Jakob Lorber
Die drei Tage im Tempel
( Text )
Durch das Innere Wort empfangen
von Jakob Lorber.
Inhaltsverzeichnis
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01. Kapitel Die Sitte der Kinderprüfungen im Tempel zu Jerusalem.
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02. Kapitel Der geistreiche Jesusknabe im Tempel. Die Opfergabe des alten
Simon. Die Vorfrage. Die Rede des jüngeren Schriftgelehrten.
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03. Kapitel Des Jesusknaben Frage an die Schriftgelehrten: „Wer ist die
,Jungfrau‘ und wer ihr ,Sohn‘?“ Die gute Antwort der weisen Schriftgelehrten.
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04. Kapitel Des Jesusknaben nochmaliges Verlangen, seine Vorfrage über
Jes.9,5-6 beantwortet zu wissen.
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05. Kapitel Die Rede des Obersten der Synagoge von Bethlehem und des
Jesusknaben Antwort. Der mißlungene Störungsversuch des alten stolzen
Pharisäers.
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06. Kapitel Des jungen Leviten gutachtliche Äußerung. Die verächtliche Rede
des Hochpriesters über den Zimmermannssohn von Nazareth.
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07. Kapitel Des Jesusknaben Antwort auf des Hohenpriesters Rede. Von der
Mission des Sohnes des Zacharias und von der Wundermacht des Zimmermannssohnes.
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08. Kapitel Die Drohung des Hochpriesters und des römischen Richters strenge
Verwahrung dagegen.
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09. Kapitel Des Jesusknaben Verheißung an den römischen Richter und des
Hochpriesters Zorn darüber. Wie der Mensch selbst zum lebendigen Worte Gottes,
somit zum Gott werden kann. Die Widerlegung des Hochpriesters durch den
Jesusknaben mit Hilfe des Volkskatechismus.
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10. Kapitel Der mißglückte Versuch eines Schriftgelehrten und eines
Ältesten, den Hochpriester zu rechtfertigen und ihm Geltung zu verschaffen. Die
Vertagung der Sitzung durch den Richter auf den nächsten Tag. Der Jesusknabe und
Simon als Nachtgäste des Römers in der Herberge.
- 11. Kapitel
Die nächtliche Beratung der Templer.
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12. Kapitel Der Zusammentritt des Prüfungskollegiums im Sprechsaale am
zweiten Tage. Der mißglückte Versuch der Templer, die Sitzung aufzuheben.
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13. Kapitel Die Fortsetzung der Sitzung. Des Jesusknaben Frage an die
Templer: „Was würdet ihr tun, wenn Ich denn doch der Messias wäre?“ Jorams, des
Talmudisten, vorsichtige Antwort betreffs des Messias.
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14. Kapitel Des Jesusknaben Zeugnis über sich als dem rechten ,Raubebald,
Eilebeute‘. Jorams Ansicht: Abwarten und die Zeit entscheiden lassen! Jesu
Hinweis auf die Allmacht Gottes in sich. Jorams ablehnende Antwort.
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15. Kapitel Allerlei Einwände Jorams und des Oberpriesters gegen die
Messianität des Jesusknaben und ihre Widerlegung.
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16. Kapitel Die Frage des spottenden Barnabe. Des Herrn rügende Antwort und
Gegenfrage. Barnabes Verlegenheit und Abbitte. Das Wunder mit den Eselsohren und
dem lebendigen Esel.
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17. Kapitel Das wunderbare Verschwinden des Esels. Das Steinwunder. Des
römischen Richters Verwunderung wegen der Wunderkraft des Jesusknaben und dessen
aufklärende Worte über das Kommen seines Gottesreiches.
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18. Kapitel Des Jesusknaben Erzählung von den Wundern der 27 Magier in
Damaskus. Barnabes Verlegenheit und Erstaunen. Vom Geheimnis der Allwissenheit
des Jesusknaben.
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19. Kapitel Die Erklärung der beiden Worte ,Jerusalem‘ und ,Melchisedek‘
durch den Jesusknaben. Die Heilige Schrift als göttliches Wort. Jorams Hinweis
auf die Unverständlichkeit der auf den Messias hinweisenden Jesaias-Texte.
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20. Kapitel Die zweite Nacht in der Herberge. Joram und Barnabe auf der
Suche nach passenden Jesaiastexten.
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21. Kapitel Der Beginn der Besprechung am dritten Tage. Jorams mißlungener
Versuch, das begonnene Thema abzubrechen. Des ausfällig werdenden Oberpriesters
Einwurf und dessen Widerlegung durch den Jesusknaben.
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22. Kapitel Die anerkennenden Worte des römischen Richters an den
Jesusknaben und dessen Rede über die Ordnungsgesetze des Staates und über das
göttliche Gesetz der Nächstenliebe.
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23. Kapitel Die Verlesung und Erklärung von Jesaias 9,5-6 durch den
römischen Richter.
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24. Kapitel Die Rede Jorams über das Wesen Gottes als Antwort an den
römischen Richter.
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25. Kapitel Des Jesusknaben scharfe Rede an die heuchlerischen Templer als
seine ärgsten Gegner. Die Mißbräuche im Tempel.
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26. Kapitel Des Oberpriesters zornige Entgegnung. Des Jesusknaben Weissagung
über die Berufung der Heiden zu Gotteskindern anstelle der Juden und über die
Zerstörung des Tempels und Jerusalems. Die Wahrheit über den Tod des Zacharias.
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27. Kapitel Joram erkennt den Jesusknaben als Messias an, bittet Ihn um Rat
und um die Erklärung von Jesaias 52,14 und 53,3. Des Jesusknaben ausführliche
Antwort.
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28. Kapitel Des Jesusknaben Erweis, daß der Tempel und das ganze Land nicht
mehr zu reinigen und zu retten sind. Die neue Bundeslade und das ,Verfluchte
Wasser‘.
