sogleich Anstalten für die
Unterkunft.
Und so ward unsere Reisegesellschaft ohne den geringsten Anstand alsogleich in
dieser Stadt recht wohl aufgenommen und auf das vorteilhafteste untergebracht.
43. Kapitel – Der Ankauf eines Landhauses für
die heilige Familie durch Cyrenius.
12. Oktober 1843
Des andern Tages am Morgen aber sandte Cyrenius sogleich einen Boten zum
Obersten der Militärbesatzung und ließ ihm sagen, daß er sobald als tunlich,
aber ohne alles Gepränge zu ihm kommen solle.
Und der Oberste kam zum Cyrenius und sprach: „Hoher Stellvertreter des großen
Kaisers in Coelesyrien und oberster Kommandant von Tyrus und Sidon, lasse mich
vernehmen deinen Willen!“
Und der Cyrenius sprach: „Mein geachtetster Oberster! Fürs erste wünsche ich,
daß mir diesmal keine Ehrenbezeigungen erwiesen werden; denn ich bin inkognito
hier.
Fürs zweite aber möchte ich von dir erfahren, ob hier entweder in der Stadt
selbst ein kleines Wohnhaus oder wenigstens nicht ferne von der Stadt irgend
eine Villa käuflich oder wenigstens mietlich zu haben ist.
Denn ich möchte für eine überaus hochschätzbarste, allerehrenwerteste jüdische
Familie so etwas kaufen.
Denn diese Familie hat sich aus uns wohlbekannten Gründen aus Palästina, von dem
saubern Herodes verfolgt, flüchten müssen und sucht nun Schutz in unserer
römischen Biederkeit und allzeitigen strengen Gerechtigkeit.
Ich habe alle Umstände dieser Familie genau untersucht und habe sie als höchst
rein und gerecht befunden! – Daß sie aber unter solchen Umständen unter Herodes
freilich wohl nicht bestehen kann, das ist ebenso gut begreiflich, als es
begreiflich ist, daß dieses Scheusal von einem Vierfürsten Palästinas und einem
Teile Judäas Roms größter Feind ist!
Ich meine, du verstehst mich, was ich dir damit sagen will? – Daher also möchte
ich für diese benannte Familie allhier so etwas Kleines und Nutzbares ankaufen.
Wenn dir so etwas bekannt ist, so tue mir den Gefallen und zeige es mir an! Denn
siehe, ich kann mich für diesmal nicht lange aufhalten, da wichtige Geschäfte
meiner harren in Tyrus; daher muß alles noch heute in die Ordnung gebracht
werden!“
Und der Oberste sprach zum Cyrenius: „Durchlauchtigster Herr! Da ist der Sache
bald abgeholfen; ich selbst habe mir etwa eine halbe Milie außer der Stadt eine
recht nette Villa erbaut und habe da Obstgärten und drei schöne Kornäcker
angelegt.
Mir aber bleibt zu wenig Zeit übrig, mich damit gehörig abgeben zu können. Sie
ist mein vollkommenes Eigentum; wenn du sie haben willst, so ist sie mir um
hundert Pfund samt Schutz und Schirm verkäuflich und kann als ein unbesteuertes
Gut besessen werden.“
Als der Cyrenius solches vernommen hatte, reichte er dem Obersten die Hand, ließ
sich von seinen Dienern die Säckel bringen und zahlte dem Obersten die Villa
sogleich noch ungesehen bar aus und ließ sich dann, ungesehen von Joseph, vom
Obersten dahin geleiten, um da seinen Kauf zu besichtigen.
Als er die ihm überaus gut gefallende Villa besehen hatte, da befahl er sogleich
seinen Dienern, in der Villa so lange zu verweilen, bis er mit der Familie
zurückkommen werde.
Sodann begab er sich mit dem Obersten in die Stadt, ließ sich von ihm auf
Pergament den Schutz- und Schirmbrief ausfolgen, empfahl sich dann beim Obersten
und begab sich damit voll heimlicher Freude hin zum Joseph.
Dieser fragte ihn sogleich, sagend: „Guter lieber Freund, ich muß meinem Gotte
danken, daß Er dich also gesegnet hat, daß du mir bisher so viel Freundschaft
hast erweisen mögen!
Ich bin nun gerettet und habe hier für diese Nacht eine herrliche Unterkunft
gehabt! – Aber ich muß hier verbleiben; wie wird es in der Zukunft aussehen – wo
werde ich wohnen, wie mich fortbringen? – Siehe, dafür muß ich mich sogleich
umsehen.“
Und der Cyrenius sagte: „Ganz wohl, mein allerachtbarster Mann und Freund, lasse
daher deine Familie aufpacken deine Sachen, und ziehe dann sogleich mit Sack und
Pack mit mir, und wir wollen einige hundert Schritte außer der Stadt etwas
aufsuchen, weil in der Stadt meiner Erkundigung nach nichts zu haben ist!“ – Das
gefiel dem Joseph wohl, und er tat, was der Cyrenius verlangte.
44. Kapitel – Joseph mit der heiligen Familie
im neuen Heim. Cyrenius als Gast. Der Dank Josephs und Marias.
13. Oktober 1843
Als der Cyrenius bei der gekauften Villa mit dem Joseph und dessen Familie
anlangte, da sagte der Joseph zum Cyrenius:
„Edler Freund, da gefiele es mir; eine prunklose Villa, ein artiger Obstgarten
voll Datteln, Feigen, Granatäpfeln, Orangen, Äpfeln und Birnen, Kirschen,
Trauben, Mandeln, Melonen und einer Menge Grünzeug! Und daneben ist noch
Wiesengrund und drei Kornäcker, das alles sicher hierzu gehört!
Fürwahr, nicht Glänzendes und Prunkendes möchte ich haben; aber diese
nutzbringend angelegte Villa, die da eine große Ähnlichkeit hat mit meinem
Mietgrunde zu Nazareth in Judäa, möchte ich entweder mieten oder gar kaufen!“
Hier zog der Cyrenius den Kauf- Schutz-und-Schirmbrief hervor und übergab ihn
dem Joseph mit den Worten:
„Der Herr, dein und nun auch mein Gott, segne es dir! Hiermit übergebe ich dir
den steuerfreien Vollbesitz dieser Villa!
Alles, was du mit einem Gebüsch dicht umwachsen und mit einem Palisadenzaune
umfangen erschaust, gehört zu dieser Villa! Hinter dem Wohngebäude ist noch eine
geräumige Stallung für Esel und Kühe! Zwei Kühe wirst du finden; Lasttiere aber
hast du ohnehin genug für deinen Bedarf.
Solltest du aber etwa mit der Zeit wieder in dein Vaterland zurückkehren wollen,
so kannst du diese Besitzung verkaufen und mit dem Gelde dir irgend woanders
etwas anschaffen!
Mit einem Worte – du, mein großer Freund, bist von nun an im Vollbesitze dieser
Villa und kannst damit tun, was du willst.
Ich aber werde heute, morgen und übermorgen noch hier verbleiben, damit des
Herodes arge Boten desto länger auf mich harren sollen!
Und nur diese kurze Zeit will ich einen Mitgebrauch, aus großer Liebe zu dir,
von dieser Villa machen!
Ich dürfte es zwar nur gebieten, und es müßte mir im Augenblicke der kaiserliche
Palast eingeräumt werden, – fürs erste, weil ich mit der kaiserlichen Vollmacht
ausgerüstet bin,
und fürs zweite, weil ich ein naher Anverwandter des Kaisers bin!
Aber dieses alles vermeide ich aus großer Achtung und Liebe zu dir, ganz
besonders aber zu dem Kinde, das ich wenigstens unwiderruflich für den Sohn des
allerhöchsten Gottes halte!“
Der Joseph aber war über diese edle Überraschung so sehr gerührt, daß er aus
dankbarster Freude nur weinen, aber nicht reden konnte.
Auch der Maria ging's nicht besser; aber sie faßte sich eher und ging zum
Cyrenius und drückte ihre Dankbarkeit dadurch aus, daß sie das Kindlein dem
Cyrenius auf die Arme legte. Und der Cyrenius sprach ganz gerührt: „O Du mein
großer Gott und Herr, ist denn auch ein Sünder wert, Dich auf seinen Händen zu
tragen? – O sei mir denn gnädig und barmherzig!“
45. Kapitel – Die Besichtigung des neuen
Heimwesens. Marias und Josephs Dankesworte. Des Cyrenius Interesse an der
Geschichte Israels.
14. Oktober 1843
Joseph nahm, nachdem er sich aus seiner großen Überraschung erholt hatte, mit
dem Cyrenius alles in Augenschein.
Und Maria, die das Kindlein von den Armen des Cyrenius wieder nahm, besah auch
alles mit und hatte eine rechte Freude über die große Güte des Herrn, darum Er
auch irdisch für sie so wohl gesorgt hatte.
Und als sie alles besehen hatten und ins reine Wohnhaus eingekehrt waren, da
sprach die Maria ganz selig zum Joseph:
„O mein teurer, geliebter Joseph! Siehe, ich bin über die Maßen fröhlich, daß
der Herr so gut für uns gesorgt hat!
Ja, es kommt mir überhaupt vor, als hätte der Herr die ganze alte Ordnung
umgekehrt!
Denn siehe, einst führte Er die Kinder Israels aus Ägypten ins gelobte Land
Palästina, damals Kanaan genannt.
Nun aber hat Er Ägypten wieder zum gelobten Lande gemacht und floh mit uns oder
führte uns vielmehr Selbst hierher, von wo Er einst unsere Väter erlösend führte
durch die Wüste ins gelobte Land, das da überfloß von Milch und Honig.“
Und der Joseph sprach: „Maria, du hast eben nicht ganz unrecht in deiner
heiteren Bemerkung;
aber nur bin ich der Meinung, daß deine Aussage nur für diese unsere
gegenwärtige Stellung taugt.
Im allgemeinen aber kommt es mir also vor, als hätte der Herr nun mit uns das
getan, was Er einst mit den Söhnen Jakobs getan hat, als eben im Lande Kanaan
die große Hungersnot ausgebrochen war!
Das israelitische Volk blieb dann bis Moses in Ägypten; aber Moses führte es
wieder heim durch die Wüste.
Und ich glaube, also wird es uns auch ergehen; auch wir werden nicht hier
begraben werden und werden sicher müssen zur rechten Zeit wieder nach Kanaan
zurückkehren!
Zu unserer Väter Heimführungszeit mußte zwar erst ein Moses erweckt werden; wir
aber haben den Moses des Moses schon in unserer Mitte!
Und so meine ich, es wird also geschehen, wie ich es ausgesprochen habe.“
Und die Maria behielt alle diese Worte in ihrem Herzen und gab dem Joseph das
Recht.
Auch der Cyrenius hatte diesem Gespräch aufmerksamst zugehört und gab dann dem
Joseph zu verstehen, daß er mit der Urgeschichte der Juden näher bekannt werden
möchte. –
46. Kapitel – Die gemeinsame Mahlzeit und
Josephs Erzählung über die Geschichte der Schöpfung, der Menschheit und des
jüdischen Volkes. Des Cyrenius vorsichtiger Bericht an den Kaiser und seine gute
Wirkung.
16. Oktober 1843
Joseph befahl dann seinen Söhnen, die Tiere zu versorgen und dann nachzusehen,
wie es mit den Eßwaren aussehe.
Und diese gingen und taten alles nach dem Willen Josephs, versorgten die Tiere,
melkten die Kühe,
gingen dann in die Speisekammer und fanden dort einen großen Vorrat von Mehl,
Brot, Früchten und auch mehrere Töpfe voll Honig.
Denn der Wachkommandant war ein großer Bienenzüchter nach der Schule, wie sie in
Rom gang und gäbe war, daß sie darum sogar ein damaliger Dichter Roms besang.
Und sie brachten daher bald Brot, Milch, Butter und Honig in das Wohnzimmer zu
Joseph.
Und Joseph besah alles, dankte Gott und segnete all die Speisen, ließ sie dann
auf den Tisch legen und bat den Cyrenius, daran teilzunehmen.
Dieser erfüllte auch den Wunsch Josephs gerne; denn auch er war ein großer
Freund von Milch und Honigbrot.
Während der Mahlzeit aber erzählte der Joseph dem Cyrenius ganz kurz die
Geschichte des jüdischen Volkes nebst der Geschichte der Schöpfung und des
Menschengeschlechtes
und stellte das alles also bündig und folgerecht dar, daß es dem Cyrenius ganz
einleuchtend ward, daß da Joseph sicher die verbürgteste Wahrheit geredet hatte.
Er ward darob einesteils sehr vergnügt für seinen Teil, aber wieder anderseits
betrübt für die Seinen in Rom, von denen er wohl wußte, in welch schändlicher
Finsternis sie waren.
Daher sprach er zu Joseph: „Erhabener Mann und nun größter Freund meines Lebens!
Siehe, ich habe nun einen Plan gefaßt! – Alles, was ich nun von dir vernommen
habe, werde ich also meinem nahe leiblichen Bruder, dem Kaiser Augustus,
berichten, aber nur also, als hätte ich's zufällig von einem mir übrigens ganz
unbekannten Juden voll Biederkeit vernommen.
Dein Name und dein Aufenthalt wird nicht im allerentferntesten Sinne berührt;
denn warum solle denn der beste Mensch in Rom, der Kaiser Augustus, mein Bruder,
ewig sterben müssen?!“
Diesmal willigte Joseph ein, und der Cyrenius schrieb noch in Ostracine drei
Tage lang und sandte es durch ein Extraschiff nach Rom an den Kaiser, mit der
alleinigen Unterschrift: Dein Bruder Cyrenius.
Die Durchlesung dieser Nachricht von Seite des Cyrenius hatte dem Kaiser die
Augen geöffnet; er fing dann das jüdische Volk zu achten an und verschaffte ihm
sogar die Gelegenheit, gegen eine kleine Taxe als echt römische Bürger
aufgenommen zu werden.
Zugleich aber wurden alle extrafeinen Heidentumsprediger unter irgendeinem
Vorwande aus Rom verbannt.
Aus einem ähnlichen Grunde wurde der sonst in Rom so beliebte Dichter Ovidius
aus Rom verbannt, davon man den Grund nicht erfahren konnte; und so erging's
dann unter dem Augustus auch dem Priesterstande nicht am besten.
47. Kapitel – Die Abreise des Cyrenius und
seine Vorsorge für die heilige Familie. Die Schreckensbotschaft der Zeugen des
Kindermordes. Ein Brief des Cyrenius an Herodes.
17. Oktober 1843
Am vierten Tage empfahl sich dann erst Cyrenius, nachdem er zuvor dem
Stadtobersten ganz besonders ans Herz gelegt hatte, dieser Familie ja seinen
Schutz bei jeder Gelegenheit unverzüglich angedeihen zu lassen.
Als er aber fortzog, da wollte ihm die ganze Familie das Geleite geben bis zum
Meere, da sein Schiff vor Anker lag.
Aber Cyrenius lehnte das freundschaftlichst ab und sprach: „Liebster, erhabener
Freund, bleibe du nun ungestört allhier!
Denn man kann nicht wissen, was alles für Nachboten schon mein Schiff eingeholt
haben – und mit was für Nachrichten!
Obschon du aber nun vollkommen gesichert bist, so ist aber hier doch auch für
mich jene Klugheit vonnöten, durch welche von den Nachzettlern niemand erfahren
solle, warum ich diesmal im Januarius Ägypten besucht habe!“
Joseph aber verstand den Cyrenius wohl, blieb zu Hause und segnete diesen
Wohltäter an der Hausflur.
Darauf begab sich der Cyrenius unter der Verheißung, den Joseph bald wieder zu
besuchen, von dannen mit seinen vier Dienern und erreichte also zu Fuß gar bald
sein Schiff.
Allda angelangt, wurde er sobald mit großem Jubel empfangen, – aber hintendrein
auch von einigen andern hier angelangten Boten mit einem großen Jammergeschrei.
Denn viele Eltern flüchteten sich von der Küste Palästinas vor der Verfolgung
des Herodes, des Kindermörders, und erzählten sogleich über Hals und Kopf,
welche Greuel Herodes um Bethlehem und im ganzen südlichen Teile Palästinas mit
Hilfe der römischen Soldaten verübe.
Hier schrieb der Cyrenius sogleich einen Brief an den Landpfleger von Jerusalem
und einen an den Herodes selbst, – und das gleichen Sinnes!
Der Brief aber lautete also kurz: „Ich, Cyrenius, ein Bruder des Kaisers und
oberster Landpfleger über Asien und Ägypten – befehle euch im Namen des Kaisers,
eurer Grausamkeit auf der Stelle Einhalt zu tun;
widrigenfalls ich den Herodes als einen barsten Rebellen ansehen werde und werde
ihn züchtigen nach dem Gesetze, nach der Gebühr und nach meinem gerechten Zorne!
Seine Greuel aber hat der Landpfleger von Jerusalem genau zu untersuchen und
mich davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen, auf daß mir der Wüterich der
gerechten Strafe für seine Tat nicht entgehe!
Geschrieben auf meinem Schiffe ,Augustus‘ an der Küste zu Ostracine, im Namen
des Kaisers, dessen oberster Stellvertreter in Asien und Ägypten und
sonderheitlich Landpfleger in Coelesyrien, Tyrus und Sidon – Cyrenius vice
Augusti.“
48. Kapitel – Die Wirkung und Folge dieses
Briefes. Die List des Herodes. Ein zweiter Brief des Cyrenius an Herodes.
18. Oktober 1843
Der Landpfleger von Jerusalem und der Herodes aber entsetzten sich gewaltigst
über den Brief des Cyrenius, stellten ihr Greuelgetriebe ein und sandten Boten
nach Tyrus, die dem Cyrenius anzeigen sollten, aus welcher wichtigen Ursache sie
solches taten.
Sie schilderten mit den grellsten Farben die Gesandtschaft der ohnehin
schlüpfrigen Perser und behaupteten sogar, daß sie gar wichtige, geheime Spuren
entdeckt hätten, daß sogar des Cyrenius Bruder, Cornelius, in diese geheime,
ganz asiatische Verschwörung als Oberhaupt mit begriffen sei!
Denn man habe in Erfahrung gebracht, daß Cornelius diesen neuen König der Juden
in seinen Schutz genommen hatte.
Und Herodes sei nun gesonnen, Boten nach Rom darob zu senden, so ihm von
Cyrenius nicht Gewähr geleistet werde.
Cyrenius habe daher den Cornelius der strengsten Untersuchung zu unterziehen, –
wo nicht, so werde der Bericht an den Kaiser unausbleiblich abgehen!
Diese Reprise, welche Cyrenius, schon wieder in Tyrus, erhielt, machte ihn
anfangs stutzen.
Aber er faßte sich bald, vom göttlichen Geist geleitet, und schrieb folgende
Zeilen an den Herodes, sagend nämlich:
„Wie lautet das geheime Gesetz des Augustus für allfällige Entdeckungen der
Komplotte? – Es lautet also: ,So jemand irgendein geheimes Komplott entdeckt, so
hat er sich ruhigst zu benehmen und alles sogleich umständlichst der höchsten
Staatsbehörde des Landes anzuzeigen!
Weder ein sonderheitlicher Landpfleger, noch weniger ein Lehensherr aber hat
ohne den ausdrücklichen Befehl der obersten Staatsbehörde, welche alles eher
wohl zu untersuchen hat, einen Finger ans Schwert zu legen.
Denn nirgends kann ein unzeitiger Angriff einen größeren Schaden für den Staat
bewirken als eben in diesem Punkte;
indem das Komplott dadurch sich zurückzieht und seinen bevorhabenden Umtrieb
unter noch verschmitztere Kniffe verbirgt und ihn in günstigeren Umständen
sicher, seinen Zweck nicht verfehlend, zum effektiven Vorschein bringt!‘
Das ist in dieser gar wichtigsten Hinsicht des weisesten Kaisers eigenmündiges
Gebot!
Habt ihr darnach gehandelt? – Mein Bruder Cornelius aber hat darnach gehandelt!
Er hat sich des sein sollenden neuen Königs der Juden sobald bemächtiget,
hat mir ihn in die Gewalt geliefert, und ich habe mit ihm schon lange die
gerechtesten Verfügungen nach der Gewalt getroffen, die mir über Asien und
Ägypten zusteht.
Mein Bruder hat euch alles das vorgestellt; allein er redete zu tauben Ohren!
Als wahrhafte Rebellen habt ihr gegen alle Vorstellung meines Bruders den
Kindermord unternommen und habt mich noch obendrauf keck aufgefordert, daß ich
euch unterstützen solle! – Heißt das, das kaiserliche Gesetz handhaben?
Ich aber sage euch, der Kaiser ist bereits von allem unterrichtet und hat mich
bevollmächtigt, den Landpfleger von Jerusalem abzusetzen, obschon er mir
anverwandt ist, und dem Herodes eine Strafe von zehntausend Pfund Goldes
aufzulegen.
Der entsetzte Landpfleger hat sich binnen fünf Tagen bei mir einzufinden und der
Herodes seine Geldbuße in längstens dreißig Tagen hier völlig zu entrichten, im
widrigen Falle er seines Lehnsrechtes verlustig erklärt wird. Fiat! Cyrenius
vice Augusti.“
49. Kapitel – Die Wirkung des zweiten
Schreibens. Die Ankunft des Herodes und des Landpflegers in Tyrus. Der Empfang
bei Cyrenius. Die Erregung des geängstigten Volkes. Maronius Pilla vor Cyrenius.
19. Oktober 1843
Dieser Brief des Cyrenius hatte erst den Landpfleger von Jerusalem wie den
Herodes in die größte Angst versetzt.
Herodes und der Landpfleger, namens Maronius Pilla, begaben sich darum
schleunigst zum Cyrenius.
Herodes, um von seiner Buße etwas herabzuhandeln, und der Landpfleger, um in
sein Amt wieder aufgenommen zu werden.
Als sie mit großem Gefolge in Tyrus anlangten, da entsetzte sich das Volk; denn
es war der Meinung, Herodes werde auch hier seine Grausamkeit ausüben mit dem
Einverständnisse des Cyrenius.
Daher lief es außer Atem zu ihm, warf sich nieder und bat und schrie um Gnade
und Erbarmen!
Cyrenius aber, da er die Veranlassung zu dieser Erscheinung nicht wußte,
entsetzte sich anfangs, –
faßte sich aber dann und fragte das Volk ganz freundlichst, was es denn gäbe,
was vorgefallen sei, darum es also gewaltig geängstiget vor ihm schreie.
Das Volk aber schrie: „Er ist da, er ist da, der Grausamste der Grausamen, der
in ganz Palästina viele Tausende von den unschuldigsten Kindern ermorden
ließ!!!“ – – –
Nun erst erriet Cyrenius den Grund der Angst des Volkes, tröstete es, worauf das
Volk sich wieder beruhigte und von dannen ging; er aber machte sich gefaßt auf
den Empfang der beiden.
Kaum war das Volk aus der Residenz des Cyrenius hinweggezogen, so ließen schon
auch die beiden sich anmelden.
Der Herodes trat zuerst vor den Cyrenius, verbeugte sich tiefst vor der
Kaiserlichen Hoheit und erbat sich die Erlaubnis zu reden.
Und der Cyrenius sprach mit großer Erregtheit: „Rede du, für den die Hölle zu
gut ist, um ihm einen Namen zu geben! – Rede, du bösartigster Auswurf der
untersten Hölle! – Was willst du von mir!?“
Und der Herodes, ganz erblassend vor den Donnerworten des Cyrenius, sprach
bebend: „Herr der Herrlichkeit Roms! – Zu unerschwingbar groß ist die von dir
diktierte Buße; erlasse mir daher die Hälfte!
Denn Zeus sei mir Zeuge, daß ich, was ich getan habe, im gerechten Eifer für Rom
getan habe!
Ich habe freilich grausam gehandelt, aber es war nicht anders möglich; denn die
persische, gar glänzende Gesandtschaft hat mich offenbar dazu veranlaßt, indem
ich von ihr hintergangen ward gegen ein von ihr mir gegebenes Wort!“
Cyrenius aber sprach: „Hebe dich von hier, arger Lügner zu deinem Vorteile! Mir
ist alles bekannt! Bekenne dich unverzüglich zur diktierten Buße, oder ich lasse
dir auf der Stelle hier deinen Kopf vom Rumpfe schlagen!“
Hier bekannte sich Herodes zur Buße, und das unter der Geisel des abgeforderten
Lehensbriefes, der ihm erst nach der geleisteten Buße wieder überreicht ward.
Und Cyrenius ließ ihn darauf sich entfernen und ließ den Maronius Pilla vor.
Dieser aber, da er im Vorgemache die Stimmung des Cyrenius vernommen hatte, kam
schon mehr als eine Leiche denn als ein lebendiger Mensch vor den Cyrenius.
Cyrenius aber sprach: „Pilla, fasse dich, denn du warst gezwungen! – Du mußt mir
wichtige Aufschlüsse geben; darum ließ ich dich rufen! – Deiner harret keine
Buße, außer die deines Herzens vor Gott!“
50. Kapitel – Das Verhör des Landpflegers durch
Cyrenius. Der Beschönigungsversuch des Landpflegers. Die Gewissensfrage des
Cyrenius an den Maronius, dessen Bekenntnis und Verurteilung.
20. Oktober 1843
Nach dieser Anrede des Cyrenius fiel dem Maronius Pilla ein gewaltiger Stein von
der Brust; der Puls fing an freier zu gehen, und er ward bald fähig, dem
Cyrenius zur Rede zu stehen.
Und als der Cyrenius sah, daß der Maronius Pilla sich erholt hatte, fragte er
ihn folgendermaßen:
„Ich sage dir, gebe mir die gewissenhafteste Antwort darüber, worüber ich dich
fragen werde! Denn jede ausflüchtige Antwort wird dir mein gerechtes Mißfallen
zuziehen! Und so vernehme denn meine Frage!
Sage mir, kennst du die Familie, deren erstgebornes Kind der sogenannte neue
König der Juden sein solle?“
Maronius Pilla antwortete: „Ja, ich kenne sie persönlich nach der Kundgabe der
Judenpriester in Jerusalem! – Der Vater heißt Joseph und ist ein Zimmermann
ersten Rufes in ganz Judäa und halb Palästina und ist seßhaft nahe bei Nazareth.
Seine Redlichkeit ist im ganzen Lande, wie auch in ganz Jerusalem bekannt. Er
mußte vor ungefähr elf Monden ein reif gewordenes Mädchen aus dem jüdischen
Tempel zur Obhut nehmen, ich glaube, durch eine Art Losung.
Dieses Mädchen hat wahrscheinlich in Abwesenheit dieses biederen Zimmermanns
etwas zu früh der Venus gehuldigt, ward schwanger, darob dann meines Wissens
dieser Mann grobe Anstände mit der jüdischen Priesterschaft zu bestehen hatte.
Insoweit ist mir die Sache wohl bekannt; aber mit der Entbindung dieses Mädchens
– das da dieser Mann, um der Schande zu entgehen, die er von seinen Genossen zu
befürchten hatte, noch vor der Entbindung zum Weibe genommen haben solle – haben
sich überaus mystische Sagen im Volke verbreitet, und man kann darüber nicht ins
klare kommen!
Sie hat bei der Gelegenheit der Volksbeschreibung in Bethlehem entbunden, und
zwar in einem Stalle; so viel habe ich herausgebracht.
Alles Weitere ist mir völlig unbekannt; solches sagte ich auch dem Herodes!
Dieser aber meinte, Cornelius habe diese ihm von den Persern verdächtig gemachte
Familie irgend im Volke verbergen wollen, um ihm den Lehnsthron streitig zu
machen, da er wohl weiß, daß dein Bruder sein Freund nicht ist!
Darum nahm er denn auch zu dieser exzentrischen Grausamkeit seine Zuflucht, um
dadurch vielmehr dem Cornelius seinen Plan zu vereiteln, als so ganz eigentlich
dieses neuen Königs habhaft zu werden.
Er übte somit mehr aus Rache gegen deinen Bruder, als aus Furcht vor diesem
neuen König, diese kindermörderische Rache aus. Das ist nun alles, was ich dir
zu sagen weiß über diese sonderbare Begebenheit!“
Und der Cyrenius sprach weiter: „Bisher habe ich aus deinen Worten ersehen, daß
du zwar die Wahrheit geredet hast; aber daß du dabei vor mir auch gewisserart
den Herodes weißwaschen möchtest, ist mir keineswegs entgangen!
Ich sage dir aber, wie ich geschrieben habe, die Tat des Herodes läßt sich durch
nichts entschuldigen!
Denn ich will es dir sagen, warum Herodes diese allerunmenschlichste Grausamkeit
ausgeübt hat.
Höre! Herodes ist selbst der allerherrschsüchtigste Mensch, den je die Erde
genährt hat.
Wenn er es könnte und einigermaßen nur eine entsprechende Macht dazu hätte, so
würde er heute noch mit uns Römern, den Augustus nicht ausgenommen, das tun, was
er mit den unschuldigsten Kindern getan hat! – Verstehst du mich?!
Er hatte diesen Kindermord nur darum unternommen, weil er der Meinung war, uns
Römern einen groß respektablen Dienst zu erweisen und sich dadurch als echter
römischer Patriot zu zeigen, auf daß ihm der Kaiser mein Amt zum
Lehnsfürstentume noch hinzu anvertrauen möchte;
wodurch er dann gleich mir vice Caesaris unumschränkt mit dem Drittel der ganzen
römischen Macht disponieren könnte und könnte sich dadurch dann auch von Rom
ganz los und unabhängig machen, um als Alleinherrscher über Asien und Ägypten
dazustehen.
21. Oktober 1843
Verstehst du mich?! – Siehe, das ist der mir gar wohlbekannte Plan dieses alten
Scheusals; und wie ich ihn kenne, so kennt ihn nun auch Augustus!
Nun aber frage ich dich bei deinem Kopfe zum Pfande der Wahrheit, die du mir
darüber zu erteilen hast, ob du von diesem Plane Herodis nichts gewußt hattest,
als er dich zu seinem schändlichsten Werkzeuge gedingt hatte?
Rede! aber bedenke, daß dich hier jede unwahre ausflüchtige Silbe das Leben
kostet! Denn mir ist in dieser Sache jeder Punkt auf ein Haar bekannt!“
Hier ward der Maronius Pilla wieder zur Leiche und stotterte: „Ja, du hast
recht, ich wußte auch, was der Herodes im Schilde führte.
Aber ich fürchtete seinen argen Intrigengeist und mußte darum tun nach seinem
Verlangen, um ihm dadurch den Grund zu einer noch größeren Intrige zu zerstören.
Ganz also durch und durch aber, wie ich den Herodes jetzt durch dich kenne, habe
ich ihn ehedem doch nicht erkannt; denn hätte ich das, da lebte er nicht mehr!“
Und Cyrenius sprach: „Gut, ich schenke dir im Namen des Kaisers zwar das Leben;
aber in dein Amt werde ich dich nicht eher einsetzen, als bis deine Seele
genesen wird von einer starken Krankheit! – Bei mir hier wirst du gepflegt,
deine Stelle aber wird einstweilen mein Bruder Cornelius versehen; denn siehe,
ich traue dir nimmer! Daher bleibst du hier, bis du gesund wirst!“
51. Kapitel – Das Geständnis des Maronius
Pilla. Cyrenius als weiser Richter.
24. Oktober 1843
Als der Maronius Pilla solch Urteil von Cyrenius vernommen hatte, da sprach er
mit bebender Stimme:
„Wehe mir, denn es ist alles verraten! – Ich bin ein Republikaner, und solches
ist dem Kaiser offen dargelegt, – wehe, ich bin verloren!“
Cyrenius aber sprach: „Wohl wußte ich, wessen Geistes Kinder ihr seid, und welch
ein Grund dich zum Kindermorde mit dem Herodes verbündet hatte.
Darum handelte ich auch also, wie ich gehandelt habe!
Wahrlich, so du nicht samt mir dem ersten Hause Roms entstammen möchtest, ich
hätte dir den Kopf ohne Gnade herabschlagen lassen,
wo ich dich nicht sogar hätte ans Querholz heften lassen! Ich aber habe dich
darum begnadigt, weil du fürs erste von Herodes mehr verleitet wardst zu diesem
Schritte, und weil du einer der ersten Patrizier Roms bist samt mir und dem
Augustus Caesar.
Aber in dein Amt kommst du nicht, solange Herodes leben wird, und solange du
nicht vollkommen geheilt sein wirst!
Die Bedingung deines Hierseins aber wirst du dadurch erfüllen, daß du ohne alle
Widerrede dich der Arbeit unterziehen wirst, die ich dir zuteilen werde, und daß
du streng unter meinen Augen wandeln wirst!
Im Frühjahre aber werde ich einen amtlichen Ausflug nach Ägypten machen, – dahin
wirst du mich begleiten!
Dort wohnt außer der Stadt ein alter Weiser; diesem werde ich dich unter die
Augen stellen, – und er wird dir alle deine Krankheit kundtun!
Und es wird sich dort auf den ersten Augenblick zeigen, inwieweit allen deinen
Aussagen zu trauen ist!
Bereite dich daher wohl vor; denn dort wirst du mehr antreffen denn das Orakel
zu Delphi!
Denn dort wirst du vor einen Richter gestellt werden, dessen Augenschärfe das
Erz fließen macht wie Wachs! – Bereite dich daher wohl vor; denn bei diesem
meinem Ausspruche wird es verbleiben!“ –
52. Kapitel – Die Reise des Cyrenius nach
Ägypten und seine Ankunft in Ostracine. Josephs und Marias Entschluß, Cyrenius
zu begrüßen. Die ersten Worte des Kindleins.
25. Oktober 1843
Das bestimmte Frühjahr kam gar bald heran; denn in dieser Gegend ist dessen
Anfang schon im halben Februar.
Aber Cyrenius bestimmte seine Reise nach Ägypten erst im halben März, welcher
Monat bei den Römern gewöhnlich für militärische Geschäfte festgesetzt war.
Als sonach der halbe März erschien, ließ der Cyrenius sobald wieder sein Schiff
ausrüsten und trat mit Maronius Pilla gerade am fünfzehnten die Reise nach
Ägypten an.
In fünf Tagen ward diesmal die Reise zurückgelegt.
Diesmal ließ der Cyrenius sich in Ostracine mit allen Ehren empfangen; denn er
mußte diesmal große militärische Musterungen und Visitationen halten.
Darum mußte er sich diesmal auch mit allen Auszeichnungen empfangen lassen.
Es machte sonach diese Ankunft des Cyrenius ein übergroßes Aufsehen in
Ostracine, welches auch bis zu unserer bekannten Villa sich verbreitete.
Joseph sandte darum die zwei ältesten seiner Söhne in die Stadt, auf daß sie
sich genau erkundigen sollten, was das sei, darum die ganze Stadt in solcher
Bewegung ist.
Und die beiden Söhne gingen eiligst und kamen bald mit der guten Botschaft
zurück, daß der Cyrenius in der Stadt angekommen sei, und wo er wohne.
Als der Joseph solches vernommen hatte, sprach er zu Maria: „Höre, diesen großen
Wohltäter müssen wir sogleich dankbar besuchen, und das Kindlein darf nicht
zurückbleiben!“
Und die Maria, voll Freuden über diese Nachricht, sprach: „O lieber Joseph, das
versteht sich von selbst; denn das Kindlein ist ja der eigentliche Liebling des
Cyrenius!“
Und sogleich zog Maria dem schon recht stark gewachsenen Kinde ganz neue, von
ihr selbst verfertigte Kleider an und fragte so in ihrer mütterlichen Liebe und
Unschuld das Kindlein:
„Gelt, Du mein herzallerliebstes Söhnchen, Du mein geliebtester Jesus, Du gehst
auch mit, den lieben Cyrenius zu besuchen?“
Und das Kindlein lächelte die Maria gar munter an und sprach deutlich das erste
Wort; und das Wort lautete:
„Maria! jetzt folge Ich dir, bis du Mir einst folgen wirst!“
Diese Worte brachten eine solch erhabene Stimmung im ganzen Hause Josephs
hervor, daß er darob beinahe den Besuch des Cyrenius vergessen hätte.
Aber das Kindlein ermahnte den Joseph selbst, sein Vorhaben nicht aufzuschieben;
denn der Cyrenius hätte diesmal viel zu tun zur Wohlfahrt der Menschen.
53. Kapitel – Josephs und Marias Angst und
Fluchtgedanken auf dem Paradeplatz. Das Zusammentreffen mit Cyrenius und
Maronius Pilla. Das Ende der Truppenbesichtigung und die Heimkehr der heiligen
Familie in Begleitung des Cyrenius.
26. Oktober 1843
Darauf machten sich Joseph und Maria sogleich auf den kurzen Weg; und der
älteste Sohn Josephs begleitete sie, ihnen den nächsten Weg zur Burg zeigend, in
der sich Cyrenius aufhielt.
Als sie aber auf den großen Platz gelangten, siehe, da war derselbe ganz mit
Soldaten angefüllt, daß nicht leichtlich zum Eingange in die Burg zu gelangen
war.
Und der Joseph sprach zur Maria: „Geliebtes Weib, siehe, was für uns Menschen
unmöglich ist, das bleibt unmöglich!
Also ist es auch jetzt rein unmöglich, durch alle diese Soldatenreihen zur Burg
zu gelangen; daher, sollen wir geradezu wieder umkehren und eine günstigere Zeit
abwarten!?
Auch das Kindlein blickt diese rauhen Kriegerreihen ganz ängstlich an! Es könnte
leicht erschreckt und darauf krank werden, und wir hätten dann die Schuld; daher
kehren wir wieder zurück!“
Maria aber sprach: „Geliebtester Joseph! Siehe, so mich meine Augen nicht
täuschen, so ist jener Mann, der soeben da vor dieser letzten Reihe mit einem
glänzenden Helm auf dem Kopfe dahergeht, ja eben der Cyrenius!
Warten wir daher ein wenig, bis er daher kommt; vielleicht wird er unser
ansichtig und wird uns dann sicher einen Wink geben, was wir zu tun haben, ob
wir zu ihm kommen sollen, oder nicht!“
Und der Joseph sprach: „Ja, geliebtes Weib, du hast recht; es ist offenbar
Cyrenius selbst!
Aber siehe einmal dem andern Helden, der neben ihm einhergeht, so recht fest ins
Gesicht! Wenn das nicht der berüchtigte Landpfleger von Jerusalem ist, so will
ich nicht Joseph heißen!
Was tut dieser hier? – Sollte seine Gegenwart uns gelten? – Sollte uns Cyrenius
schändlichst also an den Herodes ausgeliefert haben?!
Das Beste an der Sache ist, daß er mich und dich persönlich sicher nicht kennt,
und so können wir uns noch durch eine neue Flucht tiefer nach Ägypten hinein
retten.
Denn kennete er mich oder dich, so wären wir schon verloren; denn er ist nun
kaum mehr zwanzig Schritte von uns entfernt und könnte uns sogleich ergreifen
lassen!
Daher ziehen wir uns nur schleunigst zurück, sonst ist es mit uns geschehen, so
der Cyrenius unser ansichtig wird, der uns sicher noch gar wohl kennt!“
Hier erschrak Maria und wollte sogleich zurückfliehen. Aber das Volksgedränge
gestattete hier keine Flucht; denn die Neugierde trieb so viele Menschen auf den
Platz, daß durch sie es wohl unmöglich war, sich hindurchzudrängen.
Joseph sagte daher: „Was unmöglich ist, das ist unmöglich; ergeben wir uns daher
in den göttlichen Willen! Der Herr wird uns auch diesmal sicher nicht verlassen!
Stecken wir aber doch zur Vorsicht so hübsch die Köpfe zusammen, auf daß
wenigstens der Cyrenius uns nicht vom Angesichte erkennt!“
Bei dieser Gelegenheit aber kam auch der Cyrenius so ziemlich knapp an den
Joseph und schob ihn ein wenig vom Wege. Joseph aber konnte des Gedränges wegen
nicht weichen; daher sah Cyrenius seinen hartnäckigen Mann sich näher an und
erkannte sobald den Joseph.
Als er des Joseph ansichtig ward und der Maria und des ihn anlächelnden Kindes,
da wurden seine Augen vor Freude voll Tränen; ja so erfreut ward Cyrenius
darüber, daß er kaum zu reden vermochte.
Doch aber faßte er sich so bald als möglich, ergriff mit Hast die Hand Josephs,
drückte sie an sein Herz und sprach:
„Mein erhabenster Freund! – Du siehst mein Geschäft!
O vergebe mir, daß ich noch nicht dich habe besuchen können; aber soeben ist die
Musterung zu Ende! Ich werde sogleich die Truppen abziehen lassen in ihre
Kasernen,
sodann dem Obersten meinen kurzen Befehl erteilen für morgen und dann alsogleich
hier umgekleidet bei dir sein und dich geleiten in deine Wohnung!“
Hier wandte er sich noch voll Freude zur Maria und zu dem Kinde und fragte,
gleichsam das Kindlein kosend:
„O Du mein Leben, Du mein Alles, kennst Du mich noch, hast Du mich lieb, Du mein
holdestes Kindchen Du!?“ –
Und das Kindchen hob Seine Händchen weit ausgebreitet gegen den Cyrenius auf,
lächelte ihn gar sanft an und sprach dann deutlich:
„O Cyrenius! Ich kenne dich wohl und liebe dich, weil du Mich so sehr lieb hast!
– Komme, komme nur zu Mir; denn Ich muß dich ja segnen!“
Das war zuviel für das Herz des Cyrenius; er nahm das Kindlein auf seine Arme,
drückte Es an sein Herz und sprach:
„Ja! Du mein Leben, mit Dir auf meinen Armen will ich das Kommando zum langen
Frieden der Völker erteilen!“
Hier rief er den Obersten zu sich, erteilte ihm seine volle Zufriedenheit und
befahl ihm, die Truppen abziehen zu lassen und drei Tage lang auf Kosten des
eigenen Beutels (d.h. des Cyrenius Beutel) verpflegen zu lassen, und lud dann
den Obersten zu einem guten Mahl nebst mehreren Hauptleuten auf die Villa
Josephs ein.
Er aber zog, wie er war, geleitet von dem sich stets mehr wundernden Maronius
Pilla, sogleich das Kindlein selbst tragend, mit Joseph und der Maria hinaus auf
die Villa und ließ dort durch seine Diener sogleich ein festlich Mahl bereiten.
– Das aber machte ein großes Aufsehen in der Stadt; denn alles Volk ward
entflammt mit Liebe für den Cyrenius, da es in ihm einen so großen Kinderfreund
ersah. –
54. Kapitel – Josephs bange Frage an Cyrenius
wegen der Anwesenheit des Maronius Pilla. Des Cyrenius beruhigende Antwort. Die
Ankunft im Landhaus Josephs.
27. Oktober 1843
Dem Joseph aber war alles recht, und er lobte in seinem Herzen auch Gott den
Herrn inbrünstigst für diese überglückliche Wendung seiner ängstlichen
Besorgnis.
Aber dennoch genierte ihn der Maronius ein wenig; denn er wußte noch immer
nicht, was denn so ganz eigentlich dieser Freund des Herodes hier mache.
Daher nahte er sich noch auf dem Wege ganz unvermerkt dem Cyrenius und fragte
ihn etwas leise:
„Edelster Freund der Menschen! – Ist dieser Held, der da vor dir zieht, nicht
der Maronius von Jerusalem?
Wenn er es ist, dieser Freund des Herodes, was macht er wohl hier?!
Sollte er etwa irgend Wind von mir erhalten haben und will mich hier aufsuchen
und gefangennehmen?
O edelster Freund! belasse mich nicht länger in dieser bangen Ungewißheit!“
Der Cyrenius aber ergriff die Hand Josephs und sagte ebenfalls ganz leise zu
ihm:
„O du mein liebster, erhabenster Freund! fürchte dich vor dem im Ernste wirklich
gewesenen Landpfleger von Jerusalem ja nicht im geringsten!
Denn heute noch sollst du dich selbst überzeugen, daß er einen bei weitem
größeren Grund hat, sich vor dir zu fürchten, als du vor ihm!
Denn siehe, er ist nun nimmer Landpfleger in Jerusalem, sondern er ist nun, wie
du ihn siehst, mein barster Gefangener und wird seine Stelle nicht eher wieder
einnehmen, als bis er vollkommen geheilt sein wird!
Ich habe ihn aber gerade deinetwegen mitgenommen; denn als ich ihn verhörte der
Greueltat in Palästina wegen,
da gab er vor, dich und die Maria persönlich zu kennen. Wie es sich aber jetzt
zeigt, so kennt er weder dich noch dein Weib Maria!
Und das ist schon ein sehr gutes Wasser auf unsere Mühle.
Er weiß aber keine Silbe, daß du hier bist; darum mußt du dich auch nirgends
verraten!
Denn er erwartet hier nur einen überweisen Mann, der ihm seine Eingeweide
enthüllen wird;
und dieser ist kein anderer als du selbst! Denn darum habe ich ihn nach meiner
Aussage mitgenommen, daß er in dir den weisen Mann solle kennen und zu seinem
Besten verkosten lernen.
Er fürchtet dich daher schon im voraus ganz entsetzlich und ist, nach seinem
sehr blassen Aussehen zu schließen, schon sicher der Meinung, daß du der von mir
erwähnte Mann sein wirst!
Aus diesem wenigen kannst du vorderhand dich schon ganz beruhigen; die Folge
aber wird dir dieses alles ins klarste Licht setzen!“
Als der Joseph solches von Cyrenius vernommen hatte, da ward er überfroh und
unterrichtete heimlich die Maria und den ältesten Sohn, wie sie sich gegen den
Maronius zu benehmen haben, damit da ja nichts irgend von dem Plane des Cyrenius
verraten werden möchte. Und so wurde vorsichtigen Schrittes auch die Villa
erreicht und daselbst das Mahl bereitet, wie es schon bekanntgegeben wurde. –
55. Kapitel – Das Gastmahl in Josephs Landhaus.
Marias Demut und Liebesstreit mit Cyrenius. Die göttliche, alle Philosophie
beschämende Weisheit des hl. Kindes.
28. Oktober 1843
Die Mahlzeit war bereitet, und die Gäste, die da geladen waren, kamen auch
herbei; und der Cyrenius, bisher noch immer das Kindlein lockend, das mit ihm
spielte und ihn auch liebkosete, gab der Maria wieder das Kindlein und gab das
Zeichen zum Essen.
Alles setzte sich zum reinen Tische; aber Maria, da sie keine stattlichen
Kleider hatte, ging mit dem Kindlein in ein Seitengemach und setzte sich zum
Tische der Söhne Josephs.
Es merkte aber solches sobald der Cyrenius, eilte selbst der lieben Mutter nach
und sprach:
„O du allerliebste Mutter dieses meines Lebens, was willst du denn tun?!
An dir und an deinem Kinde ist mir ja am meisten gelegen; du bist die Königin
unserer Gesellschaft, und gerade du möchtest nicht teilnehmen an meinem
Freudenmahle, das ich gerade deinetwegen hier veranstalten ließ!?
O siehe, das geht durchaus nicht an! Komme daher nur geschwind herein ins große
Gemach und setze dich an meiner Rechten, – und neben mir zur Linken sitzet dein
Gemahl!“
Maria aber sprach: „O siehe, du lieber Herr, ich habe ja gar ärmliche Kleider;
wie werden sich diese an deiner so glänzenden Seite ausnehmen!?“
Cyrenius aber sprach: „O du liebe Mutter! – So dich meine goldnen Kleider, die
für mich gar keinen Wert haben, beirren sollten, da möchte ich sie sogleich von
mir werfen und dafür einen allergemeinsten Matrosenrock anziehen, um dich nur
bei meiner Tafel nicht zu missen!“
Da die Maria von der großen Herablassung des Cyrenius überzeugt war, so kehrte
sie um und setzte sich also neben den Cyrenius zur Tafel mit dem Kinde auf ihren
Armen.
Als sie nun alle am Tische saßen, da sah das Kindlein fortwährend den Cyrenius
lächelnd an; und der Cyrenius konnte auch vor lauter Liebe zu diesem Kinde seine
Augen nicht abwenden von Ihm.
Eine kurze Zeit hielt er es aus; aber dann wurde seine Liebe zum Kinde zu
mächtig,
und er fragte den lieben Kleinen: „Gelt, Du mein Leben, Du möchtest wieder zu
mir auf meine Arme?“
Und das Kindlein lächelte den Cyrenius gar lieblich an und sprach wieder sehr
deutlich:
„O mein geliebter Cyrenius! – zu dir gehe Ich sehr gerne, weil du Mich so lieb
hast! – darum habe auch Ich dich so lieb!“
Und sogleich streckte der Cyrenius seine Arme nach dem Kinde aus und nahm Es zu
sich und kosete Es inbrünstigst.
Maria aber sprach scherzend zum Kindlein: „Mache aber den Herrn Cyrenius ja
nicht irgend schmutzig!“
Und der Cyrenius aber sprach in hoher Rührung: „O liebe Mutter! Ich möchte wohl
wünschen, daß ich so rein wäre, dieses Kind würdig auf meinen Armen zu tragen!
Dies Kind kann mich nur reinigen, aber nimmer beschmutzen!“
Hier wandte er sich wieder zum Kinde und sprach: „Mein Kindlein, gelt ja, ich
bin wohl noch sehr unrein, sehr unwürdig, Dich zu tragen?“
Das Kindlein aber sprach abermals deutlich: „Cyrenius, wer Mich liebt wie du,
der ist rein, und Ich liebe ihn, wie er Mich liebt!“
Und der Cyrenius fragte das Kindlein ganz entzückt weiter, sagend: „Aber wie
kommt es, Du mein Kindlein, daß Du, noch kaum etliche Monate alt, schon so
vernünftig und deutlich sprichst? Hat Dich Deine liebe Mutter das gelehrt?“
Das Kindlein aber, gar sanft lächelnd, richtete Sich auf den Armen des Cyrenius
ganz gerade auf und sprach wie ein kleiner Herr:
„Cyrenius, da kommt es nicht auf das Alter und auf das Erlernen an, sondern was
für einen Geist man hat! – Lernen muß nur der Leib und die Seele; aber der Geist
hat schon alles in sich aus Gott!
Ich aber habe den rechten Geist vollmächtig aus Gott; siehe, darum kann Ich auch
schon so frühe reden!“
Diese Antwort brachte den Cyrenius, wie auch die ganze andere Gesellschaft,
völlig außer sich vor Verwunderung, und der Oberste selbst sagte: „Beim Zeus,
dieses Kind beschämt schon jetzt mit dieser Antwort alle unsere Weisen! Was ist
da Plato, Sokrates und hundert andere Weise mehr! Was aber wird dieses Kind erst
leisten im Mannesalter?“ – Und der Cyrenius sprach: „Sicher mehr als alle unsere
Weisen samt allen unseren Göttern!“
56. Kapitel – Des Maronius hohe Meinung über
das Kindlein und des Cyrenius Zufriedenheit mit Maronius.
30. Oktober 1843
Der Cyrenius aber wandte sich bald nach diesen Wunderworten des Kindleins an den
stets blasser werdenden Maronius und sagte zu ihm:
„Maronius Pilla, was sagst denn du zu diesem Kinde? Hast du je etwas Ähnliches
gesehen und gehört?
Ist das nicht offenbar mehr als unsere Mythe von Zeus, da er auf einer Insel
solle an einer Ziege gesaugt haben?
Nicht bei weitem mehr als die fragliche Tradition von den Gründern Roms, den
Nährkindern einer Wölfin?!
Rede, was deucht dich hier? Denn darum bist du mein Geleitsmann, daß du etwas
hören, sehen, lernen und darüber dann vor mir urteilen sollest!“
Der Maronius Pilla faßte sich hier, so gut er es nur konnte, und sprach:
„Hoher Befehlshaber von Asien und Ägypten, was solle ich armer Tropf hier sagen,
wo die größten alten Weltweisen verstummen müßten und Apollos und Minervas
Weisheit wie auf einem glühenden Amboß des Vulkan gar jämmerlich zum dünnsten
Bleche breitgeschlagen wird?!
Ich kann hier nichts anderes sagen als: Den Göttern hat es wohlgefallen, aus
ihrer aller Mitte einen allerweisesten Gott auf die Erde zu stellen; und Ägypten
als der alte, von allen Göttern begünstigteste Boden muß auch dieses Gottes aus
allen Göttern Vaterland sein, ein Land, das den Schnee und das Eis nicht kennt!“
Und der Cyrenius sagte etwas lächelnd: „Du hast gewisserart nicht unrecht;
aber siehe, nur darin scheinst du dich geirrt zu haben, daß du dies Kind ein
Kind aus allen Göttern nanntest!
Denn sieh, da zu meinen beiden Seiten sitzen des Kindes Vater und Mutter ja, und
diese sind Menschen, wie wir beide es sind!
Wie sollte hernach aus ihnen ein Gottkind aller Götter zum Vorscheine kommen?
Obendrauf aber würden sich dadurch ja offenbar die hohen Bewohner des Olymps
eine ganz gewaltige Laus in den Pelz gesetzt haben, die ihnen durch ihr enormes
Weisheitsübergewicht gar bald den Garaus machen würde!
Ich ersuche dich darum, dich anders zu beraten; denn sonst läufst du Gefahr, daß
dich für solch eine Demonstration alle Götter zugleich angreifen werden und
werden dich beim lebendigen Leibe vor den Minos, Äakus und Rhadamanthys stellen
und dich darauf dem Tantalus zur Seite stellen!“
Hier stutzte der Maronius und sprach nach einer Weile: „Consulische Kaiserliche
Hoheit! Ich glaube, das Gericht der drei Unterweltsrichter ist schon beinahe
eingegangen, und die Götter haben, wie es mir vorkommt, auch schon so ziemlich
stark ihren Olymp gelüftet!
Wenn wir nur weise Menschen haben, die sicher auch ihre Weisheit nicht aus den
Pfützen haben, da dürften wir unserer Götter Rat gar bald entbehren lernen!
Fürwahr, dieses Wunderkindes Worte stehen schon jetzt in einem größeren Ansehen
bei mir als drei Olympe voll ganz frisch gebackner Götter!“
Und der Cyrenius sprach: „Maronius! – Wenn das dein vollster Ernst ist, dann sei
dir alles vergeben; aber wir wollen darüber eher noch so manches Wort wechseln;
darum vorderhand nichts mehr weiter!“
57. Kapitel – Die Aufhebung der Tafel. Die
Vernehmung des Maronius Pilla über die hl. Familie durch Cyrenius. Des Maronius
Eingeständnis seiner Notlüge.
31. Oktober 1843
Nach der Beendung der Mahlzeit, welche bei Cyrenius nie über zwei Stunden
dauerte, begaben sich der Oberst und die Zenturionen wieder in die Stadt mit dem
ausdrücklichen Befehle, ihm an diesem Tage keine Ehrenbezeigungen mehr zu
erweisen.
Als sich alle sonach entfernt hatten, da nahm der Cyrenius erst den Maronius
sozusagen recht ad coram.
Er fragte ihn darum in der Gegenwart Josephs und der Maria, die wieder das
Kindlein auf ihren Armen hatte:
„Maronius! Du hast mir in Tyrus, als ich dich verhört hatte nach dem Herodes,
gesagt, und hast es mir förmlich beteuert, den gewissen biederen Zimmermann
Joseph aus der Gegend von Nazareth persönlich zu kennen;
also auch eine gewisse Maria, die eben der Zimmermann aus dem Tempel zum Weibe
oder bloß nur zur Obhut solle übernommen haben!
Gebe mir daher eben jetzt, da wir bei diesem meinem Gastwirte gute Muße haben,
eine nähere Beschreibung davon!
Denn ich habe dieser Tage in Erfahrung gebracht, daß sich diese Familie im
Ernste hier in Ägypten befinden solle und soll eine ganz andere sein als
diejenige, die mir mein Bruder überantwortet hat und von mir aus sich noch in
gutem Gewahrsame befindet.
Denn so viel Rechts- und Menschlichkeitsgefühl wirst du ja trotz der
Herodianischen Greuelgenossenschaft haben, um anzuerkennen, daß es doch sicher
höchst grausam wäre, unschuldige Menschen – woher sie auch immer sein mögen –
ohne Not gefangenzuhalten!
Gebe du mir daher eine sichere Beschreibung von dem berüchtigten Paare, auf daß
ich es in dieser Gegend aufsuchen und gefangennehmen kann; denn das erfordern
streng unsere Staatsgesetze!
Ich aber bin berechtigt, solches um so mehr von dir zu verlangen, weil du selbst
es mir gestanden hattest, diese Familie persönlich zu kennen, an deren richtiger
Habhaftwerdung mir nun alles gelegen sein muß!“
Hier fing der Maronius wieder ganz gewaltig an zu stutzen und wußte nicht, was
er nun sagen solle; denn er hatte weder den Joseph, noch die Maria zuvor
gesehen.
Nach einer Weile sagte er mit ganz stotternder Stimme erst:
„Consulische Kaiserliche Hoheit! Auf deine Güte und Nachsicht bauend, muß ich
dir endlich beim Zeus und allen andern Göttern beteuern und eidlich bekennen,
daß ich den besagten Joseph samt der gewissen Maria nicht im geringsten kenne!
Denn mein Bekenntnis in Tyrus war nur eine leere Ausflucht, da ich damals noch
böswillig dich zu täuschen suchte.
Nun aber habe ich mich bei dir überzeugt, daß du durchaus nicht zu täuschen
bist; so hat sich denn auch mein Wille geändert, und ich habe dir demnach die
volle Wahrheit kundgetan!“
Hier winkte der Cyrenius dem reden wollenden Joseph, zu schweigen noch, und
sagte zum Maronius:
„Ja, wenn ich so mit dir stehe, da werden wir uns schon noch etwas länger
beschauen und besprechen müssen; denn nun erst erkenne ich dich als einen
vollkommen staatsgefährlichen Menschen! – Gebe mir daher nun Rede und Antwort
auf jegliche meiner Fragen eidlich!“
58. Kapitel – Maronius Pillas Verteidigungsrede
und guter Entschluß. Joseph als Schiedsrichter. Des Cyrenius edles Urteil.
2. November 1843
Der Maronius aber sagte darauf zum Cyrenius: „Consulische Kaiserliche Hoheit!
Wie wohl solle ich nun noch ein staatsverdächtiger Anhänger des Herodes sein?
Denn ich erkenne es ja nun, daß dieser Wüterich nach der Alleinherrschaft von
Asien strebt!
Sollte ich ihm dazu etwa behilflich sein? – Wie wäre da solches möglich? – Mit
der Handvoll Jerusalemer könnte sich Herodes höchstens über die Kinder der Juden
wagen!
Und diese Gewalttat hat ihm schon eine solche Schlappe beigebracht, daß er ein
ähnliches Unternehmen für alle Zeiten der Zeiten unterlassen wird!
Ich aber war ja ohnehin ein Werkzeug der Not und mußte handeln nach dem Willen
dieses Wüterichs, weil er mir mit Rom drohte!
Da ich aber nun von dir aus ganz klar weiß, wie die Sachen stehen, und zudem
auch keine Macht in meinen Händen habe und auch keine mehr haben will,
sehe ich fürwahr nicht ein, wie und auf welche Art ich noch ein
staatsgefährlicher Mensch sein sollte?!
Behalte du mich bei dir als ewige Geisel meiner Treue für Rom, und du machst
mich glücklicher, als so du mich wieder zum Landpfleger von Palästina und Judäa
machst!“
Diese Worte sprach der Maronius ganz ernstlich, und war seiner Rede keine
Zweideutigkeit zu entnehmen.
Darum sprach Cyrenius zu ihm: „Gut, mein Bruder, ich will dir glauben, was du
geredet hast; denn ich habe in deinen Worten nun viel Ernst gefunden!
Aber eines geht mir zur vollsten Bekräftigung der Wahrheit deiner Worte noch ab,
und das ist das Urteil jenes weisen Mannes, dessen ich dir schon in Tyrus
erwähnt hatte.
Und siehe, dieser Mann, dieses Orakel aller Orakel, steht vor uns hier!
Dieser Mann hat dich bis in die innerste Gedankenregung durchschaut; darum
wollen wir nun ihn fragen, was er von dir hält!
Und dir solle nach seinem Ausspruche geschehen! Setzt er dich wieder zum
Landpfleger in Jerusalem ein, so bist du heute noch zum Landpfleger von
Jerusalem ernannt;
tut er aber das aus höchst weisen und guten Gründen nicht, so bleibst du meine
Geisel!“
Hier wurde darum Joseph gefragt, und er sprach: „Edelster Freund Cyrenius! Von
mir aus ist Maronius nun rein, und du kannst ihm wieder seine Stelle geben ohne
Bedenken!
Wir aber stehen in der Hand des allmächtigen, ewigen Gottes; welche Macht solle
sich da gegen uns auflehnen können?“
Hier hob Cyrenius seine Hand auf und sprach: „So schwöre ich denn auch dir,
Maronius Pilla, beim lebendigen Gotte dieses Weisen, daß du von nun an wieder
Landpfleger von Jerusalem bist!“
Maronius aber sprach: „Gebe dies Amt einem anderen, und behalte mich als deinen
Freund bei dir; denn das macht mich glücklicher!“
Und der Cyrenius sprach: „So sei denn mein Amtsgefährte, solange Herodes leben
wird, und dann erst Oberpfleger vom ganzen Judenlande!“ – Und der Maronius nahm
diesen Antrag dankbar an.
59. Kapitel – Josephs Frage nach Herodes.
Maronius Pillas Antwort. Die Leidenskrone und das schreckliche Ende des Herodes.
3. November 1843
Nachdem aber sprach Joseph zum Maronius: „Da ich nun durch die große Gnade
meines Gottes und meines Herrn dich erkannt habe, daß in dir kein arger Wille
mehr haftet,
so gebe du mir kund, wie du es wahrgenommen wirst haben, wie da des Herodes Herz
beschaffen ist gegen die Kinder, die er gemordet hat wegen des neuen Königs der
Juden?
Ist es nicht erweicht worden durch das unschuldigste Blut der Kinder, durch das
Wehklagen der Mütter?!
Was würde er tun, so er durch eine neue Nachricht erführe, daß er unter den
vielen gemordeten Kindern dennoch das rechte nicht ermordet hat?!
Wenn er erführe, daß das rechte Kind ganz wohlbehalten irgend in Judäa oder
Palästina noch lebe?!“
Hier sah der Maronius den Joseph ganz verdutzt an und sprach nach einer Weile:
„Wahrhaft tiefweisester Mann! da kann ich dir nichts anderes sagen als:
So du von deiner Weisheit den allerübelsten Gebrauch machen und von Herodes
zehntausend Pfund Goldes verlangen möchtest dafür, daß du ihm mit Bestimmtheit
das rechte Kind verrietest;
fürwahr, du würdest diese enorme Goldsumme im voraus erhalten!
Denn das Gold ist dem Wüterich nichts gegen seine Herrschlust.
Da er des Goldes so viel hat, daß er Häuser aus purem Golde bauen könnte, so
achtet er es kaum; aber wenn er sich den Thron sichern könnte, da möchte er all
sein Gold ins Meer werfen und dafür eine Welt voll Menschen erschlagen!
Siehe, auch mich wollte er anfangs schwer bestechen mit Gold, Diamanten, Rubinen
und größten Perlen;
allein meine echt römische Patriziertugend verwies solches streng dem alten
Bluthunde!
Das entflammte aber seinen Zorn noch mehr, und er drohte mir dann aus seinem
patriotischen Scheingrunde mit Rom!
Dann erst mußte ich tun, was er wollte, und war mir kein Ausweg möglich; denn er
gab mir aus eigener Hand eine Urkunde, laut welcher er die ganze Rechnung mit
Rom auf sich nahm.
Darum war ich gezwungen zu handeln, wie es dir sicher bekannt ist.
Daß aber demnach von seinem Herzen bis zur Stunde nichts Gutes zu erwarten ist,
des kannst du vollends versichert sein!
Ich glaube, mehr brauche ich dir, der du ein so tiefst Weiser bist, kaum
kundzugeben von diesem wahren Könige aller Furien, von diesem lebendigen
Medusenhaupte!“
Und der Joseph sprach: „Der ewig einige, wahre Gott segne dich für diese
getreuen Worte!
Glaube es mir, du wirst dich überzeugen: Gott, der ewig Gerechte, wird diesem
Auswurfe der Menschheit noch auf der Welt eine Krone, nach der er so blutdürstig
ist, aufs Haupt setzen, vor der sich alle Welt wundern wird!“ –
Hier hob das Kindlein Seine Hand hoch auf und sprach wieder ganz deutlich:
„Herodes, Herodes! – Ich habe keinen Fluch für dich; aber eine Krone auf dieser
Welt sollst du tragen, die dir zur großen Qual wird und schmerzlicher denn die
Last des Goldes, die du nach Rom zahlen mußtest!“
Zur Zeit, als das Kindlein dieses in Ägypten ausgesprochen hatte, ward Herodes
mit Läusen übersät, und sein Gesinde hatte durch das noch übrige Leben des
Herodes nichts zu tun, als ihn von den Läusen zu reinigen, die sich stets
mehrten und endlich auch seines Leibes Tod herbeiführten. – –
60. Kapitel – Des Cyrenius Grimm über Herodes
und des Jesuskindes beruhigende Worte. Des Kindleins Frage: „Wer hat den
längsten Arm?“
4. November 1843
Als der Cyrenius aber solches von Maronius Pilla vernommen hatte und den
Ausspruch Josephs und des Kindleins, da entsetzte er sich förmlich und sprach:
„O ihr ewigen Mächte eines allerhöchsten Beherrschers der Unendlichkeit! Habt
ihr denn keine Blitze mehr, um sie über dieses Scheusal von einem Vasallen Roms
zu schleudern?!
O Augustus Caesar, mein guter Bruder! – Welche Furie hat denn dir damals deine
Augen geblendet, als du dieses Scheusal, diesen Auswurf aus dem untersten
Tartarus, aus dem wahren Orkus mit Palästina und Judäa belehntest?!
Nein, nein, das ist zuviel auf einmal zu vernehmen! – Maronius! – warum sagtest
du mir damals nichts davon, als Herodes in Tyrus vor meinem Verhöre stand?!
Standrechtlich hätte ich ihm da augenblicklich das Medusenhaupt vom Rumpfe
schlagen lassen!
Und lange schon stünde ein würdiger Vasall an der Stelle dieses Scheusals aus
Griechenland!
Was aber kann ich jetzt tun? Seine Buße hat er geleistet; ich kann ihm nun keine
zweite auferlegen, darf ihn nicht weiter strafen!
Warte aber, du alter Bluthund, du Hyäne aller Hyänen, auf dich solle eine Jagd
gemacht werden, von welcher es allen Furien noch nie etwas geträumt hat!“
Maronius, Joseph und Maria bebten vor dem Grimme des Cyrenius; denn sie wußten
nicht, was alles der Cyrenius etwa unternehmen wird.
Auch getraute sich niemand, nun eine Frage an ihn zu stellen; denn zu aufgeregt
war sein Gemüt.
Das Kindlein allein äußerte keine Furcht vor der gewaltigen Stimme des Cyrenius,
sondern sah ihm stets ruhig ins Gesicht.
Und als sich des Cyrenius Sturm etwas gelegt hatte, da sprach auf einmal das
Kindlein wieder ganz deutlich zum Cyrenius:
„O Cyrenius! Höre Mich an! – Komme her zu Mir, nehme Mich auf deine Arme, und
trage Mich hinaus ins Freie, dort werde Ich dir etwas zeigen!“
Diese Worte flossen wie Balsam auf das wunde Herz des Cyrenius, und er ging
sobald mit offenen Armen hin zum Kindlein, nahm Es voll Liebe gar sanft auf
seine Arme und trug Es unter der Begleitung des Joseph, der Maria und des
Maronius Pilla hinaus ins Freie.
Im Freien bald angelangt, fragte das Kindlein sogleich den Cyrenius mit
deutlichen Worten:
„Cyrenius, wer von uns beiden hat denn wohl den längsten Arm? Messe den Meinen
gegen den deinen!“
Den Cyrenius befremdete diese Frage, und er wußte nicht, was er darauf dem Kinde
antworten sollte; denn er sah doch offenbar den seinigen für dreimal so lang an,
als beide des Kindes zusammengenommen.
Das Kindlein aber sprach wieder: „Cyrenius! du siehst deinen Arm für viel länger
als den Meinigen an?!
Ich aber sage dir, daß der Meinige dennoch um vieles länger ist als der deinige!
Siehst du dort in tüchtiger Ferne von uns eine hohe Säule, geziert mit einem
Götzen?
Lange von hier mit deinem längeren Arme hin, reiße sie nieder, und zermalme sie
dann mit deinen Fingern!“
Cyrenius, noch betroffener als früher, aber sprach nach einer kurzen Pause: „O
Kindlein, Du mein Leben, das ist außer Gott wohl niemandem möglich!“
Das Kindlein aber streckte sobald Seinen Arm nach der Säule, die gut tausend
Schritte entfernt stand, und die Säule stürzte nieder und ward sobald zu Staube!
Und das Kindlein sprach darauf: „Also kümmere dich nicht vergeblich um den
Herodes; denn Mein Arm langt ja weiter als der deinige! Herodes hat seinen Lohn;
du aber vergebe ihm, wie Ich ihm vergeben habe, so wirst du besser fahren, denn
auch er ist ein blinder Erdensohn!“ – Diese Worte nahmen dem Cyrenius allen
Groll, und er fing an, heimlich das Kind ganz förmlich anzubeten. –
61. Kapitel – Maronius Pillas Entsetzen und
Josephs Frage. Das heidnische Bekenntnis des Maronius. Josephs bescheidene
Erklärung. Des Cyrenius Mahnung zur Vorsicht.
6. November 1843
Der Maronius Pilla aber entsetzte sich über diese wunderbare Erscheinung so
sehr, daß er am ganzen Leibe bebte wie das Laub der Espe bei einem gewaltigen
Sturme.
Joseph aber ersah bald des Maronius große Not, trat darum auch sobald zu ihm hin
und sprach:
„Maronius Pilla! warum bebest du denn nun gar so sehr? Hat dir jemand etwas
zuleide getan?“
Und der Maronius erwiderte dem Joseph: „O Mann, der du deinesgleichen nicht hast
auf Erden, du hast es leicht; denn du bist ein Gott, dem alle Elemente gehorchen
müssen!
Ich aber bin nur ein sterblicher schwacher Mensch, dessen Leben, so wie die
Existenz jener Säule, in deiner Hand steht!
Mit deinem Gedanken kannst du mich, wie sicher eine ganze Welt, im Augenblicke
vernichten!
Wie sollte ich da nicht beben vor dir, da du sicher der mächtige Urvater aller
unserer Götter bist, so sie irgend wirklich existieren sollten?!
Dem Jupiter Stator war jene Säule schon seit undenklichen Zeiten geweiht; alle
Stürme und Blitze bebten aus großer Ehrfurcht vor ihr zurück!
Und nun zerstörte sie sogar dein unmündiges Kind! – Kann aber dein Kind schon
solches, welche Macht muß erst in dir zugrunde liegen?!
Lasse dich daher anbeten von mir unwürdigstem Erdwurme!“
Joseph aber sprach: „Höre, Freund und Bruder Maronius, du bist in einer großen
Irre!
Ich bin nicht mehr als du, also nur ein sterblicher Mensch! – So du aber auf
dein Leben schweigen kannst vor aller Welt, da will ich dir etwas sagen!
Schweigst du aber nicht, so wird es dir nicht viel besser ergehen, als es jener
Säule ergangen ist!
Und so höre mich denn an, so du willst und es dir getrauest!“
Der Maronius aber bat den Joseph auf den Knien, ihm ja nichts zu erzählen; denn
es könnte ihm doch einmal irgend zufällig etwas entfallen, und da wäre er
verloren.
Joseph aber sprach: „Des sei völlig unbesorgt; der Herr Himmels und der Erde
züchtiget nie jemanden des Zufalls wegen!
Daher magst du ganz ohne Furcht mich anhören; was ich dir sagen werde, wird dich
nicht verderben, wohl aber erhalten für ewig!“
Und der Cyrenius das Kindlein anbetend, kosend auf seinen Händen noch, trat hin
zum Joseph und sagte zu ihm:
„Mein größter und liebster Freund! Lasse du den Maronius nun, wie er ist; ich
selbst will ihn heute bei mir eher vorbereiten, und morgen kannst du ihm dann
erst die höhere Weihe geben!“
Und Joseph war damit einverstanden und begab sich dann mit der Gesellschaft
sobald wieder in das Wohnhaus.
62. Kapitel – Cyrenius und Joseph im
Liebeseifer ums Wohl einer Menschenseele. Josephs Worte über Bruder- und
Menschenliebe. Warum der Mensch zwei Augen, zwei Ohren, aber nur einen Mund hat.
7. November 1843
Am Abende aber sprach der Cyrenius zum Joseph: „Mein Freund, mein göttlicher
Bruder! Wie sehr leid ist es mir, daß ich heute nicht bei dir übernachten kann!
Und wie leid ist es mir, daß ich den morgigen Tag bis nach Mittag dem
Staatsgeschäfte widmen muß!
Aber um die dritte Stunde des Nachmittags werde ich mit Maronius wieder zu dir
kommen, und du wirst ihm dann auf meine Unterweihe die heilige Oberweihe geben!
Denn siehe, es liegt mir sehr viel daran, daß dieser sonst so kenntnisreiche
Mensch gerettet werde durch die heilige Lebensschule deines Gottes, die ich für
die allein wahre und lebendige halte!“
Und der Joseph sprach: „Ja, du hoher Freund, das ist recht und billig; denn
nichts ist dem Herrn angenehmer, als so wir unsere Feinde mit Liebe behandeln
und sorgen für ihr zeitliches und ewiges Wohl!
Betrachten wir jeden Sünder als einen irrenden Bruder, so wird uns auch Gott als
Seine irrenden Kinder betrachten,
im Gegenteile aber nur als böswillige Geschöpfe, die da allzeit Seinen Gerichten
unterliegen und werden getötet gleich den Ephemeriden!
Denn siehe, darum hat der Herr uns Menschen zwei Augen gegeben und nur einen
Mund zum Reden, auf daß wir mit dem einen Auge nur die Menschen als Menschen,
mit dem andern aber als Brüder betrachten sollen!
Fehlen die Menschen vor uns, da sollen wir das Bruderauge offen halten und das
Menschenauge schließen;
fehlen aber die Brüder vor uns, da sollen wir das Bruderauge schließen und das
Menschenauge auf uns selbst richten und uns alsonach selbst gegenüber den
fehlenden Brüdern als fehlende Menschen ansehen.
Mit dem einen Munde aber sollen wir alle gleich einen Gott, einen Herrn und
einen Vater bekennen, so wird Er uns als Seine Kinder anerkennen!
Denn auch Gott hat zwei Augen und einen Mund; mit dem einen Auge sieht Er Seine
Geschöpfe – und mit dem andern Seine Kinder!
Beschauen wir uns mit dem Bruderauge, da sieht uns der Vater mit dem Vaterauge
an;
beschauen wir uns aber mit dem Menschenauge, da sieht uns Gott nur mit dem
Schöpferauge an, und Sein eben auch nur ein Mund kündet den Kindern Seine Liebe,
oder aber den Geschöpfen Sein Gericht!
Also ist es recht und billig, daß wir also für unseren Bruder Maronius sorgen!“
Hier segnete Joseph den Cyrenius und den Maronius; die beiden begaben sich dann
in die Stadt mit ihrer Suite, – und Joseph bestellte sein Hauswesen.
63. Kapitel – Jakobus als Kindsmagd an der
Wiege des Kindleins; seine Neugier und seine Zurechtweisung durch das Kindlein.
Des Jakobus Ahnung, wer da im Kinde ist.
8. November 1843
Am Abende legte Maria das schon müde gewordene Kindlein in die Wiege, die der
Joseph schon zu Ostracine verfertigt hatte.
Und Josephs jüngster Sohn mußte gewöhnlich die Kindsmagd machen und wiegte auch
jetzt das Kindlein, auf daß Es einschlafen möchte.
Und Maria ging in die Küche, um ein nötiges Nachtmahl zu bereiten.
Der wiegende Sohn Josephs aber hätte gerne gehabt, daß das Kindlein diesmal
etwas früher einschlafen möchte, weil er gerne mit seinen Brüdern draußen die
Beleuchtung eines Triumphbogens geschaut hätte, der mittlerweile unfern der
Villa dem Cyrenius ist errichtet worden.
Er wiegte daher das Kindlein fleißig und sang und pfiff dabei.
Aber das Kindlein wollte dennoch nicht einschlafen; wann er mit dem Wiegen
innehielt, da fing das Kindlein sich gleich wieder zu rühren an und zeigte dem
Wieger an, daß Es noch nicht schlafe.
Das brachte unsere männliche Kindsmagd beinahe zur Verzweiflung, indem es
draußen vor lauter brennender Fackeln schon ganz helle geworden war.
Er beschloß daher, das Kindlein, wenn Es auch noch wache, ein wenig zu
verlassen, um das Spektakel draußen ein wenig anzugaffen.
Als sich also unser Jakob aber erhob, da sprach das Kindlein: „Jakob, wenn du
Mich nun verläßt, so solle es dir übel ergehen!
Bin Ich denn nicht mehr wert als das törichte Spektakel draußen und deine eitle
Neugier?
Siehe, alle Sterne und alle Engel beneiden dich um diesen Dienst, den du Mir nun
erweisest, und du bist voll Ungeduld über Mich und willst Mich verlassen? –
Wahrlich, so du das tust, da bist du nicht wert, Mich zum Bruder zu haben!
Gehe nur hinaus, wenn dir das Spektakel der Welt lieber ist als Ich!
Siehe, das ganze Zimmer ist voll Engel, die da bereit sind, Mir zu dienen, wenn
dir dein kleiner und leichter Dienst an Mir lästig ist!“
Diese Rede benahm dem Jakob plötzlich alle Lust zum Hinausgehen;
er blieb daher an der Wiege und bat das Kindlein förmlich um Vergebung und
wiegte Es fleißig wieder fort.
Und das Kindlein sprach zum Jakob: „Es sei dir alles vergeben; aber ein anderes
Mal lasse dich ja nimmer von der Welt bestechen!
Denn Ich bin mehr als alle Welt, alle Himmel und alle Menschen und Engel!“
Diese Worte brachten unseren Jakob beinahe ums Leben; denn er wurde leise
gewahr, Wer da sicher hinter dem Kinde stecke.
Nun aber kamen auch schon Maria und Joseph und die andern vier Söhne Josephs ins
Zimmer und setzten sich zum Tische; Jakob aber erzählte sogleich, was ihm
begegnet ist.
64. Kapitel – Josephs Rede über die Liebe zu
Gott und die Liebe zur Welt. Seine Hinweise auf David, Salomo und Cyrenius. Die
Rührung der Söhne Josephs und der Segen des Jesuskindleins.
9. November 1843
Als der Jakob mit seiner Erzählung zu Ende war, da sprach Joseph zum Jakob:
„Ja, also ist es und ist auch allzeit also gewesen und wird allzeit also sein;
man muß Gott mehr lieben, im geringsten Teile schon, als alle Herrlichkeiten der
Welt!
Denn was geben einem Menschen auch alle die schreienden Herrlichkeiten der Welt?
David selbst mußte flüchten vor seinem eigenen Sohne, und Salomo mußte bitter am
Ende die Ungnade des Herrn empfinden, weil er zu sehr den Herrlichkeiten der
Welt nachhing!
Gott aber schenkt uns zu jeder Sekunde ein neues Leben; wie sollten wir Ihn da
nicht im geringsten Teile mehr lieben als alle Welt, die vergeht und ist voll
Aases und Unrates!
Wir aber sind ja unter uns alle überzeugt, daß dies unser Kindlein von Oben ist
und heißet Gottes Sohn.
Es ist somit kein geringer Teil Gottes; daher ist es auch billig, daß wir Es
mehr lieben als alle Welt!
Sehet an den Heiden Cyrenius! – Nicht uns gilt das, was er an uns tut, sondern
dem Kindlein; denn sein Herz sagt es ihm, daß nach seinem Begriffe ein
allerhöchstes Gottwesen mit diesem unserem Kinde in engster Verbindung stehe,
darum er Es dann fürchtet und liebt.
Tut aber solches schon ein Heide, um wieviel mehr müssen wir erst desgleichen
tun, die wir vollends wissen, woher dies Kindlein kam, Wer Sein Vater ist. –
Daher solle allzeit all unser Augenmerk auf dies Kindlein gerichtet sein; denn
das Kind ist mehr als wir und alle Welt!
Nehmt euch an mir ein Beispiel, und sehet, welche schweren Opfer ich alter Mann
alle schon diesem Gotteskinde gebracht habe!
Aber ich brachte sie leicht und mit großer Liebe, weil ich Gott mehr liebe als
alle Welt!
Haben wir aber dadurch je irgend etwas verloren? – O nein! Wir haben noch nach
jedem Opfer gewonnen!
Also denket und tut auch ihr alle dasselbe, und ihr werdet nie etwas verlieren,
sondern allzeit nur hoch gewinnen!
Zudem ist dies Kind ja ohnehin so sanfter Art, daß es wahrlich eine höchste
Freude ist, bei Ihm zu sein!
Nur höchst selten weint Es laut! Es ist noch nie krank gewesen; und wenn man Es
lockt, so sieht Es so munter und fröhlich umher und lächelt jeden Menschen
allzeit so herzlich an, daß man dadurch zu Tränen gerührt wird.
Und jetzt, da Es auch wunderbar auf einmal zu reden hat angefangen, möchte man
Es ja gar erdrücken vor lauter Liebe!
Daher also, meine Kinder, bedenket wohl, wer dieses Kindlein ist, und wartet und
pfleget Es ja sorgfältigst!
Denn sonst könnte Es euch gebührendermaßen strafen, wenn ihr Es, als unser
höchstes Gut, geringer achten möchtet als alle die nichtssagenden Torheiten der
Welt!“
Diese Rede brachte alle die fünf Söhne zum Weinen, und alle standen vom Tische
auf und umlagerten die Wiege des Kindes.
Das Kindlein aber sah Seine Brüder auch gar freundlichst an und segnete sie und
sprach: „O Brüder, werdet Mir gleich, wollet ihr ewig glücklich sein!“ – Und die
Brüder weinten und aßen nichts am selben Abende.
65. Kapitel – Joseph mahnt zur Nachtruhe. Des
Kindleins Aufforderung zu wachen wegen eines bevorstehenden Sturmes. Der
Ausbruch des Orkans. Die Ankunft des flüchtenden Cyrenius.
10. November 1843
Die Söhne Josephs aber wollten nicht mehr die Wiege verlassen; denn zu mächtig
ergriff sie die Liebe zu ihrem göttlichen kleinen Bruder!
Da es aber schon ziemlich spät geworden war, da sprach der Joseph zu den Söhnen:
„Ihr habt nun hinreichend gezeigt, daß ihr das Kindlein liebet!
Es ist schon spät in die Nacht geworden, und morgen wird es wieder früh Tag
werden; daher möget ihr euch im Namen des Herrn zur Ruhe begeben!
Das Kindlein schläft nun bereits, stellet behutsam die Wiege an das Bett der
Mutter, und begebet euch dann in euer Schlafgemach!“
Solches hatte der Joseph noch kaum ausgesprochen, da schlug das Kindlein die
Augen auf und sprach:
„Bleibet für diese Nacht alle hier, und behaltet die Schlafstube für Fremde, die
heute hier noch die Zuflucht nehmen werden!
Denn bald wird ein allergewaltigster Sturm diese Gegend heimsuchen, desgleichen
noch nie in dieser Gegend erhöret ward!
Aber niemand von euch fürchte sich; denn es wird darum niemandem ein Haar
gekrümmt werden!
Versperret aber darum ja keine Türe, auf daß die Flüchtlinge sich in diesem
Hause zu retten vermöchten!“
Joseph erschrak über diese Vorsage des Kindes und eilte sogleich hinaus, um zu
sehen, von woher das Gewitter kommen würde.
Als er aber draußen war, bemerkte er nirgends ein Wölklein; der Himmel war rein,
und kein Lüftchen regte sich.
Eine Grabesstille war über die ganze Gegend verbreitet, und von einem
herannahenden Sturme war ewig nirgends eine Rede.
Joseph kehrte darum sobald zurück, gab Gott die Ehre und sagte:
„Das Kindlein wird vielleicht geträumt haben; denn von einem Sturme ist nirgends
eine Rede!
Der Himmel ist rein nach allen Seiten, und kein Lüftchen regt sich; woher solle
da ein Sturm werden?!“
Kaum hatte Joseph noch diese Worte ausgesprochen, da geschah auf einmal ein
Knall wie von tausend Donnern; die Erde erbebte so gewaltigst, daß in der Stadt
mehrere Häuser und Tempel zusammenstürzten.
Gleich darauf fing ein so heftiger Orkan zu wüten an, daß er das nahe Meer in
die Stadt ellenhoch trieb; und alles Volk, durch den gewaltigsten Erdstoß
geweckt, eilte hinaus aus der Stadt auf die höher liegenden Orte.
Und der Cyrenius selbst mit Maronius und seinem ganzen Gefolge kam bald eiligst
fliehend in die Villa zum Joseph und erzählte ihm flüchtig die Schauderszenen,
die das Erdbeben und der Sturm bewirkten.
Joseph aber beruhigte den Cyrenius dadurch, daß er ihm sogleich kundgab, was das
Kindlein ehedem geredet hatte. – Hier fing der Cyrenius leichter zu atmen an,
und das Toben des Sturmes erschreckte ihn nicht mehr; denn er fühlte sich wie
wohlgeborgen.
66. Kapitel – Der tobende Sturm. Das schlafende
Kindlein. Des Cyrenius Besorgnis. Das Kindlein: „Die Stürme müssen sein ...“.
Ein Evangelium der Natur und des Gottvertrauens.
Als der Cyrenius sich nun so ganz wieder erholt hatte, ging er hin zur Wiege und
betrachtete das Kind, in seiner Brust großer Gedanken voll.
Das Kindlein aber schlief ganz ruhig, und das entsetzliche Toben des Sturmes
beirrte Es nicht im Schlafe.
Es fing aber in kurzer Zeit der Orkan so heftig an das Gebäude zu stoßen, daß
Cyrenius einen Einsturz befürchtete.
Er sprach daher zum Joseph: „Erhabener Freund! Ich meine, dem steten Zunehmen
der Gewalt des Sturmes zufolge sollten wir doch lieber dies Gebäude verlassen!
Denn wie leicht kann eine mächtige Windhose dieses wenn auch feste Gebäude
ergreifen und uns alle unter dem Schutte desselben begraben!
Daher ergreifen wir lieber frühzeitig die Flucht, da wir denn doch nicht sicher
sein können davor, als könnte so etwas hier nicht ebenso gut geschehen wie in
der Stadt!“
Hier schlug das Kindlein plötzlich wieder Seine himmlisch göttlichen Augen auf
und erkannte sogleich den Cyrenius und sprach gar deutlich zu ihm:
„Cyrenius! – Wenn du bei Mir bist, brauchst du dich nicht zu fürchten vor diesem
Sturme;
denn die Stürme auch liegen, wie alle Welt, in der Hand deines Gottes!
Die Stürme müssen sein und müssen verscheuchen das ausgebrütete Böse der Hölle
leibhaftig!
Aber denen, die um Mich sind, können sie nimmer zu Leibe; denn auch die Stürme
kennen ihren Herrn und tun nicht planlos, was sie tun.
Denn der Eine, der höchst liebevoll, weise und allmächtig ist, hält ihre Zügel
in Seiner Hand.
Daher sei ohne Furcht, Mein Cyrenius, hier bei Mir, und sei versichert, daß da
niemandem auch nur ein Haar gekrümmet wird!
Denn diese Stürme wissen es genau, Wer hier zu Hause ist.
Siehe, haben die Menschen doch heute abend sogar dir, der du doch nur ein Mensch
bist, eine feurige Ehrung dargebracht!
Hier aber ehren die Stürme Jemanden, der mehr ist als nur ein Mensch! – Findest
du das unbillig?
Siehe, das ist ein Loblied der Natur, die ihren Herrn und Schöpfer preist! Ist
das nicht billig?
O Cyrenius, die Luft, die dich anweht, verstehet auch Den, der sie erschuf;
darum kann sie Ihn auch preisen!“ –
Diese Worte des bald wieder einschlafenden Kindleins machten alles verstummen,
und Cyrenius kniete sich zur Wiege nieder und betete heimlich das Kindlein an.
67. Kapitel – Die Schreckensnachricht der
Eilboten. Das blutige Verlangen der heidnischen Götzenpriester. Cyrenius im
Zwiespalt zwischen Herz und Welt. Des Kindleins Rat.
13. Oktober 1843
Also verging eine ruhigere Stunde, und man kümmerte sich nicht mehr zu sehr um
das Wüten und Toben des Sturmes draußen.
Nach dem Verlaufe von einer Stunde aber kamen Eilboten zum Cyrenius ins Haus
Josephs und erzählten, sagend:
„Hoher, mächtiger Herr! Unerhörte Dinge geschehen:
Feuer bricht an mehreren Orten aus der Erde;
fliegende Feuersäulen werden von dem Orkane hin und her getrieben und zerstören
alles, was sie erreichen!
Nichts ist fest und stark genug, ihrer entsetzlichen Kraft zu widerstehen!
Die Priester haben gesagt: Alle gesamten Götter hätten sich erzürnt und wollen
uns alle vernichten!
Also ist es aber auch; denn man hört deutlich das Gebelle des Cerberus, und die
Furien tanzen schon allenthalben herum! Der Vulkan hat seine Essen auf die
Oberwelt gerichtet!
Seine mächtigen Zyklopen zertrümmern mutwillig die Häuser und die Berge!
Und der Neptun hat alle seine Macht zusammen in eine vereint!
Gleich Bergen erhebt er das Meer und will uns alle ertränken!
Wenn nicht plötzlich große Menschenopfer den überaus erzürnten Göttern
dargebracht werden, so ist es um uns alle geschehen!
Tausend Jünglinge und tausend Jungfrauen haben die Priester zur Sühnung
bestimmt; und wir sind darum in aller Eile an dich abgesandt, auf daß wir von
dir das Fiat empfangen sollen!“
Der Cyrenius erschrak über diese Botschaft ganz gewaltig und wußte nicht, was er
nun beginnen solle.
Dem Priesterrufe getraute er sich der Staatspolitik wegen nicht schnurgerade zu
widersetzen;
das Opfer aber zu billigen, war seinem Herzen noch unmöglicher, als den
Priestern zu widersprechen.
Er wandte sich daher an das Kindlein, welches eben wach geworden war, und fragte
Es um einen Rat in dieser schrecklichen Sache.
Das Kindlein aber sprach: „Sei ruhig! Denn in einer Minute wird sich der Sturm
legen, und die, welche Menschen schlachten wollten, sind nicht mehr! Daher sei
ruhig, Mein Cyrenius!“
68. Kapitel – Des Cyrenius Antwort an die
Boten. Die drei blutrünstigen Priester drängen auf Opferung. Die weise
Entscheidung des Cyrenius. Die Qual der zweitausend Opfer.
14. November 1843
Die Eilboten aber warteten noch immer auf den Opferbefehl des Cyrenius.
Cyrenius aber erhob sich von der Wiege und sprach zu den Eilboten:
„Gehet hin zu den Priestern, und überbringet mir die Liste der zum Opfer
bestimmten Jünglinge und Mädchen;
denn ich muß mich überzeugen, ob die Wahl gerecht ist!“
Die Eilboten rannten davon bei schon gänzlich eingetretener Ruhe des Sturmes.
In der Stadt angelangt, fanden sie aber das Priestergebäude zu ihrem Entsetzen
schon in einen mächtigen Schutthaufen verwandelt, unter dem bis auf drei
Unterpriester alle anderen höheren Priester ihren Untergang fanden.
Die Eilboten kehrten darum bald um und brachten dem Cyrenius die Nachricht, was
da mit den Priestern geschehen ist.
Cyrenius, nun völligst überzeugt von der Richtigkeit der Aussage des Kindleins,
wußte nun nicht, was er tun solle, und wollte wieder das Kindlein um Rat fragen.
Aber in dem Augenblick kamen auch die drei noch übriggebliebenen Unterpriester;
diese fragten nun auch eiligst, was da zu tun sein werde, indem ein neuer
Erdstoß alle die frommen Diener der Götter in ihrem Palaste begraben hatte,
während sie schon zur großen Opferung ausgerüstet waren.
„Die tausend Jünglinge und die tausend Mägde stehen schon zur großen Opferung an
jenem Platze bereitet, an dem die Säule des Jupiter stand, nun aber auch völlig
vernichtet ist!
Soll die Opferung sobald oder erst beim Aufgange der Sonne vorgenommen werden!?
Aufgehoben kann sie auf keinen Fall werden, da dadurch die Götter ob des
Undankes und wegen der Menschen Treulosigkeit in einen noch größeren Zorn sicher
geraten könnten!“
Und der Cyrenius erwiderte den drei Unterpriestern:
„Heute darf die Opferung auf keinen Fall unternommen werden und morgen früh bei
Todesstrafe nicht eher, als bis ich persönlich dazu den Befehl erteilen werde!“
Darauf verließen die drei Unterpriester den Cyrenius und begaben sich auf den
Platz, allda die armen Opfer weinten und wehklagten und aus großer Marter- und
Todesangst die Hände zu den Göttern rangen, daß sie verschont werden möchten.
Cyrenius aber konnte kaum den nächsten Morgen erwarten; denn ihn dauerten die
geängsteten Opfer zu sehr, da sie eine solche Schauernacht zu bestehen haben! –
–
69. Kapitel – Die angstvolle Nacht der jungen
Menschenopfer. Die drei teuflischen Götzendiener. Cyrenius voll Empörung spricht
sein Urteil: Freiheit den Opfern, Tod den drei Priestern!
15. November 1843
Die drei Unterpriester aber, als sie auf den Opferplatz gelangten, verkündeten
den Opferwachen sogleich, wie den armen von aller Todesangst übermannten jungen
Opfern, daß die vorbestimmte und unabänderliche Opferung erst am nächsten Morgen
desto bestimmter vorgenommen werde, weil solche der hohe Cyrenius selbst also
angeordnet habe.
In welche Stimmung diese Nachricht die zweitausend Opfer versetzt hat, braucht
keiner näheren Beschreibung für den, der es aus der geschichtlichen Tradition
weiß, daß derlei Opfer zur Versöhnung verschiedenartiger Götter auch sehr
verschiedenartig gemartert und getötet wurden.
(Es dürfte für manchen zu empörend sein, alle die bei tausend verschiedenen
Marterarten zu vernehmen; daher wollen wir sie auch übergehen.
Dafür aber wollen wir sogleich mit dem Cyrenius und dem Maronius und Joseph am
frühen Morgen den Opferplatz besuchen und uns dort ein wenig umsehen! –)
Am frühesten, überaus heiteren Morgen begaben sich die drei Obenerwähnten an den
vorbestimmten Opferplatz.
Mit der größten Erbitterung vernahm der Cyrenius schon von der Ferne das
entsetzliche Angstgeschrei der zu opfernden Jugend.
Er beschleunigte daher seine Schritte, um ja baldmöglichst dieser Schauderszene
ein Ende zu machen.
Auf dem Platze angelangt, entsetzte er sich über das unmenschliche Gefühl der
drei Unterpriester, welche schon mit der größten Sehnsucht des Cyrenischen
Befehls zum Würgen harrten.
Cyrenius ließ die Priester sogleich zu sich kommen und fragte sie: „Sagt mir,
dauert euch diese herrliche Jugend gar nicht, so sie allergrausamst ermordet
werden sollte? – Habt ihr für sie kein Mitleid in eurer Brust?!“
Und die Priester sprachen: „Wo die Götter fühlen, da hat es mit dem
Menschlichkeitsgefühle ein Ende!
Den Göttern ist der Menschen Leben nichts – und oft nur ein Greuel; daher stimmt
das uns, ihre Diener auf Erden, nach ihrer Art, und wir können daher kein
Erbarmen in uns tragen,
wohl aber nur eine Wonne und einen Jubel in dem, wie wir den Göttern pünktlichst
zu dienen vermögen!
Also freuen wir uns auch schon jetzt über die Maßen auf die Schlachtung dieser
ohnehin selten von den hohen Göttern verlangten Opfer!“
Diese Äußerung versetzte dem Cyrenius einen so mächtigen Stoß aufs Herz, daß er
vor Zorn über diese Priester zu beben anfing.
In kurzer Zeit sich ermannend aber sprach er wieder zu den Priestern: „Wie aber,
wenn Zeus selbst sich hier befände und schenkte diesen Opfern das Leben! – was
würdet ihr dann tun?“
Und die Priester erwiderten: „Dann müßte die Opferung um so bestimmter
vorgenommen werden, weil das nur eine Prüfung für unseren priesterlichen
Diensteifer wäre!
Würden wir dann uns der bestimmten Opfer erbarmen, so würde uns Zeus als Frevler
ansehen und uns vernichten mit Blitz und Donner!“
Cyrenius aber fragte die Priester weiter und sprach: „Was haben denn die andern
hohen Priester vor den Göttern dann verbrochen, daß sie so übel sind in ihrem
Palaste getötet worden?“
Und die Priester erwiderten: „Weißt du denn nicht, daß über allen Göttern und
ihren Priestern noch ein unerbittliches Fatum herrschet?!
Dieses hat die Priester getötet, wie ehedem die Götter aufgereizt; die Götter
aber kann es nicht töten, wohl aber die noch hie und da sterblichen Priester!“
„Gut“, sprach Cyrenius, „heute nach Mitternacht kam das Fatum zu mir und
erteilte mir den Befehl, aller dieser Jugend das Leben zu schenken – und dafür
euch zu opfern, und das so bestimmt, als ich Cyrenius heiße und mein Bruder
Julius Augustus Caesar als oberster Consul und Kaiser in Rom herrschet! – Was
saget ihr denn zu dieser Kunde?!“
Diese Schreckenskunde machte die Priester erblassen und die andern Opfer wieder
zum Bewußtsein gelangen. – Denn hier ließ Cyrenius sogleich allen Opfern die
Freiheit verkünden, aber die drei Priester binden und für die Hinrichtung
vorbereiten. –
70. Kapitel – Josephs Milderungsversuch. Des
Cyrenius Grimm gegen die zum Tode verurteilten drei Priester. Das Flehen der
Verurteilten um Gnade.
16. November 1843
Joseph aber trat nun zum Cyrenius hin und fragte ihn, sagend: „Geachtetster
liebster Freund! Ist das dein vollkommenster Ernst, diese drei Götzenknechte zu
töten?“
Und der Cyrenius, voll Grimm gegen diese allergefühllosesten drei Menschentiger,
sprach zum Joseph:
„Ja, mein erhabenster Freund! Hier will ich ein Beispiel statuieren, daran alles
Volk erkennen solle, daß ich nichts so sehr ahnde als die gänzliche
Lieblosigkeit!
Denn ein Mensch ohne Liebe und ohne alles Mitleidsgefühl ist der Übel größtes
auf der Erde.
Alle reißenden Tiere sind Lämmer gegen ihn, und die Furien der Hölle sind nur
kaum schlechte Schüler gegen ihn zu nennen!
Darum erachte ich es auch als erste und oberste Pflicht eines wahren
Völkerregenten, derlei Scheusale auszurotten und gänzlich von der Erde zu
vertilgen!
Priester sollen das Volk ja aber nur ganz besonders in der Liebe unterrichten;
sie sollen jedermann mit einem guten Beispiele vorangehen!
Wenn aber diese ersten Volkslehrer und Leiter zu Furien werden, was solle dann
aus ihren Schülern werden?
Daher weg mit derlei Bestien! – Ich sinne nun nur auf die martervollste Todesart
nach; habe ich diese, sodann solle sogleich der Stab über sie gebrochen werden!“
Joseph aber getraute sich kaum mehr dem Cyrenius etwas einzuwenden, denn dieser
hatte diese Worte in einem zu mächtigen Ernste gesprochen.
Nach einer Weile aber fielen die drei Priester vor dem Cyrenius nieder und baten
ihn um Gnade unter der Versicherung, daß sie ihr Leben sicher ändern werden, und
seien auch bereit, auf der Stelle ihr Priestertum niederzulegen.
Für die Gewinnung der Gnade aber appellierten sie an das priesterliche Gesetz,
welches sie also und nicht anders zu handeln bestimmt habe.
Cyrenius aber sprach: „Meint ihr Bösewichte denn, ich kenne die Gesetze der
Priester nicht?!
Höret, das außerordentliche Opfergesetz lautet also: ,Wenn irgend ein Volk
ersichtlichermaßen den Göttern durch seine Ausschweifung untreu geworden ist und
die Götter dasselbe dann heimsuchen mit Krieg, Hunger und Pest, dann sollen die
Priester das Volk zur Besserung ermahnen.
Kehrt sich das Volk daran, da sollen es die Priester wieder segnen und dem Volke
zur Pflicht machen, zur Versöhnung der Götter gewisse Opfer an Gold, Vieh und
Getreide vor die Priester zu bringen, die dann diese Opfer weihen und dann damit
ein Rauchwerk machen sollen!
Sollte es jedoch irgend ein so hartnäckiges, unbekehrbares Volk geben, das da
der Priester spottete, da sollen die Priester die Spötter samt ihren Kindern
ergreifen lassen und sie in unterirdischen Gemächern mit der Zuchtrute
unterrichten sieben Monde lang!
Bekehren sich da die Frevler, so sollen sie wieder auf freien Fuß gesetzt
werden; bekehren sie sich aber nicht, da sollen sie durch das Schwert fallen –
und dann erst zur Sühne der Götter in die Flamme gelegt werden!‘
Lautet nicht also das alte weise Opfergesetz? – War hier Krieg, Hunger und Pest?
– War diese schöne Jugend abtrünnig den Göttern? Habt ihr sie zuvor sieben Monde
lang unterrichtet? – Nein!!! – Sondern aus Ehr- und Geilsucht wolltet ihr sie
töten; und darum müßt ihr sterben als die größten Frevler an eurem eigenen
Gesetze!“ – –
71. Kapitel – Josephs sanfter Einspruch an
Cyrenius unter Hinweis auf das Gericht des Herrn. Des Cyrenius Nachgeben. Die
scheinbare Verurteilung zum Tode am Kreuz als Besserungsmittel für die drei
Priester.
17. November 1843
Nach dieser Erklärung des Cyrenius trat abermals der Joseph zu ihm und sprach:
„Cyrenius, du mein großerhabner Freund und Bruder! – Ich meine, du sollst die
Strafe für diese drei Götzenknechte, welche wohl im Ernste böswillig sind, dem
Herrn überlassen;
denn glaube mir, niemand tut dem Herrn, dem allmächtigen Gott Himmels und der
Erde, einen wohlgefälligen Dienst, selbst dann nicht, wenn er den größten
Missetäter umbringen läßt!
Überlasse du daher unbesorgt dem Allmächtigen die gerechte Züchtigung dieser
drei, und der Herr wird dich segnen durch die Strafe, die Er diesen dreien nur
zu sicher wird zukommen lassen, wenn sie sich nicht zu einer übergroßen Reue und
völligen Umkehr wenden werden!
Gehen sie aber in sich zur wahren Reue und Umkehr zum einig wahren Gott über, so
können sie ja auch noch edle Menschen werden!“
Diese Worte Josephs brachten den Cyrenius zum Nachdenken darüber, was er so ganz
eigentlich tun solle.
Nach einer Weile beschloß er, die drei wenigstens einer starken Todesangst
auszusetzen als Reprise für die, welche sie der armen Jugend verursacht hatten.
Daher sprach er zum Joseph: „Mein innigster, mein erhabenster Freund und Bruder!
Ich habe nun deinen Rat wohl erwogen und werde ihn auch befolgen!
Aber nur für diesen Augenblick kann ich das nicht tun! – Ich muß diesen dreien
einmal den angedrohten Stab brechen und sie zu einem martervollsten Tode
verurteilen!
Haben sie erst eine vierundzwanzigstündige Todesangst ausgestanden, dann bitte
du mich laut vor allem Volke an diesem Richtplatze um die Gnade und um die
Aufhebung der Todesstrafe;
und ich werde dich offenbar erhören und dann nach der gesetzlichen Ordnung
diesen drei Wichten das Leben schenken!