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29. Kapitel Die hänselnde Frage des Oberpriesters. Des Jesusknaben
abweisende Antwort. Barnabes Bitte um Erklärung von Jesaia 54,4-9, und ihre
Erfüllung durch den Herrn.
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30. Kapitel Des Nikodemus Frage nach den Polen der Erde. Des Jesusknaben
Antwort. Der Freundschaftsbund zwischen Nikodemus und dem Jesusknaben.
-31.
Kapitel Die abschließende Rede des römischen Richters. Des Römers Frage nach
dem Verbleib der Eltern Jesu und des Jesusknaben Aufschluß.
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32. Kapitel Das Eintreffen von Joseph und Maria im Tempel. Der Eltern Frage
und des Sohnes Antwort. Die freundliche Unterhaltung des Römers und des
Nikodemus mit den Eltern Jesu. Im Palaste des Römers. Die Rückkehr nach
Nazareth.
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33. Jakob Lorbers Schlußwort. Meine Knechtes-Anmerkung am 13. Januar 1860.
1.
Kapitel – Die Sitte der Kinderprüfungen im Tempel zu Jerusalem.
[DTT.01_001,01] Es war Sitte und vorgeschriebener Brauch im ganzen Reiche der
Juden, daß sie ihre Kinder, wenn sie das zwölfte Jahr zurückgelegt hatten, nach
Jerusalem bringen mußten, wo sie im Tempel von den Ältesten, Pharisäern und
Schriftgelehrten befragt wurden über alles, was sie bis zu diesem Alter
besonders in der Lehre von Gott und den Propheten sich zu eigen gemacht hatten.
[DTT.01_001,02] Für solche Prüfung war auch eine kleine Taxe zu entrichten, nach
der die Geprüften, so sie es wünschten, gegen eine nochmalige kleine Taxe ein
Fähigkeitszeugnis erhielten. Hatten sich die Kinder in jeder Hinsicht
ausgezeichnet, so konnten sie dann auch in die Schulen des Tempels aufgenommen
werden und hatten Aussicht, einst Diener des Tempels zu werden.
[DTT.01_001,03] Konnten die Eltern nachweisen, daß sie dem Stamme Levi
entstammten, so ging es mit der Aufnahme in des Tempels Schulen leicht. Konnten
die Eltern das aber nicht nachweisen, so ging es mit der Aufnahme schlechter,
und sie mußten sich in den Stamm Levi förmlich einkaufen und dem Tempel ein
bedeutendes Opfer bringen.
[DTT.01_001,04] Die Töchter waren von dieser Prüfung ausgenommen – außer sie
wollten auf Antrieb ihrer Eltern sich auch prüfen lassen, der größeren
Gottwohlgefälligkeit wegen. In diesem Falle wurden sie von den Altmüttern des
Tempels in einer besonderen Behausung fein geprüft und bekamen auch ein Zeugnis
von allen bis dahin erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten. Solche Mädchen
konnten dann Weiber der Priester und Leviten werden.
[DTT.01_001,05] Die Prüfungen der Knaben und noch mehr der Mädchen dauerten nur
kurz. Es waren einige Hauptfragen schon für immer bestimmt, die ein jeder Jude
seit langeher auswendig wußte.
[DTT.01_001,06] Die Antworten auf die bekannten Fragen wurden den Kindern
geläufig eingebleut, und es hatte der Prüfer die Frage kaum zu Ende gebracht, so
war der geprüfte Knabe auch schon mit der Antwort fertig.
[DTT.01_001,07] Mehr als zehn Fragen hatte kein Prüfling bekommen, und es ist
darum leicht begreiflich, daß eine Prüfung bei einem Knaben kaum über eine
Minute Zeit gedauert hat. Besonders wenn er die ersten Fragen ganz gut und sehr
fertig beantwortet hatte, da wurden ihm die andern meist erlassen.
[DTT.01_001,08] Nach vollbrachter kurzer Prüfung bekam der Knabe ein kleines
Zettelchen, mit welchem er sich mit seinen Eltern an derselben Taxkasse zu
melden hatte, bei der er ehedem die Prüfungstaxe entrichtete, wo er dann gegen
Vorweisung des Prüfungszettelchens wieder eine kleine Taxe zu entrichten hatte,
so er auf das Zettelchen ein Tempelzeugnis haben wollte. Kinder armer Eltern
mußten ein Signum paupertatis (Armutszeugnis) mitbringen, ansonst sie zur
Prüfung nicht zugelassen wurden.
[DTT.01_001,09] Die Zeit der Prüfung war entweder zu Ostern oder zur Zeit des
Laubhüttenfestes und dauerte gewöhnlich fünf bis sechs Tage. Bevor aber die
Prüfungen im Tempel ihren Anfang nahmen, wurden schon ein paar Tage früher
Tempeldiener in die Herbergen geschickt, um sich zu erkundigen, wieviele
Prüfungskandidaten etwa anwesend seien.
[DTT.01_001,10] Wer sich da besonders vormerken lassen wollte gegen ein kleine
Taxe, der konnte es tun, weil er dadurch früher zur Prüfung kam. Die ohne Taxe
mußten dann gewöhnlich die letzten sein, und mit ihrer Prüfung nahm man sich
durchaus nicht viel Mühe, und die Zeugnisse blieben gewöhnlich aus. Man
versprach ihnen wohl, solche einmal nachzutragen, woraus aber gewöhnlich nie
etwas geworden ist.
[DTT.01_001,11] Manchmal aber geschah es auch, daß Knaben von sehr viel Geist
und Talent den Prüfern auch Gegenfragen stellten und Aufklärung über dies und
jenes aus den Propheten verlangten. Bei solcher Gelegenheit gab es unter den
Prüfern dann gewöhnlich verdrießliche und ärgerliche Gesichter; denn die Prüfer
waren selten in der Schrift und in den Propheten mehr bewandert als heutzutage
die sehr mager bestellten Abc-Lehrer. Sie wußten nur soviel, um wieviel sie zu
fragen hatten. Darüber hinaus sah es gewöhnlich sehr finster aus.
[DTT.01_001,12] Es saßen aber bei den Prüfungen, gewisserart als
Prüfungskommissare, wohl auch einige Älteste und Schriftgelehrte. Sie prüften
aber nicht, sondern hörten nur zu, was da geprüft ward. Nur im vorerwähnten
besonderen Falle, so es sich der Mühe lohnte, fingen sie sich zu rühren an und
verwiesen zuerst einem so Fragen stellenden Knaben seine unkluge Vermessenheit,
der es gewagt hatte, seine Prüfer in eine unangenehme, zeitzersplitternde Lage
zu versetzen.
[DTT.01_001,13] Solch ein Knabe wurde, wenn er sich nicht leicht einschüchtern
ließ und bei seinem Vorhaben und Begehren verharrte, mehr des Scheines vor dem
Volke als der tieferen Wahrheit wegen, einstweilen auf die Warteseite gestellt
und mußte auf die für derlei kritische Fragen gegebene erklärende Antwort bis zu
einer gewissen Stunde am Abend warten, wo er dann erst eigens vernommen wurde.
[DTT.01_001,14] Kam dann die anberaumte Stunde, so wurden stets mit einigem
Unwillen solche Knaben aus ihrem Versteck hervorgeholt, mußten ihre früher
gestellten Fragen wiederholen, und einer der Ältesten und Schriftgelehrten gab
dem Fragesteller gewöhnlich eine sehr mystische und soviel als möglich
verworrene Antwort, aus welcher der Knabe offenbar nicht klüger wurde – und das
Volk schlug sich dabei an die Brust und bewunderte tief, dumm, stumm, taub und
blind die unerforschliche Tiefe des Geistes Gottes durch den Mund eines Ältesten
und Schriftgelehrten und verwies am Ende einem solchen Knaben seine unbesonnene
Keckheit.
2. Kapitel – Der geistreiche Jesusknabe im Tempel. Die Opfergabe des alten
Simon. Die Vorfrage. Die Rede des jüngeren Schriftgelehrten.
[DTT.01_002,01] Aber so ein recht geistreicher Knabe ließ darauf den Kopf noch
nicht hängen und sagte: „Alles Wirken in der großen Gotteswelt ist am Tage vom
hellsten Sonnenlicht erleuchtet, und selbst die Nacht ist nie so finster, daß
man gar nichts sehen sollte; warum muß denn gerade jene wichtige Lehre, die dem
Menschen den Weg zum wahren Heile klarst und hellst zeigen soll, so verworren
und keiner Seele verständlich gegeben sein?“
[DTT.01_002,02] Und der Knabe, der den Ältesten eben dieses eingewendet hatte,
war Ich selbst und brachte sie dadurch in eine große Verlegenheit, zumal Mir
alles anwesende Volk sehr recht zu geben anfing und sagte: „Beim Gott Abrahams,
Isaaks und Jakobs – dieser Knabe ist zum Verwundern gescheit, der muß noch
mehreres mit den Ältesten und Schriftgelehrten verhandeln! Wir wollen ihnen für
ihn ein bedeutendes Opfer in den Gotteskasten legen.“
[DTT.01_002,03] Ein sehr reicher Israelite aus Bethania (es war dies der damals
noch lebende Vater des Lazarus, der Martha und Maria) trat hervor und erlegte
für Mich ein Opfer von 30 Pfund Silber und etwas Gold bloß zum Behufe dessen,
daß Ich länger mit den Ältesten und Schriftgelehrten verhandeln durfte.
[DTT.01_002,04] Die Ältesten und Schriftgelehrten nahmen natürlich das große
Opfer nur gar zu gerne an, und Ich bekam dadurch ordentlich Luft, mit den
Ältesten in eine ganz außerordentliche und vorher aus sicherem Grunde nie
dagewesene Besprechung kommen zu dürfen.
[DTT.01_002,05] Aus dem Jesaias aber war schon die erste und die vorerwähnte
Vorfrage, deren äußerst mystisch-dunkle Beantwortung dann eben den Grund zur
folgenden gedehnten Verhandlung bildete, die wir nun werden folgen lassen. Wer
sie mit gutem und liebereinem Herzen lesen wird, der wird auch vieles aus ihr
für seine Seele und seinen Geist gewinnen.
[DTT.01_002,06] Bevor wir aber zu der größeren Verhandlung kamen, und weil Ich
die gut bezahlte Freiheit, zu reden, hatte, kehrte Ich zur Vorfrage zurück und
fing die Ältesten und Schriftgelehrten über die einzelnen Punkte derselben zu
befragen an.
[DTT.01_002,07] Die Vorfrage aber war genommen aus dem Jesaias, 7. Kapitel, 14.
Vers und 15. und 16. Vers dazu, und die Verse lauten: „So wird der Herr selbst
euch ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn
gebären, den wird sie Emanuel heißen. Butter und Honig wird er essen, daß er
wisse Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen. Aber ehe der Knabe lernt Böses
verwerfen und Gutes erwählen, wird das Land, davor dir grauet, verlassen sein
von seinen zwei Königen.“
[DTT.01_002,08] Der erstere Teil der Vorfrage bestand darin: wer die Jungfrau
und wer ihr Sohn Emanuel sei, und wann dies geschehen werde, daß solch ein Sohn
in die Welt geboren werde. Die Zeit müßte schon da sein, indem das Land Jakobs
schon seit mehreren Jahren seiner beiden Könige entsetzt sei und nun die Heiden
zum Herrn habe. Ob etwa nicht jener vor zwölf Jahren zu Bethlehem von der
Jungfrau Maria, die dem Zimmermanne Joseph angetraut war – noch nicht als Weib,
sondern als Pflegebefohlene nach dem alten Brauche des Tempels – in einem
Schafstalle geborene Knabe, dessentwegen die Weisen vom Morgenlande herbeikamen,
um ihn als den verheißenen großen König der Juden zu begrüßen, dem Anna und
Simeon im Tempel bei der Beschneidung ein großes Zeugnis gegeben haben, eben
jener Emanuel sei, von dem Jesaias geweissagt habe.