Ich meine, also wird es recht sein; denn siehe, sogleich begnadigen kann ich sie
nicht, weil ich sie als schwarze Verbrecher am priesterlichen Gesetze erkannt
habe!
Nach dem Gesetze müssen sie das Todesurteil vernehmen; ist das geschehen, so
kann dann erst bei außerordentlichen Fällen die Begnadigung an die Stelle der
Exekution des Urteils treten.
Und so will ich mich sogleich an dieses Werk machen!“
Joseph billigte das, und der Cyrenius berief sogleich die Richter, die Liktoren
und die Büttel zu sich und sprach:
„Schaffet drei eiserne Kreuze her und Ketten; die Kreuze befestiget in dem Boden
und heizet vierundzwanzig Stunden um die aufgestellten Kreuze!
So diese in dieser Zeit die rechte Glühhitze haben werden, dann werde ich kommen
und die drei Frevler an die glühenden Kreuze aufziehen lassen! – Fiat.“
Darauf nahm der Cyrenius einen Stab, zerbrach ihn, warf ihn den dreien unter die
Füße und sprach:
„Nun habt ihr euer Urteil vernommen! Bereitet euch daher vor; denn ihr seid
solchen Todes würdig! Fiat.“
Wie tausend Blitze schlug dieses Urteil die drei; sie fingen an sogleich zu
heulen und zu wehklagen und alle Götter zu Hilfe zu rufen.
Sie wurden dann auch sogleich unter feste Wache genommen, und die Büttel gingen
sogleich ins Richthaus und schafften die anbefohlenen Marterwerkzeuge herbei.
Cyrenius, Joseph und Maronius aber begaben sich nach dem sogleich wieder nach
Hause.
72. Kapitel – Marias Zweifel an der Allmacht
des Jesuskindes. Josephs beruhigende Erzählung. Warum der mächtige Löwe von Juda
vor Herodes floh. Die Seligkeit der ermordeten Kindlein. Pillas Reife.
18. November 1843
Als sich Cyrenius mit Joseph und Maronius Pilla wieder der Villa näherte, ging
Maria mit dem Kinde auf dem Arme den dreien ganz ängstlich entgegen und fragte
sogleich den Joseph:
„Mein Joseph, mein geliebtester Gemahl! O sage mir, was da mit der Jugend
geschehen ist!
Denn wenn hier bei solchen sicher nicht selten vorkommenden Elementarstürmen
allzeit derlei Opferungen stattfinden, da sind ja auch wir nicht sicher mit
unserem Kinde!
Hat Es auch eine große Macht, – aber wir mußten uns doch trotz dieser Macht aus
Palästina vor dem Herodes flüchten!
Woraus ich denn auch den Schluß gemacht habe: Für gewisse Fälle hat das Kind
noch zuwenig Macht; daher liegt es da an uns, Es all den großen Gefahren zu
entziehen!“
Und der Joseph sprach zur Maria: „O du mein mir von Gott dem Herrn Selbst
angetrautes Weib, fürchte dich nicht darob!
Denn siehe, nicht ein Haar von der zur schmählichsten Sühnopferung bestimmten
Jugend ist ihr angetastet worden!
Unser lieber Cyrenius hat sogleich ihr die Freiheit gegeben und verurteilte
dafür die drei Priester, die gestern hier waren und die Einwilligung für die
Schlachtung der Jugend vom Cyrenius verlangten, zum allerschmerzlichsten
Glühkreuzestode!
Aber – unter uns gesagt – nur scheinhalber! – Morgen in der Frühe werden sie
anstatt der Exekution des Todesurteils die Begnadigung empfangen!
Und diese Lektion wird ihnen sicher zu einer vollsten Witzigung dienen, der
zufolge sie künftighin sicher kein ähnliches Götzensühnopfer in Vorschlag
bringen werden!
Daher also sei du, mein geliebtestes Weib, ganz völlig unbesorgt und denke: Der
Herr, der uns bis jetzt so sicher geführt hat, der wird uns auch in der Zukunft
nicht in die Macht der Heiden überliefern!“
Maria ward durch diese Worte Josephs vollkommen beruhigt, und ihr Gesicht
heiterte sich wieder auf.
Und das Kindlein lächelte der Mutter ins Angesicht und sprach zu ihr:
„Maria! – So jemand einen Löwen also gebändiget hätte, daß dieser ihn gleich
einem sanftmütigen Lasttiere herumtrüge,
meinst du wohl, daß es da löblich wäre, sich auf dem mächtigsten Rücken des
Löwen zu fürchten vor den flüchtigen Hasen?!“
Maria erstaunte über die tiefe Weisheit dieser Worte, aber sie verstand sie
nicht.
Und das Kindlein sprach daher noch einmal zur Maria, und sprach ganz ernsten
Angesichtes:
„Ich bin der mächtige Löwe von Juda, der dich auf Seinem Rücken trägt; wie magst
du dich denn fürchten vor denen, die Ich mit einem Hauche verwehen kann wie lose
Spreu?!
Meinst du denn, Ich bin vor Herodes geflohen, um Mich zu sichern vor seiner
Wut?!
O nein! – Ich floh nur, um ihn zu schonen; denn hätte ihn Mein Angesicht
gesehen, da wäre es mit ihm für ewig aus gewesen! –
Siehe, die Kindlein aber, die für Mich erwürgt worden sind, sind überaus
glücklich schon in Meinem Reiche – und sind täglich um Mich und loben und
preisen Mich und erkennen in Mir schon vollkommen ihren Herrn für ewig!
Siehe Maria, also stehen die Dinge! Daher du wohl von Mir allenthalben schweigen
sollest, wie es befohlen ward; aber du für dich sollest es wohl wissen, Wer Der
ist, den du ,Gottes Sohn‘ heißen sollest und Ihn auch also geheißen hast!“
Diese Worte erschütterten die Maria durch und durch; denn sie sah nun ganz ein,
daß sie den Herrn auf ihren Armen trägt!
Es hatte aber auch der Maronius, der sich hier hinter der Maria befand, die
Worte des Kindes vernommen und fiel nieder vor dem Kinde.
Nun erst entdeckte der Cyrenius Mariam; denn früher war er in einem Gespräche
mit einem seiner ihn begleitenden Sekretäre begriffen.
Er eilte daher plötzlich hin zum Kinde und grüßte und kosete Es. Und das
Kindlein tat desgleichen und sprach: „Cyrenius! erhebe den Maronius, denn er ist
nun schon bearbeitet; nun darf er Mich erkennen! – Verstehst du Mich, was Ich
damit sagen will?!“ –
73. Kapitel – Des Cyrenius Erlaß: Ausfall der
militärischen Übungen. Der Aufbruch nach der Stadt und des Jesuskindleins
Bedingung zugunsten der drei Todesopfer.
20. November 1843
Als aber also die ganze Gesellschaft bei der Villa angelangt war, da sandte der
Cyrenius sogleich seinen Adjutanten in die Stadt an den Obersten der Stadt und
ließ ihm bedeuten, daß an diesem wie am künftigen Tage keine Paraden und keine
Ausrückungen stattfinden sollen.
Denn solches war bei den Römern bei außerordentlichen Gelegenheiten
gebräuchlich, daß da bei gewissen Erscheinungen – wie etwa eine Mondes- oder
Sonnenfinsternis, ein starkes Ungewitter,
feurige Meteore, Kometen, das plötzliche Auftreten eines Irrsinnigen, das
Befallenwerden von der sogenannten Epilepsie,
imgleichen auch außerordentliche Scharfgerichtstage – die Sitten den Römern
nicht gestatteten, zugleich andere Staatsgeschäfte zu unternehmen.
Denn alle derlei Tage galten den sonst vielseitig biederen Römern als
Unglückstage oder als besondere Tage der Götter, welche die Menschen sofort zu
heiligen und nicht zu ihrem eigenen Geschäfte zu verwenden haben.
Obschon aber Cyrenius bei sich eben nicht viel auf diese leeren Sitten hielt, so
mußte er solches aber dennoch des Volkes wegen tun, welches noch fest an solchen
Torheiten hing.
Als der Adjutant aber abgegangen war, da sprach der Cyrenius zum Joseph:
„Edelster Bruder und Freund! Lasse du nun ein Morgenmahl richten! – Nach dem
Morgenmahle aber wollen wir alle samt und sämtlich in die Stadt gehen und wollen
dort die Verheerungen des Sturmes in Augenschein nehmen!
Wir werden bei dieser Gelegenheit sicher viele arme und verunglückte Bürger
dieses Ortes antreffen und werden ihnen auch helfen auf jede mögliche Weise.
Sodann werden wir den Hafen besichtigen und sehen, wie es mit den Schiffen
aussieht, ob und wie sie beschädigt worden sind.
Es wird sich da sicher so manche Arbeit für deine Söhne ergeben, die ich
sogleich zu Oberbauführern ernennen will, indem es ohnehin gerade in dieser
Stadt an Baukundigen überaus mangelt.
Denn Ägypten ist nun in architektonischer Hinsicht bei weitem nicht mehr das,
was es einst vor tausend Jahren war zu den Zeiten der alten Pharaonen.“
Joseph befolgte sogleich das Verlangen des Cyrenius, ließ ein frugales
Morgenmahl bereiten, bestehend aus Brot, Honig und Milch und einigen Früchten.
Nach dem Mahle aber erhob sich der Cyrenius und die ganze Tischgenossenschaft
und wollte sogleich seinem Vorhaben nach in die Stadt ziehen;
aber das Kindlein berief den Cyrenius zu Sich und sprach zu ihm: „Mein Cyrenius!
Du ziehst in die Stadt, der notleidenden Bürgerschaft irgend zu helfen, und dein
größter Wunsch ist, daß Ich bei dir sein möchte!
Ja, Ich will auch mit dir ziehen, aber du mußt Mich hören und Meinen Rat
befolgen!
Siehe, die an der größten Not Leidenden sind wohl jene drei von dir zur
vierundzwanzigstündigen Todesangst Verurteilten!
Siehe aber hinzu! – Ich habe keine Freude am zu großen Schmerze der Elenden;
daher ziehen wir zuerst dahin und helfen diesen Allerunglücklichsten! Danach
wollen wir erst die weniger Unglücklichen in der Stadt und den Meereshafen
besuchen!
Tust du das, so werde Ich mit dir ziehen; tust du aber das nicht, so bleibe Ich
daheim! – Denn siehe, Ich bin auch ein Herr in Meiner Art und kann tun, was Ich
will, ohne Mich an dich zu halten! Befolgst du aber Meinen Rat, da will Ich Mich
dann wohl an dich halten!“
74. Kapitel – Cyrenius am Scheideweg. Des
Kindleins Rat. Maronius als Kenner des römischen Rechts. Die Begnadigung der
drei Priester auf dem Richtplatz, ihr Tod vor Freude und ihre Wiederbelebung
durch das Jesuskind.
21. November 1843
Als der Cyrenius solches vernommen hatte von dem ihm über allen stehenden
kleinen Wiegenredner, wie er Ihn manchmal nannte, da stutzte er bei sich selbst
und wußte nicht, was er so ganz eigentlich tun solle.
Denn auf der einen Seite sah er sich vor dem Volke als ein wankelmütiger
Feldherr und oberster Statthalter gewaltig prostituiert,
anderseits aber hatte er dennoch zuviel Respekt vor der erprobten Macht des
Kindes!
Er sann eine Zeitlang hin und her und sprach nach einer Weile wie zu sich
selbst:
„O Scylla, o Charybdis, o Mythe des Herkules am Scheidewege!
Hier stehet der Held zwischen zwei Abgründen; weicht er dem einen aus, so stürzt
er unvermeidlich in den andern!
Was solle ich nun tun? – Wohin mich wenden? – Solle ich zum ersten Male
wankelmütig vor dem Volke erscheinen und tun den Willen dieses mächtigen Kindes?
Oder solle ich tun nach meinem ohnehin sehr milden Beschlusse?“
Hier berief wieder das Kindlein den Cyrenius zu Sich und sprach lächelnd: „Du
Mein lieber Freund, du rührest hohle Eier und hohle Nüsse durcheinander!
Was ist die Scylla und was die Charybdis und was der Held Herkules vor Mir? –
Folge du Mir, und du wirst mit allen diesen Nichtigkeiten nichts zu tun
bekommen!“
Und der Cyrenius, sich erholend von seinem Wankelmute, sprach zum Kinde:
„Ja, Du mein Leben, Du mein kleiner Sokrates, Plato und Aristoteles in der
Wiege! – Dich will ich zufriedenstellen, und komme daraus, was wolle!
Und so lasset uns denn hinziehen auf den Richtplatz und dort unser Urteil sobald
in Gnade verwandeln!“
Hier näherte sich auch Maronius dem Cyrenius und sagte ganz sachte zu ihm:
„Kaiserliche Consulische Hoheit! – Ich bin ganz mit dem Rate des Kindes
einverstanden; denn mir ist gerade jetzt eingefallen, daß die Todesstrafe bei
priesterlichen Angelegenheiten nie ohne die Einwilligung des Pontifex Maximus in
Rom über die Priester verhängt werden darf, –
außer diese wären Staatsaufwiegler, was sie aber hier nicht sind, sondern nur
blinde Eiferer ihrer Sache!
Daher billige ich den Rat des Kindes sehr; dessen Befolgung kann dir daher nur
nützen, aber nie schaden!“
Den Cyrenius freute diese Bemerkung des Maronius, und er machte sich darum
sogleich auf den Weg mit der ganzen vorbestimmten Gesellschaft.
Am Richtplatze angelangt, fand er die drei Priester schon fast entseelt vor zu
großer Angst vor dem martervollsten Tode.
Nur einer von ihnen hatte noch so viel Geistesgegenwart, daß er vor dem Cyrenius
sich mühsamst erhob und ihn bat um eine gnädigere Todesart.
Cyrenius aber sprach zu ihm, wie zu den andern zweien: „Sehet an das Kind, das
diese Mutter auf ihren Armen trägt, das gibt euch das Leben wieder! Und so
schenke ich es euch auch und widerrufe mein Urteil!
Erhebet euch daher wieder, und wandelt frei! Fiat! – Und ihr Wachen, ihr
Richter, Liktoren und Büttel, ziehet ab mit allem! Fiat!“
Dieser Gnadenruf benahm den drei Priestern das Leben; aber das Kindlein streckte
die Hand über die drei, und sie erwachten wieder ins Leben und folgten sogleich
ganz erheitert ihrem kleinen Lebensretter! –
75. Kapitel – Die Besichtigung der Stadt nach
dem Sturm. Die gute Wirkung des Orkans. Die törichte Absicht des Cyrenius, sein
Schwert wegzuwerfen. Des hl. Kindleins weise Worte über das Schwert als
Hirtenstab.
22. November 1843
Vom Richtplatze sich schnell hinwegbegebend, zog die ganze Gesellschaft nun in
die Stadt im Gefolge von den drei begnadigten Priestern.
Als sie, die Gesellschaft nämlich, aber in der Stadt am großen Platze anlangte –
und zwar vor dem mächtigen Schutthaufen des großen Tempels und des ganzen, noch
größeren Priesterpalastes,
da schlug der Cyrenius die Hände über dem Kopfe zusammen und sprach mit lauter
Stimme:
„Wie sehr verändert siehst du aus! – Ja, so kann nur eines Gottes Macht wirken!
Nicht langer Zeiten bedarf es, sondern ein Wink der Allmacht genügt, den ganzen
Erdkreis in Staub zu verwandeln!
O Menschen! – wollt ihr kämpfen mit Dem, der den Elementen gebietet, und sie
folgen Seinem Winke?!
Wollt ihr Richter sein, wo der Gottheit Allmacht gebietet, und herrschen, wo
euch ein leiser Wink des ewigen Herrschers zertrümmert?!
Nein, nein! – Ich bin ein Tor, daß ich noch mein Schwert umgürtet trage, als
hätte ich eine Macht!
Weg mit dir, du elendes Zeug! Da, in diesem Schutthaufen ist der beste Platz für
dich! – Mein wahres Schwert aber sollst Du sein! Du! – den die Mutter auf ihren
Armen trägt!“ – –
Hier löste der Cyrenius plötzlich sein Schwert samt dem Ehrengürtel vom Leibe
und wollte es mit aller Gewalt in den Schutthaufen schleudern.
Aber das Kindlein, das Sich zur Seite des Cyrenius auf den Armen der Maria
befand, sprach zu ihm:
„Cyrenius! Tue nicht, was du tun willst, – denn wahrlich, wer das Schwert nach
deiner Art trägt, der trägt es gerecht!
Wer das Schwert gebraucht als Waffe, der werfe es von sich;
wer es aber gebraucht als einen Hirtenstab, der behalte es; denn also ist es der
Wille Dessen, dem Himmel und Erde ewig gehorchen müssen!
Du bist aber ein Hirte denen, die in das Buch deines Schwertes geschrieben sind;
daher umgürte dich nur wieder mit der gerechten Ehre, auf daß dich dein Volk
erkennt, daß du ihm ein Hirte bist!
Bestünde deine Herde aus pur Lämmern, da bedürftest du keines Stabes!
Aber es gibt darunter sehr viele Böcke; darum möchte Ich dir lieber noch einen
Stab hinzulegen, als dir den einen nehmen!
Wahr ist es! Außer in Gott gibt es keine Macht; aber wenn dir Gott die Macht
verleiht, dann sollst du sie nicht dahin von dir werfen, was Gottes Fluch
gerichtet hat!“
Diese Worte brachten den Cyrenius sogleich wieder zur Umgürtung des Schwertes
unter steter stiller Anbetung des Kindleins. – Die drei Priester aber entsetzten
sich allergewaltigst vor der Weisheit dieses Kindes!
76. Kapitel – Die Verwunderung der drei
Priester über die Weisheit des Kindes und Josephs. Josephs Göttermythologie.
24. November 1843
Mit der größten Hochachtung näherten sich die drei Priester dem Joseph und
fragten ihn, wie dieses Kind zu einer solchen allerwunderbarsten Weisheit
gelangt ist, und wie alt es schon sei.
Joseph aber sprach zu ihnen: „Liebe Freunde, fraget nicht zu früh danach; denn
eine zu vorzeitige Antwort könnte euch das Leben kosten!
Folget uns aber, und lasset eure vielen Götter fallen, und glaubet, daß es nur
einen wahren Gott Himmels und der Erde gibt, und glaubet, daß dieser eine wahre
Gott Derjenige ist, den das Volk Israel anbetet und ehret zu Jerusalem, so
werdet ihr es in euch und aus diesem Kinde erfahren, woher Dessen Weisheit ist!“
Die Priester aber sprachen: „O Mann, du redest hier seltsame Worte!
Sind denn unsere Hauptgötter, der Zeus, der Apollo, der Merkur, der Vulkan, der
Pluto, Mars und Neptun, die Juno, die Minerva, die Venus und andere mehr nichts
als bloße Werke der menschlichen Phantasie?“
Und der Joseph erwiderte: „Höret mich an, ihr Freunde! Alle eure Götter sind
entstanden durch die Phantasie eurer Urväter, die den einen Gott noch gar wohl
gekannt haben!
Sie aber waren seltene Dichter und Sänger an den Höfen der alten Könige dieses
Landes und personifizierten – zwar in guten Entsprechungen – die Eigenschaften
des einen wahren Gottes!
Ihnen war Jupiter als die Güte und Liebe des Vaters von Ewigkeit darstellend,
Apollo war die Weisheit des Vaters, und die Minerva stellte die Macht dieser
Weisheit dar.
Merkur bedeutete die Allgegenwart des einen Gottes durch Seinen allmächtigen
Willen.
Die Venus stellte die Herrlichkeit und die Schönheit und die ewige gleiche
Jugend des Gottwesens dar.
Vulkan und Pluto stellten des einen Gottes Vollmacht über die ganze Erde dar.
Mars stellte den göttlichen Ernst dar und das Gericht und den Tod für die
Gerichteten.
Neptun stellte den wirkenden Geist des einen Gottes in allen Gewässern dar, wie
Er durch sie die Erde belebt.
So stellte die alte Isis, wie Osiris, die göttliche, unantastbare Heiligkeit
dar, welche da ist die göttliche Liebe und Weisheit urewig in sich!
Und so stellten alle anderen Untergötter nichts als lauter Eigenschaften des
einen Gottes in entsprechenden Bildern dar!
Und das war eine recht löbliche Darstellung; denn man wußte da nichts anderes,
als daß dieses alles nur den einen Gott bezeichne in der verschiedenen Art
Seiner zahllosen Auswirkungen.
Aber mit der Zeit haben Eigennutz, Selbstliebe und die Herrschsucht die Menschen
geblendet und verfinstert.
Sie verloren den Geist, und es blieb ihnen nichts als die äußere Materie, und
sie wurden zu Heiden, was soviel heißt als: sie wurden zu groben Materialisten
und verloren den einen Gott, nagten daher an den äußeren, leeren, unverstandenen
Bildern gleich Hunden, die da heißhungrig nackte Knochen benagen, an denen kein
Fleisch mehr haftet! – Verstehet ihr mich?“
Die drei sahen einander groß an und sprachen: „Wahrlich, du bist in unserer
Religion besser bewandert denn wir! – Wo aber hast du solches erfahren?“
Joseph aber sprach: „Geduldet euch nur; das Kind wird es euch kundtun! Daher
folget uns, und kehret nicht wieder um!“
77. Kapitel – Cyrenius und die drei Priester.
Die Ausgrabung der Verschütteten. Des Kindleins wunderbare Mithilfe. Die
Belebung der sieben scheintoten Katakombenführer.
25. November 1843
Die drei Priester fragten nun um nichts mehr weiter; denn sie erkannten in
Joseph einen Mann, der in die alten Mysterien Ägyptens tief eingeweiht zu sein
schien, was sonst nur bei den höchsten Oberpriestern dieses Landes der Fall war.
Der Cyrenius aber wandte sich um und fragte die drei Priester, wieviel
ihresgleichen hier ums Leben gekommen sind.
Und die drei sprachen: „Mächtigster Statthalter! Ganz genau können wir dir die
Zahl nicht angeben;
aber über siebenhundert waren es gewiß, die da begraben wurden, ohne die
Zöglinge beiderlei Geschlechts mit eingerechnet!“
„Gut“, sprach Cyrenius, „wir wollen uns von der Sache bald genauer überzeugen!“
Er fragte darauf den Joseph, ob es nicht rätlich wäre, die Verschütteten
auszugraben!
Und der Joseph erwiderte: „Das ist sogar strenge Pflicht; denn es könnten hie
und da in den Katakomben noch Zöglinge am Leben sein, und diese zu retten ist
strenge Pflicht!“
Als der Cyrenius solches vernommen hatte, ließ er sogleich zweitausend Arbeiter
dingen, die sich alsogleich an die Wegschaffung des Schuttes machen mußten.
In wenigen Stunden wurden schon sieben Leichen hervorgezogen, und das waren
gerade die Katakombenführer.
Und der Cyrenius sagte: „Wahrlich, um diese tut es mir leid; denn ohne ihre
Hilfe werden wir nicht viel richten in dem unterirdischen Labyrinthe von
zahllosen Gängen und Gängen!“
Das Kindlein aber sagte zum Cyrenius: „Mein Cyrenius! was da die Katakomben
betrifft, so wird in ihnen nicht viel Ersprießliches zu treffen sein;
denn diese liegen schon seit mehreren Jahrhunderten unbenützt und sind angefüllt
mit Schlamm und Ungeziefer aller Art!
Diese sieben Führer in den Katakomben aber hatten bloß nur den Titel als solche;
aber von ihnen hatte noch nie einer eine Katakombe betreten.
Siehe, damit du aber glaubst, was Ich dir sage, so sage Ich dir auch, daß diese
sieben Führer nicht ganz tot, sondern nur sehr betäubt daliegen und können daher
wieder ins Leben gerufen werden!
Lasse sie reiben an den Schläfen, an der Brust, im Genicke und an den Händen und
Füßen von kräftigen Weibern, und sie werden sobald erwachen aus ihrer
Betäubung!“
Und der Cyrenius fragte das Kindlein: „O Du mein Leben! So Du sie anrühretest,
da würden sie doch auch sicher erwachen?!“
Das Kindlein aber sprach: „Tue, was Ich dir geraten; denn Ich darf nicht zu viel
tun, will Ich nicht statt des Segens ein Gericht der Welt geben!“
Cyrenius verstand zwar diese Worte nicht; aber er befolgte dennoch den Rat des
Kindleins.
Er ließ sogleich zehn kräftige Jungfrauen bringen, daß sie rieben die sieben
Führer.
Nach einigen Minuten erwachten die sieben und fragten die Umstehenden, was da
mit ihnen geschehen sei, und was hier geschehe.
Und der Cyrenius ließ sie sogleich führen in eine gute Herberge; aber das Volk
wunderte sich hoch über diese Erweckung und erwies den Jungfrauen eine große
Verehrung.
78. Kapitel – Arbeit der Barmherzigkeit. Der
intelligente Sturm. Des Cyrenius Ahnung. Der Besuch des Hafens.
27. November 1843
Nachdem wurde weiter gegraben, und Cyrenius erließ den Befehl, daß alle Leichen,
welche nicht irgend zu sehr verstümmelt seien, auf einen gewissen mit Matten
überdeckten Platz sollten mit den Gesichtern zur Erde gelegt werden;
die sehr Verstümmelten allein sollten sogleich auf die gewöhnliche Art auf dem
allgemeinen Beerdigungsplatze entweder verbrannt oder acht Fuß tief begraben
werden.
An den wenig Verstümmelten aber sollten ähnliche Erweckungsversuche gemacht
werden wie mit den sieben.
Und so einer oder der andere wieder ins Leben käme, er sogleich in die Herberge
zu den sieben gebracht werde!
Als dieser Befehl erteilt ward, begab sich Cyrenius von dannen mit seiner
Gesellschaft, um noch andere Stadtteile in Augenschein zu nehmen.
Zu seiner großen Verwunderung aber fand er, daß da nirgends ein bürgerliches
Haus irgend beschädigt war;
wohl aber war nirgends ein Göttertempel mehr zu finden, der nicht im Schutte
zertrümmert daläge, bis auf einen einzigen, kleinen, verschlossenen mit der
Aufschrift: „Dem unbekannten Gott!“
Als die Gesellschaft unter großem Volksgefolge also die ganze nicht unbedeutende
Stadt von achtzigtausend Einwohnern zum größten Teile durchwandert hatte, da
berief der Cyrenius den Joseph zu sich und sprach zu ihm:
„Höre, du mein allererhabenster Freund und Bruder! Ich muß heimlich über die
sonderbare Wirkung des Erdbebens wie des Sturmes geradezu lachen!
Da sieh nur einmal hin! Längs dieser Gasse vor uns stehen Häuser von so elender
Bauart; trockene Steine sind ohne Mörtel – noch ziemlich unsymmetrisch dazu – zu
einer Wand übereinandergelegt.
Man sollte glauben, daß sie kaum fest genug wären, um der Erschütterung zu
widerstehen, welche durch den Huftritt eines nur einigermaßen schweren Pferdes
hervorgebracht wird!
Aber siehe, diese wahren Ameisengebäude stehen unversehrt da! Nicht eines ist
irgend auch nur im geringsten beschädigt,
während mitten unter diesen wahren Vonheutebismorgen-Häusern die für
Jahrtausende fest gebauten Tempel nach der Bank alle in die schmählichsten
Schutthaufen verwandelt sind!
Wie findest du diese höchst merkwürdige Erscheinung? – Ist es hier nicht
handgreiflich, daß das Erdbeben wie der Sturm sehr intelligent müssen zu Werke
gegangen sein?!
Fürwahr! ich muß es dir zu meiner großen Freude bekennen und sagen:
Wenn dein Söhnlein nicht mit Seinem allmächtigen Finger ein wenig unter den
Tempeln in Gesellschaft mit dem Sturme herumgespielt hat, so will ich nicht
Cyrenius heißen!“
Joseph aber sprach: „Behalte es für dich ganz allein, was du glaubst, und rede
ja zu niemandem davon – denn es wird schier also sein!
Wir begeben uns aber nun zum Hafen und wollen da sehen, ob sich dort für mich
keine Arbeit vorfindet!“ – Und der Cyrenius befolgte sogleich den Rat Josephs
und zog an des Meeres Ufer hin.
79. Kapitel – Der geringe Schaden im Hafen. Die
Rückkehr nach Hause. Der Umweg auf Rat des Kindleins. Der Grund dafür.
28. November 1843
Am Ufer des Meeres angelangt, allwo der Hafen für die Schiffe teils von der
Natur und teils durch die Kunst der Menschen errichtet war, erstaunte Cyrenius
ebenfalls nicht wenig.
Denn es war nirgends ein Schaden zu entdecken, außer daß am prachtvollsten
Schiffe des Cyrenius alle sogenannten mythologischen Verzierungen möglichst
vernichtet waren.
Cyrenius sprach daher zum Joseph: „Mein allerachtbarster Freund, bei obwaltenden
Umständen werden deine Söhne wenig zu tun bekommen!
Siehe, nicht ein Fahrzeug hat irgendeinen sonstigen Schaden erlitten, außer daß
da – mir sehr willkommen – besonders auf meinem Schiffe die Götzen
wahrscheinlich haben das Meerwasser zum Verkosten bekommen,
was mir aber eben sehr lieb ist; denn ich werde sicher keine mehr irgend auf
meinem Schiffe anbringen lassen!
Deinem Gotte sei alles Lob und alle Ehre dafür!
Deine Söhne aber werde ich dessenungeachtet für allfällige kleine Reparaturen,
die sich hier und da an den Schiffen als vonnöten zeigen werden, schon also
belohnen, als ob sie was Großes getan hätten!“
Und der Joseph sprach zum Cyrenius: „O Freund und Bruder, sorge dich nicht zu
sehr um den Verdienst meiner Kinder!
Siehe, nicht des Verdienstes wegen, sondern um dir einen guten Dienst erweisen
zu können, wäre ich dir gerne mit meinen Söhnen in solcher baulichen Hinsicht zu
Hilfe gekommen; es hat dir aber der Herr geholfen, und so ist es besser, und du
kannst meiner Hilfe nun leichtlich entbehren.
Wir aber haben nun bereits alles gesehen; daher meine ich, da es bei der
Gelegenheit schon so ziemlich spät nachmittags geworden ist, wir sollten uns nun
wieder nach Hause begeben und allenfalls morgen das etwa noch Übrige in
Augenschein nehmen!“
Und der Cyrenius sprach: „Der Meinung bin ich auch; denn mich dauert der armen
Mutter schon ganz über die Maßen. Daher müssen wir nun trachten, sobald als
möglich nach Hause zu kommen!
Ich aber werde für sie sogleich eine Sänfte bringen lassen, auf daß sie nach
Hause getragen wird mit dem Kindlein!“
Und das Kindlein meldete sich sogleich hinter dem Cyrenius und sprach zu ihm:
„Das tust du sicher; denn diese Mutter ist schon sehr müde geworden, indem sie
an Mir sehr schwer zu tragen hat!
Im Nachhauseziehen aber darfst du deinem Vorhaben zufolge nicht über den
gewissen Priesterplatz den Weg nehmen!
Denn so Ich mit der Mutter vorübergetragen würde, da nun schon bei hundert
Verschüttete auf den Matten liegen,
so würden sie plötzlich alle lebendig, und das gäbe dir und allem Volke ein
Gericht, das da jedem sehr übel bekäme!
Also aber werden sie durch menschliche Hilfe unter Meiner geheimen Einwirkung
die Nacht hindurch erweckt werden!
Dadurch wird der Schein des Wunderbaren vermieden, und du und alles Volk bleibt
verschont von einem den Geist für ewig tötenden Gerichte!“
Cyrenius befolgte genau diesen Rat, hocherfreut in seinem Herzen; die Sänfte
ward augenblicklich herbeigeschafft, und Maria mit dem Kindlein begab sich in
dieselbe.
Und der Cyrenius bestimmte einen andern Weg, auf welchem die ganze Gesellschaft,
die drei Priester mitgerechnet, gar bald und ganz bequem die Villa Josephs
erreichte.
80. Kapitel – Josephs hausväterliche Fürsorge.
Des Kindleins Freude an Jakob. „Die Ich liebe, die necke Ich auch und kneipe und
zupfe sie!“ Jakobs glückliche und beneidenswerte Mission.
29. November 1843
In der Villa wieder angelangt, begab sich Joseph sogleich zu seinen Söhnen,
welche soeben mit der Bereitung eines Mittagsmahles beschäftigt waren, und
sprach zu ihnen:
„Gut, gut, meine Söhne, ihr seid meinem Wunsche zuvorgekommen; aber wir haben
heute drei Gäste mehr, nämlich die drei Priester, die heute früh sind zum Tode
ausgesetzt worden!
Diese wollen wir ganz besonders gut bewirten, damit sie unsere Freunde werden in
der Anerkennung unseres Vaters im Himmel,
der uns zu Seinen Kindern erwählt hat durch den Bund, den Er mit unseren Vätern
gemacht hat!
Du, Jakob, aber gehe sogleich hinaus, der sehr müde gewordenen Mutter entgegen,
und nehme ihr unser aller allerliebstes Kindlein ab,
und bringe Es sogleich zur Ruhe; denn Es ist auch schon sichtbar müde und sehnt
Sich nach der Wiege!“
Und sogleich lief der Jakob hinaus und zu der Maria, die soeben aus der Sänfte
stieg, und nahm ihr sogleich mit großer Liebe und Freude das Kindlein von den
Armen.
Das Kindlein aber erwies dem Jakob eben auch dieselbe große Freude; denn Es
hüpfte auf seinen Armen und lächelte und kneipte und zupfte ihn, wo Es ihn mit
Seinen Händchen nur erwischen konnte.
Die drei Priester aber, die vor diesem Kinde den allerungeheuersten Respekt
hatten, verwunderten sich in aller Freude ihres Gemütes, da sie an diesem Kinde
auch etwas echt Kindliches entdeckten.
Einer von ihnen aber ging hin zum Jakob und fragte ihn in gut hebräischer
Sprache:
„Sage mir, ist dieses Wunderkind aller Kinder stets so munter, ja man möchte
sagen – sogar ein wenig neckend schlimm, wie Kinder gewöhnlicher Art manchmal
freilich erst in zwei oder drei Jahren es sind?“
Das Kindlein aber antwortete sogleich Selbst an Stelle des Jakob:
„Ja, ja, Mein Freund! – Die Ich liebe, die necke Ich auch und kneipe und zupfe
sie; aber das geschieht nur jenen, die Mich so wie Mein Jakob lieben – und Ich
sie auch so liebe wie diesen Meinen lieben Jakob!
Aber Ich tue ihnen darum doch nicht Leids an! – Nicht wahr, du Mein lieber
Jakob, es tut dir nicht weh, so Ich dich zupfe und kneipe?“
Und der Jakob, wie gewöhnlich gleich zu Tränen gerührt, sprach: „O Du mein
göttlich allerliebstes Brüderchen, wie könntest Du mir wehe tun?!“
Und das Kindlein erwiderte darauf dem Jakob: „Jakob, Mein Bruder, du hast Mich
wahrlich lieb!
Ich aber habe auch dich so lieb, daß du es in Ewigkeit nie genug wirst begreifen
können, wie lieb Ich dich habe!
Siehe, du Mein lieber Bruder Jakob, die Himmel sind weit und endlos groß;
zahllose glänzende Lichtwelten fassen sie, wie die Erde einen Tautropfen!
Und die Welten sind Träger von zahllosen glücklichsten Wesen deiner Art; aber
glücklicher ist unter ihnen keines als du, nun Mein liebster Bruder! – Jetzt
verstehst du Mich noch nicht; aber du wirst Mich schon noch recht gut verstehen
mit der Zeit. – Schlafen aber mag Ich jetzt nicht, wenn die Menschen um Mich
wachen! – Aber bei dir will Ich bleiben!“
Diese Rede brach unserem Jakob von neuem wieder sein Herz, daß er darob weinte
vor Liebfreude; der fragende Priester aber sank beinahe in den Boden vor lauter
Ehrfurcht und Höchstachtung dieses Kindes!
81. Kapitel – Des Cyrenius Wunsch, vom hl.
Kindlein auch gezupft zu werden. Des Kindleins Antwort. Eine Verheißung für Rom.
Maria mahnt, des Kindleins unverstandene Worte im Herzen zu bewahren.
1. Dezember 1843
Cyrenius, der diese Worte des Kindleins ebenfalls gar wohl vernommen hatte,
begab sich augenblicklich hin zum Kindlein und fragte Es gar liebreich:
„O Du mein Leben! Du hast mich dann gewiß nicht so lieb, weil Du mich, so ich
Dich auf meinen Armen hatte, noch nie gekneipt und gezupfet hast?“
Das Kindlein aber sprach: „O Cyrenius! Sorge dich nicht darum; denn siehe, alle
die Unannehmlichkeiten, die du Meinetwegen schon erduldet hast, waren lauter
Kneipereien und Zupfereien von Mir, darum Ich dich so lieb habe!
Verstehst du Mich nun, was Ich dir gesagt habe?
Ich werde dich aber schon noch öfter kneipen und zupfen – und werde aus lauter
Liebe zu dir recht schlimm sein!
Aber höre, deswegen mußt du dich aber dennoch nicht fürchten vor Mir, denn es
wird dir dabei kein Wehe geschehen, so wie bis jetzt; verstehst du Mich, Mein
lieber Cyrenius?“
Der Cyrenius, voll der tiefsten Achtung in seinem Herzen vor dem Kinde, sprach
ganz betroffen und gerührt:
„Ja, ja, Du mein Leben, ich verstehe Dich gar wohl und weiß, was Großes Du mir
gesagt hast!
Aber dessenungeachtet möchte ich aber doch auch, daß Du mich also wie Deinen
Bruder ein wenig kneipen und zupfen möchtest!“
Und das Kindlein sprach zum Cyrenius: „O Mein lieber Freund, du wirst doch nicht
kindischer sein als Ich?
Glaubst du denn, daß Ich dich darum mehr lieben werde?
O siehe, da irrest du dich sehr; denn mehr noch, als Ich dich ohnehin liebe,
kann Ich dich ja doch unmöglich lieben!
Wahrlich, auch du wirst die Größe und Stärke Meiner Liebe zu dir ewig nie
erfassen und begreifen können!
Höre, kein Säkulum mehr wird vorüberziehen, da Rom in Meine Burg vielfach
einziehen wird!
Nun ist zwar die Zeit noch nicht da, aber glaube es Mir, du stehst schon jetzt
an der Schwelle, die bald von gar vielen wird betreten werden!
Verstehe! – aber nicht körperlich, sondern geistig in Meinem zukünftigen Reiche
für ewig!“
Diese Worte des Kindes erregten eine große Sensation bei allen Anwesenden, und
der Cyrenius wußte nicht, was er daraus machen solle.
Er wandte sich daher zur danebenstehenden Maria und fragte sie, ob sie
verstünde, was das göttliche Kindlein nun ausgesagt hatte.
Maria aber sprach: „O Freund! – wäre dies ein gewöhnliches Menschenkind, so
würden wir Menschen Es auch verstehen;
aber so ist Es von höherer Art, und wir verstehen Es nicht! Behalten wir aber
alle Seine Worte in uns; die Zeitenfolge wird sie uns schon im wahren Lichte
enthüllen!“
82. Kapitel – Des Cyrenius Frage an Joseph und
dessen Antwort vom Lüften des Schleiers der Isis. Des Maronius gute Erklärung.
Das Mahl. Die Ehrfurcht der drei Priester.
1. Dezember 1843
Hier kam der Joseph wieder aus der Villa und lud die Gesellschaft zum schon
bereiteten Mahle.
Cyrenius aber, sich durchkreuzender großer Gedanken voll, berief den Joseph zu
sich und erzählte ihm, was ihm nun das Kindlein und am Ende die befragte Maria
gesagt haben,
und fragte daher den guten Joseph auch zugleich, wie solche Worte und Reden zu
verstehen seien.
Joseph aber erwiderte dem etwas zu sehr erregten Cyrenius, sagend nämlich:
„O Freund und Bruder, ist dir die Mythe unbekannt, die eines Menschen erwähnt,
der einst den Mantel der Isis lichten wollte?“
Und der Cyrenius, ganz erstaunt über diese unerwartete Frage, sprach:
„O erhabener Freund, die Mythe ist mir gar wohl bekannt; der Mensch ging elend
zugrunde! Aber was willst du mir nun damit sagen auf meine Frage?“
Und der Joseph erwiderte dem Cyrenius: „Liebster Freund, nichts anderes als:
Hier ist mehr denn die Isis!
Darum befolge den Rat meines Weibes, und du wirst ewig gut fahren!“
Daneben stand aber auch der Maronius Pilla und sprach bei dieser Gelegenheit:
„Consulische Kaiserliche Hoheit! Ich bin sonst in derlei Sachen zwar noch sehr
dumm, aber diesmal kommt es mir vor, als so ich den Weisen verstanden hätte auf
ein Haar!“
Und der Cyrenius erwiderte ihm: „Wohl dir, so du dessen in dir überzeugt bist!
Ich aber kann mich vorderhand dessen noch nicht rühmen.
Mein Gehirn ist zwar sonst auch gerade nicht kreuz und quer vernagelt; aber
diesmal will es mir die gerechten Dienste nicht leisten!“
Und der Maronius sprach: „Ich meinesteils verstehe die Sache also: Greife nicht
nach zu fernen Dingen; denn dazu ist deine Hand zu kurz!
Es wäre freilich wohl sehr ehrsam, ein glücklicher Phaeton zu sein;
aber was kann da der schwache Sterbliche tun, wenn die Sonne zu ferne über ihm
ihren Weg gebahnt hat!?
Er muß sich bloß an ihrem Lichte begnügen und dabei die Sonne leitende Ehre und
Macht jenen Wesen ganz gutwillig überlassen, die sicher längere Arme haben als
er, der schwache Sterbliche!
Wie lang aber der unsichtbare Arm dieses Kindes ist, davon haben wir uns gestern
überzeugt!
Siehe, Consulische Kaiserliche Hoheit, verstehe ich nicht aus dem Salze das, was
dieser weise Mann geredet hat?“
Und der Cyrenius gab dem Maronius recht, beschwichtigte sein Herz und begab sich
wohlgemut mit dem Joseph in die Villa und stärkte sich am frugalen Mahle.
Die drei Priester aber getrauten sich kaum die Augen zu öffnen; denn sie
meinten, das Kind sei entweder Zeus oder gar das Fatum selbst.
83. Kapitel – Die Blindheit, Ehrfurcht und
Fluchtgedanken der drei Götzenpriester. Des Jesuskindleins weise
Verhaltensregeln an Joseph und Cyrenius.
2. Dezember 1843
Nachdem aber die Mahlzeit vorüber war und alles sich wieder vom Tische erhoben
hatte, da trat einer der Priester hin zum Joseph und fragte ihn in der tiefsten
Demut:
„Uranos, oder doch wenigstens Saturnus als Vater des Zeus! Denn das bist du
sicher leibhaftig, obschon du deine Göttlichkeit ehedem in der Stadt vor uns zu
verbergen dich bestrebtest;
so tatst du solches aber dennoch, um uns zu prüfen, ob wir dich im Ernste
erkenneten oder nicht.
Nur eine Zeitlang verkannten wir dich, und darum bitten wir dich um Vergebung
unserer groben Blindheit!
Die ehemalige Sprache deines Kindes aber hat uns allen ein Licht angezündet, und
wir wissen nun genau, wo wir uns befinden!
O mache uns daher sogestaltig glücklich, daß du uns kundgebest, wie wir dir ein
Opfer bringen sollen, wie deinem göttlichen Weibe und wie deinem Kinde, dem sich
sicher durch deine Allmacht verjüngenden Zeus?!“
Joseph aber erstaunte über diese plötzliche Veränderung der drei Priester, denen
er doch früher in der Stadt den Irrgrund ihres Heidentums klar und
wohlbegreiflich auseinandergesetzt hatte.
Er sann daher nach, was er ihnen nun antworten solle. – Aber das Kindlein
verlangte sogleich hin zum Joseph;
und als Es dort anlangte auf den Armen Jakobs, sprach Es sogleich zum Joseph:
„Lasse du die Armen, und verweise es ihnen nicht; denn sie sind blind und
schlafen und träumen!
Behalte sie aber einige Tage hier, und Meine Brüder werden sie schon aus ihrem
Schlafe und Traume erwecken! Wenn sie sehen werden, wie ihr selbst zu Gott
betet, da werden sie ihren Uranos, Saturnus und Zeus schon fallenlassen!“
Diese Worte beruhigten den Joseph vollkommen, und er machte darauf sogleich den
drei Priestern den Vorschlag, unterdessen unter seinem Dache zu wohnen, bis sich
mit ihnen irgendeine versorgliche Bestimmung treffen werde.
Die drei Priester aber, sich kaum zu atmen getrauend aus lauter Ehrfurcht,
getrauten sich um so weniger den Vorschlag abzulehnen, indem sie nun durchaus
nicht wußten, wie sie so ganz eigentlich daran seien.
Sie nahmen sonach den Vorschlag an; aber unter sich murmelten sie:
„Ach! – wäre es hier möglich, davonzulaufen und sich in irgendeinem letzten
Winkel der Erde zu verkriechen, wie glücklich wären wir da!
Aber so müssen wir hier verbleiben im Angesichte der offenbaren Hauptgötter. O
welche Qual ist das für uns Nichtswürdigste!“
Der Cyrenius aber merkte solche Murmelei unter den dreien, trat daher hin und
wollte sie darob zur Rede stellen.
Das Kindlein aber sprach: „Mein Cyrenius, bleibe zurück; denn Mir ist es nicht
unbekannt, was in den dreien vorgeht.
Ihr Plan ist die Frucht ihrer Blindheit und ihrer törichten Furcht und führt
nichts anderes im Schilde, als eine Flucht vor uns in irgendeinen
allerentferntesten Erdwinkel.
Siehe, das ist alles, und darum brauchst du dich nicht gleich so zu ereifern!
Lasse hier in diesem Hause nur Mir das Gericht über, und sei versichert, daß da
niemandem ein Unrecht geschehen wird!“
Und Cyrenius ward damit zufrieden und begab sich mit Joseph in die Freie wieder;
die drei Priester aber begaben sich in ihr angewiesenes Gemach.
84. Kapitel – Die Sage von der Entstehung der
Stadt Ostracine. Des Cyrenius Zukunftssorge wegen der Göttertempel.
4. Dezember 1843
In der Freie angelangt, fingen Joseph und Cyrenius sich über so manche Dinge zu
besprechen an, während unter der Zeit die Maria das Kindlein versorgte im Hause
und die Söhne Josephs sich abgaben mit der Beordnung des Hauswesens, wobei ihnen
die Dienerschaft des Cyrenius so manche Dienste leistete.
Nach mehreren weniger gehaltvollen Gesprächen zwischen Joseph und Cyrenius in
Begleitung des Maronius Pilla aber kam auch ein wichtiger Punkt zur Sprache, und
dieser lautete also, und das aus dem Munde des Cyrenius:
„Erhabener Freund und Bruder! – Siehe, die Stadt und das ganze große Gebiet,
welches noch zur Herrschaft der Stadt gehört, zählt bei achtzigtausend Menschen
sicher!
Darunter gibt es nur sehr wenige deines Glaubens und deiner Religion.
Sie sind zumeist mehr oder weniger seit Jahrtausenden meines Wissens
Erzgötzendiener.
Ihre Götzentempel haben sie alle in dieser uralten Stadt, von der die Mythe
sagt, sie sei bei Gelegenheit der Götterkriege mit den Giganten der Erde erbaut
worden, und das von Zeus selbst zum Zeichen des Sieges über diese Giganten der
Erde.
Merkur habe die Knochen der Giganten sammeln und sie ins Meer versenken müssen;
dadurch sei dieses Land entstanden.
Über diese Gigantenknochen habe Zeus dann durch einen ganzen Monat Sand und
Asche regnen lassen und mitunter große und schwere Steine.
Darauf habe Zeus die alte Ceres beordert, sie solle dieses Land fruchtbar machen
und in seiner Mitte nicht zu ferne vom Meere eine Burg und eine Stadt erbauen
zum Zeichen des großen Sieges;
Zeus selbst aber werde dann ein Volk aus der Erde rufen, welches für alle Zeiten
der Zeiten dieses Land und diese Stadt bewohnen solle. –
Aus dieser meiner Kundgabe wirst du nun leicht ersehen, daß ebendieses Volk, wie
nicht leichtlich ein anderes irgend auf der Erde, noch fest der Meinung ist, die
Stadt zu bewohnen, welche die Götter selbst erbaut haben,
aus welchem Grunde du denn auch die überaus zerlumpten Wohnhäuser allzeit
ersiehst, indem sich kein Mensch an dem Werke der Götter etwas auszubessern
getraut, um sich nicht zu versündigen gegen sie.
Ganz besonders solle die alte Ceres mit Hilfe des Merkur und des Apollo die
Tempel eigenhändig erbaut haben. –
Das ist die Mythe und zugleich der noch feste Glaube dieses sonst gutmütigen
Volkes, welches trotz seiner Armut sehr gastfreundlich und ausnahmsweise ehrlich
ist.
Was aber wird nun hier zu tun sein, wenn das Volk etwa die Wiederherstellung der
Tempel verlangt?
Sollte man ihm die Tempel wieder aufbauen oder nicht, – oder sollte man es
bekehren zu deiner Lehre?
Und tut man das, was werden die benachbarten Völker dazu sagen, die auch noch
nicht selten diese Stadt besuchen, die nun um so mehr, wie freilich schon seit
gar langen Zeiten, mehr eine Ruine als eine eigentliche Stadt ist!?“
85. Kapitel – Josephs Hinweis aufs
Gottvertrauen und Vorhersage über das Ende Ostracines.
4. Dezember 1843
Und weiter redete der Cyrenius: „O Freund, wahrlich, hier wird ein guter Rat
sehr teuer!
Hast du in der lebendigen Kammer deiner echten göttlichen Weisheit einen Rat
dafür, so gebe mir ihn!
Denn wahrlich, je mehr ich nun über diese Sache nachdenke, desto kritischer und
verwickelter wird sie!“
Und der Joseph sprach darauf zum Cyrenius: „Höre mich an, edelster Freund! Aus
dieser Verlegenheit kann dir sehr leicht geholfen werden!
Ich will dir dafür einen guten Rat geben, der dir das Rechte zeigen wird, was du
zu tun haben sollest bei dieser Gelegenheit.
Siehe, du bist nun in deinem Herzen meines lebendigen Glaubens und liebst und
ehrest samt mir den einig-wahren Gott!
Ich sage dir aber: Solange du dich sorgen wirst, so lange auch wird Gott nichts
tun für dich!
Wie du aber alle deine Sorge auf Ihn legst und dich um nichts anderes kümmerst
und sorgst als darnach nur, eben diesen wahren Gott stets mehr zu erkennen und
stets mehr zu lieben,
da wird dann Er dir in allem zu helfen anfangen, und alles, was du heute noch
krumm ersiehst, wird morgen gerade vor dir stehen!
Lasse du daher diese Stadt nur da vom Schutte reinigen, wo allenfalls unter
demselben Menschen begraben sein möchten, was soeben geschieht.
Alle anderen Tempel, unter deren Schutte sich nichts als höchstens einige sehr
plumpe, wertlose, zertrümmerte Götzen befinden, aber lasse als Ruinen liegen!
Denn was Elemente zerstören, gilt diesem blinden Volke soviel, als hätten es die
Götter zerstört.
Es wird daher sich auch gar nicht darum bemühen, diese Tempel selbst wieder
aufzubauen;
denn es fürchtet sich, daß es wider den Willen der Götter dadurch tätig wäre,
was ihm eine große Strafe zuziehen könnte.
Priester aber, die das auf eine erdichtete Aufforderung von seiten der Götter
durch die Hände und Mittel des Volkes zu ihrem Besten unternommen hätten, sind
nicht mehr, –
und die noch da sind, werden nimmer Tempel für Götzen erbauen!
Also kannst du darob ganz ohne Sorge sein; der Herr Himmels und der Erde wird
das Beste machen für dich und fürs ganze Volk!
In dieser Zeit aber wird ohnehin mehrere Städte ein ähnliches Los treffen, daß
sie verschüttet werden hie und da; und so wird es wenig auffallen, so diese alte
Stadt in zehn Jahren gänzlich zur Ruine wird!“
Diese Rede Josephs tröstete den Cyrenius, und er kehrte wieder ganz wohlgemut
mit Joseph in die Wohnung zurück.
86. Kapitel – Die Heimkehr des Cyrenius mit
seiner Dienerschaft nach Ostracine. Maria im Gebet. Josephs tröstende Worte.
5. Dezember 1843
Im Speisezimmer angelangt, fragte der Cyrenius den Joseph: „Lieber Freund, du
mein Alles, siehe, mir ist soeben ein guter Gedanke durch die Brust und in den
Kopf gefahren!
Was meinst du, wäre es in meiner Sache, von der wir draußen uns besprachen und
du mir darüber wohl das Beste und Tröstlichste gesagt hast, nicht ersprießlich
für die volle Beruhigung meines Gemütes,
so ich die drei hier anwesenden Priester einvernehmen möchte, was da ihre
Meinung wäre?“
Und der Joseph sprach: „So dir mein Wort noch nicht genügt, – du bist hier der
Herr und kannst tun, was dir beliebt zu deiner Beruhigung,
obschon ich der Meinung bin, daß hier mit diesen Priestern eben nicht viel zu
reden sein wird, solange sie mich für den Uranos oder Saturnus und das Kindlein
für den sich verjüngenden Zeus halten!
Wenn du sie demnach fragen wirst darum, daran es dir liegt, so werden sie dich
offenbar an mich und an das Kindlein verweisen!“
Als der Cyrenius solches vom Joseph vernommen hatte, da stand er sobald ab von
seinem Verlangen und sprach darauf:
„Nun bin ich ganz im klaren; mein Gemüt ist völlig beruhigt, und ich kann meine
fernere Zeit wieder ganz ruhig dem ordentlichen Staatsgeschäfte widmen.
Es ist bereits Abend geworden; ich werde mich daher wieder in die Stadt begeben
mit meiner Dienerschaft!
Morgen aber am Nachmittag bin ich wieder bei dir; sollte ich aber dennoch eher
irgend deines Rates vonnöten haben, dann werde ich noch am Vormittage dich zu
mir entbitten!“
Hier segnete Joseph den Cyrenius und den Maronius, und der Cyrenius begab sich
noch zur Wiege und küßte ganz leise das schlafende Kindlein.
Sodann erhob er sich und begab sich mit Tränen in seinen Augen von dannen.
Während des Ganges sah er sich wenigstens einige hundert Male nach der Villa um,
welche nun für ihn mehr war als alle Schätze der Welt.
Joseph aber sandte dem Cyrenius auch einen Segen um den andern nach, solange er
nur noch etwas von der Schar des Cyrenius entdecken konnte.
Als nichts mehr vom Cyrenius zu entdecken war, da erst begab sich Joseph wieder
ins Haus und da zur Maria, die gerade – wie gewöhnlich um diese Zeit – tief im
Gebete zu Gott versammelt war.
Sobald sie aber den Joseph bei sich gewahrte, erhob sie sich und sprach: „Lieber
Gemahl, fürwahr, dieser Tag hat mich ganz ausgewechselt! – Die Welt, die Welt! –
sie ist für den Menschen kein Gewinn!“
Und der Joseph sprach: „Mein getreuestes Weib, du hast recht; aber ich denke:
Solange der Herr mit uns ist, da verlieren wir in der Welt auch nichts! Daher
sei guten Mutes; morgen wird uns wieder die alte Sonne neu und herrlich
aufgehen! Dem Herrn allein alle Ehre ewig Amen.“
87. Kapitel – Maria als Vorbild weiblicher
Demut. Das Lob- und Danklied Josephs und seiner Söhne. Die gute Wirkung auf die
drei Götzendiener.
6. Dezember 1843
Maria aber, die von jeher nie viel Worte machte und auch nie nach der Art der
Weiber das letzte Wort haben wollte, begnügte sich in ihrem Herzen mit der ganz
einfachen und ebenso kurzen Tröstung Josephs.
Sie begab sich darauf zur Ruhe, von Joseph dem Herrn in seinem Herzen
aufgeopfert.
Joseph aber begab sich darauf zu seinen Söhnen und sagte zu ihnen: „Kinder, der
Abend ist herrlich und schön; gehen wir hinaus ins Freie!
Da wollen wir im großen heiligen Tempel Gottes ein Loblied anstimmen und wollen
dem Herrn danken für alle die unendlichen Wohltaten, die Er uns und unsern
Vätern von Anbeginn der Welt erwiesen hat!“
Alsogleich ließen die Söhne Josephs alles stehen und folgten dem Vater.
Und er führte sie auf einen freien kleinen Hügel, welcher etwa hundert Schritte
von der Villa entfernt lag, zum Grunde Josephs gehörte und ungefähr eine Höhe
von zwanzig Klaftern hatte.
Es bemerkten aber solche Bewegung die drei Priester und meinten, die Götter
begeben sich für die Nacht etwa in den Olymp, um da einen allgemeinen Rat zu
halten mit allen Göttern.
Daher erhoben sie sich auch bald aus ihrem Gemache und schlichen ganz heimlich
und leise dem Joseph nach.
An dem Hügel angelangt, horchten sie unter einem dichtbelaubten Feigenbaume, was
da etwa die vermeinten Götter im Olymp beschließen werden.
Aber wie sehr fingen sie an, sich unter sich zu verwundern, als sie die
vermeinten Götter erster Klasse gar mächtig und ergreifend einen Gott anbeten
und lobsingen vernahmen.
Ganz besonders aber wirkten folgende Stellen eines Psalmes Davids auf sie,
welche Stellen also lauten:
„Herr Gott, Du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und
die Erde und die Welt geschaffen ward, bist Du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Der Du den Menschen lässest sterben und sprichst: ,Kommet wieder,
Menschenkinder!‘
Denn tausend Jahre sind vor Dir wie ein Tag, der gestern vergangen ist, und wie
eine Nachtwache.
Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, und sie sind dann wie ein Schlaf und
gleichwie ein Gras, das welk geworden ist,
das da frühe blüht und bald welk wird und des Abends abgehauen wird und dann
verdorrt.
Das macht Dein Zorn, daß wir so vergehen, und Dein Grimm, daß wir so plötzlich
dahinmüssen!
Denn unsere Missetat stellst Du vor Dich und unsere unerkannte Sünde in das
Licht vor Deinem Angesicht!
Darum fahren alle unsere Tage dahin durch Deinen Zorn, und wir bringen unsere
Jahre zu wie ein Geschwätz.
Unser Leben währet etwa siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es
achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so war es voll Mühe und Arbeit;
denn es fähret schnell dahin, als flögen wir von dannen!
Wer glaubt es aber, daß Du so sehr zürnest, und wer fürchtet sich vor solchem
Deinem Grimme?
Lehre uns aber bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.
Herr, kehre Dich doch wieder zu uns und sei Deinen Knechten gnädig!
Fülle uns frühe mit Deiner Gnade, so wollen wir Dich rühmen und in Dir fröhlich
sein unser Leben lang!
Erfreue uns nun wieder, nachdem Du uns lange geplaget hast und wir so lange im
Unglücke waren!
Zeige Deinen Knechten Deine Werke und Deine Ehre ihren Kindern!
Und Du Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände
bei uns; ja, das Werk unserer Hände wolle Du fördern!“ –
Als die drei diesen Gesang gar deutlich vernahmen, da begaben sie sich sogleich
wieder in ihr Gemach.
Und einer sprach zu den andern zweien: „Fürwahr, das können keine Götter sein,
die so zu einem Gott beten und Seinen Zorn und Grimm sogar über sie anerkennen!“
Und ein anderer sprach: „Das wäre im Grunde das wenigste; aber daß dieses Gebet
ganz uns getroffen hatte, da liegt das Ungetüm begraben!
Daher nun stille; die Betenden kommen zurück! Morgen aber wollen wir das
Vernommene tiefer prüfen für uns; also nur stille für heute, denn sie kommen!“
88. Kapitel – Die goldene Morgenstunde. Joseph
und seine Söhne auf dem Felde bei der Arbeit. Joel betäubt durch den Biß einer
giftigen Schlange. Die Heimkehr und der Schrecken zu Hause. Des Kindleins
tröstende Worte. Die Wiederbelebung Joels.
7. Dezember 1843
Joseph behieß aber dann seine Söhne, daß sie ihr allfälliges Geschäft noch
beenden sollen und darauf zur Ruhe gehen.
Er selbst aber, da er auch schon eine Müdigkeit in seinen Gliedern zu verspüren
anfing, begab sich darauf gleich zur Ruhe.
Also ward dieser Tag, der reich an Erscheinungen war, beschlossen.
Am nächsten Tage aber war unser Joseph, wie gewöhnlich, schon eine geraume Zeit
vor dem Aufgange der Sonne auf und weckte auch seine Söhne zur Arbeit.
Denn er sprach: „Golden ist die Morgenstunde; das wir in ihr tun, ist gesegneter
als des ganzen folgenden Tages Mühe!“
Und so ging er mit Ausnahme des Jakob, welcher beim Kindlein verbleiben mußte,
mit den älteren vier Söhnen sobald hinaus auf einen Acker und bestellte ihn.
Der älteste Sohn aber arbeitete am fleißigsten und wollte den andern dreien
vorkommen.
Siehe aber, als er so recht emsig mit dem Spaten in die Erde stach, da hob er
auf einmal eine sehr giftige Schlange aus dem Boden!
Und die Schlange bewegte sich schnell und biß ihn in den Fuß.
Wohl eilten die drei jüngeren Brüder herbei und erschlugen die Schlange; aber
dessenungeachtet schwoll der Fuß des Bruders zusehends, ein Schwindel befiel
ihn, und er sank bald in den Tod dahin.
Joseph und die drei jüngeren Brüder fingen an zu wehklagen und flehten zu Gott,
daß Er ihnen doch den Joel wieder erwecken möchte.
Und der Joseph verfluchte die Schlange und sagte zu den dreien: „Nun solle ewig
nimmermehr eine Schlange diesen Boden bekriechen!
Hebet den Bruder aber auf und traget ihn nach Hause; denn es muß also dem Herrn
gefallen haben, daß Er mir den Stammhalter nahm!“
Und die drei Brüder erhoben weinend den Joel und trugen ihn nach Hause, und
Joseph zerriß sein Gewand und folgte ihnen wehklagend.
Im Hause angelangt, kam, durch das Wehklagen erschreckt, ihnen alsbald die Maria
mit dem Kinde entgegen, und der Jakob folgte ihr.
Beide aber stießen einen Jammerschrei aus, als sie den entseelten Joel und den
Joseph mit zerrissenem Gewande erblickten.
Auch die drei Priester kamen sobald herbei und erschraken nicht wenig über den
Anblick des Leichnams.
Und einer sprach zum Joseph: „Nun erst glaube ich dir völlig, daß du auch nur
ein Mensch bist; denn wärest du ein Gott, wie könnten da deine Kinder sterben,
und wie möchtest du sie nicht sobald erwecken?!“
Das Kindlein aber sprach: „Ihr irret euch alle; Joel ist wohl betäubt und
schläft, aber tot ist er nicht!
Bringet eine Meerzwiebel her; leget sie ihm auf die Wunde, und es solle alsbald
besser mit ihm werden!“
Eiligst brachte Jakob eine solche Zwiebel herbei und legte sie dem Joel auf die
Wunde;
und er kam in wenigen Augenblicken wieder zu sich und fragte alle, was denn mit
ihm vorgefallen sei.
Die Umstehenden aber erzählten ihm alles sobald und lobten und priesen Gott für
die Rettung; die drei Priester aber bekamen eine große Achtung vor dem Kinde, –
aber eine noch größere vor der Zwiebel.
89. Kapitel – Josephs Opfergelübde. Des
Jesuskindleins Einspruch und Hinweis auf das Gott wohlgefälligste Opfer. Josephs
Einwand und seine Entkräftung durch das Kindlein.
9. Dezember 1843
Darauf begab sich Joseph sobald mit seiner ganzen Familie in das Schlafgemach
und lobte und pries Gott laut bei einer Stunde lang;
und machte auch ein Gelübde, demzufolge er, sobald er wieder nach Jerusalem
käme, dem Herrn ein Opfer darzubringen sich verpflichtete.
Das Kindlein aber sprach zum Joseph: „Höre du Mich an! – Meinst du, der Herr hat
daran ein Wohlgefallen?
O da irrest du dich gewaltig, – siehe, weder an den Brandopfern noch am Blute
der Tiere und ebensowenig am Mehle, Öle und Getreide hat Gott ein Wohlgefallen,
sondern allein nur an einem reumütigen, zerknirschten und demütigen Herzen, das
Ihn über alles liebt!
Hast du aber etwas Übriges, so gebe denen, die da nackt, hungrig und durstig
sind, so wirst du eine rechte Opferung dem Herrn darbringen!
Ich enthebe dich daher von deinem Gelübde und der Pflicht für den Tempel darum,
weil Ich dazu die volle Macht habe!
Ich Selbst aber werde einst dein Gelübde in Jerusalem auf eine Art erfüllen, daß
daran die ganze Erde gesättigt wird für die Ewigkeit!“ – – –
Joseph aber nahm das Kindlein auf seine Arme und küßte Es und sagte dann zu Ihm:
„Du mein allergeliebtester kleiner Jesus, Dein Joseph dankt Dir dafür zwar aus
ganzem Herzen und erkennt die vollste heilige Wahrheit Deines wunderbarsten
Ausspruchs;
aber siehe, Gott, Dein und unser aller Vater, hat dennoch solches durch Moses
und die Propheten angeordnet und uns, Seinen Kindern, zu halten befohlen!
O sage es mir: Hast Du, mein Söhnchen, obschon göttlicher heilig wunderbarer
Abkunft, wohl das Recht, die Gesetze des großen Vaters, der in Seinen Himmeln
wohnet ewig, aufzuheben?“
Das Kindlein aber sprach: „Joseph, so Ich es dir auch sagen würde, wer Ich bin,
so möchtest du es Mir dennoch nicht glauben, indem du in Mir nur ein
Menschenkind erschauest!
Aber dennoch sage Ich dir: Da Ich bin, da ist auch der Vater; da Ich aber nicht
bin, da ist auch der Vater nicht.
Ich aber bin nun hier und nicht im Tempel; wie solle dann der Vater im Tempel
sein? – !
Verstehst du das? – Siehe, wo des Vaters Liebe ist, da ist auch Sein Herz; in
Mir aber ist des Vaters Liebe und somit auch Sein Herz!
Niemand aber trägt sein Herz außer sich, also auch der Vater nicht; da Sein Herz
ist, da ist auch Er! – Verstehest du solches?“
Diese Worte erfüllten den Joseph, die Maria wie die fünf Söhne mit tiefer
heiliger Ahnung; und sie gingen dann hinaus und lobten in ihren Herzen den so
nahen Vater. Und die Maria machte sich dann an die Bereitung eines Morgenmahles.
90. Kapitel – Das Morgenmahl. Die Sitte der
Waschung. Der Widerstand der drei Priester gegen die Weisungen Josephs und ihre
Erziehung zum Gehorsam durch das Kindlein. Die bedeutsame Frage der Priester und
Josephs Verlegenheit.
11. Dezember 1843
Das Morgenmahl war bald bereitet, denn es bestand in nichts anderem als in einem
Topfe aufgesottener frischer Milch mit etwas Honig mit Thymian und in Brot.
Maria selbst brachte es auf den Tisch und rief den Joseph und die fünf Söhne wie
auch die drei Priester zum Tische.
Und der Joseph erschien sobald mit dem Kinde auf seinem Arme, übergab Es der
Mutter und begab sich dann zum Tische.
Hier stimmte er sogleich dem Herrn sein Loblied an; und als das Loblied
abgesungen war, da fragte Joseph nach gewohnter Sitte, ob alles gewaschen sei.
Und Maria, die fünf Söhne und das Kindlein sprachen: „Ja, wir sind alle gar wohl
gewaschen!“
Und der Joseph erwiderte: „Also möget ihr auch essen! Wie sieht es aber mit euch
dreien aus, habt auch ihr euch gewaschen?“
Die drei Priester aber sprachen: „Bei uns ist es nicht Sitte, sich am Morgen mit
Wasser zu waschen, wohl aber am Abende.
Am Morgen salben wir uns mit Öl, auf daß uns die Hitze des Tages nicht zu lästig
werde.“
Und der Joseph sprach: „Das mag gut sein; so ich in euer Haus käme, würde ich
ein Gleiches tun mit euch.
Da ihr aber nun bei mir im Hause seid, so beobachtet meine Sitte; denn sie ist
besser als die eurige!“
Die Priester aber baten, daß sie damit verschont werden möchten.
Da wollte Joseph den Priestern das Waschen erlassen;
aber das Kindlein sprach: „Fürwahr, zum Steine solle ein jeder Bissen in ihrem
Magen werden, so sie sich nicht eher reinwaschen mit Wasser, bevor sie
teilnehmen an dem Tische, an dem Ich gegenwärtig bin!“
Diese Worte brachen den drei Priestern sogleich ihre Sitte, und sie verlangten
Wasser und wuschen sich.
Nachdem sie sich aber gewaschen hatten, da lud sie Joseph sogleich wieder zum
Tische;
aber die Priester weigerten sich und getrauten sich nicht, denn sie fürchteten
das Kind.
Das Kindlein aber sprach: „So ihr euch nun weigern werdet, zum Tische zu gehen
und da mit uns das gesegnete Morgenmahl zu halten, so werdet ihr sterben!“
Und sogleich begaben sich die Priester zum Tische und aßen mit großer geheimer
Ehrfurcht vor dem Kinde.
Als aber das Morgenmahl verzehrt war, da erhob sich Joseph wieder und brachte
Gott den Dank dar.
Die Priester aber fragten ihn darauf: „Welchem Gotte dankest denn du? – Ist denn
nicht dies Kind der erste rechte Gott? – Wie dankest du da noch einem andern?“
Diese Frage frappierte den Joseph sehr, und er wußte nicht, was er darauf
erwidern solle.
Aber das Kindlein sprach: „Joseph! – sorge dich nicht vergeblich; denn was die
drei geredet haben, wird erfüllet werden! Aber jetzt sei du ohne Sorge; denn du
betest dennoch nur zu einem Gott und Vater!“
91. Kapitel – Die Liebe als das wahrhafte Gebet
zu Gott. Jesus als Sohn Gottes. Die heidnischen Gedanken der drei Priester und
des Kindleins Entgegnung.
12. Dezember 1843
Joseph küßte das Kindlein und sprach: „Ja fürwahr, wäre in Dir nicht das Herz
des Vaters, nimmer wärest Du solcher Worte fähig!
Denn wo wohl auf der ganzen Erde ist ein Kind Deines Alters, das da vermöchte
solche Worte aus sich zu reden, die noch nie ein Weiser geredet hat!
Darum sage mir, ob ich Dich als meinen Gott und Herrn vollkommen anbeten solle?“
Diese Frage Josephs an das Kindlein überraschte alle anwesenden Gemüter.
Aber das Kindlein sprach sanft lächelnd zum Joseph: „Joseph! weißt du wohl, wie
der Mensch zu Gott beten solle?
Siehe, du weißt es nicht völlig; darum will Ich es dir sagen.
Höre! Im Geiste und in der Wahrheit solle der Mensch zu Gott beten, nicht aber
mit den Lippen, wie es die Kinder der Welt tun, die da meinen, daß sie dadurch
Gott gedient haben, so sie eine Zeitlang mit ihren Lippen gewetzt haben.
Willst du aber im Geiste und in der Wahrheit beten, da liebe du Gott in deinem
Herzen, und tue Gutes allen Freunden und Feinden, so wird dein Gebet gerecht
sein vor Gott!
So aber jemand zu gewissen Zeiten eine kurze Zeit nur mit den Lippen gewetzt hat
vor Gott und hat während solcher Wetzerei an allerlei weltliche Dinge gedacht,
die ihm mehr am Herzen lagen als all sein loses Gebet, ja mehr als Gott Selbst,
– sage, ist das dann wohl auch ein Gebet?
Wahrlich, Millionen solcher Gebete werden bei Gott gerade also erhört werden,
als da erhöret ein Stein die Stimme eines Schreiers!
So du aber durch die Liebe zu Gott betest, da brauchst du nimmer zu fragen, ob
du Mich nun als den allerheiligsten Gott und Vater anbeten sollest.
Denn wer also zu Gott betet, der betet auch zu Mir; denn der Vater und Ich sind
einer Liebe und eines Herzens!“
Diese Worte bekehrten alle zur reinen Einsicht, und sie wußten nun, warum Jesus
ein Sohn Gottes geheißen werden solle.
Josephs Brust ward nun voll der höchsten himmlischen Wonne.
Und die Maria frohlockte heimlich über das Kindlein und behielt alle solche
Worte in ihrem Herzen; desgleichen auch die Söhne Josephs.
Die drei Priester aber sprachen zu Joseph: „Erhabenster Weiser aller Zeiten!
Einige ganz geheime Worte möchten wir mit dir ganz allein auf jenem Hügel reden,
allwo du gestern abend mit deinen Söhnen so herrlich und erbauend gebetet hast
zu deinem Gott!“
Das Kindlein aber sprach da sogleich in die Mitte, sagend nämlich:
„Meinet ihr denn, Meine Ohren werden zu kurz und werden auf dem Hügel nicht
euren Mund erreichen? – O ihr irrt euch; denn Meine Ohren reichen so weit wie
Meine Hände! Daher besprechet euch nur vor Mir hier.“
92. Kapitel – Die Enthüllung der Blindheit und
Torheit der drei Priester. Vom Tempelbau im Herzen und vom wahren Gottesdienst.
13. Dezember 1843
Die drei Priester aber wurden darob sehr verlegen und wußten nun nicht, was sie
machen sollten; denn sie getrauten sich nicht, ihr Anliegen in der Gegenwart des
Kindes dem Joseph zu enthüllen.
Das Kindlein aber sah sie an und sprach darauf mit einer recht festen Stimme:
„Möchtet ihr nicht auch aus Mir einen Götzen machen?
Dort an jenem Hügel möchtet ihr einen Tempel erbauen, im selben ein Schnitzwerk
nach Mir anbringen auf einem goldenen Altare und diesem Schnitzwerke dann opfern
nach eurer Art.
Versuchet nur so etwas zu unternehmen; wahrlich sage Ich euch, der erste, der
dafür einen Schritt tun und nur einen Finger ausstrecken wird, solle sogleich am
Platze des Todes sein!
Wollt ihr Mir aber schon einen Tempel erbauen, da erbauet ihn in euren Herzen
lebendig;
denn Ich bin lebendig, aber nicht tot, und will daher lebendige, aber nimmer
tote Tempel!
So ihr aber schon glaubet, daß in Mir da wohne die Fülle der Gottheit
leibhaftig, bin Ich da nicht Selbst genug ein Tempel lebendig vor euch?! –
Weshalb solle da von Mir noch ein Schnitzwerk und ein steinerner Tempel sein?
Was ist da mehr, Ich – oder so ein nichtssagender Tempel und ein Schnitzwerk von
Mir?
So der Lebendige bei euch und unter euch ist, wofür solle da dann der Tote wohl
gut und dienlich sein?
O ihr blinden Toren! – Ist denn das nicht mehr, so ihr Mich liebet, als wenn ihr
Mir tausend Tempel aus Steinen erbauen möchtet und möchtet dann tausend Jahre
lang in denselben vor geschnitzten Bildern von Mir eure Lippen wetzen in
verbrämten Röcken?!
So aber ein armer Mensch zu euch käme, der da nackt wäre und hungrig und
durstig,
ihr aber möchtet sagen: ,Siehe, das ist ein Halbgott, denn also erscheinen diese
hohen Wesen;
lasset uns von ihm ein Bild machen und es dann setzen in einen Tempel, auf daß
es von uns verehrt werde!‘ –
saget Mir, so ihr das sicher tätet, würde damit dem armen Menschen wohl etwas
gedient sein, und möchtet ihr sein Bild auch aus purem Golde anfertigen?!
Wird es aber dem Armen nicht mehr frommen, so ihr ihn nach eurer Liebe bekleidet
und reichet ihm dann Speise und Trank?
Ist aber Gott nicht lebendiger noch als jeder Mensch der Erde, indem doch alles
das Leben aus Ihm hat?
Solle Gott etwa blind sein, der die Sonne erschuf und gab dir ein sehend Auge?!
Oder solle Der taub sein, der dir das Ohr gemacht hat, und gefühllos, der dir
die Empfindung gab?
Siehe, wie töricht wäre das gedacht und geredet!
Gott ist sonach ja das vollkommenste Leben Selbst, also die vollkommenste Liebe;
wie wollt ihr Ihn denn hernach wie einen Toten anbeten und ehren? –
Bedenket dieses, auf daß ihr in eurer Blindheit geheilt werdet.“
Diese Rede trieb die drei Priester zu Boden; sie ersahen die heilige Wahrheit
und redeten am selben Tage nichts mehr.
93. Kapitel – Die allseitig gute Wirkung dieser
Belehrung. Die hl. Familie im häuslichen Leben. Die blinde Bettlerin und ihr
Traum. Die Heilung der Blinden durch das Badewasser des Kindes.
14. Dezember 1843
Nach solcher bezeigten Höchstachtung kehrten die drei Priester wieder in ihr
angewiesenes Gemach zurück und verblieben im selben bis zum Untergange der
Sonne.
Sie redeten nichts, sondern ein jeder von ihnen dachte über die Worte des
wunderbar redenden Kindes nach.
Joseph aber gab Gott die Ehre in seinem Herzen und dankte inbrünstigst für die
endlos große Gnade, daß er der Nährvater des Sohnes Gottes ward.
Als er also mit Maria und seinen Söhnen Gott die Ehre und das Lob gegeben hatte
und die Maria das Kindlein ebenfalls versorgt hatte,
da ward das Kindlein wieder dem Jakob übergeben, und Joseph ließ sich von der
Maria das zerrissene Kleid zusammenheften und ging dann mit seinen vier Söhnen
wieder hinaus auf den Acker und bestellte ihn.
Maria aber reinigte unterdessen das Zimmergeräte des Hauses, damit es rein sei
zum Empfange der Gäste, die da nachmittags wiederzukommen versprochen hatten.
Als sie mit der Reinigung zu Ende war, da sah sie wieder beim Kinde nach, ob Ihm
nichts fehle.
Das Kindlein aber begehrte die Brust und dann ein Bad, und das mit reinem kaltem
Wasser.
Maria tat das alles sogleich; und als sie das Kindlein gebadet hatte, kam ein
blindes Weib ins Zimmer zur Maria und klagte viel über ihr Elend.
Maria aber sprach zu diesem blinden Weibe: „Ich sehe wohl, daß du sehr elend
bist; aber was kann ich dir da wohl tun, daß dir damit geholfen wäre?“
Und das Weib sprach: „Höre mich an! – In dieser Nacht hat mir geträumt gar
wunderbar.
Ich sah, wie du ein gar mächtig leuchtendes Kind hattest; dieses Kind begehrte
von dir Brust und Bad.
Das Bad war ein frisches Wasser; und als du das Kind darinnen gebadet hast, da
ward das Wasser voll leuchtender Sterne!
Da erinnerte ich mich, daß ich blind bin, und wunderte mich nicht wenig, wie ich
solches alles zu sehen vermöchte.
Du aber hast daneben zu mir geredet: ,Weib, so nehme denn dieses Wasser, und
wasche dir die Augen, und du wirst sehend!‘
Da wollte ich sogleich nach dem Wasser greifen und mir die Augen waschen; aber
ich ward sobald wach – und bin noch blind geblieben!
Heute am Morgen aber sprach jemand zu mir: ,Gehe hinaus, und suche! Du wirst das
Weib mit dem Kinde treffen; denn du wirst eher in kein Haus kommen als in das
allein!‘
Hier bin ich nun am sichern Ziele meiner großen Mühe, Angst und Gefahr!“
Hier reichte Maria dem blinden Weibe das Badewasser, und das Weib wusch sich
damit das Gesicht und ward im Augenblicke sehend.
Das Weib aber wußte sich vor lauter Dank nicht zu helfen und wollte das sogleich
in ganz Ostracine ausposaunen; Maria aber verbot dem Weibe solches auf das
nachdrücklichste.
94. Kapitel – Der Geheilten Dank und Bitte um
Aufnahme in das Haus Josephs. Jakobs Zeugnis von Marias Wesen. Eine Voraussage
des Mädchens über die einstige Verehrung Marias. Marias Bescheidenheit. Josephs
Heimkehr.
15. Dezember 1843
Das Weib aber bat Mariam, ob sie ihr nicht erlauben möchte, daß sie bei ihr eine
Zeitlang verbleibe, auf daß sie dem Hause dienete, in dem ihr ein so großes Heil
widerfahren ist.
Maria aber sprach: „Weib, das steht nicht bei mir, denn ich bin selbst nur eine
Magd des Herrn.
Verharre aber eine Zeitlang, bis mein Gemahl vom Felde heimkehrt; von ihm sollst
du den rechten Bescheid bekommen!“
Das Weib aber fiel der Maria zu den Füßen und wollte sie förmlich als eine
Göttin anzubeten anfangen; denn sie sah die Heilung ihres Gesichtes als ein zu
großes Wunder an, indem sie eine Blindgeborne war.
Maria aber verwies ihr solches strenge und entfernte sich in ein anderes Gemach.
Das Weib aber fing darob an zu weinen, da sie der Meinung ward, als hätte sie
dadurch ihre größte Wohltäterin beleidigt.
Jakob aber, der im selben Zimmer das Kindlein lockte, sah das Weib an und sprach
zu ihr:
„Was weinest du, als hätte dir jemand etwas zuleide getan?“
Das Weib aber sprach: „Ach, du lieber Jüngling! Ich habe ja die beleidigt, die
mir das Licht der Augen gab; wie solle ich da nicht weinen?“
Der Jakob aber sprach: „Ach, sorge dich um etwas anderes! Das junge Weib, das
dir das Badewasser reichte, ist sanfter als eine Turteltaube; darum kann sie
nimmer beleidiget werden.
Wenn sie auch jemand beleidigen möchte, so kann er aber das doch nicht zuwege
bringen.
Denn da segnet sie ihn für eine Beleidigung zehn Male und bittet selbst den
Beleidiger auf eine Art um seine Freundschaft wieder, der auch der härteste
Stein nicht widerstehen könnte!
Siehe, so gut ist dieses Weib! Daher sei ja ohne Sorge; denn ich versichere dir,
daß sie soeben zu Gott für dich betet!“
Und also war es auch. Maria betete fürwahr zu Gott für dieses Weib, daß Er ihr
den Verstand erleuchten möchte, und sie dann einsehe, daß sie (die Maria
nämlich) auch nur ein schwaches Weib sei.
Maria war wohl vom höchsten Adel; aber ihre Freude bestand darin, daß sie
gedemütiget werde allorts und von jedermann.
Nach einer Weile aber kam die gute, liebe Maria wieder zurück und bat im Ernste
das Weib um Vergebung darum, so sie dieselbe etwa zu hart angefahren hätte.
Dieses Benehmen von Seite der Maria brachte das dankbare Weib völlig um vor
lauter Liebe zur Maria.
Und das Weib sprach in der völligen Verzückung ihrer Liebe:
„O du helle Psyche meines Geschlechtes, was ehedem dein edelstes Herz mir
verwies, das werden dir einst Völker tun!
Denn aus allen Weibern der Erde bist du sicher die erste, die mit den hohen
Göttern um so sicherer im Bunde steht, da sie nebst ihrer wahren Göttertugend
auch gar so unaussprechlich lieb, hold und schön ist!“
Maria aber sprach: „Liebes Weib, nach meinem Tode sollen die Menschen mit mir
machen, was sie wollen; aber bei meinen Lebzeiten solle das nicht geschehen!“
Hier kam der Joseph mit den vier Söhnen wieder zurück; und die Maria führte ihm
sogleich das Weib vor und erzählte ihm alles, was da vorgefallen ist.
95. Kapitel – Die Aufnahme der Geheilten durch
Joseph. Ihre bewegende Lebensgeschichte. Joseph tröstet die arme Waise.
16. Dezember 1843
Als das Weib aber sobald erkannte, daß Joseph der Gemahl der Maria sei, da ging
sie hin und brachte vor ihn die Bitte, daß sie in seinem Hause verbleiben
dürfte.
Und der Joseph sprach zum Weibe: „So dir solche Gnade widerfuhr, wie es mir mein
Weib kundgab nun in deiner Gegenwart, und du willst darum dankbar diesem Hause
sein, so magst du wohl bleiben.
Denn siehe, ich habe hier einen ziemlich großen Grund und habe mehrere Haustiere
und habe ein geräumiges Haus!
Und so wird es an der Beschäftigung nicht fehlen, und Raum zur Wohnung ist auch
genug da.
Mein Weib ist ohnehin mehr von schwacher Beschaffenheit in ihrer Leibeskraft;
daher wirst du mir einen guten Dienst erweisen, wenn du hie und da meinem Weibe
in der häuslichen Arbeit helfen magst.
Für alle deine Bedürfnisse solle gesorgt sein; aber in Geld kann ich dir keinen
Lohn geben, indem ich selbst keines habe.
Bist du mit diesem Antrage zufrieden, so magst du hier verbleiben nach deiner
Lust, aber nicht aus irgend einer vermeinten Pflicht!“
Diese Worte machten das Weib, die ohnehin eine ganz arme Waise war, überaus
glücklich, und sie lobte das Haus über die Maßen, in dem ihr so viel Gutes
entgegenkam.
Joseph aber fragte sie nach dem Geburtsorte und nach ihrem Alter, und welcher
Religion sie wohl sei.
Und das Weib erwiderte: „Aller Ehre würdigster Mann! – Ich bin aus Rom gebürtig,
bin die Tochter eines mächtigen Patriziers!
Mein ältliches Aussehen entspricht nicht meinem Alter; denn ich bin erst kaum
zwanzig Sommer eine Bewohnerin der Erde.
Ich kam blind zur Welt; meinen Eltern aber riet ein Priester, sie sollen mich
nach Delphi bringen, allda würde ich durch Apolls Erbarmung das Licht der Augen
bekommen.
Als dieser Rat meinen Eltern gegeben ward, da war ich zehn Jahre und sieben
Monate alt.
Meine Eltern, die sehr reich waren und mich als die einzige Tochter überaus
liebten, befolgten diesen Rat.
Sie mieteten ein Schiff, um mit mir nach Delphi zu steuern.
Wir befanden uns aber kaum drei Tage auf dem Meere, da kam ein allergewaltigster
Sturm und trieb das Schiff mit großer Schnelligkeit in diese Gegend.
Ungefähr zweihundert Klafter außerhalb des Ufers, wie es mir mein Lebensretter
oft erzählte, ward das Schiff auf eine Klippe geschleudert,
und alles bis auf mich und einen Matrosen, der mich gerettet hat, ging zugrunde,
und somit auch meine guten Eltern.
Nimmer fand sich eine Gelegenheit, die mich in meine Vaterstadt zurückbrächte.
Der Matrose starb auch hier schon vor fünf Jahren, und ich bin nun eine von
großer Not und Traurigkeit abgezehrte waise Bettlerin in diesem Orte.
Doch da ich solch eine Gnade sicher bei den Göttern gefunden habe und habe
meiner Augen Licht bekommen und nun sehen kann meine Wohltäter, so will ich ja
gerne vergessen meiner großen Trübsal!“
Diese Erzählung des scheinbaren Weibes brachte alles zum Weinen; und der Joseph
sprach: „O du arme Waise, sei getröstet; denn hier sollst du deine Eltern
vielfach wiederfinden!“
96. Kapitel – Die Frage der Waise auf die für
sie dunklen Worte Josephs. Josephs Antwort.
18. Dezember 1843
Das vermeintliche Weib aber verstand den Joseph nicht völlig, was er mit der
Gewinnung der mehrfachen Eltern gemeint hatte; daher fragte sie ihn:
„O du lieber, überguter Mann, in dessen Hause mir eine so endlos wunderbar große
Gnade widerfuhr, was wohl meinst du damit, daß mir nach deinem Worte eine
mehrfache Wiederfindung meiner verlornen Eltern hier werden solle?“
Joseph aber sprach zu ihr: „Fürwahr, du sollst in meinem Hause meinen Kindern
gleich gehalten werden dein Leben lang!
Du sollst bei mir den einig und ewig wahren Gott erkennen lernen, der da ist
Derselbe, der dich erschaffen hat und dir nun wiedergab das Licht deiner Augen.
Ja du sollest deinen Gott und Herrn wesenhaft erkennen und sollst von Ihm Selbst
gelehret werden!
Also wirst du auch hier gar bald einem hohen Römer in diesem meinem Hause
begegnen, der deine Sachen in Rom ordnen wird.
Und dieser Römer ist Cyrenius, ein Bruder des Augustus.
Er kannte sicher deine Eltern und wird sich auf mein Anraten sicher auch für
deiner Eltern Sache deinetwegen in Rom verwenden. – Und das werden doch deine
Eltern mehrfach sein, geistlich und leiblich?!
Denn so irgend deine leibhaftigen Eltern lebten, sage, könnten diese mehr tun
für dich?
Hätten sie dir wohl das Licht deiner Augen wiedergegeben, und hätten sie dir
wohl den einigen, ewigen, wahren Gott zu zeigen vermocht?
Deine leiblichen Eltern hätten dich wohl zeitlich versorgt, hier aber wirst du
für ewig versorgt werden, so du diese Versorgung nur annehmen willst!
Sage, was ist dann wohl mehr, deine leiblichen Eltern, die das Meer verschlungen
hat, oder deine jetzigen, denen das Meer im Namen des einen Gottes gehorchen
muß?“
Hier war das vermeintliche Weib völlig stumm vor lauter Hochachtung und Liebe
gegen den Joseph.
Denn sie meinte, da sie ohnehin schon hie und da so ganz leise reden gehört
hatte, als wohne irgend in der Gegend von Ostracine der Zeus, sie sei nun in der
leibhaftigen Gegenwart desselben.
Joseph aber erkannte gar bald den Wahn des Weibes und sprach zu ihr:
„O Magd, o Tochter! – Halte mich ja nicht für mehr als ich bin; am wenigsten
aber für etwas, das nichts ist!
Ich bin dir gleich ein Mensch, das genüge dir vorderhand. Mit der Zeit aber wird
es schon heller werden um dich; daher gut für jetzt!
Bringet aber nun das Mittagsmahl; nach diesem wollen wir mehreres kennenlernen;
also geschehe es.“
97. Kapitel – Josephs Worte wegen der drei
fastenden Priester. Die Demut der neuen Hausgenossin und ihre Annahme als
Tochter durch Joseph. Der Segen und die Freude des Jesuskindleins.
19. Dezember 1843
Die Söhne Josephs gingen sogleich hinaus und brachten das Mittagsmahl herein.
Joseph aber sprach: „Was ist mit den dreien, werden sie mit uns das Mittagsmahl
halten, oder werden sie etwa lieber für heute in ihrem Gemache speisen?
Gehet hinaus und erkundiget euch darnach, und es soll ihnen werden, wie sie es
am liebsten haben wollen!“
Und die Söhne gingen und fragten die drei; diese aber sprachen nichts, sondern
bedeuteten den Söhnen, daß sie vor dem Untergange nichts reden und nichts zu
sich nehmen werden, weder Speise noch Trank!
Solches berichteten die Söhne dem Joseph, und Joseph war damit zufrieden und
sprach:
„Wenn sich die drei das zu einer Gewissenssache gemacht haben, da würden wir
sündigen an ihnen, so wir sie nicht belassen möchten in der Treue ihres
Gelübdes!
Setzen wir uns daher im Namen des Herrn nur zum Tische und verzehren dankbar,
was uns Gott bescheret hat!“
Das vermeintliche Weib aber sprach: „O Herr dieses Hauses! – Du bist zu gut, und
ich habe keinen Wert; daher bin ich wohl nicht würdig, an deinem Tische zu
essen; an der Flur des Hauses will ich dankbarst verzehren, was mir deine Güte
bescheren wird!
Zudem sind auch meine gar zu zerlumpten Kleider und mein ungewaschener Leib wohl
nicht schicklich für einen Tisch eines solchen Herrn, wie du einer bist!“
Joseph aber sprach zu den Söhnen: „Gehet und bringet vier große Krüge Wassers;
stellet sie ins Seitengemach der Maria!
Du, Weib, aber gehe und wasche das Weib und kämme sie und ziehe ihr deine besten
Kleider an!
Und wenn sie also köstlich und festlich ausgestattet sein wird, dann führe sie
hierher, damit sie mit uns ohne Scheu halte das Mittagsmahl!“
In einer halben Stunde war der Wille Josephs vollzogen, und ganz gereinigt stand
nun an der Stelle des Weibes ein gar liebes, schüchternes und überaus dankbares
Mädchen da, in deren Gesicht nur noch die Spuren der ehemaligen Traurigkeit zu
sehen waren.
Sie war ihren Zügen nach von großer Schönheit, und in ihren Augen lag tiefe
Demut, aber auch tiefe Liebe.
Joseph hatte eine rechte Freude an diesem Kinde nun und sprach: „O Herr, ich
danke Dir, daß Du mich dazu ausersehen hast, diese Arme zu retten; in Deinem
allerheiligsten Namen will ich sie zur völligen Tochter aufnehmen!“
Und zu den Söhnen sich wendend, sprach er: „Sehet an eure arme Schwester, und
grüßet sie als Brüder!“
Mit viel Freuden taten das die Söhne Josephs, und am Ende sprach auch das
Kindlein:
„Also, wie von euch, sei sie auch von Mir angenommen; das ist ein gutes Werk und
macht Mir viel Freude!“
Als aber das Mädchen das Kindlein also reden hörte, da verwunderte sie sich und
sprach: „O Wunder! – was ist das, daß dies Kindlein also redet wie ein Gott!?“ –
98. Kapitel – Die liebliche Szene zwischen dem
Mädchen und dem Kindlein. Die Gefahren des hl. Geheimnisses. Die Seligkeit und
überschwengliche Freude des Mädchens.
20. Dezember 1843
Das Mädchen ging sogleich hin zum Kindlein und sprach:
„O was bist Du doch für ein außerordentliches Wunderkind!
Ja, Du bist dasselbe leuchtende Kindlein, von dem es mir so wunderbar geträumt
hat, daß Es die Mutter gebadet hatte und mir hernach dasselbe Badewasser das
Licht meiner Augen gab!
Ja, ja, Du göttlich Kindlein! – Du gabst mir das Licht der Augen; Du bist mein
Heiland; Du bist der wahre Apollo von Delphi!
Ja, Du bist in meinem Herzen schon jetzt mehr als alle Götter Roms,
Griechenlands und Ägyptens!
Welch ein hoher göttlicher Geist muß in Dir wohnen, der Dir schon so früh Deine
Zunge gelöset hat, und der durch Dich schon jetzt so heilbringend und mächtig
wirkend sich zu erkennen gibt!? –
Heil euch Menschen der Erde, die ihr samt mir in großer Finsternis und Trübsal
lebet!
Hier ist die Sonne der Himmel, die euch Blinden, wie mir, die Sehe wiedergeben
wird!
O Rom! du mächtige Bezwingerin der Erde, siehe, hier vor mir lächelt der Held
mich an, der dich in einen Schutthaufen umwandeln wird!
Sein Panier wird Er über deinen Mauern aufpflanzen, und du wirst zu Grabe gehen;
wie da verwehet wird vom Sturme eine lose Spreu, so wirst du verweht werden!“
Das Kindlein aber bot dem Mädchen die Hand und verlangte zu ihr.
Und das Mädchen nahm Es mit tausend Freuden zu sich und herzte und kosete Es.
Das Kindlein aber spielte mit den reichen Locken des Mädchens und sprach dabei
ganz leise zum Mädchen:
„Glaubst du, Meine liebe Schwester, wohl den Worten, die du ehedem ausgesprochen
hast vor Mir, da Ich Mich noch auf den Armen Meines Bruders befand?“
Und das Mädchen sprach eben auch ganz leise zum Kindlein:
„Ja, Du mein Heiland, Du mein Licht, Du meine erste Morgensonne! – jetzt glaube
ich um so fester, da Du mich darnach gefragt hast!“
Und das Kindlein sprach darauf: „Wohl dir, daß du in deinem Herzen also glaubst,
wie du geredet hast!
Aber das sage Ich dir, halte vorderhand nichts geheimer als eben dieses dein
Glaubensbekenntnis!
Denn nie hat der Feind alles Lebens sein Ohr also gespitzt, als gerade in dieser
Zeit!
Daher schweige von Mir, und verrate Mich ja nicht, wenn es dir daran liegt, von
diesem Feinde nicht für ewig getötet zu werden!“
Das Mädchen aber gelobte solches allerkräftigst und ward in der Zeit, da sie das
Kindlein lockte, so ganz vollkommen jugendlich schön, daß sich darob alle höchst
zu verwundern anfingen; und das Mädchen konnte sich vor lauter Seligkeit beinahe
gar nicht helfen, ja so selig war sie, daß sie zu jauchzen und zu kirren begann.
99. Kapitel – Des Cyrenius und Pillas Ankunft.
Josephs Bericht über das Mädchen. Des Cyrenius Werbung um die Adoptivtochter
Josephs.
21. Dezember 1843
Als das Mädchen noch in ihrer größten Freude sich befand, da kam gerade der
Cyrenius wieder in Gesellschaft des Maronius Pilla zum Joseph, wie er es am
vorigen Abende versprochen hatte.
Joseph und Maria empfingen ihn mit großer, herzlichster Freude, und der Cyrenius
sprach:
„O du mein erhabener Freund und Bruder, was habt ihr denn doch erlebt, darob ihr
zu meiner großen Freude so heiter seid?“
Joseph aber wies den Cyrenius sogleich an das Mädchen und sprach:
„Siehe, dort mit dem Kindlein auf dem Arme und in eine tiefe Wonne versunken,
siehst du den Gegenstand unserer Freude!“
Cyrenius blickte das Mädchen näher an und sprach darauf zum Joseph:
„Hast du sie denn zu einer Kindsmagd angenommen? – Woher kam denn diese schöne
israelitische Maid?“
Und der Joseph erwiderte dem vor Neugierde brennenden Cyrenius:
„O hoher Freund! – siehe, ein Wunder brachte sie unter dies Obdach! – Sie kam
blind zu mir, aussehend wie ein betagtes allerärmstes Bettelweib.
Durch die Wundermacht des Kindleins aber bekam sie ihr Gesicht, und es zeigte
sich dann, daß sie erst eine Magd von kaum zwanzig Sommern ist, und ist eine
Waise, darum ich sie denn auch zu einer Tochter angenommen habe; und das ist der
so ganz eigentliche Grund unserer Freude!“
Und der Cyrenius, das Mädchen mit stets größerem Wohlgefallen betrachtend,
während das Mädchen aus lauter Wonne den Cyrenius noch gar nicht bemerkte,
obschon er in seinem vollen Glanze gegenwärtig war, sprach zum Joseph:
„O Freund, o Bruder! – wie sehr bedaure ich mich nun, daß ich ein hoher
römischer Patrizier bin!
Fürwahr, ich gäbe alles darum, so ich ein Jude wäre und könnte diese herrliche
Jüdin von dir mir nun zum Weibe erbitten!
Denn du weißt, daß ich ledig und kinderlos bin. O was könnte mir so ein Weib,
von dir gesegnet, sein!“
Und der Joseph lächelte den Cyrenius an und fragte ihn: „Was würdest du denn
tun, so dies Mädchen keine Jüdin, sondern eine Römerin hohen Standes wäre, dir
gleich?
So sie die einzige Tochter eines Patriziers wäre, deren Eltern den Untergang in
den Fluten des Meeres bei einer Fahrt nach Delphi fanden? – !“
Hier sah der Cyrenius den Joseph ganz verblüfft an und sagte nach einer stummen
Weile:
„O erhabener Freund und Bruder! Was sprichst du hier!? – Ich bitte dich, erkläre
dich deutlicher; denn die Sache scheint mich nahe anzugehen!“
Joseph aber sagte: „Mein hoher Freund! Siehe, es hat alles seine Zeit; daher
gedulde dich auch du hier ein wenig, und das Mädchen selbst wird dir alles
kundgeben!
Du aber gebe mir kund vorderhand, wie es mit den ausgegrabenen Leichen aus dem
Schutte des Tempels aussieht!“
100. Kapitel – Cyrenius berichtet über die
Wiederbelebung von zweihundert Scheintoten. – Sein steigendes Interesse an dem
fremden Mädchen. Josephs Bedenken. Das dreifache Eherecht im alten Rom.
22. Dezember 1843
Cyrenius aber sprach zum Joseph: „O Freund und Bruder! Kümmere dich nicht der
Leichen; denn in dieser Nacht sind bei zweihundert zum Leben gebracht worden,
und ich habe für ihr Unterkommen heute den ganzen Vormittag gesorgt!
Und sollten im Verlaufe der Schuttwegräumung noch mehrere unversehrte Leichen
vorgefunden werden, so wird für sie gesorgt sein wie für die bisherigen.
Siehe, das ist in kurzem das Ganze und ist bei weitem von keinem so großen
Interesse nun für mich als eben diese Maid, die nach deiner mir höchst
glaubwürdigen Aussage die Tochter eines verunglückten römischen Patriziers sein
soll!
Lasse mich daher vorher genau in Erfahrung bringen, wie es mit diesem Kinde
steht, auf daß ich dann ja alles aufbieten kann, was zum Wohle dieser Waise
erforderlich ist.
Siehe, wie ich dir schon ehedem gesagt habe, ich bin ledig und habe keine
Kinder; kann sie wohl besser versorgt werden, als so ich sie als ein Bruder des
Kaisers zum festen Weibe nehme!?
Daher also liegt mir die Geschichte dieses Mädchens nun vor allem stets mehr und
mehr – und mehr am Herzen!
Verschaffe mir daher nur sogleich die Gelegenheit, daß ich mich mit diesem
herrlichen Kinde bespreche und wohl berate!“
Und der Joseph sprach zum Cyrenius: „Hoher Freund und Bruder! Du sprichst da zu
mir, daß du ledig seist, und hast doch in Tyrus selbst zu mir geredet, daß du
vermählt bist mit einem Weibe, – nur hast du keine Kinder mit ihr!?
Sage mir, wie solle ich das nehmen? – Du kannst dir wohl ein zweites Weib
nehmen, so das erste unfruchtbar ist; aber wie du als ein vermählter Gatte noch
ledig seist, fürwahr, das verstehe ich nicht! Darüber erkläre dich deutlicher!“
Und der Cyrenius lächelte bei dieser Gelegenheit und sprach: „Lieber Freund! Ich
sehe, daß du mit den Gesetzen Roms nicht vertraut bist; daher muß ich dir schon
einen näheren Aufschluß erteilen, – und so höre mich denn!
Siehe, wir Römer haben ein dreifaches Eherecht; zwei darunter sind nicht
bindend, nur eines ist bindend.
Laut der zwei nicht bindenden Gesetze kann ich mich vermählen wohl mit einer
Sklavin sogar; ich habe aber darum dennoch kein festes Weib, sondern nur eine
gesetzlich erlaubte Beischläferin, und ich bin dabei ledig noch und kann mir
allzeit ein standesmäßiges rechtes Weib nehmen.
Der Unterschied der ersten zwei nicht bindenden Gesetze besteht bloß darin, daß
ich im ersten Falle mir bloß eine Konkubine nehmen kann, ohne die geringste
Verbindlichkeit, sie je zum rechtmäßigen Weibe zu nehmen.
Im zweiten Falle aber kann ich auch die Tochter von einem standesmäßigen Hause
mir bloß von ihren Eltern anbinden lassen unter der Bedingung, sie zum
rechtmäßigen Weibe zu nehmen, so ich mit ihr ein bis drei lebende Kinder
erzeuge, darunter wenigstens eines ein Knabe ist.
Im dritten Falle tritt dann erst das festbindende Gesetz ein, laut dem ich erst
vor dem Altare Hymens von einem dazu bestimmten Priester mit einem rechtmäßigen
Weibe fest verbunden werde und dann nicht mehr ledig, sondern verheiratet bin.