[DTT.01_002,09] Nun, auf diese nicht unbedeutende Vorfrage fing ein Ältester, so
ein recht herrschsüchtiger Knauser, ein verworrenstes Zeug zusammenzuschwätzen
an, das Ich gar nicht bekanntgeben will, weil er Mich daneben auch einen
schlecht erzogenen Knaben nannte, da Ich schon von einem
Aus-einem-Weibe-Geboren-werden etwas wüßte.
[DTT.01_002,10] Nur ein jüngerer, ein wenig menschlicher aussehender
Schriftgelehrter erhob sich dagegen und sagte, daß solches noch keineswegs auf
eine schlechte Erziehung hindeute, da besonders in Galiläa die Knaben eher reif
würden als in dem verkümmerten Jerusalem, wo nichts als Luxus und eine große
Verzogenheit der Kinder daheim sei. Man könnte Mir schon eine bessere Antwort
auf sein Gutstehen für Mich geben, denn er meine, daß Ich schon mit allen
Verhältnissen des menschlichen Lebens bestens vertraut sei. Man solle nur die
andern Knaben entfernen und mit Mir dann ganz männlich reden.
[DTT.01_002,11] Aber der Älteste brummte etwas in seinen Bart hinein, und Ich
fragte hernach den menschlicher aussehenden Schriftgelehrten bezüglich der
Geburtsgeschichte in Bethlehem. Aber auch dieser sagte so ganz weitwendig:
[DTT.01_002,12] (Der jüngere Schriftgelehrte:) „Ja, du mein lieber, recht holder
Knabe, mit jener glücklicherweise total verrauchten Geschichte, die in jener
Zeit viel von sich reden machte, ist nun und besonders in bezug auf die dunkle
Weissagung des Propheten Jesaias, der nur für seine Zeit in stets dunklen
Bildern weissagte, soviel als nichts! Denn die Alten haben sich, glaube ich, wie
ich es vernommen habe, nach dem Herodischen Kindermord von Bethlehem – bei
welcher Gelegenheit sicher auch ihr aus dem Morgenlande begrüßter König der
Juden geschlachtet ward – gar aus Judäa irgendwohin geflüchtet und leben
vielleicht gar nicht mehr; denn man hat nachher nichts mehr von ihrem Dasein
vernommen.
[DTT.01_002,13] Es mag immer etwas an der Sache gewesen sein, denn sie hat
damals viel Aufsehen gemacht; aber merkwürdigerweise ist wenige Jahre darauf
alles derart in das Meer der gänzlichen Vergessenheit gesunken, daß wohl kein
Mensch mehr nur mit einer Silbe irgendeine Erwähnung davon macht und es sich
auch nicht der Mühe lohnt, darüber ein Wort zu verlieren. Simeon und Anna sind
zwei bekannte alte Tempelschwärmer gewesen, die bei gar manchen Knaben ihre
messianischen Bemerkungen in einem mystischen Tone gemacht haben und dadurch
recht viele schwache Eltern ganz ordentlich verrückten.
[DTT.01_002,14] Als Gott dem Moses auf dem Sinai die Gesetze gab, da bebte
beinahe der ganze Erdkreis, und die Geschichte in der Wüste hat bei vierzig
volle Jahre gedauert, und es mußte da schon nahezu alle Welt die Allgewalt
Jehovas anerkennen. Um so mehr wird sich der in diese Welt kommende Messias, von
dem David sang: ,Machet die Tore weit und die Türen der Welt hoch, daß der König
der Ehren einziehe! Wer ist der König der Ehren? Es ist der Herr stark und
mächtig, der Herr mächtig im Streit! – Machet die Tore weit und die Türen der
Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe! Wer ist der König der Ehren? Es ist
der Herr Zebaoth, Er ist der König der Ehren!‘, sicher noch mehr die ganze Welt
erbeben machend zeigen!
[DTT.01_002,15] Und du, mein holder Knabe, wirst sonach wohl einsehen, daß es da
mit der Geburt in Bethlehem, die bereits ganz verschollen ist, bezüglich des
anzuhoffenden Messias wohl seine sehr geweisten Wege haben wird! Bedenke nur,
wie Ihn David angekündigt hat, und was man zuvor tun solle, so der große König
der Ehren aus den Himmeln zu den Juden kommen werde, und bedenke auch, daß da
alle Juden zuvor sicher mehrere Jahre werden von großen Propheten – wie von
Elias, der in jener Zeit dem Herrn der Ehren vorangehen wird – aufgefordert
werden, das ins Werk zu setzen, was der große König David anbefohlen hat, um
sich auf eine solch ungeheure Ankunft des allerhöchsten Gottes wohl
vorzubereiten!
[DTT.01_002,16] Denke du, holder Junge, darüber nur nach, und es wird dir dann
schon einleuchtend werden, daß ein Jehova Zebaoth nicht gar so leichten Kaufes
in die Welt kommen wird! Darum gehe nun und frage um derlei nicht wieder!“
[DTT.01_002,17] Darauf erst machte Ich die schon vorher bekanntgegebene
Bemerkung, die den reichen Mann aus Bethanien bewog, für Mich die große
Besprechungstaxe zu zahlen, um Mir zu ermöglichen, über die von Mir gegebene
Vorfrage weitere Einwendungen zu machen und Mich darüber auch noch weiter über
die auf den Messias lautenden Texte im Jesaias auszusprechen, denn er war einer
der wenigen, die nun den ,König der Ehren‘ nach Elias nicht mehr im Sturme oder
Feuer, sondern im sanften Windessäuseln erwarteten.
3. Kapitel – Des Jesusknaben Frage an die Schriftgelehrten: „Wer ist die
,Jungfrau‘ und wer ihr ,Sohn‘?“ Die gute Antwort der weisen Schriftgelehrten.
[DTT.01_003,01] Als Ich auf diese Weise Sprachluft bekommen hatte, sprach Ich zu
den Ältesten und Schriftgelehrten, die Mir bedeuteten, daß Ich nun reden solle
und fragen, um was ich wolle, und sie würden mir nun pflichtgemäß antworten. Und
so begann Ich wieder mit der gestellten Vorfrage und sagte: „Eure noch so sicher
scheinend gestellten Worte können das Meer nicht ruhen machen und den
rauschenden Winden nicht Stillschweigen gebieten! Nur ein Blinder merkt von den
Zeichen dieser Zeit nichts, und als Stocktauber kann er auch nicht vernehmen den
mächtigst dröhnenden Geschichtsdonner dieser allerdenkwürdigsten Zeit der ganzen
Erde. Während schon Karmel und Sion vor dem angekommenen König der Ehren ihr
Haupt geneigt haben und Horeb aus seinen hohen Zinken Milch und Honig fließen
läßt, wisset ihr, die ihr am ehesten davon wissen und das harrende Volk davon
benachrichtigen sollet, nicht eine Silbe!“
[DTT.01_003,02] Hier machten alle große Augen und sahen bald Mich und bald
wieder sich untereinander an und wußten nicht, was sie Mir erwidern sollten.
[DTT.01_003,03] Nach einer Weile sagte einer: „Nun so rede du weiter von dem,
was du davon weißt!“
[DTT.01_003,04] Sagte Ich: „Sicher weiß Ich, was Ich weiß; aber darum stellte
Ich keine Frage an euch, um Mir das von euch erläutern zu lassen, was Ich
ohnehin weiß, sondern nur, daß ihr es Mir zeigtet, wer des Propheten Jesaias
schwangere Jungfrau ist, von der eben der Sohn des Allerhöchsten soll geboren
werden! Warum wird sie Ihm den Namen ,Emanuel‘ (Gott mit uns) geben? – Warum
wird Er Milch und Honig essen, um zu verwerfen das Böse und zu erwählen das
Gute? Dieses müsset ihr als Schriftgelehrte denn doch verstehen, was der Prophet
unter der schwanger gewordenen Jungfrau, die den bezeichneten Sohn gebären
werde, bezeichnet hat!
[DTT.01_003,05] Ich bin denn doch der Meinung, daß an jener bethlehemitischen
Geburtsgeschichte etwas mehr ist, als ihr meinet, und daß jenes Elternpaar, der
bekannte Zimmermann Joseph aus Nazareth und dessen später zum Weibe angetraute
Jungfrau, samt dem zu Bethlehem geborenen Sohne noch ganz gut leben; denn sie
sind durch eine recht weise Vermittlung des damaligen römischen Hauptmannes
Kornelius der späteren Grausamkeit des alten Herodes entronnen und leben nun
ganz wohlbehalten zu Nazareth in Galiläa.
[DTT.01_003,06] Solches weiß Ich als ein Knabe von zwölf Jahren, und euch, die
ihr doch um alles wisset, sollte das unbekannt sein – zumal Joseph als einer der
tüchtigsten Zimmermeister noch alle Jahre für Jerusalem etwas zu machen bekommen
hat und ihr ihn gar wohl kennet, sowie dessen Weib, das eine Jerusalemerin ist
und bis zu ihrem vierzehnten Jahre im Tempel erzogen wurde? Ist sie nicht eine
Tochter der Anna und des Joachim, die nach euren chronischen Aufzeichnungen
wunderbarerweise zur Welt kam? Anna war schon hohen Alters, und ohne ein Wunder
wäre da an eine Befruchtung wohl nie zu denken gewesen!
[DTT.01_003,07] Nun, dieses Elternpaar samt dem neugeborenen Knaben lebte bei
drei Jahre lang, gleich nach der Flucht aus Bethlehem, wohl in Ägypten, und zwar
in der Nähe des Städtchens Ostrazine, nach der altägyptischen Sprache
Austrazhina, das soviel sagt als ,ein Schreckenswerk‘, also eine Feste, die
allen Feinden zu den Zeiten der Pharaonen den Tod brachte. Später haben die
mächtigeren Feinde des alten Ägypten diesen Schreckensort wie vieles andere
erobert, und es ist zu unseren Zeiten von dem einstigen Schreckensort und -werk
nichts geblieben als der alte, verkümmerte Name, dem die Römer freilich eine
andere Deutung gegeben haben als die alten Ägypter.