Also hebt bei uns weder die Vermählung (nuptias capere), noch die examinative
Ehe (patrimonium), sondern allein die wirkliche Verheiratung (uxorem ducere) den
ledigen Stand auf nach den Gesetzen, wie sie jetzt bestehen.
Also können wir nuptias capere, patrimonium facere und uxorem ducere, und nur
das Letzte hebt das Ledigsein auf.
Siehe, darum auch bin ich um so mehr ledig, da ich mit der Konkubine keine
Kinder erzeugen kann, und wäre sogar dann noch ledig, so ich mit ihr Kinder
hätte, weil die Konkubinat-Kinder bei uns kein Recht auf den Vater haben, außer
der Vater adoptiert sie mit des Kaisers Einwilligung!
Nun weißt du alles, daher ersuche ich dich, mich nun mit der Geschichte dieses
Mädchens näher vertraut zu machen; denn ich bin nun vollkommen entschlossen,
mich mit ihr sogleich vollkommen zu verheiraten!“
Als der Joseph das vom Cyrenius vernommen hatte, da sprach er: „Wenn also, dann
will ich selbst zuvor das Mädchen unterrichten und vorbereiten, auf daß sie ein
solcher Antrag nicht schwäche oder gar töte!“
101. Kapitel – Tullia lernt Cyrenius kennen.
Eine wunderbare Entdeckung: Tullia, die Base und Jugendliebe des Cyrenius.
Cyrenius gerührt.
23. Dezember 1843
Darauf ging der Joseph hin zum immer noch mit dem Kindlein beschäftigten
Mädchen, zupfte sie am Ärmel und sprach zu ihr:
„Höre, meine teure Tochter, hast du denn im Ernste noch nicht bemerkt, wer sich
nun hier befindet? – Blicke doch einmal auf und sehe!“
Hier erwachte das Mädchen aus ihrer Wonne und ersah den glänzenden Cyrenius.
Sie erschrak förmlich und fragte ganz ängstlich: „O du mein lieber Vater Joseph,
wer ist dieser gar so stark glänzende Mann? – Was will er hier? Woher kam er
denn?!“
Und der Joseph sprach zum Mädchen: „O fürchte dich nicht, meine Tochter Tullia!
– Siehe, das ist der überaus gute Cyrenius, ein Bruder des Kaisers und
Statthalter von Asien und einem Teile Afrikas!
Dieser wird deine Sache in Rom sicher in die beste Ordnung bringen; denn du bist
ihm schon beim ersten Anblicke sehr teuer geworden!
Gehe aber hin, und bitte ihn um Gehör, und trage ihm deine ganze
Lebensgeschichte vor, und sei versichert, daß du nicht zu tauben Ohren wirst
geredet haben!“
Das Mädchen aber sprach: „O du mein lieber Vater! Das getraue ich mir nicht;
denn ich weiß, so ein Herr prüft ganz entsetzlich strenge bei solchen
Gelegenheiten, und hat er irgendeinen Punkt erfahren, der sich nicht erweisen
läßt, da droht er einem gleich mit dem Tode!
Wie es mir in meiner Armut schon einmal ergangen ist, da mich sicher auch ein
solcher Herr zu examinieren hatte angefangen, woher ich wäre.
Und als ich ihm alles getreu kundgab, da forderte er dann gar strenge Beweise
von mir.
Da ich ihm aber solche in meiner gänzlichen Verwaistheit und blanksten Armut
nicht herzustellen vermochte, da gebot er mir das gestrengste Schweigen und
drohte mir mit dem Tode, so ich noch mehr davon zu jemandem reden möchte.
Ich bitte dich darum, verrate auch du mich nicht, sonst bin ich sicher
verloren!“
Hier trat der Cyrenius, der diese leise Unterredung vernommen hatte, hin zur
Tullia und sprach zu ihr:
„O Tullia! Fürchte den nicht, der ja alles aufbieten will, um dich so glücklich
als möglich zu machen!
Sage mir nichts als nur den Namen deines Vaters, so du ihn dir noch gemerkt
hast, und mehr brauche ich nicht.
Doch fürchte ja nichts, wenn dir auch der Name deines Vaters entfallen wäre; du
bleibst mir gleich teuer darum, daß du nun eine Tochter dieses meines größten
Freundes bist!“
Hier bekam die Tullia schon mehr Mut und sprach zum Cyrenius: „Wahrlich, wenn
mich dein sanftes Auge täuscht, so ist die ganze Welt eine Lüge! Ich will dir
daher ja wohl sagen, wie mein guter Vater hieß.
Siehe, sein Name war Victor Aurelius Dexter Latii; – so du ein Bruder des
Kaisers bist, da muß dieser Name dir nicht fremd sein.“
Als der Cyrenius diesen Namen vernommen hatte, da ward er sichtbar gerührt und
sprach mit gebrochener Stimme:
„O Tullia, das war ja ein rechter Bruder meiner Mutter! – Ja, ja, von dem weiß
ich ja, daß er mit einem rechtmäßigen Weibe eine blindgeborne Tochter hatte, die
er über alles liebte!
O wie oft habe ich ihn beneidet um sein Glück, das eigentlich ein Unglück war! –
Aber ihm war die blinde Tullia mehr als die ganze Welt!
Ja ich selbst war in diese Tullia, da sie noch kaum vier bis fünf Jahre alt war,
ganz verliebt und habe oft bei mir geschworen, diese oder sonst keine soll mein
rechtes Weib werden dereinst!
Und – o Gott! – nun finde ich dieselbe himmlische Tullia hier im Hause meines
himmlischen, göttlichen Freundes!
O Gott, o Gott! – das ist zuviel Lohnes auf einmal für einen schwachen
Sterblichen um das Wenige, das ich, ein Nichts vor Dir, o Herr, tat!“ – Hier
sank der schwachgewordene Cyrenius auf einen Stuhl und faßte sich nach einer
Weile erst wieder zur ferneren Rede mit der Tullia.
102. Kapitel – Cyrenius wirbt um die Hand
Tullias. Seine Prüfung durch Tullia. Ein Evangelium der Ehe.
27. Dezember 1843
Nach der Erholung sprach der Cyrenius wieder zur Tullia: „Tullia! Möchtest du
mir denn nicht die Hand reichen und werden mein rechtmäßiges Weib, so ich dich
dazu aus dem tiefsten Grunde meines Herzens erbitten würde?“
Und die Tullia sprach: „Was möchtest du mir wohl tun, so ich dir solches
verweigern würde?“
Und der Cyrenius sprach etwas erregt, aber immer aus dem besten Herzen:
„Dann würde ich es Dem aufopfern, den du auf deinen Armen hältst, und würde
sodann traurig ziehen von dannen!“
Und die Tullia fragte den Cyrenius weiter, sagend nämlich: „Was würdest du denn
dann tun, so ich Den, der nun auf meinen Armen ruht, um einen Rat fragen würde,
was ich tun solle,
und Er widerriete mir, anzunehmen deinen Antrag, und hieße mich treu verbleiben
dem Hause, das mich so überaus freundlichst aufgenommen hat!?“
Und der Cyrenius stutzte bei dieser Frage ein wenig, sprach aber dennoch etwas
verlegen:
„Ja dann, du meine herrlichste Tullia, – dann müßte ich freilich ohne Widerrede
sobald abstehen von meinem Verlangen!
Denn gegen den Willen Dessen, dem alle Elemente gehorchen, kann sich der
sterbliche Mensch ewig nimmer auflehnen!
O frage das Kindlein aber ja sogleich, auf daß ich ja ehestens erfahre, wie ich
daran bin!“
Das Kindlein aber richtete Sich sogleich auf und sprach: „Ich bin nicht ein Herr
dessen, was der Welt ist; daher seid ihr von Mir aus in allem Weltlichen frei.
Habt ihr aber wahre Liebe in euren Herzen zueinander gefaßt, da sollet ihr
dieselbe nicht brechen!
Denn es gibt bei Mir kein anderes Gesetz für die Ehe, als welches da mit
glühender Schrift geschrieben steht in euren Herzen!
Habt ihr euch aber schon beim ersten Anblicke laut dieses lebendigen Gesetzes
erkannt und verbunden, da sollet ihr euch auch nicht mehr trennen, so ihr nicht
sündigen wollet vor Mir!
Ich halte aber kein weltlich Eheband für gültig, sondern allein das des Herzens;
wer dieses bricht, der ist ein wahrhaftiger Ehebrecher vor Mir!
Du, Mein Cyrenius, hast zu dieser Tochter dein Herz gar mächtig gefaßt; daher
sollst du es nicht mehr abwenden von ihr!
Und du, Tochter, aber warst beim ersten Anblicke brennend schon in deinem Herzen
zum Cyrenius, darum bist du schon sein Weib vor Mir und brauchst nicht erst
eines zu werden!
Denn bei Mir gilt nicht äußerer Rat oder Widerrat, sondern allein der Rat eurer
Herzen ist bei Mir gültig.
Bleibet sonach diesem für ewig getreu, wollt ihr nicht zu wahrhaftigen
Ehebrechern werden vor Mir!
Verflucht aber sei ein Widerräter aus weltlichen Gründen in der Sache der Liebe,
die von Mir ist!
Was ist denn mehr: die lebendige Liebe, die aus Mir ist, oder der weltliche
Grund, der aus der Hölle ist?
Wehe aber auch der Liebe, deren Grund die Welt ist; sie sei verflucht!“ –
Diese Worte des Kindleins machten, daß sich alle entsetzten, und niemand
getraute sich weiter etwas zu reden in der Sache der Ehe.
103. Kapitel – Das göttliche Kind erklärt das
lebendige Ehegesetz. Die Liebe des Kopfes und die Liebe des Herzens. Die
Verbindung der beiden Liebenden durch das Kindlein. Tullias Bekenntnis von der
Gottheit im Kindlein.
28. Dezember 1843
Da aber alle auf diese Rede des Kindleins ganz bestürzt vor sich hinblickten und
niemand etwas zu reden sich getraute, da öffnete auf einmal das Kindlein wieder
den Mund und sprach:
„Was steht ihr alle denn nun so traurig um Mich herum? Habe Ich euch doch nichts
zuleide getan!
Dir, Mein Cyrenius, gab Ich, danach dein Herz dürstete, und also auch dir, du
liebe Tullia; was wollt ihr denn mehr?
Solle Ich denn etwa den lebendigen Ehebruch gutheißen, während doch ihr Menschen
auf den toten die Todesstrafe gesetzt habet?
Welch ein Verlangen wohl wäre das?! Ist denn das, was im Leben vorgeht, nicht
mehr, als was im Tode gerichtet ist?
Ich meine, des sollet ihr euch wohl freuen, aber nicht trauern, darum es also
ist!
Wer da liebt, liebt der im Herzen oder im Kopfe?
Ihr aber habt eure Ehegesetze nicht dem Herzen, sondern nur dem Kopfe entlockt!
Das Leben aber ist nur im Herzen und geht vom selben in alle Teile des Menschen
aus, und somit auch in den Kopf, welcher in sich kein Leben hat, sondern tot
ist.
So ihr aber schon die Gesetze des Kopfes mit dem Tode sanktionieret, die samt
dem Kopfe tot sind, um wieviel billiger ist es dann, die lebendigen ewigen
Gesetze des Herzens zu respektieren!
Daher aber freuet euch, daß Ich als der Lebendige unter euch die Gesetze des
Lebens festhalte; denn täte Ich solches nicht, so wäre über euch alle schon
lange der ewige Tod gekommen!
Darum aber kam Ich in die Welt, auf daß durch Mich alle die Werke und Gesetze
des Todes vernichtet werden und an ihre Stelle treten müssen die alten Gesetze
des Lebens!
So Ich euch aber im voraus zeige, was da sind die Gesetze des Lebens, und was
die des Todes, was Leids wohl tue Ich euch dadurch, daß ihr darob trauert und
euch vor Mir fürchtet, als hätte Ich euch anstatt des Lebens den Tod gebracht?!
O ihr Törichten! In Mir ist das alte ewige Leben zu euch gekommen; daher freuet
euch und seid nimmerdar traurig!
Und du, Mein Cyrenius, nehme hin das Weib, das Ich dir gebe; und du, Tullia,
nehme den Mann, den Ich dir zugeführt habe vollernstlich; nur sollet ihr euch
nimmer verlassen!
Wenn euch aber des Leibes Tod getrennt wird haben, dann solle der überlebende
Teil frei sein dem Außen nach, aber die Liebe solle währen ewiglich, Amen.“
Diese Worte des Kindleins setzten alle ins größte Erstaunen;
und die Tullia sprach, ganz zitternd vor der größten Ehrfurcht:
„O Menschen! Dieses Kind ist kein Menschenkind, sondern Es ist die höchste
Gottheit Selbst!
Denn also kann kein Mensch, sondern nur ein Gott reden; nur ein Gott als das
Grundleben Selbst kann die Gesetze des Lebens kennen und kann sie in uns
erwecken!
Wir Menschen aber sind alle tot; wie könnten wir da die Gesetze des Lebens
finden und dieselben als solche setzen?
O Du überheiliges Kindlein, jetzt erst erkenne ich klar, was ich ehedem dunkel
geahnt habe: Du bist der Herr Himmels und der Erde von Ewigkeit! – Dir sei daher
auch alle meine Anbetung!“
104. Kapitel – Des Cyrenius Bitte um des
Kindleins Segen. Des Kindleins Forderung an Cyrenius, auf Eudokia um der Tullia
willen zu verzichten. Cyrenius' innerer Kampf. Des Kindleins fester Wille.
Eudokia wird in das Haus Josephs gebracht.
29. Dezember 1843
Diese hohe Sprache von Seite der Tullia hatte den Cyrenius ganz begeistert, und
er trat hin zur Tullia, die noch das Kindlein auf den Armen hielt, und sprach in
der höchsten Rührung zum Kindlein:
„O Du mein Leben, Du wahrer Gott meines Herzens! Da Du mich denn schon mit
diesem Mädchen also gnädigst verbunden hast, so bitte ich, ein armer Sünder,
Dich denn auch um Deinen Segen, dem ich getreu verbleiben werde mein Leben
lang!“
Und das Kindlein richtete sich sobald auf und sprach: „Ja, du Mein lieber
Cyrenius, dich segne Ich mit deinem Weibe Tullia!
Aber das Weib, das bis jetzt deine Vermählte war, die mußt du dafür Mir geben!
Denn tätest du solches nicht, so bliebest du vor Mir in der Sünde des Ehebruchs;
denn du hast das Weib geliebt – und liebst es noch sehr!
So du aber Mir das Weib überlieferst und sie ganz Mir gibst und opferst, so hast
du Mir auch deine Sünde gegeben.
Ich aber bin ja darum in diese Welt gekommen, daß Ich alle Sünde der Menschen
der Welt auf Mich nehme und sie tilge durch Meine Liebe vor Ihrem göttlichen
Angesichte auf ewig! – Also geschehe es!“
Und der Cyrenius stutzte anfangs ein wenig bei dieser Aufforderung; denn seine
Vermählte war eine überaus schöne griechische Sklavin, die er um teures Geld
erkauft hatte.
Er liebte sie wegen ihrer großen Schönheit sehr, obschon er mit ihr keine Kinder
hatte.
Diese Griechin war zwar schon dreißig Jahre alt, aber sie war dessenungeachtet
noch so schön, daß sie von den geringen Heiden als eine förmliche Venus
angebetet ward.
Darum war diese Aufforderung für unseren guten Cyrenius etwas stark, und es wäre
ihm viel lieber gewesen, wenn sie nicht erfolgt wäre.
Aber das Kindlein ließ Sich dadurch nicht irremachen, sondern bestand fest auf
Seiner Forderung.
Da aber der Cyrenius sah, daß das Kindlein von Seiner Forderung durchaus nicht
weichen wollte, so sprach er zum Kindlein:
„O Du mein Leben! Siehe, meine Vermählte, die schöne Eudokia, ist mir sehr ins
Herz gewachsen, und ich werde sie sehr schwer missen!
Fürwahr, so es tunlich wäre, möchte ich eher Dir die Tullia lassen, als die gar
so schöne Eudokia hintangeben!“
Das Kindlein aber lächelte den Cyrenius an und sprach zu ihm: „Hältst du Mich
denn für einen Tauschkrämer?
O siehe, das wohl bin Ich nicht! – Oder hältst du Mich für ein Wesen, das mit
sich um ein ausgesprochenes Wort handeln läßt?
O da sage Ich dir, so du zu Mir sprächest: ,Lasse vergehen den ganzen sichtbaren
Himmel und die sichtbare Erde!‘, so würde Ich dir eher Gehör geben, als daß Ich
zurücknähme ein einmal ausgesprochenes Wort!
Wahrlich sage Ich dir: Sonne, Mond und Sterne und diese Erde werden vergehen,
wie ein Kleid werden sie veralten und so zunichte werden; aber Meine Worte ewig
nimmer!
Daher wirst du auch sobald die Eudokia hierher bringen lassen und dann erst
empfangen die Tullia, gesegnet von Mir.
Wirst du dich aber sträuben, da lasse Ich dir die Eudokia sterben – und gebe dir
dann die Tullia nimmer.
Denn was du tust, mußt du frei tun; eine gerichtete Tätigkeit hat vor Mir keinen
Wert!
Stirbt die Eudokia, dann bist du schon gerichtet mit ihrem Tode und kannst nicht
mehr der Mann der Tullia werden.
Opferst du Mir aber frei die Eudokia, dann bist du wahrhaft frei, und die Tullia
kann dein rechtes Weib sein!
Zwei Weiber aber kannst du zufolge Meiner Ordnung nicht haben; denn im Anfange
ward nur ein Mann und ein Weib erschaffen.
Also tue, wie Ich nun zu dir geredet habe, auf daß da nicht ein Gericht über
dich komme!“
Diese Worte des Kindes brachten den Cyrenius zu dem plötzlichen Entschlusse, die
Eudokia aus der Stadt holen zu lassen;
denn er hatte sie mitgenommen von Tyrus, ließ sie aber niemanden sehen, auf daß
da ja auch niemand von ihren großen Reizen solle bestochen werden.
Aber dennoch vertraute er sie selbst jetzt noch niemand anderem an als allein
dem ältesten Sohne Josephs und dem Maronius Pilla.
Diese beiden gingen im Geleite der Leibwache des Cyrenius hin in die Residenz
des Cyrenius und brachten gar bald die schöne Eudokia in die Wohnung des Joseph;
die Eudokia aber verwunderte sich sehr darüber und wußte nicht, wie es kam, daß
sie der Cyrenius nun zum ersten Male durch fremde Männer holen ließ.
105. Kapitel – Des Cyrenius nochmalige Bitte
um Belassung der Eudokia. Des Kindleins Nein. Eudokias Aufbegehren. Der Sieg des
Geistes in Cyrenius. Marias Trostworte an die Eudokia.
30. Dezember 1843
Als der Cyrenius nun die Eudokia gegenüber der Tullia ersah, da fand er, daß sie
bedeutend schöner war als die Tullia, und es tat ihm weh, sich nun für immer von
ihr zu trennen.
Und er fragte darum das Kindlein noch einmal, ob er sie nicht wenigstens als
Magd und als Gesellschafterin der Tullia bei sich behalten dürfe.
Das Kindlein aber sprach: „Mein Cyrenius! Du kannst so viele Mägde, als du
willst, in dein Haus nehmen,
aber nur die Eudokia nicht! Diese mußt du hier lassen, und das darum, weil Ich
es zu deinem Wohle also haben will!“
Als aber die Eudokia solches sah und gar wohl vernahm, wie dieses unmündige
Kindlein dem Cyrenius gebieterisch antwortete,
da entsetzte sie sich und sprach: „Aber um aller Götter willen, was ist denn
das?! – Ein unmündiges Kind gebietet dem, vor dem Asien und Ägypten zittert, so
er spricht!
Und der große Gebieter hört ängstlich an das so entschieden gebietende Kind und
fügt sich willig nach dessen Ausspruche?!
Wie ich höre, so solle ich mich von Cyrenius trennen, damit eine andere meinen
Platz einnehme!
O das wird so leicht nicht geschehen, als da etwa gar dieses unmündige Kind
meint!
Es wäre für dich, du mächtiger Cyrenius, denn doch eine barste Schande, so du
dich etwa gar von diesem Kinde befehligen möchtest lassen; daher sei ein Mann
und ein Römer!“
Als der Cyrenius aber solches von der Eudokia vernommen hatte, da erregte er
sich und sprach:
„Ja, Eudokia! Gerade jetzt werde ich dir zeigen, daß ich ein Mann und ein Römer
bin!
Siehe, so dieses Kind, das die Tullia lockt, auch nicht göttlicher Abkunft wäre
und Es möchte zu mir nahe also reden, so würde ich Ihm folgen!
Dieses Kind aber ist von der allerhöchsten göttlichen Abkunft, und so will ich
Ihm um so mehr folgen, was immer Es von mir will!
Was wohl wird dir lieber sein: zu tun, was dies Kind aller Kinder will, oder zu
sterben für ewig?“
Diese Worte des Cyrenius an die Eudokia waren von großer Wirkung.
Sie fing zwar an zu weinen, darum sie nun auf einmal so viel Herrlichkeit
verlassen müßte,
aber sie dachte dabei, wie sich eines Gottes Rat nicht mehr abändern läßt; und
so ergab sie sich in diese Fügung.
Es trat aber die Maria zur Eudokia hin und sprach zu ihr: „Eudokia! – traure
nicht ob diesem Tausche!
Denn du gabst nur eine gar geringe Herrlichkeit hin, um für sie eine gar große
andere zu empfangen!
Siehe, auch ich bin eines Königs Tochter, aber die königliche Herrlichkeit ist
lange vergangen, und siehe, nun bin ich eine Magd des Herrn, und das ist eine
größere Herrlichkeit als alles Königtum der Welt!“
Diese Worte wirkten gar mächtig auf die Eudokia, und sie fing an Herz zu fassen
im Hause Josephs.
106. Kapitel – Eudokia verlangt nach Licht
über das Kind. Maria mahnt zur Geduld. Das Jesuskind auf den Armen der Eudokia
und im Gespräch mit ihr.
2. Januar 1844
Es fragte aber die Eudokia die Maria, woher es denn komme, daß dies Kindlein so
voll Wunderkraft und so höchst göttlicher Natur sei.
Und wie es denn gekommen wäre, daß nun der Cyrenius gar so sehr von den Worten
des Kindleins abhänge.
Maria aber sprach zur Eudokia gar holdseligst: „Liebe Eudokia! Siehe, es läßt
sich nicht ein jeder Prügel übers Knie brechen!
Jedes Ding braucht seine Zeit und seine Weile; mit der lieben Geduld kommen wir
am weitesten!
Wirst du erst eine Zeit bei mir sein, da wirst du schon alles erfahren;
vorderhand aber glaube, daß dies Kind größer ist als alle Helden und Götter
Roms!
Hast du vorgestern nicht verspürt die große Macht des Sturmes?
Siehe, dieser kam aus der mächtigen Hand Dessen, den noch die Tullia locket!
Siehe, was aber die Gewalt dieses Sturmes mit den Tempeln in der Stadt tat, das
könnte sie auch tun mit der ganzen Erde!
Nun weißt du vorderhand genug und darfst nicht mehr wissen deines Heiles willen;
wann du aber reifer wirst, dann wirst du auch mehr erfahren!
Darum bitte ich dich auch um deines Heiles willen, daß du davon schweigest vor
jedermann; redest du aber davon, so wirst du gerichtet werden!“
Diese Worte Marias brachten die Eudokia zur Ruhe, und sie fing an bei sich gar
sehr darüber nachzudenken, was sie von der Maria vernommen hatte.
Maria aber ging hin zur Tullia und nahm ihr das Kindlein wieder von den Armen,
und sprach zu ihr:
„Siehe, dich hat dies mein Söhnchen schon gesegnet, und du wirst darum glücklich
sein für immer!
Dort aber ist die arme Eudokia; diese hat bis jetzt noch nicht die endlos große
Wohltat des Kindleinssegens empfunden! Daher will ich das Kindlein auch auf die
Arme der Eudokia legen, auf daß sie empfinde, welche Macht aus dem Kindlein
geht!“
Darauf trug die Maria das Kindlein zur Eudokia hin und sprach zu ihr:
„Hier – Eudokia, ist mein und dein Heil! Nehme es auf eine kurze Zeit auf deine
Arme und empfinde, wie süß es ist, eine Mutter solch eines Kindes zu sein!“
Mit großer Ehrfurcht nahm die Eudokia das Kindlein auf ihre Arme;
aber sie fürchtete dies geheimnisvollste Kind und getraute sich dabei kaum zu
rühren.
Das Kindlein aber lächelte und sprach: „O Eudokia! fürchte dich nicht vor Mir;
denn Ich bin nicht dein Verderber, sondern dein Heiland!
In der Kürze der Zeit aber wirst du Mich schon besser kennenlernen, als du Mich
jetzt kennst!
Dann wirst du Mich nicht mehr fürchten, sondern lieben, wie Ich dich liebe!“ –
Diese Worte benahmen der Eudokia die Furcht, und sie fing an, das Kindlein zu
herzen und zu kosen.
107. Kapitel – Des Cyrenius Dank. Der Edelmut
und die Weisheit des bescheidenen Joseph. Cyrenius übergibt acht arme Kinder an
Joseph zur Erziehung.
3. Januar 1844
Nun aber sprach der Cyrenius zum Joseph: „Erhabener Freund und Bruder! Ich habe
nun in deinem Hause mein größtes Glück in jeder Hinsicht gemacht; sage nun,
welchen Lohn du für dich von mir verlangst?!
O sage, wie kann ich es dir nur im geringsten Maße vergelten, was alles du an
mir getan hast?!
Bringe aber ja etwa nicht diese Villa in den Anschlag, welche als Lohn für dich
wohl etwas zu Geringes und zu Elendes ist!“
Und der Joseph sprach: „O Bruder und Freund, was wohl hältst du von mir?!
Meinst du denn, ich sei ein Wohltatskrämer und tue Gutes nur eines Lohnes wegen?
O wie groß irrest du dich da, wenn du solches von mir glaubst!
Siehe, ich kenne nichts Elenderes als einen bezahlten Wohltäter und eine
bezahlte Wohltat!
Wahrlich! ich sei verflucht und der Tag und die Stunde, in der ich geboren ward,
so ich von dir auch nur einen Stater annehmen möchte!
Nehme du daher nur ganz wohlgemut dein Weib zu dir, die gereinigte Tullia; was
du ihr und noch so manchen Armen tun wirst, das werde ich allzeit als einen
guten Lohn für meine Taten an dir ansehen und annehmen!
Dieses Haus doch verschone mit jeder Dotation; denn was ich habe, ist genug für
uns alle – wozu solle da ein mehreres?
Du meinst etwa, ich werde für die Eudokia irgendein Kostgeld von dir verlangen?
– Oh – des sei ruhig!
Ich nehme sie auf als eine Tochter und werde sie erziehen in der Gnade Gottes.
Wo aber ist wohl der Vater, der sich für die Erziehung seiner Tochter je noch
von jemandem hätte etwas zahlen lassen?!
Ich sage dir, Eudokia ist mehr wert als alle Welt; daher gibt es auf der Welt
auch keinen Lohn, der mir nun um sie annehmbar geboten werden könnte.
Der große Lohn aber, den ich für all mein Tun habe, siehe, der liegt nun in den
Armen der Eudokia!“
Als aber der Cyrenius diese große Uneigennützigkeit Josephs ersah, da sprach er
höchst gerührt:
„Wahrlich, vor Gott und allen Menschen der Erde stehest du allein da als ein
Mensch aller Menschen!
Dich mit Worten zu rühmen, wäre eine vergebliche Mühe; denn du bist über jedes
Menschenwort erhaben!
Ich aber weiß, was ich tun werde, um dir zu zeigen, wie überaus hoch ich dich
achte und schätze.
Ein Geschenk werde ich dir machen, das du sicher nicht von dir abweisen wirst!
Siehe, ich habe in Tyrus drei Mädchen und fünf Knaben von ganz dürftigen Eltern,
die aber schon verstorben sind!
Diese lieben Kinder werde ich hierher zu dir bringen lassen, auf daß sie von dir
erzogen werden!
Daß ich für ihren Unterhalt sorgen werde, des kannst du vollends versichert
sein.
Wirst du mir auch das abschlagen? – Nein, Joseph, du mein erhabenster Bruder,
das wirst du sicher nicht tun!“
Und der Joseph sprach ganz gerührt: „Nein, Bruder, das werde ich dir nimmer
versagen! Sende diese Kinder daher nur so bald als möglich hierher; sie sollen
bestens versorgt werden in allem, was ihnen not tut!“
108. Kapitel – Des Cyrenius Bedenken wegen der
Einsegnung der Ehe durch einen Oberpriester des Hymen. Josephs guter Rat und des
Cyrenius große Freude.
4. Januar 1844
Cyrenius, durch diese Versicherung Josephs ganz zufriedengestellt, sagte darauf
zum Joseph:
„Erhabenster Freund! nun ist ein jeder meiner Wünsche erfüllt, und ich habe nun
nichts mehr, das ich wünschen möchte!
Nur ein fataler Umstand waltet noch neben meinem großen Glücke, und dieser
besteht darinnen:
Tullia, die himmlische, ist nun zwar von Gott aus gesegnet mein rechtmäßiges
Weib; aber siehe, ich bin dem Außen nach noch ein Römer und muß daher auch des
Volkes wegen mich von einem Priester zeugnisweise förmlich einsegnen lassen!
Eine solche Einsegnung aber kann nur von einem Oberpriester des Hymen
vorgenommen werden, wodurch sie dann erst ein rechtskräftiges Bündnis wird.
Wie stellen wir aber hier solches an, da außer den drei Unterpriestern nicht
einer mehr vorhanden ist?“
Und der Joseph sprach zum Cyrenius: „Was kümmert dich das, an dem nichts liegt?
Wenn du nach Tyrus wieder zurückkehren wirst, da wirst du der Priester genug
treffen, die dich ums Geld einsegnen werden, wenn du schon auf dieser Einsegnung
Wert irgendein Gewicht legst.
So du aber bleibst, wie du nun bist, so wirst du besser tun; denn du bist ja
auch ein Herr über dein eigen Gesetz!
Ich aber erinnere mich, einmal von einem Römer gehört zu haben, daß da in Rom
ein geheimes Gesetz bestehe, welches also laute:
,So ein Mann ein Mädchen erwählt in der Gegenwart eines Stummen, eines Narren
oder eines unmündigen Kindes,
und diese sind bei der Erwählung gutmütig und lächeln dabei, so ist die Ehe
dadurch vollkommen gültig, und muß darauf dem betreffenden Priester davon eine
Anzeige gemacht werden,
wobei freilich ein kleines glänzendes Opfer nicht fehlen darf.‘
Hat es mit diesem geheimen Gesetze seine Richtigkeit, was braucht es da mehr?
Lasse die drei Priester kommen, die da bei mir sind; diese werden dir das
Zeugnis geben, daß du in der Gegenwart eines dich anlächelnden und dich sogar
segnenden Kindes, das erst kaum im vierten Monat Alters ist, die Tullia erwählet
hast!
Hast du dieses ganz unschuldige Zeugnis und etwas Goldes, was braucht es da mehr
fürs ganze römische Volk?!“
Und der Cyrenius hüpfte vor Freude förmlich in die Höhe und sprach zum Joseph:
„Fürwahr, du erhabenster Bruder hast vollkommen recht! Es besteht im Ernste ein
solches Gesetz; nur konnte ich mich anfangs desselben nicht sogleich entsinnen!
Jetzt ist alles in der besten Ordnung; bestelle mir daher nur die drei Priester,
und ich werde alsogleich über diesen Punkt eine gehörige Rücksprache mit ihnen
führen!“ – Und Joseph ließ darauf sogleich die drei noch stummen Priester ins
Zimmer treten.
109. Kapitel – Die Bedenken der Priester. Die
Übernahme der Verantwortung durch Cyrenius. Ein schlechtes Zeugnis für Roms
Geldgier. Des Cyrenius Eheschließung mit Tullia.
5. Januar 1844
Die drei Priester kamen sogleich, und einer sagte: „Nur ein Gebot des
Statthalters vermag uns heute die Zunge zu lösen;
denn wir taten heute am Morgen einen Schwur, diesen ganzen Tag über kein Wort zu
reden und keinen Bissen in den Mund zu nehmen!
Aber, wie gesagt, wir brechen nun am Abende diesen Schwur, weil wir dazu durch
das Gebot des Statthalters genötiget werden! – Möge er dereinst für uns die
Rechnung machen!“
Der Cyrenius aber sprach: „Wahrlich, genötiget habe ich euch mitnichten; aber so
ihr euch darüber ein Gewissen macht, da nehme ich ja recht gerne die Rechnung
auf mich!
Denn ich bin ja im Hause Dessen, den derlei Rechnungen grundursächlich angehen,
und da glaube ich, daß es mir in der Probe dieser Rechnung nicht so schwer gehen
dürfte, als ihr es euch törichterweise vorstellet!“
Und der Joseph sprach: „O Bruder! Die Probe ist schon fertig, daher sage den
dreien nur, was du von ihnen zu verlangen hast!“
Einer der Priester aber kam dem Cyrenius zuvor und fragte ihn, was sie für ihn
etwa tun sollten.
Und der Cyrenius, sich ganz kurz fassend, trug den dreien sogleich sein Anliegen
vor.
Die drei aber sprachen: „Das Gesetz ist richtig, und die Tat ist es desgleichen;
aber wir sind nur Unterpriester, und unser Zeugnis wird nicht als gültig
angesehen werden!“
Und der Cyrenius erklärte ihnen, daß in diesem Falle wegen gänzlicher
Ermangelung eines Oberpriesters jeder Unterpriester ein oberpriesterliches Amt
und Recht auszuüben sogar verpflichtet sei.
Die Priester aber sprachen: „Das ist richtig; aber siehe, als wir vor zwei Tagen
die oberpriesterliche Gewalt ausüben wollten, da hattest du uns verdammt!
Wenn wir nun wieder vor dir ein oberpriesterliches Recht ausübeten, würdest du
uns da nicht abermals etwa verdammen?!“
Cyrenius aber sprach etwas erregt: „Damals verdammte ich euch, weil ihr ein
oberpriesterliches Recht ganz gesetzwidrig ausüben wolltet.
Nun aber habt ihr das gesetzliche Recht vor euch; so ihr darnach handelt, da
habt ihr sicher keine Verdammung von mir zu fürchten!
Wohl aber will ich euch darob ein Opfer verabreichen, das euch euren
Lebensunterhalt sichern soll! Und ein Opfer für Rom wird nicht unterm Wege
bleiben!“
Und die Priester sprachen: „Gut; aber wir drei gehören nun auch nicht mehr den
Göttern zu und wollen mit Roms Heidentume nichts mehr zu schaffen haben!
Wird unser Zeugnis wohl gültig sein, so man in Rom erfahren wird, daß wir zum
Glauben Israels übergetreten sind?“
Und der Cyrenius sprach: „Ihr wisset es so gut als ich, daß in Rom ums Geld
jedes Zeugnis gültig ist!
Daher tut ihr das, was ich von euch verlange, alles andere geht euch nichts an;
denn darum werde schon ich sorgen!“
Diese Versicherung erst bewog die Priester, dem Cyrenius das verlangte Zeugnis
auszustellen und ihn damit zu segnen.
Als der Cyrenius nun das Zeugnis hatte, dann erst reichte er der Tullia die Hand
und erhob sie als nun sein rechtmäßiges Weib
und gab ihr einen Ring und ließ sogleich königliche Kleider für sie aus der
Stadt holen.
110. Kapitel – Tullia in königlichen Kleidern.
Eudokias Schmerz. Das Kindlein tröstet Eudokia. Eudokias Freudentränen. Marias
Teilnahme.
8. Januar 1844
In kurzer Zeit waren die königlichen Kleider für die Tullia herbeigeschafft, und
sie ward mit denselben angetan, wie schon voran bemerkt ward.
Maria aber nahm ihr Kleid wieder, wusch es, und behielt es dann wieder für sich.
Cyrenius wollte der Maria freilich wohl auch königliche Kleider dafür geben;
aber Maria wie Joseph lehnten solches feierlichst von sich ab.
Da aber die Eudokia sah die Tullia in ihrer wahren Königspracht, da ward es ihr
doch schwer ums Herz, daß sie heimlich zu seufzen anfing.
Aber das Kindlein sprach leise zu ihr: „Eudokia, Ich sage dir, seufze du nicht
der Welt wegen, sondern seufze du deiner Sünde wegen, so wirst du besser fahren!
Denn siehe, Ich bin mehr als Cyrenius und Rom; hast du Mich, dann hast du mehr,
als besäßest du die ganze Welt.
Willst du aber Mich vollkommen haben, dann mußt du bereuen deine Sünde, der
zufolge du unfruchtbar wurdest.
Wirst du aber in Liebe zu Mir deine Sünde bereuen, dann erst wirst du nach dem
Maße deiner Liebe zu Mir erkennen, Wer Ich so ganz eigentlich bin!
Wann du Mich aber erkennen wirst, dann wirst du glücklicher sein, als wärest du
die Gemahlin des Kaisers selbst!
Denn siehe, der Kaiser muß starke Wachen halten, auf daß er nicht vom Throne
vertrieben wird.
Ich aber bin Mir allein genug! Geister, Sonnen, Monde, Erden und alle Elemente
sind Mir gehorsam; und dennoch brauche Ich keine Wachen und lasse Mich von dir
dennoch auf den Armen tragen trotz dem, daß du eine Sünderin bist!
Daher sei ruhig und weine nicht; denn du hast empfangen, was der Tullia
abgenommen ward, da sie empfing die königlichen Kleider!
Und das ist endlos mehr als jene goldschimmernden Königskleider, welche tot sind
und den Tod bringen,
während du das Leben auf deinen Armen trägst und den Tod ewig nimmer schmecken
wirst, so du Mich liebst!“ –
Diese Worte des Kindleins wirkten so sehr heilsam auf das Gemüt der Eudokia, daß
sie vor gar großen Freuden hoher seligster Verwunderung zu weinen anfing.
Maria aber bemerkte, daß die Eudokia in Freudentränen ihre Augen badete, ging
darum zu ihr und fragte sie:
„Holde Eudokia, was wohl ist dir, darum ich süße Tränen in deinen Augen
entdecke?“
Und die Eudokia erwiderte nach einem tiefen Wonneseufzer:
„O du glücklichste der Mütter auf der ganzen Erde! Siehe, dein Kindlein hat zu
mir wunderbar geredet!
Wahrlich, nicht sterbliche Menschen in all ihrer Weltgröße, sondern nur Götter
können solcher Worte fähig sein!
Großer Gedanken und Ahnungen ist nun voll meine Brust. Wie aus einer verborgnen
Tiefe steigen sie in mir gleich wie helle Sterne aus dem Meere empor; und darum
weine ich vor Entzückung!“
Maria aber sprach: „Eudokia, gedulde dich nur, nach den Sternen wird auch die
Sonne kommen; in ihrem Lichte erst wirst du erschauen, wo du bist! – Aber nun
stille, denn Cyrenius kommt hierher.“
111. Kapitel – Des Cyrenius Dank an das
Kindlein. Des Kindleins Segensworte an das Brautpaar. Josephs Einladung zum
Hochzeitsmahl. Die Rückkehr des Cyrenius in die Stadt.
9. Januar 1844
Als Cyrenius mit der Tullia hinkam zur Eudokia, die noch das Kindlein auf dem
Arme hielt, da sprach er zum Kindlein:
„O Du mein Leben, Du mein Alles! Dir allein danke ich dies mein großes,
wunderbares Glück!
Ich tat nur etwas Weniges für Dich, und Du belohntest mich so unaussprechlich
und machtest mich zum glücklichsten Menschen der Erde!
O wie solle ich armer Sünder Dir je genug dafür danken können?!“
Das Kindlein aber richtete Sich auf, hob Seine rechte Hand empor und sprach:
„O Mein lieber Cyrenius Quirinus, Ich segne dich nun und dein Weib Tullia, auf
daß ihr auf der Welt miteinander glücklich leben sollet!
Aber das sage Ich dir auch: Schätze dich im Glücke der Welt nie als zu
glücklich, sondern halte die Welt samt ihrem Glücke für einen Schauplatz des
Truges, so wirst du in der rechten Weisheit das Leben der Welt genießen!
Denn siehe, alles in der Welt ist gerade das Gegenteil von dem, als was es sich
dir darstellt; die alleinige Liebe nur, wenn sie aus des Herzens Grunde kommt,
ist wahr und gerecht!
Wo du Leben ohne der Liebe erblickst, da ist kein Leben, sondern der Tod!
Wo du aber ob der Ruhe der wahren Liebe den Tod wähnest, da ist Leben zu Hause,
und niemand kann dasselbe zerstören!
Du weißt es nicht, wie locker die Unterlage ist, auf der du stehst; Ich aber
weiß es, darum sage Ich dir solches alles!
Grabe hier nur tausend Klafter tief, und du wirst einen mächtigen Abgrund vor
dir haben, der dich verschlingen wird.
Also grabe nicht zu tief in die Welt hinein, und freue dich der Entdeckungen in
der Tiefe der Welt nicht;
denn wo immer jemand zu tief in die Welt hinein gräbt, da auch bereitet er sich
den eigenen Untergang.
Traue dem Punkte nicht, auf dem du stehst; denn er ist locker und kann dich
verschlingen, so du ihn aufgräbst und machest eine Mine in den Boden!
Bedenke, alles auf der Welt kann dich töten, weil alles selbst in sich den Tod
trägt, – nur die alleinige Liebe nicht, so du sie bewahrest in ihrer Reinheit!
Mischest du sie aber mit weltlichen Dingen, so wird sie schwer und kann dich
auch töten, wie leiblich also auch geistig.
Bleibe sonach in der reinen uneigennützigen Liebe; liebe den einen Gott als
deinen Vater und Schöpfer über alles und die Menschen als deine Brüder wie dich
selbst, so wirst du das ewige Leben haben in solcher deiner Liebe, Amen.“
Diese überweisen Worte des Kindleins flößten dem Cyrenius wie allen Anwesenden
eine so tiefe Achtung ein, daß sie bebten am ganzen Leibe.
Joseph aber ging hin zum Cyrenius und sprach: „Bruder, fasse dich, und ziehe
unter dem Segen dieses Hauses in die Stadt! Halte aber alles, was du hier
hörtest und empfingst, vorderhand verborgen! Morgen aber komme und halte hier
das Hochzeitsmahl!“ – Und Cyrenius begab sich sogleich in die Stadt mit der
Tullia und mit seinem Gefolge.
112. Kapitel – Eine neue Überraschung bei
Joseph: fremde weißgekleidete Jünglinge als Helfer im Hause.
10. Januar 1844
Als der Cyrenius schon ziemlich stark am Abende aus dem Hause Josephs mit den
Seinen sich in die Stadt begab, da sagte Joseph zu seinen Söhnen:
„Kinder, gehet nun, und bestellet unsere Wirtschaft! Versorget die Kühe und die
Esel, und bereitet uns dann ein Nachtmahl, und das ein gutes und frisches; denn
ich muß ja heute noch meine neue Tochter beim fröhlichen Mahle adoptieren und
segnen!“
Darauf gingen die Söhne Josephs sogleich und taten, wie es ihnen Joseph befohlen
hatte.
Aber wie erstaunten sie, als sie im Stalle mehrere weißgekleidete Jünglinge
antrafen, die da gar emsig das Vieh Josephs warteten.
Die Söhne Josephs fragten sie, wer ihnen solches zu tun geboten habe, und wessen
Diener sie seien.
Die Jünglinge aber sprachen: „Wir sind allzeit Diener des Herrn, und der Herr
hat solches zu tun uns geboten; darum tun wir es auch!“
Die Söhne Josephs aber fragten die Jünglinge: „Wer ist euer Herr, und wo ist er
zu Hause? Ist es etwa der Cyrenius?“
Und die Jünglinge sprachen: „Unser Herr ist auch der eurige, wohnt bei euch, –
aber Cyrenius ist nicht Sein Name!“
Da meinten die Söhne Josephs, solches sei offenbar ihr Vater selbst, und
sprachen daher zu den Jünglingen:
„Wenn also, da gehet mit uns, auf daß euch unser Vater, der hier der Herr dieses
Hauses ist, erkenne, ob ihr wirklich seine Diener seid!“
Und die Jünglinge sprachen: „Melket die Kühe zuvor, sodann wollen wir mit euch
gehen und uns eurem Herrn vorstellen!“
Hier nahmen die Söhne die Milchgefäße und melkten dreimal soviel als sonst, wenn
sie ihre Kühe zuvor noch so gut bestellt hatten.
Da erstaunten sie über die Maßen und konnten sich nicht erklären, wie die Kühe
diesmal gar so viel Milch gaben.
Als sie aber mit dem Melken der Kühe zu Ende waren, da sprachen die Jünglinge:
„Nun, da ihr mit eurer Arbeit fertig seid, so lasset uns ins Haus ziehen, allda
euer und unser Herr wohnet!
Aber euer Vater hatte auch ein gutes Nachtmahl bei euch angeordnet; dieses muß
eher bereitet sein, bevor wir ins Gemach des Herrn treten!“
Sogleich gingen die Jünglinge in die Küche, und siehe, da waren auch schon
mehrere Jünglinge mit der Bereitung eines köstlichen Abendmahles vollauf
beschäftigt. –
Es dauerte aber dem Joseph die Arbeit der Söhne etwas über die gewohnten Maßen;
daher ging er nachzusehen, was diese täten.
Wie aber erstaunte er, als er die Küche gedrängt voll Arbeiter traf!
Er fragte sogleich die Söhne, was denn das um des Herrn willen wäre.
Aber die Jünglinge antworteten: „Joseph, kümmere dich nicht; denn was da ist und
geschieht, ist und geschieht wirklich um des Herrn willen! – Lasse uns aber erst
das Nachtmahl bereiten, dann wirst du das Nähere vom Herrn Selbst erfahren.“
113. Kapitel – Marias Erstaunen über die
andauernden Heimsuchungen. Josephs Trost. Der Engel Ehrfurcht vor dem Kindlein
und dessen Worte an die Erzengel. Das gemeinsame Abendmahl.
11. Januar 1844
Joseph ging darauf sogleich wieder ins Zimmer und erzählte der Maria und der
Eudokia, was er nun gesehen habe, und was draußen in der Küche vor sich gehe.
Maria und die Eudokia erstaunten darob ganz gewaltig, und die Maria sprach:
„O großer Gott, so sind wir doch keine Sekunde sicher vor Deinen Heimsuchungen!
– Kaum hat die eine den Fuß außer der Türe, so setzen schon wieder hundert neue
dafür die Füße ins Zimmer!
O Herr, willst Du uns denn gar keine Ruhe gönnen?! – Sollen wir etwa schon
wieder fliehen, und nun etwa vor den Römern? Oder was solle aus dieser
Erscheinung werden?“
Joseph aber sprach: „Liebe Maria, ängstige dich nicht vergeblich! Siehe, wir
sind ja lauter Wanderer in dieser Welt, und der Herr ist unser Führer!
Wohin der Herr uns führen will, dahin folgen wir Ihm auch ganz ergeben in Seinen
heiligen Willen; denn Er allein weiß es ja, wo und was für uns am besten ist!
Siehe, du ängstigest dich allzeit, so uns der Herr etwas Neues zusendet; ich
aber bin darob voll Freuden, – denn nun weiß ich es ja, daß der Herr allzeit für
unser Bestes sorget!
Heute morgen hat der Herr eine starke Prüfung über mich gesandt; ich ward darob
sehr traurig.
Aber die Traurigkeit währte nicht lange; der Getötete ward erweckt und lebt, und
ich bin wieder voll Heiterkeit und freue mich nun auf ein gutes, gesegnetes
Nachtmahl.
Tue du desgleichen, und es wird dir viel besser bekommen als alle deine
vergebliche jugendliche Furcht und Ängstlichkeit!“
Diese Worte Josephs beruhigten die Maria, und sie ward nun selbst voll
Neugierde, zu sehen die neuen Köche in der Küche.
Sie erhob sich darum und wollte nachsehen; aber im Augenblicke traten die Söhne
Josephs mit Speisen beladen ins Zimmer, und alle die Jünglinge folgten ihnen mit
der allerhöchsten Ehrfurcht.
Und als sie in die Nähe des Kindleins kamen, da fielen sie plötzlich auf ihre
Knie nieder und beteten dasselbe an.
Das Kindlein aber richtete Sich auf und sprach zu den Jünglingen: „Erhebet euch,
ihr Erzengel Meiner endlosen Himmel!
Ich habe eure Bitte erhört! Eure Liebe will Mir dienen auch hier in Meiner
Niedrigkeit; doch Ich, euer Herr von Ewigkeit, habe noch nie eures Dienstes
bedurft!
Da aber eure Liebe so mächtig ist, da bleibet drei Erdtage hier und dienet
diesem Hause; aber außer denen, die hier im Hause sind, erfahre niemand, wer ihr
seid!
Nun aber haltet das Nachtmahl mit Meinem Nährvater und mit Meiner Gebärerin und
mit dieser Tochter, die Mich auf ihren Händen hat, mit den drei Suchenden und
mit Meinen Brüdern!“
Darauf erhoben sich die Jünglinge, Maria nahm das Kindlein, und alles setzte
sich zum Tische, stimmte mit Joseph das Loblied an, und aß und trank überselig
und fröhlich.
Die Erzengel als Jünglinge aber weinten vor Seligkeit und sprachen:
„Wahrlich, Ewigkeiten sind unter unseren Blicken vergangen voll der höchsten
Wonne;
aber alle die wonnevollsten Ewigkeiten sind aufgewogen durch diesen Augenblick,
in dem wir am Tische des Herrn speisen, ja am Tische Seiner Kinder, unter denen
Er ist in aller Seiner Fülle! – O Herr! Lasse auch uns zu Deinen Kindern
werden!“
114. Kapitel – Maria im Gespräch mit Zuriel
und Gabriel. Des Kindleins Hinweis auf die neue Ordnung im Himmel und auf Erden.
Eudokias Wißbegier wegen der ,Erzboten‘.
12. Januar 1844
Als das Nachtmahl eingenommen war und sodann alle dem Herrn mit Joseph ein
Danklied dargebracht hatten, da sprach einer der Jünglinge zur Maria:
„Maria, du Gebenedeite unter den Weibern der Erde! erinnerst du dich meiner
nicht mehr? – Bin ich nicht der, welcher im Tempel so oft mit dir gespielt hat
und hat dir allzeit eine gute Speise und einen süßen Trank gebracht?“
Hier schmuzte die Maria und sprach: „Ja, ich erkenne dich, du bist Zuriel, ein
Erzengel! Du hast mich aber manchmal auch sehr geneckt, da du mit mir sprachst,
aber dich nicht sehen ließest;
und ich mußte dich oft stundenlang bitten, bis du dich bewegen ließest dazu, daß
ich dich ersah!“
Und der Jüngling sprach: „Siehe, du gebenedeite Mutter, also war es des Herrn
Wille, der dich überlieb hatte.
Wie aber das Herz in dir, als der Sitz der Liebe, fortwährend pocht und dein
ganzes Wesen stupft und neckt,
also ist das auch die Art der Liebe des Herrn, daß sie ihre Lieblinge
fortwährend stupft, zupft und neckt, aber auch eben dadurch das Leben bildet und
dauerhaft macht für die Ewigkeit!“
Maria ward über diese Erklärung sehr erfreut und lobte die große Güte des Herrn.
Ein anderer Jüngling aber wandte sich auch zur Maria und sprach: „Gebenedeite
Jungfrau! erkennst du auch mich? Es wird nicht viel über ein Jahr sein, als ich
dich besucht habe in Nazareth!“
Und Maria erkannte ihn an der Stimme und sprach: „Ja, ja, du bist Gabriel!
Wahrlich, dir gleich ist keiner; denn du hast der Erde wohl die größte Botschaft
gebracht, und das Heil allen Völkern!“
Und der Jüngling erwiderte der Maria: „O Jungfrau! im Anfange hast du dich
geirrt; denn siehe, der Herr hat schon mit mir angefangen, Sich zur Ausführung
der größten Tat der kleinsten und geringsten Mittel zu bedienen!
Darum bin ich wohl nur der Geringste und Kleinste im Reiche Gottes, aber nicht
der Größte! – Wohl habe ich der Erde die größte und heiligste Botschaft
gebracht;
aber darum bin ich nicht, als wäre mir an Größe keiner gleich; wohl aber
umgekehrt, wie ich nämlich der Geringste bin im Reiche Gottes!“
Da verwunderte sich Maria samt Joseph über die große Demut des Jünglings.
Das Kindlein aber sprach: „Ja, dieser Engel hat recht! Im Anfange war der Größte
Mir der Nächste.
Dieser aber erhob sich und wollte Mir gleich sein, und wollte Mich übertreffen,
und entfernte sich darum von Mir.
Darum aber baute Ich dann Himmel und Erde und gab die Ordnung, daß nur das
Geringe Mir am nächsten sein solle!
Nun aber erwählte Ich für Mich alle Niedrigkeit der Welt; und es werden darum
nur die die Größten sein bei Mir, die gleich Mir in der Welt wie in sich selbst
die Geringsten und Niedrigsten sind.
Und so hast du, Mein Gabriel, recht aus dir, und die Mutter hat auch recht; denn
also bist du der Größte, weil du der Geringste bist aus und in dir!“
Als das Kindlein solche Worte zu dem Jünglinge Gabriel redete, da fielen sobald
alle Jünglinge nieder auf ihre Knie und beteten Dasselbe an.
Die Eudokia aber forschte hin und her; denn sie wußte nicht, was sie aus diesen
überschönen Jünglingen machen sollte.
Sie vernahm wohl, wie man diese Jünglinge ,Erzboten‘ nannte, und das aus dem
Reiche Gottes, – aber sie hielt Palästina wie auch Oberägypten dafür. Sie fragte
daher, ob das etwa Gesandte seien.
Ein Jüngling aber sprach: „Eudokia, gedulde dich nur! Siehe, wir bleiben ja drei
Tage hier, und da werden wir uns schon noch besser kennenlernen!“ – Und die
Eudokia war damit zufrieden und begab sich bald zur Ruhe.
115. Kapitel – Joseph mahnt zur Nachtruhe. Der
Jünglinge Eröffnung über den nächtlichen Anschlag der dreihundert Räuber. Der
Überfall. Der Sieg der Engel.
13. Januar 1844
Joseph aber sprach: „Kinder und Freunde! Es ist schon spätabends geworden; daher
meine ich, es wird an der Zeit sein, sich zur Ruhe zu begeben!“
Die Jünglinge aber sprachen: „Ja, Vater Joseph, du hast recht; ihr alle, die ihr
noch in den sterblichen Leibern wohnet, gehet zur stärkenden Ruhe!
Wir aber werden hinausziehen vor dein Haus und werden es bewachen!
Denn es hat der Feind des Lebens nun listigerweise erfahren, daß hier der Herr
wohnt, und hat beschlossen, in dieser Nacht dieses Haus mörderisch zu
überfallen.
Daher aber sind wir da, um zu schützen dieses Haus; und so der Feind kommen
wird, da solle er übel zugerichtet werden!“
Joseph und Maria, die noch wache Eudokia, die drei Priester und die Söhne
Josephs erschraken gewaltigst über diese Nachricht;
und Joseph sprach: „Wenn also, da mag ich nicht ruhen, sondern mit euch wachen
die ganze Nacht hindurch!“
Die Jünglinge aber sprachen: „Seid alle ganz außer Sorge; wir sind unser genug
und haben auch Kraft genug, nach dem Willen des Herrn die ganze Schöpfung in
Nichts zu verwandeln!
Wie sollen wir uns dann vor einer Handvoll gedungener feiger Mörder fürchten!?
Denn siehe, die ganze Sache besteht darinnen: einige Freunde der zugrunde
gegangenen Priesterschaft haben in Erfahrung gebracht durch die Mühe des Satans,
daß der Cyrenius ein großer Freund der Juden geworden ist, und das durch dieses
Haus.
Darum machten sie ein geheimes Komplott und schworen, in dieser Nacht dies Haus
zu überfallen und alles zu ermorden, was darinnen ist.
Wir aber haben solchen Plan schon lange vorausgesehen und sind darum gekommen,
um dieses Haus zu schützen.
Sei daher ganz ruhig; morgen aber wirst du sehen, wie wir diese Nacht hindurch
für dich arbeiten werden!“
Als der Joseph aber solche treue Schutzversicherung von den Jünglingen vernommen
hatte, da lobte und pries er Gott,
zeigte darauf zuerst der Eudokia ihr Schlafgemach, segnete sie als seine
Tochter, und sie begab sich zuerst und sogleich zur Ruhe.
Darauf ging Maria mit dem Kindlein ins selbe Gemach und nahm diesmal Dasselbe zu
sich ins Bett.
Dann gingen auch die drei Priester in ihr Gemach; Joseph und die Söhne aber
blieben im Speisezimmer und wachten.
Die Jünglinge aber gingen hinaus und lagerten sich um das Haus.
Als die Mitternacht herankam, da vernahm man Waffengeklirr auf dem Wege aus der
Stadt zur Villa.
In wenigen Minuten war das ganze Haus Josephs umzingelt von dreihundert
bewaffneten Männern.
Als sie aber nun ins Haus dringen wollten, da erhoben sich die Jünglinge und
erwürgten im Augenblick bis auf einen Mann die ganze Schar.
Den einen aber banden sie und führten ihn in eine Kammer zum Zeugnisse für den
nächsten Tag.
Und so ward Josephs Haus wunderbar gerettet und blieb dann im Frieden und sicher
vor jedem künftigen Anfalle.
116. Kapitel – Die Vorbereitungen zum
Hochzeitsmahl des Cyrenius. Die Ehrerbietung der Engel angesichts des badenden
Kindleins. Die Belebung der Mörderleichen durch das Badewasser des Kindleins.
15. Januar 1844
Am Morgen, schon frühe vor dem Aufgange, war alles tätig im Hause Josephs.
Die Jünglinge bestellten den Stall und die Küche mit den Söhnen Josephs; denn es
mußte ja so manches fürs Hochzeitsmahl des Cyrenius bereitet werden.
Joseph selbst aber ging mit ein paar Jünglingen, mit Zuriel und Gabriel, hinaus
und besichtigte die Leichen und sprach zu den beiden:
„Was solle daraus werden? Werden wir sie doch zuvor begraben müssen, bis
Cyrenius aus der Stadt kommen wird?!“
Die Jünglinge aber sprachen: „Joseph! sorge dich nicht darum, denn gerade der
Statthalter muß das sehen, welche Macht in deinem Hause wohnet!
Darum bleiben diese Leichen liegen, bis der Cyrenius kommt, und er selbst mag
sie dann hinwegräumen lassen.“
Joseph war mit diesem Bescheide zufrieden und begab sich dann mit den beiden
wieder ins Haus.
Als sie ins Zimmer traten, war Maria gerade mit dem Bade des Kindleins
beschäftigt, wobei ihr die Eudokia – wo möglich – half.
Die beiden aber blieben stehen in der größten Ehrerbietung, mit übers Kreuz an
die Brust gelegten Händen, solange das Kindlein gebadet ward.
Als aber das Kindlein gebadet und wieder angezogen war mit frischer Wäsche, da
berief Es sobald den Joseph um einer Sache willen zu sich und sprach:
„Joseph! es solle auf dem Grunde, der diesem Hause angehört, niemand ums Leben
kommen!
Die Sache aber, um derentwillen Ich dich berief, ist, daß du dies Wasser nimmst
und es aufbewahrest.
Wann aber der Cyrenius aus der Stadt kommen wird und wird sehen die Erwürgten,
sodann nehme das Wasser und besprenge sie; und sie werden dann erwachen und vor
das Staatsgericht geführt werden.
Bindet aber zuvor einer jeden Leiche am Rücken die Hände, auf daß, so sie
erwache, sie nicht sobald die Waffe ergreife und sich verteidige!“
Als Joseph solches vernommen hatte, da tat er mit Hilfe der beiden sogleich, was
das Kindlein geredet hatte;
und als er der letzten Leiche die Hände gebunden hatte, da kam auch schon der
Cyrenius im vollen Glanze aus der Stadt mit einem großen Gefolge.
Er entsetzte sich aber beim Anblicke dieser gebundenen Leichen und fragte
hastig, was hier geschehen.
Joseph aber, ihm alles kundgebend, ließ sich das Wasser bringen und besprengte
sogleich die Leichen, worauf sich diese wie aus einem tiefen Schlafe erhoben.
Cyrenius aber, nun von allem unterrichtet, ließ diese Erweckten sogleich ins
Staatsgefängnis bringen.
Und als diese alle, samt dem am Leben Gelassenen, abgeführt wurden unter
scharfer Bewachung, begab sich Cyrenius mit seiner Braut ins Gemach und lobte
und pries da den Gott Israels über alle Maßen.
117. Kapitel – Cyrenius verstimmt wegen der
Verräter. Josephs Hinweis auf die Hilfe des Herrn. Cyrenius und die Engel. Das
Machtwunder der Engel.
16. Januar 1844
Es hatte aber diese Erscheinung den Cyrenius dennoch etwas verstimmt, und er
wußte nicht, was er nun mit diesen Verrätern tun solle.
Er trat darum zum Joseph hin und besprach sich mit ihm; Joseph aber erwiderte
ihm:
„Sei guten Mutes, du mein Bruder im Herrn! Denn es wird dir darob kein Haar
gekrümmt werden.
Siehe, du bist auf der Erde sicher mein größter Freund und Wohltäter; aber was
hätte mir heute in der Nacht alle deine Freundschaft genützt?
Diese gedungenen Mörder hätten mich in der Nacht samt meinem ganzen Hause sieden
und braten können, ohne daß du davon etwas eher erfahren hättest, als bis du
heute am Morgen, da du zu mir kamst, nichts mehr von mir gefunden hättest!
Wer war da mein Retter? Wer hatte die geheimen Pläne der Bösen schon lange eher
durchschaut und hat mir zur rechten Zeit Hilfe gesandt?
Siehe, es war der Herr, mein Gott und dein Gott! – Also sei du guten Mutes; denn
auch du bist nun in der allschützenden Hand des Herrn, und Er wird es nicht
zulassen, daß dir auch nur ein Haar gekrümmt werde!“
Mit gerührtem Herzen dankte der Cyrenius an der Seite seiner Tullia, die sich
mit dem Kindlein beschäftigte, dem Joseph für diesen Trost.
Aber er ersah zugleich die zwei herrlichen Jünglinge und gewahrte auch, daß
deren in der Küche noch mehrere zugegen sind.
Er fragte darum den Joseph, woher denn diese gar so schönen, überzarten
Jünglinge wären, ob das etwa auch gerettete Unglückliche seien.
Joseph aber sprach: „Siehe, ein jeder Herr hat seine Diener; du weißt aber nun
ja, daß mein Kindlein auch ein Herr ist!
Und siehe, das sind Seine Diener; diese sind es auch, die dies Haus heute Nacht
vor dem Untergange bewahrt haben!
Rate aber nicht, woher des Landes sie sind; denn da wirst du nichts richten,
indem diese Helfer von einer unbeschreiblichen Kraft und Macht sind.“
Also werden sie es dir nicht kundgeben, und mit Zwang wirst du gegen sie nichts
ausrichten, indem sie zu mächtig und endlos kräftig sind!
Und der Cyrenius sprach: „So sind das Halbgötter, wie wir sie haben in unserer
fabelhaften Lehre?
Wie?! – Solltet auch ihr neben dem einen Gotte solche Halbgötter haben, welche
bestimmt sind, dem Menschen wie dem Hauptgotte gute Dienste zu leisten?!“
Und der Joseph sprach: „O Bruder, da irrst du gewaltig! Siehe, von Halbgöttern
ist bei uns ewig keine Rede;
wohl aber von schon überseligen Geistern, die nun Engel Gottes sind, einst aber
auch wie wir auf der Erde gelebt haben!
Doch was du nun von mir erfahren hast, davon schweige, als hättest du nie etwas
erfahren, sonst könnte deinem Leibe Übles begegnen!“
Hier legte Cyrenius den Finger auf den Mund und schwor zu schweigen bis in
seinen Tod.
Hier traten die zwei Jünglinge hin zum Cyrenius und sprachen: „Nun gehe mit uns
hinaus, auf daß wir dir unsere Kraft zeigen!“
Und der Cyrenius ging mit ihnen hinaus, und siehe, ein Berg im tiefen
Hintergrunde verschwand durch ein Wort aus dem Munde der Jünglinge!
Hier ersah der Cyrenius erst den Grund, warum er schweigen müsse, und er schwieg
davon auch durch sein ganzes Leben – und alle, die mit ihm waren.
118. Kapitel – Der Unterschied zwischen des
Herrn Macht und der Macht Seiner Diener. Des Cyrenius Frage nach dem Zweck der
Engel. Das Gleichnis vom liebenden Vater und seinen Kindern.
17. Januar 1844
Nach dieser Machtbezeigung führten die beiden Jünglinge den Cyrenius wieder ins
Gemach, da Joseph, Maria mit dem Kindlein, die Tullia, die Eudokia und die drei
Priester, der Maronius und noch anderes Gefolge des Cyrenius sich befanden.
Und der Joseph trat sogleich zum Cyrenius hin und fragte ihn:
„Nun, erlauchtester Bruder und Freund, was sagst du zu diesen Dienern des
Herrn?“
Und der Cyrenius sagte: „O erhabenster Bruder! Da ist zwischen ihnen und dem
Herrn ja nahe gar kein Unterschied; denn sie sind ebenso mächtig wie Er!
Das Kindlein zerstörte letzthin durch den Wink mit einer Hand die große Statue
des Zeus;
diese Diener aber zerstörten durch ein Wort einen ganzen Berg! – Sage, was
Unterschiedes wohl ist da zwischen Herr und Diener?!“
Und der Joseph erwiderte dem Cyrenius: „O Freund! dazwischen ist ein endlos
großer Unterschied!
Siehe, der Herr tut solches alles aus Sich Selbst ewig; Seine Diener aber mögen
solches nur aus dem Herrn dann tun, wann Er es haben will!
Ist das nicht der Fall, da vermögen sie aus sich so wenig als ich und du, und
alle ihre eigne Kraft vermag nicht ein Sonnenstäubchen zu zermalmen!“
Der Cyrenius aber erwiderte: „Ich verstehe dich; was du gesagt hast, ist richtig
und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Aber so das alles nur der Herr wirkt und die Diener in sich keine Kraft haben,
wozu sind sie Ihm denn hernach?“
Und der Joseph sprach: „Siehe, du Herrlicher, du lieber Bruder, hier ist das
Kindlein, wende dich mit dieser Frage an Dasselbe, – das wird dir darüber die
gültigste Antwort geben!“
Und der Cyrenius tat dies, und das Kindlein richtete Sich auf und sprach:
„Cyrenius, du bist nun Gatte und hast in dieser Nacht schon befruchtet dein
Weib, auf daß dir ein Nachkomme werde!
Ich sage dir aber, du wirst deren zwölf noch bekommen! Wenn du aber ein Vater
von zwölf Kindern sein wirst, sage Mir, wozu sie dir sein werden, und warum und
wozu du überhaupt Kinder haben willst?
Kannst du denn etwa ohne solche deine Geschäfte nicht gut und rüstig genug
versehen?“
Hier stutzte der Cyrenius gewaltig und sprach nach einer Weile etwas verlegen:
„Was das Versehen meiner regierenden Staatsgeschäfte betrifft, da hat es seine
geweisten Wege, und ich bedarf dazu der Kinder nicht!
Aber nur in meinem Herzen spricht sich ein mächtiges Bedürfnis für den Besitz
der Kinder aus, und dieses Bedürfnis heißt Liebe!“
Und das Kindlein sprach: „Gut, wenn du aber Kinder haben wirst, wirst du sie
nicht auch aus purer Liebe in deine Geschäfte ziehen und wirst ihnen geben Macht
und Gewalt darum, weil sie deine Kinder sind, und wirst sie machen zu deinen
gewaltigen Dienern?“
Und der Cyrenius erwiderte: „O Herr, das werde ich wohl gewiß sicher tun!“
Und das Kindlein erwiderte wieder: „Nun siehe, wenn du als Mensch schon solches
aus deiner Liebe zu deinen Kindern tust, warum sollte es denn Gott nicht tun als
ein heiliger Vater mit Seinen Kindern aus Seiner unendlichen Liebe zu ihnen?!“
Diese Antwort sagte dem Cyrenius alles, erfüllte ihn, wie alle, mit der höchsten
Achtung, und er fragte hernach um nichts mehr.
119. Kapitel – Josephs Anordnungen zum
Hochzeitsmahl. Das Anlegen der Festkleider. Das strahlende Festgewand der Engel.
Die Beklommenheit des Cyrenius und der übrigen. Das Wiederablegen der
Festkleider.
18. Januar 1844
Hier kamen aber auch schon die Söhne Josephs herein und sagten zu ihm: „Vater,
das Morgenmahl ist reichlich bereitet!
So du willst, wollen wir den großen Speisetisch ordnen und sodann das Mahl
aufsetzen.“
Und der Joseph sprach: „Gut, meine Kinder, tut das, ziehet aber eure neuen
Kleider an, denn wir werden nun am Morgen das Hochzeitsmahl des Cyrenius halten!
Ihr müsset auch am Tische sein, darum müßt ihr auch hochzeitlich angezogen sein!
Gehet nun, und tut alles, was da gut, recht und schicklich ist!“
Und die Söhne ordneten den Tisch und gingen dann und taten, wie es ihnen Joseph
geboten hatte.
Es traten aber auch die beiden Jünglinge hin zum Joseph und sprachen:
„Vater Joseph, was meinst du wohl? Siehe, unser Gewand, das wir anhaben, ist nur
unser Werkkleid; sollen auch wir uns in ein hochzeitliches Kleid werfen?“
Joseph aber erwiderte: „Ihr seid Engel des Herrn, und dies euer Gewand ist ja
ohnehin das schönste Hochzeitsgewand; wozu solle da euch ein anderes zieren?“
Die Jünglinge aber sprachen: „Siehe, wir wollen niemandem ein Ärgernis geben;
das du deinen Söhnen befohlen hast, wollen auch wir tun und wollen bei deinem
Tische in unsern Hochzeitskleidern zugegen sein!
Lasse uns daher hinausziehen, auf daß wir die Kleider wechseln gleich deinen
Söhnen!“
Und Joseph sprach: „So tut denn, was ihr sicher vom Herrn aus für nötig findet!
Ihr seid ja allzeit Diener des Herrn und wisset auch allzeit Seinen Willen; also
tuet darnach!“
Und die beiden Jünglinge gingen hinaus, und in kurzer Zeit kamen sie mit den
Söhnen Josephs und all den andern Jünglingen in also hellstrahlenden Kleidern
wie die Morgenröte im schönsten Rotglanze;
ihre Gesichter, Füße und Hände aber strahlten wie die Sonne, wenn sie aufgeht.
Cyrenius und all sein Gefolge entsetzten sich vor dieser unendlichen Pracht und
Majestät.
Und der Cyrenius sprach in einer ängstlichen Eile zum Joseph:
„Allererhabenster Freund, ich habe jetzt gesehen die endlose Herrlichkeit deines
Hauses! Lasse mich aber hinausziehen, denn diese Herrlichkeit verzehrt mich!
Warum mußtest du aber auch deinen Söhnen eine Umkleidung geboten haben? Ohne die
wären sicher auch des Herrn Diener in ihrer früheren, mir so wohltuenden
Einfachheit und Glanzlosigkeit geblieben!“
Hier ermannte sich Joseph, dem auch sein Atem vor lauter Glanz zu kurz wurde,
und befahl wieder seinen Söhnen, ihre Werkkleider anzuziehen.
Die Söhne gingen und taten das; aber auch die Jünglinge gingen und wechselten
ihr Gewand und kamen dann mit den Söhnen Josephs wieder in ihrer ersten
Einfachheit.
Nun ward es dem Cyrenius wieder leichter ums Herz, und er konnte sich nun zum
Tische setzen mit seinem Weibe und seinen Gefährten.
Und so besetzte er den oberen Teil des Tisches mit den Seinen und Joseph, Maria
mit dem Kindlein, die Eudokia, die Söhne Josephs und die Jünglinge den unteren
Teil des Tisches und aßen und tranken alle nach dem Lobgesange Josephs.
Einige Hauptleute samt dem Obersten aber meinten, sie seien nun leibhaftig an
der Tafel der Götter im Olymp, und wußten sich vor lauter Wonne nicht zu helfen;
denn sie wußten nichts vom Hause Josephs, wie es beschaffen ist.
120. Kapitel – Joseph besorgt wegen der
vorschriftsmäßigen Feier des Osterfestes. Die beruhigenden Worte der Engel.
Josephs neue Sorge wegen der vielen anwesenden Heiden. Des Kindleins Antwort.
19. Januar 1844
Nach der Beendigung der köstlichen Morgenmahlzeit, welche bei einer Stunde lang
gedauert hatte, ward von Joseph der Lobgesang gesprochen, und alles erhob sich
vom Tische.
Da aber der Tag ein Vorsabbat, also ein Freitag war, auf den die Osterfeste der
Juden fielen, so war es dem Joseph etwas bange, und er wußte hier mitten unter
lauter Römern nicht, wie er diese Feste begehen solle.
Denn er wußte, daß ihn diese nun auch am Sabbate der Ostern so gut wie an einem
andern Tage besuchen werden.
Darum war es ihm, wie gesagt, bange, wie er diesen gar außerordentlich hohen
Sabbat heiligen solle.
Da umringten ihn aber die Jünglinge und sprachen: „Höre uns an, du gerechter,
aber vergeblich besorgter Mann!
Du weißt es, daß um diese Zeit auch die Engel Gottes sich in Jerusalem einfanden
– als Erzengel, Cherubim und Seraphim.
Und das Allerheiligste ward stets von ihnen bewohnt, wie du es weißt, und wie es
weiß dein Weib.
Weil du aber weißt, daß wir nur dem Herrn nachgehen und nicht dem Tempel zu
Jerusalem, – so sind wir auch nicht im Tempel!
Da der Herr im Tempel wohnte zu Jerusalem, da auch waren wir im Tempel.
Nun aber wohnet Er hier, und wir sind auch hier, zu feiern mit dir die Ostern,
und ist keiner aus uns im Tempel, der nun gar weidlich verlassen ist.
Wie sollst du aber besser die Ostern feiern, als so du gleich uns handelst?!
Siehe, wir aber werden morgen dasselbe tun, was wir heute getan haben und noch
tun werden, und das wird recht sein!
Tue du desgleichen, und du wirst mit uns in der vollsten Gegenwart des Herrn des
Sabbats und aller Feste den Sabbat und das Osterfest recht begehen!
Frage das allerhabenste Kindlein, und Es wird dir dasselbe sagen und treulichst
kundtun!“
Und der Joseph sprach: „Es ist alles recht und gut und wahr, aber was ist da mit
dem Gesetze Mosis? Hört dieses auf?“
Die Jünglinge aber sprachen: „Gerechter Mann, du irrst dich, – sage, hatte Moses
je das Osterfest nach Jerusalem beschieden?
Hat er nicht allein nur da das Fest bestimmt, wo der Herr mit der Bundeslade
ist!?
Siehe, nun aber ist der Herr nicht mehr mit der Bundeslade, sondern Er ist mit
dir und mit deinem Hause leibhaftig!
Sage nun, wo solle nach Moses rechtermaßen das Osterfest begangen werden?“
Und der Joseph sprach: „Wenn also, da muß das Fest freilich wohl hier begangen
werden! Aber was tun wir mit den vielen Heiden hier?“
Und die Jünglinge sprachen: „O gerechter Sohn aus David, kümmere dich dessen
nicht, sondern tue, was wir tun werden, und es wird schon alles recht sein!“
Hier verlangte das Kindlein den Joseph, bei welcher Gelegenheit die Jünglinge
sobald niederfielen, und sprach:
„Joseph, wie heute, so morgen und übermorgen; – sorge dich aber nicht der
Unbeschnittenen wegen, denn diese sind nun besser als die Beschnittenen!
Siehe, an der Beschneidung der Vorhaut liegt nichts, alles aber an der
Beschneidung des Herzens!
Diese Römer aber haben ein edel beschnittenes Herz; darum halte Ich auch nun mit
ihnen und nicht mit den Juden das Osterfest!“
Diese Worte brachten den Joseph wieder ins Gleichgewicht; er ward voll Freude
und übergab alle Sorge den Jünglingen für das Osterfest.
121. Kapitel – Joseph, von Cyrenius zum
Osterfest in seine Burg geladen, in Osterfeiernöten. Des Kindleins beruhigende
Worte. „Wo Ich bin, da sind auch die wahren Ostern!“
20. Januar 1844
Nachdem aber also die Feierung der Ostern bestimmt war und Joseph sich in alles
ergab,
da trat der Cyrenius hin zu Joseph und sprach: „Erhabenster Freund und Bruder!
Siehe, heute war ich dein Gast und werde es bis auf den Abend verbleiben!
Morgen aber werde ich in meiner Burg ein kleines Fest bereiten und lade dazu
dein ganzes Haus ein, wie es hier versammelt ist,
und ich hoffe, du wirst mir diese Freundschaft nicht abschlagen?!
Denn nicht, um dir dadurch einen Ersatz zu machen, lade ich dich, sondern aus
meiner großen Liebe und Achtung, die ich für dich und dein ganzes Haus hege, tue
ich das!
Denn siehe, auf übermorgen habe ich meine Abreise darum festgesetzt und kann
nicht so lange hier verweilen, als ich mir anfangs vorgenommen habe;
denn dringende Geschäfte veranlassen mich dazu, daß ich meinen Plan abändern
muß.
Aber eben aus dem Grunde möchte ich einmal das Glück haben, dich bei mir zu
bewirten, und das sicher auf eine deiner würdige Art!“
Hier stutzte der Joseph wieder und wußte nicht, was er tun solle; denn er hatte
den heiligen Ostersabbat vor sich, den er doch wenigstens in seinem Hause feiern
wollte.
Er sagte daher zum Cyrenius: „Allerwertester Freund und Bruder im Herrn!
Siehe, morgen ist bei uns Juden der wichtigste Festtag, den ein jeder Jude
innerhalb seiner Hausflur wenigstens feiern muß, wenn er schon nicht zum Tempel
in Jerusalem ziehen kann!
Ich müßte mir den bittersten Vorwurf machen, wenn ich dies erste unserer Gesetze
verletzen würde;
daher kann ich dir in dieser Hinsicht wirklich nichts versprechen!
So du aber zu mir kommen willst und dein bevorhabendes Fest in meinem Hause
feiern, das eigentlich auch dir gehört, so wird es mir überaus angenehm sein!“
Und Cyrenius sprach: „Aber Bruder! Bist du denn ungläubiger denn ich, ein Heide
nach deinen Worten von Geburt an!?
Was ist dein Kind? Ist Es nicht der Herr, von dem alle deine Gesetze sind vom
Anfange!?
Sind die Jünglinge nicht Seine Urdiener? – Hat Er nicht das Recht, die Gesetze
zu bestimmen, der so allmächtig auf den Armen der jungen Mutter ruht?!
Wie, wenn Dieser mich erhörte, würdest du auch dann noch deinen Festtag höher
halten als Sein göttlich Wort?“
Hier erhob Sich das Kindlein und sprach: „Ja Cyrenius, du hast recht geredet;
aber nur behalte alles bei dir!
Morgen aber sind wir alle deine Gäste; denn wo Ich bin, da sind auch die wahren
Ostern, – denn Ich bin der Befreier der Kinder Israels aus Ägypten!“ –
Als der Joseph solches vernahm, da ließ er seine Ostern fahren und nahm des
Cyrenius Einladung an.
122. Kapitel – Josephs Frage nach dem
Wegräumen des Tempelschuttes, nach dem Schicksal der Meuterer und der drei
Unterpriester und nach den acht Kindern. Des Cyrenius Antwort.
22. Januar 1844
Nach dieser Osterfesthaltungsbestimmung, mit der, wie schon erwähnt, Joseph
zufriedengestellt ward, fragte aber wieder Joseph den Cyrenius, wie es mit der
Wegschaffung des Tempelschuttes aussehe und wie mit den Ausgegrabenen.
Und der Cyrenius sprach: „O du mein erhabenster Bruder und Freund, kümmere nur
du dich dessen nicht;
denn damit sind schon nach meiner Einsicht die besten Bestimmungen getroffen
worden!
Der Schutt ist schon bis aufs letzte Steinchen hinweggeräumt, die rein
erschlagenen Priester begraben, und die Geretteten werde ich übermorgen nach
Tyrus mitnehmen und dort mit ihnen die rechten Verfügungen treffen!
Siehe, also steht es mit dieser Sache! Ich meine, sie ist so gut und gerecht als
möglich bestellt?“
Und der Joseph sprach: „Ja, fürwahr, besser hätte auch ein Vater für seine
eigenen Kinder nicht gesorgt! Ich bin damit vollkommen zufrieden!
Aber was wirst du mit den Meuterern machen, die da gestern in der Nacht mein
Haus überfielen?“
Und der Cyrenius sprach: „Siehe, das sind Hochverräter und haben sich dadurch
der Todesstrafe schuldig gemacht.
Du aber weißt es, daß ich vom Blutvergießen kein Freund, sondern nur der größte
Feind bin!
Daher habe ich ihnen die Todesstrafe erlassen und habe aber dafür ihre
wohlverdiente Strafe dahin beschieden, daß sie darum zu lebenslänglichen Sklaven
werden!
Und ich meine, diese Strafe wird an Stelle der Todesstrafe nicht zu groß sein,
besonders wenn dem sich ganz Gebesserten auch geheim die Freiwerdung möglich
belassen wird.
Sie kommen auch nach Tyrus mit, allwo mit ihnen die weiteren Verfügungen
getroffen werden.“
Und der Joseph sprach: „Lieber Bruder! Auch da hast du ganz der göttlichen
Ordnung getreu gehandelt, und ich kann dich darum nur loben als einen wahrhaft
weisen Statthalter!
Aber nun hätte ich noch eines auf dem Herzen! Siehe, da sind noch die drei
Unterpriester; was solle mit diesen nach deinem Rate?“
Und der Cyrenius sprach: „O erhabenster Freund und Bruder! Auch für die habe ich
gesorgt.
Der nun so wie ich denkende Maronius nimmt sie zu sich und wird sie zu seinen
Beamten verwenden in dem Amte, das ich ihm zuteilen werde.
Sage, ist es recht also? – Wahrlich, wäre größer und tiefer meine Einsicht, so
könnte ich sicher noch bessere Verfügungen treffen!
Aber so handle ich denn, wie es mir am besten vorkommt, und denke, dein Herr und
dein Gott wird ja segnen meinen guten Willen, wenn er auch nicht aus der besten
Einsicht hervorgeht?!“
Und der Joseph sprach: „Der Herr hat schon gesegnet deine Einsicht, wie deinen
Willen, und du hast darum auch schon die besten Verfügungen getroffen!
Nun aber noch eines: Bis wann wirst du mir die acht Kinder übersenden, darunter
fünf Knaben und drei Mädchen seien?“
Und der Cyrenius sprach: „Mein Bruder, mein Freund, das wird meine erste Sorge
sein, sowie ich in Tyrus anlangen werde!
Nun aber lasse uns hinaus ins Freie ziehen, denn es ist heute ein äußerst
freundlicher Tag, und wir wollen da unsern Herrn loben.“ – Und Joseph setzte
darum gleich das ganze Haus in Bewegung.
123. Kapitel – Der Zug nach dem hl. Berg. Die
Begegnung mit den wilden Tieren. Die Zähmung der Bestien durch die zwei
himmlischen Jünglinge.
23. Januar 1844
Cyrenius mit seinem Gefolge, Maronius mit den drei Priestern und Joseph mit der
Maria und mit dem Kindlein, zwei Jünglinge und die Eudokia bildeten den Zug;
Maria und die Eudokia saßen auf zwei Eseln, die die beiden Jünglinge leiteten.
Die andern Jünglinge aber blieben mit den Söhnen Josephs daheim und halfen ihnen
das Haus bestellen und bereiten ein gutes Brot und Mittagsmahl, welches aber
freilich erst am Abende verzehrt ward.
Außer der Stadt befand sich aber ein Berg, der ganz mit Zedern bewachsen war und
maß bei vierhundert Klafter Höhe.
Dieser Berg ward von den Heiden als ein Heiligtum verehrt, daher auch auf ihm
kein Baum gefällt ward.
Nur ein Weg, den die Priester angelegt hatten, führte bis zur Vollhöhe, auf der
ein offener Tempel errichtet war, von dem man nach allen Seiten hin eine weite
und reizende Aussicht hatte.
Wegen der dichten Bewaldung dieses ziemlich weitgedehnten Berges aber hielten
sich auch fortwährend eine Menge reißender Bestien in den dichten Waldungen
dieses Berges auf, die die Besteigung des Berges unsicher und gefährlich
machten.
Die drei Priester aber wußten wohl von dieser Eigenschaft des Berges; daher
traten sie auch hin zum Cyrenius, als er schon den Fuß des Berges erreicht
hatte, und zeigten ihm solches an.
Und der Cyrenius sprach: „Sehet ihr denn nicht, daß ich keine Furcht habe?
Warum sollte ich auch diese haben? – Ist ja doch der Herr aller Himmel und aller
Welt mitten unter uns und zwei von Seinen allmächtigen Dienern!“
Die Priester ermannten sich bei diesen Worten des Cyrenius und traten wieder
zurück, und der Zug ging rasch bergan.
Als aber die ganze Gesellschaft sich etwa eine gute halbe Stunde tief im
Gebirgswalde befand, da sprangen plötzlich drei mächtige Löwen aus des Waldes
Dickicht hervor und verrammten dem Cyrenius den Weg.
Cyrenius erschrak darob nicht wenig und schrie um Hilfe.
Und sogleich traten die zwei Jünglinge hervor, bedrohten die drei Bestien, und
diese verließen im Augenblick brüllend die Stelle;
aber sie flohen nicht ins Dickicht zurück, sondern begleiteten die Gesellschaft
am Rande des Weges und taten niemandem etwas Leids an.
Als aber die Gesellschaft wieder eine halbe Stunde weiter kam, da kam ihr eine
ganze Karawane von Löwen und Panthern und Tigern entgegen.
Als aber diese unheimliche Karawane der beiden Jünglinge ansichtig ward, da
teilte sie sich zu beiden Seiten des Weges und machte also unserer Gesellschaft
Platz.
Vielen in der Gesellschaft im Gefolge des Cyrenius aber war diese Begegnung
Ehrfurcht und allen Respekt einflößend, daß sie sich darob kaum zu atmen
getrauten.
Als sie aber bemerkten, wie die Bestien in der Nähe des Kindleins niedersanken
und bebten, da ging den furchtsamen Heiden ein Licht auf, und sie fingen an zu
ahnen, wer im Kinde zu Hause ist. –
124. Kapitel – Eudokias und Tullias Ohnmacht.
Die giftigen Schlangen auf der Vollhöhe. Die Reinigung des Platzes durch Maria
mit dem Kinde. Das Erstaunen des Gefolges des Cyrenius.
24. Januar 1844
Diese Bestienkarawane aber kehrte nicht um, sondern sie zog etwas knurrend ihren
Weg weiter.
Die Eudokia an der Seite Marias, wie auch die Tullia an der Seite des Cyrenius,
der nun knapp vor den zwei Eseln ging, überfiel bei dem Anblick wohl eine kleine
Ohnmacht;
aber der Joseph und die Maria flößten ihnen so viel Mut ein, daß ihnen bald alle
Furcht wieder verging.
Und der Zug ging wieder ungehindert weiter und hatte nun bis auf die Vollhöhe
keinen Anstand mehr.
Aber auf der Vollhöhe angelangt, und zwar in die herrliche Freie, allda auf dem
höchsten Punkte der Tempel stand, da erhob sich ein neuer Anstand.
In der Gegend des Tempels war ein förmliches Lager von den giftigsten
Klapperschlangen und Vipern.
Zu Hunderten sonnten sie sich auf dem weiten freien Platze um den Tempel herum.
Als dieses Geschmeiß der anrückenden Gesellschaft ansichtig ward, da fing es an
zu klappern und zu züngeln und zu pfeifen.
Das Gefolge des Cyrenius ward darob ganz starr vor Angst. Besonders schlecht
ging es hier der Tullia, die zu Fuße ging; die ward ganz wie von Sinnen und sah
hier ihren Untergang vor Augen in ihrer großen Angst.
Aber nicht nur die Menschen, sondern auch die drei Löwen fingen an, ein gewisses
Angstgetöne von sich zu geben, und schmiegten sich so eng als möglich an die
Menschen.
Dem Cyrenius machte zwar dieser Anblick nichts, aber dennoch genierte er ihn
seines Weibes und seines Gefolges wegen.
Er wandte sich darum an den Joseph und sprach: „Bruder! sage den beiden Dienern
des Herrn, daß sie dieses Geschmeiß bedrohen sollen!“
Der Joseph aber sprach: „Es ist dieses nicht vonnöten!
Denn siehe, da ist mein Weib eine Hauptmeisterin; lassen wir sie nur
voraustreten mit ihrem Lasttiere,
und du wirst es sehen, wie dieses Geschmeiß vor ihr die Flucht ergreifen wird!“
Und die Maria mit dem Kindlein auf dem Arme trat mit ihrem Lasttiere hervor; und
als die Bestien die Maria ersahen,
da flohen sie plötzlich mit Blitzesschnelle von dannen, und nicht eine war
irgend mehr zu erblicken.
Es verwunderte sich aber darob das ganze Gefolge des Cyrenius, und viele fragten
sich ganz erstaunt untereinander:
„Ist das nicht etwa gar die Hygéa, der auch alle Schlangen sollen auf einen Wink
gehorcht haben?“
Cyrenius aber, der solches Fragen vernahm, sprach: „Was redet ihr von Hygéa, die
nie war!?
Hier ist mehr als Juno, die auch nie war; es ist das von Gott dem Höchsten
erwählte Weib dieses erhabensten Weisen!“
Hier stutzten alle aus dem Gefolge des Cyrenius; aber keiner getraute sich
weiter jemanden darüber zu fragen.
125. Kapitel – Der gefährliche Tempel. Der
Schwarm schwarzer Fliegen. Der Tempel stürzt ein. Die Gesellschaft unter dem
Feigenbaum.
25. Januar 1844
Als die Vollhöhe dieses Berges auf die Weise von all dem Geschmeiße gereinigt
war, da sprach der Cyrenius zu seiner Dienerschaft:
„Gehet in den Tempel und feget ihn, und bedecket den Altar mit reinen Tüchern,
und leget dann den mitgenommenen Mundvorrat auf denselben!
Wir werden sodann in diesem schönen Aussichtstempel eine kleine Stärkung zu uns
nehmen!“
Sogleich ging die Dienerschaft des Cyrenius und tat, was ihr anbefohlen ward.
Als also alles bestellt war, da machte der Cyrenius dem Joseph und der Maria die
Einladung, daß sie ihm in den Aussichtstempel folgen sollen, um dort eine kleine
Stärkung und Erfrischung zu nehmen.
Der Joseph aber sprach: „Bruder, ich sage dir, lasse eilends alles aus dem
Tempel holen, sonst fällt er eher zusammen, als bis du deine Sachen wirst
herausgeholt haben!
Denn siehe, dies Gebäude ist schon überaus alt, verwittert und locker und hat
einst zu großen Schändlichkeiten den Priestern gedient!
Darum wird es nun nur noch von einigen argen Geistern zusammengehalten.
Trete nun ich mit meinem Weibe und Kindlein in dies lose Gebäude, da werden die
argen Geister entfliehen, und der ganze Tempel stürzt dann in dampfende Trümmer
über uns zusammen!
Ich bitte dich darum, befolge meinen Rat, und du wirst gut fahren!“
Der Cyrenius machte hier große Augen und befolgte den Rat Josephs aber dennoch
augenblicklich.
Es war aber seine Dienerschaft kaum noch, wennschon eiligst, mit diesem
Geschäfte fertig, als man eine große Menge schwarzer Fliegen aus dem Tempel
entfliegen sah unter einem wilden Stoßgesumse.
Bei dieser Erscheinung rief Joseph den Dienern zu: „Begebet euch schleunigst aus
dem Tempel, sonst leidet ihr Schaden!“
Wie vom Sturmwinde ergriffen, schossen auf diesen Zuruf Josephs die Diener des
Cyrenius aus dem Tempel.
Als sie aber kaum noch einige Schritte in größter Eile vom Tempel entfernt
waren, da stürzte schon der Tempel unter großem Gekrache zusammen.
Alles entsetzte sich und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen; selbst die
drei getreuen Löwen machten bei dieser Gelegenheit etwas Reißaus, kamen aber
nachderhand wieder.
Man fragte sich allseitig um den Grund dieser Begebenheit; aber unter den Heiden
– mit Ausnahme des Cyrenius – konnte niemand dem andern einen Bescheid erteilen.
Als aber die Gesellschaft sich von dem Schreck ein wenig erholt hatte, da fragte
der Cyrenius den Joseph, wo da wohl ein sicherer Platz wäre, den er möchte für
die Erfrischungen decken lassen.
Und Joseph zeigte ihm ein ganz freies grünes Plätzchen unter einem
Gebirgsfeigenbaume, der voll von Blüten und Früchten war.
Und sogleich sandte Cyrenius seine Diener dahin, ließ den Platz reinigen und
dann gar zierlich decken und darauf legen allerlei mitgenommene Erfrischungen.
126. Kapitel – Der Imbiß im Freien mit den
Jünglingen. Der Brand des kaiserlichen Palastes. Des Cyrenius Aufregung und
Zorn. Josephs Ruhe und gelassene Antwort an den erregten Cyrenius.
26. Januar 1844
Darauf lud der Cyrenius den Joseph abermals ein, daß er sich mit ihm an die
Erfrischungen machen möchte samt der Maria, dem Kindlein und der Eudokia.
Hier ging der Joseph sogleich mit den Seinen und nahm zuunterst Platz und
segnete die Speise und aß und trank.
Dem Beispiele Josephs folgten auch die zwei Jünglinge und dann die ganze andere
Gesellschaft.
Als sie aber also ganz wohlgemut beisammensaßen und aßen und tranken,
siehe, da bemerkte der Maronius, der da an der Seite des Cyrenius saß, wie sich
über die Stadt Ostracine eine mächtige Rauchsäule zu erheben anfing,
und wie auch am etwas fernen Meeresufer sich ebenfalls dichte Rauchsäulen
erhoben.
Er zeigte solches dem Cyrenius sogleich an, und dieser erkannte sobald, daß da
in der Stadt eben sein Palast in Flammen stehe, – und vermutete, daß auch am
etwas fernen Meeresufer seine Schiffe angezündet seien.
Wie von tausend Blitzen getroffen, sprang hier Cyrenius auf und schrie:
„Um des Herrn willen, – was muß ich erschauen?! – Sind das die Früchte meiner
Güte an euch elenden Ostracinern?
Wahrlich, ich will diese Güte in die Wut eines Tigers umwandeln, und ihr sollt
euren Frevel büßen, wie ihn noch keine Furie in der untersten Hölle gebüßt hat!
Auf, Freunde und Brüder! Nun ist für uns hier keines Bleibens mehr! Auf, auf zur
gerechten Rache gegen diese Frevler!!!“
Alles Gefolge des Cyrenius sprang auf diesen furchtbaren Ruf des Cyrenius mit
Blitzesschnelle auf und raffte im Nu alles zusammen.
Nur Joseph blieb mit den Seinigen ganz ruhig sitzen und sah kaum nach der Gegend
hin, da es brannte.
Cyrenius bemerkte das und fuhr den Joseph hastig an, sagend:
„Was für ein Freund bist du mir wohl, so du im Anblicke meines Unglücks also
ruhig hier sitzen kannst?!
Weißt du doch, daß ich ohne dich diesen Gebirgsweg nicht sicher passieren kann
wegen der vielen reißenden Bestien!
Daher erhebe dich und stelle mich sicher, sonst erbitterst du mich auch gegen
dich!“
Und Joseph sprach ganz gelassen: „Siehe, du zornentbrannter Römer, gerade jetzt
werde ich dir nicht folgen!
Was wirst du wohl tun, so du etwa in zwei Stunden hinabkommst? – Wird in der
Zeit nicht alles schon von den Flammen verzehrt sein?!
Willst du aber dafür Rache üben, da meine ich, es dürfte dazu noch immer Zeit
genug sein!
Wärest du nicht also aufgefahren, wahrlich, ich hätte es den beiden Jünglingen
gesagt, und diese hätten dem Brande augenblicklich den Garaus gemacht.
Da du aber selbst also aufgefahren bist, so ziehe nun selbst hin, und dämpfe mit
deinem Zorne das Feuer!“
127. Kapitel – Cyrenius versucht durch Tullia
Joseph günstiger zu stimmen. Josephs Freundesworte. Die Löschung des Brandes
durch die Willenskraft der zwei Jünglinge.
27. Januar 1844
Diese ganz ernstlich von Joseph gesprochenen Worte machten auf den Cyrenius
einen gar mächtigen Eindruck, und er wußte nicht, was er darauf sagen solle;
auch getraute er sich dem sichtlich etwas aufgeregten Manne nicht noch mit
irgendeinem Worte zu kommen.
Darum sagte er zur Tullia: „Gehe du hin zu dem weisen Manne und trage ihm meine
verzeihliche Not und die von ihr bewirkte Aufregung meines Gemütes vor!
Bitte ihn um Verzeihung und versichere ihm, daß ich ihm in alle Zukunft keine
solche Minute mehr bereiten werde!
Nur möchte er mich diesmal nicht sitzenlassen und solle mir nicht versagen
seinen Beistand!“
Joseph aber vernahm wohl, was Cyrenius zu der Tullia geredet hatte;
er stand darum auf, ging hin zum Cyrenius und sprach: „Edler Freund und Bruder
in Gott dem Herrn! Wir haben bis jetzt noch keine Unterhändler gebraucht,
sondern wir haben unser gegenseitiges Anliegen uns allzeit offen bekannt!
Wozu solle da dein Weib eine Unterhändlerin machen, als wären wir beide uns
nicht genug?
Meinst du etwa, als könnte auch ich mich irgendeiner Sache wegen erzürnen?
O siehe, da würdest du dich sehr irren an mir! – Mein Ernst ist nur die Frucht
meiner großen Liebe zu dir!
Schlecht aber ist der Freund, der seinen Freund im Notfalle nicht auch ein Wort
des Ernstes kann vernehmen lassen!
Siehe, wäre an der Sache, die dich nun so kümmert, etwas, da dürftest du doch
versichert sein, daß ich dich zuerst darauf aufmerksam gemacht hätte, wie ich es
dir sonst noch bei jeder Gelegenheit tat!
Hier aber ist nichts als ein ganz leeres Blendwerk von seiten derjenigen argen
Geister, die hier vertrieben wurden!
Sie üben nun eine blinde Rache aus und wollen uns darum beunruhigen, weil wir
sie hier aus ihrem alten Neste vertrieben haben.
Siehe, das ist das Ganze! – Hättest du mich früher gefragt, bevor du dich
erregtest, da hättest du nicht einmal vonnöten gehabt, dich vom Boden zu
erheben!
Du aber trautest sogleich deinen Sinnen und erregtest dich für nichts und
nichts!
Nun aber setze dich nur ganz beruhigt wieder nieder, und schaue mit gelassenen
Blicken dem Brande zu, und sei versichert, er wird bald ein Ende nehmen!“
Diese Kundgabe Josephs war für den Cyrenius freilich wohl ungefähr das, was da
ist für eine Kuh ein neues Tor;
aber er glaubte dennoch, was ihm der Joseph gesagt hatte, obschon er von dieser
Sache nichts verstand.
Joseph aber sprach in der Gegenwart des Cyrenius zu den Jünglingen:
„Blicket auch ihr einmal hin nach der Stätte, da die hier Vertriebenen ihren
Mutwillen treiben, damit des ein Ende werde zur Beruhigung meines Bruders!“
Und die zwei taten das, und siehe, im Augenblick war von dem Brande keine Spur
mehr zu entdecken!
Nun erst begriff Cyrenius etwas besser, was ihm zuvor Joseph kundgab, und ward
nun wieder heiteren Mutes; aber vor den zwei Jünglingen wie vor dem Joseph bekam
er einen ungeheuren Respekt.
128. Kapitel – Cyrenius wird belehrt über die
verheißenen Zupfereien des Herrn. Joseph erklärt die wunderbaren Erscheinungen
in der Natur.
29. Januar 1844
Nachdem also alles wieder zur Ordnung und Ruhe gebracht ward, da richtete Sich
das Kindlein auf und sprach zum Cyrenius:
„Höre Mich an, du edelherziger Mann! – Erinnerst du dich noch dessen, wie Ich
den Bruder Jakob bei den Haaren zupfte?
Siehe, da wolltest du, daß Ich auch dich also bei den Haaren zupfen sollte!
Ich versprach dir solches, und siehe, nun halte Ich auch schon Mein Versprechen;
denn all die kleinen Überraschungen, die dir seither vorkamen, sind nichts als
die dir verheißenen Zupfereien bei deinen Haaren!
Wenn dir aber in Zukunft wieder solche vor- und zukommen werden, da erinnere
dich dieser Meiner Worte und fürchte nichts, und werde nimmer zornig;
denn du wirst darob kein Haar verlieren! Dem Ich solches tue, den liebe Ich! –
und der hat nichts zu fürchten weder in dieser noch in der andern Welt!“
Dem Cyrenius kamen bei dieser Erklärung des Kindleins die Tränen, und er wußte
sich vor lauter Liebe und Dank nicht zu helfen.
Es vernahmen aber auch viele umstehende Heiden solche Rede des Kindleins und
erstaunten über alle Maßen, wie dies Kindlein von einem Vierteljahre Alters also
vollkommen weise und klarst zu reden vermag.
Und es wandten sich einige an den Joseph und fragten ihn, wie doch solches
zuging, daß dies Kindlein in so frühester Zeit also vollkommen ausgebildet zu
reden vermag?
Joseph zuckte hier mit den Achseln und sprach: „Liebe Freunde! – Auf der großen
Erde, und besonders im Gebiete des Lebens, zeigen sich hie und da die
wunderbarsten Erscheinungen.
Sie geschehen vor unseren Augen zwar, aber wer kann die geheimen Gesetze einer
schaffenden Gottheit bestimmen, nach denen sie solches wirkt?!
Fürwahr, wir treten, als selbst die größten Wunder, der Wunder Unzahl täglich
mit unseren Füßen – und beachten sie kaum!
Wer von uns aber weiß, wie dieses zahllose Wunderwerk entsteht – wie das Gras,
wie der Baum, wie der Wurm, wie die Mücke, wie der Fisch im Wasser?
Fürwahr, uns bleibt da nichts übrig, als die Wunder zu betrachten und den großen
heiligen Werkmeister derselben zu rühmen, zu loben und anzubeten!“
Diese Erklärung des Joseph beruhigte vollkommen die fragenden Heiden,
und sie sahen von diesem Augenblicke die ganze Natur mit ganz anderen Augen an.
Sie zerstreuten sich dann nach allen Seiten des freien Berges und betrachteten
die Wunder der Schöpfung.
Cyrenius aber wandte sich dennoch heimlich an den Joseph und fragte ihn, ob er
solches im Ernste nicht wüßte.
Und Joseph beteuerte ihm das und sprach: „Wende dich darob an das Kindlein; das
wird dir sicher die beste Auskunft geben.“
129. Kapitel – Des Cyrenius Frage über die
wunderbare Redefähigkeit des drei Monate alten Jesuskindleins. Die tiefweise
Antwort der Engel über das geheimnisvolle Wesen des Kindleins.
30. Januar 1844
Und der Cyrenius wandte sich darauf sogleich allerdemütigst an das Kindlein und
sprach:
„Du mein Leben, Du mein Alles! – Siehe, es ist dennoch, so man es auch weiß, Wer
Du bist, zu unerhört wunderbar, daß Du, ein Kindlein von drei Monden Alters, gar
so vollkommen und überweise zu reden vermagst!