[DTT.01_003,08] Allein daran liegt nichts, sondern Ich führte dies Mir Bekannte
nur darum an, um euch den dreijährigen Aufenthaltsort des in Rede stehenden
Elternpaares näher zu bezeichnen. Von dort sollen sie nach einer geheimen
höheren Weisung wieder nach Nazareth heimgewandert sein, wo sie nun vollkommen
gottergeben in möglichster Zurückgezogenheit leben, obschon man sich dort von
dem Knaben, den sehr wohl zu kennen auch Ich die Ehre habe, eine Menge
Wunderdinge erzählt. Denn es gehorchen Ihm die Elemente sogar, und die wildesten
Tiere der Wälder und Wüsten fliehen vor seinem Blick ärger denn vor tausend
Jägern. Denn in dieser Hinsicht ist Er ein tausendfacher Nimrod! Und davon
solltet ihr im Ernste nichts wissen?! Saget es Mir aber ganz aufrichtig und
wahr, ob ihr wohl im Ernste von alledem nichts vernommen habt!“
[DTT.01_003,09] Sagte ein anderer Ältester, der von einem etwas besseren Sinne
beseelt war: „Ja, davon eben haben wir wohl schon etwas reden hören, wie auch,
daß der uns wohlbekannte Zimmermann mit seinem jungen Weibe Maria sich in
Nazareth für ständig aufhalte! Ob aber der Wunderknabe wohl derselbe ist, der
vor zwölf Jahren zu Bethlehem in einem Stalle geboren ward, das wissen wir nicht
und zweifeln auch sehr daran, daß dies derselbe ist! Und wie sollte jener Knabe
etwa gar der Emanuel des Propheten sein?“
[DTT.01_003,10] Sagte Ich: „So Er es aber nicht ist, woher rührt dann die Macht,
die Er über alle Elemente ausübt? Und wer ist des Propheten ,Jungfrau‘ und wer
der ,Emanuel‘?“
[DTT.01_003,11] Sagte der Reiche aus Bethanien: „Höret, dieser Knabe hat ja
einen Riesenverstand! Mir kommt es im Geiste vor, als ob er etwa gar ein junger
Elias wäre, den jener Wunderknabe aus Nazareth vor sich hersendet, um uns alle
auf den da seienden Emanuel des Propheten vorzubereiten! Denn wann hat je einer
von uns erlebt, daß außer Samuel ein Knabe von zwölf Jahren so weise geredet
hätte?!
[DTT.01_003,12] Daher müßt ihr mit diesem Knaben schon eine bündigere Rede
führen, sonst werden wir des Knaben nicht los! Den Propheten werdet ihr ihm
schon müssen auf eine hellere Weise erläutern und doch prüfen, wie es mit der
Jungfrau Maria, der wunderbarlichen Tochter des Joachim und der Anna, steht, die
am Ende alle ihre bedeutenden Güter dem Tempel vermachten, als sie starben.
Eigentlich nahm der Tempel dieselben als Lohn für die Erziehung der Tochter
Maria mit Gewalt als ein herrenloses Besitztum in eigentümlichen Beschlag.
[DTT.01_003,13] Was haltet ihr so ganz treu und wahr von jener Jungfrau? Wenn
von einem Propheten etwas zu halten ist, so wäre die von ihm genau bezeichnete
Zeit nun wohl da, und das Wundersame von der in Rede stehenden Jungfrau kann nun
nicht mehr geleugnet werden! So daran doch etwas wäre, da wäre es denn doch auch
verzweifelt frevelhaft von uns allen, so wir uns darum nicht tiefer und näher
erkundigen würden!“
[DTT.01_003,14] Sagte der ärgerliche Älteste: „Das verstehst du nicht und redest
davon, dem Knaben Vorschub leistend, wie ein vollkommen Blinder von der großen
Pracht der schönen Farben!“
[DTT.01_003,15] Sagte Ich dazwischen: „Es ist aber das wirklich eine sonderbare
Sache, daß ein Hungriger wähnt, daß da alles hungrig sei, was ihm nur
unterkommt! Ein dummer Mensch hält stets die andern Menschen für noch dümmer,
als er selbst ist. Für den Blinden ist jeder auch noch so scharf Sehende blind,
und für den Tauben ist ein jeder andere Mensch taub!
[DTT.01_003,16] Glaubst du alter Zornkopf, daß außer dir kein Mensch etwas
wissen kann? Oh, da irrst du dich sehr! Sieh, Ich bin nur ein Knabe und könnte
dir Dinge, die vollkommen wahr und richtig sind, erzählen und kundtun, von denen
deiner griesgrämigen Weisheit wohl nie etwas geträumt hat!
[DTT.01_003,17] Warum soll Mein reicher Simon aus Bethanien, der Indien,
Persien, Arabien, Ägypten, Spanien und Rom und Athen bereist hat, nicht auch
etwas wissen, wovon dir noch nie etwas in den Traum gekommen ist?! Wenn aber
also, mit welchem Rechte magst du ihn der Unwissenheit zeihen?! – Ich aber sage
dir, daß er ganz recht urteilt, und ihr solltet darum das tun, was er um sein
vieles Geld von euch verlangt!
[DTT.01_003,18] So jemand einen Knecht dingt für eine Arbeit, so muß der Knecht
das tun, wofür ihn der Herr gedungen hat. Will der Knecht das nicht, oder kann
er es nicht, so wird des Knechtes Herr etwa wohl das Recht haben, den bedungenen
Lohn von dem faulen oder ungeschickten Knechte zurückzuverlangen! – Ihr habt
euch gut zahlen lassen – und wollt dafür aber nichts tun, oder könnt es nicht!
Hat Simon nun nicht das Recht, seinen euch gegebenen Lohn von euch
zurückzufordern?“
[DTT.01_003,19] Sagte ein anwesender römischer, alles Rechtes kundiger Kommissar
und Richter: „Da seht einmal den Knaben an! Der ist ja ein vollendeter Jurist
und könnte sogleich ein Richter in allen streitigen Sachen sein! Seine
Rechtsaussage ist vollkommen in unseren Rechten begründet, und so Simon aus
Bethania das von mir verlangt, muß ich ihm offenbar das ,Exequatur!‘ geben!“
[DTT.01_003,20] Darauf trat er zu Mir hin, koste und herzte Mich und sagte zu
Mir: „Höre du, mein holdester, reichlockiger Knabe, ich bin ganz verliebt in
dich! Für dich möchte ich sorgen mit allen meinen Gütern und dich zu etwas
Großem erziehen!“
[DTT.01_003,21] Sagte Ich: „Daß du Mich lieb hast, weiß Ich recht wohl – denn in
dir schlägt ein treues, gutes Herz. Du kannst aber auch versichert sein, daß
auch Ich dich sehr liebe! Aber für Mein Fortkommen brauchst du dich nicht zu
sorgen, denn da ist schon Einer, der sich darum kümmert!“
[DTT.01_003,22] Es trat aber auch Simon von Bethanien zu Mir und fragte Mich
ganz erstaunt: „Sage mir, du mein schönster, liebster und holdester Knabe, woher
du es erfahren hast, wie ich heiße, und wo ich überall schon gewesen bin!“
[DTT.01_003,23] Sagte Ich: „Oh, es wundere dich dessen ja nicht, denn so Ich
irgend etwas wissen will, so liegt das schon so in Meiner Natur, daß Ich es
weiß! Das Wie würdest du jetzt wohl noch nicht fassen! – Aber nun wieder zur
Sache und zu unserer ,Jungfrau‘! Wollet ihr Priester und Schriftgelehrten dies
näher beleuchten oder nicht?“
[DTT.01_003,24] Sagte einer der helleren Köpfe aus der bedeutenden Anzahl der
Ältesten: „Ja, ja, es wird sich das schon nicht anders machen, als daß wir dem
Knaben ganz reinen Wein einzuschenken anfangen, und so erklärt ihm denn seinen
Jesaias nach der Entsprechungslehre der Kabbala, und er wird dann keinen Ausweg
zu einer weiteren Frage mehr haben!“
[DTT.01_003,25] Darauf trat ein weisest seiender Schriftgelehrter auf und sagte:
„Nun, du wißbegieriger Junge, nimm deine Sinne denn zusammen und höre und fasse:
Unter der ,Jungfrau‘ verstand der Prophet nicht etwa eine Jungfrau aus Fleisch
und Blut, sondern die Lehre nur, die Gott durch Moses den Kindern dieser Welt
gab. Im engsten Sinne stellen wir Priester nun diese Lehre und das Gesetz
lebendig vor.
[DTT.01_003,26] Wir aber, als das Wort Gottes lebendig, sind voll der besten
Hoffnung, daß diese Lehre nun in die ganze Welt von uns hinausgeboren wird und
erquicken wird die Heiden. Und diese lebendige, wahrhafte Hoffnung ist die vom
Propheten gemeinte Schwangerschaft der Jungfrau; der Sohn aber, den sie gebären
soll und wird, sind eben die Heiden alle, die unsere Lehre annehmen werden, und
diese werden dann sagen und also benannt werden: ,Emanuel‘, d.i. ,Gott ist auch
mit uns!‘ Und solches geschah schon vor uns und geschieht nun um so lebendiger
und eifriger!
[DTT.01_003,27] Aber dieser Sohn werde Honig und Milch essen und verwerfen das
Böse und erwählen das Gute. Unter ,Honig‘ verstand der Prophet die reine Liebe
und das wahre Gute aus ihr, und unter ,Milch‘ verstand er die Weisheit aus Gott,
die dem Menschen zuteil wird durch die Befolgung der Lehre und des Gesetzes; und
hat man die Liebe und die Weisheit aus Gott sich lebendig zu eigen gemacht, so
verabscheut man dann auch frei aus sich alles Böse und will und erwählt das
Gute!
[DTT.01_003,28] Siehe, du mein lieber Junge, also verhält es sich der innersten
Weisheit und Wahrheit zufolge mit der Propheten geistigen Worten und Sprüchen
und Reden! Sie haben alle nur einen inneren, geistigen Sinn, der aber nur für
den wahrhaft Schriftgelehrten aus den materiellen Symbolen und Bildern durch die
treue und wahre Lehre der Entsprechungen herauszufinden ist. Ein Laie kann das
nicht – und könnte er es, so wären alle hohen Schulen ganz überflüssig und Moses
hätte keine Not gehabt, für die Verwaltung der Lehren und der Gesetze Gottes
eigene Priester und Gelehrte aufzustellen! – Verstehst du nun diese allein wahre
und richtige Auslegung deines von dir nicht verstandenen Propheten?“
4. Kapitel – Des Jesusknaben nochmaliges Verlangen, seine Vorfrage über
Jes.9,5-6 beantwortet zu wissen.
[DTT.01_004,01] Sagte Ich: „O ja, das, was du nun ganz gut dargestellt hast,
habe Ich schon lange gewußt, und du hättest dir füglichermaßen die ernste Mühe
ersparen können, Mir solches kundzutun. Ich bleibe nun einmal dabei stehen und
lasse die Jungfrau Maria nicht aus den Augen!
[DTT.01_004,02] Warum sagte denn der Prophet (Jes.9,5-6): ,Uns ist ein Kind
geboren, ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft auf seinen Schultern ist,
und Er heißt: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf daß
seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhle Davids und
in seinem Königreiche, daß Er es zurichte und stärke mit Gericht und
Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit! – Solches wird tun der Eifer des Herrn
Zebaoth.‘
[DTT.01_004,03] Was ist das für ein Kind, und was ist das für ein Sohn, der uns
gegeben ist? Sollte das nicht etwa doch jener zu Bethlehem in einem Stalle
geborene Knabe sein? Denn es heißt auch: ,Zu Bethlehem in einem Stalle wird den
Juden ein König geboren werden; der wird ein neues Reich gründen, dessen ewig
kein Ende sein wird!‘ – Wie verstehst du Kabbalist dies alles?“
[DTT.01_004,04] Wirrsam sahen alle einander an und sagten: „Aber von wo hat denn
der Knabe sich die Schrift so zu eigen gemacht? Es bestehen im ganzen nur höchst
wenige Abschriften und vollkommene nur kaum zehn, und von diesen wissen wir, wo
sie sind, und es kommt kein Laie in ihre Nähe. Die Samariter besitzen zwar wohl
noch eine elfte, die aber falsch ist und eine Menge Zusätze enthält, die reine
morgenländische Dichtung sind.“
[DTT.01_004,05] Hierauf fragte Mich ein Scharfbissiger: „Nun sage du dieses mir,
was ich dich fragen werde: Von woher und seit wann hast du dir die so vollendete
Kenntnis der Schrift und namentlich der Propheten zu eigen gemacht?“
[DTT.01_004,06] Sagte Ich: „Darüber Mich zu befragen, hast du ebensowenig ein
Recht, als Ich dich zu fragen, woher es komme, daß du als Priester dir die
Schrift noch gar nicht zu eigen gemacht hast – weder im Worte und noch um vieles
weniger in der Tat! Gib mir Antwort auf das, was Ich frage, und wofür dir
gezahlt worden ist! Um alles andere hast du dich wenig oder gar nicht zu
kümmern, denn dich hat es nichts gekostet, weder eine Mühe noch eine Zeit, noch
eine allergeringste Sorge oder irgend ein anderes Opfer.