Ich möchte darum von Dir auf diesem Berge, da sich schon so viel Wunderbarstes
zutrug, ein kleines Licht empfangen! – Möchtest Du mir denn darüber nicht einige
Worte geben?“
Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, siehe, dort an der Seite Josephs befinden
sich die zwei Diener; wende dich an sie, die werden dir das kundtun!“
Cyrenius befolgte sogleich diesen Rat und wandte sich in dieser Sache an die
beiden Jünglinge.
Und die sprachen: „Siehe, das ist eine rein himmlische Sache; so wir sie dir
auch kundgeben, da wirst du sie aber dennoch nicht fassen!
Denn naturmäßige Menschen können nimmer das reinst Himmlische erfassen, weil ihr
Geist noch nicht ledig ist, sondern gefangen von aller Materie der Welt.
Du aber bist auch noch zum größten Teile naturmäßig; also wirst du auch das
nicht fassen, was wir dir kundgeben werden!
Du aber willst davon Kunde erhalten, so wollen wir sie dir auf des Herrn Geheiß
auch geben;
aber das Verstehen können wir dir nicht geben darum, da du noch ein naturmäßiger
Mensch bist.
Und so höre uns! – Siehe, das Kindlein, wie Es ist in Seiner menschlichen Art,
kann euch gegenüber als naturmäßigen Menschen noch lange nicht reden!
Das wird Es erst in einem Jahre halbwegs imstande sein!
Aber im Herzen des Kindleins wohnet die Fülle der ewigen allmächtigen Gottheit!
Wenn nun dies Kindlein dir vernehmlich und überweise spricht, da spricht nicht
das dir sichtbare Kind, sondern die Gottheit aus dem Kinde in dein zu dem Behufe
erwecktes Gemüt.
Und du vernimmst dann die Worte also, als redete das dir sichtbare Kindlein.
Aber dem ist nicht also, sondern da redet nur die dir unsichtbare Gottheit!
Und was du wie von außen her zu hören meinst, das hörst du nur in dir selbst;
und das ist mit jedem der Fall, so er dies Kindlein reden hört!
Damit du dich aber davon überzeugst, so stelle dich nun so ferne, als du willst,
von hier, da man des Kindleins natürliche Stimme nicht mehr vernehmen möchte.
Und das Kindlein wird dann dich anreden, und du wirst Es in der Ferne so gut
vernehmen wie in der größten Nähe! – Gehe und erfahre das!“
Und der Cyrenius, vom Ganzen zwar nichts verstehend, ging aber dennoch bei
tausend Schritte nach des Berges Fläche hin.
Da vernahm er auf einmal den Ruf des Kindleins ganz hell und klar, der also
lautete:
„Cyrenius! Kehre nur schnell wieder zurück; denn unter dem Punkte, darüber du
stehest, ist eine Höhle, voll von Tigern!
Diese fangen an dich zu wittern; daher eile zurück, ehe sie deiner ansichtig
werden!“
Cyrenius, solches vernehmend, floh sogleich mit Windesschnelle zurück und stand
nun ganz verblüfft da. Er wollte weiter fragen, aber er wußte am Ende nicht, um
was er so ganz eigentlich fragen sollte; denn diese Erfahrung war ihm zu
wunderlich.
130. Kapitel – Cyrenius bekennt seine
Unwissenheit in geistigen Dingen. Seine Bitte um Licht. Die Antwort der Engel
als ein großes und klares Zeugnis über des Herrn Wesen und Menschwerdung. Des
Kindleins Segen über Cyrenius.
31. Januar 1844
Die beiden Jünglinge sprachen darauf nichts weiter; aber der Cyrenius war durch
diese Erklärung zu sehr angestochen worden, als daß er nun ruhen konnte.
Als er sich nach einiger Zeit erst wieder gesammelt hatte, da sprach er zu den
beiden Jünglingen:
„Hocherhabenste Diener Gottes von Ewigkeit ganz sicher! Eure Erklärung ist zu
wunderbar erhaben und all mein Leben anziehend, als daß ich mich mit dem
begnügen sollte, was ihr mir gesagt und gezeigt habt!
Ich erkenne nun wohl vollkommen, daß ich ein aller höheren Weisheit vollkommen
lediger Verstand- und Naturmensch bin, der kaum um eine Spanne weiter sieht, als
er greift.
Sollte es aber nicht möglich sein, mir nur ein wenig mehr Einsicht zu
verschaffen?!
Ich bitte euch demütigst darum, tut mir solches! Öffnet mir ein in mir sicher
verborgen liegendes tieferes Erkenntnisvermögen,
auf daß ich wenigstens das, was ihr mir kundgegeben habt, klarer verstehen
möchte!“
Die beiden aber sprachen: „Siehe, du sonst so lieber Freund und Bruder, du
bittest hier um vor der Zeit Unmögliches!
Denn solange du noch im Fleische wandelst, magst du nimmer Dinge der höchsten
göttlichen Weisheit begreifen!
Denke dir, Gott der Herr, der hier in aller Seiner endlosen und ewigen Fülle in
diesem Kindlein wohnet, hätte zahllose Myriaden der herrlichsten und übergroßen
Welten und Erden, deren endlos kleinsten Teil du zur Nachtzeit als Sternchen am
Himmel erschauest,
die Er Sich hätte, wie diese Erde, für Seine Menschwerdung erwählen können! Und
dennoch hat Er diese magere Erde erwählt, die doch unter allen zahllosen
Weltkörpern der elendeste und schlechteste ist in jeder Hinsicht genommen!
Aber Ihm, dem ewigen Herrn der Unendlichkeit, hat es also wohlgefallen; Er tat
es, wie es vor unseren Augen liegt!
Meinst du aber, Er hat dazu etwa unseres Rates bedurft oder etwa unserer
Einwilligung?
O siehe, das wäre grundirrig gedacht! – Er tut von Ewigkeit allein, was Er will,
und noch nie ist jemand Sein Ratgeber gewesen!
Wer aber kann Ihn fragen und sagen: ,Herr! was tust Du, und warum tust Du es?‘
Er Selbst ist in Sich ewig die höchste Vollendung, die höchste Weisheit, die
größte Liebe und Sanftmut!
Er ist in Sich die allein allerhöchste Kraft und Macht; ein Gedanke der
Vernichtung in Seiner Brust, und alles sinkt im schnellsten Augenblicke ins
Nichts zurück!
Und siehe, dennoch läßt Er Sich hier als ein schwaches Menschenkind auf den
Armen einer schwachen jüdischen Jungfrau locken!
Und Er, der zahllose Sonnen, Welten und Wesen endloser Art mit der belebenden,
allerweisest zweckdienlichsten Kost allerreichlichst von Ewigkeit versieht,
sauget hier auf dieser mageren Erde Selbst die schwachen Brüste einer
fünfzehnjährigen Jungfrau!
Er als das Grundleben alles Lebens hat Selbst das Kleid des Todes, der Sünde
angezogen und hat Sich verborgen im Fleische und Blute!! –
Was sagst denn du dazu? – Wie kommt dir das vor? – Möchtest du darüber nicht
auch eine hellere Beleuchtung haben?!
Siehe, sowenig aber du das je in der Tiefe erfassen wirst, ebensowenig kann dir
hier über das Frühreden dieses allerhöchsten Kindes mehr gesagt werden.
Liebe Es aber aus allen deinen Kräften in dir, und verrate Es nirgends, so wirst
du auch in dieser Liebe etwas finden, was dir sonst alle Himmel in Ewigkeiten
nicht zu offenbaren vermöchten!“
Diese Worte erfüllten den Cyrenius mit einer so ungeheuren Achtung vor dem
Kinde, daß er sogleich vor Demselben niederfiel und weinend sprach: „O Herr! Ich
bin ewig solcher Gnade nicht wert, die ich hier genieße!“
Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, stehe auf, und verrate Mich nicht! Ich
kenne ja dein Herz, und liebe dich, und segne dich; darum erhebe dich!“ – Und
der Cyrenius erhob sich sobald, ganz bebend vor Liebe und Achtung.
131. Kapitel – Ein nahender Gewittersturm.
Josephs Rat. Die Vorahnung und Flucht der Löwen nach dem Walde.
1. Februar 1844
Es kamen aber die andern, die sich ehedem nach allen Seiten der sehr gedehnten
Fläche des Berges zerstreut hatten, mit ganz bekümmerten Gesichtern zurück.
Denn sie ersahen aus dem südwestlichen Teile Ägyptens sich gar mächtige schwarze
Wolken erheben, die allzeit Vorläufer großer Stürme waren.
Nordöstlich gegen Ostracine hin war freilich wohl alles rein; aber desto
schauerlicher sah es über dem Gebirge, wie schon gesagt, südwestlich aus.
Diese Zurückgekommenen rieten daher zu einer schnellen Heimkehr.
Cyrenius aber sagte: „Wenn es an der rechten Zeit sein wird, werden uns schon
diese mächtigen Weisen kundgeben;
solange sich aber diese ruhig verhalten, da wollen auch wir uns kein graues Haar
wachsen lassen!“
Maronius und der Oberste sprachen aber: „Du hast recht; aber gehe hin über diese
kleine Anhöhe, und sieh, und du wirst sicher auch unserer Meinung sein!
Denn da sieht es ja aus, als wenn alle Furien auf einmal die Erde in den Brand
gesteckt hätten!“
Cyrenius aber fragte den etwas schlummernden Joseph:
„Freund und Bruder, hast du vernommen, was diese da mir für eine warnende
Nachricht gebracht haben?“
Und der Joseph sprach: „Ich schlummerte und weiß kaum, wovon da nun unter euch
die Rede war.“
Und der Cyrenius sprach: „So erhebe dich, und gehe mit mir auf diese Anhöhe, und
du wirst den Stoff unserer Rede sogleich entdecken!“
Und Joseph erhob sich und ging mit dem Cyrenius auf die Höhe.
Als sie da anlangten, zeigte Cyrenius dem Joseph sogleich das höchst drohende
Aussehen des herannahenden Sturmes.
Und der Joseph sprach: „Ja, was willst du da nun machen?
Fliehen? – Wohin? – In einer Viertelstunde ist der Sturm längstens da!
Nach Ostracine brauchen wir laufend anderthalb Stunden; bevor wir noch durch den
oberen Teil der Gebirgswaldung kommen, hat uns der Sturm lange schon eingeholt!
Was dann in der unsicheren Schlucht, wenn uns eine Legion von Bestien umringen
werden, was sie bei großen Stürmen gerne tun?!
Und wenn uns obendrauf noch reißende Wolkenbruchströme ereilen und uns
schonungslos in die Tiefe mitreißen, – was machen wir dann?!
Daher bleiben wir lieber hier auf der Höhe, da können wir höchstens naß werden,
während uns im Walde allerlei Ungemach zustoßen kann!“
Cyrenius war mit diesem Rate zufrieden und ging mit Joseph unter den Feigenbaum
zurück.
Aber die Gesellschaft des Cyrenius machte dabei dennoch sehr bedenkliche Mienen,
– besonders als sie die drei Löwen auf einmal aufspringen und die Flucht in die
Wälder ergreifen sah.
Und der Maronius sprach zum Joseph selbst: „Siehe, die drei uns getreu
gewordenen Bestien haben sicher im Vorgefühle für die Kalamität, die uns hier
erwartet, die sie schützende Flucht ergriffen! Sollen wir nicht desgleichen
tun?“
Joseph aber sprach: „Der Mensch hat nicht vom Tiere zu lernen, was er tun soll,
sondern vom Herrn der Natur!
Ich aber bin der Meinung, daß ich klüger bin als das Tier; darum bleibe ich und
werde den Sturm hier abwarten und nach demselben erst aufbrechen, falls einer
kommen wird!“ – Damit mußten sich nun alle zufriedenstellen und bleiben in
banger Erwartung.
132. Kapitel – Der Berggipfel im Nebel. Die
Götterfurcht der Heiden. Cyrenius' Mut erprobt im Toben des Unwetters. Das
Verstummen des Gewitters auf das Machtwort des Jesuskindleins.
3. Februar 1844
Es dauerte aber keine Viertelstunde, als sich der Gipfel des Berges auf einmal
in Nebel zu hüllen anfing, und das so dicht, daß es förmlich finster wurde.
Die ganze Gesellschaft des Cyrenius fing an zu wehklagen und sprach:
„Da haben wir's jetzt! – der Zeus wird uns hier schön bedienen!
Hier wird es nicht heißen: Ferne von Zeus, ferne vom Blitze!
Sondern hier können wir alle gar übel umkommen; denn Sterbliche sollen sich den
Göttern nie über die Gebühr nahen, wollen sie mit heiler Haut auf der Erde
wandeln!“
Der Cyrenius aber sprach etwas scherzhaft: „Nun sollen mich eure Götter allesamt
etwas gerne haben!
Ich habe einen besseren Gott gefunden, bei dem es nicht heißt: Ferne von Ihm,
auch ferne vom Blitze!
Sondern da heißt es ganz umgekehrt: Ferne von Ihm, ferne vom Leben – und sehr
nahe dem tötenden Blitze!
Aber nahe bei Ihm heißt dann auch soviel als: Nahe dem Leben – und sehr ferne
vom tötenden Blitze!
Darum schrecken mich nun auch diese Nebel gar nicht; denn ich weiß ja, daß wir
alle dennoch sehr ferne vom tötenden Blitze sind!“
Als aber der Cyrenius solches noch kaum ausgesprochen hatte, da zuckte schon ein
knallender Blitz gerade vor der Gesellschaft in die Erde, und diesem folgte bald
eine Legion!
Das frappierte den Cyrenius ein wenig, und seine Gefährten sprachen: „Wie
gefällt dir das auf deine frühere Äußerung?“
Und der Cyrenius sprach: „Sehr gut; denn das ist ja ein wahrhaftes
Mordsspektakel, bei dem von uns noch keiner das Leben verloren hat!
Mir scheint, eure Götter gewahren hier den Bruder des Kaisers – und wen ganz
andern noch! Darum tun sie uns diese Ehre an!“
Ein Hauptmann aber aus der Gesellschaft des Cyrenius, der noch so ziemlich stark
unter dem Pantoffel der Götter stand, sprach zum scherzenden Cyrenius:
„Aber ich bitte Eure Kaiserliche Consulische Hoheit, scherzet ja nicht hier mit
den Göttern! – denn wie leicht könnte das der flinke Merkur dem Zeus
benachrichten, und wir wären dann alle mit einem Blitze verloren!“
Und der Cyrenius sprach, noch mehr scherzend: „Mein lieber Hauptmann, setze dich
darob ganz ruhig zur Erde nieder!
Denn der Merkur hat nun einen ewigen Hausarrest von Zeus bekommen, und der Zeus
selbst hat von einer ganz andern Juno eine so derbe Maulschelle bekommen, daß
ihm darob das Hören und Sehen für ewig verging!
Daher magst du nun ganz ruhig sein in dieser Hinsicht; denn von nun an wird der
Zeus mit Blitz und Donner nicht viel mehr zu schaffen haben!“
Es fing aber bei dieser Gelegenheit stets heftiger an zu blitzen und gar
furchtbar zu donnern, und der Hauptmann bemerkte:
„Oh! Ihre Kaiserliche Consulische Hoheit werden diese Schmährede gegen die
Götter sicher noch hoch bereuen!“
Und der Cyrenius sprach: „Heute sicher nicht; vielleicht morgen, wenn mir so
viel Zeit übrigbleiben wird!
Denn siehe, so ich gleich dir und noch so manchem anderen Toren die Götter
fürchten möchte, da würde ich gerade jetzt unter diesem Feuermeere nicht also
reden!
Weil ich aber eben die Götter durchaus nicht mehr fürchte, darum rede ich also!“
Damit war der Hauptmann abgefertigt und getraute sich dann nicht weiter mit der
Kaiserlichen Hoheit zu reden.
Ein Blitz aber schlug gerade zwischen dem Joseph, der Maria und den beiden
Jünglingen ein.
Da richtete sich das Kindlein auf und sprach: „Entlarve dich, du Ungetüm!“
Auf dies Wort fielen auf einmal alle die Wolken nieder. Der Himmel ward ganz
rein; aber dafür erblickte man eine Menge Geschmeiß am Boden herumkriechen.
Die beiden Jünglinge aber richteten einen Blick auf den Boden, und alles
Geschmeiß floh teilweise dem Walde zu, teilweise aber ward es vernichtet.
Dieser Akt machte alles verstummen, was mit Cyrenius sich auf dem Berge befand;
denn man wußte nicht, wie solches kam.
133. Kapitel – Die Wißbegier des nachdenklich
gewordenen römischen Obersten und sein Gespräch mit Cyrenius über die
Naturgesetze und ihren Gesetzgeber. Die Rückkehr vom Berge nach Hause.
5. Februar 1844
Nach einer langen Weile des Staunens über Staunens nahte sich der Oberste ganz
bescheiden dem Cyrenius und sprach:
„Eure Hoheit! Ich weiß, daß dieselben sich sehr viel mit der Naturwissenschaft
abgegeben haben, wie solches auch mehrere erlauchte Häupter Roms es taten!
Ich bin zwar für mich stets mehr Soldat als irgendein Naturgelehrter gewesen;
aber diese höchst sonderbare Erscheinung, die hier vor unsern Augen geschah,
nötigt mich zum Nachdenken.
Doch aber mag ich keinen anderen Grund irgend erschauen als im Ernste den
wunderbaren nur, der da durch die sonderbare Macht dieses jüdischen Kindes
erklärlich ist.
Sollte aber da im Ernste kein anderer Grund vorhanden sein? – Sollte es nicht
irgend geheime Gesetze in der Natur geben, nach denen solches ebensogut erzeugt
werden muß, wie sonst der Regen, Hagel und der Schnee?
O gebet mir da ein kleines Lichtlein, damit ich doch auch etwas verstehen möchte
und nicht wie ein Strumpf eines Illyriers dastehe!“
Und der Cyrenius sprach zum Obersten: „O Freund! – du hast dich schlecht
beraten, darum du dich in dieser Sache an mich gewendet hast!
Denn da verstehe ich geradesoviel als du; daß solches sicher nach einem Gesetze
geschah, so viel ist gewiß!
Wie aber das Gesetz beschaffen ist, das wird wohl schwerlich jemand anderer
wissen als allein der große Gesetzgeber der Natur!
Ob wir Sterbliche aber berechtigt sind, den großen Gesetzgeber um die
Beschaffenheit solcher Gesetze zu fragen, das ist mir wenigstens völlig
unbekannt!“
Der Oberste aber sprach: „Sehet, Eure Hoheit, da ist ja der weise Jude, da sein
wunderbares Kind und die höchst merkwürdigen beiden Jünglinge, die uns heute
morgen mit ihren Glanzkleidern so sehr außer aller Fassung gebracht haben!
Wie wäre es denn, so wir uns in dieser höchst merkwürdigen Sache an sie
wendeten?“
Und der Cyrenius sprach: „Versuche es, so du dazu Mut genug besitzest!
Mir mangelt bei dieser Gelegenheit dieser; denn ich ersehe nun ganz klar, daß
das – Wesen ganz anderer Art sind, als wir es sind!“
Und der Oberste sprach: „An Mut gerade gebricht es mir nicht;
aber wenn Ihre Hoheit solcher Meinung sind, da will ich doch sicher keinen
Hochverräter machen und begnüge mich mit meiner Ignoranz!“
Der Joseph aber sprach zum Cyrenius: „Bruder, nun lasse zum Aufbruche ordnen;
denn die Sonne hat sich schon ziemlich geneigt!“
Der Cyrenius tat solches, und in kurzer Zeit ward die Rückreise angetreten, die
ohne alle Hindernisse vor sich ging; und in zwei Stunden ward die Villa wieder
erreicht.
134. Kapitel – Der Empfang im Hause Josephs
durch die Zurückgebliebenen. Joels Erzählung. Die drei Löwen als Leibwache des
Cyrenius.
6. Februar 1844
Bei der Villa wieder angelangt, ward die Gesellschaft sogleich von den Söhnen
Josephs und ganz besonders aber von den zurückgebliebenen Jünglingen auf das
liebfreundlichste begrüßt.
Und die Söhne zeigten dem Vater Joseph sogleich alles an, was sie unterdessen
gemacht und wie sie seinen Willen auf das pünktlichste erfüllt hatten.
Zugleich aber erzählte der älteste Sohn dem Joseph, was alles sich unter der
Zeit wunderbar in der Gegend von Ostracine zugetragen hatte.
„Ganz besonders“, sagte der Erzähler, „hat der plötzliche Brand der Residenz in
der Stadt alle Bewohner erschreckt!
Als aber diese sich bemühten, dem Brande Einhalt zu tun, da erlosch das
gewaltige Feuer auf einmal und war keine Spur mehr vom selben zu entdecken.
Darauf ersahen wir auf einmal, daß sich der Berg in feurige Wolken einzuhüllen
begann, und tausend Blitze zuckten durcheinander.
Da gedachten wir des Sinai, der zur Zeit der großen Offenbarung Gottes an unsere
Väter gerade also ausgesehen haben mag.
Wir waren da sehr, sehr besorgt um euch; aber die Jünglinge vertrösteten uns und
sagten, daß da niemandem auch nur ein Haar gekrümmt wird.
Wie aber der Berg also sich in feurige Wolken zu hüllen anfing, siehe, da wurden
wir aber gar bald dennoch recht gewaltig erschreckt:
Drei ungeheure Löwen sprangen in großer Hast auf uns zu vom Wege des Berges.
Wir erschraken darob sehr. Aber die Jünglinge sprachen: ,Fürchtet euch nicht;
denn diese Tiere suchen Schutz in der Wohnung Dessen, dem alle Dinge gehorchen
müssen!‘
Und siehe, also war es auch! Die drei Löwen eilten sogleich in unsere
Karrenschuppen, allwo sie sich noch ganz ruhig befinden.
Wir gingen nach dem Sturme mit einigen Jünglingen hin und besahen die riesigen
Bestien;
da erhoben sie sich bald und gaben Zeichen von unverkennbarer Ergebung und
Freundlichkeit! – Siehe, Vater Joseph, das alles ist wunderbarst vor sich
gegangen in eurer Abwesenheit.“
Und der Joseph sprach: „Nun gut, gut mein Sohn; das alles haben auch wir erlebt!
Du hättest deine Erzählung fast etwas zu lange dauernd gemacht!
Nun gehet aber und bestellet den Tisch; denn wir alle brauchen Stärkung, da uns
der Berg ein wenig mitgenommen hat!“
Und die Söhne mit den andern Jünglingen eilten sogleich in die Küche und in das
Speisezimmer und brachten in kurzer Zeit alles in die schönste Ordnung.
Der Cyrenius aber sprach: „Fürwahr, das nimmt mich sehr wunder, daß diese drei
Bestien, anstatt sich in ihre Höhlen zu verkriechen, hierher die Zuflucht
nahmen!
Am Ende werden sie beim Hause bleiben und dasselbe treu bewachen, wie man
ähnliche Beispiele von dieser Tiergattung mehrere hat!“
Und der Joseph sprach: „Mir ist alles recht, was dem Herrn recht und
wohlgefällig ist!
Es kann aber auch sein, daß diese Tiere dir folgen werden zu einem Schutze
deines Schiffes?!“
Und der Cyrenius sprach: „Dann wird es auch mir recht sein, was der Herr will, –
obschon mich der Herr auch ohne diese Löwen beschützen kann!“
Hier kamen die drei Löwen hervor und stellten sich um den Cyrenius und gaben ihm
ihre Freundlichkeit zu erkennen.
Und der Cyrenius sprach: „Das ist aber im Ernste sonderbar; du lieber Bruder
darfst nur etwas reden, so geschieht es auch schon!“
Die beiden Jünglinge aber sprachen: „Diese drei Tiere werden dir noch heute in
der Nacht gute Dienste tun!
Denn der Herr weiß allzeit die tauglichsten Mittel, durch die Er jemandem hilft.
Solche Tiere aber waren schon öfter in göttlichem Dienste; daher werden sie
jetzt auch erwählt, dir zu dienen in einer Sache, die deiner harret! – Und also
geschehe es!“
135. Kapitel – Das Mahl im Hause Josephs. Des
Kindleins Eröffnung über das bevorstehende Attentat auf Cyrenius. Des Cyrenius
Heimkehr. Die Löwen als Nachtwache. Der Überfall. Das Gottesgericht über die
Attentäter.
7. Februar 1844
Nach dieser Beredung verließen die drei Löwen den Cyrenius wieder und zogen sich
in ihre Karrenschuppen zurück.
Der Cyrenius wollte zwar noch so manches über diese Erscheinung mit dem Joseph
sprechen, aber es kamen soeben die Söhne Josephs und zeigten ihm an, daß das
Mahl bereitet und der Tisch bestellt sei.
Und der Joseph lud daher sogleich die ganze Gesellschaft ein, in das
Speisegemach zu treten und sich zu stärken am Tische mit Speise und Trank.
Auf diese Einladung begab sich nun alles in das Speisegemach und aß die
gesegneten Speisen und stillte sich den Durst mit Wasser und etwas Zitronensaft.
Nach der Mahlzeit, die bei einer Stunde gedauert hatte, dankte Joseph Gott und
segnete alle die hier anwesenden Gäste.
Das Kindlein aber verlangte den Cyrenius; und als dieser in der höchsten Demut
sich Diesem näherte, sprach Es zu ihm:
„Cyrenius, heute in der Nacht wirst du von einer kleinen verräterischen Rotte
überfallen werden in deinem Schlafgemache!
Ich aber gebe dir darum die drei Löwen mit; diese lasse im Gemache bei dir, wie
sie dir folgen werden.
Wenn die verräterische Horde in dein Gemach treten wird, da wird sie plötzlich
von den drei Löwen auf das grimmigste angefallen und zerrissen werden;
dir aber wird dabei kein Haar gekrümmt werden! – Scheue dich aber nicht vor den
drei Löwen; denn diese erkennen in dir vollkommen ihren Herrn!“
Inbrünstigst dankte der Cyrenius dem Kindlein in seinem Herzen und überhäufte Es
mit vielen Küssen, desgleichen auch sein Weib, die Tullia, die aber nicht wußte,
was das Kindlein ehedem mit dem Cyrenius geredet hatte.
Und als es schon ziemlich Abend geworden war, da brach Cyrenius mit seiner
Gesellschaft auf, wiederholte noch einmal seine Einladung auf den nächsten Tag
und begab sich dann gesegnet in die Stadt.
Als er aber seinen Fuß über die Hausflur gesetzt hatte, da waren auch die drei
Löwen schon bei der Hand und begleiteten den Cyrenius festweg in seine Wohnung.
Und als er da sich auf sein Lager mit der Tullia begab, umlagerten die Löwen
dasselbe, ihre leuchtenden Augen auf die Eingangstüre unverwandt richtend.
Es gingen die Diener des Cyrenius noch öfter aus und ein; aber die Löwen
achteten ihrer nicht.
Es war aber um die zweite Nachtwache, da kamen zwanzig vermummte Männer ganz
leisen Trittes ins Gemach des Cyrenius und nahten sich ganz leise dem
Schlaflager desselben.
Als sie aber kaum mehr fünf Schritte vom Lager entfernt standen und ihre Dolche
hervorzogen,
da stürzten auf einmal die drei Löwen unter dem furchtbarsten Gebrülle auf sie
los und zerrissen sie in wenigen Augenblicken in Stücke, und nicht einer entkam
diesem Angriffe!
Denn auf so einen Angriff war keiner gefaßt; bei dem ersten Ansprunge geriet
alles in die größte Angst und Verwirrung und gedachte an keine Verteidigung.
Aus dem Grunde fand auch keiner den Rückweg und ward somit eine Beute der Wut
der Löwen.
Und so ward der Cyrenius in dieser Nacht wunderbar durch die drei Löwen gerettet
und staunte am nächsten Tage morgens nicht wenig, als er der zerrissenen Leichen
im Zimmer ansichtig ward.
136. Kapitel – Das Verhör der Dienerschaft des
Cyrenius. Die Angst der Diener vor den drei Richtern. Die Entdeckung des
Verräters. Des Löwen vorbildliches Gericht.
8. Februar 1844
Cyrenius weckte aber auch sogleich seine Dienerschaft und berief sie, daß sie
ihm zur Rede stehe, wie solche Verräterei geschah.
Die Dienerschaft erschrak über diesen Anblick und sprach zum erzürnten
Statthalter:
„Allergestrengster, gerechtester und mächtigster Herr, Herr! – Die Götter sollen
unsere Zeugen sein, daß wir von allem dem nicht eine Silbe wußten!
Wir wollen alle des Todes sein, so wir daran nur die allergeringste Teilnahme
oder selbst nur die geringste Wissenschaft haben!“
Und der Cyrenius sprach: „Also schaffet denn diese Leichen hinaus und beerdiget
sie vor dieser Burg auf dem offenen Platze zum abschreckenden Beispiele für alle
jene, die etwa noch ihres Sinnes wären!“
Die Dienerschaft aber hatte eine große Furcht vor den drei Löwen, die noch das
Lager des Cyrenius strenge bewachten, und sprach:
„O Herr, Herr! Siehe, wir getrauen uns nicht, hier etwas anzurühren; denn die
drei Bestien sehen zu grimmig aus und könnten uns das tun, was sie diesen
Meuterern taten?!“
Und der Cyrenius sprach: „Wer aus euch redlichen Gewissens ist, der trete hervor
und überzeuge sich, daß auch diese grimmigen Tiere die Treue respektieren!“
Auf diese Rede des Cyrenius traten bis auf einen alle hervor, und die Löwen
taten ihnen nicht das mindeste zuleide.
Cyrenius aber fragte den Zurückgebliebenen: „Warum bleibst denn du zurück,
während du doch siehst, wie deine Kameraden von den Löwen nicht im
allergeringsten beleidigt werden?!“
Und der Gefragte sprach: „Herr, Herr, sei mir barmherzig; denn ich habe ein
unreines Gewissen!“
Und der Cyrenius fragte ihn: „Worin besteht denn die Unreinheit deines
Gewissens? – Rede, willst du nicht sterben!“
Und der Gefragte sprach: „Herr, Herr! – ich wußte von diesem Verrat seit gestern
morgen, wollte aber dir nichts davon kundtun, weil ich bestochen ward mit
hundert Pfund Silbers!
Denn ich dachte mir, du würdest ohnehin gerettet werden, wie der weise Mann
draußen in der Villa gerettet ward, und so nahm ich das Silber an.“
Hier sprang der Cyrenius auf und sprach: „Also muß denn ein jeder ehrliche
Menschenfreund unter seinen Dienern und Freunden auch einen Teufel haben!?
Du elender Schurke, da tritt her vor das Gericht Gottes! Findest du Gnade vor
diesem Gericht, da will auch ich dich nicht richten;
findest du aber vor diesem Gerichte keine Gnade, so bist du schon gerichtet für
ewig!“
Hier fing der Gefragte und also Beheißene an zu zagen und sank ohnmächtig
zusammen.
Da stand ein Löwe auf, bewegte sich hin zu dem Ohnmächtigen, erfaßte dessen Hand
und schleppte ihn ganz behutsam hin vor den Cyrenius, allwo der Schuldige
regungslos liegenblieb.
Dann aber sprang derselbe Löwe mit großer Hast in das offene Gemach und packte
im selben einen Ballen, zog ihn hervor und zerriß ihn in tausend Stücke.
Und die hundert Pfunde Silbers kamen zum Vorscheine, die der Diener für sein
Schweigen erhielt.
Der Cyrenius staunte nicht wenig über diese Erscheinung.
Der Löwe aber faßte darauf wieder den Schuldigen am Arme, zog ihn in das
Seitengemach und legte ihn gerade an die Stelle hin, wo ehedem der Ballen lag.
Da versetzte er ihm einige Schweifhiebe, die den Betäubten wieder zu sich
brachten, und tat ihm sonst nichts an.
Darauf kam der Löwe wieder zurück an seine vorige Stelle und verhielt sich mit
den zwei Kameraden ganz ruhig.
Die Dienerschaft begann nun die Leichen wegzuräumen nach des Cyrenius Befehl.
Und der Cyrenius lobte und pries den Gott Israels, daß Er ihn also wunderbar
gerettet hatte, – und in einer Stunde war das Schlafgemach völlig wieder
gereinigt.
137. Kapitel – Tullia erwacht aus tiefem
Schlaf. Cyrenius erzählt, was geschah. Das Wiedersehen mit der heiligen Familie.
9. Februar 1844
Die Tullia aber erwachte erst von einem stärkenden Schlafe, als im Schlafgemache
keine Spur mehr von dem vorhanden war, was in dieser Nacht vorging.
Und der Cyrenius fragte sie, ob sie ganz ruhig geschlafen habe.
Und die Tullia beteuerte ihm solches, indem sie von der Gebirgsreise sehr
ermüdet war.
Und der Cyrenius sprach: „Das war ein großes Glück für dich!
Denn wärest du wach gewesen in der Nacht, so hättest du eine große Angst
ausgestanden!
Denn siehe, noch vor einer Stunde war dieses Gemach ein Anblick des Schreckens!“
Ganz erstaunt fragte die Tullia hier den Cyrenius, was es denn gegeben habe, und
was da vorgefallen sei.
Und der Cyrenius zeigte der Tullia die drei Löwen und sprach mit einer sehr
erhobenen Stimme:
„Tullia! – siehe, das sind doch drei schreckliche Tiere; sie sind Könige der
tierischen Kraft, Wut und Grausamkeit, so sie gereizt werden!
Und wehe jedem Wanderer in der Wildnis, da sie hausen!
Nichts rettet ihn vor ihrer Wut – ein Sprung, und der Mensch liegt zerrissen im
glühenden Staube der Wüste!
Und doch gibt es Menschen, gegen die diese Tiere Genien der Himmel sind!
Also haben die drei reißenden Tiere uns beide in dieser Nacht vor der Wut der
Menschen bewahrt und haben zwanzig Meuterer in diesem Gemache zerrissen!“ –
Tullia entsetzte sich ob dieser Erzählung ihres Gemahls und sprach:
„Wie ging denn das zu? – Warum wußte ich denn nichts davon? Hast du schon eher
etwas gewußt, warum gabst du mir nichts kund davon?“
Und der Cyrenius sprach: „Tullia, ich wußte wohl, daß in dieser Nacht etwas
vorfallen werde;
aber in welcher Art, genau gesprochen, wußte ich nicht; denn ich wußte nur so
viel, als mir das göttliche Kind meines Freundes kundgab.
Daß ich dir aber davon nichts kundgab, lag in meiner großen Liebe zu dir, du
mein Herzensweibchen!
Und siehe, nun ist alles vorüber; der Gott Israels hat uns wunderbar vor einem
schändlichsten Untergange gerettet,
dafür wir Ihn aber auch lieben, loben und preisen wollen unser Leben lang in
unseres Herzens Tiefe!
Nun aber, da du schon angekleidet bist, lasse uns der erhabenen Familie
entgegenziehen und sie empfangen noch vor dem Tore der Stadt!“
Cyrenius gebot nun seiner Dienerschaft, alles fürs bevorstehende Fest zu
bereiten und gar wohl zu ordnen,
und befahl dem verräterischen Diener, ihm zu folgen vor das Stadttor.
Im selben Augenblicke aber kam der Maronius mit den drei Priestern hervor aus
einem anderen Teile der Burg und kündigte dem Cyrenius an, daß sich die
erhabenste Familie schon der Burg nahe.
Hier ließ der Cyrenius alles im Stiche und eilte mit pochendem Herzen seinem
Freunde Joseph entgegen, der ihm aber schon an der ersten Treppe mit Maria mit
dem Kinde und mit seinem ganzen himmlischen Gefolge mit ausgebreiteten Armen
entgegenkam.
138. Kapitel – Des Cyrenius Bericht und
Josephs Kritik. Liebe und Mitleid sind besser als die strengste Gerechtigkeit.
Des Cyrenius Dank. Die Gesellschaft im großen Schlafsaal des Cyrenius.
10. Februar 1844
Cyrenius umarmte den Joseph mit der größten Innigkeit und gab ihm kund in kurzen
Worten, was diese Nacht hindurch in der Burg vorgefallen ist.
Und der Joseph sprach: „Mein geliebtester Freund und Bruder im Herrn, – was du
mir erzählen willst, wußte ich noch eher, als es geschah, auf ein Haar, wie es
hernach geschehen ist!
Aber eines hättest du darnach nicht also tun sollen, wie du es getan hast, –
und dieses eine besteht darin, daß du die zerrissenen Leichen auf dem
öffentlichen Platze hast begraben lassen!
Du hast es zwar in einer rechtlich politischen Hinsicht getan, um nämlich damit
das andere Volk durch ein solches Beispiel abzuhalten von ähnlichen Versuchen;
aber das ist ein sehr unhaltbares Mittel! Denn siehe, nichts auf der Welt dauert
kürzer als der Schreck, die Furcht und die Traurigkeit!
Daher ist auch ein diese drei Stücke erweckendes Mittel um kein Haar haltbarer,
als die durch dasselbe erweckten Stücke selbst.
Hat aber irgend ein Mensch diese drei Embleme des Gerichtes mit der Freiheit
seines Geistes abgeschüttelt, dann wird er erbost und fällt dann mit doppelter
Wut über den grausamen Richter her.
Daher leite du die Menschen allzeit mit der ewig bleibenden Liebe, und suche
solche notwendigen, aber dabei dennoch schaudererregenden Beispiele vor dem
Volke zu verbergen, so wirst du stets die Liebe des Volkes genießen!
Ich sage dir: Ein Tropfen Mitleid bei jeder Gelegenheit ist besser denn ein
ganzer Palast voll der besten und strengsten Gerechtigkeit!
Denn das Mitleid bessert den Feind wie den Freund; aber die strengste und beste
Gerechtigkeit macht den Gerechten stolz und hochmütig,
und der Schuldige und Gerichtete wird voll Ingrimms und sinnt nur, wie er sich
rächen möchte an dem Gerechten.
Was du aber nun getan hast, das läßt sich nicht mehr ungetan machen.
Aber für die Zukunft merke dir diese Regel; sie ist besser als Gold, und besser
als reinstes Gold!“
Cyrenius fiel hier dem Joseph abermals um den Hals und dankte ihm für diese
Lehre wie ein Sohn seinem Vater.
Darauf begab sich die ganze Gesellschaft ins Schlafgemach des Cyrenius, das da,
wie es bei den Großen Roms üblich war, stets in einem großen Saale bestand.
Denn die Römer sagten: Im Schlafe dünste der Mensch allzeit die Krankheit aus;
hat diese nicht den gerechten Raum, sich im Schlafgemache zu zerstreuen, so
fällt sie wieder auf den Menschen zurück, und er wird krank!
Aus diesem Grunde hatten dann reiche Römer sogar Fontänen in ihren großen
Schlafsälen, die die Luft reinigten und die bösen Dünste an sich zogen.
Und so war auch in dieser Burg das Schlafgemach des Cyrenius der größte Saal und
war versehen mit zwei Fontänen mit breiten Wasserbassins, in denen mehrere
Meerzwiebeln herumschwammen.
Der Boden des Saales war aus schwarzem und braunem Marmor, und der ganze Saal
war von großer altägyptischer Pracht.
In diesem Saale also befand sich nun die ganze Gesellschaft und besprach sich
über so manches aus der Vorzeit, während die Dienerschaft des Cyrenius auf das
eifrigste bemüht war, alles Anbefohlene bestens zu ordnen in den Nebensälen.
139. Kapitel – Des Verräters Reue. Das Mitleid
der drei Löwen mit dem Reumütigen. Josephs guter Rat. Des Cyrenius Großmut und
ihre herrliche Wirkung auf den reumütigen Diener.
12. Februar 1844
Es stand aber auch der verräterische Diener in einer Ecke des Saales und bereute
bei sich seinen Schritt, den er gegen seinen Herrn unternommen hatte;
aber niemand gedachte seiner, denn alles war in tiefweise Gespräche vertieft.
Die getreue Dienerschaft des Cyrenius aber hatte ohnehin links und rechts
vollauf zu tun mit der Arrangierung der Tafel, mit der Küche und mit dem
Aufrichten von Ornamenten aller Art.
Und so gedachte auch die Dienerschaft nicht ihres übertraurigen Kameraden.
Da erhoben sich auf einmal die drei Löwen und trabten hin zu dem reuevollen
Diener des Cyrenius und beleckten ihn und gaben ihm durch allerlei Gebärden
gewisserart ihr Mitleid zu erkennen.
Da bemerkte zuerst der Maronius, was da die drei Löwen für ein Wesen hatten mit
dem Diener, und zeigte solches dem Cyrenius an;
denn Maronius befürchtete, es möchten die drei Bestien etwa gar einen Appetit
auf den Diener bekommen.
Als der Cyrenius diese sonderbare Situation seines verräterischen Dieners
bemerkte, da erst fing er an, sich mit Joseph über das Vergehen dieses Dieners
zu besprechen.
Und der Joseph sprach: „Freund und Bruder, siehe hier einen Akt dessen, was ich
dir ehedem auf der Treppe geraten habe und habe es dir gezeigt, wie ein Tropfen
Mitleid besser ist als ein ganzer Palast voll der besten Gerechtigkeit!
Die drei Tiere gehen dir hier mit einem guten Beispiele vor; gehe hin und tue
als Mensch etwas Besseres!
Ich aber habe auf der Herreise von der Villa von einem dieser Diener des Herrn
erfahren, wie du bei deinem Weibe heute morgen diese drei Tiere gerühmt hast.
Wie kommt es denn nun, daß dir nun eben diese drei Tiere zeigen, was du gleich
anfangs hättest tun sollen?
Siehe, also lehrt der Herr fortwährend den Menschen!
Es geschieht in der Welt nichts umsonst; aus der Drehung eines Sonnenstäubchens
sogar kannst du wahre Weisheit lernen!
Denn es wird durch dieselbe Weisheit und Allmacht Gottes gelenkt und erhalten
wie die Sonne und der Mond des Himmels!
Um so mehr aber kannst du diese Erscheinung als einen gar starken Wink des Herrn
betrachten, der dir gar klar sagt, was du tun sollest.
Gehe hin, und erhebe den dreifach Armen und Tiefgesunkenen; gehe hin, und erhebe
einen überaus betrübten und reuevollsten Bruder!
Denn diesen hat nun der Herr dir zubereitet, auf daß er dir ein allergetreuester
Bruder werde!“
Als der Cyrenius solches von Joseph vernommen hatte, da eilte er hin und griff
dem Diener unter die Arme und sprach:
„Bruder! du hast an mir übel gehandelt; da ich aber Reue bei dir fand, so erhebe
ich dich wieder!
Doch von nun an sollst du nicht mehr als ein Knecht, sondern als ein getreuer
Bruder an meiner Seite wandeln!“
Das brach dem Diener das Herz, daß er laut zu weinen anfing und zu klagen, wie
er sich an solchem Adel eines Menschen der Menschen habe versündigen können!? –
140. Kapitel – Des Cyrenius brüderliche Worte
an seinen reuigen Diener. Dessen Aufnahme in die Gesellschaft. Die neiderfüllten
Diener und des Cyrenius Antwort an sie.
13. Februar 1844
Da der Cyrenius aber die große Erkenntlichkeit dieses Dieners sah und seine
große Reue, so tröstete er ihn und sprach:
„Siehe, du mein neuer Bruder im Herrn, wir Menschen alle sind fehlerhaft vor
Gott, und Gott verzeiht uns die Fehler, so wir sie erkennen und bereuen!
Und doch ist Gott heilig, während wir alle große Sünder vor Ihm sind!
Wenn aber der Heilige verzeiht, warum sollen wir Sünder gegenseitig uns unsere
Fehler nicht verzeihen?
Solange der Mensch nicht zur wahren Furie herabgesunken ist, so lange bleibt
auch die Gnade Gottes über ihm;
ist aber der Mensch auf der Welt einmal ein kompletter Teufel geworden, da hat
Gott Seine Gnade von ihm genommen und hat ihn übergeben dem Gerichte der Hölle!
Darum sind die zwanzig, die dich bestochen haben, von den Löwen zerrissen
worden, – denn sie waren schon Teufel!
Du aber wardst verschont, indem du nur ein Verlockter warst und warst blind und
wußtest nicht, was du getan hast!
Gott der Herr hat Seine Gnade nicht von dir genommen und hat dir die Augen
geöffnet, auf daß du zur vollen Einsicht der Sünde an dir gelangt bist.
Du hast deine erkannte Sünde bereut, und Gott hat dir die Sünde vergeben!
Darum vergebe auch ich dir das Vergehen an mir und mache dich somit zu meinem
Freunde und zu meinem Bruder im Herrn!
Ich erhebe dich darum und führe dich hin zu meiner heiligst erhabenen
Gesellschaft.
Sei daher nun guten Mutes, und folge mir, auf daß du von meinem hohen Freunde
gesegnet werdest mir zu einem wahrhaftigen Bruder!“
Diese recht herrliche Rede des Cyrenius an den verräterischen Diener war von
bester Wirkung.
Der Diener ward getröstet und gestärkt dadurch, erhob sich und folgte, in Tränen
zerfließend, dem Cyrenius hin zur Gesellschaft.
Als er dort anlangte, da hob Joseph sobald seine Hände auf und segnete den
Diener und sprach dabei nichts als: „Der Herr sei mit dir!“
Darauf befahl der Cyrenius, sogleich glänzende herrliche Kleider
herbeizuschaffen und sie dem Diener anzulegen,
und belehnte ihn sogleich mit einem Ehrennamen und gab ihm dann einen Bruderkuß.
Darauf berief Cyrenius die gesamte Dienerschaft zusammen und stellte diesen
neuen Bruder ihr vor und gebot ihr, ihm zu gehorchen.
Die Diener aber sprachen: „Wie bist du denn ein gerechter Richter, so du den
Verräter erhöhest, uns aber erniedrigest, die wir dir allzeit die größte Treue
erwiesen haben?!“
„Kümmert euch das“, sprach der Cyrenius, „wenn ich gut und barmherzig bin? – Wem
aus euch ist bei mir je etwas abgegangen? Und doch hat noch nie einer aus euch
sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt!
Dieser aber war der Letzte allzeit unter euch und hat sein Leben um mich aufs
Spiel gesetzt; durch seine Handlung bin ich meiner Feinde ledig geworden!
Verdient er darum nicht diesen Rang?“
Hier verstummte die Dienerschaft und ging wieder an ihr Geschäft und war mit
diesem Bescheide zufrieden.
Ein Jüngling der Himmel aber sprach: „Geradealso wird es einst auch im Reiche
Gottes zugehen; es wird mehr Freude über einen reuigen Sünder sein als über
neunundneunzig Gerechte, die nie gesündiget haben!“ – –
141. Kapitel – Die Vorbereitungen und
Einladung zum Morgenfestmahl durch Cyrenius. Die Weiherede des Kindleins. Die
Einladung und Speisung der Armen.
14. Februar 1844
Während dieser Gelegenheit ward auch das Morgenmahl bereits fertig und die
Tische wohl bestellt;
und die Diener kamen und zeigten solches dem Cyrenius an.
Und der Cyrenius ging und besah alles, und da er alles in der größten und besten
Ordnung fand, da ging er und lud die Gesellschaft zum Tische in den großen
Nebensaal.
Als Joseph da hineintrat, konnte er sich nicht genug verwundern, darum er hier
in diesem Saale sich in einem kleinen Tempel Salomons zu Jerusalem zu befinden
glaubte.
Es war aber diese Arrangierung ein Werk des Maronius Pilla, der natürlich als
ehemaliger Statthalter von Jerusalem gar wohl wußte, wie der Tempel aussah aus-
und inwendig.
Voll Freuden sprach Joseph: „Fürwahr, zu dem Zwecke hättest du, mein Bruder
Cyrenius Quirinus, keinen besseren Gedanken ins Werk setzen können!
Und ich bin, wie in Jerusalem, nun auf dem Rüstfeste; es fehlt bloß das
Allerheiligste, und der Tempel wäre fertig, so dieses auch da wäre!
Der Vorhang ist wohl da; aber hinter dem fehlt die Bundeslade!“
Der Cyrenius aber sprach: „Bruder, ich dachte, das Allerheiligste bringst du
ohnehin lebendig mit, warum solle es künstlich dann da sein?“
Hier erst ermannte sich Joseph aus seinem Überraschungstraume und gedachte des
Kindleins und der Maria.
Es berief aber nun das Kindlein den Cyrenius zu Sich und sprach zu ihm (hier
fielen die Engel auf ihre Angesichter nieder):
„Cyrenius, viel hast du getan, um dem reinsten Manne der Erde eine Freude zu
machen; aber eines hättest du bald vergessen!
Siehe, du gibst heute ein großes, gar herrliches Gastmahl!
Was drei Weltteile nur immer Bestes und Edelstes hervorbringen, ist heute hier
vereint!
Daran tust du auch wohl; denn fürwahr, eine größere Ehre widerfuhr durch alle
Ewigkeit und Unendlichkeit auf keiner Welt einem Hause, als nun diesem deinen!
Denn du hast nun vor dir, vor Dem alle Himmelsmächte ihr Antlitz verdecken!
Joseph hat dir angedeutet, daß das Allerheiligste in diesem Tempel leer ist.
Siehe, also ist es auch! – Es solle aber nicht also sein.
Sende hinaus deine Diener, und sie sollen allerlei Arme, Blinde, Lahme, Krüppel
und bresthafte Menschen hierher bringen!
Für diese lasse im nachgebildeten Allerheiligsten auch einen Tisch decken und
sie festlich bewirten, und Meine Diener werden sie warten!
Und siehe, also wird dann das Allerheiligste lebendig sein und wird den
Allerheiligsten besser vorstellen als nun die leere Bundeslade in Jerusalem!
Zugleich aber sorge auch für drei Ziegenböcke; diese werfe den Löwen vor, auf
daß auch sie genährt werden!“
Der Cyrenius küßte darauf das Kindlein und befolgte sogleich dessen Rat.
Und im Verlaufe von einer Stunde war das vorbildliche Allerheiligste mit Armen
angefüllt, und die Löwen bekamen ihre Kost.
142. Kapitel – Josephs Dankgebet und Demut.
Des Cyrenius Liebesstreit mit Joseph wegen der Platzordnung. Josephs kluger Rat.
15. Februar 1844
Nachdem alles also bestellt und geordnet war, da erst erhob Joseph seine Augen
gen Himmel und dankte dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.
Und als er sein Dankgebet beendet hatte, da erst nahm er ganz untenan mit den
Seinen Platz am königlich bestellten Tische des Cyrenius.
Cyrenius aber eilte sogleich hin zum Joseph und sprach zu ihm:
„Nein, nein, mein erhabenster Freund und Bruder! Das geht nicht an; denn dieses
Fest geht dich an und nicht mich!
Daher ist dort zuoberst des Tisches dein Platz, und nicht hier zuunterst!
Erhebe dich demnach, und lasse dich von mir selbst dort zuoberst am Tische, da
er mit Gold gedeckt ist, hinsetzen, und das mit allen dir Angehörigen!
Hier aber werden meine Leute sitzen und liegen; denn also habe ich selbst es
angeordnet!“
Joseph aber sprach: „Cyrenius! Siehe, eben darum, da ich dein aufrichtigster
Freund und Bruder bin, bleibe ich mit den Meinen hier auf diesem Platze sitzen!
Denn siehe, bei mir verlierst du nichts, wenn ich auch hier auf dem untersten
Platze sitze;
aber bei deinen großen Staatsamtsgefährten verlierst du viel, so du sie nicht
obenan setzest!
Daher lasse die Sache also gut sein! Auf der Welt solle die Welt ihren Vorzug
haben; im Reiche Gottes aber wird erst der ganz umgekehrte Fall sein, – denn
dort werden die Letzten die Ersten sein beim Tische Abrahams, Isaaks und
Jakobs!“
Der Cyrenius aber sprach: „O Bruder! Ich habe mich gefreut auf diesen Tag, daß
ich dir, einem Königssohne, auch eine königliche Ehre antäte!
Nun aber ist die Hälfte meiner Freude dahin, indem ich gerade dich, dem alles
das gilt, ganz untenan sehen muß!
Bruder! Gehe und setze dich doch wenigstens auf den Mittelplatz, auf daß ich dir
beim Tische doch näher bin!“
Und der Joseph sprach: „Aber mein geliebtester Bruder, du wirst doch nicht
kindisch sein!?
Du weißt ja, daß ich allzeit und überall in der Ordnung bleiben muß, die mir
Gott der Herr vorschreibt in meinem Herzen!
Wie willst du mich denn über diese Ordnung hinaus versuchen wollen?!
Setze du obenan deine Großen und Glänzenden; und du als Herr kannst dich
hinsetzen, wohin du willst, indem dir jeder Platz am Tische gebührt!
Und somit ist diese Sache abgetan; am goldenen Gedecke werden deine Großen schon
den ersten Platz erkennen und werden sich höchst geehrt fühlen, so du ihnen
solche Ehrenplätze ganz einräumst und selbst einen niedereren für dich
erwählest!“
Der Cyrenius verstand die Worte Josephs, wies darauf seinen Großen die ersten
Plätze an,
er selbst aber setzte sich mit der Tullia an der Mitte des Tisches.
Und so war alles wohl geordnet; die Großen waren voll Freude, daß sie obenan
saßen,
Cyrenius war vergnügt in der Mitte, und Joseph mit den Seinen war überheiter,
daß er auch bei diesem großen Glanzfeste in der Ordnung Gottes verbleiben
konnte.
143. Kapitel – Der fraglustige gottsuchende
Hauptmann. Der Priester über die Götterlehre, sein Bekenntnis zum allein wahren
Gott. Joseph an den fragenden Hauptmann: es hat alles seine Zeit!
16. Februar 1844
Das Morgenmahl aber dauerte bei einer Stunde lang, und ward unter dem Essen viel
geredet über allerlei Dinge.
Ein Hauptmann aber, der auch bei der Bergbesteigung mit war, fragte zu Ende der
Tafel einen von den drei ehemaligen Unterpriestern:
„Höre du mich nun an! Siehe, wir haben eine Götterlehre, nach der es von Göttern
wimmelt, dahin wir nur immer sehen mögen;
ich aber habe noch nie etwas von einem Gotte gesehen, noch irgend wahrgenommen!
Von tausend Dingen habe ich nicht selten geträumt, – aber von irgendeiner
Gottheit nie!
Wer aber kann aus allen nun lebenden Menschen jetzt auftreten und gewissenhaft
wahr bekennen: ,Ich habe den Zeus oder irgendeine andere Gottheit gesehen und
gesprochen‘?
Nachdem wir aber doch auch ebensogut Menschen sind als die, welche in der Urzeit
mit den Göttern sollen einen Umgang gehabt haben,
so sehe ich da nicht ein, warum uns die Götter nun also im Stiche lassen und
kümmern sich nicht im geringsten mehr um uns!
Könntest du als ein ehemaliger Priester mir denn nicht davon irgendeinen
haltbaren Grund angeben?“
Der Unterpriester aber sprach: „Lieber Freund, ich bitte dich um alles in der
Welt, frage du mich nur um solche höchst alberne Dinge nimmer!
Unsere Götter sind nichts als reine Ephemeriden, die dem Sumpfe unserer Dummheit
entstammen.
Da wir aber in solcher unserer Dummheit nichts Besseres als unsere eigenen
Sumpfgeburten erspähen mögen, so bevorzugen wir diese und stellen sie uns selbst
als Götter vor,
erbauen ihnen Tempel und beten dann in denselben die allernichtigsten Produkte
unserer Dummheit an.
Siehe, das sind die Götter, denen wir Tempel erbaut haben, und Rom an ihnen
strotzt!
Ja, es gibt wohl einen wahren Gott; dieser aber war allzeit heilig, und wir
allerunreinste Wesen in unseren Herzen können Ihn nicht erschauen, wohl aber
Seine Werke!
Willst du aber von diesem einen Gotte mehreres erfahren, da wende dich an jenen
reinen Juden; der wird Ihn dich – ich schwöre es dir – sicher näher kennen
lehren!“
Mit diesem Bescheide war der Hauptmann zufrieden; denn er bekam da gerade die
Antwort, die er schon lange gesucht hatte.
Und er bewegte sich auch hin zum Joseph und brachte ihm sein Anliegen vor.
Und Joseph sprach: „Guter Mann, es hat alles seine Zeit! Wenn du reif wirst,
wird es dir geoffenbaret werden; darum begnüge dich vorderhand mit dieser
Verheißung!“
144. Kapitel – Josephs und des Cyrenius
Absicht, das nachgebildete Allerheiligste zu beschauen. Des Kindleins Einspruch.
Joseph in Verlegenheit. Marias aufklärende Worte und des Kindleins Zustimmung.
Die nachträgliche Belehrung des Hauptmanns.
17. Februar 1844
Als der nach Gott forschende Hauptmann auf die Art abgefertigt war, da sprach
der Joseph zum Cyrenius:
„Bruder, nun lasse uns auch einmal das Allerheiligste beschauen!“
Und der Cyrenius fügte sich mit großer Freude der Anforderung seines ihm über
alles werten Freundes.
Aber das Kindlein erhob sich und sprach zum Joseph:
„Höre Mich an, du getreuer Ernährer Meines Leibes! Du selbst hast ehedem zum
nach Gott forschenden Hauptmann gesagt:
,Es hat alles seine Zeit; wenn du erst reif wirst, dann wird dir schon das
Weitere geoffenbart werden! Mit dieser Verheißung begnüge dich vorderhand!‘
Also sage denn Ich aber auch hier vor dem Eintritte in das hier vorbildliche wie
nachbildliche Allerheiligste:
Es hat auch dieser Eintritt seine Zeit! Noch seid ihr alle nicht reif dazu; wenn
ihr aber reif werdet, da will Ich es durch Meine Diener vor euch eröffnen
lassen!
Vorderhand aber begnüget euch auch ihr mit dieser Verheißung!“
Hier sahen Joseph und Cyrenius einander groß an, und die Verlegenheit des einen
übertraf die des andern.
Und der Joseph sprach zur Maria: „Das sieht gut aus, so das Kindlein mir jetzt
Gesetze gibt, wo Es Seine Füße noch in den Windeln hat!
Was wohl wird Es dann tun, wenn Es zehn Jahre zählen wird, und was, wenn
zwanzig?“
Maria aber sprach zum Joseph: „Aber lieber Vater Joseph, wie kannst denn auch du
schwach werden!?
Zeigen es dir ja doch die Engel durch ihre übergroße Demut, wer dies Kindlein
ist!
Und die vielen Wunder, die um uns geschehen, sind ja auch ein lauter und
sonnenklarer Beweis für diese große Wunderwahrheit aller Wahrheit – und aller
Wahrheit!
Siehe, ich, dein getreues Weib und deine Magd, aber merke es wohl, was die Worte
des Kindleins im Schilde führen!
Tue du das, und ich glaube im voraus überzeugt zu sein, daß da sogleich ein
anderer Wind wird zu wehen anfangen!“
Und der Joseph fragte darauf wieder die Maria: „Ja – was ist es denn, das ich
nun tun solle?“
Und die Maria sagte: „Siehe an den Mann, der da sucht, und zeige ihm weise, Das
er sucht, – Dem er so ferne zu sein wähnt und doch so nahe ist!“
Und das Kindlein sah den Joseph freundlichst lächelnd an und sprach dazu:
„Ja, ja, du Mein geliebtester Joseph, das Weib hat recht; gehe hin und belehre
den Hauptmann!
Denn siehe, denen, die da bitten, suchen und anklopfen, muß aufgetan werden die
lange verschlossene Pforte in Mein Reich!
Doch mußt du nicht gerade mit dem Finger auf Mich zeigen, indem Meine Zeit noch
nicht da ist; denn du weißt es ja, daß da alles seine Zeit haben muß!“
Joseph küßte darauf das Kindlein und ging dann hin zum Hauptmann und sprach zu
ihm:
„Komme und höre! Wonach dich verlangt, das solle dir werden!“ Und der Hauptmann
horchte mit Freuden der Rede Josephs.
145. Kapitel – Der Hauptmann fragt nach dem
Kommen des Messias. Joseph über das Wesen des Messias. Des Unterpriesters
voraussagende Worte über das Ende der heidnischen Tempel. Vom lebendigen Tempel
im Menschenherzen.
19. Februar 1844
Als der Hauptmann von Joseph sogestaltig die Hauptgrundzüge der Lehre Gottes
erhielt und somit auch einige Andeutungen von dem Messias,
da ward er sehr tiefsinnig und fragte nach einer Weile, wann dieser Messias
kommen werde.
Joseph aber antwortete und sprach: „Dieser Messias, durch den alle Menschen vom
Joche des Todes befreit werden, und der die abgefallene Erde wieder mit den
Himmeln verbinden wird, ist bereits schon da!“
Und der Hauptmann forschte und sprach: „So dieser Messias bereits da ist, so
sage es mir, wo Er ist – und woran kann man Ihn erkennen?“
Und Joseph antwortete und sprach: „Das stehet mir nicht offen, daß ich dir Ihn
mit dem Finger zeigen solle;
aber was da betrifft die Erkenntnismale, so will ich dir gleichwohl einiges
davon kundgeben, und so wolle mich hören!
Siehe, der Messias wird fürs erste der lebendige ewige Sohn des Allerhöchsten,
dir bisher unbekannten Gottes sein!
Eine allerreinste Jungfrau wird Ihn empfangen auf eine allerwunderbarste Weise
durch die alleinige Kraft des Allerhöchsten!
Wenn Er aber empfangen und dann geboren sein wird, da wird alle Fülle der
allerhöchsten Kraft Gottes wohnen in Seinem Fleische.
Und so Er auf der Erde wohnen wird leibhaftig, da werden Seine Diener und Boten
aus den hohen Himmeln zur Erde niedersteigen und werden geheim, und vielen
Menschen auch offenbar, Ihm dienen.
Er wird durch Worte und Taten beseligen alle, die Ihm folgen werden in der Tat
nach Seinem Worte und werden entflammen ihre Herzen für Ihn!
Die Ihn aber nicht werden erkennen wollen, die wird richten Sein allmächtiges
Wort, das Er mit ehernem Griffel in eines jeden Menschen Herz schreiben wird!
Seine Worte aber werden nicht sein wie die eines Menschen, sondern werden sein
voll Kraft und voll Lebens; und wer die Worte hören wird und wird sie behalten
in seinem Herzen zur Tat darnach, der wird den Tod nimmer schmecken ewiglich!
In Seinem Wesen aber wird Er sein so sanft wie ein Lamm und zart wie eine
Turteltaube;
aber dennoch werden Seinem leisesten Hauche gehorchen alle Elemente!
So Er den Winden gebieten wird gar leise, da werden sie losbrechen und werden
das Meer zerfurchen bis in den Grund!
Wenn Er über die wogende See hinblicken wird, da wird das Gewässer zum ruhigen
Spiegel werden!
So Er zur Erde hauchen wird, da wird sie ihre alten Gräber öffnen und alle Toten
wieder zum Leben ausliefern müssen!
Und das Feuer wird dem zur Kühlung werden, der des Messias Wort lebendig in der
Brust tragen wird! –
Nun, lieber Hauptmann, hast du die wesentlichsten Merkmale des Messias, an denen
du Ihn leicht erkennen kannst.
Mehr von Ihm zu sagen, ist mir nicht gestattet; das ,wo Er ist‘ aber wirst du da
sicher recht leicht und recht bald finden!“
Diese Erklärung machte einen gar mächtigen Eindruck auf den Hauptmann, daß er
darauf sich kaum mehr etwas zu reden getraute.
Er ging darauf zu dem schon früher angeredeten Unterpriester und sprach zu ihm:
„Hast du von der Seite vernommen, was dieser überweise Jude zu mir geredet hat?“
Und der Unterpriester sprach: „Ich sage dir: ein jedes Wörtchen drang tief in
meine staunende Seele!“
Und der Hauptmann sprach: „Also sage mir, was es denn da hernach mit unsern
Göttern für ein Ende nehmen wird, so der mir höchst merkwürdig bezeichnete
Weltmessias auftreten wird in der vollen Aktivität Seiner vollgöttlichen Kraft?“
Und der Unterpriester erwiderte: „Hast du vor drei Tagen nicht empfunden die
Kraft des nächtlichen Orkans?
Auf dem Berge, – hast du da nicht gesehen das plötzliche Ende unseres ehemaligen
Apollotempels und alle die darauf folgenden Zeichen?
Siehe, gerade also wird es in der Kürze der Zeit auch Rom ergehen, – zum
staubigen Schutte werden die Tempel werden!
Und da man nun noch dem Zeus Opfer bringt, da wirst du in der Kürze einen
zerworfenen Steinhaufen erschauen; aber dafür werden die Menschen lebendige
Tempel erbauen in ihren Herzen!
In diesen wird ein jeder Mensch gleich einem Priester dem einig wahren Gotte ein
lebendiges Opfer darbringen können, überall und zu jeder Zeit! – Soviel und
nicht mehr kann ich dir sagen! – Willst du mehr? Siehe, dort sind sie, die mehr
wissen als ich; darum frage mich nicht weiter!“
146. Kapitel – Weitere Fragen des Hauptmanns.
Joseph über das Reich des Messias. Die Liebe als Hauptschlüssel der Wahrheit.
Die Gesellschaft im nachgebildeten Allerheiligsten. Die armen Blinden erhalten
ihr Augenlicht wieder.
20. Februar 1844
Darauf fragte der Hauptmann den Unterpriester auch nicht mehr weiter, sondern
begab sich sogleich wieder hin zum Joseph.
Allda angelangt, erzählte er sogleich alles, was er von dem Unterpriester
vernommen hatte,
und fragte aber darauf auch sogleich den Joseph, was er von allem dem im Ernste
halten solle.
Und der Joseph antwortete und sprach: „Halte du vorderhand von allem dem, was
dir gesagt ward, so viel, als dir gesagt wurde;
alles andere aber erwarte in aller Geduld von der Folge, so wirst du am besten
fahren!
Denn siehe, in Fragen und Antworten besteht das heilige Reich des Messias nicht,
sondern allein nur in der Geduld, Liebe, Sanftmut und in der völligen Ergebung
in den göttlichen Willen!
Denn bei Gott läßt sich nichts übers Knie brechen, nichts erzwingen und am
allerwenigsten aber etwas ertrotzen!
Wann es der Herr aber für gut befinden wird für dich, dann auch wird Er dich in
die höhere Offenbarung leiten!
Fasse aber sofort lebendige Liebe zu dem dir von mir ganz rein geoffenbarten
Gotte; durch sie wirst du am ersten dahin gelangen, wo du so ganz eigentlich
sein möchtest!
Ja! – Solche Liebe wird dir in einem Wurfe mehr geben lebendig, als was du mit
einer Million toter Fragen erbeuten möchtest!“
Und der Hauptmann fragte und sprach: „Gut, mein geachtetster weisester Freund!
Ich will solches alles tun; aber nur das mußt du mir sagen, wie man deinen Gott
liebt, den man noch zu wenig kennt?“
Und der Joseph sprach: „Wie du deinen Bruder und deine allfällige Braut liebst,
also auch liebe Gott!
Liebe deine Nebenmenschen als lauter Brüder und Schwestern in Gott, und du wirst
dadurch auch Gott lieben!
Tue allzeit und allenthalben Gutes, so wirst du die Gnade Gottes haben!
Sei barmherzig gegen jedermann, so wirst du auch bei Gott die wahre lebendige
Barmherzigkeit finden!
Ferner sei in allen Dingen gelassen, sanft und voll Geduld, und fliehe den
Stolz, den Hochmut und den Neid wie die Pestilenz,
dann wird der Herr eine mächtige Flamme in deinem Herzen erwecken,
und das gewaltige Licht dieser geistigen Flamme wird alle Finsternisse des Todes
aus dir verscheuchen, und du wirst dann in dir selbst eine Offenbarung finden,
in der du alle deine Fragen auf das glänzendste lebendig beantwortet finden
wirst!
Siehe, das ist der rechte Weg zum Lichte und Leben aus Gott, das ist die rechte
Liebe zu Gott; diesen Weg wandle!“
Als der Hauptmann diese kräftige Lehre von Joseph erhielt, da hielt er sobald
inne mit seinen noch vielen übrigen Fragen und versenkte sich in tiefe Gedanken.
Zu gleicher Zeit aber ward auch von den Jünglingen der Vorhang weit
auseinandergezogen, und Joseph ersah sobald, daß es nun an der Zeit sei, in
dieses nachgebildete Allerheiligste zu treten.
Schon von ferne der Tiefe dieses großen Saales ward von seiten der armen
Gespeisten ein mächtiger Dankruf entgegengesandt.
Als aber der glänzende Cyrenius erst völlig mit Joseph und Maria mit dem
Kindlein in das nachbildliche Allerheiligste eintrat, da war es völlig aus bei
den Armen.
Den Cyrenius kostete dieser Anblick viele Freuden- und Mitleidstränen,
desgleichen auch den Joseph und die Maria.
Es waren aber viele Blinde, Lahme und Krüppel aller Art darunter; denn ihre Zahl
enthielt Hunderte.
Da betete geheim die Maria, nahm dann das Tuch, womit sie öfter das Kindlein
abwischte, und wischte damit allen Blinden die Augen; und alle bekamen darauf
das Augenlicht wieder! – Nach dieser Tat wollte das Loben und Preisen kein Ende
nehmen; darum begab sich die Gesellschaft auf kurze Zeit wieder in den Hauptsaal
zurück.
147. Kapitel – Das Bittgeschrei der Kranken zu
Maria. Ihr Hinweis auf das Jesuskind. Die Heilung der Kranken. Ihre Belehrung
durch die Engel. Der Hauptmann sucht nach dem Wundertäter.
21. Februar 1844
Nach einer Weile erst ging die erhabene Gesellschaft wieder in das nachbildliche
Allerheiligste und ward wieder mit der größten Preisung empfangen.
Die Lahmen, Krüppel und sonstigen Bresthaften aber schrien: „O du herrliche
Mutter! Die du halfst den Blinden, wir bitten dich, befreie auch uns von unserer
großen Qual!“
Maria aber sprach: „Was rufet ihr zu mir? Ich kann euch keine Hilfe leisten;
denn ich bin gleich euch nur eine schwache sterbliche Magd meines Herrn!
Aber Der, den ich auf meinen Armen trage, kann euch wohl helfen; denn in Ihm
wohnt die ewige Fülle der göttlichen Allkraft!“
Es horchten aber die Kranken nicht auf die Rede der Maria, sondern schrien noch
viel mehr: „O herrliche Mutter, helfe uns, helfe uns Armen, und mache uns frei
von unserer Qual!“
Da richtete sich das Kindlein auf und streckte Seine Hand über die Kranken aus,
und sie wurden alle im Augenblick vollkommen gesund.
Die Lahmen sprangen wie Hirsche, die Krüppel wurden gerade wie die Zedern auf
dem Libanon, und alle sonstigen Bresthaften wurden von ihren Leiden befreit.
Und die Engel traten dann zu allen diesen Armen, hießen sie schweigen, und
verkündigten ihnen die Nähe des Reiches Gottes auf Erden!
Diese Begebenheit brachte unsern Hauptmann aus seinem tiefen Gedankentraume, und
er ging ebenfalls ins Allerheiligste der Gesellschaft nach.
Allda angelangt, trat er sogleich zum Joseph hin und fragte ihn: „Erhabener
Freund, was geschah hier? – Ich sehe ja hier weder Blinde noch Lahme, noch
Krüppel und sonstige Elende mehr!
Wie?! – Sind sie alle durch ein Wunder geheilt worden, oder war ihr ehedem
elender Zustand nur eine Verlarvung?“
Und der Joseph sprach: „Gehe hin und rede darüber mit denen selbst, die dir
jetzt so rätselhaft vorkommen! Diese werden es dir am besten zu sagen wissen,
was sich nun mit ihnen zugetragen hat!“
Und der Hauptmann tat sogleich, was ihm der Joseph geraten hatte; denn das
Fragen war überhaupt dieses Hauptmanns schwache Seite.
Er bekam aber überall eine und dieselbe Antwort; überall lautete es: „Auf
wunderbare Weise ward ich gesund!“
Und der Hauptmann kam wieder zum Joseph und fragte ihn:
„Wer aus euch wirkte denn das Wunder? – Wem aus euch ist solch eine Wunderkraft
eigen? – Wer aus euch ist denn sicher ein Gott?!“
Und der Joseph sprach: „Siehe, dort stehen wieder die armen Geheilten!
Gehe abermals hin und frage sie; diese werden dir schon den rechten Wink geben!“
Und der Hauptmann wandte sich sogleich wieder an die Armen und fragte um den
Wundermann.
Die Armen aber sprachen: „Siehe an die große Gesellschaft; aus ihrer Mitte kam
uns wunderbar die Heilung!
Die kleine Jüdin scheint die Macht zu tragen – wie aber? Das werden die Götter
besser wissen als wir!“
Nun wußte der Hauptmann nicht viel mehr als vorher.
Joseph aber sprach zum Hauptmanne: „Siehe, du bist ein Reicher Roms; versorge
nun diese Armen aus Liebe zu Gott, so wirst du mehr erfahren! Für jetzt aber
begnüge dich mit dem!“
148. Kapitel – Der Wetteifer im Gutes-Tun
zwischen dem Hauptmann und Cyrenius. Der ratlose Hauptmann und seine Belehrung
durch Joseph.
22. Februar 1844
Als der Hauptmann solches von Joseph vernommen hatte, da bedachte er sich nicht
lange, sondern ging hin zum Cyrenius und sprach:
„Kaiserliche Consulische Hoheit! Hochdieselben haben sicher vernommen, was da
meiner Geringheit der weise Jude geraten hat?
Ich habe mich darob sogleich entschlossen, seinem Rate die pünktlichste Folge zu
leisten.
Darum bitte ich Hochdieselben, mir diesen meinen Beschluß zu genehmigen, laut
dem ich alle diese Armen wie meine eigenen Kinder in meine Versorgung nehmen
möchte!“
Und der Cyrenius sprach: „Mein achtbarster lieber Hauptmann! Es tut mir leid,
daß ich dir dieses erhabene Vergnügen nicht zukommen lassen kann!
Denn siehe, soeben habe ich sie alle schon in meine eigene Versorgung
übernommen!
Aber darum darfst du dich nicht betrüben; denn du wirst noch Arme genug
antreffen.
Befolge an denen den Rat des weisen Juden, und du wirst den gleichen Lohn
einernten!“
Der Hauptmann verneigte sich hier vor dem Cyrenius, ging sogleich zum Joseph hin
und sprach:
„Da siehe nun, was kann ich nun tun, wenn mir der Cyrenius schon lange
zuvorgekommen ist? Woher werde ich nun Arme nehmen? Denn hier sind sie von ganz
Ostracine beisammen!“
Und der Joseph lächelte hier freundlich den Hauptmann an und sagte zu ihm:
„O mein bester Freund! Sorge du dich nur darum nicht; denn an allem andern hat
die Erde stets einen größeren Mangel gehabt als an Armen!
Siehe, es dürfen da nicht gerade Blinde, Lahme, Krüppel und sonstige Bresthafte
sein!
Gehe hin und durchsuche die Familien in den Häusern, überzeuge dich von ihrer
mannigfachen Not, und du wirst sogleich Gelegenheit in Menge finden, deinen
Überfluß gehörig an den Mann zu bringen!
Siehe, diese Stadt ist ja im ganzen ohnehin mehr eine Ruine als eine nur
einigermaßen ansehnliche blühende Stadt!
Durchsuche nur die halbzerfallenen Wohnungen so mancher Bürger, und du wirst das
Eitle deiner Betrübnis wegen Mangels an Armen sogleich überklar einsehen!“
Der Hauptmann aber sagte: „Lieber weiser Freund, da hast du wohl recht;
aber diese Armen werden mir wenig Aufschluß über den kommenden Messias erteilen
können, indem sie doch samt mir irrgläubig sind dir gegenüber!
Diese hier aber haben nun an sich so viel Wunderbares erlebt und hätten mir nach
und nach so manches enthüllen können!?“
Und der Joseph erwiderte dem Hauptmanne: „Oho, mein lieber Freund! – Meinst du
denn, die Enthüllung des Geistigen liege in den Armen?
Oh – da bist du in großer Irre! – Siehe, die Enthüllung liegt nur in der Liebe
deines eigenen Herzens und Geistes! – Wenn du Liebe ausübest, dann wird aus der
Flamme solcher Liebe dir ein Licht werden, aber nie aus dem Munde der Armen!“ –
Mit dieser Erklärung ward der Hauptmann zufrieden und fragte hinfort nicht mehr,
was er tun solle.
149. Kapitel – Die Frage der Ausbesserung des
alten Karthagerschiffes am Sabbat. Des Kindleins Rede über das Gutes-Tun am
Sabbat. Der Ungehorsam des gesetzestreuen Joseph. Die wunderbare Ausbesserung
des Schiffes durch die Engel.
23. Februar 1844
Nach dieser Beruhigung des Hauptmanns gab der Cyrenius dem Obersten einen
Befehl, laut dem dieser für den nächsten Tag noch ein Schiff ausrüsten mußte, in
welchem diese Armen nach Tyrus überbracht werden sollten.
Der Oberste aber sprach: „Kaiserliche Consulische Hoheit! Es liegt meines
Wissens nur noch ein altes karthagisches Schiff draußen im Hafen, das aber schon
sehr schadhaft ist.
Schiffsbauleute gibt es in dieser Stadt nicht, wohl hier und da nur höchst
elende Zimmerleute, die mit der genauesten Not etwa ein Fischerfloß
zusammenbinden können.
Es steht demnach sehr in Frage, wie wir das alte Karthagerschiff zurechtbringen
werden!“
Und der Cyrenius sprach: „Sorge dich nicht; dafür solle sogleich der beste Rat
geschafft werden!
Siehe, jener weise Jude ist seiner Kunst nach ein großer Meister als Zimmermann,
und also auch seine fünf Söhne!
Diesen will ich um Rat fragen, und ich bin überzeugt, er wird mir ganz besonders
in dieser Sache den besten Rat erteilen!“
Hier wandte sich der Cyrenius sogleich an den Joseph und stellte ihm die Sache
vor.
Joseph aber sprach: „Freund und Bruder! Es wäre alles recht und gut, wenn nur
heute nicht unser größter Sabbat wäre, an dem wir keine Arbeit anrühren dürfen!
Aber es gibt vielleicht hier Zimmerleute, die unser Sabbat nichts angeht; denen
will ich ja wohl die Anleitung geben.“
Es erhob sich aber da das Kindlein und sprach: „Joseph! – des Sabbats wegen darf
ein jeder Mensch Gutes tun!
Die Feier des Sabbats bestehet nicht sosehr im Müßigsein den ganzen Tag
hindurch, sondern vielmehr in guten Werken.
Moses hat wohl die Feier des Sabbats hoch geboten und in seinem Gebote jede
unnötige und knechtlich bezahlte Arbeit als eine Schändung des Sabbats
bezeichnet, die vor Gott ein Greuel ist;
aber an einem Sabbate den Willen Gottes zu tun, hat Moses nie verboten!
Es steht nirgends im Gesetze, daß man an einem Sabbate einen Bruder solle
zugrunde gehen lassen!
Ich aber als der Herr des Sabbats sage: Tut auch am Sabbate allzeit Gutes, so
werdet ihr den Sabbat am besten feiern!
Getraust du, Joseph, dich aber schon nicht, scheinbar nur das Gesetz Mosis zu
übertreten durch die leichte Ausbesserung jenes Schiffes, so sollen das sogleich
Meine Diener tun!“
Und Joseph sprach: „Mein göttlich Söhnchen, Du hast wohl recht; aber siehe, ich
bin im Gesetze alt geworden und will es auch nicht dem Scheine nach übertreten!“
Da berief das Kindlein sogleich die Jünglinge und sprach: „Also gehet ihr hin
und erfüllet Meinen Willen;
denn der Joseph achtet das Gesetz mehr als den Gesetzgeber und den Sabbat mehr
als den Herrn des Sabbats!“
Und so schnell wie ein Gedanke verließen die Jünglinge den Saal und brachten
auch im Augenblicke das Schiff zurecht und kamen auch sobald wieder zurück.
Alles verwunderte sich über diese Schnelligkeit, und viele glaubten nicht, daß
das Schiff in Ordnung sei. Aber es kamen bald Boten vom Hafen, die diese Tat dem
Cyrenius anzeigten. Darauf begab sich dann die ganze Gesellschaft ans Ufer und
besichtigte das Schiff und wunderte sich über solche Fertigkeit dieser
Jünglinge.
150. Kapitel – Der Besuch des Hafens. Das
kostbare Schiff. Des Cyrenius Dank an Joseph. Des Kindleins Antwort und Hinweis
auf das Wohltun den Armen.
24. Februar 1844
Cyrenius aber besah das Schiff genau und berechnete, für wie viele Menschen
darinnen wohl Raum sein dürfte.
Und er fand, daß da recht bequem tausend Menschen im Notfalle könnten
untergebracht werden.
Bei dieser Berechnungsgelegenheit aber überzeugte sich der Cyrenius auch von der
außerordentlichen Festigkeit und Zierlichkeit dieses Schiffes;
denn es sah nicht also aus, als wäre es ein altes und geflicktes, sondern das
ganze Schiff sah also aus, als wäre es gegossen.
Keine Fuge war zu entdecken, und am Holze konnte man keine Jahre, Äste und
sonstige Fasern und Poren bemerken.
Als der Cyrenius sich von allem dem überzeugte und vom Schiffe zurück ans Ufer
zu der Gesellschaft – natürlich mit seinem nötigen Gefolge – kam, da trat er
sogleich zum Joseph hin und sprach:
„Mein allererhabenster Freund, du glücklichster der Menschen auf Erden! Über das
Wunder wundere ich mich nun gar nicht mehr; denn ich weiß es ja jetzt nur zu
gut, daß bei Gott alle Dinge möglich sind!
Ich weiß, daß das kein gemachtes und geflicktes, sondern ein ganz
neuerschaffenes Schiff ist; aber ich wundere mich dessen nicht.
Denn dem Herrn wird es wohl ein gleich Leichtes sein, entweder eine ganze Welt
oder ein solches Schiff zu erschaffen; denn die Erde ist ja doch auch ein
Schiff, das gar viele Menschen trägt auf dem Meere der Unendlichkeit!
Aber daß du mich nun zu deinem großen Schuldner gemacht hast, siehe, das macht
mich nun denken, auf welche Weise ich dir je diese Schuld werde abtragen
können?!
Denn siehe, dieses Schiff, das ehedem kaum ein Pfund Silbers wert war, indem es
schon mehr einem Wrack als einem Schiffe glich, ist nun über zehntausend Pfunde
Goldes wert!
Denn es kann nun zu einer Reise über die Herkulessäulen (Gibraltar) nach
Britannien gebraucht werden, wie zur Umschiffung von ganz Afrika bis nach
Indien!
Wahrlich! – so ein Werk ist ja doch für den Weltgebrauch mit keinem Golde zu
bezahlen!
Siehe, du mein erhabenster Freund, das ist es, was mich nun sehr denken macht,
wie ich dir je diese Schuld abtragen werde!
Möchtest du das Gold achten, so wahr dein und nun auch mein Gott lebt, so sollst
du in sieben Tagen zehntausend Pfunde haben!
Aber ich weiß, daß das Gold vor deinen Augen ein Greuel ist, und so macht mich
das nun traurig, daß ich dir, meinem größten Freunde, schuldig bleiben muß!“
Und der Joseph ergriff des Cyrenius Hand, drückte sie an seine Brust und wollte
reden; aber es kamen ihm auch die Tränen beim Anblicke dieses edlen Römers.
Dafür aber richtete sich das Kindlein auf, lächelte den Cyrenius an und sprach:
„Mein lieber Cyrenius Quirinus! Wahrlich sage Ich dir: So du einen Armen nur in
Meinem Namen aufgenommen hättest, da hättest du schon mehr getan, als was
zehntausend solche Schiffe wert sind!
Du aber hast mehrere Hunderte nun in kurzer Zeit versorgt, und Ich müßte dir gar
viele solche Schiffe dafür geben, um dich irdisch dafür zu entschädigen!
Denn siehe, bei Mir gilt ein Mensch mehr als eine ganze Welt voll solcher
Schiffe! Darum lasse dich's nicht kümmern deiner vermeinten Schuld wegen!
Was du den Armen tust, das tust du auch Mir; aber nicht hier auf der Erde werde
Ich dich belohnen, sondern wenn du sterben wirst, da werde Ich sobald deine
Seele erwecken und dich gleichmachen diesen Meinen Dienern da, die das Schiff
ausbesserten!“
Cyrenius weinte hier und beteuerte, daß er von nun an sein ganzes Leben zum
Wohle der armen leidenden Menschheit verwenden werde.
Das Kindlein aber hob Seine Hand, sprach Amen, und segnete darauf den Cyrenius
und das Schiff. –
151. Kapitel – Das Mittagsmahl in der Burg.
Der Hauptmann sucht nach Armen in der Stadt, seine Rückkehr und des Cyrenius
Lob. Des Kindleins Segensworte.
26. Februar 1844
Darauf begab sich dann die ganze Gesellschaft wieder in die Stadt und da in die
Burg, allwo unterdessen das Mittagsmahl nach vollkommen jüdischer Sitte bereitet
war.
Alles nahm wieder die früheren Plätze ein und stärkte sich am schmackhaft
bereiteten Mittagsmahle.
Zu Ende der Mahlzeit bemerkte erst der Cyrenius, daß der bekannte Hauptmann sich
nicht unter den Gästen befand.
„Wo ist er, was tut er?“ war die allgemeine Frage zuoberst am römischen Teile
der Tafel.
Cyrenius aber wandte sich an seinen Joseph und fragte ihn darum.
Und der Joseph antwortete und sprach: „Kümmere dich nicht um ihn; denn er ist
gegangen, die Armen der Stadt aufzusuchen!
Es liegt ihm nun freilich noch mehr an der Auffindung des inneren Lichtes als so
ganz eigentlich an den Armen;
aber das tut nichts zur Beeinträchtigung seiner Sache, – denn im Suchen selbst
wird sich ihm der rechte Weg von selbst auftun!“
Als der Cyrenius nun solches erfuhr, da ward er überfroh und lobte den Hauptmann
in seinem Herzen.
Als sich aber der römische Teil in allerlei Mutmaßungen über den Grund der
Abwesenheit des Hauptmanns zerteilte, da kam er ganz heiter selbst zu der
Gesellschaft und ward sogleich von allen Seiten her mit tausend Fragen bestürmt.
Der Hauptmann aber, als selbst ein großer Freund vom Fragen, war darum nichts
weniger als ein Freund vom Antworten.
Er ging daher sogleich zum Cyrenius hin und entschuldigte sich, darum er bei der
Mittagstafel diesmal einen Ausreißer gemacht hatte.
Und der Cyrenius reichte dem Hauptmann die Hand und sprach zu ihm:
„Fürwahr, und stünden wir vor dem Feinde, und du hättest aus einem solchen
Grunde deinen Kampfplatz verlassen, so hättest du bei mir nichts zu
verantworten!
Denn wahr, wahr, wie ich es jetzt einsehe, so tun wir mehr, so wir auch nur
einem Menschen Gutes tun, als gewönnen wir alle Reiche der Welt für Rom!
Gott dem Herrn liegt mehr an einem Menschen als an der ganzen sonstigen Welt!
Darum tun wir auch vor Gott ein bei weitem Größeres, so wir als Brüder aus Liebe
einen Bruder versorgen leiblich – und so viel möglich auch geistig,
als so wir gegen viele Tausende der ärgsten Feinde ins Feld zögen!
Ja, es ist vor Gott ums Endlose rühmlicher, ein Wohltäter an seinen Brüdern zu
sein, als zu sein der allergrößte Held in der tollen Welt!“
Und das Kindlein sprach dazu: „Amen, also ist es, Mein Cyrenius Quirinus!
Bleibe du auf diesem Wege; fürwahr, so sicher wie dieser führt kein anderer zum
ewigen Leben! – Denn die Liebe ist das Leben; wer die Liebe hat, der hat auch
das Leben!“ – Darauf segnete das Kindlein den Cyrenius und den Hauptmann mit den
Augen.
152. Kapitel – Des Jesuskindleins Rede an
Cyrenius bei der Übergabe der Armen. Cyrenius als Vorläufer des Paulus. Eine
Voraussage über den Fall Jerusalems durch das Schwert der Römer.
27. Februar 1844
Nach dieser Verhandlung öffneten die Jünglinge wieder den Vorhang, und die ganze
Gesellschaft begab sich wieder zu den Armen. Und das Kindlein richtete Sich auf
und segnete die Armen mit den Augen.
Dann wandte Es Sich zu Cyrenius und sprach zu ihm mit einer gar lieblichen
Stimme:
„Mein geliebter Cyrenius Quirinus! Siehe, diese Meine Diener, die du als zarte
Jünglinge hier erschauest, überwachen in Meinem Namen die ganze Schöpfung!
Jede Welt und jede Sonne muß ihnen gehorchen auf den leisesten Wink;
und so siehst du, daß Ich ihnen eine unbegrenzte Macht eingeräumt habe.
Wie Ich aber diesen Meinen Dienern zur geordneten Leitung alle Schöpfung
übergeben habe, also übergebe Ich hier dir diese viel größeren Welten des
Lebens!
Siehe, diese Brüder und Schwestern sind mehr als eine ganze Unendlichkeit voll
Weltkörper und Sonnen für sich!
Ja, Ich sage dir: Ein Kind in der Wiege ist mehr als alle Materie im ewig
endlosen Raume!
Bedenke demnach, was Großes du in dieser Spende von Mir erhältst und über wie
Großes Ich dich setze!
Leite mit aller Liebe, Sanftmut und Geduld diese Armen auf dem rechten Wege zu
Mir, und du sollst darum dereinst die Größe des Lohnes ewig nie ermessen können!
Ich, dein Herr und dein Gott, mache dich hiermit zu einem Vorläufer im Reiche
der Heiden, auf daß der, den Ich dereinst senden werde zu den Heiden, eine
leichte Aufnahme finden solle!
Ich werde in der Folge aber auch einen Vorläufer zu den Juden senden;
aber Ich sage dir: dieser solle einen harten Stand haben! Und was er tun wird im
Schweiße seines Angesichts, das wirst du im Schlafe bewirken!
Darum aber wird auch den Kindern das Licht genommen und euch in aller Fülle
überantwortet werden!
Und Ich lege darum in dir als Kind den Samen, der einst Mir den Baum geben wird,
auf dem gar edle Früchte für Mein Haus erwachsen werden ewig.
Aber den Feigenbaum bei den Kindern, den Ich schon zu den Zeiten Abrahams
pflanzte in Salem – einer Stadt, die Ich im Melchisedek mit Meiner eignen Hand
erbauet habe –, werde Ich verfluchen, darum er nichts als Blätter trägt!
Wahrlich, Mich hat es noch allzeit gehungert! Viele Male ließ Ich den Baum in
Salem durch gute Gärtner düngen, und dennoch trug er Mir keine Frucht!
Darum aber solle auch, ehe ein Säkulum verrinnen wird, die Stadt, die Meine Hand
für Meine Kinder erbauet hat, durch euch Fremdlinge fallen; deines Bruders Sohn
solle das Schwert gegen Salem ergreifen!
Wie aber du nun diese Armen zu Kindern annimmst, so auch werde Ich euch
Fremdlinge zu Meinen Kindern annehmen, und sie werden hinausstoßen die Kinder!
Diese Worte behalte du bei dir und handle im Verborgenen darnach; Ich aber werde
dich allzeit segnen mit der unsichtbaren Krone Meiner ewigen Liebe und Gnade,
Amen!“
Diese Worte machten alles verstummen. Die Engel lagen auf ihren Angesichtern,
und niemand getraute sich etwas zu reden und zu fragen. –
153. Kapitel – Des Cyrenius Frage über die
Gottwesenheit des Kindes. Josephs Erklärung am lebendigen Worte Gottes in den
Propheten. Die Berichtigung durch das Jesuskind.
28. Februar 1844
Nach einer Weile erst zog der Cyrenius den Joseph auf die Seite und sagte zu
ihm:
„Mein erhabenster Freund und Bruder! Hast du vernommen, was das Kindlein geredet
hat zu mir?!
Hast du vernommen, wie Es nun einmal ganz offen heraussagte: Ich – dein Herr –
und dein – Gott?!
Nehme ich dazu Seine Willensmacht und die Diener aus den Himmeln der Himmel, die
allzeit auf ihre Angesichter niederfallen, wenn das Kleine spricht, so ist das
Kind ja – der alleinige, ewige, wahrhaftige Gott und Schöpfer der Welt und aller
Dinge auf ihr?!
Freund! Bruder! – was sagst du zu diesem meinem Bekenntnisse? – Ist es nicht
also? – Oder ist es anders?“
Joseph stutzte hier selbst ein wenig; denn er hielt das Kind wohl für einen
vollkommenen Sohn Gottes, aber für die Gottheit Selbst hielt er Ihn nicht!
Er sprach daher nach einer Weile: „Das Kind für Gott Selbst zu halten, dürfte
etwas gewagt sein!
Es ist aber ja bei den Juden also, daß sie Kinder Gottes sind – und sind demnach
auch Söhne Gottes!
Und das datiert sich schon seit dem Vater Abraham her, der auch ein Sohn Gottes
war, und also sind es auch seine Nachkommen.
Zudem hat es bei uns noch allzeit große und kleine Propheten gegeben, und wenn
sie redeten, so redeten sie aus Gott, und Gott rechtete und redete aus ihnen
stets in der ersten Person.
Also spricht einmal der Herr durch Isaias: ,Denn Ich bin der Herr, dein Gott,
der das Meer bewegt, daß seine Wellen wüten; – Mein Name heißt: Herr – Zebaoth.
Ich lege Mein Wort in deinen Mund und bedecke dich unter dem Schatten Meiner
Hände, auf daß Ich den Himmel pflanze und die Erde gründe und zu Zion spreche:
Du bist Mein Volk!‘
Und siehe, wenn der Prophet auch also redet in der ersten Person, als wäre er
selbst der Herr, so ist er aber dennoch nicht der Herr, sondern des Herrn Geist
redet nur also durch des Propheten Mund!
Und siehe, also wird es auch hier sein; Gott erweckt in diesem Kinde einen gar
mächtigen Propheten und redet nun schon durch seinen Mund frühzeitig, wie einst
durch den Mund des Knaben Samuel!“
Hier war der Cyrenius beruhigt zwar, aber das Kindlein verlangte den Joseph und
den Cyrenius und sprach zu Joseph:
„Joseph, du weißt wohl, daß der Herr durch den Mund der Propheten geredet hat
wie in der ersten Person zumeist;
aber weißt du nicht, was der Herr eben einmal bei Isaias spricht, da Er sagt:
,Wer ist Der, der von Edom kommt, mit rötlichten Kleidern von Bazra? Der so
geschmückt ist in Seinen Kleidern und einhertritt in Seiner großen Kraft? –
,Ich bin Es, der Gerechtigkeit lehrt und ein Meister bin zu helfen!
,Warum ist denn Dein Gewand so rotfarb und Dein Kleid wie eines Keltertreters?
,Ich trete die Kelter allein, und ist niemand unter den Völkern mit Mir. Ich
habe sie gekeltert in Meinem Zorne und zertreten in Meinem Grimme.
,Daher ist ihr Vermögen auf Meine Kleider gespritzt, und Ich habe all Mein
Gewand besudelt!
,Denn Ich habe einen Tag der Rache Mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu
erlösen, ist gekommen!
,Denn Ich sah Mich um, da war kein Helfer; und Ich war im Schrecken, und niemand
enthielt Mich, sondern Mein Arm mußte Mir helfen, und Mein Zorn enthielt Mich!
,Darum habe Ich die Völker zertreten in Meinem Zorne und habe sie trunken
gemacht in Meinem Grimme und ihr Vermögen zu Boden gestoßen!‘ –
Joseph! – Kennst du Den, der von Edom kommt und nun gekommen ist und nun zu dir
spricht: Ich bin Es, der Gerechtigkeit lehrt und ein Meister bin zu helfen!?“
Bei diesem Worte legte der Joseph seine Hand auf die Brust und betete in sich
das Kindlein an.
Und Cyrenius sagte nach einer Weile ganz still zu Joseph: „Bruder! Mir kommt es
in dieser für Mich freilich zu weisen Rede des Kindleins vor, als hätte ich doch
recht?!“
Und der Joseph sprach: „Ja, du hast recht; aber desto mehr muß dir nun am
Schweigen davon gelegen sein, willst du leben!“ – Und der Cyrenius schrieb sich
diese Mahnung tief in sein Herz und beobachtete sie auch sein Leben lang.
154. Kapitel – Die dienstliche Frage des
Hauptmanns. Des Cyrenius abschlägige Erwiderung. Das Gespräch des neugierigen
Hauptmanns mit dem schönen Engel.
29. Februar 1844
Nach dieser Szene kam unser Hauptmann hin zum Cyrenius und fragte ihn, wieviel
Mann er am Abend zu seinen Diensten zur Burg beordern solle.
Solches aber fragte der Hauptmann darum, weil er wußte, daß Cyrenius noch am
Abende werde sein Gepäck ins Schiff bringen lassen und ebenso auch den
Mundbedarf für mehrere Hunderte, die er von Ostracine nach Tyrus mitnahm.
Der Cyrenius aber sah den Hauptmann an und sprach: „Mein lieber Freund! Wenn ich
dafür erst jetzt sorgen sollte, da wäre es übel gesorgt!
Zur Versorgung des neuen Schiffes aber, das diese Armen aufnehmen wird, wird
heute noch also gedacht werden, daß da keiner der Reisenden Not leiden wird.
Hast du nicht gesehen, wie schnell das alte Karthagerschiff hergestellt ward
durch diese Jünglinge?
Siehe, auf dieselbe Weise kann und wird es auch mit allem versorgt werden!
Was aber da meine eigenen Schiffe betrifft, so sind diese schon lange mit allem
auf ein Jahr versehen, und das im strengsten Falle für tausend Mann.
Aus dem Grunde solle nun meinetwegen kein Mann bemüht werden, sondern in seinem
kaiserlichen Dienste stehen bleiben.“
Diese Erwiderung nahm den Hauptmann wunder, indem sonst der Cyrenius sehr auf
die militärische Aufmerksamkeit sah.
Er fragte darauf den Cyrenius, sagend: „Eure Kaiserliche Consulische Hoheit! Wer
sind denn hernach diese Jünglinge? Sind das echte ägyptische Zauberer, oder sind
das etwa gar Halbgötter oder berühmte Magier und Sternkundige aus Persien?“
Und der Cyrenius sprach: „Mein lieber Freund, hier ist weder das eine noch das
andere!
Sondern, wenn du schon wissen willst, wer diese Jünglinge sind, da gehe hin und
frage einen aus ihnen, und du wirst ohne mein Verschulden ins klare kommen!“
Der Hauptmann verneigte sich hier vor dem Cyrenius und wandte sich sogleich an
einen der anwesenden Jünglinge und fragte ihn:
„Höre mich, mein allerliebenswürdigster, allerherrlichster, allerschönster, mich
ganz bezaubernder, du über alle meine Begriffe herrlicher, du endlos zarter, du
mit deiner unbegreiflichen Schönheit meine Zunge lähmender, du a – a – al – ler
– allerholdester – Jüngling!
Ja – um – was habe – habe – habe – ich denn – so ganz eigentlich fragen wollen?“
Und der bis auf den Glanz in die volle himmlische Schönheit übergehende Jüngling
sagte darauf zum Hauptmann:
„Das wirst du ja doch wissen? Frage nur zu, du Freund der Frage; ich will dir ja
alles gerne beantworten!“
Der Hauptmann aber war ganz weg ob der zu großen Schönheit des Jünglings und
konnte kein Wort über seine Zunge bringen.
Nach einer Weile, als er sich an der für ihn unbegreiflichen Schönheit des
Jünglings vollgegafft hatte, da erst bat er den Jüngling um einen Kuß.
Und der Jüngling küßte den Hauptmann und sprach: „Damit ein Band zwischen uns
auf ewig! – Suche du nur die nähere Bekanntschaft jenes weisen Juden, und dir
wird viel Lichtes werden!“
Der Hauptmann aber ward darauf so entsetzlich verliebt in diesen Jüngling, daß
er sich aus lauter Liebe nicht zu helfen wußte, und vergaß ganz seine Frage.
Und diese Liebe quälte ihn bis zum Abende und war eine kleine Strafe für des
Hauptmanns Fragliebhaberei; am Abende aber ward er wieder geheilt und hatte
keine Lust mehr, sich einem solchen Jünglinge zu nahen.
155. Kapitel – Des Cyrenius Schiffssorge. Der
Rat des Engels. Des Cyrenius Dank an Joseph und das Kindlein. Josephs Voraussage
über des Cyrenius Reiseabenteuer.
1. März 1844
Am Abende wurde noch ein Abendmahl bereitet und zu sich genommen und sodann
Vorkehrungen zur Abreise für den nächsten Tag getroffen.
Es war aber nach dem Wissen des Cyrenius und seiner Suite das neue
Karthagerschiff noch mit nichts belastet und versorgt, und Cyrenius kümmerte
sich heimlich doch ein wenig darob.
Aber es trat ein Jüngling zu ihm und sagte: „Quirinus! Du sollst dich auch
heimlich um nichts kümmern;
denn siehe, um was du dich nun sorgst, das ist lange schon in der besten
Ordnung!
Bestelle nur dieses dein Haus zur guten Ordnung in deiner Abwesenheit; für alles
andere wird schon von unserer Seite gesorgt werden im Namen des Herrn Gott
Zebaoth!“
Cyrenius glaubte – und sorgte sich um gar nichts mehr, was da das Wesen der
Schiffe betraf.
Darauf berief der Cyrenius den Hauptmann zu sich und übergab ihm die Leitung und
Besorgung der Burg.
Und als der Hauptmann diesen seinen gewöhnlichen Dienst wieder angetreten hatte,
da berief der Cyrenius den Obersten zu sich, übergab ihm wieder die Vollmacht
über das in dieser Stadt stationierte Militär;
denn bei den Römern durfte der Oberste in Gegenwart des Statthalters das Militär
nicht nach eigenem Gutdünken kommandieren, denn da war der Statthalter sozusagen
alles in allem.
Als der Cyrenius mit der Anordnung fertig war, da ging er zu Joseph hin und
sprach:
„Mein allererhabenster, ja ich möchte sagen, du mein heiliger Freund und Bruder!
Was alles habe ich nun doch dir und ganz besonders deinem allerheiligsten
Kindlein zu danken!
Wie, wann, womit werde ich dir je diese große Schuld abzutragen imstande sein!?
Du hast mir die Tullia gegeben, hast mir das Leben wunderbar gerettet!
Ja, ich kann ja gar nicht aufzählen alle die außerordentlichen Wunderwohltaten,
die du mir erwiesen hast in der kurzen Zeit dieses meines Hierseins!“
Und der Joseph sprach: „Freund! Wie lange ist es denn, daß ich in großer
Bedrängnis stand?!
Da wardst du mir zu einem rettenden Engel des Herrn zu Tyrus entgegengesandt!
Und siehe, also waschet fortwährend eine Hand die andere am großen Körper der
gesamten Menschheit!
Doch nun nichts mehr weiter von dem! Siehe, es ist Abend geworden! Die Villa
liegt eine Stunde außer der Stadt; daher lasse mich nun aufbrechen und nach
Hause ziehen!
Meinen und des Herrn Segen hast du und alle deine Gefährten vielfach; daher
magst du getrost ziehen von hier!
Die drei Löwen aber nehme in dein Schiff, und sie werden dir gute Dienste tun!
Denn ihr werdet Sturm haben und werdet nach Kreta verschlagen werden, und die
räuberischen Kreter werden euch überfallen.
Und hier wird es sein, wo dir die drei Löwen wieder einen guten Dienst tun
werden!“
Hier ward der Cyrenius furchtsam; aber Joseph tröstete ihn und versicherte ihm,
daß da niemand auch nur den allergeringsten Schaden leiden werde.
156. Kapitel – Der Dank des Maronius, der drei
Priester und der Tullia. Das Schweigegebot Josephs.
2. März 1844
Darauf kam der Maronius Pilla mit den drei Priestern zum Joseph und dankte ihm
für alle die Wunderwohltaten.
Und der Joseph ermahnte ihn, zu schweigen von allem dem, was er hier gesehen
hatte;
Und der Maronius gelobte solches mit den drei Priestern auf das feierlichste.
Darauf kam die Tullia, fiel vor der Maria nieder und zerfloß in Tränen des
Dankes.
Maria aber beugte sich samt dem Kindlein nieder, erhob die Tullia und sprach zu
ihr:
„Sei mir gesegnet im Namen Dessen, der auf meinen Armen ruht! – Sei stets
dankbar in deinem Herzen eingedenk dieses Kindes, so wirst du in Ihm dein Heil
finden!
Deiner Zunge aber lege eine Fessel an und verrate uns gegen niemanden!
Denn wann es an der Zeit sein wird, da wird der Herr schon Selbst Sich vor der
Welt offenbaren!“
Darauf entließ Maria die noch schluchzende Tullia.
Joseph aber sprach zum Cyrenius: „Freund! Siehe, viele aus deinem Gefolge waren
Zeuge von so manchen Wundertaten; diesen gebiete du ihres Heiles willen, daß
auch sie schweigen möchten von allem dem!
Denn jeden Verräter dieser rein göttlichen Sache wird der Tod treffen, wenn er
nicht schweigen will!“
Der Cyrenius gelobte solches dem Joseph und versicherte ihm, daß da nie jemand
auch nur eine Silbe erfahren solle.
Joseph aber belobte den Cyrenius und erinnerte ihn schließlich an die
verheißenen acht Kinder, die da in fünf Mädchen und drei Knaben bestünden.
Und der Cyrenius sprach: „O Freund, das wird wohl mein erstes Geschäft sein!
Aber nun nur eine Frage noch: Siehe, ich werde in diesem Jahre noch wegen der
Tullia nach Rom müssen!
Mein Bruder Augustus Caesar, da er schon einiges von mir, wie du es weißt,
erfahren hat, wird mich sicher um mehreres fragen.
Was werde ich ihm sagen? Inwieweit darf ich diesen edlen Menschen in dies
Geheimnis einweihen?“
Und der Joseph sprach: „Du kannst Ihm, aber nur unter vier Augen, so manches
mitteilen.
Aber erinnere ihn, daß er, so er schweigt, in seiner Kaiserwürde ungestört
verbleiben wird, also auch seine Nachkommen!
so er aber auch nur eine Silbe irgendwo wird fallenlassen, da wird ihn Gott
sogleich strafen!
Und wird er sich aber auflehnen gegen den Allmächtigen, da wird er mit ganz Rom
im Augenblicke untergehen!“
Der Cyrenius dankte inbrünstigst dem Joseph für diese Bescherung; und Joseph
segnete ihn und begab sich dann mit all den Seinen nach der Villa.
157. Kapitel – Des Jesuskindleins
Liebesgespräch mit Jakobus. Die Last und Schwere des Herrn für die, die Ihn in
sich tragen. Das plötzliche Verstummen des bisher redefähigen Jesuskindes.
4. März 1844
Außer der Stadt übergab die Maria das Kindlein dem Jakob; denn sie war müde
geworden, da sie Es diesen ganzen Tag auf ihren Händen hielt.
Und der Jakob war voll Freuden, daß er wieder einmal seinen Liebling zu tragen
bekam.
Das Kindlein aber schlug die Augen auf und sprach: „Du Mein lieber Jakob! – Du
hast Mich wohl recht von ganzem Herzen lieb!
Aber so Ich dir recht schwer würde, hättest du Mich dann auch noch so lieb?“
Und der Jakob sprach: „O du mein allerliebstes Brüderchen! – wenn Du auch mein
Gewicht hättest, so würde ich Dich aber dennoch mit dem brennendsten Herzen auf
meinen Armen tragen!“
Das Kindlein aber sprach: „Mein Bruder, jetzt freilich werde Ich dir nicht
schwer werden,
aber es wird einst die Zeit kommen, in der Ich dir zur großen Last werde!
Daher tust du wohl, daß du dich jetzt schon liebend an Mein Gewicht gewöhnst;
wenn demnach die schwere Zeit kommen wird, da wirst du Mich in Meinem
Vollgewichte ebenso leicht tragen, wie du Mich jetzt trägst als Kind!
Ich sage dir aber: Jeder, der Mich nicht zuvor als ein Kind ertragen wird, wird
erliegen unter Meinem Vollgewichte dereinst!
Wer Mich aber in seinem Herzen, wie du nun auf deinen Händen, tragen wird als
ein kleines schwaches Kindlein, dem werde Ich auch im Mannesalter zu einer
ebenso geringen Bürde werden!“
Und der Jakob, nicht verstehend diese hohen Worte, fragte liebkosend das
Kindlein:
„O Du mein allerliebstes Brüderchen, Du mein Jesus! – wirst Du Dich denn auch
als Mann herumtragen lassen?“
Das Kindlein aber sprach: „Du liebst Mich aus allen deinen Kräften, und das
genügt Mir!
Deine Einfalt aber ist Mir lieber als die Weisheit der Weisen, die viel rechnen
und voraussagen, ihre Herzen aber dabei kälter sind denn das Eis.
Was du jetzt noch nicht fassest, das wirst du mit den Händen greifen in der
rechten Zeit!
Siehe, Ich aber bin nun nur noch ein Kind, das in einem vollunmündigen Alter
ist;
und siehe, Meine Zunge ist dennoch gelöst, und Ich rede mit dir wie ein
gesetzter Mann!
Möchte Ich nun also verbleiben, da wäre Ich gleich einem Doppelwesen, ein Kind
dem Auge – und ein Mann dem Ohre.
Also aber kann es nun nicht verbleiben! Ich werde Mir noch auf ein Jahr die
Zunge binden vor allen bis auf dich;
du aber wirst Meine Stimme nur in deinem Herzen vernehmen!
Wann Ich aber wieder mit dem Munde reden werde, dann wird dein Auge Mich wohl
männlicher erschauen, aber dein Ohr wird nur Kindisches vernehmen von Mir!
Dir aber habe Ich nun solches kundgetan, auf daß du dich dann nicht ärgern
sollest an Mir – und also sei es!“
Hier ward das Kindlein wieder ganz sprachlos und gebärdete sich gleich jedem
anderen. – Und während dieser Beredung ward auch schon die Villa erreicht.
158. Kapitel – Die wunderbare Versorgung der
Haustiere Josephs durch die Engel. Der Sabbateifer Josephs. Gabriels Hinweis auf
die Tätigkeit der Natur am Sabbat. Das Verschwinden der Engel.
5. März 1844
In der Villa angelangt, befahl Joseph sogleich den vier älteren Söhnen,
nachzusehen bei den Tieren und sie zu versorgen und sodann sich bald zur Ruhe zu
begeben.
Und diese gingen eiligst und taten solches alles; aber sie kamen bald zurück und
sagten zum Joseph:
„Vater, es ist wunderbar! Die Rinder wie die Esel sind gefüttert und getränkt,
und dennoch sind ihre Futterkörbe voll, und die Wassereimer sind gestrichen
voll; wie ist das?“
Und der Joseph ging selbst nachzusehen und fand die Aussage der vier Söhne
bestätigt.
Da kehrte er zurück und fragte die noch anwesenden Jünglinge, ob sie solches
getan hätten an einem Sabbate.
Und die Jünglinge bejahten solches; der Joseph aber sprach ganz bedenklich zu
den Jünglingen:
„Wie doch seid ihr Diener des Herrn und möget nicht heiligen den Sabbat?!“
Gabriel aber sprach darauf: „O du reiner Mann, wie kannst du denn eine solche
Frage an uns stellen?!
Ist der heutige Tag nicht vergangen wie ein jeder andere, ist die Sonne nicht
auf- und untergegangen wie an einem jeden anderen Gemeintage? Ist heute nicht
auch der Morgen-, Mittags- und Abendwind gegangen?
Als wir am Meere standen, hast du da nicht gesehen desselben regsamsten
Wellengang? Warum wollte es denn nicht feiern den Sabbat?
Wie hast du denn heute gehen, essen und trinken mögen und holen den Atem – und
hast nicht untersagt deinem Herzen zu schlagen?!
Siehe, du sabbatängstlicher Mann, alles, was da in der Welt ist und geschieht,
besteht ja allein durch die uns vom Herrn verliehene Tatkraft und wird von uns
geleitet und regiert!
So wir nun ruhen möchten einen Tag hindurch, sage, ginge da nicht sogleich die
ganze Schöpfung zugrunde?
Siehe, also müssen wir den Sabbat nur durch unsere Tätigkeit in der Liebe zum
Herrn feiern, aber nicht durch ein müßiges Nichtstun!
Die wahre Ruhe im Herrn besteht sonach in der wahren Liebe im Herzen zu Ihm und
in der unablässigen Tätigkeit darnach zur Erhaltung der ewigen Ordnung.
Alles andere ist vor Gott ein Greuel voll menschlicher Torheit.
Dieses bedenke du wohl, und scheue dich an keinem Sabbate Gutes zu tun, so wirst
du dem Herrn, deinem wie meinem Schöpfer, vollähnlich sein!“
Auf diese Rede fielen alle Jünglinge auf ihre Angesichter vor dem Kindlein
nieder und verschwanden darauf.
Joseph aber grub diese Worte tief in sein Herz und ward forthin nicht mehr so
sehr ängstlich an einem Sabbate.
159. Kapitel – Eudokias Verwunderung und
Unruhe wegen des plötzlichen Verschwindens der Jünglinge. Marias beruhigende
Worte. Die Nachtruhe. Eudokias Sehnsucht nach Gabriel, dessen plötzliches
Erscheinen und sein Rat.
6. März 1844
Als die Jünglinge verschwunden waren, da fragte Eudokia die Maria, wer denn so
ganz eigentlich diese Jünglinge waren.
Denn die Eudokia war noch eine Heidin und wußte nichts von den außerordentlichen
Geheimnissen des Himmels.
Daß aber bei dieser Gelegenheit auch die Heiden die Engel sahen, rührte daher,
weil für die Zeit hindurch ihr inneres Auge erschlossen gehalten ward;
und das Verschwinden der Engel war sonach nichts anderes als das
Sich-wieder-Schließen der geistigen inneren Sehe, –
aus dem Grunde es auch nach dem Verschwinden der Engel der Eudokia vorkam, als
wäre sie aus einem tiefen Traume erwacht.
Sie empfand sich nun wieder ganz naturmäßig, und alles, was sie den ganzen Tag
hindurch gesehen, gehört und getan hatte, kam ihr wie ein sehr lebhafter Traum
vor.
Darum denn auch ist die obige Frage von seiten der Eudokia an die Maria
verzeihlich;
denn sie war nun wieder ganz im Außenzustande, und dieser war heidnisch.
Und die Maria aber antwortete und sprach: „Eudokia, wir werden noch länger
beisammenbleiben, und dir wird alles klar werden, was dir jetzt noch dunkel ist!
Für heute aber wollen wir uns zur Ruhe begeben; denn ich bin sehr müde!“
Die Eudokia begnügte sich wohl äußerlich mit dieser Vertröstung; aber in ihrem
Herzen stieg die Begierde.
Joseph aber sagte: „Meine Kinder, es ist Nacht geworden; schließet die Tore und
begebet euch zur Ruhe!
Denn morgen ist ja ohnehin noch der Sabbater (Nachsabbat), an dem wir nicht
arbeiten; da werden wir uns über so manches noch besprechen können!
Für heute aber lobet den Herrn und tut, wie ich es euch anbefohlen habe!
Du, Jakob, aber bereite die Wiege und bringe das Kindlein zur Ruhe, und stelle
die Wiege ans Lager der Mutter!
Und du, Eudokia, begebe dich auch in dein Schlafgemach und stärke deine Glieder
mit einem süßen Schlafe im Namen des Herrn!“
Und die Eudokia ging sogleich in ihr bestimmtes Gemach, legte sich auf ihr
Lager, aber ferne blieb der Schlaf;
denn zu erregt war ihr feurig Gemüt ob des Verschwindens der Jünglinge.
Denn sie hatte sich in den Gabriel verliebt und wußte sich nun nicht zu raten
und zu helfen, da der Gegenstand ihres Herzens so plötzlich vor ihren Augen
verschwand.
Da aber alles ruhte und schlief, da erhob sich die Eudokia und öffnete ein
Fenster und blickte hinaus.
Da stand plötzlich Gabriel vor ihr und sprach: „Du mußt dein Herz zur Ruhe
bringen!
Denn siehe, ich bin nicht ein Mensch gleich dir, sondern ich bin nur ein Geist
und bin ein Bote Gottes!
Das Kindlein aber bete an; denn dieses ist der Herr, der wird beruhigen dein
Herz!“ – Darauf verschwand der Engel wieder, und die Eudokia bekam Ruhe.
160. Kapitel – Jakobs kindlich-fröhliches
Spiel mit dem Kindlein. Josephs Rüge und Jakobs treffliche Antwort. Eudokias
Traum und herrliches Zeugnis vom Herrn.
7. März 1844
Am Morgen, eine Stunde vor dem Aufgange, war wie gewöhnlich im Hause Josephs
schon alles lebendig, und das Kindlein selbst strampelte ganz munter in der
Wiege und ließ freudige Kindleinstöne wie halb singend von Sich hören.
Jakob spielte mit dem Kindlein nach seiner Weise und machte dem Herrn der
Unendlichkeit mit seiner Hand allerlei Bewegungen vor und sang und pfiff dabei.
Es war aber die Maria noch auf ihrem Lager und schlummerte; darum machte der in
sein Morgengebet versunkene Joseph dem Jakob ein wenig Vorwürfe, da er also
lärme und nicht achte auf das Gebet und auf die noch schlummernde Mutter.
Der Jakob aber entschuldigte sich und sprach: „Lieber Vater, siehe, es hat ja
der Herr Himmels und der Erde ein Wohlgefallen an meiner Beschäftigung mit Ihm!
Wir aber sollen ja allzeit das nur tun, was dem Herrn wohlgefällt!
Und siehe, es gefällt dem Herrn, was ich tue! Wie mag es dir doch zuwider sein?
Die Mutter aber würde sicher nicht so gut schlummern, wenn wir beide, ich und
das Kindlein, nicht also lärmten!
Ich bitte dich, lieber Vater, mich dadurch für entschuldigt zu halten und mir
fürder nicht Vorwürfe zu machen, so ich auch bei meiner Bestimmung manchmal wie
ausgelassen erscheine vor dir, aber dabei doch dem Herrn wohlgefalle!“
Joseph aber sprach: „Ja, ja, es ist schon alles recht, – ich sehe es ja gerne,
daß du also gut mit dem Kindlein umzugehen weißt;
aber nur mußt du in Zukunft keinen solchen Lärm machen, wenn du siehst, daß da
noch jemand schläft und irgend ein anderer im Gebete zu Gott versammelt ist!“
Jakob dankte dem Joseph für diese Ermahnung, und fragte ihn aber darauf, sagend
nämlich:
„Vater! Wenn du also betest zu Gott, wie du jetzt gebetet hast, zu was für einem
Gotte betest denn du da?
Was ich von diesem Kinde nun weiß, so kann es unmöglich je irgend einen größeren
und wahrhaftigeren Gott geben, wie dieses Kindlein Es zufolge des lautesten
Zeugnisses aus dem Himmel ist!
Wenn aber das laut den Propheten und laut den vielen Wunderzeugnissen der Fall
ist?
Wenn es im Propheten heißt: ,Wer ist Der, so von Edom kommt, mit rötlichten
Kleidern von Bazra? Der so geschmückt ist in Seinen Kleidern und einhertritt in
Seiner großen Kraft? – Ich bin Es, der Gerechtigkeit lehrt und ein Meister bin
zu helfen!‘
Vater! – diese Worte hat das Kindlein gestern vor dir auf Sich bezogen! Wer ist
Es denn? Denn solches kann doch kein Mensch von sich sagen! – Gott aber gibt es
nur einen!
Wer ist demnach das Kindlein, das da spricht: ,Ich bin Es, der Gerechtigkeit
lehrt und ein Meister bin zu helfen!‘?“
Hier stutzte Joseph und sprach: „Fürwahr, mein Sohn Jakob, du hast recht; du
bist besser daran bei der Wiege – als ich hier in meinem Betwinkel!“
Bei diesen Worten trat, höchster Entzückung voll, die Eudokia aus ihrem Gemache,
schön wie eine Morgenröte, und fiel vor der Wiege nieder und betete das Kindlein
an.
Und als sie eine halbe Stunde da also betete, erhob sie sich und sprach: „Ja, –
ja, Du allein bist es, und außer Dir ist keiner mehr!
Ich habe heute nacht im Traume gesehen eine Sonne am Himmel, und die war leer
und hatte wenig Licht.
Dann aber ersah ich auf der Erde dies Kindlein, und Es glänzte wie tausend
Sonnen, und von Ihm aus ging ein mächtiger Strahl hin zu jener leeren Sonne und
erleuchtete sie durch und durch!
In diesem Strahle sah ich die Engel, die hier waren, auf- und abschweben, ihre
Zahl war endlos, aber ihre Angesichter waren unablässig auf das Kindlein
gerichtet! Ach, welch eine Herrlichkeit war das!“ –
Diese Erzählung brachte den Joseph ganz aus seinem Betwinkel, und er hielt nun
auch alles auf das Kindlein und betete oft an der Wiege.
161. Kapitel – Marias und Josephs Sorge wegen
der plötzlichen Stummheit des Kindleins. Ihre Zweifel an der Echtheit des
Kindes. Marias vergeblicher Versuch, mit dem wunderheilsamen Badewasser des
Kindleins einen Blinden zu heilen. „Wisset ihr nicht, daß man Gott nicht
versuchen solle?“ (Jakob). Die Heilung des Blinden auf inneres Geheiß des
Jesuskindleins durch Jakob.
8. März 1844
Bei dieser Gelegenheit erwachte auch die Maria, rieb sich den Schlaf aus den
Augen, stand sogleich auf und wusch sich und wechselte im Nebenkabinett das
Schlafkleid mit dem Tageskleide.
In kurzer Zeit kam sie ganz gereinigt wieder zurück, gleichend einem Engel des
Himmels, so schön, so gut, so fromm und so sorglich ergeben in den Willen des
Herrn!
Sie begrüßte den Joseph und küßte ihn, umarmte dann die Eudokia und küßte sie.
Nach dieser gar freundlichen Begrüßung, die den alten Joseph allzeit einige
Tränen der Freude kostete, kniete – sich im Herzen überaus demütigend – die
Maria voll Liebe zur Wiege nieder und gab betend dem Kindlein die Brust.
Nachdem das Kindlein gesogen hatte, ließ die Maria sogleich ein frisches Bad
bereiten und badete das Kindlein wie gewöhnlich.
Und das Kindlein strampelte munter im Badebecken herum und ließ fleißig Seine
unartikulierte Stimme hören.
Als das Kindlein gebadet war und getrocknet und wieder in frische Kleidchen und
Fußwindeln gesteckt,
da fragte die Maria das Kindlein, wie Es Sich befinde, ob Ihm wohltäten die
frischen Kleidchen.
Denn sie wußte ja, daß das Kindlein reden kann, und das göttlich weise; – aber
sie wußte nicht, und niemand außer dem Jakob wußte, daß das Kindlein Sich die
Zunge wieder gebunden hatte.
Daher befremdete sie alle, daß das Kindlein auf die Fragen der Maria keine
Antwort erteilte.
Maria bat darauf das Kindlein inständigst, daß Es doch nur ein wenig reden
möchte; aber das Kindlein trieb Seine Kinderstimme, und von einem Worte war
keine Rede mehr!
Das beunruhigte die Maria wie den Joseph, und sie gedachten, ob etwa die Engel
das Gottkind nicht bei der Nacht in den Himmel brachten und ließen dafür ein
ganz gewöhnliches Kind in der Wiege.
Denn der Glaube an die Auswechslung der Kinder war bei den Juden sehr gang und
gäbe.
Maria wie der Joseph betrachteten das Kindlein gar ängstlich, ob Es wohl noch
Dasselbe wäre,
konnten aber nicht die allerleiseste Unähnlichkeit entdecken, weder am Kopfe
noch irgend woanders.
Da sprach die Maria: „Hebet das Badewasser auf, und suchet einen Kranken, und
bringet ihn hierher;
denn bis jetzt hat dies Wasser stets eine wunderheilsame Kraft gehabt!
Wird der Kranke gesund, so haben wir noch unser Kindlein, und wird er nicht
gesund, so hat es Gott dem Herrn wohlgefallen, uns ein anderes Kind an die
Stelle des Seinen zu geben!“
Hier wollte Jakob reden; aber das Kindlein verbot es ihm wohlvernehmlich in
seinem Herzen, und er schwieg.
Joseph aber sandte sogleich den ältesten Sohn in die Stadt, daß er brächte einen
Kranken.
In anderthalb Stunden kam er mit einem Blinden, und Maria wusch ihm die Augen
mit dem Badewasser; aber der Blinde bekam nicht das Licht seiner Augen.
Diese Erscheinung machte die Maria, den Joseph, die vier Söhne und die Eudokia
traurig; nur Jakob blieb heiter und nahm das Kindlein und lockte Es.
Der Blinde aber murrte, weil er meinte, daß er nur gefoppt worden sei.
Joseph aber vertröstete ihn und versprach ihm die Verpflegung lebenslänglich als
Entschädigung für diese vermeintliche Fopperei. – Damit war der Blinde wieder
beruhigt.
Joseph aber bemerkte des Jakobs Heiterkeit und stellte sie ihm als eine Sünde
gegen ihn als Vater dar.
Jakob aber sprach: „Ich bin heiter, weil ich weiß, woran ich bin; ihr aber
trauert, weil ihr das nicht wisset! – Wisset ihr denn nicht, daß man Gott nicht
versuchen solle?“
Hier hauchte Jakob den Blinden an, und dieser ward sehend im Augenblick; alle
aber staunten nun den Jakob an und wußten nicht, wie sie daran waren.
162. Kapitel – Josephs Forschen nach dem
Ursprung der Heilkraft Jakobs. Jakobs Verhör durch Joseph. Josephs Zweifel.
Jakobs weise Erwiderung aus dem Herrn. Josephs Erstaunen über die Weisheit
seines Sohnes.
9. März 1844
Nach einer Weile trat Joseph näher hin zum Jakob und fragte ihn, woher in seinem
Hauche solche Kraft käme.
Und der Jakob sprach: „Lieber Vater! – ich habe in mir eine Stimme vernommen,
die zu mir sprach:
,Hauche dem Blinden ins Angesicht, und er wird sein Gesicht wohlleuchtend wieder
erhalten!‘
Und siehe, ich glaubte fest dieser Stimme in mir, tat nach ihrem Worte, und der
Blinde ist sehend!“
Und der Joseph sprach: „Das wird also sein, wie du nun geredet hast;
aber von woher kam die mächtige Stimme in dich, wie vernahmst du sie?“
Und der examinierte Jakob sprach: „Lieber Vater! – siehst du denn nicht Den, der
nun auf meinen Armen spielt mit meinen Locken?
Ich glaube, Dieser ist es, der in mir zu mir solches wunderbar geredet hatte!“
Und der Joseph fragte den Jakob weiter und sprach:
„Hältst du das Kindlein wohl für das echte noch? Meinst du nicht, daß Es uns
ausgewechselt worden wäre?!“
Und der Jakob sprach: „Wer oder welche Macht sollte wohl imstande sein, den
Allmächtigen auszutauschen?
Fielen doch die Engel allzeit auf ihr Angesicht, wenn das Kindlein
wunderbarlichst redete, – wie sollten sie da an Ihm, dem Allmächtigen, also
handeln können? – !
Ich halte sonach das Kindlein für das erste und echte so gewiß und wahr, wie
gewiß und wahr ich noch nie an eine Auswechslung der Kindlein geglaubt habe!“
Und der Joseph sprach: „Mein lieber Sohn, du hast hier mir einen nicht sehr
festen Beweis deines Glaubens gegeben;
denn siehe, also spricht David selbst, indem er sagt: ,Warum toben die Heiden,
und die Leute reden so vergeblich?
Die Könige im Lande lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen miteinander
wider den Herrn und Seinen Gesalbten und sprechen:
Lasset uns zerreißen des Bande und von uns werfen seinen Strick!‘
Siehe, mein Sohn, diese Worte sind geistig, und die Könige sind die Mächte, und
das Land ist das große Reich der unsichtbaren Mächte! – Was aber führen diese im
Sinne, wovon reden sie?
Ist darin nicht die Möglichkeit angezeigt, daß sie auch ihre Hände an den Herrn
legen können?!“
Und der Jakob sprach: „Allerdings, wenn es der Herr zulassen würde!
Aber es heißt ja schon im Anfange dieses Gesanges fragend: ,Warum toben die
Heiden, und warum reden die Leute so vergeblich?‘
Will David damit nicht etwa die Unzulänglichkeit solcher Mächte wider den Herrn
bezeichnen?!
Weiter unten aber heißt es ja ausdrücklich: ,Aber Der im Himmel wohnt, lachet
ihrer und spottet ihrer!
Er wird einst reden mit ihnen in Seinem Zorne, und mit Seinem Grimme wird Er sie
schrecken!‘
Lieber Vater! Ich meine, diese zwei Strophen des großen Gottessängers
rechtfertigen zur Genüge meinen Glauben!
Denn sie geben mir zur Genüge kund, daß der Herr allzeit ein Herr bleibt und an
Ihm keine Auswechslung ausgeübt werden kann!“
Joseph erstaunte über die Weisheit seines Sohnes und ging mit dem ganzen Hause
wieder zur Annahme des echten Kindleins zurück und lobte und pries Gott darum. –
–
163. Kapitel – Die Arbeiten der Söhne Josephs.
Marias Kunstfertigkeit. Eudokias Fleiß. Die Ankunft der acht Kinder von Tyrus.
Josephs edle Botschaft an Cyrenius. Maria als Lehrerin der acht Kinder.
11. März 1844
Auf diese Weise war nun alles wieder in der alten guten Ordnung im Hause
Josephs.
Joseph und seine Söhne machten allerlei kleine Holzgerätschaften und verkauften
diese an die Bewohner der Stadt um billige Preise;
und das taten sie natürlich neben ihrer sonstigen Hausarbeit.
Maria und die Eudokia aber besorgten das Häusliche und machten Kleider und
manchmal auch zierliche Arbeiten für reiche Familien der Stadt.
Denn Maria war sehr geschickt in aller Kunstspinnerei und strickte ganze
Kleider;
die Eudokia aber war eine gute Näherin und wußte mit der Nadel wohl umzugehen.
Und so verdiente sich die Familie stets das Nötige und hatte so viel, um im
Notfalle auch andern Armen beizustehen. –
In einem Vierteljahr erst kamen die acht Kinder von Tyrus an – natürlich
geleitet von verläßlichen Freunden des Cyrenius –
und brachten ein mächtiges Kostgeld mit, welches in achthundert Pfunden Goldes
bestand.
Joseph aber sprach: „Die Kinder nehme ich wohl, aber das Gold nehme ich nicht;
denn darauf liegt des Herrn Fluch!
Nehmet es daher nur wieder mit, und gebet es dem Cyrenius, er wird schon wissen,
warum ich es nicht annehmen kann und darf!
Überbringet ihm aber meinen Segen und meinen Gruß,
und saget ihm, daß ich ihn im Geiste begleitet habe auf seiner Heimreise und war
Zeuge von allem, was ihm begegnet ist,
und habe ihn gesegnet allzeit, wo ihm eine Gefahr drohte!
Wegen des Verlustes der drei Tiere auf der Insel Kreta solle er sich nicht
ängstigen; denn also hatte es der Herr, den er kennt, gewollt!“
Darauf segnete Joseph die Freunde des Cyrenius und übernahm mit großer Freude
die acht Kinder, die sich sogleich überaus heimisch fühlten im Hause Josephs.
Darauf nahmen die Freunde des Cyrenius das Gold wieder und begaben sich schnell
wieder nach Tyrus zurück.
Joseph aber pries Gott für die Zugabe dieser Kinder, segnete sie und übergab sie
der Leitung Mariens, die eine Hauptschulmeisterin war, indem sie im Tempel in
allem möglichen unterrichtet ward.
Und die Kinder lernten griechisch, hebräisch und auch römisch lesen und
schreiben.
Denn diese drei Sprachen mußte in der Zeit fast jeder Mensch reden und im
Notfalle auch schreiben können. (Anmerkung. Die römische Sprache aber war damals
ungefähr das, was heute die gallische ist, und durfte nicht fehlen bei einer
besseren Erziehung.)
164. Kapitel – Ein ruhiges Jahr im Hause
Josephs. Die wunderbare Heilung des besessenen Knaben der Mohrenfamilie durch
Jakob auf Geheiß des Jesuskindes.
12. März 1844
Von dieser Periode an ging es im Hause Josephs ganz ruhig zu und ereignete sich
nichts Wunderbares.
Und dieser ruhige Zustand dauerte ein volles Jahr, da das Kindlein schon Selbst
gehen konnte und auch reden und spielen mit den andern acht Kindern.
In dieser Zeit kam eine Mohrenfamilie, die ein sehr krankes Kind hatte, ins Haus
des Joseph.
Denn diese Familie hatte in der Stadt gehört, daß sich in diesem Hause ein
Wunderarzt befinde, der alle Krankheiten heile.
Das kranke Kind war ein Knabe von zehn Jahren und ward von einem bösen Geiste
gar jämmerlich gequält.
Der Geist ließ dem Knaben Tag und Nacht keine Ruhe, warf ihn hin und her, trieb
ihm den Bauch auf und bereitete ihm dadurch unerträgliche Schmerzen.
Bald wieder trieb er ihn ins Wasser und bald ins Feuer.
Als aber dieser Geist sich im Hause Josephs befand, da ward er ruhig und rührte
sich nicht.
Joseph aber fragte den Vater des Knaben, der Griechisch verstand, was es mit dem
Knaben für eine Bewandtnis habe.
Und der Vater erzählte dem Joseph alles getreuest, was sich nur immer mit dem
Knaben zugetragen hatte vom Anbeginne.
Darauf berief Joseph den Jakob, der sich wie gewöhnlich als ein sechzehnjähriger
Jüngling mit dem Kindlein beschäftigte, und gab ihm die Not dieser Mohrenfamilie
kund.
Jakob aber wandte sich an das Kindlein und herzete Es und redete in seinem
Herzen mit Ihm.
Das Kindlein aber sprach ganz laut in hebräischer Sprache:
„Mein Bruder! Meine Zeit ist noch lange nicht da; aber gehe du hin zu dem
kranken Knaben, des Geschlecht das Zeichen Kains trägt!
Rühre ihn mit dem Zeigefinger der linken Hand an der Brustgrube an, und sobald
wird der böse Geist für immer entweichen aus dem Knaben!“
Und der Jakob ging sobald hin und tat, wie ihm das Kindlein befohlen hatte.
Da riß der böse Geist den Knaben zum letzten Male und schrie:
„Was willst du Schrecklicher denn mit mir? Wohin solle ich nun ziehen, da du
mich vor der Zeit aus meiner Wohnung treibst?!“
Und der Jakob sprach: „Der Herr will es! – Nicht ferne ist das Meer; wo es am
tiefsten ist, da sollest du wohnen im Grunde, und der Schlamm solle deine
Wohnstätte sein fürder, Amen!“
Hier verließ der Geist den Knaben, und der Knabe ward gesund im Augenblicke.
Darauf wollte die Familie den Joseph belohnen; Joseph aber nahm nichts an und
entließ die Familie wieder im Frieden und lobte Gott für diese Wunderheilung an
diesem Knaben.
165. Kapitel – Die einhalbjährige Wunderpause.
Jesus als munteres Knäblein. Ein Besuch Jakobs beim Fischer Jonatha.
Christophorus oder des Kindleins Weltenschwere. Die Heimkehr in Begleitung
Jonathas.
13. März 1844
Von dieser Geschichte an verging wieder ein halbes Jahr in voller Ruhe und
geschah nichts Wunderbares.
Denn das Kindlein vermied durch Seine innere Kraft sorglichst alles, was zu
irgendeiner Wundertat hätte einen Anlaß geben können.
Es war munter und spielte mit den andern Kindern, wenn diese Zeit hatten;
sonst aber ging Es am liebsten mit dem Jakob herum und plauderte mit ihm, wenn
sie allein waren, ganz gescheit.
Aber mit den andern Kindern plauderte Es ganz wie andere Kinder in dem Alter von
zwei Jahren.
Es lebte aber in der Gegend ein ausgewanderter Jude und betrieb die Fischerei im
nahen Meere und lebte von diesem Erwerbe.
Dieser Jude aber war sehr groß von Gestalt und war riesenhaft stark.
An einem Vorsabbate morgens bald nach dem Frühstücke nahm Jakob das Kindlein und
ging mit der Erlaubnis Josephs zu diesem Juden, der geraden Weges eine gute
Stunde vom Hause Josephs entfernt war.
Das aber tat Jakob, weil ihn dieser Jude schon öfter eingeladen hatte, und weil
es ihm das Kindlein geboten hatte heimlich.
Als Jakob mit dem Kindlein nun ins Haus des Fischers kam, da war dieser
hocherfreut und setzte dem Jakob sogleich einen gut zubereiteten Fisch vor.
Und Jakob aß davon nach seiner Lust und gab ganz ausgesuchte kleine Stückchen
auch seinem kleinen Brüderchen zum Verkosten.
Und das Kindlein verzehrte auch mit sichtlichem Appetite die kleinen Portionen,
die Ihm der Jakob in den Mund steckte.
Das freute den Fischer so sehr, daß er darob unwillkürlich zu Tränen gerührt
wurde.
Jakob aber wollte sich bald wieder nach Hause begeben;
der Fischer aber bat ihn inständigst, daß er den Tag über bei ihm verbleiben
möchte.
„Am Abende aber“, sprach er, „will ich dich samt dem allerliebsten kleinen
Bruder nach Hause tragen!
Denn siehe, du hattest wohl bei anderthalb Stunden zu tun gehabt, weil du diesen
Meeresarm, der durchaus sehr seicht ist, umgehen mußtest!
Ich aber messe fast zwei Klafter; das Wasser geht mir kaum bis zum Leibe, da es
am tiefsten ist!
Ich nehme dich dann samt dem Kinde auf meinen Arm, wate mit euch durch den
Meeresarm und bringe euch dann leicht mit noch einer guten Portion von frischen
besten Fischen in einer kleinen Viertelstunde nach Hause!“
Hier sprach das Kindlein: „Jonatha! Dein Wille ist gut; aber wenn Ich dir mit
Meinem Bruder nur etwa nicht zu schwer werde?“
Und der Jonatha lächelte und sprach: „O du mein liebes Kindlein, so ihr
hundertmal so schwer wäret, als ihr seid, so könnte ich euch noch gar leicht
ertragen!“
Und das Kindlein sprach: „Jonatha, da kommt es nur auf eine Probe an; versuche
Mich allein über den Arm, der kaum fünfzig Klafter breit ist, hin und her zu
tragen, und es wird sich zeigen, wie es mit deiner Stärke für uns beide
aussieht! – ?“
Jonatha ging sogleich in diese Probe, nahm mit der Einwilligung Jakobs das
Kindlein auf seinen Arm und watete mit Ihm den Arm des Meeres durch.
Hinüber ging es leidlich, obschon Jonatha sich über die Schwere des Kindleins
hoch verwunderte.
Im Zurücktragen aber ward das Kindlein so schwer, daß Jonatha es für nötig fand,
einen starken Balken zu nehmen, um, sich auf denselben stützend, das Kindlein
mit der genauesten Not von der Welt ans Ufer zu bringen.
Als er da ankam, setzte er sobald das Kindlein ans Ufer, da der Jakob wartete,
und sprach: „Um Jehovas willen, was ist das? Schwerer als dies Kind kann die
ganze Welt nicht sein! – ?“
Und das Kindlein sprach lächelnd: „Das sicher; denn du hast jetzt auch bei
weitem mehr getragen, als was die ganze Welt ausmacht!“
Jonatha aber, sich kaum erholend, fragte: „Wie solle ich das nehmen?“
Jakob aber sprach: „Lieber Jonatha, nehme du die Fische, und begleite uns
trocknen Weges nach unserer Heimat, und bleibe die Nacht bei uns; morgen solle
dir darin ein Licht werden!“
Darauf nahm Jonatha drei Lägel der besten Fische und begleitete die beiden noch
vormittags nach Hause zum Joseph, der ihn mit viel Freuden aufnahm, denn sie
waren von Jugend auf Schulfreunde gewesen.
166. Kapitel – Jonatha bei seinem Jugendfreund
Joseph. Jonathas Erzählung und Frage nach dem sonderbaren Kinde Josephs. Josephs
Bericht über das Kind. Jonathas Demut und Liebe zum Kinde und sein Gebet.
14. März 1844
Jonatha übergab dem Joseph die drei Lägel Fische, mit denen er ihm eine große
Freude machte; denn Joseph war ein großer Freund von Fischen.
Darauf sagte er zum Joseph: „Mein geliebtester Jugendfreund, sage mir doch, was
du für ein Kind hast!
Fürwahr, es kann höchstens zwei bis drei Jahre alt sein, und es spricht so
gescheit, als wäre es ein erwachsener Mann!
Und – siehe, – ich, – der ich doch zwei Ochsen unter meinen Armen, wie du zwei
Lämmer, tragen kann, – wollte den Jakob mit dem Kindlein den ganzen Tag über bei
mir behalten und wollte sie abends, den Meeresarm durchwatend, zu dir nach Hause
bringen!
Als ich solchen meinen Wunsch aber dem Jakob kundgab, da redete mich das
Kindlein an und sprach zu meinem nicht geringen Erstaunen:
,Jonatha, dein Wille ist gut; aber so wir dir nur etwa nicht zu schwer werden?!‘
Daß ich ob dieser kindlich besorglichen Frage beim Bewußtsein meiner Kraft
lächeln mußte, das versteht sich von selbst!
Aber das Kindlein sprach darauf, es komme da nur auf eine Probe an; ich solle
versuchen, es allein durch den Meeresarm hin und her zu tragen, um mich zu
überzeugen, ob es mir nicht zu schwer werden möchte!
Mit der Einwilligung Jakobs nahm ich das Kindlein auf meinen Arm und trug es
durchs Wasser.
Hinüber war es noch erträglich; aber zurück mußte ich einen Stock nehmen, auf
den ich mich stützte, und gelangte nur mit der genauesten Not von der Welt an
das andere Ufer.
Denn fürwahr, du, lieber Freund, kannst mir's glauben, das Kind ward so
entsetzlich schwer, daß ich gerade glaubte, eine Weltenlast liege auf meinen
Armen!
Als ich das Ufer erreichte, das Kindlein schnell dem Jakob übergab und mich ein
wenig erholte,
da fragte ich den Jakob, was denn das wäre – wie sei dies Kind schwerer als eine
Welt?
Da sprach das Kindlein unaufgefordert wieder,
ich hätte nun mehr getragen, als so ich getragen hätte eine ganze Welt!
Freund, von dem allen ist dein Jakob Zeuge gewesen! – Nun frage ich dich darum
und sage:
Was um Jehovas willen hast du denn für ein Kind? Fürwahr, da kann es nicht
natürlicher Dinge sein!“
Und der Joseph sprach zu Jonatha: „Wenn du schweigen könntest wie eine Mauer –
ansonsten dein Leben in große Gefahr käme –, da möchte ich dir, meinem alten
allerbiedersten Freunde, wohl etwas erzählen!“
Und der Jonatha schwor und sprach: „Bei Gott und allen Himmeln! – ich will
tausendmal sterben im Feuer, so ich dich je mit einer Silbe verrate!“
Da nahm ihn Joseph mit sich auf seinen Lieblingshügel und erzählte ihm den
ganzen Hergang der Sache des Kindleins, von der Jonatha vorher noch keine Silbe
wußte.
Jonatha aber, als er solches in kurz gefaßter Darstellung vernommen hatte, fiel
auf seine Knie nieder und betete vom Hügel aus das Kindlein an, das soeben
inmitten der acht andern Kinder Sich herumtummelte,
und sprach am Ende seines langen Gebetes: „O du Seligkeit der Seligkeiten! Mein
Gott, mein Schöpfer hat mich besucht! Ich habe Ihn, der alle Welt und alle
Himmel trägt, auf meinen Armen getragen!? – O du endlose Gnade der Gnade! O du
Erde, bist du wohl wert solcher Gnade!? – Ja, jetzt verstehe ich die Worte des
Gottkindes: ,Mehr als eine Welt – hast du getragen!‘“ – Darauf verstummte
Jonatha und konnte vor Entzückung eine Stunde kein Wort aus seinem Munde
bringen.
167. Kapitel – Josephs gastliche Einladung an
Jonatha. Jonathas Bedenken und Sündenbekenntnis. Josephs Rat. Des Kindleins
Lieblingsspeise: das Herz Jonathas. Jesu Zeugnis über Jonatha.
15. März 1844
Als der Jonatha seine Andacht auf solche lebendige Weise verrichtet hatte, da
sprach Joseph zu ihm:
„Mein geliebter Freund, du wohnst allein mit deinen drei Gehilfen in deiner
Hütte.
Heute am Vorsabbate wirst du ohnehin keine Fische mehr fangen; darum bleibe
heute bei mir, desgleichen auch über den morgigen Sabbat!“
Und der Jonatha sprach: „Ja, mein Freund und Bruder, wenn das Gottkind nicht
wäre, da möchte ich wohl bei dir verbleiben;
aber siehe, ich bin ein sündiger Mensch und bin unrein in allen meinen Teilen
und Gliedern!
Denn ich habe, seit ich unter den Heiden lebe, kaum mehr an die Satzungen Mosis
gedacht und lebte mehr heidnisch als jüdisch.
Und so kann ich da wohl nicht verbleiben, da selbst der Allerheiligste wohnet!“
Und der Joseph sprach: „Bruder, dein Grund ist gut; aber bei mir wird er nicht
angenommen!
Denn siehe, der Herr, der sogar gegen alle Heiden Sich so gnädig bezeigt, wird
Sich zu dir sicher noch gnädiger bezeigen, indem du ein reuiger Jude bist!
Du brauchst Ihn nur zu lieben und kannst rechnen, daß dich auch der Herr lieben
wird über die Maßen!
Denn siehe, die acht Kinder und die Eudokia sind Heiden, und dennoch geht das
Kindlein mit ihnen herum und hat sie lieb über die Maßen!
Also wird Es auch dich gar liebreichst aufnehmen und wird Sich mit dir wie mit
Seinem besten Freunde abgeben!“
Auf diese Rede faßte Jonatha Mut und begab sich mit Joseph wieder vom Hügel
hinab in die Wohnung, allwo schon lange das Mittagsmahl bereitet war.
Joseph berief nun alles zum Tische. Die Maria nahm das Kindlein und setzte sich
auch neben dem Joseph, wie gewöhnlich, zum Tische.
Das Kindlein aber wollte nicht die für Ihn bereitete Milchspeise genießen.
Und Maria ward ängstlich darob, denn sie meinte, es müsse dem Kindlein etwas
fehlen.
Das Kindlein aber sprach: „Warum ängstigest du dich denn Meinetwegen?
Siehe, der Jonatha hat Mir eine bessere Speise gebracht; diese werde Ich essen,
und diese wird Mich wahrhaft sättigen!“
Maria aber verstand hier sogleich die Fische, die zuletzt auf den Tisch gesetzt
wurden.
Das Kindlein aber sprach: „Maria, du hast Mich nicht verstanden!
Denn die Fische meine Ich nicht, obschon sie natürlich besser schmecken als
diese gestrige Milch, die da schon topfig ist, und die Joel nahm statt einer
frischen, um ein Mus zu kochen für Mich.
Aber die große Demut und die große Liebe seines Herzens (des Jonatha nämlich),
die er Mir schon öfter bezeigte, ohne Mich zu kennen – diese meine Ich!
Ich sage dir, du Maria, Jonatha ist ein starker Mensch in seinen Gliedern, aber
die Liebe seines Herzens ist noch viel stärker!
Und diese seine Liebe zu Mir ist die gar kräftige Kost, die Mich nun sättiget! –
Doch aber werde Ich auch von seinen Fischen essen; aber das saure Mus mag Ich
nicht!“ – Darob ward aber Jonatha so erfreut, daß er laut zu weinen anfing.
168. Kapitel – Das von Joel schlecht bereitete
Mus. Marias und Josephs Rüge. Des Kindleins Nachsicht mit Joel. Erziehungswinke.
16. März 1844
Nun kostete erst die Maria das Mus, das der Joel fürs Kindlein bereitet hatte,
und fand es im Ernste etwas sauer und kleingrießartig topfig.
Da berief sie sobald den Joel, der sich noch ganz geschäftig in der Küche mit
dem Braten der Fische abgab.
Als dieser kam, sagte die Mutter voll Ernstes: „Joel! da verkoste einmal das
Mus!
Hast du denn gar so wenig Achtung vor dem Kinde, vor dem Vater Joseph und vor
mir, dem getreuen Weibe deines Vaters, daß du mir solches antun magst?!
Haben denn unsere Kühe und Ziegen keine frische Milch mehr im Euter?
Warum nahmst du eine gestrige, schon sauer gewordene, die man wohl kalt genießen
kann, so man durstig ist, aber nicht gekocht, da sie schädlich ist ganz
besonders den Kindern?!“
Hier kostete auch der Joseph das Mus und wollte schon ein kleines Donnerwetter
über den Joel senden.
Aber das Kindlein richtete Sich auf und sprach: „O ihr Menschen ihr! – Warum
wollt ihr denn Mich überall überbieten?!
Ist denn nicht genug, was Ich über den Joel bemerkte? Warum wollt ihr ihn denn
nach Mir völlig richten?
Meinet ihr, Ich habe ein Wohlgefallen an solcher eurer Strenge? – O nein! – Mir
gefällt allein nur die Liebe, Sanftmut und die Geduld!
Joel hat sich durch seine Unachtsamkeit allerdings strafbar gemacht,
darum Ich ihn aber auch durch Meine tadelnde Bemerkung sogleich gestraft habe!
Diese Strafe ist aber hinreichend; wozu da noch eine weitere Rüge und ein
Donnerwetter obendrauf?
Es tut wohl jeder Vater recht, so er die kleinen unartigen Kinder mit der Rute
bestraft, aber den erwachsenen Söhnen solle er stets ein weiser und sanfter
Lehrer sein!
Nur so ein Sohn sich auflehnete gegen den Vater, dem solle gedroht werden!
Bekehrt er sich da, so solle er wieder in den alten Frieden gesetzt werden;
bekehrt er sich aber nicht, da solle er verstoßen und vom Hause des Vaters und
aus seinem Vaterlande getrieben werden!
Joel aber hat ja nichts verbrochen; nur die Lust zu den Fischen gestattete ihm
nicht so viel Zeit, daß er eine Ziege gemolken hätte!
Von nun an aber wird er das auch sicher nimmer tun; darum sei ihm auch alles
vergeben!“
Darauf berief das Kindlein den Joel zu Sich und sprach: „Joel! – wenn du Mich
liebst, wie Ich dich liebe, so bereite in Zukunft deinem Vater und deiner Mutter
keinen solchen Kummer mehr!“
Joel aber fing vor Rührung an zu weinen und fiel auf seine Knie nieder und bat
das Kindlein, die Maria und den Joseph um Vergebung.
Und der Joseph sprach: „Stehe nur auf, mein Sohn, was dir der Herr vergibt, das
sei dir auch von mir und der Mutter vergeben!
Gehe aber nun und sehe nach, was die Fische machen!“
Und das Kindlein sagte ebenfalls hurtig dazu: „Ja, ja, gehe nur, sonst werden
die Fische überbraten, da sie dann nicht gut wären; denn Ich will ja Selbst
davon essen!“
Diese Besorglichkeit gefiel den andern acht Kindern so gut, daß sie aus Freude
laut lachten.
Das Kindlein aber lachte Selbst recht herzlich mit und brachte in die ganze
Tischgesellschaft eine recht heitere Stimmung, und Jonathas Augen waren voll
entzückter Freudentränen.
169. Kapitel – Das Fischessen. Die Mahnung des
unbedienten Jesuskindleins an Joseph und dessen abschlägige Antwort. Des
Jesuskindleins gewichtige Erwiderung und Voraussage über die Vergöttlichung der
Maria. Die Segensworte des demütigen Kindleins.
18. März 1844
In kurzer Zeit brachte Joel auf einem Roste die gebratenen Fische herein und
setzte sie auf den Tisch.
Joseph legte sogleich einem jeden eine gute Portion vor und vergaß auch sich
nicht;
aber dem Kindlein legte er natürlich keine Portion vor, denn das ward ja ohnehin
von der Mutter beteiligt.
Das Kindlein aber war diesmal damit nicht zufrieden, sondern begehrte auch eine
ganze Portion.
Da sprach der Joseph: „Aber Du mein allerliebstes Söhnchen, Du mein Jesus, das
wäre wohl viel zuviel für Dich!
Fürs erste könntest Du es ja unmöglich alles essen, und fürs zweite, wenn Du es
verzehretest, würde es Dich krank machen!
Siehst Du aber nicht, daß ich darum der Mutter ja ohnehin eine größere Portion
vorgelegt habe, weil sie Dich zu versorgen hat?!
Daher sei nur ganz ruhig, mein Söhnchen; denn Du wirst nicht zu kurz kommen!“
Und das Kindlein sprach: „Das weiß Ich wohl – und noch so manches, was du nicht
weißt!
Aber schicklich wäre es doch gewesen, wenn du auch dem Herrn eine ganze Portion
gegeben hättest!
Weißt du wohl, wer Melchisedek, der König von Salem war? – Du weißt es nicht!
Ich aber weiß es und sage es dir: Der König von Salem war der Herr Selbst; aber
außer Abraham durfte es niemand ahnen!
Darum verneigte sich Abraham bis zum Erdboden vor Ihm und gab Ihm freiwillig von
allem den zehnten Teil.
Joseph! – Ich bin derselbe Melchisedek, und du bist gleich dem Abraham!
Warum willst denn du Mir nicht den Zehnten geben von diesen guten Fischen?
Warum bescheidest du Mich auf die Mutter? – Wer wohl hat den Fisch wie das Meer
gemacht? War es Maria – oder Ich, ein König von Salem von Ewigkeit?!
Siehe, Ich bin hier in Meinem Eigentume von Ewigkeit, und du willst Mir nicht
einmal eine ganze Portion Fisches vorsetzen? – Das sieht doch rar aus!
Darum aber wird es auch kommen, daß einst die Menschen Meiner Leibesmutter bei
weitem größere Portionen vorsetzen werden denn Mir.
Und Ich werde auf das passen müssen, was der Mutter vorgesetzt wird, und da wird
ferne sein die Ordnung Melchisedeks!“
Joseph aber wußte nicht, was er darauf sagen solle. Er teilte aber sobald seinen
Teil und setzte die größere Hälfte dem Kindlein vor.
Das Kindlein aber sprach: „Wer Mir etwas gibt und behält einen Teil für sich,
der kennt Mich nicht!
Wer Mir geben will, der gebe Mir alles, sonst nehme Ich es nicht an!“
Hier schob Joseph auch noch freudigst seinen Teil vor das Kindlein.
Das Kindlein aber hob Seine Rechte und segnete die zwei Teile und sprach:
„Wer das Ganze Mir gibt, der gewinnt hundertfach! Nehme den Fisch wieder vor
dich, Joseph, und esse! Was dir überbleiben wird, das erst gebe Mir!“
Hier nahm Joseph den Fisch wieder und aß viel davon. Als er aber nimmer essen
konnte, da blieb noch so viel übrig, daß es für zwölf Personen genug gewesen
wäre. Und das Kindlein aß dann von dem Übriggebliebenen.
170. Kapitel – Jonathas Frage nach Josephs
innerer Stellung zum Kindlein und Josephs Erwiderung.
20. März 1844
Nach dieser Tischszene, die den Jonatha viele Freuden- und auch Reuetränen
gekostet hatte, sagte eben der Jonatha zum Joseph:
„Joseph, du mein alter Jugendfreund, sage mir doch so ganz aufrichtig – wie
unendlich glücklich fühlst du dich denn, wenn du die Größe deiner Berufung
überdenkst?!
Was empfindest du, wenn du das Kindlein ansiehst und dein lebendig glaubend Herz
sagt es dir: ,Siehe, das Kindlein ist Gott Jehova Zebaoth!
Der mit Adam redete, mit Henoch, mit Noah, mit Abraham, Isaak und Jakob;
Der unsere Väter aus dieses Landes harter Not erlöste durch Moses und gab Selbst
das Gesetz in der Wüste;
und ernährte durch vierzig Jahre das große Volk in der Wüste, in der nichts als
nur hie und da ein Dornstrauch und eine Distel erwächst;
Der durch den Mund der Heiligen und Propheten geredet hat!‘?
O Joseph, sage, sage es mir! – was empfindest du da, was in solcher Gegenwart
Dessen, der Himmel und Erde gegründet hat?!
Ja, der die Engel erschuf und machte das erste Menschenpaar und belebte es mit
Seinem ewig lebendigen Odem!
Oder – sage! – ist es dir, wenn du das überdenkst, wohl möglich zu reden?
Bindet die Anschauung des Kindes dir nicht schon also deine Zunge, daß du aus zu
großer Ehrfurcht vor Dem, der ewig war, schweigen mußt?“
Und der Joseph erwiderte dem Jonatha: „Du hast recht, daß du mich also fragst;
aber denke selbst nach, – was solle ich machen?! Es ist nun einmal also, und ich
muß das Allerhöchste also ertragen, als wäre es etwas Niederes; sonst könnte ich
ja unmöglich bestehen!
Siehe, Gott ist einmal Gott, und wir sind Seine Geschöpfe! – Er ist Alles, und
wir alle sind nichts!
Dieses Verhältnis ist gerechnet richtig. Kannst du aber selbst durch deinen
allerhöchsten Gedankenflug an diesem Verhältnisse etwas ändern?
Siehe, daher ist dein Gefrage eitel! Möchte ich auch ein Herz haben, so groß die
Erde ist, und einen Kopf so groß wie der Himmel, und möchte da Gefühle und
Gedanken ziehen, vor denen alle Engel erbeben möchten, –
sage, welchen Dienst würde ich dadurch Dem erweisen, der die ganze
Unendlichkeit, wie ich ein Sandkörnchen, in Seiner Rechten trägt?!
Werde ich dadurch mehr Mensch und Gott weniger Gott sein?!
Siehe, darum ist deine Frage eitel! – Alles, was ich tun kann, ist, daß ich das
Kindlein liebe aus allen meinen Kräften und erweise Ihm den nötigen Dienst, den
Es von mir verlangt!
Alles andere Großgedankenwerk aber lasse ich aus dem Grunde beiseite, weil ich
wohl weiß, daß mein erhabenster und größter Gedanke gegen die Größe Gottes ein
barstes prahlerisches Nichts ist!“
Diese Antwort brachte den Jonatha auf ganz andere Gedanken, und er setzte
hernach dem Joseph keine solchen Fragen mehr.
171. Kapitel – Der Abend auf dem
Lieblingshügel Josephs. Jakob beim Füttern des kleinen Jesus mit Butterbrot und
Honig. Die Fliegen in dem Honigtöpfchen. Jesu tiefweise Worte über Isaias Kap.
7,15.
21. März 1844
Gegen den Abend dieses Tages, der – wie schon bekanntgegeben – ein Vorsabbat
war, aber nahm Jakob das Kindlein und ging auf den Lieblingshügel Josephs.
Und Joseph und der Jonatha folgten bald dem Beispiele Jakobs und begaben sich
auch auf den Hügel.
Jakob aber nahm, wie gewöhnlich, fürs Kindlein etwas Butter und Honig in einem
kleinen Töpfchen mit sich und ein Stückchen Weizenbrotes,
davon er dem Kindlein öfter eine kleine Portion in den Mund steckte; denn das
Kindlein aß am liebsten ein Stückchen Honig-und-Butterbrotes.
Als aber Jakob sein Töpfchen auf ein Bänkchen hinsetzte und sich mit dem
Kindlein munter im Grase des sanften Hügels herumtrieb,
da besuchten sobald einige Bienen und Fliegen das Töpfchen und schmausten nach
Lust an dem süßen Inhalte.
Da aber Joseph solches merkte, so sagte er zum Jakob: „Gehe und decke doch das
Töpfchen mit etwas zu, sonst wird sein Inhalt bald von Fliegen und Bienen
verzehret sein!“
Und der Jakob kam schnell mit dem Kindlein herzu und wollte diese Gäste aus dem
Töpfchen verscheuchen; aber sie gehorchten ihm nicht.
Da sprach das Kindlein: „Jakob, gib Mir das Töpfchen, und Ich werde sehen, ob
sich die Fliege und die Biene auch vor Mir ungehorsam bezeigen wird!“
Hier gab Jakob dem Kindlein das Töpfchen in die Hände, und das Kindlein zischte
mit einem dreimaligen Kscht – Kscht – Kscht – in das Töpfchen, und im
Augenblicke verloren sich die Fliegen und die Bienen.
Darauf gab Jakob dem Kindlein ein Stückchen Butter-und-Honigbrotes, und das
Kindlein nahm es und verzehrte es zufrieden.
Jonatha aber, der zuvor mit dem Joseph allerlei aus der Zeichenweisheit Ägyptens
sprach, bemerkte diese Handlung, die sehr geringfügig zu sein schien, und fragte
den Joseph, ob darin auch irgendeine tiefweise Bedeutung läge?
Und der Joseph erwiderte ihm: „Das meine ich eben nicht; denn nicht in gar jeder
kleinlichen Handlung liegt eine verborgene Weisheit.
Sooft jemand Butter und Honig frei stellt, da werden sich immer Fliegen und
Bienen einfinden und davon zehren!
Man könnte diese Erscheinung, wie tausend andere, wohl bei guten Gelegenheiten
gleichnisweise gebrauchen, – aber an und für sich ist diese Handlung leer!“
Das Kindlein aber lief hier zum Joseph und sprach ganz munter:
„Mein liebster Joseph, diesmal hast du einen Hieb ins Blaue gemacht!
Wie liesest du im Isaias? Steht es nicht also von Mir geschrieben: ,Butter und
Honig wird Er essen, daß Er wisse, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen.
Ehe aber der Knabe lernt, das Böse zu verwerfen und das Gute zu erwählen, wird
das Land, davor dir graut, verlassen sein von seinen zwei Königen.
Der Herr aber wird über dich, über dein Volk und über deines Vaters Haus Tage
kommen lassen, die nicht da waren seit der Zeit, da Ephraim von Juda ist durch
den König von Assyrien getrennt worden!
Denn zur Zeit wird der Herr zischen der Fliege am Ende der Wasser in Ägypten und
der Biene im Lande Assur!‘
Siehe Joseph! – was in den Worten des Propheten liegt, das liegt auch in dieser
Handlung;
aber die Zeit der Enthüllung ist noch nicht da, obschon nimmer ferne!
Kennst du aber den Sohn der Prophetin, der da hieß ,Raubebald, Eilebeute‘?
Kennst du den Sohn, den eine Jungfrau gebären wird und wird Ihn heißen
,Immanuel‘!?
Siehe, das alles bin Ich! – Aber eher wirst du das nicht völlig fassen, bis Ich
als der ,Raubebald‘, ,Eilebeute‘ und als ,Immanuel‘ von der Höhe Vater und
Mutter rufen werde!“
Hier lief das Kindlein wieder dem Jakob zu. Joseph und Jonatha aber sahen
einander groß an und konnten sich nicht genug verwundern über die Worte des
Kindleins und über das merkwürdige bildliche Zusammentreffen der vorigen Aktion
mit den Worten des Propheten. – –
172. Kapitel – Jonathas übertriebene Ehrfurcht
und Demut vor dem Jesusknäblein. Josephs guter Rat und des Kindleins liebevoller
Zuspruch. Jonathas Bleiben.
22. März 1844
Jonatha aber, nachdem er sich vom Staunen über diese Rede des Kindleins ein
wenig erholt hatte, sprach zum Joseph:
„Bruder! Fürwahr, so fest ich es mir auch vorgenommen habe, heute und morgen bei
dir zu bleiben, so aber werde ich doch kaum diesem Vorhaben getreu verbleiben!
Denn sieh, mir kommt nun hier alles zu heilig vor! Wie in einer Einöde scheine
ich hier zu sein, in der einem Wanderer alles, was er ansieht, zuruft: ,Hier ist
kein Platz für dich, sondern nur für Geister!‘
Auch kommt es mir vor wie auf einem überhohen Berge, an dessen Spitze wohl der
Zauber der weiten Aussicht anfangs die Sinne besticht;
aber gar bald spricht zu ihm die kalte reinste Luft:
,Du träges und unreines Menschenlasttier, ziehe bald zurück in deine stinkende
Heimat!
Denn hier, wo sich des reinsten Äthers reinste Geister wiegen, ist keines
Bleibens für eine unreine Seele!‘
Wie rein war der große Prophet Moses; und dennoch sprach der Herr zu ihm, als er
Ihn zu sehen verlangte:
,Mich, deinen Gott, kannst du nicht sehen und leben zugleich!‘
Hier ist derselbe Herr in der Fülle Seiner Heiligkeit, – Er ist hier, der
Verkündigte durch aller Propheten Mund!
Wie sollte es mir möglich sein, noch länger Seine sichtbare Gegenwart zu
ertragen hier, der ich doch ein alter Sünder bin am ganzen Gesetze Mosis?!“
Joseph aber sprach: „Lieber Freund und Bruder, du weißt ja, was das Hauptgesetz
ist; warum willst du denn lieber nach Hause ziehen, als dieses Gesetz lebendig
beobachten?
Liebe den Herrn aus allen deinen Kräften, und gedenke nicht beständig deiner
Sünden, so wirst du dem Herrn sicher angenehmer sein als durch deine beständigen
Ausrufungen!
Warte, bis dich das Kindlein verabschieden wird! – Wenn das geschehen wird, da
glaube, daß du Seiner unwürdig bist;
solange aber das nicht der Fall sein wird, da bleibe, – denn mehr zu Hause als
hier wirst du wohl ewig nirgends sein!“
Hier kam das Kindlein hinzu und sprach: „Joseph! du hast schon recht, daß du den
Jonatha ein wenig geputzt hast; warum ist er also eigensinnig und will nicht
hierbleiben, da Ich ihn doch so lieb habe?!“
Darauf wandte Sich das Kindlein an den Jonatha und sprach:
„Jonatha! – willst du denn im Ernste nicht hier verbleiben? Was Übles wohl
geschieht dir hier, daß du nicht bleiben willst?“
Und Jonatha sprach: „Mein Gott und mein Herr! Siehe, ich bin ja ein grober
Sünder am Gesetze!“
Das Kindlein aber sprach: „Was sprichst du von Sünden? Ich erkenne keine an dir!
Weißt du, wer ein Sünder ist? – Ich sage dir: Der ist ein Sünder, der keine
Liebe hat!
Du aber hast Liebe, und so bist du kein Sünder vor Mir; denn Ich habe sie, die
Sünde, dir vergeben, darum Ich über Moses bin ein Herr von Ewigkeit!“ –
Hier weinte Jonatha und faßte neuen Entschluß zu bleiben und nahte sich dem
Kindlein und herzte und kosete Es.
173. Kapitel – Das federleichte Jesuskind.
Jonathas Verwunderung. Des Kindleins tiefweise Worte über die Last des Gesetzes
Mosis. Moses hat das ganze Gesetz in die Liebe zu Gott gesetzt. Das Gesetz ist
geblieben, aber die Liebe erstorben. „... den Buchstabenfressern des Gesetzes
aber werde Ich das Tor zum Leben so eng wie ein Nadelöhr machen.“
23. März 1844
Als aber Jonatha das Kindlein also herzte und kosete, da sprach dasselbe zu ihm:
„Jonatha, versuche Mich jetzt einmal zu tragen; jetzt werde Ich dir sicher nicht
so schwer vorkommen als über den Meeresarm!“
Und der Jonatha nahm voll Freude und Liebe das Kindlein auf seine Arme und fand
Es so leicht wie eine Flaume.
Da sprach er zum Kindlein: „Mein Gott und mein Herr! – wie wohl solle ich das
fassen?!
Dort beim Meere wardst Du mir zu einer Weltenlast; hier aber bist Du mir eine
Federflaume!“
Und das Kindlein sprach: „Jonatha, also wie dir wird es jedem ergehen!
Denn Meine große Last liegt nicht in Mir, sondern im Gesetze Mosis!
Da du Mich nicht kanntest, sondern nur das Gesetz, und hattest Mich auf deiner
Achsel, da drückte nicht Meine, sondern des Gesetzes Last nur deine Schultern
weltenschwer.
Nun aber hast du Mich, den Herrn über Moses und über das Gesetz, erkannt in
deinem Herzen, und siehe, des Gesetzes Last ist nicht mehr mit Mir, dem Herrn
des Gesetzes!
Also aber wird es geistig in der Zukunft allen Gesetzesträgern ergehen!
Wahrlich sage Ich dir: Die Gerechten aus dem Gesetze werden heulen und mit den
Zähnen knirschen;
aber der Herr wird in den Häusern der Sünder zu Tische sitzen und wird sie
heilen und annehmen zu Seinen Kindern!
Die Verlornen werde Ich suchen, die Kranken, die hart Gefangenen und Bedrängten
werde Ich heilen, erlösen und befreien;
aber die Gerechten am Gesetze sollen ungerechtfertigt aus Meinem Hause ziehen!
Wahrlich sage Ich dir: Den Zöllner und Sünder werde Ich preisen in Meinem Hause;
aber den Gerechten werde Ich mit einer starken Bürde belasten vor Mir in Meinem
Hause!
Ja, – eine Hure solle Mich salben, und einer Ehebrecherin Schuld will Ich in den
Sand zeichnen, und die Sünder sollen Mich anrühren;
aber verflucht solle sein ein Gesetzesritter und ein Schriftgelehrter, so er
Mich anrühren wird!
Die des Gesetzes Last getötet hat, die werde Ich aus den Gräbern ziehen;
aber vor den Buchstabenfressern des Gesetzes werde Ich das Tor zum Leben so eng
wie ein Nadelöhr machen!“
Ob dieser Worte entsetzte sich Joseph und sprach: „Aber Kindlein, was sprichst
Du für schreckliche Dinge!?
Das Gesetz hat ja auch Gott gegeben, wie solle da ein Sünder besser sein denn
ein Gerechter!?“
Das Kindlein aber sagte: „Wohl hat Gott das Gesetz gegeben; aber nicht für den
Weltverstand, sondern für das Herz! Und Moses selbst hat das ganze Gesetz in die
Liebe zu Gott gesetzt!
Das Gesetz wohl ist geblieben, – aber die Liebe ist lange schon erstorben!
Ein Gesetz aber, in dem keine Liebe mehr ist, ist kein nütze, und der es hält
ohne Liebe, ist ein toter Sklave desselben!
Darum ist Mir nun ein Heide und ein freier Sünder lieber als ein toter
gefesselter Sklave des Gesetzes!“
Hier schwieg Joseph und dachte über diese Worte nach; das Kindlein aber fing
wieder von kindlichen Dingen zu plaudern an mit Jonatha und mit Seinem Jakob.
174. Kapitel – Der Abend auf dem Hügel.
Josephs und Jonathas Vollmondbetrachtungen. Des Kindleins Winke über das
Viel-Wissen im Gegensatz zum Viel-Lieben. Das ,Angesicht‘ Gottes. Das Wesen des
Mondes.
26. März 1844
Da es aber schon Abend geworden war und der Mond gerade im Vollichte über
Ostracine aufging,
da bewunderte Jonatha von diesem Hügel dessen schöne Gestalt und ergötzte sich
an seinem Lichte und ward ganz still.
Joseph aber bemerkte solches und fragte den Jonatha: „Bruder, was ersiehst du
wohl in der leuchtenden Mondesscheibe, darum du sie gar so aufmerksam
betrachtest?“
Und der Jonatha antwortete und sprach: „Ich ersehe eigentlich gar nichts – außer
die alten stets gleichen Flecke!
Doch aber denke ich allzeit, sooft ich also den Mond sehe, was etwa doch die
Flecken sind, und was überhaupt der Mond ist, warum wir ihn bald gar nicht, bald
wie eine Sichel, bald wieder so und so sehen?
Wenn du etwa davon etwas Näheres kennst, so gebe es mir kund, – denn von derlei
Dingen höre ich sehr gerne reden!“
Und der Joseph sprach: „Lieber Freund! In dieser Hinsicht gleichen wir einander
ganz vollkommen;
und so bin ich über die sonderbare Beschaffenheit dieses Gestirns ebenso
bewandert wie du.
Und so werde ich dir in dieser Hinsicht spottwenig zu sagen imstande sein! – Das
Kindlein wird da sicher mehr wissen als ich; darum frage du Dasselbe!“
Und der Jonatha fragte mit einiger Beklommenheit das Kindlein über des Mondes
Beschaffenheit.
Und das Kindlein sprach: „Jonatha! So Ich dir den Mond zeige, da wirst du auch
die Sonne sehen wollen und darnach die zahllosen Sterne!
Sage, wann wird dann deine Schaulust und Wißbegierde ein Ende nehmen?
Siehe, viel Wissen macht den Kopf schwer und das Erdenleben unbehaglich!
Aber viel Liebe im Herzen zu Gott und deinen Brüdern macht das Erdenleben
angenehm und benimmt alle Furcht vor dem Tode!
Denn diese Liebe ist ja in sich selbst das ewige Leben; wer aber das hat, der
wird dereinst auch zu schauen bekommen alle Schöpfung!
Denn die wahren Liebhaber Gottes werden anschauen Sein Angesicht! – Das aber ist
das Angesicht Gottes, was Er erschaffen hat durch Seine Weisheit und durch Seine
ewige Allmacht!
Denn die Weisheit und die Allmacht ist das Angesicht Gottes, also wie die Liebe
Sein Grundwesen ist von Ewigkeit!
Da du Mich aber schon gefragt hast über den Mond, so sage Ich dir: er ist eine
Nebenerde und hat Berge, Täler, Früchte, Tiere und Wesen deiner Art.
Aber der Teil, den du siehst, ist frei und nackt und leer und hat weder Wasser
noch Feuer.
Der Teil nur, den du nicht siehst, ist der Erde gleich;
sein Licht ist von der Sonne, und sein Lichtwechsel kommt von seiner Stellung
und verändert sich in jeder Minute nach dem Umschwunge um die Erde. – Und die
Flecken sind tiefere und dunklere Orte der Prüfung.
Nun weißt du, was der Mond ist; bist du damit zufrieden?“ – Und der Jonatha
bejahte diese Frage und versenkte sich in tiefe Gedanken.
175. Kapitel – Maria und das Jesusknäblein in
herzlich-scherzender Unterhaltung auf dem Hügel. Joseph und Jonatha bei ihrer
,Mondmahlzeit‘. Die plötzliche Mondfinsternis.
27. März 1844
Da aber Maria mit der Eudokia ihre häuslichen Geschäfte beendet hatte, da begab
sie sich ebenfalls auf den Hügel, geleitet von der Eudokia.
Und das Kindlein lief ihr entgegen und hüpfte freudig um die herrliche Mutter.
Maria aber nahm das schon ziemlich schwere Kindlein auf ihre etwas müden Arme
und kosete Es und sagte scherzweise:
„Aber heute bist Du schwer! Du warst gewiß recht genäschig und hast zuviel
Honig, Butter und Brot gegessen?“
Und das Kindlein sprach: „Zahlt sich's wohl aus! So ein Töpfchen, das der Jakob
leicht in seiner Faust verbergen kann!
Dann ein Stückchen Brotes, das man auch nicht dem Winde preisgeben darf, auf daß
er es nicht sobald in die Luft erhebe wie ein dürres Baumblatt!
Davon wird man doch sicher nicht sehr gewichtig werden!
Ich muß dir sagen, daß Ich im Ernste recht hungrig bin und freue Mich schon aufs
Nachtmahl.
Siehe, Joseph und Jonatha haben eher den ganzen Mond gespeist und sind doch noch
hungrig, da sie doch nicht mehr wachsen;
wie solle Ich da von der Fliegenjause satt geworden sein, der Ich doch wachsen
muß?!“
Und die Maria sprach zum Kinde: „Mein Söhnchen, aber heute bist Du wieder recht
schlimm!
Siehe, wenn Joseph und Jonatha den Mond gespeist hätten, da würde er wohl nimmer
so schön vom Himmel herableuchten!“
Und das Kindlein aber sprach: „Weib und Mutter! Ich bin nicht schlimm; sondern
du hast Mich nur nicht verstanden!
Gehe aber nur hin zu den zweien, und sie werden dir sogleich auch etwas vom
Monde zum Verkosten geben!“
Hier lächelte Maria und ging hin zum Joseph, und grüßte ihn, und fragte ihn, was
er da gar so vertieft nachdenke,
und warum er mit Jonatha gar so emsig nach dem Vollmonde blicke.
Und der Joseph sah sich kaum nach der Maria um und sprach: „So störe mich nicht
in meiner Betrachtung;
denn ich möchte nun etwas entziffern mit dem Jonatha! Jesus hatte uns Winke
gegeben, die müssen ausgearbeitet werden; daher sei ruhig nun, und störe uns
nicht!“
Hier sah die Maria das Kindlein an, das da heimlich lächelte, und das Kindlein
sprach:
„Siehst du nun, wie Joseph und Jonatha noch am Monde zehren? Warte aber nur hier
ganz geduldig, und lasse Mir durch den Jakob ein Stückchen Brotes holen und eine
Pomeranze!
Denn das Zehren am Monde von Joseph und Jonatha macht Mich noch hungriger, als
Ich ohnehin schon bin.“
Und die Maria sandte sogleich den Jakob und ließ bringen, was das Kindlein
verlangte.
Darauf aber fragte sie das Kindlein, bis wann die beiden mit ihrer
Mondesentzifferung fertig würden.
Und das Kindlein sprach: „Habe nur acht; heute und jetzt sogleich wird eine
Verfinsterung des Mondes kommen, die wird bei drei Stunden währen!
Die zwei aber wissen nicht, woher diese rührt; darum werden sie meinen, sie
hätten im Ernste den Mond verzehrt, besonders Jonatha!
Und diese Erscheinung wird dieser Betrachtung ein Ende machen.
Darnach werde Ich sie schon wieder belehren, wie Ich es sonst zu tun pflege,
wenn es not tut.
Aber zuvor müssen beide recht tüchtig anrennen und müssen ihre Berechnungen zu
Staube werden sehen!“
Als das Kindlein kaum diese Worte ausgeredet hatte, da bekam der Mond schon
einen dunkelbraunen Einbug.
Jonatha bemerkte das zuerst und zeigte es dem Joseph an.
Joseph bemerkte natürlich ganz überrascht dasselbe und noch mehr, da die
Verfinsterung in jedem Augenblicke wuchs.
Da wurde bald beiden bange, und Joseph fragte sogleich das Kind: „Was ist das,
was mit dem Monde vorgeht?“
Und das Kindlein sprach: „Du siehst ja, daß Ich esse, was willst du da Mich
stören? – Warte, bis Ich mit der Pomeranze also fertig werde wie ihr mit dem
Monde, dann werde Ich schon weiter reden!“
Joseph schwieg darauf, und als der Mond sich ganz verfinsterte, da erschraken
beide, und alles mußte sich nun ins Haus begeben, und Jonatha meinte im Ernste,
daß er den Mond verzehrt habe.
176. Kapitel – Fortsetzung der Mondbetrachtung
Josephs und Jonathas. Ein Licht über den beschatteten Mond.
28. März 1844
Im Hause angelangt, sprach der Jonatha zum Joseph: „Bruder! was wird aus dieser
höchst fatalen Geschichte werden?
Bei meinem armen Leben, da sieh einmal zum Fenster hinaus! Der ganze Mond ist
bereits bei Botz und Stengel weggezehrt!
Und finster ist's nun draußen ganz entsetzlich!
Ja, ja, ich habe es aber auch schon öfter von gelehrtesten Heiden gehört, daß
der Mensch die Gestirne des Himmels nicht zählen und auch sonst nicht zu
aufmerksam betrachten solle, –
denn da könne es leicht geschehen, daß sie herunterfielen auf die Erde!
Und träfe der Mensch etwa seinen eigenen Leitstern, und fiele dieser herab, so
wäre der Mensch hin und verloren!
Der Mond aber ist ja auch ein Gestirn am Himmel und kann demselben sonderbaren
Gesetze unterworfen sein!
Und da kann es sein, daß wir ihn getroffen haben, und er fiel irgendwo teilweise
zu Boden auf die Erde; denn ich sah eine Menge Partikel davonfliegen
(Sternschnuppen).
Oder wir sind nun vom Monde besessen und werden zu Mondsüchtigen werden, was für
uns eine große Plage wird!
Eines davon ist sicher der Fall! Denn daß der Mond nicht mehr besteht, das kann
man mit den Händen greifen; aber wer ihn aufgezehrt hat, oder wohin er kam, das
ist nun eine ganz andere Frage!“
Und der Joseph sprach: „Weißt du was, das habe ich wohl schon öfter gehört, daß
zuweilen der Mond wie auch die Sonne verfinstert wird.
Und das könnte jetzt wohl auch gar leicht der Fall sein, obschon ich mich selbst
nicht erinnern kann, je etwas dergleichen gesehen zu haben!
Das aber habe ich gehört von alten Leuten, daß da zuweilen die Engel Gottes
diese zwei Himmelslichter also putzen wie wir eine Lampe, so der Docht einen
Butzen bekommt,
während welcher Arbeit es dann natürlich etwas finster wird auf der Erde. Und
das könnte jetzt wohl auch der Fall sein!
Denn die Fabel, daß da ein Drache die beiden Gestirne zu verschlingen anfängt,
ist zu dumm und gehört dem finstersten Heidentume an.“
Während sich aber Joseph und Jonatha über den Mond also besprachen, fing der
Mond auf der andern Seite an wieder sichtbar zu werden.
Und die Kinder und die Söhne Josephs bemerkten das und sprachen: „Sehet, sehet,
der Mond kommt schon wieder zum Vorscheine!“
Die beiden blickten hinaus, und dem Jonatha fiel ein Stein vom Herzen, weil er
nur den Mond wieder zu sehen bekam.
Hier fragte wieder der Joseph das Kindlein, wie denn doch solches zuging.
Das Kindlein aber sprach: „Lasset doch den armseligen Mond zuvor aus dem
Schatten, den die Erde wirft, heraustreten, dann erst wollen wir sehen, ob er
sich verändert hat!
Die Erde ist ja kein endloser Körper, sondern ist so rund wie die Pomeranze, die
Ich ehedem verzehrte,
und schwebet frei und ist um sie ein endloser freier Raum; darum können der
Sonne Strahlen sie allzeit überleuchten auf allen Seiten.
Also muß die große Erde ja auch einen Schatten werfen, und kommt der Mond in
diesen, so wird er finster, da sonst auch er von der Sonne beleuchtet wird. Mehr
sage Ich euch aber nicht!“ – Hier sahen Joseph und Jonatha einander an und
wußten nichts darauf zu erwidern.
177. Kapitel – Jonathas Staunen über die
Kugelgestalt der Erde. Jesus als ,Professor der Naturwissenschaften‘.
Vorbereitungen zum Nachtmahl.
29. März 1844
Nach einer Weile erst sagte der Jonatha zum Joseph: „Bruder! Wer aber hätte sich
das je auch nur im Traume können einfallen lassen, daß die Erde eine ungeheuer
große Kugel sei?!
Wir bewohnen also nur die Oberfläche dieser Kugel?
Aber was solle ich aus dem Meere machen? Ist das auch zur Kugel gehörig – oder
schwimmt die eigentlich feste Erdkugel auf demselben?“
Hier machte sich das Kindlein auf und sprach: „Auf daß ihr heute vor lauter
Grübeln nicht um den wohltätigen Schlaf kommen möget, so muß Ich euch schon aus
eurem Traume helfen!
Tretet näher, und du, Jakob, bringe geschwind eine recht schön runde Pomeranze!“
Als die Pomeranze herbeigeschafft war, da nahm das Kindlein dieselbe zur Hand
und sprach:
„Sehet, das ist die Erde! – Ich will aber nun, daß diese Pomeranze vollends der
Erde gleichen solle im kleinsten Maßstabe und solle haben Berge, Täler, Flüsse,
Seen, Meere und auch Ortschaften, wo sie von den Menschen erbaut sind. – Es
werde!“
In dem Augenblick befand sich in der Hand des Kindleins eine ganz vollkommene
Erdkugel in kleinem Maßstabe.
Man sah das Meer, die Flüsse, die Seen, die Berge und auch die Städte so ganz
natürlich auf dieser Kugel, – die aber freilich durch das „Es werde!“ hundertmal
so groß wie eine Pomeranze ward.
Alles drängte sich nun herzu, um diese wunderbare Kleinerschaffung der Erde zu
betrachten.
Joseph fand darauf bald Nazareth und Jerusalem und erstaunte über die
außerordentliche Richtigkeit.
Die Eudokia fand bald Theben in ihrem Vaterlande und erstaunte über die
Richtigkeit.
Also ward auch Rom gefunden und noch eine Menge anderer bekannter Orte.
Über eine Stunde dauerte die Betrachtung dieser Erdkugel und wollte kein Ende
nehmen.
Selbst der Maria gefiel diese kleine Erde so gut, daß sie sich höchlichst
erquickte ob deren Betrachtung.
Und die acht Kinder, die waren ganz wie versteinert mit ihren Augen in diese
Erdkugel verpicht.
Das Kindlein aber erklärte nun umständlich das Wesen der Erde wie ein Professor
der Geographie, und alle verstanden Seine Rede.
Als aber das Kindlein mit dieser Erklärung fertig war, da sprach Es zum Jakob:
„Jakob! – nun nehme einen Faden und hänge diese Kugel irgendwo frei auf, auf daß
die Wißbegierigen morgen auch noch eine Arbeit finden sollen!
Für heute aber lassen wir diese Erde im Frieden und begeben uns selbst zur Ruhe,
d.h. nach dem Nachtmahle;
denn Ich bin hungrig und durstig geworden, während ihr am Monde und an der Erde
gezehret habt!“
Und der Joseph befahl sogleich dem Küchenmeister Joel, ein Nachtmahl zu bereiten
und es auf den Tisch zu setzen. Und der Joel ging mit den andern drei Brüdern
und bereitete ein gutes Abendmahl.
178. Kapitel – Das Abendmahl. Jonathas
Verlangen, nach Hause zurückzukehren, und sein geheimes Vorhaben. Des Kindleins
erfolgreiche Gegenvorstellungen. Jonathas Gehorsam und Heimkehr.
30. März 1844
Als das Abendmahl aber bereitet und verzehrt war, da sprach Jonatha zum Joseph:
„Bruder, du wirst wenig Platz haben; darum lasse mich jetzt in dieser schönen
Nacht nach Hause ziehen, allwo für meine große Person auch ein gehörig großes
Lager bereitet ist!
Morgen aber will ich schon eine Stunde vor dem Aufgange bei dir sein!“
Joseph aber sprach: „Bruder, wenn du keine andere Sorge hast als allein die um
ein für dich gehörig geräumiges Nachtlager, da magst du keck hier verbleiben;
denn daran solle es in diesem nun meinem Hause keinen Mangel haben!
Siehe da im Vorhause links eine Türe, da ist ein sehr geräumiges Kabinett!
In diesem habe ich für dich schon ein gutes Lager richten lassen!
Ich meine, es wird für dich groß genug sein; daher magst du darob wohl hier
verbleiben!“
Und der Jonatha sprach: „Bruder, du bist sehr gütig gegen mich, und ich erkenne
es nun nur zu genau, daß ich nirgends mehr daheim bin als hier,
und bin auch überzeugt, daß dein Lager für mich groß und übergut genug sein
wird!
Aber siehe, es zieht mich etwas ganz gewaltig nach Hause, und das jetzt auf
einmal ganz mächtig also, daß ich lieber fliegen möchte dahin, als sonst mich zu
Fuße bewegen!“
Da aber Joseph solches vernahm, da sprach er: „Der Wille ist dein, und du kannst
tun, was du willst; daher kannst du ziehen oder bleiben!“
Darauf begab sich Jonatha zum Kindlein und beurlaubte sich allerdemütigst beim
selben.
Das Kindlein aber sprach: „Jonatha, wenn du schon durchaus fort willst, so magst
du ja gehen; aber vergesse nicht die Rückkehr!
Ich aber sage dir, daß dein diesnächtlicher Zug mit dem großen Netze dir nichts
tragen wird!
Ich werde dir aber einen Hai ins Netz treiben, und der wird dich plagen bis zum
Aufgange und wird am Morgen zerreißen dein bestes Fischzeug!
Und dennoch wirst du seiner nicht habhaft werden; denn er wird alle deine Mühe
mit einem Schweifschlage ins Wasser zunichte machen!“
Als der Jonatha aber solches vom Kindlein vernommen hatte, da sattelte er
plötzlich in seinem Wollen um und sagte zum Joseph:
„Bruder, wenn also, da bleibe ich! – Denn siehe, ich wollte dir morgen ein
großes Lägel voll der auserlesensten Fische bringen;
und dieser Gedanke zog mich so mächtig nach Hause!
Da ich aber nun vernommen habe, wie es mit diesem Zuge ausfallen solle, so
bleibe ich bei dir!
Lasse mich daher auf mein bestimmtes Lager bringen, und ich werde da ganz ruhig
schlafen, und geschehe daheim, was da wolle!“
Das Kindlein aber sprach: „Jonatha, also gefällst du Mir besser, als so du dein
Herz verbergen willst!
Nun aber sage Ich dir: Ziehe nach Hause; denn heute in der Mitternacht wirst du
Mir einen wichtigen Dienst tun!“
Darauf erhob sich Jonatha und ging, vom ganzen Hause Josephs gesegnet, eilends
nach Hause. – –
179. Kapitel – Jonathas guter Empfang bei den
Seinen. Jonathas Ausfahrt auf die hohe See. Die Rettung des schiffbrüchigen
Cyrenius und der Seinen.
1. April 1844
Es war aber nach der heutigen Rechnung die zehnte Stunde abends, als Jonatha
nach Hause kam.
Da Jonatha aber in dieser Zeit nach Hause kam, da fand er seine drei Gehilfen
mit ihren Weibern und Kindern recht tätig noch und hörte sie jubeln und also
untereinander sprechen:
„Das war gut und recht, daß unser Herr verreiste und hat uns Gelegenheit
gegeben, in der wir ihm zeigen können, welch treue Diener seines Hauses wir
sind!
Tausend Pfunde Thunfische, tausend Pfunde Störe, drei junge Haie, zehn
Schwertfische, einen Delphin und bei zweihundert Pfunde kleiner edler Fische
haben wir heute gefangen!
Welche Freude wird er haben, wenn er solchen Reichtum an Fischen finden wird!“
Hier meldete sich Jonatha, und alles lief ihm wie einem Vater entgegen und
zeigte ihm den glücklichen Fang an.
Jonatha belobte sie und küßte sie und sprach darauf: „Da ihr heute schon so
fleißig waret, so gehet nun und bringet die großen Fische, als: die Haie, die
Schwerte, den Delphin und die Störe, gevierteilt in die große Selchkammer!
Und machet aber ja sogleich einen starken Rauch von allerlei wohlduftendem
Gesträuche, auf daß diese Fische wegen der Hitze nicht in Fäulnis übergehen! Und
salzet besonders die Haie und den Delphin gut ein, und sparet nicht die
Meerzwiebeln dabei und den Thymian!
Die Thune und die andern kleineren Fische aber gebet in die großen Lägel!“
Und sein erster Gehilfe aber sprach: „O Herr! Was du nun anbefohlen hast, das
ist schon am Tage geschehen, und ist alles schon in der größten Ordnung!“
Da ging der Jonatha hin und überzeugte sich von allem und sprach: „Kinder und
Brüder, das ist kein gewöhnlicher Fang!
Da hat eine höhere Kraft mitgewirkt; darum aber wollen wir auch harren heute bis
nach Mitternacht und wollen sehen, ob solche höhere Macht unsere Kraft darum
nicht in Anspruch nehmen wird!
Ihr habt die starke Mondesverfinsterung gesehen; das ist ein sicheres Zeichen,
daß heute noch ein Unglück irgend jemandes harret! Darum wollen auch wir harren
bis Mitternacht, ob nicht jemand unserer Hilfe bedürftig wird!
Gehet daher, und machet das große Boot, das ein Segel hat und zehn starke Ruder,
fertig zur Abfahrt!“
Und die drei Gehilfen gingen sogleich und taten das.
Sie aber waren kaum noch mit der Herstellung des großen Bootes fertig, da begann
schon ein mächtiger Wind das Wasser des Meeres aufzuwühlen.
Da sprach Jonatha zu den dreien: „Nun haben wir keine Zeit mehr zu versäumen! –
Rufet eure zehn Söhne und stellet sie an die Ruder! – Du, Fischmeister, ergreife
das Steuerruder, und ich selbst werde die vorderen zwei großen Ruder bearbeiten!
Das Segel aber ziehet ein, da wir einen Gegenwind haben; und also gehe es
sogleich im Namen des Allmächtigen hinaus auf die hohe See!“
Als sie also eine gute Stunde hinausgesteuert und viel zu tun hatten mit den
starken Wellen, da vernahmen sie ein starkes Angstgeschrei von der hohen,
mächtig wogenden See.
Jonatha ruderte mutigst darauf los und erreichte in einer Viertelstunde ein
großes römisches Schiff, das auf einer Sandbank festsaß und vom Wogendrange
schon sehr geneigt war.
Sogleich wurden Strickleitern geworfen, und alle Menschen – bei hundert an der
Zahl – wurden gerettet, an deren Spitze eben unser Cyrenius sich befand mit der
Tullia und mit dem Maronius Pilla.
180. Kapitel – Die glückliche Landung.
Jonathas Freude. Des Cyrenius Dank. Die Schiffbrüchigen in Ruhe. Die Bergung des
festgelaufenen Schiffes. Das gemeinschaftliche Frühstück. Jonathas Demut. Die
Ankunft Josephs und der Seinen.
2. April 1844
Cyrenius aber fragte den riesenhaften Retter, wie wohl die Gegend hieße, in der
er sich jetzt befände, und wie er – als der Retter.
Und Jonatha erwiderte: „Herr! Du mußt ein Fremder sein, da dir die Gegend
unbekannt ist, die doch so viel Charakteristisches in sich hat?“
Und der Cyrenius sprach: „Freund! Eine Gegend hat nicht selten eine Ähnlichkeit
mit der andern, und im Zwielichte des Mondes erkennt man nicht selten die eigne
Heimat nicht!
Ganz besonders aber geht es mit dem Erkennen der Gegenden dann schlecht, wenn
zuvor das Gemüt mit der Todesangst zu tun hatte!
Daher magst du mir wohl kundgeben, wie diese Gegend heißt, in die mich der
entsetzliche Sturm verschlagen hat!“
Und der Jonatha sprach: „Lieber Herr! Du weißt ja, daß da eine Regel ist, nach
der man einem Geretteten nicht sogleich sagen darf, wo er ist.
Denn – ist er vom Orte seiner Bestimmung weit weg, da wird er zu traurig, so er
solches gleich nach überstandener Gefahr erfährt;
ist er aber durch eine zufällige Wendung des Sturmes dennoch nahe an den Ort
seiner Bestimmung verschlagen worden, da könnte auf eine frühere Todesangst
solch eine Freude das Leben kosten!
Darum solle der Retter im Anfange verschwiegen sein und erst nach einer Zeit den
Geretteten kundtun, was sie zu wissen verlangen!“
Da der Cyrenius aber solche Antwort von dem ihm noch unbekannten Retter erhalten
hatte, da sprach er:
„Wahrhaftig, du bist ein edler Retter und hast die rechte Weisheit dazu; darum
steure nur hurtig zu, auf daß wir bald Land bekommen!“
Und der Jonatha sprach: „Siehe, die Bucht ist schon da, sie läuft am Ende in
einen schmalen Arm aus.
Wären wir auf einem festen ruhigen Punkte, da sähen wir lange schon meine
Fischerhütte!
In einer kleinen Viertelstunde sind wir lange schon auf trocknem Lande; denn der
Wind ist uns nun sehr günstig.“
Cyrenius war mit dieser Antwort zufrieden, und Jonatha fuhr pfeilschnell die
Bucht hindurch und erreichte in wenigen Minuten das erwünschte Ufer.
Als das Boot am Ufer befestigt war, da stiegen sogleich alle ans Land, und der
Cyrenius dankte laut dem Gott Israels, daß Er ihn gerettet hatte mit allen
seinen Teuren.
Als der Jonatha aber solches vernommen hatte, daß Cyrenius, den er nicht kannte
in dieser Zeit, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs preise, da sprach er:
„Mein Freund! Nun bin ich doppelt froh, darum ich in dir einen Israeliten
gerettet habe; denn auch ich bin ein Sohn Abrahams!“
Und der Cyrenius sprach: „Das gerade bin ich nicht, sondern ich bin wohl ein
Römer; aber dennoch kenne ich die Heiligkeit deines Gottes und bekenne Ihn darum
ganz allein!“
Und der Jonatha sprach: „Das ist noch besser! Morgen wollen wir mehr davon
reden; für heute aber begebet euch zur Ruhe!
Siehe, meine Hütten sind geräumig und reinlich! Stroh habe ich auch in großer
Menge, daher machet euch ein Lager; ich aber werde sogleich wieder umkehren und
sehen, ob euer Schiff nimmer flott zu machen ist!“
Der Cyrenius sprach zwar: „Freund, da ist ja morgen auch noch Zeit!“
Jonatha aber sagte: „Morgen ist Sabbat; da heißt es von aller knechtlichen
Arbeit ruhen! Darum muß vor dem Aufgange noch alles in Ordnung gebracht werden!“
Darauf bestieg Jonatha mit seinen Gehilfen wieder das Boot und fuhr, da sich der
Wind etwas gelegt hatte, um so beschleunigter hinaus zum Schiffe des Cyrenius
und hatte mit der Flottmachung desselben um so weniger zu tun, da ihm die Flut
des Meeres bei Gelegenheit des Vollmondes gut zustatten kam.
Er ergriff sogleich das Schlepptau, befestigte es ans Boot und ruderte voll
Freude in die ziemlich tiefe Bucht und brachte so das ganze große Schiff in
seinen sicheren Hafen und ließ es befestigen am Ufer mittels eines sehr langen
Taues, da er nicht zum Anker kommen konnte.
Nach dieser gut zweistündigen Arbeit begab sich Jonatha schon ziemlich am hellen
Morgen nach Hause, legte sich auf sein Lager und ruhte drei Stunden lang mit
seinen Gehilfen.
Auch der Cyrenius und sein Gefolge ruhten und schliefen ziemlich lang in den
Morgen hinein.
Als der Jonatha wohlgestärkt erwachte, da lobte und pries er Gott in dem Kinde
Josephs und gedachte, was Dasselbe zu ihm geredet hatte.
Darauf befahl er den Weibern, sogleich die besten Thunfische – bei dreißig an
der Zahl – zu schlachten und zu rösten für die vielen Gäste, zu welcher Arbeit
er selbst mit allen seinen Gehilfen den Weibern behilflich war.
Als nach einer Stunde das Frühstück bereitet war, ging Jonatha selbst in die
Hütten und weckte seine geretteten Gäste.
Cyrenius war wohl zuerst wach und fand sich ganz gestärkt und heiter und fragte
den Jonatha auch sogleich, ob er das Schiff wohl noch getroffen habe?
Und Jonatha sprach: „Erhebe dich und sehe zu diesem Fenster hinaus!“
Und der Cyrenius erhob sich sogleich, sah hinaus und sah sein großes Schiff ganz
wohl erhalten im Hafen.
Da ward er überfroh, ja dankbarst gegen den riesigen Retter Jonatha gerührt, und
sprach:
„O Freund! Solche Tat kann nicht gemein belohnt werden; wahrlich diese Tat will
ich auf eine Art belohnen, wie sie nur ein Kaiser zu lohnen vermag!“
Jonatha aber sprach: „Freund, lasse das jetzt gut sein; komme aber mit deinem
Gefolge zum Frühstücke!“
Und der Cyrenius sprach, sich hoch verwundernd: „Was, du willst uns auch noch
bewirten? – O du edler Mann! – Werde ich erst erfahren von dir, wo ich bin, und
wer du bist, dann sollst du auch erfahren, wer ich bin, und ein großer Lohn
solle dir dann werden!“
Darauf erhob sich alles vom Lager und folgte dem Jonatha in die große Hütte,
allwo schon das Frühstück der Gesellschaft harrte; und alle aßen die
wohlbereiteten Fische mit großer Lust und rühmten den Jonatha über die Maßen.
Jonatha aber sagte: „O rühmet nicht mich; denn an allem dem hat jemand anderer –
und nicht ich – das große Verdienst!
Ich war nur ein plumpes Werkzeug Dessen, der mich also beschickt hatte und hat
mir vorangezeigt, daß ich in dieser Nacht einen wichtigen Dienst werde zu
versehen bekommen.
Und also war es denn auch; ich fand dich in großer Not und ward dir zum Retter,
und das war der Wille des Allerhöchsten!
Diesen heiligen Willen habe ich erfüllt, und das Bewußtsein, den Willen Gottes
aus Liebe zu Ihm Selbst erfüllt zu haben, ist mein hoher Lohn, – und wärest du
ein Kaiser selbst, so könntest du mir keinen höhern geben!
Daher bitte ich dich auch, an keine andere Belohnung bei dir selbst zu denken.
Bringe nur dein schönes und großes Schiff wieder in Ordnung; und so ich erfahren
werde von dir den Ort deiner Bestimmung, da werde ich dir noch obendrauf mit Rat
und Tat an die Hand gehen!“
Hier sprach der Cyrenius: „Freund! das sollst du gleich erfahren!
Siehe, der Ort meiner Bestimmung für diesmal ist Ostracine in Ägypten; denn ich
bin der Statthalter und ein Bruder des Kaisers – mein Name ist Cyrenius
Quirinus!“
Bei diesen Worten fiel Jonatha auf die Knie nieder und bat um Gnade, wenn er
sich etwa in etwas vermessen hätte.
Als aber der Cyrenius den Jonatha aufrichten wollte, da kam Joseph mit seiner
ganzen Genossenschaft, den Jonatha zu besuchen, weil dieser sich
versprochenermaßen so lange nicht einfinden wollte beim Joseph.
181. Kapitel – Jonatha und Cyrenius im
Gespräch. Josephs Verwunderung über das fremde Schiff und Jonathas Erklärung.
Des Lebensretters abergläubische Vorsicht und seine Belehrung. Das ergreifende
Wiedersehen zwischen dem Kindlein und Cyrenius.
3. April 1844
Joseph aber ging nicht alsogleich in die Hütte, sondern er sandte einen Boten
hinein und ließ es dem Jonatha melden, daß er hier sei.
Jonatha erhob sich bald und sprach zum Cyrenius:
„Kaiserlich-Königliche Consulische Hoheit! Ich bitte noch einmal um Vergebung,
so ich etwa irgend mich an dir vergangen habe durch eine gutgemeinte Grobheit!
Denn wie bei mir sonst alles massiv ist, so ist auch bei manchen Gelegenheiten
meine Zunge!
Jetzt aber muß ich wieder hinaus; denn mein Nachbar und mein allerwürdigster
Freund hat mich heute heimgesucht!“
Und der Cyrenius sprach zum Jonatha: „O Freund! du mein teuerster Lebensretter!
Tue nach deinem Wohlgefallen, und sehe nicht auf mich, deinen Schuldner!
Ich werde mich jetzt hier nur etwas besser ankleiden und dann sobald selbst dir
nachkommen.“
Nun verließ Jonatha den Cyrenius und begab sich schnell hinaus, um den Joseph zu
empfangen.
Joseph aber ging unterdessen etwas uferabwärts, wo das Schiff war, um es näher
zu betrachten.
Und der Jonatha eilte dem Joseph und seiner Genossenschaft nach und holte sie
auch bald ein.
Als sich die beiden begrüßt hatten und Jonatha das ihm zulaufende Kindlein auf
seine Arme nahm und Es liebkosete,
da fragte Joseph ganz verwundert den großen Freund:
„Aber Bruder, sage mir doch – woher hast du das Schiff?
Oder sind im selben Gäste, Reisende angekommen?
Fürwahr, das ist ein Prachtschiff, wie man solcher Art Schiffe nur aus Rom
kommen sieht!“
Und der Jonatha sprach: „O Freund, siehe, darum mußte ich gestern noch deine
Villa verlassen!
Ein Sturmwind hatte gestern ein römisches Schiff auf eine Sandbank außer der
Bucht gesetzt.
Meiner Mühe – durch die Gnade dieses meines Kindchens – ist es gelungen, das
Schiff vor dem sicheren Untergange zu retten.
Die Geretteten, bei hundert an der Zahl, befinden sich noch in meiner Wohnung,
die glücklicherweise für sie hinreichend geräumig ist;
Und ich denke, sie werden heute noch abfahren, da der Ort ihrer Bestimmung
glücklicherweise ohnehin unsere Stadt selbst ist, wie sie mir sagten.
Sie wissen zwar noch nicht, wo sie sich befinden; denn das muß man den
Geretteten ja nicht sogleich kundtun.
Wann sie aber fortreisen werden, dann werde ich ihnen schon ohnehin den
Wegweiser machen!“
Und der Joseph fragte den Jonatha, ob die Geretteten nicht kundgaben, wer und
woher sie wären.
Der Jonatha aber antwortete: „Du weißt ja, daß man nicht aus der Schule
schwätzen darf;
denn solange die Geretteten nicht fort sind, dürfen ihre Namen nicht verraten
werden, weil ihnen das bei der künftigen Reise schädlich sein könnte!“
Hier sagte das Kindlein zum Jonatha: „O Mann! du hast wohl ein edles Herz, in
dem keine Falschheit wohnt;
aber was da so manchen alten Aberglauben betrifft, da bist du noch sehr reich!
Hier aber ist dennoch besser zu schweigen, als zu reden; denn in wenig
Augenblicken wird sich die Sache ohnehin aufklären!“
Als das Kindlein aber solches geredet hatte, da auch trat der Cyrenius mit
seinem Gefolge aus der Hütte und begab sich gegen das Schiff, also genau an die
Stelle, da sich Joseph befand.
Als er nun dahin kam, da sprach er zur Tullia: „Weib! Da sieh einmal hin! – Ist
die Gesellschaft dort bei unserem Retter nicht ganz der gleich, derentwegen wir
nach Ostracine reisten?!
Bei Gott dem Lebendigen! Ich habe noch nie etwas Ähnlicheres gesehen! – Und
siehe, unser Wirt hat auch soeben ein Kindlein auf den Armen, das dem heiligen
völlig gleicht, das unser himmlischer Freund in Ostracine hat!“
Hier verlangte das Kindlein auf die Erde gesetzt zu werden und lief, als Es frei
war, sogleich dem schon sehr nahe kommenden Cyrenius entgegen.
Und der Cyrenius blieb stehen und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit das ihm
zulaufende Kindlein.
Das Kindlein aber sprach, als Es etwa drei Schritte noch vom Cyrenius abstand:
„Cyrenius, Cyrenius, Mein lieber Cyrenius! – Siehe, wie Ich dir entgegeneile;
warum eilest denn du nicht auch also Mir entgegen?!“
Hier erkannte Cyrenius das Kindlein, fiel sogleich auf die Knie samt der Tullia
nieder und schrie förmlich:
„O mein Gott, o mein Herr! – – Wer – wo – bin ich denn, daß Du – o mein Gott! –
Du – mein Schöpfer, mein Leben, der Du allein mir alles, alles bist, in diesem
mir noch fremden Orte mir entgegenkommst?!“
Das Kindlein aber sprach: „Mein lieber Cyrenius, du bist schon am rechten Orte;
denn wo Ich bin, da ist schon der rechte Ort für dich! – Siehe, dort kommt ja
schon der Joseph, die Maria, die Eudokia, Meine Brüder und deine acht Kinder!“
Hier sprach der Cyrenius: „O Du mein Leben, da ist zuviel Seligkeit auf einmal
für mich!“ – Darauf fing er an zu weinen vor Seligkeit und konnte nicht reden
vor zu heiliger Empfindung.
182. Kapitel – Vom Beugen des Herzens statt
der Knie. Die Begrüßung Josephs durch Cyrenius. Vom Kreuzessegen und Triumph des
Gottvertrauens. Des Cyrenius Freude über die Nähe Ostracines.
12. April 1844
Nun kam auch der Joseph herbei und weinte samt der Maria vor Freuden, daß er
nach zwei Jahren wieder einmal seinen Freund Cyrenius zu sehen bekam.
Das Kindlein aber sagte zum Cyrenius: „Cyrenius! es ist genug, so du in aller
Liebe dein Herz vor Mir beugest;
deine Knie aber magst du gerade halten! Denn siehe, du hast viel Gefolge bei
dir, das Mich noch nicht kennt, und du sollst Mich nicht verraten durch solche
Stellung!
Daher erhebe dich vom Boden und mache, wie es da macht der Joseph, der Jonatha,
die Maria und alle die andern; auch dein Weib solle sich aufrichten!“
Darauf erhob sich Cyrenius mit der Tullia, nahm sogleich das Kindlein auf seine
Arme und kosete Es.
Mit dem Kindlein auf dem Arme trat er erst dem Joseph näher und sprach:
„Sei mir vom Grunde meines Herzens aus gegrüßet! – Wie überaus oft hat sich mein
Herz nach dir gesehnt!
Allein die fatalen Staatsgeschäfte haben sich im Verlaufe dieser zwei Jahre so
sehr gehäuft, daß ich nimmer Zeit zu gewinnen wußte, um dieser hohen heiligen
Forderung meines Herzens nachzukommen.
Nun erst hatte ich alles so weit in Ordnung gebracht, daß ich auf eine kurze
Zeit dich, meinen heiligen Freund, besuchen konnte.
Aber selbst jetzt, da ich dem Drange meines Herzens nachkam, wäre ich beinahe
zugrunde gegangen, so nicht ganz sicher dieses heiligste Kindlein mir einen
Retter entgegengesandt hätte!
O mein Freund und Bruder! Ich habe in diesen zwei Jahren gar viel ausgestanden!
Verfolgung, Verrat, Verschwärzung beim Kaiser und viele andere höchst
unangenehme Dinge hatte ich zu bestehen.
Aber ich dachte dabei allzeit an das, was mir einmal vor zwei Jahren das
heiligste Kindlein gesagt hatte, nämlich: daß Es diejenigen zupfe und kneipe,
die Es liebhat.
Und fürwahr, alle die Stürme um mein Gemüt herum waren im Ernste nichts als
lauter Liebkosungen dieses meines Herrn aller Herren!
Denn wo immer sich eine Woge wider mich erhob und mich mit Haut und Haaren zu
verschlingen drohte,
da auch zerschellte sie an einer noch mächtigeren Gegenwoge, und es blieb nichts
als nur ein eitel leerer Schaum zurück.
Und so bin ich nun auch hier nach einer ausgestandenen großen Gefahr, die alles
zu verschlingen drohte, ganz wohlbehalten angelangt und befinde mich nun in
deiner mir so überheiligen Gesellschaft; und aller Sturm, der mich ängstigte,
hat sich wie zu einer ewigen Ruhe gelegt!“
Hier umarmte der Joseph den Cyrenius und sprach: „Ja, Bruder im Herrn, wie du
nun geredet hast, also ist es auch!
Ich wußte im geheimen ja allzeit darum, was mit dir vorging; aber ich lobte
darum allzeit den Herrn, daß Er dich also liebhatte.
Nun aber siehe dorthin gegen Mittag und Morgen, und du wirst leicht die Stadt
und noch leichter deine Villa erkennen!
Lasse daher dein Schiff versorgen und ziehe mit mir; daheim erst wollen wir uns
so recht herzlich ausplaudern!“
Als der Cyrenius hinblickte und gar bald die Villa erkannte, da ward es völlig
aus bei ihm, und er konnte sich nicht genug verwundern über alles das.
183. Kapitel – Des Cyrenius Reisebegebnisse
und seine Bitte um Aufschluß an Joseph. Josephs ausweichende Antwort. Des
unbefriedigten Cyrenius Aufklärung durch das Kindlein. Der allgemeine Aufbruch
zur Villa Josephs.
13. April 1844
Als sich der Cyrenius so recht durchgewundert hatte, da er sich nach allen
Seiten hin von der Richtigkeit überzeugt hatte, da erst fing er ganz verblüfft
wieder ordentlicher zu reden an und sprach zum Joseph:
„Ja, du mein erhabenster Freund und Bruder, es geschehe sogleich nach deinem
Verlangen;
aber zwei Dinge müssen eher noch berichtiget sein!
Fürs erste muß mein großer Retter belohnt sein – und das auf eine kaiserliche
Art!
Und fürs zweite muß ich von dir eher noch erfahren, wie es so ganz eigentlich
möglich war, daß ich gerade hierher verschlagen ward, dahin ich es am
allerwenigsten vermeinte!
Denn siehe, schon von Tyrus angefangen, hatte ich stets einen starken Ostwind,
der sich nach und nach in einen förmlichen Orkan umwandelte!
Ich ward von diesem widrigen Winde bereits zehn volle Tage auf der hohen See –
Gott weiß es, wo überall – herumgetrieben.
Als ich aber mit der Hilfe dieses großen Retters gestern in der Mitternacht
endlich einmal wieder Land unter meine Füße bekam, da dachte ich mich in Spanien
zu befinden, und zwar nahe an den Säulen des Herkules!
Und – nun bin ich anstatt im vermeinten Spanien genau da, wohin ich so ganz
eigentlich habe kommen wollen!
O Bruder, o Freund! – nur einen kleinen Aufschluß gebe mir darüber!“
Und der Joseph sagte: „Freund, lasse aber doch dein Schiff eher von deinen
Leuten untersuchen, ob alles in Ordnung ist;
dann erst will ich dir mit der Gnade des Herrn über deine Seefahrt etwas
kundtun!“
Und der Cyrenius erwiderte dem weisen Joseph: „O Freund! – du kommst mir heute
sehr sonderlich vor!
Prüfest du mich? Oder was ist es, das du mit mir vorhast?
Ist heute doch der Sabbat deines und meines Herrn, auf den du sonst überaus viel
gehalten hast!
Und wahrlich, ich verstehe dich nicht und weiß es auch nicht, warum du heute
mich zu einer Arbeit zwingen willst?!
Siehe, Dieser hier, der da heilig, überheilig auf meinen Armen ruht, hat sicher
lange schon mein Schiff geordnet, darum ich Ihn liebe über alles!
Wozu wohl wäre da meine Sorge? – Ich war in großer Gefahr und sorgte mich viel;
aber alle meine Sorge war zu nichts nütze; denn nur Er ganz allein hat mir
Rettung gebracht!
Darum will ich mich aber fürder auch um nichts mehr sorgen und werde das Schiff
heute schon ganz gewiß ruhen lassen! – Ist das nicht recht also?“
Und das Kindlein küßte den Cyrenius und sagte: „Joseph hat dich in Meinem Namen
nur versucht, weil du den Jonatha eher belohnen wolltest, als mit ihm nach der
Villa ziehen.
Ich aber sage dir, du sollst den Jonatha gar nicht belohnen; denn Ich Selbst bin
ja sein Lohn!
Darum mache dich nur auf, und ziehe mit dem Joseph; daheim solle dir alles klar
werden!“ – Und der Cyrenius tat sogleich, was das Kindlein ihm geraten hatte,
und alles zog nach der Villa.
184. Kapitel – Das erquickende Zusammensein in
der schattigen Laube des Hügels. Josephs weise Auslegung der Meerfahrt des
Cyrenius. Wie der Herr die Seinen führt.
15. April 1844
Als mit Ausnahme der Dienerschaft des Jonatha die ganze Gesellschaft sich in und
bei der Villa Josephs befand, da befahl der Joseph sogleich seinen Söhnen, für
ein gutes Mittagsmahl zu sorgen.
Und der Jonatha übergab ihnen zu dem Behufe die gute Ladung der edelsten
Thunfische, die er mitgenommen hatte.
Nach dieser Beheißung begab sich Joseph mit des Cyrenius Hauptgefolge und
natürlich mit dem Cyrenius selbst, mit Maria, mit Jonatha und mit dem Kindlein,
das der Cyrenius noch auf seinen Armen trug, auf den Lieblingshügel.
Und die Eudokia und die Tullia wie die acht Kinder blieben nicht im Hause,
sondern folgten ebenfalls der Gesellschaft auf den sehr geräumigen Hügel.
Hier angelangt, setzten sich alle auf die von Joseph gemachten Bänke nieder und
erquickten sich unter dem duftenden Schatten von Rosen-, Myrthen- und
Papyrusbäumen.
Denn der Hügel hatte zwei Abteilungen: die eine war dicht umwachsen, diese galt
für den Tag;
die andere aber war frei und galt nur für die Abend- und Nachtzeit, um daselbst
die frische Luft und eine freie Aussicht über die Gegend wie über den Himmel zu
genießen.
Also in der herrlichen Laube des Hügels angelangt und allda Platz genommen,
fragte der Cyrenius den Joseph, ob er ihm jetzt nicht die versprochene
Aufklärung über seine Meeresfahrt geben möchte.
Und der Joseph antwortete und sprach: „Ja, Bruder, hier ist der Ort und die Zeit
dazu, und so wolle mich denn anhören!
Siehe, der Ostwind stellt dar die Gnade Gottes; diese trieb dich stürmisch zu
Dem, den du nun auf deinen Armen hältst! –
Es kennen und erkennen aber noch gar viele des Herrn Gnade nicht, wann und wie
sie wirket.
Also erkanntest auch du nicht, was des Herrn allmächtige Gnade mit dir vorhatte!
Du dachtest dich für verloren und meintest, der Herr habe deiner völlig
vergessen;
und siehe, als du strandetest auf der Sandbank durch die mächtigste Gnade des
Herrn und glaubtest dich für verloren, da erst hat dich der Herr mit aller
Gewalt ergriffen und hat dich gerettet von jeglichem Untergange!
Also aber ist allzeit gewesen und wird ewig sein die Art des Herrn, diejenigen
zu führen, die da waren und sein werden auf dem Wege zu Ihm!
Warum aber führte dich der Herr also? – Siehe, als um Tyrus herum bekannt ward,
daß du zu Schiffe hierher gehen wirst, da sammelten sich bezahlte Meuterer,
nahmen Fahrzeuge und wollten dich auf der hohen See mörderisch überfallen!
Da sandte der Herr plötzlich einen starken Ostwind;
dieser schob dein Schiff gar schnell vor deinen Feinden hinfort, daß sie es
nimmer zu erreichen vermochten.
Da aber deine Feinde dich dennoch nicht aus den Augen ließen, sondern dich stets
nur um so grimmiger verfolgten, da ward des Herrn Gnade über dich zu einem
Orkane.
Dieser Orkan ersäufte deine Feinde im Meere und setzte dein Schiff an rechter
Stelle in die Ruhe, allwo dir dann die volle Rettung ward. – Cyrenius! –
verstehst du nun diese deine Meeresfahrt?“ –
185. Kapitel – Des Cyrenius Dank an das
Kindlein für die gnädige Führung. Wie man gottwohlgefällig beten soll. Der
Hauptgrund der Menschwerdung des Herrn. Des Cyrenius Erstaunen über die
Fortschritte der acht Kinder.
16. April 1844
Als der Cyrenius aber solches vom Joseph vernommen hatte, da wandte er sich
sogleich an das auf seinen Armen ruhende Kindlein und sprach zu Ihm:
„O Du, dessen Namen meine Zunge nimmer würdig ist auszusprechen! – Das war
sonach lauter Gnade von Dir, Du mein Herr und mein Gott?!
Wie, auf welche Weise aber solle ich Dir nun danken, wie Dich loben und preisen
für solche übergroße wunderbarste Gnade?!
Was kann ich, ein armer blöder Mensch, Dir, o Herr, wohl entgegentun, da Du mir
so endlos gnädig bist und schützest mich mehr denn Dein eigen Herz?“
Und das Kindlein sprach: „Mein geliebter Cyrenius! Ich hätte dich noch um vieles
lieber, wenn du nur nicht immer vor Mir also aufseufzen möchtest!
Was habe denn Ich und du davon, wenn du also seufzest vor Mir?
Ich sage dir, sei du lieber heiteren Mutes, und liebe Mich wie alle andern
Menschen in deinem Herzen; da wirst du Mir lieber sein, als so du immer seufzest
für nichts und nichts!“
Und der Cyrenius sagte allerzärtlichst zum Kindlein:
„O Du mein Leben, Du mein Alles! – Darf ich denn nicht beten zu Dir, meinem Gott
und meinem Herrn?“
Das Kindlein aber erwiderte: „O ja, das darfst du wohl; aber nicht durch
allerlei unendliche Exklamationen,
sondern allein in deinem Geiste, der die Liebe in dir ist zu Mir, und in deren
Wahrheit, die da ist ein rechtes Licht, das da entströmt der Flamme der Liebe. –
–
Meinst du denn, Ich werde durch der Menschen Gebete fetter und mächtiger und
größer, als Ich also ohne solcher Gebete ohnehin es bin!?
O sieh, darum habe Ich Mich ja aus Meiner ewigen Unendlichkeit gestellt in
diesen Leib, auf daß Mich die Menschen mehr mit ihrer Liebe anbeten sollen –
und sollen dabei sparen ihren Mund, ihre Zunge und ihre Lippen; denn ein solches
Beten entwürdigt den Anbeter wie den Angebeteten, weil es ist ein totes Zeug,
ein Eigentum der Heiden!
Was tust du denn mit deinen guten Freunden und Brüdern, so du mit ihnen
zusammenkommst?
Siehe, du erfreust dich über sie und grüßest sie und bietest ihnen Hände, Brust
und Kopf!
Desgleichen tue auch mit Mir, und Ich werde von dir ewig nichts anderes
verlangen! –
Und nun sei völlig heiter, und sehe dich auch ein wenig nach deinen Kindern um,
und frage sie ein wenig aus, was alles sie schon gelernt haben,
und du wirst selbst eine größere Freude haben daran und wirst auch Mir eine
größere Freude machen, als wenn du hundert Jahre nacheinander fortseufzen und
exklamieren möchtest!“
Darauf ward der Cyrenius recht heiter und berief sogleich die acht Kinder zu
sich und fragte sie über so manches aus.
Die Kinder aber gaben ihm auf jede Frage so gründlich kenntnisreiche Antworten,
daß er sich darob nicht genug verwundern konnte.
Da war es aber auch völlig aus beim Cyrenius vor lauter Freude; die Kinder aber
freuten sich auch, daß sie so gescheit waren, und der Cyrenius beschenkte sie
alle reichlich und lobte den Meister.
186. Kapitel – Des Knaben Sixtus
,Gegengeschenk‘ an den Vater Cyrenius: ein Vortrag über das Wesen und die
Gestalt der Erde. Die Bestätigung durch das Jesuskind.
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Es trat aber darauf der älteste von den drei Knaben hin zum Cyrenius und sagte
zu ihm:
„Vater Quirinus Cyrenius! Da du uns nun ausgefragt hast über so manches und wir
dir keine Antwort schuldig geblieben sind und hattest Freude darob an uns allen
gefunden, –
möchtest du für deine Liebe und Sorge für uns nicht auch ein kleines
Gegengeschenk annehmen von mir?“
Der Cyrenius lächelte über diese Frage und sprach zum Knaben:
„Dein Antrag, mein lieber Sixtus, ist mir sehr erfreulich und lieb; aber nur
mußt du mir die Sache näher beschreiben, mit der ihr mich beschenken wollt,
und ich werde es euch allen dann gleich sagen, ob ich sie annehmen kann oder
nicht!“
Darauf erwiderte der Knabe und sprach: „O Vater Quirinus Cyrenius! Es ist keine
Sache, die wir dir zum Geschenke bringen wollen und können,
sondern eine neue Wissenschaft, von der du bis jetzt sicher noch keine Ahnung
hast!“
Als der Cyrenius solches von seinem Sixtus vernommen hatte, da sagte er zu ihm:
„Höre, du mein lieber Sixtus, wenn sich die Sache also verhält, da kannst du mir
schenken, soviel du nur immer willst, und ich werde alles bereitwilligst
annehmen!“
Nach dieser Äußerung von Seite des Cyrenius sagte der Knabe:
„Nun denn, so dir, o Vater Quirinus Cyrenius, das angenehm ist, so wolle mich
denn anhören!
Du hast bis jetzt sicher noch nie in der Wahrheit gehört, wie da unsere Erde
aussieht, und was sie für eine Gestalt hat!
Was meinst du wohl, welche Gestalt sie hat, die große Erde, die uns alle trägt
und ernährt durch die Gnade Gottes in ihr?“
Und der Cyrenius stutzte über diese Frage und wußte nicht, was er sagen sollte
darauf.
Nach einer Weile sagte er erst zum Knaben: „Höre, Knabe, deine Frage setzt mich
in eine große Verlegenheit; denn ich kann dir darauf keine bestimmte Antwort
geben!
Wir haben wohl allerlei Mutmaßungen über das Wesen der Erde; aber wo es sich um
eine bestimmte Wahrheit handelt, da kann man nicht mit Mutmaßungen zum
Vorscheine kommen!
Daher rede nur du jetzt ganz allein, und ich werde dich hören und dann
beurteilen deine Darstellung.“
Hier lief der Knabe auf einen Wink des Joseph ins Haus und brachte ganz behutsam
denjenigen Erdglobus, den das Kindlein in der Nacht vorher wegen der
Mondesfinsternis geschaffen hatte aus einer Pomeranze.
Als der Cyrenius dieses Produkt erschaute, da verwunderte er sich und sprach:
„Ja, – was ist denn das? Ist das etwa gar das vermeintliche Geschenk?
Du sagtest ja ehedem, das Geschenk bestünde in keiner Sache, sondern nur in
einer wissenschaftlichen Erörterung!?
Das aber ist ja eben nur eine Sache und keine wissenschaftliche Erörterung!“
Der Knabe aber sprach: „Lieber Vater Quirinus Cyrenius, das ist wohl wahr, aber
diese Sache kann ich dir nicht zum Geschenke machen, weil sie nicht mein ist;
aber sie ist hier vonnöten, wenn du mich verstehen sollst!“
Hier fing der Knabe wie ein Professor mit Hilfe der Erdkugel an, das Wesen der
Erde zu erörtern, und das mit einer solchen Gründlichkeit, die den Cyrenius ins
tiefste Erstaunen versetzte.
Und als der Knabe fertig war, sagte das Kindlein zum Cyrenius: „Also ist es! –
Damit dir aber davon ein Andenken bleibe, so solle auch diese kleine Erde dein
sein, bis du einst in Meinem Reiche eine größere überkommen wirst!“
187. Kapitel – Des Cyrenius Freude über den
zum Geschenk erhaltenen Erdglobus und seine Bitte hinsichtlich des Augustus. Des
Kindleins tiefweise Entgegnung mit Hinweis auf die göttliche Ordnung.
18. April 1844
Der Cyrenius war über dieses Geschenk so außerordentlich erfreut, daß er sich
gar nicht zu helfen wußte vor lauter Seligkeit.
Nach einer Weile, als er den herrlichen Globus recht nach allen Seiten hin und
her und auf und ab beschaut und sich überzeugt hatte von der höchst wichtigen
Darstellung aller ihm bekannten Punkte, fing er erst wieder zu reden an und
sprach:
„Joseph, das ist denn doch ein überlautes Zeugnis für uns alle über Den, der
einst die Erde erschaffen hat!
Denn was wohl ist dem Allmächtigen schwerer, zu erschaffen eine große Erde –
oder zu erschaffen eine so kleine zu unserer Belehrung über die große, die uns
trägt?!
Ich meine, das wird wohl ein und dasselbe sein!
O Gott, o großer Gott! – welche endlose Fülle der Vollkommenheiten aller Art muß
in Dir wohnen, daß Dir solche Wunderdinge so höchst leicht möglich sind!?
Wer sich in Dich mit seinem Gemüte vertieft, der ist schon selig auf der Welt!
Wer Dich hat und liebend trägt in seinem Herzen, wie endlos glücklich ist wohl
der zu preisen!
O wie ekelhaft erscheint mir nun das eitle Getriebe der Weltmenschen!
O du mein armseliger Bruder Augustus, wüßtest du und kennetest, was ich nun weiß
und kenne, wie sehr würde dich dein wankender Thron anekeln!
O Du mein kleiner Jesus, Du mein Leben, Du mein Alles! Möchtest Du denn nicht
meinem Bruder durch Deine Allmacht zeigen, wie nichtig und wie gar entsetzlich
schmutzig sein Thron ist?“
Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, sehe an alle die Kreaturen der Erde,
und du wirst darunter gute und schlechte finden dir gegenüber!
Meinst du wohl, daß sie darum auch Mir gegenüber also sind?
Siehe, der Löwe ist ein grausames Tier und schont kein Leben in seiner Wut!
Hast du dieses Tier auch Mir gegenüber also gefunden?
Mitnichten – sagst du in deinem Gemüte, denn dieser König der Wüste rettete mir
zwei Male das Leben!
Siehe, also steht es auch mit deinem Bruder; er kann nicht sein wie du, und du
nicht wie er.
Denn Ich habe darum allerlei Kreatur werden lassen, weil sie Meiner ewigen
Ordnung zufolge also vonnöten ist!
Und so mußte es auch geschehen, daß dein Bruder ward, was er ist, und du auch
wurdest, was du bist!
So aber dein Bruder spricht: ,Herr! Ich weiß nicht, was ich bin, und was ich
tue, sondern Deine Kraft ist mit mir, und ich handle nach ihrer Bestimmung!‘ –
dann ist dein Bruder gerecht wie du, und du sollst dich um ihn nicht kümmern;
denn dereinst werden eines jeden Werke offenbar werden!“ – Diese Rede brachte
den Cyrenius wieder auf bessere Gedanken über Augustus, und er betrachtete
wieder seine kleine Erde.
188. Kapitel – Cyrenius beteuert seine Liebe
zum Herrn. Die Prüfung: Tullias Tod. Des Cyrenius tiefe Trauer. Der gerechte
Tadel des enttäuschten Kindleins und seine Wirkung auf Cyrenius.
19. April 1844
Als der Cyrenius aber diese Erdkugel abermals mit großer Aufmerksamkeit
betrachtete, da verlangte das Kindlein freigestellt zu werden, um auf dem Hügel
ein wenig hin und her zu hüpfen.
Und Cyrenius setzte Es gar sanft auf die Erde und sprach:
„O Du mein Leben, Du mein Heil, Du mein Alles! Nur von meinen Händen gebe ich
Dich leiblich frei;
aber nimmer, nimmer aus meinem Herzen; denn da lebst Du nunmehr ganz allein, –
ja Du ganz allein bist meine Liebe!
Wahrlich, so ich nur Dich, o Du mein Heiland, habe, dann ist mir die ganze Welt
mit allen ihren Schätzen nichtiger als das Nichts selbst!“
Hier stand das Kindlein auf, wandte sich wieder zum Cyrenius und sprach zu ihm:
„Ich muß denn doch wieder bei dir verbleiben, obschon Ich recht gerne ein wenig
herumhüpfen möchte, weil du Mich gar so lieb hast!
Hättest du fortwährend deine kleine Erde beschaut, siehe, da wäre Mir bei dir zu
sein wohl ein wenig langweilig geworden;
aber da du dein Herz wie alle deine Aufmerksamkeit wieder völlig Mir zugewandt
hast, da muß Ich bei dir verbleiben und kann Mich nicht trennen von dir!
Aber höre du, Mein lieber Cyrenius! Was wird denn dein Weib dazu sagen, wenn sie
sicher vernommen hat, daß du Mich ganz allein nur liebst?“
Und der Cyrenius sprach: „Herr, wenn ich nur Dich habe, was frage ich da um mein
Weib und um die ganze Welt! – Siehe, das alles ist mir um die leichteste Münze
feil!
O Du mein Jesus, welche Seligkeit kann größer wohl sein als allein die nur: Dich
über alles zu lieben und von Dir wiedergeliebt zu werden!
Darum möchte ich eher die Tullia verachten wie einen Heuschreckenzug, bevor ich
nur um ein Haarbreit von der Liebe zu Dir weichen möchte!“
Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, so Ich dich aber darob ein wenig prüfete,
denkst du wohl, daß du da beständig verbleiben möchtest?“
Und der Cyrenius sprach: „Nach meinem gegenwärtigen Gefühle dürftest Du wohl die
Erde unter meinen Füßen zerstäuben und mir die Tullia tausendfach nehmen, so es
möglich wäre, so würde ich aber dennoch in meiner gleichen Liebe zu Dir
verbleiben!“
Hier sank plötzlich die Tullia wie vom Schlage gerührt zu Boden und ward völlig
tot.
Alle Anwesenden erschraken heftig. Man brachte sogleich wohlgegorenen
Zitronensaft und frisches Wasser und labte sie;
aber es war alle Mühe vergeblich, denn die Tullia war völlig tot.
Als der Cyrenius aber sah, daß die Tullia ernstlich tot war, da verhüllte er
sein Angesicht und fing an, sehr traurig zu werden.
Nun aber fragte das Kindlein den traurigen Cyrenius: „Cyrenius! Wie kommst du
Mir nun vor? Siehe, noch ist die Erde ganz, und dein Weib ist noch lange nicht
tausend Male getötet, wie du's verlangtest, – und du trauerst, als hättest du
alles in der Welt verloren!
Hast du Mich nun nicht gleich wie ehedem, der Ich dir doch alles war?! – Wie
magst du nun trauern gar so sehr?“
Hier seufzte der Cyrenius tief auf und sprach gar kläglich: „O Herr! Ich wußte
es ja nicht, wie teuer mir die Tullia war, solange ich sie hatte; ihr Verlust
erst zeigte mir nun ihren Wert!
Darum trauere ich – und werde trauern wohl mein Leben lang um sie, die mir eine
so edle und treue Gehilfin war!“
Da seufzte das Kindlein tief auf und sprach: „O ihr wetterwendischen Menschen!
Wie wenig Beständigkeit wohnet in eurem Herzen!
Wenn ihr schon also seid in Meiner Gegenwart, was werdet ihr dann erst sein, so
Ich nicht unter euch sein werde?!
Cyrenius! Was war Ich dir vor einigen Minuten, – und was bin Ich dir jetzt?
Dein Angesicht verhüllest du vor Mir wie vor der Welt, und dein Herz ist so voll
Traurigkeit, daß du kaum vernehmen magst Meine Stimme!
Ich aber sage dir: Wahrlich, also bist du Meiner noch nicht wert!
Denn wer noch sein Weib mehr liebt denn Mich, der ist Meiner nicht wert, da Ich
doch mehr bin als ein Weib, geschaffen durch Meine Macht!
Ich sage dir, berate dich in der Zukunft besser, sonst wirst du auf dieser Welt
Mein Angesicht nimmer erschauen!“
Darauf ging das Kindlein zum Joseph hin und sagte zu ihm: „Joseph! Lasse die
Tote ins Kämmerlein bringen und sie legen auf ein Totengerüst!“
Joseph aber sagte: „Mein Söhnchen, wird sie nimmer lebend?“
Und das Kindlein sprach: „Frage Mich nicht darum; denn nun ist noch lange nicht
Meine Zeit, sondern tue, wie Ich dir sagte!
Siehe, das Weib ward eifersüchtig auf Mich, als Mir Cyrenius seine Liebe
gestand; diese Eifersucht und dieser Liebeneid hat sie so schnell getötet! Darum
frage Mich nicht weiter, sondern lasse sie ins Kämmerlein aufs Gerüst bringen;
denn sie ist wirklich tot!“
Joseph ließ darauf sogleich die Leiche ins Haus tragen und bereiten in einem
Seitenkämmerlein ein Gerüst und dann die Leiche legen darauf.
Alles ging nun zu Cyrenius hin und tröstete ihn ob diesem plötzlichen Verluste
seines Weibes.
Cyrenius aber enthüllte bald wieder sein Gesicht, richtete sich auf wie ein
rechter Held und sprach:
„O liebe Freunde, tröstet mich nicht vergeblich; denn ich habe meinen Trost
schon gefunden in meinem eigenen Herzen,
und einen besseren könnet ihr mir wohl nicht geben!
Sehet, hier hat der Herr mir ja wunderbar dies edle Weib gegeben, und hier hat
Er sie mir wieder genommen; denn Er allein ist ja der Herr über alles Leben!
Ihm sei darum auch alles aufgeopfert, und Sein heiliger Name sei darum ewig
gelobt und gepriesen!
Es ist zwar ein harter Schlag auf mein fleischig Herz; aber ich empfinde ihn nun
auch um so belebender für meinen Geist!
Denn dadurch hat der Herr mich frei gemacht, und ich gehöre nun ganz, aller
irdischen Bande ledig, Ihm allein zu, und Er allein ist nun der heilige
Einwohner meines Herzens! Darum tröstet mich nicht; Er ist allein ja mein Trost
für ewig!“
Hier kam das Kindlein wieder zum Cyrenius und sagte zu ihm: „Amen! – Also sei es
für ewig!
Wie ein Hauch werden diese Erdenjahre vergehen, in denen wir noch hier wirken
werden; dann aber wirst du dort sein, wo Ich sein werde ewig unter denen, die
Mich lieben werden dir gleich! – Also sei es ewig, ewig, ewig!“ – – –
189. Kapitel – Joseph lädt den Cyrenius zum
Mahle. Des Cyrenius Absage unter Hinweis auf seine Sättigung durch den Herrn.
Des Kindleins Lob über Cyrenius.
20. April 1844
Es kamen aber nun auch die Söhne Josephs und zeigten an, daß das Mahl bereitet
sei.
Und der Joseph ging hin zum Cyrenius und zeigte ihm, der sich eben mit dem
Kindlein wieder vollauf beschäftigte, solches an und fragte ihn, ob er vor
Traurigkeit wohl eine Speise werde zu sich nehmen können.
Und der Cyrenius sprach: „O mein erhabener Bruder, meinst du denn, daß ich
irgend einen Hunger habe?
Da sieh einmal her! Wie kann man hungrig wohl werden in der Gesellschaft Dessen,
durch den in jedem Augenblicke Myriaden und Myriaden gesättiget werden!?
Was aber meine von dir vermeinte Traurigkeit betrifft, da sage ich aus der Fülle
meiner Liebe zu Dem, der dich und mich erschuf:
Wie sollte ich trauern wohl in der Gesellschaft meines und deines Herrn?!
Siehe, da du ein Weizenkorn in die Erde streuest, das da in ihr verfault, da
läßt Er hundert an die Stelle des einen treten!
Also ist es ja auch hier der Fall: wo der Herr eines nimmt, da gibt Er bald
tausend dafür!
Mir hat Er wohl die eifersüchtige Tullia genommen, dafür aber hat Er Sich mir
Selbst gegeben!
O Bruder, welch ein unendlicher Ersatz ist das für meinen so geringen Verlust!
Anstatt meines Weibes darf ich nun Ihn in meinem Herzen ewig mein nennen! – O
Bruder, wie sollte ich da wohl noch um die Tullia trauern können?!“
Hier sprach Joseph: „O Bruder! Du bist groß geworden vor dem Herrn; wahrlich, du
bist ein Heide gewesen – und bist nun besser denn viele Israeliten!
Ja, ich selbst muß es vor dir bekennen: Dein Herz und dein Mund beschämet hoch
mich selbst;
denn eine solche Ergebung in den Willen des Herrn habe ich an mir selbst noch
nicht erlebt!“
Hier richtete Sich das Kindlein auf und sprach: „Joseph! Ich weiß, warum Ich
dich erwählte; doch größer warst du noch nie vor Mir als eben jetzt, da du deine
Schwäche vor einem Heiden bekennest!
Ich aber sage dir, da du dem Cyrenius schon das Zeugnis gabst, daß er besser ist
als viele Israeliten:
Cyrenius ist hier mehr als Abraham, Isaak und Jakob, und mehr als Moses und die
Propheten, und mehr als David und Salomo!
Denn deren Taten waren gerecht durch den Glauben und durch große Gottesfurcht in
ihren Herzen;
Cyrenius aber ist ein Erstling, den Meine Liebe geweckt hat; und das ist mehr
als der gesamte alte Bund, der tot war, während Cyrenius nun ganz lebendig ist!
Du kennst des Tempels Herrlichkeit in Jerusalem; er ist ein Werk Salomonischer
Weisheit.
Aber dieser Tempel ist tot wie sein Werkmeister, der Mich den Weibern opferte!
Cyrenius aber hat in seinem Herzen mit großer Selbstverleugnung Mir nun einen
neuen, lebendigen Tempel erbaut, in dem Ich wohnen werde ewiglich; und das ist
mehr denn alle Weisheit Salomons!“
Hier fing Cyrenius an zu weinen vor Seligkeit, und Joseph wie die Maria
zeichneten sich diese Worte tief in ihre Herzen; denn sie waren voll Kraft und
voll Leben. – –
190. Kapitel – Des Kindleins Aufforderung an
Cyrenius zum Mitessen und Mitspielen. Des Maronius und der Maria Einwurf. Des
Kindleins entkräftigende Entgegnung. Die Erweckung der Tullia.
22. April 1844
Das Kindlein aber sprach darauf wieder zum Cyrenius:
„Cyrenius, du bist nun wohl gesättiget in deinem Herzen, und diese Sättigung
wird dir bleiben ewig!
Aber dein Leib ist hungrig, und du bedarfst einer Stärkung für denselben Zweck,
zu welchem Zwecke Ich Selbst für Meinen Leib einer natürlichen Stärkung bedarf.
Daher gehe du nur mit Mir hinab ins Haus, allda wollen wir einen guten Fisch,
den heute der Jonatha mitgenommen hatte und den Meine Brüder recht wohl
zubereitet haben, verzehren.
Denn Ich muß dir sagen, daß Ich die Fische viel lieber esse als das öde jüdische
Kindskoch; und Ich freue Mich schon recht auf ein gutes Stückchen!
O Ich sage dir, du Mein liebster Cyrenius, die Fische esse Ich sehr gerne und
habe darum auch den Jonatha sehr lieb, weil er ein reiner Fischer ist und bringt
uns öfter die besten Fische!
Und weißt du, Mein liebster Cyrenius, nach dem Essen mußt du dann mit Mir ein
wenig spielen, und deine Kinder sollen das auch!
Du bist noch nicht alt und kannst darum schon mit Mir ein wenig herumhüpfen und
springen!“
Diese rein kindliche Sprache des Kindleins freute den Cyrenius so sehr, daß er
ganz der toten Tullia vergaß, obschon darob seine Gesellschafter trauerten;
und einige aus der Gesellschaft sich aber auch um den Cyrenius zu sorgen
anfingen ob seiner Heiterkeit, die ihnen ein Wahnsinn zu sein schien.
Der Maronius selbst ging hin zum Cyrenius und fragte ihn um sein Befinden.
Das Kindlein aber antwortete sogleich anstatt des Cyrenius und sprach:
„O Maronius! Sorge dich nicht um diesen Meinen Freund; denn der war in seinem
ganzen Leben noch nie wahnsinnsfreier als jetzt!
Ich wollte, du wärest also gesund wie Cyrenius, da würdest du sicher keine
solche Fragen stellen in Meiner Gegenwart!
Gehe aber auch du mit uns hinab zur Tafel; vielleicht heilt dich ein gutes
Stückchen Fisch!“
Darauf begab sich Cyrenius mit dem Kindlein, mit Joseph, Maria, Jonatha, Eudokia
und mit den acht Kindern ins Haus, und der Maronius folgte ihnen, obschon ein
wenig wie auf Nadeln gehend;
aber die andere große Gesellschaft trauerte und ging nicht zum Mittagsmahle.
Nach dem Essen aber, das allen sehr wohl geschmeckt hatte, begehrte das Kindlein
sogleich wieder hinaus ins Freie, um mit dem Cyrenius und mit den acht Kindern
zu spielen.
Maria aber sagte: „Höre Du, mein Jesus! Nun darfst Du wohl nicht spielen, und
die acht Kinder auch nicht; denn fürs erste ist ja Sabbat, und fürs zweite haben
wir eine Leiche im Hause, und da darf man nicht spielen, sondern schön ruhig und
bescheiden sein!“
Das Kindlein aber sagte: „Weib, was für ein Geist heißet dich also zu Mir reden?
Ist der Sabbat denn mehr als Ich – und das tote Weib mehr als Mein Wille?!
Damit du aber siehst, daß Ich über dem Sabbat und über dem toten Weibe stehe und
selbiges Mich nicht hindere in Meiner Freude, so erwache es!“
Bei diesem Worte erhob sich die Leiche vom Gerüste und kam bald ins Zimmer.
Das Kindlein aber befahl, ihr etwas zu essen zu geben, und ging dann sogleich
mit dem Cyrenius ins Freie, während sich alles über diese Erweckung höchst zu
verwundern anfing.
191. Kapitel – Jesu Wettlauf mit Cyrenius. Wie
Cyrenius es auch zur Meisterschaft bringt. Wink zur Lebensmeisterschaft.
23. April 1844
Als das Kindlein mit dem Cyrenius und den andern acht Kindern draußen im Freien
war, da sagte das Kindlein zum Cyrenius:
„Sieh dort einen Baum; wie weit wohl kann er von hier sein?“
„Ich meine“, sprach Cyrenius, „bei zweihundert Schritte dürfte er von hier, gut
genommen, entfernt sein!“
Und das Kindlein sprach: „So machen wir einen Wettlauf und überzeugen uns, wer
von uns die schnellsten Füße hat!“
Und der Cyrenius lächelte und sprach: „O Herr, mit der natürlichen Kraft wirst
Du wohl als der Letzte zum Baume gelangen!“
Und das Kindlein sagte: „Das wird erst der Erfolg zeigen – und so machen wir den
Versuch!“
Hier liefen diese Renner aus allen Kräften, und das Kindlein war zuerst am
Baume.
Beim Baume angelangt, sagte der Cyrenius, fast ganz außer Atem:
„O Herr! Ich wußte es ja, daß Du nicht natürlich laufen wirst und wirst somit
das Ziel am ersten erreicht haben!
Denn Dich tragen unsichtbare Kräfte; mich aber tragen nur meine trägen Füße!“
Das Kindlein aber sprach: „Cyrenius, hier hast du dich einmal wieder geirrt;
denn deine Füße werden so wie die Meinen von unsichtbaren Kräften belebt.
Aber der Unterschied besteht nur darin, daß Ich ein Meister, du aber nur ein
Schüler der Kräfte bist.
So du aber deine Kräfte recht üben wirst, dann wirst auch du sie wie der Meister
gebrauchen können!
Nun aber laufen wir zurück, und wir wollen sehen, wer da zuerst den Platz vor
dem Hause erreichen wird!“
Hier bog sich der Cyrenius schnell zur Erde, hob das Kindlein auf und lief mit
Ihm auf den Platz – und war bei weitem der Erste am Platze.
Allda angelangt, lächelte das Kindlein und sprach: „Das war recht lustig!
Siehe, du hast es gleich zur Meisterschaft gebracht; du sahst den Meister,
nahmst Ihn auf, und wardst somit selbst zum Meister!
Siehe aber auch die Lehre daraus: Also wird in der Zukunft niemand mehr ein
Meister aus sich;
wenn er aber den Meister aufnehmen wird, da wird er ein Meister durch den
Meister, den er aufgenommen hat.
Es liegt wenig daran, wer da schneller laufen kann; dessenungeachtet aber solle
sich ein jeder bestreben, das von Mir gezeigte Ziel am ersten und als Erster zu
erreichen!
Wer aber mit der eigenen Kraft den Lebenslauf beginnen wird, der wird der Letzte
sein;
wer aber tun wird, wie du eben jetzt beim zweiten Laufe getan hast, der wird
auch dir gleich als der Erste am Ziele sich befinden!
Nun aber lasse uns zu einer andern Spielerei übergehen und uns dabei recht
kindlich erheitern!“
192. Kapitel – Das lehrreiche Grübchenspiel.
Die Lebensgrübchen und ihre Ordnung.
24. April 1844
Darauf wandte sich das Kindlein zum Sixtus als dem ältesten der Knaben von den
Cyrenischen Kindern und sagte zu ihm:
„Sixtus, gehe und mache da vorne am abgetretenen Wege zehn Grübchen, ein jedes
eine Spanne vom andern entfernt! Was dann damit zu geschehen hat, das weißt du
schon.
Dann bringe du die zehn Kügelchen, die der Jakob aus Lehm für uns zum Spielen
gemacht hat, und wir werden dann ein wenig Kügelchen werfen; – du weißt schon
wie, denn du hast es Mich ja gelehrt!“
Darauf tat Sixtus sogleich, was das Kindlein verlangte.
Als die zehn Grübchen gemacht und die Lehmkügelchen herbeigeschafft waren, da
sagte das Kindlein zum Cyrenius:
„Nun lasse Mich nur wieder frei, damit Ich dir erklären kann und zeigen, wie
dieses Spiel geht; aber ihr andern Kinder dürft Mir nun nichts einreden, weil
Ich dem Cyrenius selbst die Sache erklären will!“
Hier wandte sich das Kindlein ganz pathetisch an den Cyrenius und sprach:
„Siehe, das Spiel geht also: Drei Schritte vor diesen Grübchen mußt du stehen,
dann ein Kügelchen schieben.
Bringst du es durch einen gelungenen Wurf ins zehnte und somit letzte und
entfernteste Grübchen, so bist du des Spieles König; bringst du es ins neunte,
dann bist du ein Minister; im achten bist du ein Feldherr!
Im siebenten ein Landpfleger, im sechsten ein Richter, im fünften ein Priester,
im vierten ein Landmann, im dritten ein Vater, im zweiten eine Mutter und im
ersten ein Kind!
Wie dann das Spiel weitergeht, das werde Ich dir schon wieder erklären, wenn die
Grübchen besetzt sein werden.“
Hier nahm lächelnd der Cyrenius ein Kügelchen und schob es nach dem Wege, und
das Kügelchen rollte sogleich ins erste Grübchen!
Und das Kindlein fragte: „Bist du mit deinem Stande zufrieden? Ansonst kannst du
als Anfänger noch zwei Male schieben!“
Und der Cyrenius sagte: „Mein herrlichstes Leben, Mein Jesus! Ich bleibe schon,
wo ich nun bin!“
Und das Kindlein sprach: „Gut, so schiebet ihr nun darauf, einer nach dem
andern. Ich werde dann zuletzt schieben!“
Und die Kinder schoben ihre Kügelchen, besetzten aber nicht alle Grübchen,
sondern sie kamen oft zu zwei und zu drei in ein Grübchen.
Am Ende schob das Kindlein und kam wie sonst allzeit ins zehnte Grübchen! –
Da hielt sich ein Mädchen auf und sprach: „Aber so muß denn der kleine Jesus
allzeit ein König sein!“
Das Kindlein aber sagte zum Mädchen: „Warum grämst du dich darob? – hast du doch
vor Mir geschoben, warum bist du denn so ungeschickt in deiner Hand?!
Grolle Mir aber nicht darob, sonst werde Ich gleich wieder eine Maus über dich
kommen lassen, vor der du dich so sehr fürchtest!“
Darauf sagte das Mädchen nichts mehr und begnügte sich allein in ihrem zweiten
Grübchen!
Es war aber das neunte, achte, siebente und sechste Grübchen unbesetzt; da sagte
der Cyrenius zum Kindlein:
„Siehe, Du mein Leben! – Nun gibt es noch keinen Minister, keinen Feldherrn,
keinen Landpfleger und keinen Richter!
Wer wird nun diese Hauptstellungen übernehmen?“
„Diese Stellen“, sprach das Kindlein, „muß nun Ich Selbst versehen, weil sie
niemand besetzt hatte; denn alle die unbesetzten Posten müssen von einem, vom
Königsgrübchen gerechnet, besetzten übernommen werden!
Wäre der Minister besetzt, da fielen die drei nachfolgenden leeren Posten ihm
zu; da er aber unbesetzt ist, so fallen die vier Grübchen nun dem Könige zu! –
Da nun aber die Grübchen besetzt sind, so gehen wir nun aufs eigentliche Spiel
über!“
193. Kapitel – Das Grübchenspiel – ein Spiel
des Menschentreibens. Die vom Kindlein als König des Spiels gegebenen Gesetze.
25. April 1844
Und weiter sprach das Kindlein zum Cyrenius: „Nun, da Ich der König bin, so muß
Mir aus euch auch ein jeder wie einem Könige gehorchen!
Und so höret nun Meine Gesetze! – Das Grübchen der Priester sei weise und
ernst-gut!
Wenn du lachst, wenn jemand anderer lacht, dann fehlest du und wirst deines
Amtes enthoben und fällst in die Strafe dadurch.
Du Grübchen des Landmanns sei tätig; wenn du lau bist, wirst du hungern müssen!
Du Vatergrübchen sei voll Liebe gegen deine Kinder, und erziehe sie recht und
gerecht, sonst wirst du ihnen zum Gespötte werden!
Du Muttergrübchen sei häuslich und voll Gottesfurcht, auf daß deine Säuglinge
weise werden!
Und du mein gutes, liebes Kindergrübchen, bleibe wie du bist: ein steter Lehrer
der Weisen zur Weisheit in Gott!
Nun, das sind die Gesetze; diese müssen genau befolgt werden!
Will aber jemand eine Gnade von Mir, der muß knieend zu Mir darum kommen!
Nun gehet und handelt, und laßt Mich allein! Du Cyrenius aber mußt mit Vater und
Mutter gehen, weil du ein Kind bist!“
Nun gingen ein Mädchen und ein Knabe als Priester ganz ernst und gravitätisch
davon und stellten sich auf einen etwas erhabeneren Platz.
Dann gingen zwei Mädchen und ein Knabe als Landleute davon und tummelten sich
dann recht geschäftig am Boden, als hätten sie die wichtigste Arbeit.
Darauf gingen wieder ein Knabe und ein Mädchen, gar ernstlich sich haltend,
davon und stellten den Vater dar, weil der Vater auch in seinem Herzen eine
Mutter sein solle, um ein rechter Vater zu sein.
Darauf ging die alleinige Mutter und nach ihr das Kind, nämlich der Cyrenius;
und die Mutter aber scheute sich vor ihrem Kinde und getraute sich nicht, mit
ihm zu reden und ihm weise Lehren zu geben.
Sie kehrte sich darum zum Könige und bat Ihn um die Gnade, daß Er ihr einen
andern Posten geben möchte.
Der König aber beschied sie zu den Priestern, und diese fingen an zu lachen, als
sie die Mutter auf sich zulaufen sahen.
Da berief der König sogleich die Priester und setzte sie ab, weil sie gelacht
haben, da sie ernstweise hätten sein sollen, und steckte sie unter die
Landleute.
Die Landleute aber fingen bald untereinander zu hadern und zu zanken an, und der
König berief sie und machte sie recht aus und stiftete Ruhe unter ihnen.
Nun kam wieder die Mutter und begehrte einen andern Posten.
Der König aber sprach: „Da du die Liebe darstellst in ihrer Weisheit, so sei du
der Priester!“
Nun aber kam der Vater und beklagte sich, daß er kein Weib habe, weil die Mutter
ein Priester ist.
Und der König sprach: „So nehme das Kind und gehe hin und werde, was die Mutter
ist!“
Und also geschah es; aber der Priester fing an, starke Achtungsforderungen an
die Landleute zu machen.
Da fing es bald an darunter und darüber zu gehen, und der König berief daher
alles wieder zurück und sprach: „Ich sehe, daß ihr uneins seid; daher wollen wir
zu einem neuen Schube schreiten!“ –
194. Kapitel – Cyrenius im Ministergrübchen.
Des Mädchens Unzufriedenheit. Des ,Königs‘ wirksames Einschüchterungsmittel. Das
Mäusewunder.
26. April 1844
Cyrenius mußte wieder zuerst schieben, und sein Kügelchen kam nun ins neunte
Grübchen, und die Kinder des Cyrenius sagten:
„Vater Cyrenius, aber das heißt doch gestiegen: vom Kinde zum Minister, und das
beim ersten Schube!
Wenn du noch einmal schieben möchtest, da möchtest du sicher ins Königsgrübchen
kommen!“
Und der Cyrenius sprach: „Meine Kinder, ich bin schon zufrieden mit dieser
Würde; nehmt daher nur ihr die Kügelchen, und schiebet!
Sehet, daß ihr recht häufig ins Kindergrübchen kommet; denn da werdet ihr am
eigentlichsten und besten Platze sein!“
Darauf schob sogleich der Sixtus und kam ins Kindergrübchen und hatte eine
rechte Freude daran.
Darauf schob das älteste Mädchen und kam wieder ins zweite Muttergrübchen.
Das Mädchen aber murrte wieder und sprach: „Ach, so muß ich denn schon wieder
die Mutter sein!“
Das Kindlein aber ging hin, nahm das Kügelchen aus der Grube, gab es dem Mädchen
wieder in die Hand und sprach:
„Da – schiebe noch einmal, du Unzufriedene; sehe aber zu, daß du nicht wieder
Mutter wirst!“
Und das Mädchen schob wieder und kam wieder ins nämliche Grübchen und fing an
förmlich zu weinen aus Ärger.
Da trat das Kindlein wieder hin zum Mädchen und sprach: „O du herrschsüchtiges
Wesen! Wahrlich, in dir verleugnet sich des Urweibes Natur nicht!
Was solle Ich mit dir tun, du Schlangennatur, du Löwentatze?
Nur geschwind eine Maus her, die soll dich recht plagen, dann wirst du Mir schon
anders werden!“
Hier fiel das Mädchen sogleich auf die Knie vor dem Kindlein nieder und sprach
weinend:
„Mein liebster Jesus, ich bitte dich, nur keine Maus oder Ratte; denn da fürchte
ich mich ganz entsetzlich!
Ich will ja tausend Male lieber Mutter sein, als nur eine einzige Maus sehen!“
Das Kindlein aber sprach: „Diesmal will Ich dich mit der Maus noch verschonen;
aber wenn du Mir noch einmal murrest, dann sollen zehn Mäuse auf einmal über
dich kommen und beschnüffeln deine Füße!“
Da ward das Mädchen mäuschenstill und sah ganz geduldig zu, wie die andern
Kinder alle andern Grübchen besetzten,
und hielt sich nicht auf, als sogar ein zweites Mädchen das Vatergrübchen
besetzte, was ihr sonst allzeit am ärgsten war, so dahin nicht ein Knabe kam.
Am Ende schob das Kindlein wieder und kam schon wieder ins Königsgrübchen.
Da biß sich das Mädchen vor geheimem Ärger in die Lippen.
Und das Kindlein lächelte, nahm einen kleinen Zweig und tupfte mit demselben
alle die Kügelchen an und blies dann über die Grübchen, und im Augenblicke saß
statt des Kügelchens eine muntere Maus darinnen.
Als das Mädchen dieser Tierchen ansichtig ward, da fing es an ganz entsetzlich
zu schreien und zu kirren und lief davon.
Da kam Joseph heraus und fragte: „Was hast Du, mein lieber Jesus, schon wieder
mit dem Mädchen, daß sie gar so schreit?“
Und das Kindlein sprach: „Sie ist wie immer neidig; darum habe Ich wieder einige
Mäuse über sie kommen lassen!“
Hier lächelte Joseph und ging, das Mädchen wieder zu beguten; die übrigen Kinder
aber setzten nun ruhig ihr Spiel fort, denn sie ersahen nichts von den
schrecklichen Mäusen.
195. Kapitel – Des Jesusknäbleins Zwiegespräch
mit dem eigensinnigen Mädchen.
27. April 1844
Nach einer Weile kam auch das Mädchen wieder, und das Kindlein fragte sie
sogleich, ob sie wieder mitspielen wolle.
Das Mädchen aber sagte: „Zusehen will ich wohl, aber mitspielen will ich nicht;
denn mich ärgert geschwind etwas, und dann bist du sogleich schlimm!
Und so mag ich nicht mitspielen; denn ich habe zu große Furcht vor dir, weil du
sogleich mit den Mäusen und Ratten da bist!“
Das Kindlein aber sprach: „Ja, warum bist denn du aber auch so dumm und ärgerst
dich über Dinge, bei denen du nichts verlierst, ob sie so oder so ausfallen?
Sei mit dem zufrieden, was dir durchs Los zukommt, und es werden hinfort keine
Mäuse und Ratten über dich kommen!
Sieh Mich an! Ich schiebe allzeit zuletzt, und Ich murre nicht, da Mir doch der
Vorrang gebührte!
Warum murrest dann du, da du doch als Mädchen die Geduld selbst sein solltest?“
Und das Mädchen sprach: „Was kann denn ich dafür? Warum habe ich denn ein
solches Gemüt? Ich selbst habe es mir nicht gegeben; und so bin ich, wie ich
bin, und kann nicht anders sein!
Da ich aber weiß, daß ich also bin, darum spiele ich nun lieber nicht mit, als
daß ich mich wieder ärgern solle, um von dir dann wieder mit den Mäusen bestraft
zu werden!“
Das Kindlein aber wandte Sich hinweg und sprach wie zu Sich: „Siehe, die Kinder
der Welt begehren auf mit Dir und tadeln an ihnen Dein Werk, weil sie Dich nicht
kennen!
Doch – ein Wurf und noch ein Wurf, und die Kinder der Welt sollen anders von Dir
denken!“ – –
Darauf wandte Sich das Kindlein wieder um und sprach zum Mädchen: „Wem aber
gibst du dann die Schuld, daß du also ärgerlich bist und bist nicht zufrieden
mit deinem Lose?“
Das Mädchen aber sprach: „Wahrhaftig! – wenn du, mein lieber Jesus, einen einmal
zu fragen anfängst, dann nimmt es kein Ende,
und du wirst dadurch dann ein ganz entsetzlich lästiges Kind!
Was weiß ich, wer daran schuld ist, daß ich also bin? – Du bist ja selbst so ein
kleiner Prophet und bist ein Wunderkind, das mit Gott reden kann!
Frage Diesen, wenn solches möglich ist, der wird es dir am besten zu sagen
wissen, warum ich also bin!“
Hier trat das Kindlein näher zum Mädchen und sprach: „Du Mädchen! So du Mich
kennetest, da würdest du anders reden;
da du Mich aber nicht kennest, da redest du, wie dir die Zunge gewachsen ist!
Da siehe einmal hinauf zur Sonne! – was meinst du, was diese ist und von wem sie
ihren Glanz hat?“
Das Mädchen aber sprach schon ganz ungeduldig: „Aber daß du gerade auf mich eine
solche Passion hast, mich förmlich zu martern mit deinen Fragen!
Da siehe, dort sind noch sieben, diese haben Ruhe vor dir; gehe auch einmal zu
ihnen, und belästige sie mit deinem ewigen Gefrage!“
Und das Kindlein sprach: „O Mädchen! Siehe, diese sind gesund und bedürfen
keiner Arznei; du aber bist krank in deiner Seele, darum möchte Ich dir wohl
helfen, wenn du nicht so stützig wärest!
Da du aber so sehr stützig bist, so wird dir schwer zu helfen sein!
Das aber merke du dir: So ein Engel der Himmel Gottes die Gnade hätte, von Mir
dir gleich befragt zu werden, so würde er vor zu großer Seligkeit also
erbrennen, daß er durch sein Liebefeuer die ganze Erde im Augenblicke zerstören
würde!
Gehe aber nun von Mir; Ich mag dich nicht mehr, darum du so stützig und
eigensinnig bist!“ – Hier ging das Mädchen davon und weinte heimlich; Jesus aber
dirigierte als König fort Seine Spielgenossen.
196. Kapitel – Neue Zwistigkeiten im zweiten
Spiel. Der dritte Schub. Das ehrgeizige Mädchen im Ministergrübchen. Die Hetze
gegen das Kind. Der neue, letzte Schub. Alle kommen ins Kindergrübchen, das Kind
allein ins Königsgrübchen. Sein Kügelchen beginnt zu strahlen wie die Sonne, und
das Kind legt das strahlende Kügelchen ins Vatergrübchen. Die
Grund-Lebensordnung ist wiederhergestellt.
29. April 1844
Im Verlauf dieses zweiten Spieles aber brachen wieder einige Zwistigkeiten unter
den Spielenden aus.
Der Minister ward zu gefürchtet, weil das der Cyrenius selbst war; der Feldherr
wie der Landpfleger und der Richter getrauten sich kaum zu rühren gegen den
Minister und schmollten heimlich bei sich über solche Ordnung.
Besonders waren ein paar Mädchen, die da den Landpfleger und den Richter
machten, nicht zufrieden, weil sie ohne des Ministers Einwilligung nichts tun
dürften.
Nur Sixtus in seinem Kindergrübchen war vollkommen zufrieden.
Das Kindlein aber sah diese Uneinigkeit und berief daher alle wieder zusammen,
teilte die Kügelchen wieder aus und ließ zum dritten Male schieben.
Bei diesem Schube aber kam der Cyrenius ins Königsgrübchen und das Kindlein ins
Kindergrübchen;
und alle Kinder hatten eine recht große Freude, daß auch einmal der zwei Jahre
und vier Monate alte Jesus ins Kindergrübchen kam.
Hier kam sogar das gewisse Mädchen wieder und sagte zum Kindlein: „Siehe, da ist
der rechte Platz für dich; das freut mich, daß du auch einmal in dieses
langweilige Grübchen kamst!“
Das Kindlein aber sprach: „Siehe, das Ministergrübchen ist noch frei! Nehme ein
Kügelchen und schiebe, vielleicht kommst du hinein?“
Darauf nahm das Mädchen doch wieder das Kügelchen und schob und kam richtig ins
Ministergrübchen.
Als sie sich aber im Ministergrübchen erschaute, da wurde sie ganz brennend rot
vor Freude, daß endlich einmal ihr Ehrgeiz befriedigt worden ist, und sprach
scherzend:
„Nun, mein Jesus, freue dich; jetzt werde ich dich schon strafen, wenn du
ungehorsam sein wirst!“
Und das Kindlein sagte: „Weißt du, die Kinder sind frei vom Gesetze; was willst
du Mir dann tun, und was machen mit Mir?“
Das Mädchen aber sprach: „Laß nur einmal das Spiel anfangen, und du sollst
sogleich sehen, ob der Minister keine Gewalt über die Kinder hat!“
Darauf teilte Cyrenius als der König das Spiel aus, und alles ging auf seine
Plätze und übte dort sein Amt aus.
Der Minister aber hetzte besonders den Priester gegen das Kind auf, auf daß er
es ja nicht zu sich kommen lassen solle.
Also hatten auch die andern Stände kein Gehör für das Kind.
Und das Kind lief darum zum Könige und beklagte sich nach der Regel des Spieles
bei ihm ob seiner Verfolgung.
Und der König sprach: „O Herr, ich bin in diese Regeln noch zu wenig eingeweiht!
Da nun aber sich schon wieder dieser Regeln ungeachtet eine Unordnung ins Spiel
eingeschlichen hat, da will ich die kleine Gesellschaft wieder einberufen, und
so Du willst, können wir sogleich einen neuen Schub machen!“
Und das Kindlein sprach: „Ja – Cyrenius, einen neuen, und für ewig den letzten!
Und so rufe die Kinder zusammen, auf daß wir die letzte Probe machen!“
Und der Cyrenius berief die Kinder zusammen und verteilte die Kügelchen, und es
ward geschoben.
Diesmal aber schoben alle Kinder samt dem Cyrenius ins Kindergrübchen; nur
allein Jesus schob ins Königsgrübchen.
Da fing aber Sein Grübchen an sobald glühend zu werden und Sein Kügelchen zu
strahlen wie die Sonne!
Und das Kindlein nahm das strahlende Kügelchen und legte es ins Vatergrübchen
und fragte dann den Cyrenius:
„Cyrenius! Verstehst du nun schon ein wenig dieses bedeutungsvollste Spiel?“
Und der Cyrenius sprach: „O Herr, Du mein Leben! – wie solle ich das verstehen?“
Und das Kindlein sprach: „So höre Mich denn an; Ich werde es euch allen gar klar
und gründlich deuten!“
197. Kapitel – Des Spieles Sinn. Die drei
Schübe entsprechend der geschichtlichen Dauer von Adam bis zur Menschwerdung.
Der neue und für ewig letzte Schub: Alle werden im Kinderstande den Vater
erkennen. Der Vater wird dann ewig der Vater sein.
30. April 1844
Und das Kind fing sogleich an, wie ein weiser Lehrer einer Synagoge zu reden und
sprach:
„Das aber ist die Bedeutung dieses Spiels: Von der Schöpfung, wie vor ihr war
Gott von Ewigkeit der Herr!
Der erste Wurf: Die alten Geister erwachen und wollen sich die Herrlichkeit
Gottes nicht gefallen lassen, und das Spiel hat keine Ordnung.
Von Adam bis Noah und von Noah bis Moses dauert dieses Spiel.
Das stützige Mädchen ist die Liebe – und die Welt, der aber die Liebe zuwider
ist.
Zu Noahs Zeiten wird sie durch Drohung gestraft, wie dies Mädchen mit den
Mäusen.
Aber die Welt bessert sich nicht, sondern verfällt allmählich wieder in die
Abgötterei und will Altäre, sichtbare Gottheit und viel Zeremonie.
Da beruft der Herr das Spiel unter Moses zusammen, und es geschieht ein zweiter
Wurf!
Anfangs scheint es: diesmal wird es sich halten; aber nur einmal dem Moses den
Rücken zugewandt, und das goldne Kalb ist fertig!
Also fängt das Mädchen erst an recht zu zanken, auf daß es dann im Ernste
gestraft wird mit der Drohung in der Wirklichkeit.
Und so war die Sündflut viel mehr eine gar starke Drohung als gewisserart eine
Strafe.
Aber die Strafe des Volkes in der Wüste war eine wahre Strafe, da sie durchs
Feuer geschah wie einst zu Sodom.
Auf den Wurf geht das Spiel an; aufrichtig gesagt, anfangs geht es gut, aber aus
purer Furcht, denn diesem Spiele fehlt die Mutter, die Liebe, die davonging,
weil sie nicht herrschen durfte.
Bis auf diese Zeit dauerte dies mosaische Spiel und rieb sich auf durch lauter
Empörungen und durch die stete Furcht.
Wieder ruft der Herr die kleine Schar zusammen; der Wurf geschieht, und der Herr
wird zum Kinde!
Da kommt die Liebe und äußert eine gewisse Freude über den ohnmächtigen Stand
des Herrn.
Die Liebe wirft nun auch, und es gelingt ihr zu erreichen die erste Stufe des
Thrones.
Und da verfolgt sie den Herrn bis zum Tode und läßt Ihm über tausend und nahe
neunhundert Jahre keine Ruhe und hetzt alles wider Ihn auf!
Dann aber ersieht die gestellte Weltherrschaft selbst, daß es sich also nicht
mehr tue.
Und ein letzter Wurf geschieht: Der Herr wird wieder der alte Herr; voll
glühendsten Eifers wird Sein Stand und voll Gnade Sein Wurf!
Und alles Volk wird vom Kinderstande den Vater erkennen, so Er dem Volke als
Solcher in aller Seiner Liebemacht näher und näher rücken wird!
Und das wird der letzte Wurf sein, und wird fürder keiner mehr geschehen! – denn
der Vater wird dann ewig der Vater sein!
Siehe, das ist dieses Spieles Sinn! – Nun aber gehen wir wieder ins Haus, um zu
sehen, was die erwachte Tullia macht; und so folget Mir alle!“
198. Kapitel – Marias und Eudokias Bemühungen
um die erweckte Tullia. Ein prophetisches Bild der späteren Marienverehrung. Die
wahren Liebhaber des Herrn.
2. Mai 1844
Als unsere Spielgesellschaft in das Haus kam, wurde sie kaum bemerkt; denn alles
war noch vollauf mit der wiedererwachten Tullia beschäftigt.
Einige trösteten sie, andere wieder machten sich so um sie her und beobachteten
sie und besorgten einen abermaligen Rückfall in ihren Tod.
Selbst Maria und die Eudokia waren mit ihr beschäftigt und brachten ihr allerlei
Stärkungen und Erfrischungen.
Und die Söhne Josephs samt dem Jakob waren mit der Bereitung des Abendmahles
beschäftigt.
Nur Joseph und der Jonatha saßen im Nebenzimmer auf einer Strohbank und
besprachen sich über so manches aus der Vorzeit;
und sie auch waren die einzigen, die die Eintretenden bemerkten, standen darum
auf und gingen dem Cyrenius und dem Kindlein entgegen und empfingen sie
natürlich auf das allerfreundlichste.
Das Kindlein lief aber sogleich zum Joseph und sagte zu ihm:
„Wie lange werden die Toren die wiedererwachte Tullia noch trösten, laben und
stärken?
Sie lebt ja schon lange gut genug und wird nicht wieder sterben vor ihrer
rechten Zeit; was wollen dann die Toren?!“ –
Und der Joseph sprach: „Was kümmert uns das? Lassen wir ihnen ihre Freude; denn
wir verlieren ja nichts dadurch!“
Und das Kindlein sagte darauf: „Das ist wohl offenbar wahr, und Ich will Mich
darob auch wenig kümmern;
aber das, meine Ich, sollte doch auch richtig sein: Wenn schon die Erweckte eine
so große Bewunderung verdient, da sollte doch der Erwecker nicht gar zu sehr im
Hintergrunde stehenbleiben! – ?“
Und der Joseph sprach: „Da hast Du, mein Söhnchen, wohl ganz recht; aber was
läßt sich hier machen?
Solle ich Dich als den unfehlbaren Erwecker aufführen, so hieße das, Dich vor
der Zeit an die, die Dich noch lange nicht kennen, verraten – und das wäre
unklug!
Hauchtest Du ihnen aber eine solche Erkenntnis wunderbar in ihr Gemüt, da wären
sie gerichtet!
Daher lassen wir sie, wie sie sind; wir aber bleiben hier im geheimen beisammen
im Geiste und in der Wahrheit!
Wann sie sich bis zum Überdrusse aber an der Römerin werden satt getröstet und
angegaffet haben, dann werden sie etwa wohl kommen und werden mit uns
Gemeinschaft machen!“
Und das Kindlein sprach: „Sehet auch hier wieder ein Bild der Zukunft!
Also werden sich auch dereinst die, welche unter unserem Dache sein werden, mit
der toten Römerin abgeben der weltlichen Dinge wegen,
und Maria wird unter den Römern und mit der Römerin viel zu tun haben!
Aber dennoch werden die in unserem Hause nicht unsere Genossen, sondern vielmehr
sein, was sie nun sind, nämlich Heiden, und werden Meiner nicht achten, sondern
allein der Maria!
Und Meine eigentliche Gesellschaft wird verborgen und klein bleiben zu allen
Zeiten in der Welt!
Tullia war eine blinde Bettlerin und ward sehend durch Mein lebendiges Wasser
und ward dann ein erstes Weib des großen Reiches der Heiden.
Da sie aber eifersüchtig ward, da auch fand sie den Tod.
Wieder ward sie erweckt, daß sie lebe; sie lebt, aber noch mag sie Meiner nicht
gewahr werden.
Werde Ich sie wohl durch ein Gericht auf Mich müssen aufmerksam machen?
Ich aber will noch warten einige Zeit und sehen, ob sich die Römerin nicht
erheben wird und kommen zu Mir, ihrem Erwecker! – Joseph, verstehst du dies
Bild?“ – –
199. Kapitel – Josephs echt
menschlich-kurzsichtige Fragen. Des Kindleins Antwort. Die universale Bedeutung
der Menschwerdung des Herrn.
3. Mai 1844
Da aber Joseph solches vom Kindlein vernommen hatte, da sprach er:
„O mein Gottsöhnchen! – ich habe Dich in meiner Tiefe wohl verstanden.
Aber ich muß dazu bekennen, daß Du mir da eben keine angenehme Vorsage gemacht
hast!
Denn so nach Dir, wie vor Dir, der größte Teil der Menschen Heiden und
Götzendiener verbleiben werden, wozu ist dann diese Deine Darniederkunft?
Wozu solche Erniedrigung Deiner endlosen ewigen Heiligkeit? Willst Du nur
wenigen helfen? – Warum nicht allen?!“ –
Das Kindlein aber sprach: „O Joseph, du hast ja eine Menge eitler Fragen!
Hast du noch nie den gestirnten Himmel betrachtet? – Siehe, ein jeder Stern, den
du erschaust, ist eine Welt, ist eine Erde, auf der, wie hier, freie Menschen
wohnen!
Und zahllose gibt es, die noch keines Sterblichen Auge erspähet hat; und siehe,
diesen allen gilt diese Meine Darniederkunft!
Wie und warum aber, das wirst du einst in Meinem Reiche in größter Klarheit
erschauen!
Darum wundere dich nicht, so Ich über dieser Erde Menschen dir eine solche
Vorsage gemacht habe;
denn Ich habe deren ohne Zahl und Ende; und alle diese Zahl- und Endlosen
bedürfen dieser Meiner Darniederkunft –
und bedürfen deren darum, weil solcher Meine eigene ewige Ordnung bedarf, aus
der diese Erde wie alle andern ohne Zahl und Ende hervorgegangen sind.
Also wird es auf der Erde wohl also zugehen, wie Ich es dir vorausgesagt habe!
Aber darum wird der ewig heilige Zweck dieser Meiner Darniederkunft dennoch
nicht ein vergeblicher sein! –
Denn sieh: Alle die zahllosen Welten, Sonnen und Erden haben ihre Bahnen, und
diese haben eben auch zahl- und endlos verschiedene Richtungen.
Überall sind andere Gesetze und überall eine andere Ordnung;
aber am Ende kommen sie doch alle in der einen – Meiner Grundordnung zurecht und
entsprechen dem einen großen Hauptzwecke wie die Glieder des Leibes und deren
Verrichtungen.
Und siehe, also wird es auch mit den Menschen der Erde am Ende sein, und sie
werden dereinst im Geiste dennoch alle erkennen, daß es nur einen Gott, einen
Herrn, einen Vater und nur ein vollkommenes Leben in Ihm gibt!
Wie und wann aber? – Das bleibt bei Dem, der es dir nun gesagt hat!
Aber es werden zuvor noch viele Winde über den Boden der Erde wehen müssen
und viel Wasser dem Himmel entstürzen und viel Holz verbrannt werden, bis man
sagen wird:
Siehe, nun ist eine Herde und ein Hirt, ein Gott und nur ein Mensch aus
Zahllosen, ein Vater und ein Sohn in und aus den Zahl- und Endlosen!“
Ob dieser Rede des Kindleins stiegen dem Cyrenius, dem Jonatha wie dem Joseph
die Haare zu Berge, und der Joseph sprach:
„O Kindlein! – Deine Worte werden immer unbegreiflicher, wunderbarer – und
wahrhaft entsetzlicher!
Wer mag deren endlose Tiefe erfassen?! – Darum rede mit uns nach unserem
Verständnisse, sonst gehen wir zugrunde unter solcher Tiefe Deiner Rede!“
Das Kindlein aber lächelte und sprach: „Joseph! Siehe, gerade heute bin Ich
recht aufgelegt, euch Enthüllungen zu machen, daß ihr alle darob erschaudern
sollet!
Und ihr sollet daraus in der Fülle ersehen, daß in Mir im Ernste der vollkommene
Herr der Ewigkeit zu Hause ist und nun wohnet unter euch! – Und so höret Mich
weiter an!“
200. Kapitel – Prophetische Enthüllungen des
Jesusknäbleins: Jesu Tod, Seine Versöhnungslehre, Auferstehung und Eröffnung der
Lebenspforte für alle.
4. Mai 1844
Und das Kindlein redete also: „Joseph! – Was wirst denn du sagen, so die Kinder
der Welt den Herrn dereinst ergreifen und töten werden mit Hilfe des Satans?
Wenn sie Ihn wie einen Raubmörder ergreifen werden und werden Ihn schleppen vors
Weltgericht, da der Geist der Hölle sein Walten hat?
Und dieses wird den Herrn aller Herrlichkeit ans Kreuz heften lassen! – Was
sagst denn du dazu? – ! –
Wenn mit Ihm geschehen wird, wie die Propheten von Ihm ausgesagt haben, deren
Worte dir wohlbekannt sind! – Was sagst du wohl dazu?“
Als die drei solches vom Kindlein vernommen hatten, da erschraken sie sehr, und
Joseph sprach sehr heftig:
„Mein Jesus, mein Gottsöhnchen, wahrlich, solches geschehe nur Dir nicht!
Die Hand, die sich je an Dir vergreifen würde, solle verflucht sein ewig, und
ihres Trägers Seele solle ewig in der möglichst größten Qual ihren Frevel
büßen!“
Und der Cyrenius schlug sich auch samt Jonatha zu der Partei Josephs und sprach:
„Ja, wenn solches je möglich geschehen könnte, für ewig wahr, da will ich von
heute an der grausamste Tyrann werden!
Zweimalhunderttausend der geübtesten Krieger stehen unter meinem Befehle; nur
einen Wink kostet es mich, und Tod und Verderben sei aller Welt gebracht!
Ehe ein frecher Teufel von einem Menschen seine Satanshände an dieses Kind legen
solle, eher will ich alle Menschen umbringen lassen auf der ganzen Erde!“
Das Kindlein aber lächelte und sprach: „Dann werden ja aber dennoch deine
Krieger bleiben; wer wird denn dann diese aus der Welt schaffen?
Siehe, Mein lieber Cyrenius, wer da weiß, was er tut, und tut Ungerechtes, so
tut er die Sünde und ist ein Täter des Übels!
Wer aber nicht weiß, was er tut, und tut also Ungerechtes, dem solle es vergeben
sein; denn er wußte es ja nicht, was er tat!
Nur – so jemand wohl wüßte, was er täte, und möchte nicht tun aus sich
Ungerechtes, wenn er aber gezwungen wird, da sträubt er sich nicht und tut
Ungerechtes, der ist ein Sklave der Hölle und zieht sich selbst das Gericht auf
den Hals!
Die Hölle aber weiß wohl, daß da mit den blinden Werkzeugen besser zu handeln
ist als mit den sehenden;
daher hält sie auch fortwährend die Blinden in ihrem Solde, – und eben diese
Blinden werden den Herrn der Herrlichkeit ans Kreuz heften!
Wie willst du aber einen Blinden strafen darob, so er am Wege mit dem Fuße
anstieß und fiel und zerbrach sich Arme und Beine?!
Daher bleibe du mit deiner Macht nur so hübsch fein zu Hause, die viel mehr
Unheil als Heil auf der Erde stiften möchte!
Und sei versichert, daß Der, den die Menschen dem Fleische nach töten werden in
ihrer Blindheit, im Geiste und in Seiner Kraft und Macht nicht getötet wird,
sondern alsobald wieder erstehen wird aus eigener Kraft und Macht –
und wird erst dadurch eröffnen aller Kreatur den Weg zum ewigen Leben!“
Der heftige Ton des Cyrenius aber brachte auch die Tullia-Gesellschaft zur
Aufmerksamkeit auf die kleine Gesellschaft.
Das Kindlein aber verwies die Gesellschaft zurück und sprach: „Gehet an eure
Sache; denn was hier vorgeht, ist nicht für euch, ihr Blinden!“ – Und die
Gesellschaft zog sich wieder zurück.
201. Kapitel – Jesu ernste Worte an Maria.
Voraussage über das Verachtetsein des Herrn und Seiner Nachfolger in der Welt.
6. Mai 1844
Es waren aber auch Maria, die Eudokia und der Jakob unter denen, die da
zurückgewiesen wurden.
Maria aber ging dennoch hinein, und die Eudokia und der Jakob folgten ihr.
Und die Maria aber bog sich nieder zum Kindlein und sprach:
„Höre Du mein Söhnchen! Du bist ja ganz entsetzlich schlimm!
Wenn Du mich schon jetzt von der Türe weisest, was wirst Du erst dann tun mit
mir, wenn Du ein Mann wirst?!
Siehe, so schlimm darfst Du nicht sein gegen die, die Dich unter ihrem Herzen
mit großer Angst und mannigfacher Qual getragen hat!“
Das Kindlein aber sah die Maria gar liebernst an und sprach:
„Was heißest du Mich dein Söhnchen?! – Weißt du denn nicht mehr, was der Engel
zu dir geredet hat?
Wie sollst du Das heißen, was aus dir geboren ward?
Siehe, der Engel sprach: ,Und was aus dir geboren wird, wird Gottes Sohn, – Sohn
des Allerhöchsten heißen!‘
Wenn sicher also und nicht anders, wie nennest du Mich denn hernach dein
Söhnchen?!
Wenn Ich dein Sohn wäre, da würdest du dich mehr mit Mir abgeben denn mit der
Tullia!
Da Ich aber nicht dein Sohn bin, so ist dir auch die Tullia mehr am Herzen denn
Ich!
Wenn Ich irgend draußen herumspringe und dann wieder zur Türe hereinkomme, da
kommt Mir kein Mensch mit flammendem Herzen entgegen,
und Ich bin da schon wie ein alltägliches Brot für Knechte und Mägde, und
niemand breitet gegen Mich die Arme aus!
Aber wenn so eine Stadtklatscherin hierherkommt, da wird sie sogleich mit allen
Ehren empfangen.
Und also ist es auch jetzt mit der dummen Tullia, die von Mir das Leben erhielt;
der kriechet ihr aus lauter Aufmerksamkeit beinahe in den Steiß.
Mich, den Geber des Lebens, aber beachtet ihr kaum!
Sage selbst, ob das wohl in der Ordnung ist?!
Bin Ich nicht mehr als irgendeine dumme Stadtklatscherin und nicht mehr als
diese Tullia?
O freuet euch, ihr alle Meine einstigen Nachfolger-Knechte; wie es nun Mir
ergehet, so wird es auch euch ergehen!
Eure Gönner werden euch in einen Mistwinkel stellen, so sie Besuche erhalten
werden von ihren Klatschbrüdern und Klatschschwestern!“ – Diese Worte drangen
tief ins Herz Mariens, und sie kehrte sich darauf sehr daran.
202. Kapitel – Jakob im Gespräch mit dem
kleinen Jesus. Des Kindleins Klage über die geringe Beachtung, die ihm von den
Eltern und Hausgenossen geschenkt wird.
7. Mai 1844
Auf diese Worte bog sich auch Jakob zum Kindlein nieder und sprach zu Ihm:
„Höre! Du mein geliebter Jesus, Du mein zartes Brüderchen, wenn Du einmal
schlimm wirst, dann ist es mit Dir ja beinahe nicht mehr auszuhalten!
Möchtest Du mir nicht auch einen solchen Verweis geben, wie Du ihn gegeben hast
der Mutter Maria?
Du kannst es wohl tun; aber dann werde auch ich greinen mit Dir, warum Du mich
nicht zum Spiele geladen hast, da ich doch von ganzem Herzen gerne dabeigewesen
wäre!“
Das Kindlein aber sprach: „O sorge dich nicht, Jakob, daß Ich dir etwas sagen
werde;
denn deine beständige Aufmerksamkeit für Mich ist Mir schon bekannt!
Zudem teilen wir ja gar oft das Los, und da geht es dir wie Mir!
Siehe, wenn du öfter mit Mir ausgehest und trägst Mich dann wieder nach Hause
von irgendwoher, manchmal sogar aus der Stadt, wenn du in selber etwas zu tun
hast und Mich dann mitnimmst,
da kommt uns niemand entgegen! Wir gehen ohne weitere Begleitung fort, und so
wir nach Hause wieder zurückkehren, da kommt uns keine Seele entgegen!
Wie wir allein ausgegangen sind, so kommen wir auch allein wieder zurück!
Und wenn wir dann und wann um eine Viertelstunde zu spät kommen, da werden wir
noch obendrauf recht tüchtig ausgemacht.
Und sind wir zu Hause, da dürfen wir uns eben auch nicht viel rühren, wollen wir
nicht einen Putzer bekommen.
Und soviel da manchmal geplaudert wird von allerlei Dingen, sage, ob wir auch zu
den interessanten Dingen gehören, denen einige Worte im Tage gelten möchten?
Aber wenn sich so ein Bekannter aus der Stadt melden läßt und sagt: ,Ich werde
dich am Montag besuchen‘,
da freut sich unser Haus schon drei Tage darauf und redet nachher noch drei Tage
davon!
Und wenn der Freund kommt, da läuft ihm alles entgegen, und wenn er wieder geht,
so wird er bis zu seiner Haustüre begleitet.
Wenn aber wir gehen und kommen, da rührt sich keine Katze im Hause!
Wohl aber heißt es, wenn so ein beredter Stadtklatscher hierherkommt: ,Jakob,
gehe jetzt mit dem Kleinen nur hübsch hinaus!‘
Und wir ziehen dann sogleich ohne Begleitung hinaus und dürfen nicht eher
wiederkommen, als bis es dem Klatscher beliebt hatte, wieder unter der gesamten
Begleitung des Hauses abzuziehen!
Nur wenn der Cyrenius oder der Jonatha kommt, dann gelten auch wir etwas, wenn
nicht wichtige Betrachtungen hinderlich sind!
Darum sorge dich nicht, daß Ich dir etwas sagen werde, das dich schmerzen
könnte; denn wir sind ja beide gleichgestellt, was das Ansehen und die Liebe
betrifft!
Wenn wir uns den ganzen Tag nicht rühren und mucksen, dann sind wir ,brav‘! –
und dieses ,brav‘ aber ist dann auch unser ganzer Lohn! – Bist du damit
zufrieden? – Ich bin es nicht!“
Als Joseph und Maria solches vernahmen, da ward es beiden bange. – Das Kindlein
aber beruhigte sie und sprach: „Nur in der Zukunft ein wenig anders; das
Vergangene ist vorüber!“ – Und der Jakob weinte vor großer Freude in seinem
Herzen.
203. Kapitel – Josephs Bekenntnis vor dem
Kindlein. Der Unterschied zwischen Maske und Klugheit. Der Herr hält sich
verborgen, damit die Welt nicht gerichtet werde. Eine Mahnung des Kindleins an
Maria.
8. Mai 1844
Darauf berief der Joseph das Kindlein zu sich und sprach zu selbem:
„Höre Du mich nun an; was ich nun sagen werde, das sage ich nicht Deinetwegen,
sondern derer wegen, die hier sind!
Denn ich weiß, daß Du allzeit durchschauest meine geheimsten Gedanken, und ich
brauche darum nichts zu sagen zu Dir; aber die hier sind, sollen auch wissen,
was ich zu Dir habe!
Siehe, es ist wahr, daß wir oft dem Außen nach wie lau gegen Dich waren;
aber diese Lauheit war nur eine Maske unserer inneren Achtung und Liebe zu Dir,
auf daß Du nicht ruchbar würdest vor der grausamen Welt!
Wer kennet wohl besser als Du die Welt? – Und so wirst eben Du es auch am besten
einsehen, daß unser bisheriges öffentliches Benehmen gegen Dich also sein mußte,
damit wir mit Dir sicher sind.
Und so bitte ich Dich, vergebe uns so manche Scheinkälte unserer Herzen, die in
sich aber dennoch allzeit bei Deinem Anblicke erglühten wie eine Morgenröte!
In der Zukunft aber wollen wir uns gegen Dich schon so auch offen verhalten, wie
es uns unser innerer Drang gebieten wird!“
Nach dieser Anrede sprach das Kindlein: „Joseph! – Du hast wahr geredet; aber
dessenungeachtet gibt es dennoch einen großen Unterschied zwischen Maske und
Klugheit.
Die Maske macht das Gemüt kalt; aber die Klugheit erwärmt es!
Wozu aber Maske, wo die Klugheit ausreicht? Wozu Verstellung, wo die natürliche
Weisheit tausend Sicherungsmittel bietet?
Bin Ich nicht der Herr, dem die ganze Unendlichkeit auf einen Wink gehorchen
muß, weil sie nichts als nur ein festgehaltener Gedanke aus Mir ist und ist da
als ein ausgesprochenes Wort aus Meinem Munde?!
Bin Ich aber der alleinige, wahrhaftige Herr, wie sollte da zu Meiner Sicherung
vor der Welt deine Gemütsmaskierung wirksamer sein als eine ganze Welt voll von
Meiner ewigen Macht?!
Siehe, ein Hauch aus Meinem Munde – und die ganze sichtbare Schöpfung ist nicht
mehr!
Meinst du da wohl, Ich habe deiner Gemütsmaske vonnöten, um Mich und dich vor
den Nachstellungen der Welt zu verwahren?
O nein, dessen bedarf Ich nicht! Denn Ich halte Mich nicht etwa aus Furcht vor
der Welt verborgen,
sondern allein nur des Gerichtes wegen, damit die Welt nicht gerichtet werde, so
sie Mich erkennete in ihrem Argen.
Daher seid ihr alle in der Zukunft wohl klug des Heiles der Welt wegen;
aber mit der Maske bleibet Mir ferne, denn diese ist in ihrer besten Stellung
eine Geburt der Hölle!
Und du, Maria, kehre zu deiner ersten Liebe zurück, sonst wirst du dereinst viel
Trauer zu bestehen haben darum, daß du Mich jetzt der Welt wegen durch die Maske
deines Herzens kalt behandelst!“
Dieses Wort brach der Maria das Herz, und sie ergriff mit aller Macht ihrer
Liebe das Kindlein und drückte Es an ihr Herz und kosete Es mit der größten Glut
ihrer mütterlichen Liebe.
204. Kapitel – Marias Liebesfrage an das
Kindlein. Der Unterschied zwischen der Liebe des Menschen und der Liebe Gottes.
„Mein Zorn selbst ist mehr Liebe als deine größte Liebe!“ Das Gleichnis vom
König als Freier, angewandt auf Tullia und das Jesuskindlein.
9. Mai 1844
Als Maria das Kindlein eine Zeitlang geherzet hatte, da fragte sie Es ganz
furchtsam:
„Mein Jesus, wirst Du mich, Deine Magd, wohl wieder lieben, wie die Magd Dich
ewig lieben wird?“
Und das Kindlein lächelte die Maria gar freundlichst an und sprach:
„Aber was hast du da wieder für eine schwache Frage gestellt!
Wenn Ich dich nicht mehr liebte als du Mich, was – wahrlich, wahrlich! – wärest
du da wohl?
Siehe, so du Mich liebtest mit der Glut aller Sonnen, so aber wäre dennoch
solche deine Liebe nichts gegen jene Meine Liebe, mit der Ich den ärgsten
Menschen selbst noch in Meinem Zorne liebe!
Und Mein Zorn selbst ist mehr Liebe als deine größte Liebe!
Was ist dann erst Meine eigentliche Liebe, die Ich zu dir habe?!
Wie hätte Ich dich wohl je zu Meiner Gebärerin gewählt, wenn Ich dich nicht
geliebt hätte – mehr, als es je die Ewigkeit fassen wird?!
Siehe, wie schwach da deine Frage ist! Ich aber sage dir: Nun gehe und bringe
die Tullia;
denn Ich habe gar wichtige Dinge mit ihr zu reden!“
Hier gehorchte die Maria plötzlich und ging und holte des Cyrenius Weib.
Als die Tullia ganz furchtsam in das Kabinett trat, da sich das Kindlein befand,
da richtete Sich das Kindlein auf und sprach zur Tullia:
„Tullia, du Erweckte, höre! – Es war einst ein großer König und war ledig und
voll männlicher Schönheit und voll echter göttlicher Weisheit.
Dieser König sprach zu sich: ,Ich will gehen und mir ein Weib suchen in einem
fremden Orte, da mich niemand kennt;
denn ich will ein Weib nehmen meiner selbst willen, und das Weib solle mich
lieben, darum ich ein weiser Mann bin – aber nicht, da ich ein großer König
bin!‘
Und so zog er aus seinem Reiche in die ferne Fremde und kam da in eine Stadt und
machte da bald Bekanntschaft mit einem Hause.
Die Tochter des Hauses ward erwählt, und diese hatte eine große Freude; denn sie
erkannte bald in dem Bewerber eine große Weisheit.
Der König aber dachte: ,Du liebst mich nun wohl, da du mich siehst und meine
Gestalt und meine Weisheit dich fesselt;
ich aber will sehen, ob du mich wahrhaft liebst! Darum werde ich mich als
Bettler verkleiden und werde dich so öfter belästigen.
Du aber sollst nicht wissen und irgend im geringsten erfahren, daß ich im
Bettler stecke.
Wohl aber solle der Bettler ein Zeugnis von mir tragen, als sei er mein inniger
Freund, aber sonst arm in dieser Fremde wie sein Freund.
Und es solle sich da zeigen, ob diese Tochter mich wahrhaft liebt!‘
Und wie sich der große König die Sache ausgedacht hatte, also wurde sie auch
sogleich ausgeführt.
Es kam nach einiger Zeit, da der König zum Scheine verreisete, der Bettler zur
Tochter und sprach zu ihr:
,Liebe Tochter dieses reichen Hauses, siehe, ich bin sehr arm und weiß, daß du
große Reichtümer besitzest!
Ich saß am Tore, als dein herrlicher Bräutigam von dir sich verreisete, und bat
ihn um ein Almosen.
Da blieb er stehen und sprach: ,Freund! Ich habe hier nichts, das ich dir
reichen könnte außer dies Angedenken von meiner Braut, die sehr reich ist!
Gehe in jüngster Zeit zu ihr, und zeige ihr das in meinem Namen, und sie wird
dir so sicher geben, als sie mir geben würde, dessen du vonnöten hast!
Wann ich aber ehestens zurückkehren werde, da werde ich ihr tausendfach alles
ersetzen!‘
Als die Tochter solches vernommen, war sie voll Freuden und beteilte den
Bettler.
Da ging der Bettler und kam in wenigen Tagen wieder und ließ sich melden bei der
Tochter.
Die Tochter ließ ihn auf ein anderes Mal bescheiden, da sie nun Besuche hatte.
Der Bettler kam zum andern Male und ließ sich melden.
Da hieß es: ,Die Tochter ist mit einigen Freunden ausgegangen!‘ – Und der
Bettler kehrte traurig zurück.
Als er an das Haustor kam, da begegnete ihm die Tochter in der Mitte ihrer
Freunde und achtete des Bettlers kaum.
Wohl sagte dieser: ,Liebe Braut meines Freundes, wie liebst du ihn denn, so du
seinen Freund nicht hörest?‘
Die Tochter aber sprach: ,Ich will Zerstreuung; wenn der Freund kommen wird, den
werde ich schon wieder lieben!‘
Darauf begab sich am nächsten Tage der Bettler wieder zur Tochter und fand sie
voll Heiterkeit; denn sie hatte ja eine recht muntere Gesellschaft.
Und der Bettler fragte sie: ,Liebst du wohl deinen Bräutigam – und bist so
heiter, da er verreisete in Geschäften um dich?‘
Da schaffte die Tochter den Bettler hinaus und sprach: ,Das wäre ein Verlangen!
– Ist's nicht genug, so ich ihn liebe, wenn er da ist? Was solle ich ihn in
seiner Abwesenheit auch lieben? – Wer weiß, ob er mich liebt!?‘
Hier warf der Bettler sein zerrissenes Oberkleid weg und sprach zur erstaunten
Tochter:
,Siehe, der verreiset ist, war stets hier, zu merken deine Liebe!
Du aber dachtest kaum an ihn, und der, der dir das Zeichen deines Schwures
zeigte, ward verstoßen und verhöhnt, da dir die Weltgesellschaft besser zusagte.
Aber siehe, eben dieser ist jener, der nun vor dir stehet, und ist jener große
König, dem alle Welt zugehöret!
Und dieser gibt dir nun alles zurück, was du ihm gabst, tausendfach; aber dir
kehret er für ewig den Rücken, und du sollest nimmer sein Angesicht sehen!‘
Tullia! – Kennst du diesen König und diesen Bettler? – Siehe, Ich bin es, und du
bist die Tochter! – Auf der Welt sollst du glücklich sein;
was aber nachher, das sagt dir dies Gleichnis!
Ich gab dir Leben und großes Glück, und du magst Meiner nicht gedenken!
O du blindgeborne Römerin! – Ich habe dir Licht gegeben, und du hast Mich nicht
erkannt!
Ich gab dir einen Mann aus den Himmeln, und du wolltest an ihm Meinen Liebeteil
für dich nehmen.
Da warst du tot; Ich habe dich wieder erweckt, und du nahmst dafür der Welt
Huldigungen an und achtetest Meiner nicht!
Und jetzt, da Ich dich rufen ließ, bebest du vor Mir wie eine Ehebrecherin.
Sage! was wohl solle Ich mit dir anfangen?
Solle Ich ferner noch betteln vor deiner Türe?
Nein! – das werde Ich nicht; aber Ich werde dir geben deinen Teil, und dann
werden wir quitt sein!“ –
Diese Worte erfüllten das ganze Haus Josephs mit Entsetzen.
Das Kindlein aber begehrte mit Seinem Jakob allein hinaus in die Freie zu gehen
und kehrte bis zum späten Abende nicht wieder zurück.
205. Kapitel – Der Tullia Klage. Marias
tröstende Worte. Der Tullia Selbstschau, Reue und Buße. Jesu Lieblingsspeise.
Die alte und die neue Tullia.
11. Mai 1844
Nach einer Weile erst erholte sich die Tullia wieder und fing an gar bitterlich
zu weinen und sagte:
„O Herr, warum ward ich sehend einst in diesem Hause, warum das Weib des
Cyrenius, daß ich nun in meinem vermeintlichen Glücke so viel zu leiden habe?!
Warum erwecktest Du die Tote, warum mußte denn wieder Leben in meine Brust
kehren?!
Bin ich denn zur Qual geboren worden? – warum gerade ich, während doch Tausende
und Tausende ruhig und glücklich leben und wissen kaum von einer Träne, die der
Schmerz dem Auge erpreßt! – ?“
Maria aber, von Mitleid gerührt, tröstete die Tullia mit folgenden Worten:
„Tullia, du mußt nicht hadern mit dem Herrn, deinem und meinem Gotte!
Denn siehe, das ist schon so Seine Art und Weise, daß Er gerade diejenigen, die
Er liebt, recht starken Prüfungen aussetzt!
Solches erkenne du in deinem Herzen, und erwecke deine Liebe von neuem zu Ihm,
und Er wird sobald vergessen Seiner Drohung und wird dich aufnehmen von neuem in
Seine Gnade!
Denn Er hatte schon gar oft gedroht den Übeltätern und hat ihnen den Untergang
auf den nächsten Tag durch die Propheten verkünden lassen und bezeichnen die
Stelle, auf der die Hunde ihr Blut auflecken sollen.
So aber die Übeltäter zur Buße griffen, da sprach Er sobald zum Propheten:
,Siehst du nicht, daß er Buße tut? Darum will Ich ihn auch nicht strafen!‘
Als Jonas berufen ward von Gott, den Niniviten, die in alle Sünden versunken
waren, den Untergang zu verkünden,
da wollte dieser nicht hingehen, denn er sprach: ,Herr! Ich weiß, daß Du nur
höchst selten das folgen lässest, was der Prophet androhen muß;
darum will ich nicht hinziehen, auf daß ich als ein Prophet vor den Niniveern
nicht zuschanden würde, wann Du Dich ihrer sicher wieder erbarmen wirst!‘
Siehe, sogar dieser Prophet setzte einen gegründeten Zweifel in den Zorn Gottes!
Ich aber rate dir: Tue du, was die Niniveer taten, und du wirst wieder zu Gnaden
aufgenommen werden!“
Diese Worte flößten der Tullia wieder Mut ein, und sie fing an, über sich
nachzudenken, und fand bald eine Menge Fehler in sich und sprach:
„O Maria! Jetzt erst ersehe ich, und es wird mir klar, warum mich der Herr also
züchtiget!
Siehe, mein Herz ist voll Sünden und voll Unlauterkeit! – Oh – wie werde ich es
je zu reinigen vermögen?!
Wie kann ich es also wagen – mit einem so höchst unreinen Herzen den Heiligen
aller Heiligkeit zu lieben?!“
Und die Maria sprach: „Eben darum mußt du Ihn lieben in deiner reuigen
Schulderkenntnis; denn solche Liebe allein nur wird dein Herz reinigen vor Ihm –
dem Heiligen aller Heiligkeit!“
Als spät am Abende das Kindlein mit Seinem Jakob wieder ins Haus kam, da ging Es
sobald zur Maria und verlangte etwas zu essen. Und Maria gab Ihm sogleich etwas
Butter, Brot und Honig.
Darauf sagte Es: „Ich sehe noch eine andere Speise, gib Mir auch davon zu essen!
– Siehe, es ist das Herz der Tullia; gebe es Mir, weil du es schon für Mich
zubereitet hast!“ – Hier fiel die Tullia vor dem Herrn nieder und weinte.
Maria aber sprach: „O Herr! Erbarme Dich der Armen, die da viel leidet!“
Und das Kindlein sprach: „Ich habe Mich ihrer schon gar lange erbarmt, sonst
hätte Ich sie nimmer erweckt!
Nur sie war es, die von Meiner Erbarmung keine Notiz nehmen wollte und wollte
lieber hadern mit Mir in ihrem Herzen, als Mich aufnehmen in selbem.
Da sie aber nun ihr Herz zu Mir gewendet hat, so habe Ich ihr getan wie den
Niniveern.“
Nach diesen Worten ging das Kindlein hin zur Tullia und sprach zu ihr:
„Tullia, siehe, Ich bin nun recht müde geworden. Du hast Mich einst auf deinen
Armen schon getragen, und es tat Mir wohl; denn du hattest recht weiche Arme!
Also erhebe dich auch jetzt, und nehme Mich auf deine Arme und fühle, wie süß es
ist, den Herrn des Lebens in den Armen zu haben!“
Dies Begehren des Kindleins brach der Tullia völlig das Herz.
Mit der ihrem Herzen möglich höchsten Liebe nahm sie das Kindlein auf ihre
weichen Arme und sprach weinend:
„O Herr! – Wie möglich wohl ist das, daß Du mir nun gegen Deine schreckliche
Drohung so gnädig bist?!“
Und das Kindlein sprach: „Weil du die alte Tullia, die Mir zuwider war,
ausgezogen und eine neue, Mir werte, angezogen hast! – Doch jetzt sei ruhig;
denn nun habe Ich dich schon wieder lieb!“ – Durch diese Szene wurden alle zu
Tränen gerührt.
206. Kapitel – Die weinende Tullia. Ein
Evangelium der Tränen. Drei Tränen hat der Herr ins Auge des Menschen gelegt:
die Freudenträne, die Mitleidsträne und die Träne, die der Schmerz erpreßt.
13. Mai 1844
Je länger aber nun die Tullia das Kleine auf den Armen hatte, desto mehr
erkannte sie ihre Lebensfehler in sich und weinte darob sehr von Zeit zu Zeit.
Da richtete Sich das Kindlein auf und sprach zur Tullia: „Du Meine liebe Tullia!
Das gefällt Mir schon wieder nicht von dir, daß du nun in einem fort weinest, da
du Mich doch auf deinen Armen hast!
Sei nun heiter und fröhlich; denn Ich habe kein Wohlgefallen an den Tränen der
Menschen, wenn sie da fallen, wo sie nicht vonnöten sind!
Meinst du etwa, deine Tränen werden reinigen dein Herz von aller Sünde vor Mir?
O siehe, das ist töricht! Die Tränen gleiten wohl über deine Wangen und trüben
deine Augen, was dir schädlich ist sogar, –
aber übers Herz gleiten die Tränen nicht und reinigen es auch nicht; wohl aber
machen sie es oft verschlossen, daß dann weder etwas Gutes noch etwas Böses in
selbes eingehen kann!
Und siehe, das bringt dann auch den Tod dem Geiste, der im Herzen wohnet!
Denn ein trauriger Mensch ist stets ein beleidigtes Wesen, und dieses Wesen ist
für nichts aufnahmefähig.
Nur drei Tränen habe Ich in das Auge des Menschen gelegt, und diese sind: die
Freudenträne, die Mitleidsträne und die Träne, die der Schmerz erpreßt.
Diese allein mag Ich sehen; aber die Trauerträne, die Reueträne und Zornträne,
die aus dem Mitleid mit sich selbst entsteht, sind Früchte des eigenen Grund und
Bodens und haben bei Mir einen geringen Wert.
Denn die Trauerträne entstammt einem beleidigten Gemüte und verlangt Ersatz;
kommt dieser nicht, so umwandelt sich ein solch Gemüt leicht in einen geheimen
Zorn und endlich in ein Rachegefühl.
Die Reueträne ist ähnlichen Ursprungs und kommt erst dann nach der Sünde zum
Vorscheine, so eben die Sünde eine wohltätige Züchtigung nach sich gezogen hat.
Dann aber ist sie keine Träne über die Sünde, sondern nur eine Träne ob der
Züchtigung und darum auch über die Sünde, weil diese die Züchtigung zur Folge
hatte.
Auch diese Träne bessert das Herz nicht; denn der Mensch flieht dann die Sünde
nicht aus Liebe zu Mir, sondern nur aus Furcht vor der Strafe; und siehe, das
ist ärger denn die Sünde selbst!
Was aber die Zornträne betrifft, so ist sie nicht wert, daß Ich von ihr ein Wort
spräche; denn diese ist ein Quellwasser aus dem Fundamente der Hölle!
Diese Träne aber befeuchtet wohl dein Auge nicht, sondern nur die Reueträne.
Ich aber sage dir: Trockne dir auch diese von deinen Augen; denn du siehst ja,
daß Ich an ihr keine Freude habe!“
Hier wischte sich die Tullia die Tränen aus ihren Augen aus und sprach: „O Herr!
– Wie endlos weise und gut bist Du doch!
O wie heiter und fröhlich könnte ich sein, wenn ich keine Sünderin wäre!
Aber ich habe in Rom auf Geheiß des Kaisers einem Götzen des Volkes wegen
geopfert, und diese Tat nagt wie ein böser Wurm an meinem Herzen!“
Und das Kindlein sagte: „Diese Sünde habe Ich dir schon eher vergeben, als du
sie begangen hast.
Aber du warst Mir um die Liebe des Cyrenius neidisch; – siehe, das war eine
grobe Sünde! – Ich aber habe dir nun alles vergeben, und du hast keine Sünde
mehr, weil du Mich wieder liebst; daher aber sei fröhlich und heiter!“
Darauf ward die Tullia, wie alles im Hause Josephs, wieder voll Heiterkeit, und
alle begaben sich darauf zum Nachtmahle.
207. Kapitel – Des Kindleins beruhigende Worte
vor der Sturmnacht. Eudokias große Furcht. Und wärest du am Ende aller Welten,
so würde Ich dich doch schützen können!
14. Mai 1844
Nach dem Nachtmahle segnete Joseph alle die Gäste, und das Kindlein segnete sie
auch und sagte:
„Nun begebet euch alle zur Ruhe; fürchtet euch aber nicht, wenn zur Nachtzeit
ein kleiner Sturm an unser Haus stoßen wird;
denn es wird da niemandem ein Haar gekrümmt werden!
Denket, Der hier unter euch wohnet, ist auch ein Herr der Stürme!“
Nach diesen Worten, die unter den Schiffsleuten des Cyrenius eine Besorgnis um
das Schiff erregten, sagte ein Schiffsknecht:
„Dieses Kind ist ein rechter Prophet, denn es prophezeiet Schlimmes!
Daher – sollen wir wohl sogleich dahin ziehen, wo das Schiff des Cyrenius
schwach befestigt sich befindet, und sollen es soviel als möglich ans Ufer
ziehen und da festmachen!?“
Da erhob sich Jonatha und sprach: „Laßt diese Sorge gut sein!
Denn fürs erste wird der Herr schon auch das Schiff zu schützen wissen;
fürs zweite aber habe auch ich Leute daheim, die mit dem Schiffsicherungswesen
besser umzugehen wissen als ihr, und werden das Schiff des Statthalters schon zu
sichern wissen. Daher möget ihr samt mir schon ganz ruhig sein!“
Damit war alles beruhigt, und alles begab sich zur Ruhe.
Maria aber bereitete dem Kindlein auch sogleich ein recht weiches und frisches
Bett, legte Es dann nieder und stellte das kleine Bettchen neben ihr Lager.
Es schliefen aber gewöhnlich die Maria und die Eudokia in einem Bette beisammen,
und also auch jetzt.
Die Eudokia aber, eine tüchtige Furcht vor dem vorgesagten Sturme habend, sagte
zur Maria:
„Maria, siehe, ich habe eine starke Furcht vor dem sicher kommenden Sturme!
Wie wäre es denn, so wir das Kindlein heute zwischen uns in die Mitte nähmen?
Da wären wir doch gewissest sicher vor jeglicher Gefahr!“
Da aber das Kindlein solche Besorgnis von der Eudokia vernommen hatte, da
lächelte Es und sagte darauf:
„O Eudokia! Manchmal bist du recht gescheit, aber manchmal wieder dümmer als der
Blitz!
Meinst du wohl, daß Ich dich nur dann schützen kann, so Ich Mich in deinem
Schoße befinde?!
O da bist du in großer Irre! – Siehe, Mein Arm ist länger, als du meinst!
Und wärest du am Ende aller Welten, so würde Ich dich noch so gut wie hier
schützen können!
Daher sei ruhig, und gehe wie sonst zur Ruhe, und du wirst morgen schon wieder
gesund aufstehen!“ – Das beruhigte die Eudokia, und sie legte sich mit Maria
sogleich zur Ruhe.
208. Kapitel – Die Schrecknisse des
nächtlichen Orkans. Die wilden Tiere. Josephs Fluch über den Sturm. Des
Kindleins Rüge. Das Ende des Sturmes.
15. Mai 1844
Nach zwei Stunden, als sich alles schon in der Ruhe befand, kam ein gar
mächtiger Orkan und stieß so gewaltig an das Haus, daß das ganze Haus erbebte.
Alle Schlafenden wurden durch diesen dröhnenden Stoß aufgeweckt.
Und da der Orkan fortwütete und von tausend Blitzen und dem gewaltigsten Donner
begleitet war,
so fing bald alles an zu beben und zu zagen, was sich nur im Hause Josephs
befand.
Zu dem Wüten und Toben des Orkans gesellte sich auch noch das Geheul von einer
Menge wilder reißender Tiere und vermehrte die Angst der Gäste im Hause Josephs.
Alles fing an, sich in das Gemach zu drängen, in dem sich Joseph, Cyrenius und
Jonatha befanden, und suchte da Schutz.
Joseph aber stand auf und machte Licht und tröstete die Zagenden, so gut es ihm
nur immer möglich war.
Desgleichen tat auch der Riese Jonatha und der Cyrenius.
Aber da der Sturm stets heftiger wurde, so gab das Trösten der drei nicht viel
aus; und ganz besonders wurden dadurch die meisten in die größte Todesangst
versetzt, als einige Tiger bei den freilich wohl mit Gittern versehenen Fenstern
anfingen, ihre Tatzen hineinzustrecken unter einem gar unheimlichen Geheule.
Als dem Joseph selbst das Ding ein wenig zu arg ward, da erregte er sich und
sprach zum Sturme:
„Verstumme, du Ungetüm, im Namen Dessen, der hier wohnt, ein Herr der
Unendlichkeit,
und beunruhige fürder nimmer, die da der Ruhe bedürfen zur Nachtzeit! – Es
geschehe!“
Solche Worte rief Joseph mit großer Kraft aus, daß sich darob alle entsetzten,
mehr noch als vor dem Wüten des Orkans.
Aber sie wollten dennoch nichts bewirken, worüber dann Joseph noch mehr erregt
wurde und noch heftiger seine Drohung an den Sturm richtete.
Aber auch diese blieb fruchtlos, und der Orkan spottete des Josephs.
Da ward Joseph zornig über den ungehorsamen Orkan und verfluchte ihn.
In diesem Momente ward das Kindlein wach und sagte zum Jakob, der sich neben dem
kleinen Bettchen befand:
„Jakob, gehe hinein zum Joseph und sage ihm, er solle seinen Fluch wieder
zurücknehmen; denn er fluchte, das er nicht kennt!
Morgen aber wird er erst den Grund dieses Sturmes einsehen und erkennen dessen
guten Grund; in wenigen Minuten aber wird er ohnehin zu Ende sein.“
Darauf ging Jakob sogleich zum Joseph und sagte zu ihm, was ihm das Kindlein
aufgegeben hatte.
Da ermannte sich Joseph, tat, was ihm Jakob kundgab, und bald darauf legte sich
der Sturm; die Bestien verloren sich, und alles im Hause Josephs begab sich
wieder zur Ruhe. –
209. Kapitel – Die Wohltat und der Zweck des
nächtlichen Sturmes: die Vernichtung der Räuber.
17. Mai 1844
Am nächsten Morgen stand Joseph wie gewöhnlich schon sehr früh auf und teilte an
seine vier Söhne die Tagesarbeiten aus.
Die erste war, daß sie zu sorgen haben für ein gutes Frühstück, und was dann der
Tag geben wird.
Nach solcher Beorderung ging er hinaus und sah nach, was da etwa der nächtliche
Sturm alles für Schaden angerichtet hatte.
Als er aber so hin und her ging, da fand er bald eine Menge abgenagter
Menschengebeine
und traf eine Menge Stellen an, die mit Menschenblut besudelt waren.
Er entsetzte sich ob solchen Anblickes ganz gewaltig und konnte sich dieses
Rätsel nicht lösen.
Als er aber etwas fürbaß ging, da fand er auch eine Menge Dolche und kleiner
Lanzen, die häufig mit Blut besudelt waren.
Bei diesem Anblicke fing ihm an ein ganz sonderbares Licht aufzugehen, und er
fing an, so ganz leise des Orkans und der durch denselben herbeigeführten Tiere
wohltätigen Grund einzusehen.
Schnell begab sich darauf Joseph zu seinen vier Söhnen und zeigte ihnen solches
an und behieß drei, zu sammeln die Knochen und die Waffen.
In der Zeit von anderthalb Stunden lag ein ganz großer Haufen Gebeine unter
einem Baume aufgeschichtet und daneben ein zweiter Haufen von blutigen Waffen.
Nach dem Frühstücke erst führte Joseph den Cyrenius und den Jonatha hinaus und
zeigte ihnen diesen sonderbaren Morgenfund.
Als der Cyrenius dessen ansichtig ward, da schlug er die Hände über dem Kopfe
zusammen und sprach:
„Aber um des allmächtigen Herrn willen, – was ist denn das?!
Woher diese Totengebeine, woher diese noch von frischem Blute triefenden Waffen?
Joseph, Bruder, Freund! Hast du keine Ahnung, die dir leise einflüsterte den
Grund dieses Greuels?“
Und der Joseph sprach: „Freund und Bruder, das sind entweder Seeräuber oder jene
Meuterer, die dein Schiff verfolgten!
Doch lasse uns zuvor alles das vernichten durchs Feuer;
sodann erst wollen wir der Sache näher auf den Grund zu kommen trachten!“
Der Cyrenius begnügte sich damit, und alle seine Leute mußten von allen Seiten
Holz herbeischleppen.
Und als gegen Mittag ein gehörig großer Haufen Holzes auf einem freien Platz
aufgerichtet war, da wurden die Gebeine samt den Waffen auf den großen Holzstoß
gelegt und also verbrannt.
210. Kapitel – Der dreimalige Umlauf des
Kindes um die Brandfläche und seine prophetischen Worte an Cyrenius: „Der Herr
aber wird dreimal um die Brandstätte der Welt ziehen, und es wird Ihn niemand
fragen und sagen: ,Herr! was tust Du?‘ Und beim dritten Umgange erst solle der
letzte Strahl des Zornes von der Erde genommen werden!“
18. Mai 1844
Nachdem im Verlaufe von etlichen Stunden alles verbrannt war und von dieser
Szene von allen den übrigen Gästen niemand etwas bemerkt hatte – indem es der
Herr also haben wollte – außer der Dienerschaft des Cyrenius,
da erst kamen die Tullia, der Maronius Pilla und die Obersten und die Hauptleute
samt Maria und dem Jakob, der das Kindlein führte, an diesem Tage zum ersten
Male aus dem Hause ins Freie.
Und der Maronius Pilla, da er eine sehr feine Nase hatte, nahm sogleich einen
Brandgeruch wahr,
ging sogleich zum Joseph und sagte: „Edelster Freund, merkst du nichts von dem
Geruche nach einem wilden Brande in deinen Nüstern?“
Und der Joseph führte ihn etwas hinter das Haus und zeigte ihm mit dem Finger
die Brandstätte.
Und Maronius fragte, was denn da dem Feuer preisgegeben ward.
Und der Joseph sprach: „Freund! Darum eben ward die Sache dem Feuer übergeben,
auf daß sie nicht aller Welt in die Augen fallen solle!
Cyrenius aber weiß alles; darum wende dich an ihn, er wird es dir sagen, was da
war; denn er war Zeuge von allem!“
Damit war der Maronius abgefertigt und mit ihm noch einige neugierige Forscher.
Es verlangte aber darauf das Kindlein, mit Joseph, Cyrenius, Jonatha und mit
Seinem Jakob zur Brandstätte zu gehen, die noch hier und da ein wenig dampfte.
Als diese dort anlangten, da lief das Kindlein dreimal um die bedeutend große
Brandfläche, nahm einen zur Hälfte verbrannten Dolch und gab ihn dem Cyrenius
und sprach:
„Cyrenius, siehe, nun sind deine Feinde besiegt, und zu Asche ward ihre
Festigkeit!
Hier ist der letzte feindliche Rest in Meiner Hand, und dieser ist untauglich
geworden!
Ich übergebe ihn dir zum Zeichen, daß du keine Rache üben sollst fürder an
denen, die wider dich waren – und einige wenige es noch sind!
Denn also unbrauchbar und verschlackt, wie dieser Dolch hier, solle auch aller
Zorn in dir und in deinen wenigen Feinden sein!
Diese deine Feinde aber gingen von Tyrus aus und wollten dich hier verderben.
Ich aber wußte den Tag und die Stunde und den Augenblick, da du in Gefahr
schwebtest.
Darum ließ Ich in dieser Nacht zur rechten Zeit einen Sturm kommen, der die
reißenden Tiere aus dem Gebirge trieb
und mußte die Meuterer in große Furcht und Angst versetzen, auf daß sie
unbehilflich wurden, als sie von den Bestien angefallen worden sind.
Und siehe, also wird es in der Zukunft sein: Ein mächtig Feuer aus der Höhe wird
kommen über die Gebeine der Frevler und wird sie verzehren bis zu Staub und
Asche!
Der Herr aber wird dreimal um die Brandstätte der Welt ziehen, und es wird Ihn
niemand fragen und sagen: ,Herr! was tust Du?‘
Und beim dritten Umgange erst solle der letzte Strahl des Zornes von der Erde
genommen werden!“ – – –
Alle aber machten ob dieser Rede große Augen; denn niemand verstand ihren Sinn.
– –
211. Kapitel – Josephs Frage und des Kindleins
tröstliche Antwort. Der große Hunger des Kindleins. Das Fischmahl. Des Cyrenius
Frage wegen des Mittelmeeres.
20. Mai 1844
Nach einer Weile aber ging Joseph zum Kindlein hin und fragte Es, wie solches zu
verstehen wäre.
Und das Kindlein sprach: „Joseph, da forschest du vergeblich!
Denn gar viele Dinge gibt es, die euch nicht offenbar werden, dieweil ihr lebet
auf der Erde.
Wer aber kommen wird nach diesem Leben in Mein Reich geistig, dem wird alles im
Lichte gezeiget werden!
Darum frage hier nicht nach Dingen, die dich nun nichts angehen!
Lasse aber nun Erde bringen und mit ihr bedecken diese Brandfläche!“
Und der Joseph wandte sich hier an den Cyrenius, und dieser ließ sogleich durch
seine Leute Erde herbeischaffen und mit selber bedecken die Stelle.
Nach dieser Arbeit war es Mittag geworden, und die Söhne Josephs waren auch mit
ihrem Mittagsmahle fertig und hielten es in der Bereitschaft für die vielen
Gäste.
Und das Kindlein sprach Selbst zum Joseph: „Lieber Joseph! Ich bin schon recht
hungrig geworden; drei große Fische sind gebraten, daher gehen wir zum Essen!“
Joseph aber sprach: „Das ist recht löblich; aber – werden die Fische wohl für
mehr als hundert Personen ausreichen?!“
Und das Kindlein erwiderte: „Nun – und ob! Hast du doch die großen Tiere
gesehen; wie magst du danach fragen?
Ein jeder Fisch hat gut hundert Pfunde; da braucht es wahrlich nicht mehr, und
es ist genug für zweihundert Menschen!
Daher gehen wir nun nur nach Hause; denn Ich bin schon sehr hungrig – und
besonders auf die guten Fische des Mittelmeeres!“
Und der Joseph berief sogleich alle zum Mittagsmahl und begab sich in die Villa.
Unterwegs aber fragte der Cyrenius das holde Kindlein, ob denn dieses Meer wohl
richtig ein Mittelmeer (mare mediterraneum) sei.
Und das Kindlein sprach: „Ob richtig oder nicht – Ich muß ja nach eurer Art mit
euch reden, so Ich von euch verstanden werden will!
Nach dem Essen aber kannst du auf der kleinen Erdkugel nachsehen, und du wirst
da es wohl finden, ob dieser Ausdruck paßt!“
Darauf lief das Kindlein voraus mit Seinem Jakob, um ja bald am Tische zu sein.
Und als der Joseph kam, da lächelte ihm das Kindlein schon vom Tische entgegen,
indem Es schon ein Stückchen Fisch in der Hand hielt.
Joseph aber freute sich dessen sehr geheim; nur sagte er des Anstandes wegen:
„Aber – Du mein liebstes Kindlein, so ein großes Stück! – Wirst Du es wohl
aufessen können?“
Und das Kindlein lächelte noch mehr und sprach: „Sorge dich um etwas anderes;
denn dafür haben schon deine Väter gesorgt, daß Meinem Magen nicht leichtlich
etwas schadet, – denn die haben Mir gar oft die schlechtesten und größten
Brocken aufgetischt.“ – Hier verstand Joseph wohl, was das Kindlein sagen
wollte.
212. Kapitel – Jakobs und des Kindleins
Fastenstrafe wegen des unterlassenen Tischgebetes. Des Kindleins Frage an
Joseph, warum und zu wem Es beten soll. Das Jesuskind eilt mit Seinem Jakob
hinaus und läßt Sich nicht zurückhalten.
21. Mai 1844
Darauf aber begann Joseph sein gewöhnliches Tischgebet und segnete die Speise –
und fragte darauf das Kindlein, ob Es wohl auch schon gebetet hätte.
Das Kindlein aber lächelte wieder und sagte zum Jakob:
„Du, jetzt wird's uns gut gehen! Wir haben ja beide das Bitt- und Dankgebet
vergessen und haben aber dennoch schon gegessen vom Fische!
Rede du jetzt, so gut es geht, sonst sind wir offenbar wieder in einer Strafe
und werden etwas fasten müssen!“
Und der Jakob, etwas verlegen, sagte: „Lieber Vater Joseph, ich bitte dich um
Vergebung; denn ich habe diesmal wirklich samt meinem Jesus zu beten vergessen!“
Als der Joseph solches vom Jakob vernommen hatte, da machte er ein etwas
finsteres Gesicht und sprach:
„Habt ihr das Beten vergessen, so vergesset auch das Essen bis auf den Abend,
und gehet nun unterdessen ein wenig lustwandeln ins Freie!“
Und das Kindlein lächelte hier den Jakob an und sprach: „Nun, da haben wir's ja!
Habe Ich nicht geredet ehedem, daß es da aufs Fasten ankommen wird?!
Aber warte doch noch ein wenig; Ich will mit dem Joseph auch doch noch zuvor ein
paar Wörtlein sprechen!
Vielleicht läßt er dann etwas handeln mit sich wegen des Fastens bis zum
Abende.“
Und der Jakob sprach im geheimen: „Herr! tue Du, was Dir als Bestes dünkt, und
ich werde dann Deinem Beispiele folgen.“
Und das Kindlein fragte den Joseph, sagend nämlich: „Joseph! Ist das wohl dein
vollkommener Ernst?!“
Und der Joseph sprach: „Ja – ganz natürlich; denn wer nicht betet, der solle
auch nicht essen!“
Und das Kindlein lächelte abermals und sprach: „Aber das heiße Ich scharf sein!
Siehe, so Ich so scharf wäre, wie du nun bist, da hätten gar viele eine
Fastenstrafe, die heute doch essen, obschon sie nicht gebetet haben!
Ich möchte aber doch von dir einmal vernehmen, warum und zu wem Ich so ganz
eigentlich beten solle?!
Und dann möchte Ich auch von dir erfahren, zu wem du so ganz eigentlich betest
in deinem Gebete, und zu wem der arme Jakob hätte beten sollen? – !“
Und Joseph sprach: „Zu Gott dem Herrn, Deinem heiligen Vater mußt Du beten,
darum Er heilig ist, überheilig!“
Und das Kindlein sprach: „Da hast du freilich wohl recht;
aber das Fatale an der Sache ist nur das, daß du eben den Vater aller Heiligkeit
nicht kennest, zu dem du betest!
Und diesen Vater wirst du noch lange nicht erkennen, weil dich deine alte
Gewohnheitsblende daran hindert!“
Darauf sprach das Kindlein zum Jakob: „Gehen wir nur hinaus, und du sollst
sehen, daß man draußen im Freien auch ohne Gebet etwas zu essen bekommen kann!“
Darauf lief das Kindlein mit Seinem Jakob hinaus und ließ Sich nicht
zurückhalten.
213. Kapitel – Marias und des Cyrenius Tadel
gehen Joseph sehr zu Herzen. Er geht hinaus und ruft nach dem Kindlein.
22. Mai 1844
Als das Kindlein und der Jakob aber draußen waren, da sagte die Maria zum
Joseph:
„Höre, du mein lieber Gemahl und Vater Joseph! Manchmal bist du gegen das
göttliche Kind denn doch etwas zu scharf!
Was könnte man denn sonst wohl bei einem natürlichen Menschenkinde von zwei und
eindrittel Jahren erwarten?
Wer wohl würde es schon einer so strengen Zucht unterziehen?
Du aber bist gegen dies Kind aller Kinder also zuchtstrenge, als wäre Es in Gott
weiß was für einem reifen Alter!
Siehe, das kommt mir sehr unbillig vor! – Hast du Es dann und wann auch über die
Maßen lieb, so bist du aber dennoch manchmal wieder so strenge gegen Dasselbe,
als hättest du keine Liebe zu Ihm!“
In diesen Ton der Maria stimmten auch sogleich Cyrenius, der Jonatha, die
Tullia, die Eudokia und der Maronius Pilla.
Und der Cyrenius sagte extra noch zum Joseph: „Freund! Ich weiß wirklich nicht,
wie du mir manchmal vorkommst!
Einmal lehrst du mich im Kindlein Selbst das allerhöchste Wesen Gottes erkennen,
–
gleich darauf verlangst du wieder vom Kindlein, daß Es einen Gott anbeten solle!
Sage mir, wie sich das zusammenreimt? – Ist das Kindlein das Gottwesen Selbst,
wie solle Es dann zu einem Gotte beten? – Kommt dir nicht solche deine Forderung
ein wenig unsinnig vor?
Und ich setze den Fall, das Kindlein wäre nicht Das, als was ich Es nun ganz
ungezweifelt erkenne und allzeit anbete,
da, meine ich als ein wahrer Kinderfreund, dürfte dein Begehren von einem
Wiegenkinde denn doch etwas töricht sein;
denn wer wird da von einem neun Vierteljahre alten Kinde ein strenges Gebet
verlangen?
Darum mußt du mir nun das schon zugute halten, so ich als ein Heide dir sage:
Freund, du mußt mit dreifacher Blindheit geschlagen sein, wenn du das Kindlein
nicht allzeit gleich zu würdigen imstande bist! –
Fürwahr, diesmal esse auch ich keinen Bissen, so das Kindlein mit Seinem Jakob
nicht hier an meiner Seite Sich befinden wird!
Ist es nicht lächerlich sogar, so du um die Segnung der Speise Gott den Herrn
anflehest und schaffst dann eben denselben einen Gott und Herrn vom Tische weg,
darum Er nicht gebetet hat nach deiner angewohnten Art?!
Darum fragte dich auch sicher das Kindlein, zu wem Es so ganz eigentlich beten
solle, und zu wem du betest, und zu wem auch der Jakob hätte beten sollen.
Du aber hast nach meinem Dafürhalten nicht gemerkt, was das Kindlein dir dadurch
hat sagen wollen!“
Diese recht triftigen Bemerkungen gingen dem Joseph sehr zu Herzen, und er ging
hinaus, das Kindlein samt dem Jakob zu holen.
Aber er rief da den Jakob und das Kindlein vergebens, denn die beiden hatten
sich schnell entfernt; wohin aber – das wußte niemand.
214. Kapitel – Josephs Söhne auf der Suche
nach dem Kindlein. Die geheime Stimme und ihre tröstenden Worte an Joseph.
Joseph folgt dem ihm entgegenkommenden Kindlein auf die Höhe des Berges. Ein
Querbalken aus Zedernholz als Tisch des Herrn, besetzt mit Lamm, Wein und Brot.
Das Mahl am Tische des Herrn. – „Das wahre Gebet ist die Liebe zu Mir!“
23. Mai 1844
Da aber dem Joseph darauf bange ward, so berief er sobald die vier älteren Söhne
und sagte zu ihnen:
„Gehet und helfet mir suchen das Kindlein und den Jakob; denn ich habe mich
versündigt am Kinde, und es ist mir gewaltig bange ums Herz!“
Und die vier Söhne gingen eilends aus nach allen Seiten und suchten das Kindlein
bei einer Stunde lang, fanden Es aber nirgends und kamen unverrichteterdinge
nach Hause.
Als der Joseph aber sah, daß die vier Söhne allein nach Hause kamen, da ward es
ihm gar sehr bange ums Herz, daß er darob hinausging recht weit von der Villa
und weinte dort recht bitterlich über sein vermeintes Vergehen gegen das Kind.
Als er aber also weinte, da vernahm er eine Stimme, die zu ihm sprach:
„Joseph! du Gerechter, weine nicht, und lasse dich nicht beunruhigen von den
Menschen in deinem Gemüte!
Denn Ich, den du nun ängstlich und voll bangen Gemütes suchest, bin dir näher,
als du glaubst.
Gehe aber in der Richtung deines Angesichts vorwärts, und deine Augen werden Den
erschauen, der nun zu dir redet und den du suchest!“
Auf diese wunderbaren Worte erhob sich Joseph getröstet und ging eiligst
vorwärts nach der Richtung seines Angesichts, bei einer halben Stunde Feldweges.
Und da er also ging, kam er an einen bedeutenden Hügel, der eine Höhe von
hundertundsiebenzig Klaftern hatte.
Da dachte er und sprach bei sich: „Solle ich auch auf diesen Hügel steigen bei
dieser starken Hitze?“
Und die Stimme sprach wieder: „Ja, auch auf diesen Hügel mußt du gehen; denn auf
der Höhe erst sollen deine Augen den Herrn schauen, den du nicht gesehen hast,
da Er bei dir zu Tische saß!“
Da der Joseph solches vernommen hatte, da achtete er der großen Hitze nicht und
ging eilig den Hügel hinauf.
Und als er nahe an den Scheitel kam, da fand er diesen in dichte Nebel verhüllt
und wunderte sich sehr, daß ein so kleiner Berg in dieser Jahreszeit Nebel
hatte; denn es war die Zeit um die Ostern.
Als er sich aber da also wunderte, siehe, da kamen bald der Jakob und das
Kindlein aus den Nebeln zum Vorscheine, und das Kindlein sprach:
„Joseph! scheue dich nicht, und komme mit heiterem Gemüte mit Mir auf den
Scheitel dieses Hügels,
und überzeuge dich daselbst, daß nun die Zeit noch nicht da ist, in der der Herr
fasten solle darum, da Er nicht gebetet hatte!
Es wird wohl eine Zeit kommen, in der der Herr fasten wird, aber jetzt ist sie
noch nicht da. – Und so folge Mir!“
Und der Joseph folgte dem Kindlein und kam bald auf die Höhe.
Als er auf der Höhe sich befand, da wichen die Nebel, und auf einem fein
polierten Querbalken aus Zedernholz befand sich ein gebratenes Lamm, ein Pokal
voll köstlichen Weines und ein Laib feinsten Weizenbrotes.
Hier staunte Joseph über die Maßen und sprach: „Aber woher habt ihr denn das
alles genommen? – Haben das euch die Engel gebracht, oder hast Du, o Herr, es
geschaffen?“
Und das Kindlein schaute zur Sonne und sprach: „Joseph, siehe, auch diese
Leuchte der Erde speiset an Meinem Tische!
Und Ich sage dir: sie braucht in einer Stunde mehr, als wie groß diese Erde ist,
die dich trägt, und siehe, sie hat noch nie Hunger und Durst gelitten! – Und
solche Kostgänger habe Ich zahllos viele und noch endlos größere!
Meinst du wohl, daß Ich dann fasten werde, wenn du Mich vom Tische schaffst, so
Ich Mich Selbst nicht anbeten will zur Unzeit?
O siehe, des hat der Herr nicht vonnöten! – Komme aber nun du an Meinen Tisch
und speise mit Mir; aber diesmal ohne dein angewohntes Gebet!
Denn das wahre Gebet ist die Liebe zu Mir; hast du diese, dann kannst du deinen
Lippen allzeit die Mühe ersparen!“ – Und der Joseph ging hinzu und aß und trank
am wahren Tische des Herrn und fand die Speise gar himmlisch wohlschmeckend.
215. Kapitel – Der kreuztragende Joseph. Des
Kindleins Evangelium vom Kreuz.
24. Mai 1844
Nach dieser himmlischen Mahlzeit auf dem kleinen Berge sagte der Joseph zum
Kindlein:
„Mein Herr und mein Gott! Ich armer alter Greis bitte Dich, vergebe mir, so ich
Dich doch sicher beleidiget habe, und kehre wieder mit mir in das Haus zurück!
Denn ohne Dich kann ich nun nimmer zurückkehren; kehre ich aber ohne Dich
zurück, so werden dann alle gar bitter wider mich ziehen und werden mich strafen
mit harten Worten!“
Und das Kindlein sprach: „Ja, ja, Ich gehe ja wohl mit dir; denn hier werde Ich
nicht eine Wohnstätte aufrichten und bleiben allda!
Aber eines verlange Ich von dir, und das bestehet darin, daß du diesen Meinen
Tisch auf deine Achseln nimmst und ihn tragest vor Mir nach Hause!
Scheue aber nicht dessen Last; denn die wird dich wohl ein wenig drücken, aber
nicht beugen und noch weniger schwächen!“
Auf diese Worte nahm Joseph das schöne Kreuz und Jakob die Überbleibsel von der
Mahlzeit und traten also mit dem Kindlein in der Mitte den Rückweg an.
Nach einer Weile sprach Joseph zum Kindlein: „Höre, Du mein geliebtester Jesus!
Das Kreuz ist denn doch recht schwer, – könnten wir denn nicht ein wenig
rasten?“
Und das Kindlein sprach: „Joseph, du hast schon größere Lasten als Zimmermann
getragen, die dir nicht Ich auferlegt habe;
und siehe, da mochtest du dir keine Rast eher gönnen, als bis du die Last an
ihren Ort befördert hattest!
Nun trägst du zum ersten Male nur eine kleine Last für Mich und willst dir schon
nach tausend Schritten eine Rast nehmen!?
O Joseph! – trage, trage Meine leichte Last ohne Rast, so wirst du einst in
Meinem Reiche den rechten Lohn finden!
Siehe, an diesem Kreuze wirst du Meiner Bürde gewahr, und es wird dir durch
seinen kleinen Druck sagen, was Ich auf der Welt dir bin!
Aber wenn du diese Welt in Meinen Armen verlassen wirst, dann wird dir dieses
Kreuz zu einem feurigen Eliaswagen werden, in dem du seligst vor Mir aufwärts
fahren wirst!“
Nach diesen Worten küßte der alte Joseph das ziemlich schwere Kreuz und trug es
ohne Rast weiter;
und es kam ihm nimmer so schwer vor, daß er es dann leicht ganz bis zur Villa
brachte.
Es war aber bei der Villa alles in der gespanntesten Erwartung, und das voll
großer Ängstlichkeit, von welcher Seite etwa der Joseph mit dem Kindlein und mit
dem Jakob zurückkommen möchte.
Als aber nun die Maria, der Cyrenius und die andern endlich einmal der drei
Kommenden ansichtig wurden, da war es aus!
Alles lief ihnen mit offenen Armen entgegen, und die Maria erfaßte sogleich das
Kindlein und herzete Es mit krampfhafter Liebe.
Cyrenius aber verwunderte sich über Joseph, wie dieser einen Galgen als ein
Symbol der höchsten Schande und Schmach da auf seinen Achseln nach Hause
schleppen mochte.
Und das Kindlein auf den Armen der Mutter richtete Sich auf und sagte zum
Cyrenius:
„Wahrlich, wahrlich! – dieses Zeichen der größten Schmach wird zum Zeichen der
höchsten Ehre werden!
Wenn du es nicht also tragen wirst nach Mir, wie es nun der Joseph trägt, da
wirst du nicht kommen in Mein Reich dereinst!“ – Diese Worte brachten den
Cyrenius zum Schweigen, und er fragte darauf nicht weiter über die Bürde
Josephs.
216. Kapitel – Kalter Fisch mit Öl und
Zitronensaft. Der Grund für die Mosaische Speisevorschrift. „Nun aber heißt es
und wird allzeit heißen fürder: Der Herr ist der beste Koch!“
25. Mai 1844
Darauf begab sich alles wieder ins Haus und allda nach dem Willen des Kindleins
zum Tische.
Denn es hatte noch keiner von den Hauptgästen irgendeinen Bissen in den Mund
gesteckt; die drei großen Fische lagen noch fast ganz unangetastet da.
Da aber während des Suchens des Kindleins mehrere Stunden vergingen und der Tag
dem Abende nahe war,
da wurden natürlich die Fische auch kalt, in welchem Zustande sie von den Juden
zumeist nicht genossen werden durften.
Da aber die Sonne dennoch nicht untergegangen war, so durften die Fische wohl
noch genossen werden; nur mußten sie frisch wieder übers Feuer gebracht und wohl
erwärmt werden.
Darum berief Joseph sogleich seine vier Köche und befahl ihnen, die Fische
wieder zu überbraten.
Das Kindlein aber sprach: „Joseph, lasse diese Arbeit gut sein; denn von nun an
sollen auch die Fische kalt genossen werden, wenn sie nur gebraten sind zuvor!
Lasse aber anstatt des Wiederbratens Zitronen und gutes Öl bringen,
und diese Fische werden also besser schmecken, als so sie wieder gebraten
würden!“
Joseph befolgte sogleich den Rat des Kindleins und ließ bringen einen ganzen
Korb Zitronen und ein tüchtiges Gefäß voll frischen Öles.
Und alle Gäste waren auf diese neue Kost lüstern, wie sie etwa doch schmecken
werde.
Cyrenius war der erste, der sich ein recht tüchtiges Stück vom Fische nahm und
gab darauf Öl und den Saft einer Zitrone.
Und als er zu essen begann, da konnte er nicht genug rühmen den Wohlgeschmack
des also zubereiteten Fisches.
Auf solche Erfahrung des Statthalters griffen dann auch die andern Gäste zu, und
allen schmeckte diese Kost so wohl, daß sie sich nicht genug darüber verwundern
konnten.
Als Joseph selbst eine recht ansehnliche Probe davon gemacht hatte, da sprach
er:
„Fürwahr! Wenn Moses je einen also zubereiteten Fisch genossen hätte, da hätte
er diese Kost sicher auch in seine Diät aufgenommen!
Aber er mußte eben in der Küche nicht so wohl bewandert gewesen sein wie Du,
mein allerliebster Jesus!“
Hier lächelte das Kindlein recht herzlich und sprach gar freundlich:
„Mein lieber Vater Joseph, der Grund liegt darin:
Unter Moses in der Wüste hieß es: Der Hunger ist der beste Koch! – und das Volk
hätte zu seinem Verderben oft rohes Fleisch gegessen aus Hunger;
darum mußte Moses eine solche Diät vorschreiben, und die Speisen mußten frisch
und warm genossen werden.
Nun aber heißt es und wird allzeit heißen fürder: Der Herr ist der beste Koch! –
und da kann man dann schon auch einen kalten Fisch mit Zitronen und Öl genießen.
Und das darum, weil der kalte, aber doch gut gebratene Fisch gleich ist dem
Zustande der Heiden, der Zitronensaft gleich der sie einenden und
zusammenziehenden Kraft aus Mir, und das Öl gleich Meinem Worte an sie. –
Verstehst du nun, warum der Fisch also besser schmeckt?“ – Alles ward darob bis
zu Tränen gerührt und wunderte sich hoch über des Kindes Weisheit.
217. Kapitel – Warum das Mittelländische Meer
mit Recht als ,Mittelmeer‘ bezeichnet werden kann. „... denn die wahre Mitte ist
da, wo der Herr ist!“
28. Mai 1844
Als sich aber alle an den kalten Fischen gesättigt hatten, da erhoben sie sich,
dankten dem Joseph für dieses gute Mahl und begaben sich dann ins Freie; denn
die Sonne war noch nicht völlig untergegangen.
Als die meisten Gäste aus dem Gefolge des Cyrenius draußen waren, da sprach das
Kindlein zu ihm:
„Cyrenius! – erinnerst du dich nicht mehr, was du Mich draußen an der
Brandstätte gefragt hast, da Ich die Fische des Mittelmeeres angelobt habe, wie
sie gut und köstlich sind?“
Der Cyrenius dachte hier ein wenig nach, fand aber seine Frage nicht wieder in
seiner Erinnerung.
Er sprach darum zum Kindlein: „O Du mein Herr, Du mein Leben! – vergebe mir, ich
muß es vor Dir gestehen, daß ich dieselbe ganz rein vergessen habe!“
Hier lächelte das Kindlein wieder und sagte voll Sanftmut zum etwas verlegenen
Cyrenius:
„Hast du Mich nicht gefragt, ob das Mittelmeer wohl wirklich in der Mitte der
Erde sei?
Ich aber beschied dich auf die kleine Erdkugel, auf der du nachsehen sollest und
dich überzeugen, ob dieses Meer wohl wirklich in der Mitte der Erde sich
befinde.
Nun siehe, jetzt hätten wir ja die schönste Zeit dazu, diese Sache abzumachen!
Darum nehme die kleine Erde zur Hand und hole dir die Antwort auf deine Frage!“
Und der Cyrenius sprach: „Ja – bei meiner armen Seele, dies hätte ich sicher
ganz vollkommen vergessen, so Du, o Herr, mich nun nicht daran gemahnt hättest!“
Hier sprang sogleich der Jakob ins Nebengemach und brachte die kleine Erde dem
Cyrenius.
Dieser aber suchte dann sogleich das Mittelmeer und fand es auch bald.
Als er aber nun mit seinem Finger auf das Mittelmeer wies, da fragte ihn das
Kindlein:
„Cyrenius, ist das wohl der Erde Mitte? – oder wie findest du die Sache?“
Und der Cyrenius sprach: „Ich bin wohl ein tüchtiger Rechner nach Euklides und
Ptolemäus (Lagos König in Ägypten)
und weiß daher aus der Planimetrie, daß auf einer Kugeloberfläche darum ein
jeder beliebig angegebene Punkt in der Mitte der Oberfläche ist, weil er fürs
erste mit dem Mittelpunkte der Kugel in der genauesten Korrespondenz steht,
und weil von ihm aus bis zu seinem Gegensatze alle ausgehenden Linien von
gleicher Beugung und Dimension sind.
Nach diesem Grundsatze kann dies Meer gleichwohl das ,Mittelmeer‘ heißen.
Aber ich finde dann freilich auch, daß da ein jedes Meer unter demselben
Verhältnisse steht und ebensogut ein Mittelmeer sein kann.“
Und das Kindlein sprach: „Da hast du wohl recht; aber dennoch passen die
Euklidischen Verhältnisse nicht hin,
und dieses Meer kann dennoch ausschließlich ein Mittelmeer heißen,
denn die wahre Mitte ist da, wo der Herr ist!
Siehe, der Herr aber ist nun da an diesem Meere, und so ist auch da des Meeres
Mitte!
Siehe, das ist eine andere Berechnung, von der dem Euklid nichts geträumt hatte,
und sie ist richtiger als die seine!“
Diese Erklärung weckte den Cyrenius gewaltig, und er forschte dann weiter.
218. Kapitel – Alles hat seine gottgewollte
Zeit und Ordnung. Zeit und Ewigkeit. Vom eitlen Forschen in göttlichen Tiefen
und von der kindlichen Einfalt als Weg zur wahren Weisheit.
29. Mai 1844
Es bemerkte aber das Kindlein dem Cyrenius, da dieser anfing sich in weitere
Forschungen einzulassen:
„Cyrenius, du forschest umsonst weiter und möchtest sogleich die ganze Hand
haben, wo Ich dir einen Finger gezeigt habe!
Siehe, das geht nicht an; denn alles braucht seine Zeit und seine feste
unwandelbare Ordnung!
Wenn du einen Baum blühen siehst, da möchtest du freilich auch schon die reife
Frucht haben.
Aber siehe, das geht nicht; denn ein jeglicher Baum hat seine Zeit und seine
Ordnung!
Die Zeit und die Ordnung aber ist aus Mir von Ewigkeit, und so kann Ich nicht
wider Mich ziehen;
daher kann auch von der Zeit und von der Ordnung nichts vergeben werden!
Ich liebe dich wohl mit aller Fülle Meiner göttlichen Kraft; aber darum kann Ich
dir doch keine Minute von der flüchtigen Zeit schenken;
denn diese muß fortfließen wie ein Strom und ist unaufhaltsam und hat keine Ruhe
eher, als bis sie die großen Ufer der unwandelbaren Ewigkeit erreicht hat!
Daher ist dein weiteres Forschen in Meine Tiefen etwas eitel.
Denn du wirst auf solchem Wege Meinen Tiefen dennoch nicht eher um ein Haar
näherkommen, als bis es an der Zeit sein wird!
Darum lasse ab von derlei Forschungen, und mühe deinen Geist nicht vergeblich
ab; denn zur rechten Zeit solle dir alles frei aus Mir werden!
Du möchtest nun in der Tiefe begreifen, warum da die Mitte ist, da Ich bin?!
Ich sage dir aber: Solches kannst du nun noch nicht begreifen; darum sollst du
vorerst glauben und im Glauben die wahre Demut deines Geistes erweisen.
Wird dein Geist erst durch die wahre Demut die rechte Tiefe in sich erreicht
haben, dann wirst du auch aus dieser Tiefe in Meine Tiefen helle Blicke tun
können.
Wenn du aber forschend deinen Geist erheben wirst, dann wird dieser seine
lebendige Tiefe stets mehr und mehr verlassen, und du wirst dich dadurch von
Meinen Tiefen entfernen und dich ihnen nicht nahen!
Ja – Ich sage dir noch hinzu: Von nun an solle alle tiefe Weisheit vor den
Weisen der Welt verborgen bleiben;
aber den Einfältigen, den schwachen Kindern und Waisen solle sie ins Herz gelegt
werden!
Darum werde du ein Kind in deinem Gemüte, und es wird dann die rechte Zeit für
dich sein, die rechte Weisheit zu überkommen!“
Der Cyrenius staunte ganz gewaltig über diese Lehre und fragte dann das
Kindlein, sagend nämlich:
„Ja – wenn also, da darf dann ja kein Mensch mehr die Schrift lesen lernen und
eine Schrift selbst schreiben!?
Denn so Du das alles dem Würdigen frei gibst, wozu dann das mühsame Lernen?“
Und das Kindlein sprach: „Durch ein rechtes und demütiges Lernen wird der Acker
für die Weisheit gedüngt, und das ist auch in Meiner Ordnung.
Aber du mußt das Lernen nicht als den Zweck oder für die Weisheit selbst
ansehen, sondern nur als ein Mittel!
Wann aber der Acker gedüngt sein wird, dann werde schon Ich den Samen streuen,
woraus dann erst die rechte Weisheit hervorsprossen wird! Verstehest du
solches?“ – Hier schwieg Cyrenius und forschte nicht mehr weiter. – –
219. Kapitel – Das auferlegte Kreuz als
Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen.
30. Mai 1844
Nach dieser höchst lehrreichen Unterredung des Kindleins mit dem Cyrenius aber
wandte sich auch der Joseph an das Kindlein und fragte Es, was da nun mit dem
nach Hause gebrachten Kreuze geschehen solle.
Und das Kindlein sprach: „Joseph! – Ich sage dir, das hat schon seinen Mann und
seinen Platz gefunden!
Saget doch auch ihr zu einem Kaufmann: ,Du hast eine gute Ware, diese wirst du
nicht lange besitzen;
denn für die wird sich wohl bald irgendwo ein kauflustiger Käufer finden!‘
Und siehe, so ein Kaufmann bin Ich auch! – Ich habe eine gute Ware gebracht zum
freien Verkaufe.
Und es hat sich auch schon ein Käufer eingefunden und hat es durch seine Liebe
zu Mir an sich gekauft;
und der Käufer ist Jonatha, der starke Fischer!
Solle er für seine vielen Fische denn nichts haben, mit denen er uns so oft
schon reichlich versehen hat?!
Eine Hand wäscht die andere. Wer Wasser reicht, dem solle wieder Wasser gereicht
werden.
Wer da Öl reicht, dem solle auch wieder reichlich Öl werden.
Wer da tröstet, dem solle auch ein Trost werden für ewig.
Wer aber Liebe reicht, dem solle auch wieder Liebe werden.
Jonatha aber hat Mir alle seine Liebe gegeben; also gab Ich ihm denn in dem
Kreuze auch Meine Liebe!
Ihr habt Mir zwar wohl auch Liebe im Wasser und Öle gegeben;
aber Ich sage dir: pure Liebe ist Mir denn doch lieber, als die mit Wasser und
Öle!
Das Kreuz aber ist nun zu Meiner puren Liebe geworden!
Darum gab Ich es dem Jonatha, weil dieser eine pure Liebe zu Mir hat;
denn er allein liebt Mich Meiner Selbst willen, und das ist pure Liebe!
Er liebte Mich, ohne zu wissen, Wer Ich bin; ihr aber liebtet Mich weniger, da
ihr doch wußtet, Wer Ich so ganz eigentlich bin.
Und siehe, das war eine Liebe mit recht viel Wasser! – Darum sollet ihr auch nie
einen Wassermangel leiden – in euren Augen nämlich auf dieser Welt.
Cyrenius liebte Mich mit Öl; darum solle er auch dereinst mit dem Öle des Lebens
gesalbet werden, wie ihr getränket mit dem Wasser des Lebens.
Aber vollends in Meinem Gemache sollen nur die dereinst wohnen, die Mich pur
lieben!“
Diese Rede des Kindleins brachte den Joseph in eine tüchtige Angst, und der
Cyrenius selbst machte große Augen.
Das Kindlein aber sprach: „Ihr sollet aber darum doch nicht meinen, daß Ich euch
das Kreuz vorenthalten werde, – denn wer da haben wird ein freies Herz, der
solle auch das freie Kreuz überkommen!“ – Dieser Bescheid beruhigte wieder das
Gemüt des Joseph und des Cyrenius.
220. Kapitel – Jonathas Tränen und heilige
Liebe zum Herrn. Ein jeder Mensch wird geheiligt und ganz neu geboren durch die
Liebe zu Gott in seinem Herzen. Denn: „Ist die Liebe zu Mir nicht heilig in
sich, wie Ich Selbst in Meinem Göttlichen es bin?“
31. Mai 1844
Bei dieser Rede des Kindleins aber fiel Jonatha, von seinem heißen Liebegefühle
gedrungen, vor dem Kindlein nieder und weinte aus zu großer Freude und
Dankbarkeit.
Das Kindlein aber sprach zu den andern: „Sehet ihr, wie mächtig da ist des
Jonatha Liebe zu Mir? –
Wahrlich sage Ich euch, aus einer jeden Träne, die nun seinen Augen entstürzt,
solle einst eine Welt für ihn in Meinem Reiche werden!
Ich habe euch zwar schon den Wert und den Unterschied der Tränen gezeigt; aber
hier sage Ich euch noch einmal hinzu:
Keine Träne ist größer vor Mir als die allein, die der Träne des Jonatha
gleicht!“
Bei diesen Worten des Kindleins ermannte sich der große Jonatha und sprach:
„O Du allmächtiger Herr meines Lebens! Wie bin ich – ein großer Sünder – wohl
solcher endlosen Gnade und Erbarmung von Dir würdig?!“
Das Kindlein aber sagte: „Jonatha, frage dich, wie du Mich denn wohl also
mächtig lieben kannst in deinem Herzen, so du ein so großer Sünder bist?
Ist die Liebe zu Mir nicht heilig in sich, wie Ich Selbst in Meinem Göttlichen
es bin?
Wie wohl magst du als ein so großer Sünder solche heilige Liebe ertragen in
deinem Herzen?
Wird denn nicht ein jeder Mensch geheiligt und ganz neu geboren durch die Liebe
zu Gott in seinem Herzen?
So du aber voll von dieser Liebe bist, sage, was ist demnach in dir, das du
Sünde nennest?
Siehe, eines jeden Menschen Fleisch ist wohl eine Sünde in sich; darum muß auch
eines jeden Menschen Fleisch sterben!
Ja, Ich sage dir, sogar dieses Fleisch Meines Leibes ist unter der Sünde Sold
und wird darum auch gleich dem deinigen absterben müssen!
Aber diese Sünde ist ja keine freiwillige, sondern nur eine gerichtete und steht
für deinen freien Geist in keiner Rechnung.
Darum wird dein Wert nicht nach deinem Fleische, sondern lediglich nur nach
deiner freien Liebe bestimmt.
Und es wird dereinst nicht heißen: Wie war dein Leib, sondern – wie war deine
Liebe?!
Siehe, so du einen Stein wirfst in die Höhe, da bleibt er aber dennoch nicht in
der Höhe, sondern er fällt bald wieder herab zur Erde.
Warum denn? – Weil die Materie der Erde ihn als eine gerichtete Liebe, von der
er selbst voll ist, anzieht.
Warum aber fallen die Wolken und die Sterne nicht vom Himmel? – Siehe, darum,
weil sie des Himmels Liebe anzieht!
Nun, so dein Herz aber voll Liebe ist zu Gott, dem ewig Lebendigen, wohin wohl
wird dich diese allein freie, selbst lebendige Liebe ziehen?“
Diese letzte Frage erfüllte alle Anwesenden mit der größten Wonne, und sie
wußten nun alle, wie sie daran waren. – –
221. Kapitel – Ein Mittel gegen die
Insektenplage. Ein Komet.
1. Juni 1844
Nach dieser Berichtigung des Jonatha, wie auch der andern, die hier zugegen
waren, sagte der Joseph:
„Freunde, der Abend ist schön; wie wäre es denn, so wir vor der Nachtruhe noch
auf eine Stunde hinaus ins Freie uns begeben möchten?
Denn hier in den Zimmern ist es nun ganz gewaltig schwül;
und geht man in solcher Schwüle zu Bette, da kann man weder schlafen noch
ruhen!“
Und das Kindlein sprach: „Joseph, dieser Meinung bin Ich auch; aber nur sollten
draußen nicht so viele lästige Insekten herumsumsen, da wäre es an den Abenden
draußen noch angenehmer zu sein!“
Und der Joseph sprach: „Ja, Du mein Leben, da hast Du wohl sehr recht!
Wenn es nur da ein Mittel gäbe, um durch selbes nicht wider Deine Ordnung diesen
lästigen Kleingästen einen Abschied geben zu können, so wäre das nicht selten
äußerst wünschenswert!“
Und das Kindlein sprach: „Oh, ein solches Mittel wird sich wohl bald finden
lassen!
Gehe und nehme eine Schüssel voll warmer Kuhmilch und stelle sie hinaus, und du
wirst es sehen, wie alle diese tausend und tausend lästigen Kleingäste die
Schüssel umlagern werden – und werden uns Ruhe gönnen!“
Joseph befahl sogleich seinen Söhnen, eine Schüssel warmer Milch
hinauszustellen.
Und die Söhne Josephs taten sogleich, was ihnen der Joseph geboten hatte.
Und wie die Schüssel mit warmer Milch sich im Freien befand, da entdeckte man in
dem matten Abenddämmerungslichte bald einen immensen Schwarm von allerlei
Stechinsekten über der Milchschüssel.
Und alles wunderte sich über diese Erfindung, durch welche Millionen von Gelsen
und Schnaken auf einen Punkt sich zusammenzogen und dort einen förmlichen
Milchkrieg miteinander führten.
Und der Cyrenius sagte: „Siehe, wie einfach und zweckmäßig doch ist die
Vorrichtung!
Eine kaum zu beachtende Schüssel voll warmer Milch befreit uns von der lästigen
Insektenplage!
Fürwahr, das soll auch sogleich in Tyrus ins Werk gesetzt werden!
Denn auch dort belästigen zur Abendzeit Millionen solcher Tiere die Menschen.“
Und das Kindlein sprach: „Das Mittel ist wohl recht gut, aber überall wird es
nicht mit Erfolg angewendet werden können;
denn es sind nicht überall dieselben Verhältnisse, –
und solche Verhältnisse, wie sie nun hier stattfinden, möchten wohl sonst
nirgends vorhanden sein!
Daher wirkt auch nur hier dieses Mittel also ausgezeichnet. Wo aber diese
Verhältnisse nicht stattfinden, da wird auch das Mittel nicht also wirken.
Doch nun sehe zum Himmel empor, und du wirst einen Kometen entdecken!“ – Hier
sah der Cyrenius aufwärts und ersah sobald einen starken Kometen.
222. Kapitel – Ein Gespräch über die Kometen
als Unglücks- und Kriegsboten.
3. Juni 1844
Als der Cyrenius aber den starken Kometen so recht beschauet hatte, da sprach
er:
„Fürwahr, ein sonderbarer Stern! – Es ist der erste, den ich sehe;
gehört habe ich wohl schon öfter von diesen mythischen Unglücksboten am Himmel.“
Auf diese Bemerkung des Cyrenius kam auch der Maronius Pilla herbei und sagte:
„Da sieh einmal hin! Der Tempel des Janus ist kaum sieben Jahre geschlossen, und
alles sagte:
,Nun wird Rom einen ewigen Frieden bekommen!‘, denn so lange sei dieser Tempel
noch nicht geschlossen gewesen!
Da haben wir aber nun schon das entsetzliche Zeichen vor unseren Augen, daß der
Janustempel gar bald wieder erschlossen wird,
und daß es auf den großen Marsfeldern gar lebendig wird zuzugehen beginnen!“
Joseph aber fragte den Maronius Pilla, ob er denn wohl im Ernste so einen
Schweifstern für einen Kriegsboten halte.
Und der Maronius sprach ganz ernstlich: „O Freund, das ist eine eherne Wahrheit!
– Ich sage dir: Krieg über Krieg!“
Und der Cyrenius sprach dazu: „Nun sind die zwei Rechten einmal beisammen!
Joseph hängt noch immer mächtig an seinem Moses, und Maronius Pilla kann seines
altheidnischen Aberglaubens nicht ledig werden!“
Joseph aber sprach: „Hochschätzbarster Bruder und Freund Cyrenius! Ich aber
meine, Moses ist doch immerhin besser als der Janustempel in Rom!“
Und der Cyrenius sprach: „Allerdings! – Aber so man den Herrn Selbst, den Jehova
Selbst in Seiner Fülle hat, da meine ich, sollen Moses wie der dumme Janus so
hübsch in den Hintergrund treten, und das ein für alle Male!
Der Komet scheint laut alten, ungegründeten Sagen wohl ein Unglücksbote zu sein;
aber ich glaube, unser Herr und allerliebster Jesus in Seiner Gottheit Fülle
wird auch ein Herr über diesen mutmaßlichen Herrn des Unglücks sein! Bist du
nicht meiner Meinung?“
Und der Joseph sprach: „Das sicher; aber darum ist Moses doch nicht mit dem
Janus Roms zu vergleichen, auch nicht in dieser Gegenwart des Herrn!“
Und der Cyrenius sprach: „Das will ich auch nicht; aber so ich den Herrn habe,
dann sind wenigstens mir Moses und Janus gleich!“
Hier sprach das Kindlein zum Cyrenius: „Bei dem bleibe du!
Denn wahrlich, wo es sich um die Unendlichkeit handelt, da schwinden alle
Größen, und die Null zählt soviel wie eine Million!“
Diese Antwort des Kindleins gab dem Joseph einen kleinen Stoß, und er hielt
darauf dem Moses kein Vorwort mehr vor dem Cyrenius.
223. Kapitel – Ein Anschauungsunterricht über
das Wesen der Kometen am Beispiel einer Milchschüssel.
4. Juni 1844
Darauf aber kam der bei solchen Gelegenheiten allzeit stark nach dem Grunde
forschende Jonatha zum Joseph und sprach:
„Bruder, da wäre schon wieder so etwas, wo uns der Herr, wie letzthin bei der
Mondesfinsternis, aus dem Traume helfen könnte!
Was meinst du, so wir Ihn darum frageten, würde Er uns darüber wohl einen
Aufschluß geben?“
Und der Joseph sprach: „Mein lieber Bruder Jonatha, da kommt es nur auf eine
Probe an!
Wer fest dem Herrn traut, der hat auf guten Grund gebaut.
Gehe hin zum Kindlein, das Sich nun im Schoße Mariens befindet, und frage Es,
und es wird sich wohl zeigen, was du für eine Antwort auf deine Frage bekommen
wirst!“
Auf diese Worte Josephs begab sich der Jonatha sogleich in aller Liebe und Demut
zum Kindlein und wollte fragen.
Aber das Kindlein kam dem Jonatha zuvor und sprach:
„Jonatha, Ich weiß schon, was du willst; aber das ist nicht für dich!
Gehe aber ins Haus, und nehme eine kleine Fackel,
zünde sie an, und gehe dann mit der brennenden Fackel hin zur Milchschüssel, die
da den Gelsen und Schnaken ist gestellt worden,
und Ich sage dir, du wirst da auch einen Kometen samt seiner Grundnatur
erschauen!“
Jonatha tat hier sogleich, was ihm das Kindlein geraten hatte.
Und siehe, als er mit der brennenden Fackel der Milchschüssel in die Nähe kam,
über der Millionen von Mücklein, Gelsen und Schnaken kreisend herumschwirrten,
da entdeckte er auch im Ernste einen mehrere Klafter langen schimmernden
Schweif, der natürlich aus den fliegenden Insekten bestand,
zu welchem Schweife die Milchschüssel den Kopf bildete.
Dieses Phänomen wurde auch von vielen anderen Personen entdeckt,
und alle staunten über die Ähnlichkeit dieser gemachten Erscheinung mit dem
Kometen am Himmel.
Und der Jonatha ging hin zum Kindlein und fragte Es, wie er nun das nehmen
solle.
Und das Kindlein sprach: „Vorderhand also, wie du es gesehen hast! Das Geheimnis
aber dürfen nicht alle erfahren;
daher begnüge dich einstweilen mit dem! Morgen wird auch ein Tag sein.“
224. Kapitel – Entsprechungs- und
Erklärungswinke vom Wesen der Kometen.
5. Juni 1844
Hier fing der Jonatha an sehr stark nachzudenken und konnte durchaus keinen
gescheiten Gedanken fassen.
Das Kindlein aber merkte natürlich alsogleich, daß da der Jonatha den
Milchschüsselkometen mit dem Himmelskometen nicht zusammenreimen konnte.
Daher richtete Es Sich auf und sprach zum Jonatha:
„Mein lieber Jonatha! Siehe, in dir geht es jetzt gerade also zu, wie dir es das
Bild des Milchschüsselkometen gezeigt hat!
Eine große Schüssel voll Milch stellt dein Herz dar, worin deine Liebe die Milch
ist.
Aber über der Milch befindet sich nun auch ein ungeheurer Mücken-, Gelsen- und
Schnakenschwarm gleich dem über jener Milchschüssel.
Und diesen Schwarm bilden deine etwas stark ins Lächerliche gehenden Gedanken
über die ähnliche Natur der beiden Kometen.
Aber – Freund Jonatha! – wer wird denn den Kern des Himmelskometen im Ernste für
eine Milchschüssel halten und seinen Schweif für einen Gelsenschwarm?!
Das sind ja nur Entsprechungen, aber keine vollkommenen naturmäßigen
Ähnlichkeiten!
Weißt du aber wohl, was da eine Entsprechung ist? – Was ist eine Schüssel, was
die Milch darin und was der Gelsen- und Schnakenschwarm?
Siehe, du verstehst das nicht; so höre denn, Ich will dir davon etwas sagen!
Die Schüssel stellt dar ein Gefäß zur Aufnahme von Substanzen, an die die
nährende Lebenskraft aus Mir gebunden ist.
Die Milch aber ist eine solche Substanz, die aus Mir die nährende Lebenskraft in
sich trägt im reichlichsten Maße.
In den Mücken, Gelsen und Schnaken ist die Lebenskraft schon frei tätig;
aber so sie nicht genährt wird mit einer gerechten nährenden Lebenskraft, da
wird sie bald schwach und kann sich nicht ausbilden für eine höhere und
vollkommenere Stufe.
Nun siehe, der Himmelskomet ist nichts als eine neu geschaffne werdende Welt!
Der Kern ist das Gefäß zur Aufnahme der nährenden Lebenskraft aus Mir.
Diese Lebenskraft wird durch ein eben dieser Lebenskraft von Mir aus gegebenes
eigenes Feuer gar mächtig durchwärmt und löst sich dadurch in nährende Dämpfe
auf.
Damit aber diese schon eine mehr ausgebildete Lebenskraft tragenden Dämpfe sich
nicht verflüchtigen und dem neuen Weltkörper entzogen werden,
da werden sie von einer Unzahl Monaden (Äthertierchen) aufgenommen und durch sie
wieder dem neu werdenden Weltkörper zu seiner vollkommeneren Ausbildung
zugetragen.
Siehe, das ist die entsprechende Ähnlichkeit zwischen dem Himmels- und unserem
Milchschüsselkometen!
Forsche aber nun nicht weiter nach, auf daß deine Liebe nicht schwach wird ob
des Forschens!“
Diese Erklärung haben wohl recht viele mit angehört, aber keiner verstand sie;
aber viele glaubten es, daß es also sein werde.
225. Kapitel – Warum das zu viele Forschen in
den Tiefen der Werke Gottes für Gotteskinder nachteilig ist.
7. Juni 1844
Es fragte aber der Cyrenius das Kindlein und sprach: „O Du mein Leben! – Warum
darf oder warum solle man denn in Deinen Werken nicht tiefer nachforschen?
Warum wohl ist solch ein Forschen nach Deinem Ausspruche der Liebe zu Dir
nachteilig?
Ich meine aber da gerade im Gegenteile: Wenn man Deine Werke erst stets tiefer
und tiefer und klarer und klarer erkennt, so muß man ja offenbar zunehmen in der
Liebe zu Dir und nicht schwächer werden darinnen!
Denn es ist also ja selbst unter uns Menschen schon der Fall, daß auch ein
Mensch uns immer um so teurer wird, je mehr Vollkommenheiten wir an ihm
entdecken.
Um wieviel mehr wird das erst gegen Dich, dem Herrn und Schöpfer aller Größe und
Vollkommenheit und Herrlichkeit der Fall sein, so wir Dich immer tiefer und
tiefer erkennen!
Darum möchte wohl ich selbst Dich, Du mein Leben, bitten, daß Du mir über diesen
sonderbaren Stern einige nähere Aufschlüsse geben möchtest!
Denn mein Herz sagt es mir, daß ich Dich dann erst ganz vollkommen werde lieben
können, so ich Dich tiefer und tiefer in Deinem allmächtigen höchstweisen
Wunderwirken erkennen werde.
Es kann ja doch niemand Dich als den einigen Gott und Herrn lieben, so er Dich
nicht zuvor erkennt, –
also ist unser Dich-Erkennen von unserer Seele ja der Hauptgrund zur Liebe zu
Dir!
Gleichwie auch ich mein Weib eher erkennen mußte, bevor ich sie in mein Herz
aufnehmen konnte! So ich sie nie erkannt hätte, da wäre sie auch sicher nie mein
Weib geworden!“
Hier lächelte das Kindlein und sprach: „O du Mein lieber Cyrenius! Wenn du Mir
also öfter so weise Lehren gäbest, da müßte Ich am Ende ja doch wohl auch so
recht ein grundgescheiter Mensch werden!
Siehe, da hast du Mir ja lauter neue Sachen gesagt;
aber nun denke dir's: Du warst Mir nun ein Lehrer, indem du Mir beweisen
wolltest, daß entgegen Meiner Warnung vor dem zu vielen Forschen in Meinen
Werken solches der Seele des Menschen für die Sphäre ihrer Liebe zu Mir nicht
etwa nicht zuträglich, sondern vielmehr gerade zuträglich ist.
Wie solle demnach nun Ich, ein Schüler zu dir, dich über dir unbekannte Dinge
unterrichten?!
Wenn dir für die Liebe bessere Gründe bekannt sind, als sie dir dein Gott und
dein Schöpfer gibt, wie kannst du von Ihm dann eine tiefere Unterweisung
erflehen?
Oder meinst du wohl, Gott wird Sich durch von den Menschen gefaßte und
aufgestellte Vernunftgründe zu etwas bewegen lassen, als wäre Er ein Richter
nach den Weltgesetzen?
O Cyrenius! da bist du wohl noch in einer sehr starken Irre!
Siehe, Ich allein kenne ja Meine ewige Ordnung, welche da die Mutter aller Dinge
ist!
Aus dieser Ordnung bist auch du hervorgegangen! – Die Liebe deines Geistes zu
Mir ist dein eigenstes Leben.
Wenn du nun diese Liebe zu Mir von Mir abwenden willst auf Meine Geschöpfe, um
Mich dann stärker zu lieben, da du Mich doch sichtbar lebendig vor dir hast,
sage, wird solch eine törichte Liebestärkung wohl ihren Grund haben?
Ja – wer Mich noch nicht kennt und nicht hat, der mag wohl auf deinen Wegen zu
Mir sich erheben;
aber so Mich Selbst schon jemand auf seinem Schoße hat, wozu sollen dann dem
deine Staffeln dienen?“
Hier stutzte der Cyrenius gewaltig, fühlte sich sehr getroffen, und niemand
fragte mehr nach dem Kometen.
226. Kapitel – Das Zurücktreten des Göttlichen
im Kinde. Des Kindleins letzte Anordnungen für Joseph und Cyrenius. Die
Nachtruhe. Jakobs besondere Gnade beim Jesuskinde.
8. Juni 1844
Als die Sache mit dem Kometen aber geschlichtet war, da sagte sogleich wieder
das Kindlein zum Joseph:
„Joseph, durch die zwei Tage machte Ich einen förmlichen Hausherrn, und ihr alle
gehorchtet Mir;
aber von nun an übergebe Ich wieder dir diese hausherrliche Stelle, und wie du
alles ordnen wirst, also solle es auch geschehen!
Von jetzt an bin Ich wieder wie ein jeglich Menschenkind – und muß es sein; denn
auch Mein Fleisch muß wachsen zu euer aller Heile.
Daher erwartet für jetzt wie für die künftige Zeit in diesem Lande keine offenen
Wundertaten mehr von Mir!
Laßt euch aber dennoch in eurem Glauben und Vertrauen an Meine Macht und Gewalt
nicht irremachen;
denn was Ich war von Ewigkeit, das bin Ich allzeit und werde es sein in
Ewigkeit!
Fürchtet daher nie die Welt, die nichts ist vor Mir; aber fürchtet euch, an Mir
irre zu werden, – denn das wäre der Tod eurer Seele!
Mit dem übernehme du, Joseph, wieder das Hausruder, und führe es recht und
gerecht im Namen Meines Vaters, Amen.
Also reise auch du, Cyrenius, am morgigen Tage wieder glücklich nach Tyrus,
allwo schon wichtige Geschäfte deiner harren!
Meine Liebe und Gnade ist mit dir, und so magst du ruhig sein. Alles andere aber
mache mit dem Joseph ab; denn er ist nun der Hausherr!“
Darauf berief das Kindlein den Jakob zu Sich und sprach zu ihm:
„Jakob! – zwischen uns aber walte das erste Verhältnis, das dir schon bekannt
ist!
Und bei allem dem hat es zu verbleiben in diesem Lande, Amen!“
Joseph aber ward darob ganz traurig und bat das Kindlein inständigst, daß Es ja
fortwährend also in Seiner Göttlichkeit verbleiben möchte.
Das Kindlein aber redete nun ganz kindisch, und in Seiner Rede war nun keine
Spur mehr von irgend etwas Göttlichem.
Es ward auch bald schläfrig, und der Jakob mußte Es zu Bette bringen.
Noch lange in die Nacht saß die Gesellschaft beisammen und besprach sich so und
so über den Grund solcher Veränderung am Kindlein;
aber keiner sagte etwas Rechtes, sondern es fragte vielmehr einer den andern, –
aber von keiner Seite kam irgend eine gültige Antwort.
Und der Joseph sprach endlich: „Wir wissen, was uns not tut, und was wir zu tun
haben, und damit können wir auch zufrieden sein!
Es ist aber schon spät in der Nacht; daher meine ich, es wird nun am besten
sein, wir begeben uns zur Ruhe.“
Damit waren alle mit dem Joseph einverstanden und begaben sich auch sobald zur
guten Ruhe ins Haus.
227. Kapitel – Josephs Sorge wegen der
Morgenmahlzeit. Die leere Speisekammer. Jonathas Hilfe mit einer wertvollen
Ladung Fische.
10. Juni 1844
Am nächsten Tage war Joseph wie gewöhnlich schon viel eher auf den Beinen als
jemand anderer und ging hinaus zu sehen, was es für einen Tag geben werde.
Er fand alle Zeichen zu einem schönen Tage und ging dann wieder ins Haus und
weckte seine Söhne, auf daß sie für die Gäste ein gutes Frühstück bereiten
möchten.
Und die Söhne erhoben sich bald und gingen nachzusehen, welchen Vorrat wohl noch
die Speisekammer bieten möchte.
Und als sie die Speisekammer durchsucht hatten, da kamen sie alsobald zum Joseph
und sprachen:
„Höre, du lieber Vater, dein Auftrag wäre wohl ganz recht und gut;
aber unsere Speisekammer ist durch die etlichen Tage so sehr gelüftet worden,
daß es uns geradewegs unmöglich wird, auch nur für zehn Personen eine Mahlzeit
zu gewinnen.
Rate uns daher, wo wir die Eßwaren hernehmen sollen, und die Mahlzeit solle in
einer Stunde fertig sein!“
Hier kratzte sich der Joseph ein wenig hinter den Ohren und ging selbst in die
Speisekammer und fand allda die Aussagen seiner Söhne bestätigt, was ihn dann in
noch größere Verlegenheit versetzte.
Er sann hin und her und konnte nichts finden, was ihn aus seiner Verlegenheit
reißen könnte.
Als aber Joseph also nachsinnend dastand im Vorhause, da kam Jonatha aus seinem
Schlafgemache, grüßte und küßte seinen alten Freund und fragte ihn, was er denn
also traurig und nachdenklich dastünde.
Und Joseph zeigte dem Jonatha sobald den Grund seiner Verlegenheit, nämlich die
leere Speisekammer.
Als der Jonatha das erschaute, da sagte er zum Joseph:
„O du mein allergeliebtester Freund, darum darf es dir wohl nicht bange werden!
Siehe, meine Speisekammern sind noch sehr voll; ich besitze noch bei zweitausend
Zentner geräucherter Fische!
Daher lasse nun sogleich deine Söhne mit mir gehen, und in anderthalb Stunden
solle es in deiner Speisekammer sogleich anders aussehen!“
Dieser Antrag war ein wahrer Balsam auf das Herz Josephs, und er nahm ihn auch
alsogleich an.
Es vergingen aber noch keine anderthalb Stunden, da kamen schon Jonatha und die
vier Söhne mit einer starken Ladung von Fischen.
Die Söhne brachten bei vier Zentner geräucherter Fische, und Jonatha brachte
drei große Lägel voll frischer Fische und zehn große Laibe Weizenbrotes.
Als der Joseph die Ankommenden also bepackt erschaute, da ward er voll Freude
und dankte und pries Gott für solche Bescherung und umarmte und küßte dann den
Jonatha.
Darauf ward es in der Küche bald sehr lebendig.
Die Söhne tummelten sich munter herum; Maria und die Eudokia kamen selbst bald
aus dem Schlafgemache und gingen und melkten die Kühe.
Und so ward in einer halben Stunde schon ein reichliches Morgenmahl bereitet für
mehr als hundert Gäste.
228. Kapitel – Ein Liebeseiferwettstreit
zwischen Joseph und Cyrenius. Josephs Uneigennützigkeit. Woran die echten und
die falschen Diener Gottes zu erkennen sind.
11. Juni 1844
Als auf diese Art das Morgenmahl bereitet war und alle Gäste sich auf den Beinen
befanden, da ging Joseph sogleich zum Cyrenius und fragte ihn, ob er schon
bereitet sei, das Morgenmahl zu nehmen.
Und der Cyrenius sagte zum Joseph: „O mein allererhabenster Freund und Bruder!
Ich bin freilich wohl bereitet mit meiner ganzen Suite;
aber ich weiß auch, daß du in deiner Speisekammer nicht einen solchen Vorrat
hast, um mehrere Tage hindurch über hundert Menschen zu bewirten.
Daher werde ich für heute früh in die Stadt meine Dienerschaft senden, allda sie
Eßwaren kaufen sollen für mich und dich!“
Als der Joseph solches vernommen hatte, da sprach er:
„O lieber Freund und Bruder, das kannst du immerhin tun für dein Schiff;
aber für mich wäre eine solche Mühe wohl ganz rein vergeblich.
Denn siehe, fürs erste ist das Morgenmahl schon bereitet, und fürs zweite
befindet sich in meiner Speisekammer noch so viel, daß ihr alle es in acht Tagen
kaum aufzehren möchtet.
Darum sorge dich nur um mich nicht; denn wahrlich, ich bin bestens versorgt!“
Und der Cyrenius sprach: „Wahrlich, wahrlich, wenn mir nichts anderes von deinem
allerhöchsten Berufe Zeugnis gäbe, so gäbe es mir im vollsten Maße deine ganz
unbegreifliche Uneigennützigkeit!
Ja, daran wird man allzeit die rechten und die falschen Diener Gottes genau
voneinander unterscheiden:
Die rechten werden uneigennützig sein im hohen Grade, und die falschen werden
sein gerade das Gegenteil;
denn die rechten dienen Gott im Herzen und haben auch da den allerhöchsten
ewigen Lohn, –
die falschen aber dienen einem nach ihrer bösen Art gemodelten Gotte in der Welt
– der Welt wegen;
daher suchen sie auch den Lohn der Welt und lassen sich für jeden Schritt und
Tritt gar unmäßig bezahlen.
Denn das weiß ich als ein geborner Heide am besten, wie sich die römischen
Priester bis ins Indefinitum für jeden Schritt und Tritt bezahlen lassen.
Wahrlich, ich selbst habe für einen Rat einmal an den Oberpriester müssen
hundert Pfunde Goldes bezahlen!
Frage: War das ein rechter Diener eines wahren Gottes?
Du aber hast mich nun schon bei drei Tage bewirtet, und welche Lehren habe ich
in deinem Hause empfangen, – und du nimmst noch nichts an!
Nicht einmal für meine acht Kinder nimmst du etwas an! – Es wird daraus doch
etwa einleuchtend sein, wie die echten und rechten Diener Gottes aussehen?!“
Joseph aber sprach: „Bruder, rede nun nicht weiter davon, denn auch solche Rede
ist zu viel für mich,
sondern setze dich zum Tische, und sogleich wird das Morgenmahl da sein!“ – Und
der Cyrenius befolgte sogleich den Wunsch Josephs und setzte sich zum Tische.
229. Kapitel – Das fröhliche Morgenmahl.
Joseph redet über die Güte des Herrn. Das Kindlein bei Tisch. Liebliche Szenen
zwischen dem kleinen Jesus und Cyrenius.
12. Juni 1844
Als sich nun alles am Speisetische befand, da wurden auch sobald gar schmackhaft
zubereitete Fische auf den Tisch gesetzt,
und der Cyrenius verwunderte sich hoch, wie denn Joseph schon also in aller
Frühe eine solche Menge ganz frischer Fische hat bekommen können!
Und der Joseph zeigte hier auf den großen Jonatha und sprach etwas scherzhaft:
„Siehe, wenn man einen so großen Fischmeister zum Freunde hat, da braucht man
gar nicht weit zu greifen – und die Fische sind da!“
Hier lächelte der Cyrenius und sprach: „Ja, da hast du wohl recht!
Wahrlich, bei solchen Umständen kann man allzeit frische Fische haben, und ganz
besonders, wenn man noch Wen in seinem Hause hat!“
Und der Joseph hob hier seine Hände auf und sprach mit dem gerührtesten Herzen:
„Ja, Bruder Cyrenius, – und noch Wen, dessen wir alle ewig nicht würdig sein
werden!
Dieser segne uns allen dieses gute Morgenmahl, daß es uns wahrhaft stärken
möchte in unseren Gliedern und in unserer Liebe zu Ihm – dem Allerheiligsten!“
Dieser Ausruf Josephs brachte alle Gäste zum Weinen, und alle lobten den großen
Gott in dem noch schlafenden Kindlein.
Als sich aber die Gäste nach der beendigten Lobpreisung an die Fische machten,
da ward auch das Kindlein wach;
und der gute Geruch von den Fischen sagte Ihm gleich, was sich auf dem Tische
befinde.
Daher war Es auch flugs aus Seinem niederen Bettchen, lief sogleich ganz nackt
zum Tische, da sich die Maria befand, und verlangte zu essen.
Maria aber nahm Es sogleich auf ihren Schoß und sagte zum Jakob:
„Gehe, und bringe mir geschwind ein frisches Hemdchen aus der Kammer!“
Und der Jakob tat sogleich nach dem Wunsche Mariens und brachte ein frisches
Hemdchen.
Das Kindlein aber wollte Sich diesmal das Hemdchen nicht anziehen lassen.
Da ward die Maria ein wenig unwillig und sprach: „Siehe, Du mein Kindlein, es
schickt sich ja nicht, nackt beim Tische zu sein;
daher werde ich recht schlimm sein, wenn Du Dich nicht anziehen läßt!“
Der Cyrenius aber, ganz zu Tränen gerührt über den Anblick des zarten Knäbleins,
sagte zur Maria:
„O liebe, holdeste Mutter, gebe mir also das Kindlein, auf daß ich Es noch
einmal also ganz nackt locke und kose!
Wer weiß es, ob mir auf dieser Welt noch einmal dieses endlose Glück zuteil
wird!?“
Und das Kindlein lächelte den Cyrenius an und verlangte sogleich zu ihm.
Und die Maria übergab Es auch sogleich dem Cyrenius, und er weinte vor Freude
und Seligkeit, als das gesunde Kindlein gar munter auf seinem Schoße
herumstrampelte.
Und der Cyrenius fragte Es sogleich, welches Stück vom Fische Es essen möchte.
Und das Kindlein sprach in ganz kindlicher Weise: „Gib Mir dasjenige weiße
Stück, wo keine Gräten darinnen sind!“
Und der Cyrenius gab dem Kindlein sogleich das beste und reinste Stück in die
Hände, welches Dasselbe mit Freude ganz behaglich verzehrte.
Nachdem Es Sich gesättigt hatte, da sprach Es: „Das war gut! – Jetzt ziehe du
Mich an!
Denn wenn Ich hungrig bin, da will Ich früher essen und dann erst ein Kleid
nehmen!“ – Darauf sprach das Kindlein nichts weiter und ließ Sich ganz ruhig das
Hemdchen von Cyrenius anziehen.
230. Kapitel – Fortsetzung der kindlichen
Tischszene. Maria ist nur aus großer Liebe zu Mir schlimm!
13. Juni 1844
Als das Kindlein angezogen war, da fragte Es der Cyrenius wieder, ob Es nicht
etwa noch ein gutes Stückchen vom Fische genießen möchte.
Das Kindlein aber sprach in Seiner Weise: „Ein kleines Stückchen möchte Ich
freilich noch;
aber Ich getraue es Mir nicht zu nehmen, weil Mich da die Mutter gleich wieder
auszanken möchte!“
Und der Cyrenius sprach: „O Du mein endlos allergeliebtestes Kindlein! Wenn ich
es Dir darreiche, da wird die Mutter nichts sagen!“
Das Kindlein aber sprach ganz naiv zum Cyrenius: „Ja, solange du da bist, da
wird sie freilich wohl nichts sagen;
aber wenn du fort sein wirst, da kriege Ich's dann doppelt.
O du glaubst es nicht, wie schlimm Meine Mutter sein kann, wenn Ich etwas täte,
was sie nicht will!“
Der Cyrenius lächelte darob und sagte dann zum Kindlein: „Was meinst Du denn, so
ich darob Deine etwas schlimme Mutter auszanken möchte, würde das sie nicht
nachsichtiger machen gegen Dich?“
Und das Kindlein sprach: „Ich bitte dich, tue du nur das nicht; denn dann bekäme
Ich erst einen Ausputzer, der seinesgleichen nicht hätte, so du fort wärest!“
Hier fragte der Cyrenius das Kindlein weiter und sprach:
„O Du mein Leben, Du mein himmlischstes Kindlein! – Wenn aber Deine Mutter so
schlimm ist, wie kannst Du sie dann aber dennoch so überaus liebhaben?“
Und das Kindlein antwortete: „Weil sie aus großer Liebe zu Mir schlimm ist; denn
sie hat stets die größte Furcht, daß Mir irgend etwas Übles geschehen möchte.
Und siehe, darum muß Ich sie ja dann auch recht liebhaben! Ist sie auch manchmal
ohne Grund schlimm, so meint sie's aber dennoch gut, und darum verdient sie ja
auch Meine Liebe!
Siehe, ebendarum würde sie nun auch schlimm sein, so Ich nun noch ein Stückchen
Fisch äße, weil sie meint, es könnte Mir schaden.
Es würde Mir freilich wohl nicht schaden; aber Ich will nun Selbst nicht gegen
die sorglich gute Meinung Meiner Mutter eine Sünde begehen.
Oh – Ich kann Mich schon auch verleugnen und kann das Gebot Meiner Mutter
halten, wenn es gerade sein muß;
aber wenn es gerade nicht sein muß, da kann Ich auch tun, was Ich will.
Und da mache Ich Mir dann nichts daraus, wenn auch die Mutter ein wenig zankt.
Also aber muß es auch jetzt gerade nicht sein, daß Ich noch ein Stückchen Fisch
essen solle; darum will Ich Mich auch verleugnen, damit dann die Mutter Mir
nichts anhaben solle, wenn du fort sein wirst.“
Hier fragte der Cyrenius wieder das Kindlein und sprach in aller Liebe:
„Ja, Du mein Leben! – wenn Du aber schon einen solchen Respekt vor Deiner
irdischen Mutter hast, warum hast Du Dich denn eher von ihr nicht anziehen
lassen?
Wird sie darob nicht zanken mit Dir, wenn ich fort sein werde?“
Und das Kindlein sprach: „Das sicher; aber daraus werde Ich Mir eben nicht viel
machen!
Denn Ich habe es dir ja schon zuvor gesagt, daß Ich manchmal tue, was Ich will,
und frage nicht, ob's Meiner Mutter recht ist oder nicht.
Aber darum kann dann Meine Mutter noch zanken mit Mir, weil sie dabei eine gute
Meinung und einen guten Willen hat.“
Hier lächelte die Maria und sagte scherzweise: „Na, warte Du nur, so wir allein
sein werden,
da werde ich Dich schon wieder recht auszanken, weil Du mich jetzt beim Cyrenius
so verklagt hast!“
Und das Kindlein lächelte und sprach: „Oh – das ist nicht dein Ernst! Ich sehe
es dir recht gut an, wenn du so recht ernst schlimm bist, – denn da siehst du
ganz rot aus im Gesichte; jetzt aber bist du schön weiß, wie Ich, und da bist du
nie schlimm.“
Über diese Bemerkung lachten alle, und das Kindlein lächelte auch mit. Maria
aber nahm aus Inbrunst das Kindlein und herzete Es über alle Maßen.
231. Kapitel – Des Cyrenius Dankbarkeit,
Geschenk und Abschiedsworte. – Cyrenius verweilt noch einen Tag.
14. Juni 1844
Nach dieser kindlichen Szene aber ward auch das Morgenmahl beendet.
Und als Joseph das Dankgebet beendet hatte, da trat alsbald der Cyrenius zum
Joseph hin und sprach:
„Mein geliebtester Freund! Deine Verdienste um mich, wie selbst um meinen Bruder
Julius Augustus Quirinus Caesar in Rom sind von so entschiedener Art, daß ich
sie dir nie werde lohnend entgelten können.
Aber dich ganz unbelohnt zu lassen – siehe, das ist mir allerreinst unmöglich!
Ich weiß aber, daß du von mir keine königliche Belohnung annimmst;
darum habe ich mich also bedacht: Du hast in diesem Jahre, wie es sich zeigt,
eine magere Getreideernte zu hoffen;
und dennoch ist dein Haus ziemlich stark bevölkert.
Neun Personen gehören ohnehin mir an, und ihr seid euer auch acht Köpfe; also in
allem siebzehn Köpfe.
Und es sagt mir nun mein Geist, daß deine Mehltruhen leer sind und also auch
deine Speisekammer,
daß es dir auch schon mit dem Futter für deine Kühe, Ziegen und Esel schlecht
geht. –
Siehe, das alles weiß ich sehr genau, wie auch, daß ihr fast nichts mehr
anzuziehen habt.
Daher – du mein geliebtester Bruder, mußt du wenigstens soviel von mir annehmen,
als dir vorderhand not tut.
Ich weiß zwar wohl, daß es im höchsten Grade lächerlich ist, so ein Erdmensch
sich vornähme, den Herrn der Unendlichkeit zu unterstützen, dem es ein leichtes
ist, mit einem Worte Myriaden Welten zu erschaffen.
Ich weiß aber auch nun, daß ebendieser heilige Herr der Ewigkeit nicht stets
Wunder wirken will wider Seine ewige Wunderordnung, weil damit immer ein Gericht
für uns geschaffene Wesen verbunden ist.
Aus dem Grunde mußt du von mir diesmal wenigstens soviel annehmen, als es dir
not tut,
und wirst mich diesmal nicht, wie sonst gewöhnlich, abweisen!“
Und der Joseph sprach: „Ja – Bruder! – diesmal möchtest du fast recht haben!
Aber – zuvor ich von dir doch etwas annehme, muß ich doch den Herrn fragen.“
Hier kam das Kindlein, das Sich schon beim Jakob befand, schnell herbei und
sagte zum Joseph:
„Joseph, nehme nur an, was dir der Cyrenius geben will, damit du das Haus dann
mit Eßwaren versehen magst!“
Darauf willigte Joseph in den Antrag des Cyrenius.
Und dieser übergab dem Joseph sogleich eine Summe von tausend Pfunden Silbers
und siebzig Pfunden Goldes.
Joseph dankte darum dem Cyrenius und nahm die schwere Summe an.
Cyrenius aber war darob überheiter und sagte: „Bruder! – Nun ist mein Herz um
tausend Zentner leichter! Aber heute ziehe ich noch nicht von hier, sondern
morgen; denn meine zu große Liebe läßt mich nicht von hier!“ – Und Joseph freute
sich darob sehr.
232. Kapitel – Josephs Geldkasten und
Räubersorgen. Des Kindleins guter Rat an Joseph.
15. Juni 1844
Joseph aber hatte keine Geldtruhe, in die er das viele Geld täte.
Da befahl der Cyrenius sogleich seiner Dienerschaft, daß sie sich sogleich in
die Stadt begeben solle und solle da einen Kasten kaufen, und koste er, was er
wolle!
Und die Dienerschaft ging alsogleich und brachte im Verlaufe von zwei Stunden
schon einen recht schönen Kasten von Zedernholz, der da zehn Pfunde Silbers
gekostet hatte.
Dieser Kasten ward sobald ins Schlafgemach Josephs gestellt, und die Söhne
Josephs legten das große und schwere Geld in diesen schönen und starken Kasten.
Als das Geld auf die Art aufgehoben war, da sprach Joseph:
„Nun bin ich weltlich genommen das erste Mal reich in meinem ganzen Leben;
denn so viel Geld habe ich nie gesehen und noch weniger je so viel besessen!
Aber bisher wußte mein Haus von keinem Diebe etwas und noch weniger von einem
Räuber;
von nun an aber werden wir alle nicht genug Augen und Zeit haben, dieses Geld
vor Dieben und Räubern zu schützen!“
Der Jonatha aber sagte: „Bruder, sei darob ruhig!
Ich weiß es nur zu bestimmt, über wen die Räuber und Diebe kommen.
Siehe, sie kommen nur über die geizigen und kargen Filze!
Das aber bist du nicht, – darum magst du auch ruhig sein; denn von dir bekommt
ja ohnehin ein jeder dreimal soviel, als er von dir verlangt!
Darum, meine ich, wirst du wohl mit einer Menge Bettlern zu tun bekommen, aber
mit Räubern und Dieben sicher nicht!“
Hier kam auch die Maria herbei und sprach zum Joseph:
„Höre, du lieber Vater, du weißt ja, wie wir in der Stadt unseres Vaters David
von den drei weisen Morgenländern, die da aus Persien kamen, auch eine große
Last Goldes überkommen haben;
und siehe, nun haben wir kein Sandkörnchen groß mehr davon, obschon wir nie
dessen beraubt worden sind!
Also, meine ich, wird es uns auch hier ergehen: es wird kein Jahr verfließen,
und wir werden ohne Diebe und Räuber davon nichts mehr besitzen.
Daher sei du nur ganz ruhig! – Denn in einem Hause, wo der Herr wohnt, da hat
das Gold keinen Stand, und die Räuber und Diebe wollen im Hause des Herrn eben
nicht viel zu tun haben!
Denn sie wissen es so gut wie ich und du, daß es nicht geheuer ist, sich an den
Schätzen zu vergreifen, die da wie in dem Gotteskasten liegen.“
Als die Maria solches ausgeredet hatte, da kam noch das Kindlein herbei und
sprach:
„Joseph, du Getreuer! Du mußt nicht so furchtsam auf jenen Kasten hinblicken, in
den Meine Brüder das Geld gelegt haben!
Denn da meine Ich, du wärest krank, wenn du so furchtsam aussiehst.
Und siehe, das will Ich nicht, daß du da krank sein sollest!
Dieses Geld wird dich gar nicht lange drücken. Kaufe du nun nur recht viel Mehl
und sonstige Eßwaren und etwas Kleidung, und verteile das übrige,
und der Kasten wird alsobald wieder leer sein!“ – Diese kindlichen Worte
beruhigten den Joseph so sehr, daß er darauf ganz heiter ward.
233. Kapitel – Joseph und die Seinen.
Häusliche Sorgen und Arbeiten. Jonathas Riesenhilfe durch sein Gottvertrauen.
17. Juni 1844
Nach allem dem aber berief Joseph die vier Söhne zu sich und sagte zu ihnen:
„Da nehmt dieses Pfund Silbers und gehet in die Stadt und kaufet dort Mehl und
was sonst noch für die Küche vonnöten ist,
und kommet dann und bereitet ein gutes Mittagsmahl, darum mir heute noch der
Cyrenius die Ehre gibt!“
Und die Söhne gingen und taten, was ihnen der Vater geboten hatte.
Maria aber kam auch herzu und bemerkte dem Joseph heimlich, daß der
Brennholzvorrat auch so sehr eingeschmolzen sei, daß sich mit dem noch
vorhandenen kleinen Reste kaum mehr werde ein Mahl bereiten lassen.
Da berief der Joseph den Jonatha und zeigte ihm solche Verlegenheit an.
Und der Jonatha sprach: „Bruder, gebe mir deine große und starke Axt, und ich
werde in den Wald dort am Berge gehen;
fürwahr, in drei Stunden sollst du Holz in Menge haben!“
Und Joseph gab dem Jonatha eine starke Axt, und dieser ging in den Wald des
nächsten Berges, der zur Villa gehörte, und hieb dort sobald eine starke Zeder
um, befestigte um den Stamm einen starken Strick und zog so den ganzen mächtigen
Baum vor das Haus Josephs.
Als er da mit seinem gefällten Baume ankam, da verwunderten sich alle über die
enorme Stärke Jonathas.
Und viele Diener des Cyrenius versuchten zugleich den Baum weiterzuziehen, aber
ihre Kraftanstrengung war vergeblich;
denn ihrer bei dreißig an der Zahl konnten den Baum nicht um ein Haar von der
Stelle bringen, da er im ganzen bei hundert Zentner wog.
Jonatha aber sagte zu den Dienern des Cyrenius:
„Nehmet doch statt dieses vergeblichen Versuchens große und kleine Äxte zur
Hand, und helfet mir den Baum geschwind aufscheitern!
Diese Mühe wird dem Hausherrn besser gefallen, als so ihr an diesem Baume meine
Riesenkraft bemessen wollt durch eure eitle Bemühung!“
Und sogleich griffen alle Diener des Cyrenius zu, und durch die kräftige
Mitwirkung des Jonatha ward der ganze Baum in einer halben Stunde ganz
aufgescheitert.
Joseph war darauf voll Freude und sprach: „O das ist vortrefflich!
Fürwahr, das hätte mir drei Tage Arbeit gemacht, bis ich so einen Baum
zerscheitert hätte,
und du hast kaum drei Stunden in allem gebraucht!“
Und der Jonatha sagte darauf: „O Bruder! Eine große Leibesstärke ist wohl eine
nützliche Sache;
aber was ist sie gegen die Stärke Dessen, der bei dir wohnet, und vor dessen
Hauche die ganze Unendlichkeit erbebt?!“
Hier kam das Kindlein zum Jonatha und sagte zu ihm: „Sei still, Jonatha, und
verrate Mich nicht; denn Ich weiß, wann Ich Mich zu zeigen habe!
So aber Meine Kraft nun nicht mit dir gewesen wäre, da wärest auch du nicht
dieses Baumes Meister geworden. – Aber sei stille und rede nichts davon!“ – Da
sprach Jonatha nichts weiter und begriff erst, wie er diesen Baum so leicht
bemeistert hatte. –
234. Kapitel – Die Verlegenheit des
Statthalters durch eine Deputation der Ersten und Vornehmsten der Stadt.
Cyrenius lädt die Deputation zum Mahle ein. Vom Fluch des Geldes.
18. Juni 1844
Als aber auf diese Art das Haus Josephs auch mit Holz versehen war und die Söhne
Josephs sich recht rüstig an die Bereitung eines Mittagsmahles gemacht hatten,
da kam eine sehr glänzende Deputation aus der Stadt, um zu begrüßen den obersten
Statthalter.
Denn diesmal erfuhr niemand in der Stadt etwas von der Anwesenheit des Cyrenius,
weil er im strengsten Inkognito da sein wollte.
Aber man sah an dem Morgen die bekannte Dienerschaft in der Stadt, wie die Söhne
Josephs, und vermutete darum die Gegenwart des Statthalters.
Daher versammelte man sich in der Stadt und kam in allem Glanze heraus, was aber
dem Cyrenius diesmal sehr ungelegen kam.
Der Oberste und der schon bekannte Hauptmann waren natürlich an der Spitze einer
zahlreichen Gesellschaft der Ersten und Vornehmsten der Stadt Ostracine.
Der Oberste entschuldigte sich über die Maßen, daß er es so spät, und das nur
durch einen glücklichen Zufall erfahren habe, daß Seine Kaiserliche Consulische
Hoheit diese Gegend mit ihrer allerhöchsten Gegenwart beglückten.
Der Cyrenius aber kehrte sich fast um vor geheimem Ärger über diesen für ihn
höchst unzeitigen Besuch.
Aber er mußte nun dennoch zum bösen Spiele aus politischen Rücksichten eine gute
Miene machen und erwiderte darum auch dem Begrüßer mit gleicher Wohlredenheit.
Endlich aber sagte er doch auch zum Obersten: „Lieber Freund, wir große Herren
der Welt sind manchmal doch recht übel daran!
Ein gemeiner Mensch kann hingehen, wohin er nur immer will, und er bleibt im
süßen Inkognito;
aber wir dürfen nur ein wenig über die Türschwelle uns erheben, und das
Inkognito ist schon beim Plunder.
Ich nehme eure stattliche Begrüßung im Namen meines Bruders zwar recht herzlich
gut auf;
aber es bleibt dabei, daß ich nun im strengsten Inkognito hier bin!
Das heißt, mit andern Worten gesprochen, dies mein Hiersein ist ein unamtliches
und darf unter gar keiner Bedingung nach Rom berichtet werden!
So ich es erführe, daß es jemand gewagt hätte, nach Rom einen solchen Bericht zu
erstatten, wahrlich, dem solle es nicht am besten ergehen! – Denn wohlgemerkt,
ich bin im strengsten Inkognito für die Welt hier!
Warum? – das weiß ich, und niemand hat mich darum zu fragen.
Gehet aber nun heim und kleidet euch um, und kommet dann wieder heraus zum
Mittagsmahle, das ungefähr drei Stunden vor dem Untergange stattfinden wird!“
Hier verbeugte sich die Deputation vor dem Statthalter und zog wieder ab.
Darauf trat der Joseph zum Cyrenius hin und sprach:
„Siehe, das ist schon die erste Wirkung des Geldes, das du mir in so
reichlichstem Maße zukommen ließest!
Deine Dienerschaft mußte mir dazu einen Kasten kaufen, ward da erkannt – und
dein Hiersein verraten.
Wie ich doch immer sage: Am Golde und Silber liegt noch immer der alte Fluch
Gottes!“
Das Kindlein aber, das dicht neben dem Joseph Sich befand, sagte lächelnd hinzu:
„Daher kann man dem stolzen Golde und dem hochmütigen Silber keinen größeren
Schimpf antun, als so man es im gerechten Maße unter die Bettler austeilt.
Du, Mein lieber Joseph, aber tust das allzeit; daher wird dir der alte Fluch
wenig schaden und also auch dem Cyrenius.
Oh, Mir ist es gar nicht bange um dieses Goldes willen; denn hier befindet es
sich schon am rechten Platze!“
Diese Worte beruhigten wieder den Joseph wie den Cyrenius, und sie erwarteten
darauf recht heitern Mutes die geladenen Gäste. –
235. Kapitel – Die vornehme Gesellschaft bei
der Mahlzeit. Josephs Rat der gesellschaftlichen Rücksichtnahme bei der
Tischordnung. Des Kindleins Ärgernis am schlecht bestellten Nebentisch. Eine
prophetische Voraussage.
19. Juni 1844
In der vorbestimmten Zeit kam die umgekleidete Deputation wieder aus der Stadt,
begrüßte alles im Hause Josephs und begab sich dann mit dem Cyrenius zur schon
bereiteten Mahlzeit.
Da aber nun unvermuteterweise mehr Gäste zusammenkamen, als man erwartet hatte,
so ward der Tisch Josephs zu klein, als daß am selben auch die Familie Josephs
hätte Platz haben können.
Daher sagte heimlich das Kindlein zum Joseph: „Vater Joseph, lasse für uns im
nebenanstoßenden Zimmer einen kleinen Tisch decken!
Und dem Cyrenius sage, daß er sich darob nicht kränken solle,
und sage ihm, daß Ich schon nach der Mahlzeit wieder zu ihm kommen werde!“
Und der Joseph tat also, wie ihm das Kindlein geraten hatte.
Der Cyrenius aber sagte zum Joseph: „Das geht nicht! – So der Herr der
Unendlichkeit unter uns ist, da werden wir Ihn doch nicht zum Katzentische
setzen!
O das wäre doch die allersonderbarste Ordnung von der Welt!
Ich sage dir, gerade Er und du müßt vor allem obenan sitzen!“
Und der Joseph sprach: „Liebster Bruder, das wird diesmal wohl nicht angehen;
denn siehe, es sind nun viele Heiden aus der Stadt da, und denen könnte die zu
große Nähe des Herrn gar übel bekommen; daher ist des Kindleins Wille hier wie
überall und allzeit zu respektieren.“
Und das Kindlein kam hinzu und sprach: „Cyrenius! Joseph hat schon recht, folge
nur seinen Worten!“
Da fand der Cyrenius keinen Anstand mehr und begab sich sogleich mit seiner
Suite und mit der Deputation aus der Stadt zum Mittagsmahle.
Und der Joseph bestellte sogleich im nebenanstoßenden Zimmer auch einen recht
tüchtigen Tisch, bei dem er, die Maria, das Kindlein mit Seinem Jakob,
der Jonatha, die Eudokia und die acht Kinder des Cyrenius Platz nahmen.
Es wurden aber natürlich auf den Tisch der Gäste mehr und die besseren Speisen
aufgetragen und auf den Haustisch weniger und die minder guten.
Und das Kindlein sprach: „O du Schandfleck von einem Erdboden! – mußt du denn
gerade für deinen Einigen Herrn das Schlechtere hervorbringen!?
O du jetzt fruchtbares Land zwischen Asien und Afrika, du sollst darum für alle
Zeiten mit großer Unfruchtbarkeit geschlagen werden!
Fürwahr, wahr! – hätte unser Tisch nicht einige Fische, da wäre für Mich rein
nichts Genießbares da!
Hier ein Milchkoch mit etwas Honig, was Ich nicht mag, und da eine gebratene
Meerzwiebel, und da eine kleine Melone, und da ein altbackenes Brot und daneben
etwas Butter und Honig, –
das ist unsere ganze Mahlzeit; lauter Speisen, die Ich nicht mag, bis auf die
wenigen Fische!
Ich will aber nicht, daß es etwa die Gäste schlechter haben sollen als wir;
aber das ist denn doch auch nicht recht, daß wir es um vieles schlechter haben
sollen als die Gäste!“
Joseph aber sprach: „O lieber Jesus, so schmolle doch nicht, denn siehe, es geht
uns ja allen gleich!“
Und das Kindlein sprach: „Gib Mir vom Fische, und dann ist es gut für jetzt.
Aber ein andermal muß es anders gehen; denn mit dieser Alltagskost kann Ich Mich
nicht allzeit begnügen!“ – Joseph merkte sich das und gab dem Kindlein vom
Fische zu essen.
236. Kapitel – Eine häusliche Küchenszene und
deren ernste Folgen. Das Grundevangelium von der Menschwerdung.
20. Juni 1844
Beim Verzehren des Fisches aber fragte das Kindlein den Jonatha, sagend:
„Jonatha, ist das wohl die beste Gattung der Fische?
Denn Ich sage dir, daß Mir dieser Fisch gar nicht wohlschmecket!
Fürs erste ist er zäh und fürs zweite so trocken wie Stroh.
Fürwahr, das muß keine gute Fischgattung sein, was sich auch daraus erkennen
läßt, daß er gar so viele lästige Gräten hat!“
Und der Jonatha erwiderte: „Ja, Du mein Herr und mein Gott! Es ist fürwahr die
leichteste Fischgattung!
O hätte doch der Joseph mir früher etwas gesagt, da wäre ich ja gerne zehn Male
für einmal hin und her gelaufen und hätte für Dich den allerbesten Fisch
geholt!“
Hier war der Joseph selbst etwas ärgerlich über seine Söhne, darum sie seinen
Tisch so übel bestellt hatten.
Das Kindlein aber sprach: „Joseph, ärgern dürfen wir uns deshalb gerade nicht;
aber sonderbar bleibt das immer von Meinen Brüdern, daß sie in der Küche für
sich das Beste behalten, uns aber gerade aus allem das Schlechteste auftischen.
Es sei ihnen zwar alles gesegnet; aber schön und löblich ist das von ihnen
nicht! –
Siehe, du hast Mir wohl das beste Stück vom Fische gegeben; aber dennoch vermag
Ich es nicht wegzuessen, obschon Ich noch recht hungrig bin, –
und das ist doch ein sicheres Zeichen, daß der Fisch schlecht ist!
Da – verkoste dies Stückchen, und du wirst dich überzeugen, daß Ich recht habe!“
Hier kostete der Joseph den Fisch und fand die Aussage des Kindleins vollkommen
bestätigt.
Da stand er aber auch sogleich auf und ging in die Küche und fand da, wie sich
die vier Söhne mit einem edlen Thunfisch gütlich taten.
Da war es aber auch aus beim Joseph, und er fing die vier Köche ganz gewaltig zu
putzen an.
Diese aber sprachen: „Vater! – siehe, wir müssen alle schwere Arbeit verrichten,
warum sollen wir da manchmal nicht auch ein besseres Stückchen verzehren als
die, welche nicht arbeiten?!
Zudem ist der Fisch ja auch nicht schlecht, den wir auf deinen Tisch gegeben
haben.
Das Kindlein aber, weil Es von euch zu verzärtelt ist, ist nur manchmal zu voll
Kapricen, und da ist Ihm dann nichts recht und gut genug!“
Da ward Joseph zornig und sprach: „Gut, weil ihr mir mit solcher Rede
begegnetet, so werdet ihr von nun an nimmer für meinen Tisch Speisen bereiten!
Maria wird von jetzt an mein Koch sein, ihr aber möget für euch kochen, was ihr
wollt; aber an meinem Tische solle keiner aus euch je gesehen werden!“
Hier verließ Joseph die vier Köche und kam ganz erregt durch eine kleine
Seitentüre zu seiner Tischgesellschaft zurück.
Da ward das Kindlein traurig und fing an völlig zu weinen und schluchzte recht
gewaltig.
Da fragten Es sogleich Maria, Joseph und der Jakob mit ängstlicher Gebärde, was
Ihm fehle, ob Es irgendeinen Schmerz empfinde –
oder was es denn doch sei, darum Es nun gar so plötzlich also traurig und leidig
geworden sei?
Das Kindlein aber seufzte tief auf und sprach in einem sehr wehmütigen Tone zum
Joseph:
„Joseph! – Ist es denn gar so süß, den Armen und Schwachen die eigene
Herrlichkeit zu zeigen und sie eines geringen Vergehens wegen völlig zu
richten?!
Siehe doch einmal Mich an, wie viele gar entsetzlich schlechte Köche habe Ich in
der Welt, die Mich als einen Vater aller Väter schon lange völlig hätten
verhungern lassen, so solches an Mir möglich wäre!
Ich sage dir, Köche, die von Mir nichts mehr wissen und auch nichts mehr wissen
und hören wollen!
Und siehe, Ich gehe dennoch nicht hinaus, um sie zu richten in Meinem gerechten
Zorne!
Ist es denn gar so süß, ein Herr zu sein? – Siehe, Ich bin der alleinige Herr
der Unendlichkeit, und außer Mir ist ewig keiner mehr!
Und siehe, Ich euer aller Schöpfer und Vater wollte vor euch ein schwaches
Menschenkind werden mit allem Zurückhalte Meiner ewigen und unendlichen
göttlichen Herrlichkeit,
auf daß ihr durch dieses über alles demütige Beispiel an eurem alten
Herrschgeist einen Ekel bekommen sollet!
Aber nein! Gerade in dieser Zeit aller Zeiten, in der Sich der Herr aller
Herrlichkeit unter alle Menschen erniedrigt hat, um sie alle in solcher Seiner
Niedrigkeit zu gewinnen, wollen die Menschen am meisten Herren sein und
herrschen!
Ich weiß es wohl, daß du vorzüglich Meinetwegen die vier Köche gerichtet hast;
aber so du Mich als den Herrn erkennst, warum hast du Mir denn da vorgegriffen?
Siehe, wir alle sind darum noch nicht unglücklich, darum wir mit einem mageren
Fische bedient worden sind; denn wir können uns ja sogleich einen besseren
zubereiten lassen!
Die vier Brüder aber sind nun die unglücklichsten Geschöpfe auf der Welt, darum
du als Vater sie gerichtet hast;
und siehe, das ist keine gerechte Strafe auf ein so geringes Vergehen!
Was wäret ihr Menschen wohl, so Ich mit euch täte, wie ihr es miteinander tut,
wenn Ich so kurzmütig und ungeduldig wäre, wie ihr es seid?!
Du weißt es nicht, warum wir diesmal so karg bedient worden sind; Ich aber weiß
es.
Darum sage Ich dir, gehe hin und rufe zurück dein Urteil, und der Jakob wird dir
dann den Grund dieser schlechten Mahlzeit kundgeben!“
Hier ging der Joseph und berief die vier Söhne, auf daß sie vor ihm bekenneten
ihren Fehl und er es ihnen dann vergebe.
237. Kapitel – Demütige und herzliche Rede der
vier Brüder an das beschimpfte Kindlein. Dessen göttliche Antwort an Seine
Brüder.
21. Juni 1844
Und die vier Söhne Josephs kamen sobald in das Speisezimmer des Joseph, fielen
da auch sogleich auf ihre Knie nieder, bekannten ihre Schuld und baten dann den
alten Vater Joseph um Vergebung.
Joseph vergab ihnen darauf und nahm sein Urteil zurück.
Darauf aber sagte er zu den vieren: „Ich habe es euch wohl vergeben;
aber ich war auch dabei der von euch am wenigsten Beleidigte.
Aber hier ist das Kindlein, von dem ihr mir zum größten Ärger aussagtet,
Es sei ganz verzärtelt und sei darum manchmal voll Kapricen, da Ihm dann nichts
recht und gut genug wäre.
Dadurch habt ihr Es gröblichst beschimpft!
Gehet hin und bittet Es vorzugsweise um Vergebung, sonst kann es euch übel
ergehen!“
Darauf gingen die vier hin vor das Kindlein und sprachen vor Ihm:
„O Du unser liebes Brüderchen! Siehe, wir haben Dich ungerecht beschimpft vor
unserem Vater,
und haben dadurch ihn gröblichst erzürnt, daß er uns darob nahe fluchen mußte.
Gar grob haben wir uns an Dir und dem guten Vater Joseph versündigt.
O wirst Du, liebes Brüderchen, uns wohl je solche unsere grobe Sünde vergeben
können? – Wirst Du uns wieder zu Deinen Brüdern erheben?“
Hier lächelte das Kindlein die vier Bittenden gar überaus freundlich an,
streckte Seine zarten Arme aus und sprach mit Tränen in Seinen göttlichen Augen:
„O stehet auf, ihr Meine lieben Brüder, und kommet her, auf daß Ich euch küsse
und segne!
Denn wahrlich, wer so wie ihr zu Mir kommt, dem solle vergeben sein und hätte er
der Sünden mehr, denn da ist des Sandes im Meere und des Grases auf der Erde!
Wahrlich, wahrlich! – eher noch als diese Erde gegründet war, habe Ich diese
Sünde an euch schon geschaut und habe sie euch auch schon um gar vieles eher
vergeben, als ihr noch waret!
O ihr Meine lieben Brüder! Seid ja in keiner Angst wegen Meiner; denn Ich habe
ja euch alle so sehr lieb, daß Ich wohl aus Liebe zu euch einst sterben werde am
Leibe!
Daher habet ja keine Angst vor Mir; denn wahrlich, so ihr Mir auch gefluchet
hättet, da hätte Ich euch aber dennoch nicht gerichtet, sondern hätte geweint ob
der Härte eurer Herzen!
Kommet also her, ihr Meine lieben Brüder, auf daß Ich euch segne, darum ihr Mich
ein wenig beschimpfet habt!“
Diese endlose Güte des Kindleins brach den vieren das Herz, daß sie weinten wie
kleine Kinder.
Auch die andere Tischgesellschaft ward so sehr gerührt, daß sie sich des Weinens
nicht enthalten konnte.
Das Kindlein aber richtete Sich auf, ging Selbst zu den vieren hin und segnete
und küßte sie und sagte dann zu ihnen:
„Nun, liebe Brüder, werdet ihr es doch merken, daß Ich euch alles vergeben
habe!? –
Ich bitte euch aber, gehet nun in die Küche und bringet uns allen einen besseren
Fisch!
Denn fürwahr, Ich bin noch recht hungrig und kann den Fisch aber dennoch nicht
essen, den ihr ehedem für uns bereitet habt!“
Hier erhoben sich sobald die vier, küßten das übergute Kindlein und eilten dann
übergerührt in die Küche und bereiteten in der kürzesten Zeit einen allerbesten
Fisch für den Tisch Josephs.
238. Kapitel – Entsprechungssinn der Mahlzeit.
Die Phasen der geistigen Zustände auf Erden: 1. Im allgemeinen. 2. Das Judentum.
3. Die griechische Kirche. 4. Die römische Kirche. 5. Die christlichen Sekten.
22. Juni 1844
Als der gut bereitete Fisch auf den Tisch Josephs kam und sich alle daran
gütlich taten,
und als auch die Tafel beendet ward, da fragte Joseph den Jakob, ob er ihm denn
einen etwa wohl gar prophetischen Grund dieses früheren mageren und schlechten
und nun am Ende gar wohlschmeckenden Mahles anzugeben wüßte?
Und der Jakob sprach mit der größten Demut und Bescheidenheit:
„O ja, lieber Vater Joseph, insoweit es mir der Herr geben wird, insoweit auch
will ich es dir treulich kundtun, was dieses Mahl bedeutet.
Und so bitte ich dich denn, daß du mich ja recht treulich anhören möchtest!“
Alle richteten nun ihre Aufmerksamkeit auf den Mund Jakobs, und dieser begann
also zu reden:
„Die magere und schlechte Mahlzeit bezeichnet jene künftige Zeit, in der des
Herrn Wort wird verunstaltet werden.
Da werden Seine Knechte den besten Teil für sich behalten und werden ihre
Gemeinden mit den Trebern füttern gleichwie die Heiden ihre Schweine.
Die Juden werden sein gleich der gebratenen Meerzwiebel;
denn obschon sie eine Wurzel sind, die am Meere der göttlichen Gnade wuchert und
nun völlig gebraten wird am Feuer der göttlichen Liebe,
so wird sie aber dennoch als eine schlechte Speise und als ein höchst mageres
Gericht am Tische des Herrn sich befinden, und wird niemand nach ihr greifen! –
Das dumme Milchkoch werden die Griechen sein; diese werden wohl am meisten noch
des Herrn Wort echt erhalten!
Aber da sie nur ein äußeres, aber kein inneres Leben darnach führen werden, so
werden sie lau und dumm und geschmacklos sein wie dieses Koch, das zwar wohl
auch die besten Lebenssäfte in sich trägt, aber weil es kühl ist und nicht
gehörig durchkochet ward, so macht es auch eine schlechte Figur auf dem Tische
des Herrn! –
Denn es hat keinen Wohlgeruch und somit als noch völlig roh auch keinen
Wohlgeschmack für des Herrn Gaumen.
Die Melone ist das Rom. Diese Frucht wächst an einem kriechenden und sich nach
allen Gegenden hin windenden Stiele,
auf dem viel taube Blüten vorkommen; aber nur hinter wenigen zeigt sich eine
Frucht.
Und wenn schon die Frucht da ist und ihre Reife erlangt, so hätte sie zwar wohl
einen recht starken Wohlgeruch, –
schneidet man sie aber auf und kostet das innere Fleisch, so wird man sogleich
gewahr, daß der Geschmack bei weitem schlechter ist als der Geruch.
Nimmt man nicht gewürzten Honig dazu, so wird es einem nach dem Genusse solcher
Frucht sogleich zum Erbrechen übel,
ja man kann sich an solcher Frucht gar leicht den Tod eressen!
Also wird es auch mit Rom stehen eine geraume Zeit, und viele werden sich an
dieser Kost den Tod eressen! – Und diese Frucht wird ebenfalls als ein
schlechtes Gericht auf dem Tische des Herrn sich befinden und wird von Ihm nicht
angerührt werden! –
Also sind hier noch Butter, Brot und etwas Honig und etliche magere Fische.
Diese Speisen sind wohl etwas besser und sind von den andern sehr gesondert und
haben wohl noch das rechte Ansehen;
aber es ist in ihnen auch keine Wärme, und des Feuers Hauptwürze hat sie noch
nicht alle berührt, daher stehen sie auch hier auf dem Tische des Herrn und
werden nicht gelobt.
Die Fische wohl waren am Feuer; aber sie hatten zu wenig Fett, daher sind sie
trocken wie Stroh, und der Herr kann sie auch nicht genießen.
Unter diesen Speisen aber werden gewisse Sekten verstanden, die sich von
ersteren absondern werden und werden wohl Glauben haben;
aber man wird an ihnen keine oder nur sehr wenig Liebe entdecken, und daher
werden sie auch nicht angenehm sein vor dem Herrn! – –
Das ist kurz die Bedeutung dieses Mahles. Ich gab alles kund, was ich empfing;
mehr aber empfing ich nicht, darum schweige ich nun.“ – Diese Erklärung machte
ein großes Aufsehen wohl, aber niemand verstand sie.
239. Kapitel – Der letzte gute Fisch bedeutet
die Liebe des Herrn und Seine große Gnade in dieser letzten Zeit. Die Bewohner
der Sonne auch zu Kindern Gottes bestimmt. Eine Herde unter dem Einen guten
Hirten.
25. Juni 1844
Joseph aber sprach darauf zum Jakob: „Du hast im vollsten Sinne im Namen des
Herrn großweise geredet, obschon ich wie wir alle das noch nicht zu fassen
imstande sind, was du geredet hast.
Da ich aber dessenungeachtet die Weisheit Gottes in dir erkenne,
und wir alle am Ende einen herrlichen und gar überaus wohlschmeckend
zubereiteten Fisch auf unsern Tisch bekamen,
so möchte ich denn auch das von dir erörtert haben, was denn am Ende dieser edle
gute Fisch bedeutet.
Sicher wird dir der Herr auch das enthüllen, das da gut ist,
da Er dir ehedem enthüllet hat, was da schlecht ist und sein wird für alle
Welt!“
Und der Jakob sprach darauf: „Lieber Vater Joseph, das steht ja nicht bei mir,
sondern allein beim Herrn!
Ich bin nur ein mattes Werkzeug des Herrn und kann nur dann reden, wann der Herr
mir die Zunge löset.
Darum verlange nicht von mir, das ich nicht habe und dir's darum auch nicht zu
geben vermag,
sondern wende dich darob an den Herrn; so Er es mir geben wird, dann sollst es
auch du alsogleich bekommen ganz ungetrübt!“
Hier wandte sich der Joseph sogleich an das Kindlein heimlich und sprach:
„Mein Jesus, lasse mich auch die Bedeutung des guten Fisches erfahren!“
Das Kindlein aber sprach: „Joseph, du siehst ja, daß Ich mit Meinem Fische noch
nicht völlig fertig bin; also warte nur ein wenig noch!
Der Cyrenius ist ja auch noch lange nicht fertig mit seiner Mahlzeit; daher
haben wir noch eine halbe Stunde Zeit,
und in dieser Zeit läßt sich noch sehr vieles abmachen, beraten und
beschließen.“
Darauf aber wandte Sich das Kindlein zum Jakob und sprach zu ihm:
„Jakob, dieweil Ich dies Mein Stückchen Fisch verzehren werde, kannst du ja
gleichwohl reden, was dir in den Mund kommen wird.“
Darauf aß das Kindlein wieder an Seinem Fische, und der Jakob begann sogleich
also zu reden:
„Dieser letzte gute Fisch bedeutet die Liebe des Herrn und Seine große Gnade,
die Er in den Zeiten, in denen alles sich über den Abgründen des ewigen Todes
befinden wird, den Menschen wird zukommen lassen.
Aber zuvor werden die Köche ein tüchtiges Gericht zu bestehen haben!
Erst nach einem solchen Gerichte wird jene Zeit kommen, von der schon der
Prophet Isaias geweissagt hatte.
Und diese Zeit wird dann bleiben auf der Erde und wird von ihr nicht genommen
werden fürder; und da wird die Erde eins werden mit der Sonne,
und ihre Bewohner werden bewohnen die großen Lichtgefilde der Sonne und werden
leuchten wie sie.
Und der Herr wird allein Herr sein, und Er wird Selbst ein Hirt sein, und alle
die leuchtenden Bewohner werden eine Herde sein!
Und also wird die Erde bestehen ewig, und ihre Bewohner ewig, und der Herr wird
sein ewig unter ihnen – ein Vater Seinen Kindern von Ewigkeit!
Da wird kein Tod mehr sein; wer da leben wird, der wird leben ewig, und wird
nimmer den Tod sehen Amen!“ –
Hier ward der Jakob wieder still. Die ganze Gesellschaft aber ward ganz stumm
vor Verwunderung über die große Weisheit Jakobs, – nur das Kindlein sprach am
Ende: „Und so bin Ich auch mit dem Fische fertig geworden; daher auch da Amen.“
–
240. Kapitel – Die Gäste werden auf das
Kindlein aufmerksam. Des Cyrenius Auskunft. Ein Urteil der Nachbarn über Joseph
und seine Familie.
26. Juni 1844
Bald darauf erhob sich die Gesellschaft vom Tische und dankte Gott für die
leibliche wie für die geistige Nahrung und begab sich dann zum größten Teile
hinaus ins Freie.
Nur Joseph, Maria und das Kindlein mit dem Jakob begaben sich in das große
Speisezimmer, allda der Cyrenius sich noch mit seinen Gästen am Tische befand.
Er bewillkommnete überaus freundlich seine liebsten Freunde und wollte sogleich
aufstehen und ihnen einen Platz bereiten.
Das Kindlein aber sprach: „O bleibe, bleibe, du Mein lieber Cyrenius, wie du
bist!
Ich bin schon zufrieden, wenn Ich nur in deinem Herzen den gerechten Platz habe!
Was da diesen Tischplatz betrifft, an dem liegt Mir nichts!
Ich gehe aber nun ins Freie mit den Meinen; wann du mit der Tafel wirst zu Ende
sein, so komme Mir nach!“
Darauf lief das Kindlein mit Seinem Jakob flugs hinaus ins Freie und unterhielt
Sich dort mit ihm und mit den andern Kindern.
Einigen Gästen aus der Stadt aber fiel diese sehr verständige und ganz
vertrauliche Rede des Kindleins mit dem Cyrenius auf,
und sie fragten, wie alt denn doch dies Kindlein sein dürfte;
denn es rede ja schon wie ein erwachsener Mensch und scheine mit dem Statthalter
auf einem sehr vertrauten Fuße zu stehen.
Cyrenius aber sprach: „Was kümmert euch das, so ich ein großer Kinderfreund bin?
Daß dies Kindlein überaus geistreich ist, das habt ihr alle gesehen!
Wie Es aber in kaum noch dritthalb Jahren Alters zu solcher Verstandesklarheit
gelangt ist,
darüber erkundiget euch bei dessen Eltern, diese werden euch darüber wohl den
besten Aufschluß zu erteilen imstande sein!
Mich nimmt es aber überhaupt sehr wunder, daß ihr als die nächsten Nachbarn
dieses Hauses dessen Einwohner noch nicht näher kennet!“
Darauf sprachen einige: „Ja – wie sollen wir aber diese Familie auch näher
kennen?
Fürs erste geht sie nirgends hin, und fürs zweite haben wir ja auch zu wenig
Zeit, um zu besuchen diese sonderbare jüdische Familie, bei der man sich
überhaupt nicht so ganz recht auskennt;
denn sie hat einen so sonderbar mystischen Anstrich, daß man nicht weiß, was man
so ganz eigentlich aus ihr machen solle.
Soviel wir von andern ganz geringen Menschen erfahren, so ist diese Familie wohl
sehr friedsam und tut den Armen viel Gutes;
aber es gibt einige, die da sagen, daß sie schon öfter dieses Haus wie in den
hellsten Flammen ersahen, die aber auf ,ja‘ und ,nein‘ wieder erloschen, – und
so noch so manches andere.
Daher haben wir auch den Mut nicht, diese Familie zu besuchen;
denn der Alte ist und bleibt ein jüdischer Hauptzauberer.
Und mit derlei Menschen ist nicht gut in irgend eine Gesellschaft zu treten!“ –
Hier lachte der Cyrenius und sprach: „Nun – wenn also – da bleibet ihr nur dabei
stehen; denn dann ist dies Haus sicher vor euch!“ – Die Gäste aber sahen den
Cyrenius groß an und wußten nicht, wie sie daran waren. –
241. Kapitel – Der übelwollende Beschluß der
eifersüchtigen Gäste. Der große Brand in Ostracine.
24. Juni 1844
Es fragte aber ein großer Bürger der Stadt Ostracine, wie der Statthalter das
meine:
„Warum solle darob dieses Haus sicher sein, da man vielleicht irrwähnig diesen
alten Juden für einen Erzzauberer hält?“
Und der Cyrenius sprach: „Weil der schwache Mensch da nichts vermag, wo der
urewigen Gottheit Kraft ihre schützende Hand darüberhält.
Dieses Haus aber steht, wie keines mehr auf der weiten Erde, unter dem
mächtigsten Schutze solcher Gottheit, – also ist es auch unüberwindlich!
Leget eure Hand böswillig an dies Haus, und ihr werdet es sogleich erfahren, um
welche Zeit es mit diesem ist!“
Hier stutzten alle die Gäste aus der Stadt und sagten zueinander:
„Der Statthalter will uns nur schrecken, weil er keine Macht bei sich hat.
Würden wir aber im Ernste unsere Hände an dies Haus und an seinen Leib legen, da
möchte er sicher bald eine andere Sprache führen!
Lasset uns daher aufstehen vom Tische und in die Stadt ziehen und von da gegen
Abend wieder mit einer starken Macht hierherkommen,
und da werden wir sogleich sehen, ob der Statthalter noch eine solche Sprache
führen wird!“
Darauf erhob sich bald die ganze Gesellschaft vom Tische und begab sich ins
Freie.
Allda fingen sich die Bürger und der Oberste und der Stadthauptmann beim
Cyrenius zu beurlauben an und machten sich darauf auf den Weg in die Stadt.
Der Joseph aber ging zu den Fortgehenwollenden und sagte zu ihnen:
„Warum wollt ihr denn nun schon gehen, da die Sonne noch eine gute Stunde
leuchten wird?
Bleibet hier bis zum Abende, und wir wollen dann alle den Cyrenius bis zu seinem
Schiffe begleiten, wie es sich gebührt;
denn er reist noch heute in der Nacht nach Tyrus ab und wird darum auch heute
noch sein Schiff ordnen und besteigen.“
Die also Angesprochenen aber entschuldigten sich und sagten: „Wir haben heute
noch ein gar wichtiges Geschäft vor, daher entschuldige du uns bei deinem
intimsten Freunde!“
Hier kam das Kindlein herbeigelaufen und sprach zum Joseph:
„Lasse sie nur ziehen in die Stadt; denn ihr Geschäft ist von einer Art, das zu
Meiner Verherrlichung dienen wird!“
Hier ließ sonach der Joseph die Stadtgäste ziehen und ging mit dem Kindlein zum
Cyrenius hin und erzählte ihm, wie diese sich entschuldigten, und was das
Kindlein geredet hatte.
Und der Cyrenius sprach: „O mein erhabenster Bruder, diese Art kenne ich!
Sie ist eifersüchtig und weiß sich aus lauter innerer Galle nicht zu raten und
zu helfen, weil ich dein Haus besuchte und sie im Stiche ließ.
Aber ich bin darum sehr ruhig ob deiner; denn ich weiß es ja, in Wessen Schutze
du dich befindest!“
Und das Kindlein sprach: „Oh, der dürre Weg solle ihnen heiß werden!
Sie wollen unser Haus heute noch zerstören, und das mit Feuer!
Aber sie sollen nicht Zeit gewinnen dazu, denn sie werden daheim sogleich genug
zu tun bekommen!“
Als das Kindlein noch kaum solche Worte ausgeredet hatte, da stand schon die
halbe Stadt in Flammen, – und niemand dachte mehr an die Zerstörung des Hauses
Josephs.
242. Kapitel – Des Cyrenius Sorge um die
Abgebrannten. „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Gott ist allen
„ein allergerechtester Richter“.
28. Juni 1844
Es entsetzten sich aber alle, als sie auf einmal die ungeheuere Qualm- und
Flammenmasse in die Luft aufsteigend erschauten.
Und der Cyrenius fragte den Joseph, ob man nicht diesen so mächtig
hartbedrängten Menschen zu Hilfe eilen solle.
Joseph aber sprach: „Ich meine, wir werden das gut sein lassen!
Denn dem Feuer können wir ohnehin keinen Einhalt tun mit unseren
natürlich-menschlichen Kräften;
was aber die dabei Verarmten betrifft, die werden uns noch bald genug und zur
rechten Zeit treffen.
Daher seien wir nur ganz ruhig hier; wem's not tut, der wird schon kommen!“
Und das Kindlein daneben sprach zum Joseph: „Lieber Joseph! siehe, das wird auch
deinen Gold- und Silberkasten um ein sehr bedeutendes geringer machen!
Auch du, Cyrenius, wirst heute noch vor deiner Abreise um einige Pfunde Goldes
und Silbers leichter werden;
denn die hier waren und heimlich uns mit der Zerstörung unseres Hauses gedroht
haben, die werden bald als gar sehr gedemütigte Freunde wiederkommen und werden
dich um eine Unterstützung angehen.
Daher mache dich nur gefaßt darauf! Denke aber nicht, als hätte Ich etwa deren
Häuser durch Meine Macht in diesen Brand gesteckt;
denn so etwas tue Ich nicht; und jegliche Rache ist ferne von Mir!
Dir aber sage Ich es: Das hat ihnen ihre Dienerschaft getan;
denn diese hatte schon einen alten Groll auf ihre Herrschaft, da sie von ihr zu
karg und hart gehalten war.
Heute fand sie den günstigen Zeitpunkt, sich also zu rächen an ihrer Herrschaft,
daß sie alle ihre Paläste in den Brand steckte.
Und so fielen ohne Mein Zutun diese Weltherren gerade nun in die Grube, die sie
für uns gemacht zu haben im Sinne hatten!“
Als der Cyrenius vom Kindlein solches vernommen hatte, da fragte er Es hurtigst,
ob man solcher argen Dienerschaft nicht nachstellen solle.
Und das Kindlein sprach: „O lasse das gut sein! Denn fürs erste hat sie an ihrer
hartherzigen Herrschaft ein gutes Werk getan,
fürs zweite ist sie lange schon mit dem geraubten Schatze über Berg und Tal, –
und fürs dritte wird sie der ihr gebührenden Strafe nicht entgehen, da sie das
ganz eigenmächtig aus böser Rache getan hat!
Daher sei unsere Sorge vorerst auf die gerichtet, die da unserer Hilfe benötigen
werden!
Was aber die Brandleger betrifft, für die ist schon gesorgt.
Denn siehe, Gott sieht sie allenthalben und kennet ihren Weg genau!
Daher kann Er sie auch überall ergreifen, wo sie sich auch immer befinden
möchten.
Gott ist auch ein allen allergerechtester Richter; daher wird Er ihnen auch den
gerechtesten Lohn für ihre Tat zu geben wissen!“ –
Hier kam die Maria ganz ängstlich hinzu und zeigte dem Joseph eine große Schar
gewaffneter Krieger, die sich in Eilschritten gegen die Villa bewegte.
Das Kindlein aber sprach: „O fürchtet euch nicht; das ist die Schutzwache für
den Cyrenius, die nun der Oberste aus der Stadt zu eurer Sicherung sendet!
Es werden aber bald auch eine Menge Bürger ihr folgen.
Daher sei nun hier nur für ihre Unterkunft gesorgt; alles andere wird sich
geben!“ –
Und wie das Kindlein solches geredet hatte, so war es auch: der Cyrenius bekam
Wache, und dieser folgten bald eine Menge Abgebrannter.
243. Kapitel – Hochmut kommt vor dem Fall.
Josephs würdige Behandlung der Abgebrannten. Des Cyrenius Edelmut gegen die
Verunglückten. Cyrenius bei Jonatha.
1. Juli 1844
Als die Abgebrannten beim Hause Josephs ankamen, da erkannte sie eben der Joseph
bald, daß sie dieselben Herren waren, die ehedem seine Gäste gewesen sind, und
fragte sie:
„Ja – meine geachtetsten Herrn, was ist denn mit eurem wichtigen Geschäfte,
deshalb ihr ehedem also schnell forteiltet?
Bestand es darinnen, daß ihr eure Stadt angezündet habt?
Oder bestand es etwa in ganz etwas anderem, das für mich als ein Geheimnis zu
verbleiben hat?“
Die Abgebrannten aber sprachen: „Lieber Menschenfreund! – Versuche uns Elende
nicht; denn du siehst ja, daß wir nun die aufgelegtesten Bettler sind!
Kannst du uns aber irgend unterstützen, so tue das, und wir wollen deine
Leibeigenen sein unser Leben lang!“
Joseph aber sprach: „Nur Roms mächtige Patrizier verstehen sich auf Sklaven und
Leibeigene;
ich aber verstehe mich nur auf Brüder, die allzeit gleich meine Brüder sind –
wie als Herren, also auch als Bettler!
Darum werde ich euch auch nach Kräften unterstützen.
Aber so ihr wieder auf eurem Boden feststehen werdet, dann nehmt euch kein
solches Geschäft mehr vor, wie euer heutiges hätte sein sollen!
Denn so wehe es euch nun tut, daß euch eure Diener und Sklaven so schändlich
beraubt und eure Häuser angezündet haben,
ebenso und noch mehr Wehe hätte mir das gemacht, so ihr desgleichen an mir
verübt hättet!“
Hier ging der Joseph zum Cyrenius und fragte ihn, was man diesen Unglücklichen
auf einmal geben solle.
Und der Cyrenius sprach: „Warte nur ein wenig! Meine Träger, die ich um meine
Kasse aufs Schiff gesandt habe, werden sobald da sein!
So ich erst im Besitze meiner größeren Kasse sein werde, dann werden wir schon
sehen, wieviel da auf jeden, der schon hier ist und noch kommen wird, fallen
solle.“
In einer kleinen Stunde brachten die Boten tausend Säckel Goldes und Silbers.
Jeder Säckel, aus zehn Pfunden bestehend, aber war gemischt mit zwei Pfunden
Goldes und acht Pfunden Silbers.
Hier sprach der Cyrenius zum Joseph: „Diese Säckel verteile du unter diese
Abgebrannten also, daß da auf jeden ein Säckel komme!
Die erübrigten aber verwahre du für noch andere, die noch ankommen werden!
Ich aber will bei der Verteilung nicht zugegen sein, auf daß ich nicht erkannt
werde von allem Volke, das hierherkommen wird!
Ich aber werde mich nun mit dem Jonatha in seine Wohnung begeben und hoffe dich
am Abende zu sehen.“
Joseph billigte das und übernahm mit seinen Söhnen sogleich die Verteilung; und
der Cyrenius entfernte sich heimlich mit seinem ganzen Hofstaate und mit dem
Jonatha. – –
244. Kapitel – Josephs tatkräftige
Nächstenliebe. Ein rechter Trost in schwerer Heimsuchung. Abendbesuch und
Abendmahl bei Jonatha.
2. Juli 1844
Zwei Stunden nach dem vollen Untergange der Sonne hatte Joseph mit der
Verteilung zu tun
und wies dabei auch den Dach- und Fachlosen Plätze an, wo sie übernachten
konnten;
denn in der Stadt getrauten sich wenige nur zu übernachten, teils wegen des
starken Brandgestankes,
teils aber auch wegen der Unsicherheit, da man noch immer fürchten mußte, ob das
Feuer nicht ehestens dieses oder jenes noch gesunde Haus ergreifen wird.
Als Joseph also sein Geschäft beendet hatte, da fragte er das Kindlein ganz
geheim, ob es nun wohl geheuer sein dürfte, das Haus zu verlassen und sich zum
Jonatha hinzubegeben.
Und das Kindlein sprach: „Was kümmert dich das Haus und dessen Inhalt?
Gehört es doch nicht uns, sondern dem, der es gekauft hat, so wie auch der
Inhalt, der ebenfalls des Käufers ist.
Daher gehen wir nur zum Jonatha, der für uns sicher einen guten Fisch in
Bereitschaft hat!“
Und der Joseph sprach: „Da hast Du freilich wohl recht;
aber bedenke, daß wir einen Kasten voll Goldes und Silbers haben, und haben
Kühe, Ziegen und Esel!
Könnte das nicht ein Raub dieser nun sehr vielen Gäste werden?“
Und das Kindlein sprach: „Joseph, das ist jetzt zu hoch für Mich!
Rede darüber mit dem Jakob, der versteht diese Sachen nun besser als Ich!“ –
Und der Joseph tat sobald an den Jakob dieselbe Frage.
Und der Jakob sprach: „Vater! – Und so wir alles verlören, der Herr aber bleibt
uns, was hätten wir dann verloren? –
Der Herr aber zieht mit uns zum Jonatha; was sollen wir dann hier im Hause des
Statthalters zu verlieren fürchten?!
Lasse dir die ganze Erde rauben und behalte den Herrn, dann hast du mehr, als so
alle Himmel und Erden dein vollstes brauchbares Eigentum wären!
Und so ziehe, du redlichster Mann, ohne Furcht und Sorge mit dem Herrn zum
Jonatha, und du wirst dich überzeugen, daß wir nichts verlieren werden!“
Diese Worte des Herrn aus dem Munde Jakobs beruhigten den Joseph so sehr, daß er
augenblicklich mit seiner ganzen Sippschaft aufbrach und sich zum Jonatha begab.
Alldort harrten schon alle mit der sehnsüchtigsten Erwartung der Ankunft
Josephs.
Und als sie seiner ansichtig wurden, da liefen sie wie die Kinder ihrem Vater
entgegen, darunter sich auch der Cyrenius befand.
Und als unter solchem Geleite Joseph mit den Seinen in das Haus Jonathas trat,
da ließ dieser sogleich die wohlbereiteten Fische auftragen, und alle hielten
hier ihr Abendmahl.
245. Kapitel – Cyrenius rüstet sein Schiff zur
Abreise. Jakob erinnert ihn an den Erdglobus. Josephs Rat an Cyrenius: Handle
frei – nach dem Willen des Herrn! Cyrenius nimmt die drei Knaben mit.
3. Juli 1844
Nach diesem Abendmahle befahl der Cyrenius seinen Schiffsleuten, das Schiff zu
ordnen.
Und diese gingen und brachten im Schiffe alles in kurzer Zeit in die beste
Ordnung.
Es trat aber auch der Jakob zum Cyrenius hin und fragte ihn, ob er in seiner
Eile nicht den wunderbaren Erdglobus vergessen hätte, den ihm das Kindlein vor
ein paar Tagen zum Geschenke gemacht hatte.
Bei dieser Frage griff sich der Cyrenius förmlich bei den Haaren und wollte
sogleich selbst darum fortlaufen.
Der Jakob aber sprach: „O Cyrenius, kümmere dich darob nicht;
denn was du vergessen hast, an das habe schon ich gedacht!
Siehe, hier in diesem Winkel in einem Tuche befindet sich der Erdglobus, und du
brauchst darum nicht mehr in unsere Wohnung zu laufen!“
Da ward der Cyrenius voll Freuden; er selbst nahm das Kleinod und trug es zum
Schiffe und übergab es erst dort seinem Schiffshauptmann zur besten Verwahrung.
Als auch dieses Geschäft beendet war, da ging der Cyrenius zum Joseph und sagte
zu ihm:
„Höre, du mein allererhabenster Freund und Bruder, mich nun gütigst an; denn ich
habe nun einen guten Gedanken gefaßt, und der muß ausgeführt werden!
Siehe, du hast nun in deinem Hause eine Menge Menschen, und es werden dir
etliche verbleiben!
Meine Kinder aber machen dir doch mehr oder weniger Sorge und manche
Ungelegenheit, und, wie ich es selbst bemerkt habe, ganz besonders die drei
Knaben.
Darum habe ich nun bei mir beschlossen, wenigstens eben die drei Knaben mit mir
zu nehmen und dir allein die fünf Mädchen zu belassen.“
Und der Joseph sprach: „Liebster Bruder, tue du, was dir am besten deucht, und
mir wird alles recht sein!
Aber nur tue du das alles nach dem Rate des Herrn, so wird es am besten sein!
Frage darum auch hier den Herrn, und was Er dir sagen wird, das tue!“
Hier wandte sich der Cyrenius sogleich mit der höchsten Liebe und Ehrfurcht an
das Kindlein und fragte Es nach dem Rate Josephs.
Und das Kindlein sprach: „Ja, ja, nehme die drei recht schlimmen Knaben nur mit;
das ist Mir schon recht!
Der Sixtus wäre Mir zwar schon noch recht, aber auch er bleibt sich nicht gleich
und will Mir nichts gelten lassen.
Daher nehme ihn nur auch mit, und sei ja recht strenge gegen sie, sonst werden
das rechte Weltlinge werden!
Die Mädchen aber lasse nur hier; denn die habe Ich viel lieber, weil sie Mich
auch lieber haben als die Knaben!
Aber darum habe Ich sie nicht lieber, weil sie Mädchen sind, sondern nur wegen
ihrer größeren Liebe zu Mir.“
Auf diese Äußerung des Kindleins nahm der Cyrenius die drei Knaben und dankte
dem Kindlein für diesen herrlichen Rat und ließ sie dann auch sobald aufs Schiff
bringen.
246. Kapitel – Des Cyrenius Segensbitte, und
des Kindleins göttliche Antwort. Des Cyrenius Abschiedsgebet. Das Kindlein
segnet die Scheidenden und beruhigt sie mit den Worten: Wo euer Herz ist, da ist
auch euer Schatz.
4. Juli 1844
Als das Schiff ganz zum Abfahren bereitet war, da ging der Cyrenius zum
Kindlein, kniete vor Ihm nieder und bat Es um den Segen mit folgenden Worten:
„O Herr, Du mein großer Gott, Du mein Schöpfer, Du mein Vater von Ewigkeit,
der Du nach Deinem ewigen Ratschlusse hier auf diesem Staube, das wir Erde und
Welt nennen, als ein schwaches Menschenkind wandelst in unserer Gestalt,
Du mein allmächtiger Herr, vor Dessen leisestem Winke alle Mächte der
Unendlichkeit erbeben,
o sieh mich elendsten Wurm vor Dir im Staube meiner vollsten Nichtigkeit gnädig
an,
und würdige Du Heiliger aller Heiligkeit mich, einen unwürdigsten Wurm im Staube
vor Dir, Deines endlos heiligen Segens!
Lasse, o Du mein Leben, Deinen allerheiligsten Namen alle meine Kraft, Macht und
Stärke sein!
O Du mein über alles geliebtester Jesus, Du Urkönig meines Herzens, sieh mich
armen schwachen Sünder gnädig und barmherzig an und lasse es zu, daß ich fort
und fort in der Liebe zu Dir wachse!
Nimm, o Du mein ewig allergeliebtester Jesus, meine Liebe als den schwachen
kleinen Dank an für die endlosen Gnaden und Erbarmungen, die Du mir mit jedem
Atemzuge erteilest!“
Hier brach dem Cyrenius das Herz vor Liebe, und er konnte nicht mehr reden vor
lauter Weinen.
Das Kindlein aber sprang ganz munter hin zum Cyrenius, umarmte ihn und küßte ihn
viele Male und sprach dann zu ihm:
„O weine nicht, du Mein liebster Cyrenius; denn du siehst es ja, wie lieb Ich
dich habe!
In dieser Meiner Liebe für dich und zu dir aber liegt ja Mein größter Segen!
Ich sage dir, so du bleibst, wie du bist, da bleibst du ewig Mein, und deine
Seele solle ewig nimmer den Tod fühlen noch schmecken!
Wie du Mich aber nun um diesen Segen gebeten hast, also bitte auch Ich dich, daß
du Mich ja gegen niemanden verratest!
Und Ich bitte dich nicht Meinetwegen, sondern der Welt wegen;
denn diese würde in den Tod sobald übergehen, so sie Mich erkennete vor der
Zeit!“
Nach diesen Worten umarmte das Kindlein noch einmal den Cyrenius und küßte ihn
klein ab.
Da breitete der Cyrenius seine Arme weit aus und sprach mit der rührendsten
Stimme:
„O Gott, – o Du mein Gott, – o Du mein großer Gott! – was bin ich denn, daß Du
mich küssest mit dem Munde, aus dem alle Schöpfung hervorging?!
O ihr leuchtenden Himmel, und du Erde, und ihr Kräfte der Himmel! – sehet, sehet
hierher!
Der, der euch und mich erschaffen hat, ist hier vor mir und segnet mich mit
Seiner allmächtigen Hand!
Wann, wann wirst du, o Erde, es fassen, – diese Gnadengröße dieser Zeit fassen,
in der deines ewigen Schöpfers und Herrn Füße deinen Boden betreten?!
O du überheiliger Boden, der du den Herrn trägst, wirst du je wohl die Größe
solcher Gnade dankbarst, dich selbst zerknirschend vor Demut, erkennen?
O du heilige Stätte, wie schwer verlasse ich dich!“ –
Hier hob das Kindlein den Cyrenius förmlich auf und ließ ihn nicht wieder
niederknien.
Da aber kam auch die Tullia und der Maronius Pilla, und das Kindlein segnete sie
alle, und alle weinten, daß sie nun wieder scheiden müßten.
Das Kindlein aber sprach: „Oh, oh, wir scheiden ja nicht! – Denn wo euer Herz
ist, da wird auch dessen Schatz sein!“
Damit beruhigten sie sich und erhoben sich vom Boden. –
247. Kapitel – Joseph segnet den Cyrenius.
Abschiedsworte Jesu an Cyrenius: „Wir in der Liebe eins Gewordene werden uns
allzeit gegenwärtig sein, im Geiste ewig!“ Des Cyrenius Abreise. Joseph bei
Jonatha.
5. Juli 1844
Darauf ging der Joseph hin zum Cyrenius und segnete ihn samt seinem ganzen
Hause.
Desgleichen auch ging die Maria hin und segnete die Tullia und deren
Gefährtinnen.
Und Joseph sprach dann zum Cyrenius: „Bruder, mit dieser meiner Segnung drücke
ich dir auch den Wunsch meines Herzens aus, der darin besteht:
Lasse du mir die fünf Mägdlein ganz, auf daß sie an mir vollkommen ihren Vater
haben sollen!
Denn du wirst ohnehin noch eigene Kinder bekommen, die sich in der späteren Zeit
mit diesen hart vertragen würden.
Bei mir aber wird darob nie eine Disharmonie entstehen; den Grund kennst du nun
so gut als ich.“
Und der Cyrenius willfahrte gerne des Josephs Wunsch und übergab ihm die fünf
Mägdlein völlig zu eigen, worüber der Joseph eine große Freude hatte;
denn er hatte die Mägdlein lieb, weil sie so gelehrig und sehr folgsam waren,
und waren von gutem Wuchse und von einer lieblichen Gestalt.
Als dieses abgemacht war, da umarmte der Cyrenius den Joseph und sprach:
„Bruder, so es des Herrn Wille sein wird, da hoffe ich dich bald wiederzusehen.“
Und das Kindlein, das da neben dem Joseph stand, sprach: „Amen sage Ich! – So
hier nicht, so doch in Meinem Reiche!
Denn Ich sage dir, lange werden wir uns nicht mehr in diesem Lande aufhalten,
weil wir schon zu bekannt sind.
So wir aber ausziehen werden, dann werden wir uns in eine Verborgenheit
zurückziehen, auf daß da kein Mensch gerichtet werde.
Jedoch – wir in der Liebe eins Gewordene werden uns allzeit gegenwärtig sein, im
Geiste ewig!
Wo dein Schatz sein wird, da wirst auch du sein mit deinem Herzen, in dem der
Hauptschatz wohnet.
Bin Ich dir ein köstlicher Schatz geworden in deinem Herzen, – wahrlich, so
sollst du Meiner ewig nimmer ledig werden;
denn da Ich wohne in der Liebe, da bin Ich eigentlichst zu Hause und ziehe ewig
nimmer aus – aus solcher Wohnstätte!
Lasse Mich daher fortwährend wohnen in deinem Herzen, und Ich werde für dich in
keiner Verborgenheit wohnen!
Denn nur die Liebe allein kann Meine Gegenwart ertragen, wie ein Feuer das
andere!
Alles aber, was nicht Feuer ist, das wird vom Feuer zerstört und verzehrt.
Darum auch ziehe Ich Mich vor der Welt zurück, auf daß sie Mein Feuer nicht
ergreife und zerstöre!
Frage aber ja nie: ,Herr! wo bist Du?‘ – Da werde Ich dir nicht sagen: ,Hier bin
Ich!‘ –
sondern frage sorgfältig dein Herz, ob es Mich liebt, und Ich werde in deinem
Herzen, das Mich liebt, zu dir rufen:
,Hier bin Ich zu Hause in aller Fülle Meiner Liebe, Gnade und Erbarmung!‘
Nun besteige getrost dein Schiff, und guter Wind solle dich nach Tyrus tragen –
Amen.“ –
Hier empfahl sich der Statthalter Cyrenius zum letzten Male bei Joseph in
Ägypten und bestieg sein Schiff.
Und sobald kam ein guter Wind und eilte mit dem Schiffe davon.
Joseph aber begab sich darauf mit seiner Familie in das Haus des Jonatha und
verblieb diese Nacht bei ihm.
248. Kapitel – Joseph und Jonatha bemerken
beim Morgenfischzug ein gefährdetes Schiff und retten es.
8. Juli 1844
Am Morgen des nächsten Tages war Joseph wie gewöhnlich der erste auf den Beinen,
und er weckte auch bald seine Familie.
Jonatha aber, der auch soeben aus seiner Kammer kam, zu sehen, was es für einen
Tag für sein Geschäft geben werde, sprach zu Joseph:
„Aber lieber Freund und Bruder! Was machst denn du schon so früh auf und treibst
auch die Deinen an, daß sie sich erheben sollen?
Sollst du denn nicht lieber auf den Herrn warten, bis Dieser Sich vom Schlafe
erheben würde?
Wäre denn nicht dann eben die beste Zeit aufzustehen am Morgen eines Tages?!
Ich bitte dich darum, lasse doch wenigstens deine Familie ruhen noch ein paar
Stunden!
Du aber begebe dich mit mir und mit meinen Leuten auf ein Schiffchen, und wir
wollen einen Morgenfang machen!“
Dieser Antrag gefiel dem alten Joseph, und er ließ seine Familie noch ruhen und
begab sich sogleich mit dem Jonatha in einen großen Fischerkahn.
Jonathas Fischerknechte ordneten die Netze und griffen dann kräftigst zu den
Rudern,
und in einer Stunde befanden sich die Morgenfischer schon an der Stelle, wo es
am meisten Fische gab.
Als sie aber diese allzeit günstige Fischerstelle erreicht hatten und die Sonne
sich ihrem Aufgange nahte,
da bemerkte der Jonatha in der Entfernung etwa einer Stunde ein römisches Schiff
stehen und wußte nicht, was er so ganz eigentlich aus demselben machen sollte!
Er sprach darum zum Joseph: „Bruder, ich kenne das Meer dort;
es ist seicht und voller Sandbänke, und gar leicht kann dort ein Seefahrer Roms
steckengeblieben sein.
Wir sollten ihm darum wohl schleunigst zu Hilfe eilen!?“
Und der Joseph war damit einverstanden; und es ward sofort hingerudert, und das
Schiff ward in einer halben Stunde erreicht.
Und siehe, es war wirklich ein großes Römerschiff, das da einen Gesandten an den
Cyrenius führte.
Dieser ward sogleich aufgenommen, und er bat den Jonatha, alles mögliche
aufzubieten, daß das Schiff gerettet werde.
Darauf ergriff Jonatha sogleich das Schlepptau des großen Schiffes und ließ dann
kräftig rudern auf seinem großen Boote.
Und es dauerte keine halbe Stunde, als das große Schiff flottgemacht wurde.
Darauf beschenkte der römische Gesandte reichlich den Jonatha und segelte dann
weiter gen Morgen.
Jonatha aber kehrte dann mit Gold und Silber anstatt der Fische nach Hause und
ließ für diesen Morgen das Fischen ruhen.
249. Kapitel – Des Kindleins Frage nach dem
heutigen Fischfang. Des fischbegierigen Kindleins Antwort auf Josephs
Zurechtweisung: „Ich bin überall zu Hause, wo man Mich liebt!“ Der reiche
Fischfang auf des Kindleins Geheiß.
9. Juli 1844
Als nach ungefähr drei Stunden der Jonatha mit dem Joseph und mit seinem Gold-
und Silberfischfange zurückkam, da war in seinem Hause auch schon alles auf den
Beinen und sah nach der noch stark rauchenden Stadt hin.
Das Kindlein allein lief mit dem Jakob dem sich dem Ufer nahenden Joseph und
Jonatha entgegen.
Und als diese ans Ufer traten, da grüßte und küßte Es die beiden und fragte den
Jonatha, ob er wohl schon recht viele Fische gefangen habe.
Dieser aber, das Kindlein ebenfalls mit größter Liebe umfassend, sprach:
„O Du mein Leben, Du meine Liebe! – Mit den Fischen hat es für heute seine
geweisten Wege!
Aber ich habe sicher mit Deiner allmächtigen Hilfe ein gestrandetes Römerschiff
gerettet, das einen Gesandten an den Cyrenius trug.
Da fielen dann recht viele Gold- und Silberfische in mein Netz, und so ließ ich
für heute den eigentlichen Fischfang ruhen.“
Und das Kindlein sagte: „Das ist schon recht und ganz gut;
aber da Ich Mich heute schon auf einen frischen Fisch gefreut habe, so wäre es
Mir lieber gewesen, du hättest statt deiner Gold- und Silberfische die rechten
gebracht!“
Der Jonatha aber sprach: „O Du mein Leben, siehe, da längs des Ufers hängen ja
eine Menge Fischkästen voll mit den besten Fischen, da werden wir schon ganz
frische herausnehmen!“
Und das Kindlein lächelte darauf und sprach: „Ja, wenn also, dann magst du
freilich wohl deinen heutigen Gold- und Silberfischfang behalten!
Aber Ich bin schon recht hungrig; wird es lange dauern, bis da ein Fisch
zugerichtet wird?“
Und der Jonatha sprach: „O nein, Du mein Leben, in einer halben Stunde sitzen
wir schon bei Tische!“
Joseph aber sagte zum Kindlein: „Aber Du bist wohl ein rechter Bettler!
Siehe, hier sind wir ja nicht zu Hause; daher müssen wir auch nicht tun, als
wären wir zu Hause!
Gedulde Dich nur, es wird schon etwas kommen; aber also zu betteln schickt sich
ja nicht in einem fremden Hause!“
Das Kindlein aber sprach: „Ei – was da! – Ich bin überall zu Hause, wo man Mich
liebt.
Wo aber Ich zu Hause bin also, da kann und darf Ich ja doch auch reden, was Ich
möchte!
Damit aber Jonatha seine Kästen nicht unentschädigt leeren solle,
da werfe er ein Netz ins Meer, und er solle für uns alle sogleich einen
hinreichenden Fang machen! – Jonatha, tue das!“
Jonatha warf sogleich ein großes Netz ins Meer und fing eine unerhörte Menge der
edelsten Fische.
Darauf sagte das Kindlein zum Joseph: „Siehe, wenn das in Meiner Macht stehet,
da werde Ich doch den Jonatha um einen guten Fisch bitten dürfen?“ – Hier wurde
der Joseph still; Jonatha aber wußte sich aus lauter Dankbarkeit nicht zu
helfen.
250. Kapitel – Jonatha zieht mit Joseph heim.
Das Haus wird leer und ausgeplündert angetroffen. Joseph ergrimmt darüber sehr.
Denkwürdige Erklärung des Kindleins.
10. Juli 1844
Jonatha nahm sogleich zehn der allerschönsten Fische und übergab sie seinem
Koche, daß er sie sogleich zurichte.
Er aber half seinen Gehilfen die andern Fische teils in die Lägel bringen und
teils in die Selchkammer.
In einer Viertelstunde waren die Fische bereitet, und alle Angehörigen Josephs
begaben sich zum Frühmahle.
Als das Mahl eingenommen war, da war es auch schon gegen Mittag, und der Joseph
sprach:
„Nun aber haben wir auch die höchste Zeit, uns nach Hause zu begeben!
Und du, Bruder Jonatha, wirst mich begleiten und wirst heute noch bei mir
zubringen!“
Und der Jonatha sprach voll Freude in seinem Herzen:
„O Bruder! – Das tue ich wohl am allerliebsten; denn du weißt es ja, wie endlos
und unbegrenzt lieb ich dich habe!“
Darauf nahm der Jonatha drei große Lägel voll der edelsten Fische wieder und zog
überheiteren Mutes mit dem Joseph und seiner Familie zur Villa.
Als sie da wieder anlangten, da fanden sie zu ihrem nicht geringen Erstaunen
keinen Menschen von den Abgebrannten mehr,
sondern ganz leer stand das Haus da und offen in allen seinen Gemächern.
Joseph sagte bei solchem Anblicke seines Hauses: „Das ist kein gutes Zeichen;
denn hier scheinen Diebe gehandelt zu haben! – Nur diese Art flieht, so sie ein
Haus bestohlen hat; der ehrliche Mensch aber bleibt!
Gehet ihr, meine Söhne, hinein und untersuchet, ob noch etwas im Hause ist, und
kommet dann und saget es mir!“
Und die vier Söhne gingen und untersuchten das Haus und fanden es bis auf das
Vieh im Stalle rein ausgeplündert.
Also war auch die Speisekammer leer, und im Geldkasten war kein Groschen mehr zu
finden.
Da die vier Söhne solches alles also fanden, da wurden sie sehr traurig und
kamen zurück und zeigten solches alles dem Joseph an.
Da ward der Joseph zornig über die Schlechtheit der Menschen, die für Wohltaten
mit solchem Danke lohnen ihre Wohltäter!
Und er sprach ganz ergrimmt: „Wahrlich, läge es in meiner Macht, ein solches
Schandgesinde auf das empfindlichste zu züchtigen, da würde ich sogleich Feuer
vom Himmel über solcher Diebe Häupter regnen lassen!“
Hier trat das Kindlein zum Joseph und sprach: „Ei, ei – Vater Joseph, du bist
heute sehr schlimm!
Haben die Diebe dir ja noch Mich gelassen; wie magst du denn ihrer gar so
zürnen?
Siehe, die Diebe haben deinem Hause nur eine recht große Wohltat erwiesen, daß
sie es also ausgereinigt haben!
Denn wahrlich, wo in Zukunft ein Haus (das Herz des Menschen) nicht also
gereinigt sein wird, da werde Ich nicht einziehen!
Dieses Haus aber ist nun von jeglicher Weltschlacke gereinigt, und es gefällt
Mir also sehr wohl!
Denn fürs erste ist es offen in allen seinen Fächern und Gemächern,
und fürs zweite ist es ganz gereinigt, und so ist es nun ganz geeignet zu Meinem
Einzuge! – Daher zürne den Dieben nicht, auf daß ihre Sünde nicht größer werde!“
Joseph und alle nahmen sich diese Worte zu Herzen, – und das Kindlein sprach am
Ende:
„Sehet, also handeln alle Menschen an Mir, wie diese Abgebrannten an diesem
Hause, und dennoch lasse Ich nicht Feuer vom Himmel regnen!
Also fluchet auch ihr denen nicht, die Übles für Gutes tun, so werdet ihr wahre
Kinder des Einen Vaters im Himmel sein!“ – Diese Worte beruhigten den Joseph
vollkommen, und er ging darauf ganz wohlgemut in sein Haus.
251. Kapitel – Maria weint über den Diebstahl
aller Kleider samt Wäsche. Des Jonatha Trost und edle Tat. „O Mutter, nehme sie
an aus meinem Herzen und aus meiner Hand!“ Das Kindlein segnet Jonatha.
11. Juli 1844
Als sich nun alles in dem Hause befand und die Maria sich auch überzeugte, daß
sogar ihr Kleiderschrank und der der Eudokia rein ausgeplündert waren,
da kamen ihr Tränen in die Augen, wie auch der Eudokia, und sie sprach zum
Joseph:
„Da siehe einmal her, auch das Kleid, das ich im Tempel hatte, ist ein Raub
schlechter Menschen geworden!
Wahrlich, es geschieht mir darum recht hart und wehe in meinem Herzen!
Wir sind in Kleidern ohnehin so dürftig bestellt, als man sich's je denken kann,
und dennoch mußten wir sogar das Notdürftigste einbüßen!
Es sei zwar alles dem Herrn aufgeopfert, aber es schmerzt mich doch, weil es das
einzige war, das ich zum notwendigen Wechsel besaß!
Nun habe ich bloß dieses schon verschlissene Alltagskleid und nicht einen
Groschen, um mir einen nötigsten Wechsel anzuschaffen!
Wahrlich, das tut mir recht weh! Noch mehr aber schmerzt es mich, daß die argen
Diebe auch die Wäsche des Kindleins genommen haben!
Das hat nun das einzige Hemdchen, das Es nun am Leibe trägt; wie werde ich Ihm
nun ein zweites anschaffen können?
O Du mein armes Kindlein, siehe, siehe, jetzt werde ich Dir nicht mehr können
alle Tage ein frisches Hemdchen anziehen, das Dir immer so wohl tat!“
Hier trat der Jonatha hinzu, tief gerührt, und sprach: „O du erhabenste,
übergeheiligte Mutter meines Herrn! – Traure nicht; denn ich habe ja nun auch
Gold und Silber!
Mit der größten Freude gebe ich es ja dir bis zum letzten Stater, und du magst
es dann gebrauchen nach deinem Bedürfnisse!
Ich weiß es zwar wohl, daß der Herr aller Herrlichkeit nicht auf mein Gold und
Silber ansteht; denn Er, der alle Tiere und alle Bäume und Kräuter und alle Welt
so herrlich bekleidet, wird auch Seines Leibes Mutter nicht nackt werden lassen!
Aber dennoch möchte ich nun gar so gerne meiner Seligkeit willen dir alle meine
Schätze zum Opfer bringen!
O Mutter, nehme sie an aus meinem Herzen und aus meiner Hand!“
Hier blickte die Maria den Jonatha freundlichst an und sprach:
„O Jonatha, wie groß und edel bist du! – Dein Wille gilt mir fürs Werk!
Wenn es aber dem Herrn angenehm wäre, da möchte ich wohl fürs Kindlein dich um
eine Unterstützung bitten.
Sollte es aber jedoch dem Herrn nicht angenehm sein, so habe ich schon alles aus
deinem Herzen empfangen, dafür ich dir nie aufhören werde dankbar zu sein!“
Hier kam das Kindlein herzu und sagte zum Jonatha: „Lieber Jonatha, tue das, was
die Mutter von dir wünscht, und dir solle einst ein großer Lohn werden!
Denn siehe, wir sind nun wirklich arm, und das um so mehr, da Ich des Heiles der
Menschen wegen kein Wunder wirken darf!“
Hier sprang der Jonatha voll Freuden nach Hause und brachte in kürzester Zeit
all sein Gold und Silber und legte es der Maria zu Füßen.
Als die Maria und der Joseph solches ersahen, da weinten beide vor Freuden.
Jonatha aber weinte mit und konnte nicht genug Gott danken, daß er solcher Gnade
wert ward, die Maria zu unterstützen.
Das Kindlein aber segnete den Jonatha und sprach zur Maria: „Siehe, das wird uns
schon wieder ein frisches Hemdchen verschaffen; darum sei nun nur wieder
heiter!“ – Und alle wurden wieder heiter und fröhlich.
252. Kapitel – Der Segen des Herrn im Hause
Josephs. Der Familie Verwunderung und Dank. Jakob spricht über das Wunder vom
Weizenkorn.
12. Juli 1844
Während dieser Verhandlung aber bestellten die Söhne Josephs das Vieh, melkten
die Kühe und die Ziegen und gewannen diesmal eine ungewöhnliche Menge der
fettesten Milch.
Als sie damit fertig waren, da gingen zwei auf einen schon vollreifen
Weizenacker und schnitten mehrere Garben, rieben bald einen recht tüchtigen Korb
voll der reinsten Frucht aus den abgeschnittenen Garben.
Und die zwei andern Brüder aber nahmen dann alsobald den Korb mit der
Weizenfrucht, brachten sie in die zwei Handmühlen, die der Joseph selbst
verfertiget hatte, und vermahlten in kurzer Zeit das Getreide.
Durch den Segen des Herrn gewannen sie zweimal soviel Mehl, als da ehedem
Getreide im Korbe vorhanden war.
Und alle diese Arbeit war in drei Stunden beendet. Und als das Mehl in zwei
Körben an der Sonne dastand,
da kam der Joseph heraus und fragte die Söhne, woher sie dies schöne Mehl
genommen hätten.
Und als ihm die Söhne sagten, wie sie dieses Mehl gewonnen haben, da besah er
die ausgeriebenen Garben und sprach:
„Wie ist das möglich? – Ich ersehe nur zehn Garben! Sollen diese wohl diese
beiden großen Körbe mit Mehl angefüllt haben?“
Und die Söhne sprachen: „Ja Vater, also ist es! Durch die Gnade Gottes haben wir
richtig in kurzer Zeit aus den zehn Garben dieses Mehl gewonnen;
und der Segen Gottes war über den Garben und über unserer Arbeit, – daher dieser
reiche Gewinn!“
Darauf dankte der Joseph Gott mit dem gerührtesten Herzen und ging wieder ins
Haus und erzählte das allen im Hause.
Und alle gingen hinaus und besahen das Mehl, und einer wie der andere sprach:
„Das ist unmöglich, auf natürlichem Wege allerreinst unmöglich!“
Da nahm der Jakob auf einen inneren Antrieb ein auf dem Boden liegendes
Weizenkorn und sprach:
„Des nimmt euch alle wunder, daß da so viel Mehles aus den zehn Garben
hervorkam!
Wo aber hat sich noch aus uns je jemand also verwundert, so er so ein Körnchen
in die Erde streute und dann bald eine hundertkörnige Ähre aus dem einen Korne
entsprossen sah?
Und doch ist hier das erste tagtägliche Wunder größer als diese doppelte
Mehlvermehrung, indem es ein einziges Korn verhundertfältigt!
Hätten die zehn reichen Garben nur einen Korb voll Mehles gegeben, so hätte sich
darüber niemand verwundert, obschon ein Korb so gut eine Wundergabe Gottes wäre,
als zwei Körbe es sind.
Also verwundert sich auch niemand über eine hundertkörnige Ähre, weil man dieses
Wunder schon gewohnt ist.
Ich aber frage, ob es wohl recht ist, Gott da nur zu bewundern, wo Er etwas
Ungewöhnliches geschehen läßt, während doch das geordnete Gewöhnliche bei weitem
höher steht, da es zu allen Zeiten gleichfort dieselbe endlose Güte, Allmacht,
Liebe und Weisheit Gottes bezeugt?!“
Diese Rede Jakobs machte eine große Sensation. Alles lobte darum den Herrn, daß
Er dem Menschen eine solche Weisheit gegeben hatte. – Die Söhne aber nahmen das
Mehl und machten sich an die Bereitung eines guten Mittagsmahles.
253. Kapitel – Das Mittagsmahl von Fischen und
Honigkuchen. Der mutwillige Diebstahl der Hausgeräte und des Schüsselchens des
Kindleins. Unerbittlichkeit des Kindleins gegen böse Mutwillige.
13. Juli 1844
In einer Stunde war ein gutes Mittagsmahl bereitet, das in fünf wohlzubereiteten
Fischen und in vierzehn Honigkuchen bestand;
denn der Honig war das einzige im Speisekasten, das von den Dieben verschont
worden war.
Also ward auch für einen guten Trank gesorgt, den Joseph und die Maria selbst
aus Wasser und Zitronensaft mit Beimischung von etwas Honig bereiteten.
Als also das Mahl bereitet war und aufgetragen auf den Tisch, da erst dachten
die Söhne an das Tischzeug, als Löffel, Gabeln und Messer, das im Hause Josephs
freilich wohl zum größten Teile von Holz war.
Aber auch dieses unwertvolle Gerät blieb von den Dieben nicht verschont!
Und so hatte der Joseph nun wohl die Speisen auf dem Tische, aber kein auch nur
allernotdürftigstes Eßzeug dazu.
Hier ging der Joseph in die Küche und fragte die Söhne, was denn das doch für
eine Bestellung des Tisches wäre;
wie man doch ohne Eßzeug Speisen auf den Tisch stellen kann und mag!
Die Söhne aber sprachen: „Vater, da sieh einmal her: einen Rost und zwei Töpfe
und einen einzigen, allerschlechtesten Kochlöffel, ein Messer und eine hölzerne
Gabel haben sie uns gelassen, –
alles andere haben sie uns genommen; also müssen wir auch die Milch nun in einem
einzigen Milchschaffe stehenlassen, weil auch die Milchtöpfe alle hin sind!“
Als der Joseph sich von dem allem überzeugt hatte, da ging er mit dem einzigen
Kochlöffel und mit dem einen Messer und mit der einen Gabel in das Speisezimmer
und sprach zum Jonatha:
„Da – Bruder! – siehe, da ist nun unser ganzes Tischgerät! – Wahrlich, das ist
Mutwille, und der sollte bestraft werden!
Ich lasse mir eine Dieberei auf wertvolle Sachen und eine Dieberei aus Not
gefallen!
Aber bei diesem Diebstahle ist weder eines noch das andere der Fall;
sondern da leuchtet der sträflichste Mutwille heraus, und den sollte auch der
Herr nicht ungestraft dahingehen lassen!“
Nach dieser Argumentation saßen alle zum Tische nieder, und Joseph zerteilte mit
dem einen Messer den Fisch und legte vor jeden einen Teil mit der einen Gabel
und verteilte auch also die Honigkuchen.
Da aber das Kindlein Sein Schüsselchen nicht vor Sich hatte, da fragte Es den
Joseph, ob denn auch das Schüsselchen gestohlen sei.
Und die Maria sprach: „Ganz sicher, Du mein herzallerliebstes Gottsöhnlein; denn
sonst wäre es wohl sicher vor Dir!“
Und das Kindlein sprach darauf: „Wahrlich, Joseph hat recht; das war Mutwille,
und der solle auch bestraft sein allzeit und ewig!
Der Böses tut und kennt es nicht, der solle belehrt werden, desgleichen auch,
der es tut in der Not!
Wer aber das Gute kennt, tut aber dennoch aus purem satanischen Mutwillen Böses,
der ist ein Teufel aus dem Fundamente der Hölle und muß mit Feuer gezüchtiget
werden!“
Darauf verzehrte ein jeder seinen Teil mit der bloßen Hand.
Es waren aber die Essenden noch kaum mit ihrem Mahle zu Ende, da vernahm man
schon von draußen her ein gar entsetzliches Geheul.
Was war es denn? – Es waren die Diebe, die mutwillig das notwendige Hausgerät
Josephs gestohlen hatten, um es zu verderben.
Ein jeder war umwunden mit einer glühenden Schlange und schrie um Hilfe; aber
das Kindlein erhörte sie nicht, sondern trieb sie alle, bei hundert an der Zahl,
mit Seiner Allmacht in das Meer, allwo sie alle umkamen. – Das war das einzige
Mal, wo Sich das Kindlein unerbittlich gezeigt hatte.
254. Kapitel – Die heulenden Kleiderdiebe vor
der Tür Josephs. Die ernste Rede des Kindleins an die Diebe. Die Rückgabe der
Kleider.
15. Juli 1844
In kurzer Zeit darauf vernahm man auch wieder ein Geheul von einer Ferne, wie
von der Stadt her, und sah eine Menge Menschen der Villa Josephs zueilen.
„Was solle denn das schon wieder?“ fragte der Joseph den erstaunten Jonatha.
Und dieser sprach: „Bruder! Das wird der Herr, wie auch sonst alles, sicher
besser wissen als wir beide!“
Und der Jakob sagte zu beiden: „Machet euch nichts daraus; denn das sind die
Kleiderdiebe!
Des Herrn Macht hat sie ereilt; sie büßen nun ihren Frevel an den geheiligten
Kleidern;
denn wer sie anzieht oder nur anrührt, der wird sobald von einem innern Feuer
ergriffen und zur Asche verzehrt.
Darum rennen sie nun heulend und wehklagend daher und werden uns bitten, daß wir
selbst diese Kleider in der Stadt aus ihren halb abgebrannten Häusern holen
sollen, –
was wir auch tun wollen; doch der Herr wird diesen Frevlern das Seinige tun!“
Als der Jakob noch kaum diese Worte ausgesprochen hatte, da waren die heulenden
Kleiderdiebe auch schon vor der Türe Josephs.
Allda schrien sie gewaltig um Hilfe und Rettung. Und der Joseph ging hinaus mit
dem Jonatha.
Als er draußen war, da schrien ihm dreißig verzweifelte Männer entgegen:
„Du allmächtiger Gott Jupiter, hilf uns, und rette uns; denn wir haben an dir
gefrevelt, da wir dich nicht erkannt haben!
Nun aber haben wir dich erkannt; darum bitten wir dich, töte uns, oder hole
deines Hauses Kleider in unseren Häusern!“
Da kam das Kindlein heraus und sprach: „Höret, ihr argen Diebe!
Wie ihr die Kleider genommen habt, also bringet sie auch wieder hierher!
Werdet ihr das nicht tun, so solle der Tod euer Los sein!“
Als die Diebe solches vernommen hatten, da sprachen sie:
„Das ist der junge Gott, dem müssen wir folgen, sonst sind wir verloren!“
Und alle rannten plötzlich davon und brachten all die gestohlenen Kleider auf
ehernen Stäben wieder.
Denn mit bloßer Hand durfte niemand diese Kleider anrühren.
Als die Kleider herbeigeschafft waren, da entließ das Kindlein die Diebe und
strafte sie weiter nicht. – Joseph aber nahm freudigst die Kleider wieder und
trug sie ins Haus.
255. Kapitel – Marias innerer Adel und innere
Schönheit. Ihr Erbarmen mit den Dieben. Den Feinden Gutes tun und sie segnen,
ist rein göttlich. „Weil du (Maria) solches getan hast, wie es Gott tut, darum
bist du nun so schön. Denn Gott ist die allerhöchste Schönheit, weil die höchste
Liebe!“
16. Juli 1844
Als Maria ihre Kleider wieder ersah, da ward sie wohl froh, aber zugleich hatte
sie auch wieder Mitleid mit denen, die ihr die Kleider zurückgebracht hatten.
Denn sie dachte sich: ,Diese haben gewiß von dem Gelde nichts erhalten, darum
sie dann aus Not nach den armen Kleidern gegriffen haben.
Nun werden sie wohl einer starken Not ausgesetzt sein.
O wären sie noch da, ich gäbe ihnen ja gerne die Kleider oder so viel Geldes,
daß sie sich ein Kleid darum anschaffen könnten!‘
Hier kam das Kindlein zur Mutter und sprach:
„Aber Mutter! – heute bist du schön! – Wenn du wüßtest, wie schön du bist, du
möchtest gerade eitel werden!“
Maria lächelte hier und sagte zum sie streichelnden Kleinen:
„O Du mein liebster Jesus! – Bin ich denn nicht alle Tage gleich schön?“
Und das Kindlein sprach: „O ja, du bist wohl stets sehr schön; aber manchmal
bist du denn doch ein wenig schöner.
Heute aber bist du schon ganz besonders schön! – Wahrlich, von tausend Erzengeln
bist du nun umringt, und jeder will am nächsten bei dir sein!“
Maria aber verstand des Kindleins Rede nicht und sah sich um und um, ob da
irgend ein Erzengel zu erschauen wäre.
Aber sie ersah nichts, als was das Zimmer enthielt, und fragte darum das
Kindlein:
„Ja, wo sind denn hernach die tausend Erzengel, da ich doch keinen zu erschauen
vermag?“
Da sagte das Kindlein: „Du darfst ja keinen erschauen; da könntest du eitel
werden!
Du aber bist nun darum so schön vor allen Engeln der Himmel, weil in deinem
Herzen eine so große Barmherzigkeit aufgestiegen ist, die der Meinen nahe
gleichkommt!
Denn siehe, seine Feinde gerecht und menschlich einer Buße zu unterziehen, ist
eben auch gerecht und Gott wohlgefällig, und es solle allzeit also sein auf der
Erde;
aber seinen Feinden von ganzem Herzen ihre Schuld vergeben und ihnen dazu noch
Gutes tun und sie segnen, – siehe, das ist rein göttlich!
Das bringt nur die endlose Kraft der göttlichen Liebe zuwege;
denn die menschliche ist dazu zu schwach!
Weil du aber eben solches getan hast, wie es Gott tut, darum bist du nun so
schön! – Denn Gott ist die allerhöchste Schönheit, weil die höchste Liebe! –
Tue aber nun auch, das dein Herz verlangt, so wird dir Mein Reich der Liebe wie
ein Königtum zufallen, und du wirst eine Königin sein darinnen ewig!“
Hier sandte die Maria sogleich den Jonatha den Dieben nach; dieser brachte sie
zurück, und die Maria beschenkte sie alle reichlichst mit dem Gelde, das ihr der
Jonatha gegeben hatte also wie dem Joseph.
256. Kapitel – Die Macht der Liebe. Das Haus
Josephs wird ruchbar. Josephs Weisheit beschämt die Großen und Reichen der
Stadt. Die gute Nachwirkung.
17. Juli 1844
Die also beschenkten Diebe aber fielen auf ihre Angesichter nieder und schrieen
förmlich:
„Solche Güte, solche Großmut, die ist Menschen nimmer eigen; nur die Götter, die
nicht sterben, können Feinde noch belohnen!
Wir verdienten hier die Strafe nur, da wir an euch, ihr hohen Götter, gar so arg
gefrevelt haben!
Doch ihr, statt uns wohlverdienterweis' zu strafen, gebt uns Lohn und Segen noch
für unsre argen Taten!
Seid ihr da nicht Götter? – Ja ihr seid der Himmel allerhöchste Herren ganz
gewiß und sicher; denn das künden eure von uns Menschen nie geschauten Taten! –
Darum Ehre, Lob und Preis sei euch von allen Menschen auf der Erde!
Und der Fürsten Throne und all ihre Kronen sollen ewig beugen sich vor eurer
großen Herrlichkeit!“ –
Hier erhoben sich die Diebe und gingen dann voll Dank und Ehrfurcht von dannen –
und machten das dann in der ganzen Stadt ruchbar; und alle Bewohner bebten ob
solcher Nähe der Götter und gingen verstohlen herum und getrauten sich vor
lauter Ehrfurcht nicht zu arbeiten.
Es kamen aber bald die Angesehenen der Stadt hinaus zum Joseph und fragten ihn,
ob sich die Sache wohl also verhielte, wie da nun der Pöbel in der
halbverbrannten Stadt herumschreie.
Und der Joseph sprach: „Was da betrifft die gute Tat an ihnen, da ist ihr
Geschrei richtig;
denn also handelte mein Weib buchstäblich wahr an ihnen!
Aber daß sie uns für Götter halten, das gibt euch – ihr Großen und Reichen, ein
schlechtes Zeugnis;
denn damit bezeichnet der arme Pöbel eure große Hartherzigkeit, indem er an euch
nichts Götterähnliches erschaut!
Tut desgleichen, was da tat mein Weib, und was da tut mein ganzes Haus, und der
Pöbel wird bald aufhören, meines Hauses Einwohner für Götter zu halten!“
Als die Großen und Reichen der Stadt solche sie sehr treffende Rede von Joseph
vernommen hatten, da wurden sie sehr beschämt und zogen davon.
Und sie waren überzeugt, daß der Joseph bloß ein überaus weiser und guter
Mensch, aber dabei doch kein Gott sei.
Von da an hatte dann das Haus Josephs Ruhe.
Und seine Familie lebte dann noch ein halbes Jahr ungestört allhier und ward
geachtet und hochgeschätzt von jedermann.
Also tat auch das Kindlein in dieser Zeit keine Wunder mehr, und alles lebte
hier ganz natürlich. Und der Jonatha aber war mehr beim Joseph als zu Hause;
denn hier war für ihn ein seligstes Sein. – –
257. Kapitel – Tod des Herodes; sein Sohn
Archelaus folgt ihm in der Regierung. – Der Engel des Herrn fordert Joseph auf
zur Rückkehr ins Land Israel. – Die wunderbare Reiserüstung. – Joseph übergibt
alles dem Jonatha und bittet ihn nachzukommen. – Der Abschied.
18. Juli 1844
Es starb aber um diese Zeit eben auch Herodes, der Kindermörder, und sein Sohn
Archelaus folgte ihm in der Regierung.
Jakob sagte das in der Zeit zum Joseph und zu der Maria.
Aber Joseph sprach zum Jakob: „Das will ich dir wohl glauben; aber was solle das
bei mir für eine Veränderung herbeiführen?“
Und der Jakob sprach: „Vater! – das zu künden dir, hat der Herr mir nicht
gegeben!
Wie aber der Herr noch allzeit durch eines Engels Mund zu dir geredet hat, was
du tun sollest, also wird Er es auch jetzt tun.
Denn es wäre nicht in der göttlichen Ordnung, daß ein Sohn seinem Vater die Wege
vorschreiben solle!“
Da sprach Joseph: „Meinst du wohl, daß der Herr solches an mir tun wird?“
Und der Jakob sprach: „Vater! – also vernahm ich's in mir nun:
,Heute noch in der Nacht in einem hellen Traume werde Ich Meinen Engel zu dir
senden, der wird dir künden Meinen Willen!
Und wie er es dir künden wird, also sollest du sobald handeln nach seinem
Worte!‘“
Als der Joseph solches vom Jakob vernommen hatte, da ging er hinaus und betete
zu Gott und dankte Ihm für solch eine Vorkunde durch den Mund seines Sohnes
Jakob.
Lange hielt Joseph im Gebete an und begab sich erst nach drei Stunden ins Haus
zur Ruhe.
Als er aber also schlief auf seinem Lager, seinen arbeitsmüden Gliedern Ruhe
gönnend, da erschien ihm im Traume der Engel des Herrn und sprach zu ihm:
„Stehe auf, nimm das Kindlein und Seine Mutter zu dir, und ziehe hin in das Land
Israel; denn sie sind gestorben, die dem Kinde nach dem Leben standen!“
Als Joseph solches vernommen hatte, da stand er alsbald auf und verkündete
solches der Maria.
Und diese sprach: „Es geschehe des Herrn Wille allzeit und ewig!
Aber wie sprichst du nur von uns dreien? Sollen denn deine Kinder hier
verbleiben?“
Und der Joseph sprach: „O mitnichten; denn was der Engel zu mir geredet, das
gilt ja für mein ganzes Haus!
Denn also sprach der Herr ja auch oft zu den Propheten, als hätte Er es mit
ihnen allein zu tun;
aber dennoch ging des Herrn Rede allzeit das ganze Haus Jakobs an.“
Diese Rede verstanden alle, und die Söhne gingen sobald hinaus, um alles zur
Abreise zu ordnen.
Aber sie kamen voll Staunens zurück; denn es war alles schon zur Abreise
bereitet, und für jede Person war ein mit allen zur Reise nötigsten Bedürfnissen
bepackter Esel in Bereitschaft.
Joseph übergab alles Liegende und Stehende dem Jonatha, der diese Nacht hier
zugegen war, segnete ihn und behieß ihn, ihm zu folgen in einem Jahre nach
Nazareth.
Also segnete ihn auch das Kindlein und küßte ihn. Jonatha weinte ob solcher
plötzlichen Abreise.
Und Joseph bestieg noch viel vor dem Aufgange die Lasttiere und zog nun
landwärts von dannen. –
258. Kapitel – Die heilige Familie kommt nach
beschwerlicher Reise ins Vaterland. Josephs Angst und Marias Aufmunterung. Des
Herrn Befehl, nach Nazareth zu ziehen. Ankunft in Nazareth.
19. Juli 1844
Nach zehn sehr beschwerlichen Reisetagen kam Joseph mit den Seinen glücklich im
Lande Israel an und rastete auf einem Berge bei einigen Menschen, die da hausten
und von der Viehzucht lebten.
Hier erkundigte sich Joseph genau um alle Verhältnisse seines Vaterlandes.
Da er aber vernahm von diesen Menschen, daß nun Archelaus, ein Sohn Herodis,
seinem Vater in der Regierung folgte,
und daß er noch grausamer sei als sein Vater, da übermannte den Joseph und all
die Seinen eine große Furcht.
Und er gedachte wieder umzukehren und abermals nach Ägypten zu ziehen, wo nicht
nach Tyrus.
Denn obschon er durch den Mund Jakobs erfahren hatte in Ägypten noch, daß nun
Archelaus herrsche in Jerusalem,
so erfuhr er aber dennoch nicht, daß dieser König seinen Vater an Grausamkeit
noch überträfe.
Und diese Kunde machte hier eben den Joseph also furchtsam, daß er nun wieder
umkehren wollte.
Es sprach wohl die Maria zu ihm und sagte:
„Joseph, es hat uns ja der Herr also zu ziehen befohlen, warum fürchten wir über
den Herrn den Menschenkönig Archelaus mehr als den Herrn?“
Und der Joseph sprach: „O Maria, du mein geliebtestes Weib, du hast wohl ganz
recht gefragt;
aber siehe, ich weiß es, daß da des Herrn Wege oft von der unbegreiflichsten Art
sind, und weiß, daß der Herr die Seinen zumeist durch den Tod führt – vom Abel
her.
Darum fürchte ich mich denn nun auch, ob der Herr nicht auch mich durch den Tod
führen wird!
Und diese meine Mutmaßung gewinnt stets mehr an Wahrscheinlichkeit, je mehr ich
die Grausamkeit des neuen Königs in Jerusalem überdenke.
Darum aber habe ich mich nun auch entschlossen, morgen früh wieder umzukehren.
Wahrlich, ist es dem Herrn um unsern Tod zu tun, da schicke Er lieber Löwen,
Tiger und Hyänen über uns als den Archelaus!“
Also beschloß Joseph fest, wieder umzukehren.
Aber in der Nacht kam des Herrn Geist Selbst über den Joseph in einem
Helltraume.
Und von Gott Selbst bekam Joseph den Befehl, zu ziehen nach Nazareth.
Da erhob sich Joseph sobald und zog sehr frühe von dannen.
Und er kam noch am selben Tage in die Ortschaften des galiläischen Landes.
Und kam also auch am selben Tage in der Nacht nach der Stadt Nazareth, nahm da
bleibende Wohnung, auf daß erfüllet wurde, was da spricht der Prophet: „Er solle
ein Nazaräer heißen!“ –
259. Kapitel – Liebliche Abendszene auf dem
Söller der Salome. Cornelius entdeckt die kleine Karawane.
20. Juli 1844
Wo aber nahm Joseph die Wohnung in Nazareth? – Wo stieg er ab, und wo ging er
ein?
Es ist in den ersten Kapiteln, da von der Abreise Josephs nach Ägypten von
Bethlehem weg die Rede war, gesagt worden, wie Joseph die reiche Salome in
Bethlehem ersucht hatte, daß sie für ihn seinen Meierhof bei Nazareth pachten
möchte.
Hat das Salome getan? – Ja – sie tat es nicht nur, was Joseph gewünscht, sondern
sie hat den Meierhof förmlich an sich gekauft, und zwar in der doppelten
Absicht:
Diesen Hof, falls Joseph oder ein Kind von ihm je wieder zurückkäme, ihnen
vollkommen zu eigen einzuhändigen;
gegenfalls aber diesen für sie so hochgeheiligten Hof für sich zum Andenken an
die erhabenste Familie zu behalten.
Sie hielt diesen Hof für so ein Heiligtum, daß sie sich selbst nicht getraute,
darinnen zu wohnen; noch weniger nahm sie Mietsleute hinein.
Auf daß sie aber dennoch in der Nähe dieser Besitzung leben konnte, kaufte sie
einen nachbarlichen Acker hinzu und erbaute da ein recht nettes Häuschen und
wohnte im selben mit ihrer Dienerschaft und wurde allda auch öfter von Cornelius
besucht.
Und es traf sich gerade, daß der Cornelius an diesem Tage auf dem Rückweg von
einem Amtsgeschäfte bei der Salome einsprach, da Joseph wieder nach Nazareth
zurückkam.
Es war ein herrlicher Abend, der Mond war voll, und kein Wölkchen trübte irgend
einen Stern am Himmel.
Dieser schöne Abend zog die Salome mit dem Cornelius auf den Söller ihres netten
Häuschens, das da ziemlich nahe an der Hauptstraße lag und den Hof Josephs
gerade gegen Morgen vor sich in einer Entfernung von etwa siebzig Klaftern
hatte.
Beide blickten oft nach der einstmaligen Behausung der erhabenen Familie, und
der Cornelius sprach öfter zur Salome:
„Ich sehe die Erscheinung in Bethlehem noch stets lebendig vor mir, wie in einem
schönsten, erhabensten Traume, und dieser Hof erinnert mich nun fortwährend
daran.
Es war aber auch die Erscheinung in Bethlehem von einer solchen wundervollsten
Erhabenheit, daß sie mir stets unerklärlicher wird, je mehr ich daran denke!“
Und die Salome sprach dagegen: „Ja – Freund Cornelius! – Auch ich kann es nicht
fassen, wie ich bei der Größe jenes Ereignisses noch am Leben habe verbleiben
können!
Aber das ist zwischen mir und dir noch der Unterschied, daß ich nun, wie du es
weißt, mir nicht helfen kann, und muß das Kind in meinem Herzen allzeit anbeten;
während du die ganze Sache mehr als eine allererhabenste Geschichte betrachtest.
Ich habe mir daher auch schon öfter so im Geiste vorgestellt: Wenn diese Familie
je wieder hierherkäme, da könnte ich vor Seligkeit nicht leben!
Wenn sie so drüben wohnete im Hofe – o Gott! – was wäre doch das für ein Gefühl
für mich!
Wahrlich, alle Himmel der Himmel wären dann auf diesem Söller vereint
beisammen!“
Und der Cornelius sprach: „Ja, du hast recht, das wäre auch für mich das
Erhabenste!
Was täten wir aber nun, wenn – ich setze den Fall, diese erhabenste
Götterfamilie daherzöge, und wir erkenneten sie schon von der Ferne?!“
Und die Salome sprach: „O Freund! – Rede nicht davon, – das würde mich töten vor
Wonne!“
Als die beiden in dieser Weise sich gottwohlgefälligst auf dem Söller
unterhielten, und es also auch schon ziemlich spät geworden war,
da bemerkte der Cornelius in einer Ferne von etwa zweihundert Klaftern einen
Zug, wie eine kleine Karawane, und sprach zur Salome:
„Da sieh einmal hin, noch spät in der Nacht eine Wanderung! – Sind es Griechen
oder Juden?
Salome, was tätest denn du nun, wenn das eben die erhabenste Familie wäre?!“
Und die Salome erschrak förmlich und sprach: „Aber ich bitte dich, rede nicht
immer davon und erwecke nicht stets von neuem in mir neue Wünsche, die nicht
erfüllt werden können!
Was würdest denn in einer solchen Seligkeit aller Seligkeiten du tun?“
Und der Cornelius sprach: „Wahrlich, da ginge es auch mir schlecht! – Doch
siehe, die Karawane macht halt, und ich sehe einen Menschen von ihr gerade auf
uns zueilen! – Komm, laß uns sehen, wer es ist!?“
Und sie gingen dem Menschen entgegen. Der Mensch aber war ein Sohn Josephs und
ging mit einem Kruge, ein Wasser zu holen bei dem Hause.
Die beiden aber erkannten ihn nicht; denn also wollte es der Herr, um des Heiles
der beiden willen.
260. Kapitel – Joel als Kundschafter ermittelt
die Nähe der Heimat. Joseph will mit den Seinen im Freien übernachten. Die Söhne
Josephs kommen auf der Suche nach Holz und Feuer zu Salome.
22. Juli 1844
Als der Joel das Wasser geschöpft hatte, da fragte er die beiden, wie weit es
noch nach Nazareth wäre.
Und der Cornelius sprach: „Mein Freund, da siehe hin, und du wirst leicht die
Mauern der Stadt erschauen!
Ein Kind erreicht sie leicht in einer Viertelstunde, und somit bist du nun schon
so gut wie in Nazareth selbst.“
Joel dankte für diese Auskunft und trug sein Wasser zu seiner Gesellschaft.
Als er damit bei seiner Gesellschaft anlangte, da fragte ihn sobald der Joseph,
was er bei dem Häuschen alles für Erkundschaftungen eingeholt habe.
Und der Joel sprach: „Ein Weib und ein Mann kamen mir sehr freundlich entgegen,
gaben mir Wasser und sagten mir, daß hier schon die Stadt Nazareth ist!
Ich aber dachte, wenn das die Stadt ist, da haben wir sicher nicht mehr weit zu
unserer Pachtwirtschaft.“
Und der Joseph sprach: „Mein lieber Sohn, da hast du wohl ganz recht;
aber weißt du auch, wem sie nun nach drei Jahren gehört?
Dürfen wir einziehen in unsere einstige Wohnung?
Siehe, daher heißt es hier wieder unter freiem Himmel übernachten und morgen
erst nachsehen, wo sich für uns eine bleibende Wohnstätte wird auffinden lassen!
Gehe aber nun mit deinen Brüdern und sehe irgendwo ein wenig Holz und Feuer zu
bekommen!
Denn hier auf der Höhe dieses Bergtales ist es etwas kühl; darum soll ein
kleines Feuer hier angemacht werden, auf daß wir uns beim selben ein wenig
erwärmen!“
Darauf gingen die vier Söhne zu ebendemselben Häuschen und fanden die beiden
noch auf.
Und sie gaben der Salome kund ihr Anliegen und baten sie um etwas Holz und um
ein Feuer.
Hier fragte die Salome samt dem Cornelius, wer denn die Gesellschaft sei, ob man
ihr wohl trauen könne.
Und die Söhne sprachen: „Wir kommen aus Ägypten und sind die ehrlichsten Leute
von der Welt!
Und unsere Bestimmung ist, uns hier in Nazareth etwas anzukaufen;
denn wir sind im Grunde selbst Nazaräer, nur hat uns eine gewisse Notwendigkeit
nach Ägypten auf drei Jahre gebannt.
Da sich aber diese unsere Verbannung wieder gelöst hatte, so sind wir nun wieder
da, um uns hier eine Wohnung zu suchen.“
Als die beiden solches vernommen hatten von den vieren, da gaben sie ihnen
sobald Holz und Feuer in gerechter Menge, und diese trugen es zum Joseph.
Joseph aber ließ das Holz sogleich anzünden, und alles wärmte sich an dem Feuer.
–
261. Kapitel – Der Salome und des Cornelius
Ahnungen über diese kleine Karawane. Salome und Cornelius beschauen sich die
Gesellschaft und erkennen die hl. Familie.
23. Juli 1844
Es dachten aber die Salome und der Cornelius sehr darüber nach, wer etwa doch
diese Gesellschaft aus Ägypten sein dürfte.
Der Cornelius sprach: „Diese vier Männer, die eben nicht alt zu sein scheinen,
hatten nach meiner Beobachtung eine starke Ähnlichkeit mit den Söhnen desjenigen
wunderbaren Mannes, mit dem wir beide in Bethlehem zu tun hatten.
Auch ihre Sprache hatte einen unverkennbaren nazaräischen Klang.
Du – meine geachtetste Freundin! – Dieser Wundermann, der da Joseph hieß, ist ja
auch höchst wahrscheinlich nach Ägypten ausgewandert, wie ich es aus dem
Schreiben meines Bruders aus Tyrus vernommen habe.
Wie – wenn das derselbe Joseph wäre?
Sollen wir da nicht hingehen zu dieser Gesellschaft und sie beschauen? Und falls
das die rechte wäre,
sollen wir da nicht sogleich alles aufbieten, um diese allererhabenste
Gesellschaft sogleich auf das herrlichste zu bewirten?“
Als die Salome solches vernommen hatte, da ward sie nahe ohnmächtig vor
Entzückung und sprach:
„Ach Freund! – du hast sicher recht, es wird schon also sein; das ist sicher die
heilige Familie!
Darum lasse mich sogleich meine Dienerschaft wecken und mit uns hinziehen, wo
diese Familie rastet!“
Darauf ging die Salome und weckte alle ihre Dienerschaft.
Und in einer halben Stunde war alles auf den Beinen im Hause der Salome.
Als aber alles in Bereitschaft war, da sagte der Cornelius zur Salome:
„Nun lasse uns hinziehen und sehen, wer hinter dieser Familie steckt!“
Darauf berief die Salome sogleich alles zusammen im Hause, und die ganze
Gesellschaft begab sich hin, wo Joseph rastete bei einem mäßigen Feuer.
Als sie da ankam, da sprach der Cornelius zur Salome:
„Da siehe einmal hin! Dort neben dem Feuer, – ist das nicht die junge Maria, des
Josephs Weib mit ihrem Kinde?
Und jener alte Mann, – sage, ist das nicht Joseph, jener wunderbare Mann, den
wir in Bethlehem kennengelernt haben?“
Da machte die Salome die Augen groß auf und starrte hin und erkannte nach und
nach, was ihr Cornelius anzeigte.
Nun war es aber bei der Salome auch aus; sie sank nieder und ward ohnmächtig,
und der Cornelius hatte zu tun, um seine Gefährtin auf die Füße zu bringen.
262. Kapitel – Cornelius und Salome begrüßen
die hl. Familie. Der Einzug der müden Wanderer ins alte Heim.
24. Juli 1844
Als sich die Salome erholt hatte von ihrer Entzückungsohnmacht, da sagte sie zum
Cornelius: „O Freund, das ist zuviel auf einmal für einen schwachen Menschen!
Gönne mir nur eine kleine Ruhe, sodann werde ich hingehen und werde dieser
heiligen Familie meine Aufrechthaltung ihres Hofes kundtun!“
Und der Cornelius sprach: „Weißt du was, wenn du dich zu schwach fühlst, so
lasse mich hingehen in deinem Namen und der Familie anzeigen, was du für sie
getan hast!
Denn siehe, hier ist nicht Zeit zu verlieren! Diese erhabenen Reisenden werden
sehr müde sein und bedürfen ehestmöglich einer guten Unterkunft; darum will ich
an deiner Statt sogleich hingehen.“
Als die Salome solches von Cornelius vernommen hatte, da sprach sie:
„O Freund! du hast recht; ich aber habe mich schon gefaßt nun, und so will ich
auch sogleich mit dir hinziehen.“
Nach solchem Entschlusse gingen die beiden hin zur Gesellschaft.
Und der Cornelius nahm das Wort und sprach: „Gott, der Herr Israels ist mit
euch, wie auch mit mir und meiner Gefährtin Salome!
Es gelang mir, euch zu erkennen, und es unterliegt nun keinem Zweifel mehr, daß
du alter, biederer Mann derselbe Joseph mit dem jungen Weibe Maria bist, der vor
drei Jahren nach Ägypten zog, um der Verfolgung des Herodes zu entgehen.
Ich bin darum hergeeilt, um dich alsogleich aufzunehmen und dich in dein
Eigentum einzuführen.“
Als der Joseph solches von Cornelius vernahm, da stand er auf und fragte ihn:
„Guter Mann, wer bist du denn, daß du mir solches künden magst?
Sage mir an deinen Namen, und ich will dir sogleich folgen!“
Und der Cornelius sprach: „Erhabenster Greis! Siehe, ich bin der Landpfleger von
Jerusalem,
und mein Name ist Cornelius, und bin derselbe, der dir in Bethlehem eine kleine
Freundschaft erwies!
Darum sorge dich um nichts weiter nun; denn siehe, diese meine Freundin, die
Salome aus Bethlehem, hat deinen Auftrag genau befolgt!“
Hier stürzte die Salome hin zu des Josephs Füßen und sprach mit bebender Stimme:
„Freude mir armen Sünderin, daß dich meine unwürdigsten Augen wiedersehen!
O komme, komme in dein Haus! Denn mein Haus ist solcher Gnade nicht wert!“
Joseph ward hier zu Tränen gerührt und sprach:
„O großer Gott, Vater! – Wie gut bist Du! Du führst den müden Wanderer ja
allzeit ans beste Ziel!“
Darauf umarmte er den Cornelius und die Salome und zog dann sogleich mit ihnen
in seinen Hof.
263. Kapitel – Salome übergibt Joseph Haus und
Hof in bestem Zustande. Die Verlegenheit Josephs. Die Demut und Liebe der
Salome. Ihr herrliches Zeugnis über den Herrn. Ein Wort des Herrn über die
Liebe.
25. Juli 1844
Die Dienerschaft der Salome und das Gefolge des Cornelius und die Salome und der
Cornelius selbst halfen alles Gepäck des Joseph unterbringen.
Und die Salome führte die Gesellschaft in die wohleingerichteten Gemächer des
Wohngebäudes.
Und der Joseph verwunderte sich sehr über die große Reinlichkeit, die in seinem
Hause hergestellt war.
Es waren alle Betten neu und die alten gereinigt; also war auch der Stall auf
das zweckmäßigste eingerichtet.
Und der Joseph überzeugte sich von allem, wie vortrefflich die Salome für ihn
gesorgt hatte.
Und er fragte die Salome: „O liebe Freundin, du siehst ja, daß ich arm bin und
habe nun nichts von irgendeinem Vermögen! – Wie werde ich dir das wohl je
abstatten können?“
Als die Salome solche Frage von Joseph vernommen hatte, da sprach sie weinend:
„O du mein erhabenster Freund! Was habe ich wohl auf dieser Welt, das ich nicht
empfangen hätte von Dem, der nun auf den Armen der zarten Mutter ruht?!
Habe ich es aber doch ewig wahr von Dem empfangen, der bei dir ist so ewig
wunderbarst; wie könnte ich das mein nennen, was von Ewigkeit Dessen war, der
mit dir ist? –
O – der Herr, der Heilige von Ewigkeit, kam ja nicht in die Fremde zu uns armen
Sündern,
sondern Er kam ja in Sein ewiges Eigentum; daher können wir Ihm ja nichts geben,
als hätten wir etwas;
sondern wir bringen Ihm nur das Seinige dar mit der Kraft, die Er uns gegeben
hat.
Und also ist wohl jede Erwähnung von einer Schuld an mich von deiner Seite für
ewig ungültig; denn ich bin schon durch die Gnade dieses endlos höchsten
Berufes, für dich zu sorgen, für alle Ewigkeit belohnt,
und das um so mehr, da ich es in der ganzen Tiefe meines Lebens fühle, daß ich
zu diesem heiligen Berufe sicher die Unwürdigste bin!“
Hier konnte die Salome nicht weiterreden; sie schwieg darum und weinte vor Liebe
und Wonne.
Das Kindlein aber wurde hier wach und munterte sich auf.
Als Es so recht heiter Sich auf dem Schoße der Maria aufgerichtet hatte, da sah
Es gar liebvollst nach der Salome und nach dem Cornelius hin und sprach:
„O Salome, und du auch, Mein Cornelius! – Sehet, Ich schlief; aber eure große
Liebe hat Mich aufgeweckt!
Wahrlich, das ist süß und angenehm; also solle es verbleiben für ewig!
Von nun an will Ich schlafen in Meinem Urwesen für jedermann; aber wer mit eurer
Liebe zu Mir kommen wird, der wird Mich erwecken für sich auf ewig!
Salome, nun begebe dich zur Ruhe; morgen aber bringe Mir ein gutes Frühstück!“
Salome war darob höchst entzückt, daß sie zum ersten Male also hat den Herrn
reden hören. Alles lobte und pries Gott und begab sich darauf zur Ruhe.
264. Kapitel – Salome lädt die Familie Josephs
zum Frühstück ein. Des Jesuskindleins Leibspeise. Liebfreude des Kindleins und
der Salome. „O Herr! – Wer kann Dich schauen wohl ohne Tränen im Auge?“
26. Juli 1844
Am Morgen war in beiden Häusern schon alles sehr früh auf den Füßen, und die
Salome war geschäftigst in ihrer Küche und bereitete ein gutes Frühmahl,
bestehend aus Honigkuchen, einer guten Fischbrühe und aus mehreren edlen
Fischen,
darunter die Forellen wohl die ersten waren, die man dort häufig in den
Gebirgsbächen fing.
Als das Frühstück fertig war, da eilte die Salome in das Haus des Joseph und lud
den Joseph und alle die Seinen zum Frühstück.
Und der Joseph sprach: „Aber siehe, du meine liebe Freundin, warum machst du dir
denn meinetwegen gar so große Unkosten?
Siehe, auch meine Söhne sind schon in der Küche geschäftig und bereiten ein
Frühmahl;
darum hättest du wohl für uns nicht also sehr gastfreundlich besorgt sein
sollen!“
Die Salome aber sprach: „O du mein erhabenster Freund! Verschmähe doch nicht die
Arbeit deiner Magd, und komme!“
Darob ward Joseph sehr gerührt, berief alles in seinem Hause zusammen und begab
sich mit der Salome in ihr Haus zum Frühstücke.
An der Türschwelle erwartete sie der Cornelius und bewillkommnete sie alle auf
das herzlichste.
Und der Joseph hatte eine große Freude, als er nun beim Sonnenlichte seinen
Freund Cornelius vollends wiedererkannte.
Darauf begaben sich alle in das schöne Speisezimmer, allwo das Frühstück der
Gäste harrte.
Als das Kindlein aber die Fische auf dem Tische erblickte, da lächelte Es und
lief zur Salome und sagte zu ihr:
„Aber wer hat dir denn gesagt, daß Ich die Fische gerne esse?
Da hast du Mir wohl eine rechte Freude gemacht; denn siehe, das ist vor allem
Meine Leibspeise!
Ich esse wohl auch die Honigkuchen gerne, wie auch die Fischbrühe mit
Weizenbrot;
aber die Fische sind Mir dennoch lieber als alle andern Speisen.
Darum bist du nun schon recht brav, weil du so gut für Mich bedacht warst, und
Ich habe dich nun gar liebgewonnen darum!“
Über solche kindliche Belobung war die Salome schon wieder außer sich vor Freude
– und weinte.
Das Kindlein aber sprach: „Salome, siehe du weinst ja immer, so du an etwas eine
große Freude hast!
Aber siehe, Ich bin kein Freund vom Weinen; darum mußt du auch nicht immer
weinen, so dich etwas freut, dann werde Ich dich noch lieber haben!
Siehe, Ich möchte recht gerne auf deinem Schoße den Fisch verzehren;
aber Ich getraue es Mir doch nicht, weil du da aus lauter Freude gar zu viel
weinen möchtest!“
Da ermannte sich die Salome soviel als da nur immer möglich war und sprach zum
Kindlein:
„O Herr! – Wer kann Dich schauen wohl ohne Tränen im Auge?“
Und das Kindlein sprach: „Da sehe nur Meine Brüder an, die sehen Mich auch
täglich und weinen dennoch nicht, wenn sie Mich sehen!“
Darauf ward die Salome wieder ruhig, und alle begaben sich zum Tische, und das
Kindlein nahm im Schoße der Salome Platz.
265. Kapitel – Cornelius beruhigt Joseph auf
dessen ängstliche Fragen über den neuen und grausamen König Archelaus.
27. Juli 1844
Als das Frühstück verzehrt war, da besprach sich dann der Joseph mit dem
Cornelius über den König Archelaus und fragte genau, was das für ein Mensch sei,
und wie er herrsche.
Und der Cornelius sagte zum Joseph: „Erhabenster Mann und Freund! Wenn ich und
mein Bruder Cyrenius ihm nicht die Stange hielten, da wäre er noch um zehnmal
grausamer, als es sein Vater war.
Aber so haben wir seine Gewalt sehr beschränkt aus guten Gründen, und so darf er
nichts als bloß nur seine Steuern einheben, und das nach unserem Ermessen!
Und falls die Steuerpflichtigen sich irgend weigerten, die Steuern zu
entrichten, so hat er sich an uns zu wenden;
widrigenfalls wir ihm alle Tage die Absetzungsurkunde des Kaisers, die ich
allzeit in meinen Händen habe, überreichen und ihn dann als vogelfrei vor allem
Volke erklären können.
Demnach hast du von diesem Könige nicht das geringste zu befürchten;
denn es sei ihm ja nicht geraten, ja nur irgend im geringsten wider die
bestehenden Vorschriften zu handeln,
sonst ist er morgen kein König mehr, sondern ein geächteter vogelfreier Sklave
Roms!
Freund! Ich meine, mehr brauchst du nicht zu deiner Beruhigung.
Ich bin der Landpfleger nun von Jerusalem, und mein Bruder Cyrenius ist quasi
ein Vizekaiser von Asien und Afrika, und wir sind deine Freunde!
Ich glaube, eine bessere Bürgschaft, weltlicherweise genommen, kann es wohl in
einem Lande für einen Menschen nicht geben.
Und die allergrößte Bürgschaft für deine Sicherheit und Ruhe wohnt wohl in
deinem Hause!
Daher sei du ganz ruhig nun, und betreibe deine mir schon bekannte Kunst ohne
Scheu und Furcht!
Ich aber werde bei der Bemessung der Steuer für dich schon eine solche Rubrik
aussuchen, die dir nicht weh tun wird!“
Als der Joseph solches vom Cornelius vernommen hatte, da ward er wieder ganz
heiter, froh und ruhig.
Der Cornelius aber entdeckte die fünf Mädchen des Cyrenius und die Eudokia, die
ihm sehr bekannt zu sein schien, die er aber hier dennoch nicht erkannte.
Er fragte daher den Joseph um die näheren Bewandtnisse dieser Personen.
Und der Joseph gab ihm alles kund nach der Wahrheit vollkommen, ohne irgendeinen
mystischen Vorhalt.
Als auf diese Art der Cornelius erfuhr, wie gar menschenfreundlich der Joseph
sich gegen seinen Bruder Cyrenius verhalte und wie höchst uneigennützig, da war
es aber auch aus beim Cornelius.
Seine Freude war übergroß, und er küßte darob den Joseph hundert Male und rief
die Kinder seines Bruders zu sich und herzte und küßte sie auch.
Zum Joseph aber sprach er: „Weil du also mit meinem Bruder stehest, so sollst du
auch für alle Zeiten steuerfrei sein gleich jedem Bürger Roms; und heute hefte
ich selbst den Freibrief des Kaisers an dein Haus!“ – Joseph ward darob zu
Tränen gerührt, und alles weinte mit ihm vor Freuden.
266. Kapitel – Des Cornelius Frage, ob
Cyrenius von der Abreise Josephs wisse. Josephs Antwort. Cornelius erklärt
Joseph die römischen Geheimschreiben.
29. Juli 1844
Nachdem aber fragte der Cornelius auch den Joseph, ob davon Cyrenius wohl
Kenntnis habe, daß nämlich Joseph Ägypten verlassen habe.
Und falls er keine Kenntnis hätte, ob man ihn davon aus staatlichen Rücksichten
nicht alsogleich solle in die vollste Kenntnis setzen.
Und der Joseph sprach: „Freund, tue gegen deinen Bruder, was du willst;
aber um das bitte ich dich wohl, daß du ihm sagen möchtest, er solle ja nicht zu
bald zu mir kommen!
Und wann er aber schon kommen möchte, da solle er ja bei Nacht und Nebel kommen,
auf daß sein Erscheinen bei mir ja niemand bemerke,
und mein Haus dadurch nicht eine sehr widrige Aufmerksamkeit auf sich ziehe, die
mir und dem Kinde schädlich und für die göttliche Ruhe meines Hauses störend
sein möchte!“
Als der Cornelius solches von Joseph vernommen hatte, da sprach er:
„O du mein erhabenster Freund, des sei ruhig! – Denn was ,streng inkognito zu
jemanden kommen‘ betrifft, da sind wir Römer Meister!
Und so wird, sowie ich morgen nach Jerusalem kommen werde, das mein erstes
Geschäft sein, daß ich in aller Stille meinen Bruder durch ein Geheimschreiben
benachrichtigen werde, daß du hier bist.
Mit so einem Schreiben will ich den Archelaus selbst, wenn es darauf ankäme, zu
meinem Bruder senden, und er wird nicht wissen, was darauf steht, wenn das
Schreiben auch unversiegelt sich in seinen Händen befände!“
Joseph aber fragte den Cornelius, wie da wohl ein solches Geheimschreiben
möglich wäre.
Und der Cornelius sprach: „O erhabenster Freund! Nichts leichter als das!
Siehe, man nimmt einen langen, etwa einen Finger breiten Pergamentstreifen.
Diesen Streifen wickelt man schneckengewindartig ganz genau um einen runden
Stab, so daß die Ränder genau aneinanderstoßen.
Ist also der Streifen aufgewunden über den runden Stab, da schreibt man dann
nach der Länge des Stabes über alle die Gewinde des Pergamentstreifens sein
Geheimnis.
Nun hat aber der Cyrenius einen genau gleich dicken Stab, wie da der meinige
ist.
Habe ich das Schreiben beendet, so wird es dann vom Stabe abgerollt und sicher