[DTT.01_004,07] Übrigens gereicht es euerm Lehramte durchaus zu keiner
besonderen Ehre hier in Jerusalem, wenn euch die sichtliche Bildung eines Knaben
aus Galiläa eine so große Bewunderung abnötigt, denn dadurch zeigt ihr ja an,
daß eure Knaben hier in der Bildung kaum ein wenig über dem Tierreich stehen!“
[DTT.01_004,08] Auf diese Meine ein wenig stark aufgetragene Bemerkung fängt der
römische Kommissar laut zu lachen an, auch Simon kann sich des Lachens nicht
völlig erwehren. Der scharfbissige Bemerker aber tritt ab und läßt sich im
Hintergrund ganz verdrießlich nieder auf eine Bank.
[DTT.01_004,09] Darauf sagte ein Oberster der Synagoge von Bethlehem, der da
auch im Tempel bei der Knabenprüfung zugegen war: „Ich sehe schon, daß ich da
werde Rat zu schaffen anfangen müssen, sonst werden wir mit diesem Knaben nicht
fertig! Er hat nun ein erkauftes Recht, uns eine Woche lang zu fragen; wir
müssen ihm zur Rede stehen, ob wir wollen oder nicht! Macht er uns schon mit
seiner Vorfrage soviel zu schaffen, so dürfen wir uns erst auf seine Nach- und
Hauptfragen gefaßt machen!
[DTT.01_004,10] Verstand hat er genug und natürlichen Witz auch in Menge, und
wir werden mit ihm nicht aufkommen, so wir nicht das wollen, was er will. Er
will einmal einen wahren Sachverhalt über die eben vor zwölf Jahren erfolgte
Geburt eines Knäbleins in einem Schafstalle bei Bethlehem haben, und diese kann
ich ihm verschaffen, weil ich damals schon, so wie noch heutzutage, der Oberste
der dortigen Synagoge war!“
5. Kapitel – Die Rede des Obersten der Synagoge von Bethlehem und des
Jesusknaben Antwort. Der mißlungene Störungsversuch des alten stolzen
Pharisäers.
[DTT.01_005,01] Hierauf wandte sich der Oberste an Mich und sagte: „Nicht wahr,
du willst alle die Daten und Erscheinungen jener denkwürdigen Geburt zu
Bethlehem von uns genauest erfahren?“
[DTT.01_005,02] Sagte Ich: „Oh, damit kannst du dir auch gar fein die Mühe und
Arbeit ersparen, denn alles ist Mir so getreu und wahr bekannt wie keinem von
euch! Ich will von euch nach alledem, was sich damals in Bethlehem zugetragen
hat, nur erfahren, ob und in welchem Zusammenhang ihr das mit den Aussagen aller
Propheten findet, und namentlich mit den Aussagen des Jesaias. Um das handelt es
sich und um sonst gar nichts, Meine Ältesten!“
[DTT.01_005,03] Spricht der Oberste aus Bethlehem: „Ja, du mein lieber, holder
Junge, siehe, du verlangst da Dinge von uns, die wir dir sehr schwer oder auch
gar nicht zu geben imstande sind!
[DTT.01_005,04] Es ist schon wahr, daß zwischen den Aussagen des Propheten
Jesaias und jener vor zwölf Jahren zu Bethlehem erfolgten Geburt in einem Stalle
– eines auch von einem Propheten bezeichneten Ortes – eine Art Zusammenhang
unfehlbar zu suchen und eben auch nicht unleicht zu finden ist; aber, mein
Lieber, wieviel Ähnliches mag schon seit den Zeiten des Propheten Jesaias
dagewesen sein, und noch ist von einem Emanuel leibhaftig keine Spur!
[DTT.01_005,05] Judäa war sozusagen schon mehrmals königlos, und so manche
Jungfrau gebar bei Bethlehem in irgendeinem Stall ein Knäblein, und manchmal
sogar unter – obschon nur zufällig – großer Zeremonie, die aber nur als ein
Naturereignis für sich allein dastand.
[DTT.01_005,06] Schwache und abergläubische Menschen unter Zutritt
gewinnsüchtiger Magier aus Indien und Persien, und Sterndeuter, an denen es bei
uns noch nie einen Mangel gab, haben so etwas zu benützen gewußt. Mit den Sagen
der Propheten vertraut, benutzten sie stets solche besonderen Gelegenheiten und
verkündeten den blinden Juden mit ernsten Prophetenmienen, wie nun ihr erhoffter
Messias unfehlbar zur Welt geboren worden sei.
[DTT.01_005,07] Aber die Zeit, die unerbittliche Zerstörerin aller menschlichen
Werke und Sagen und Dichtungen, hat die Nachkommen stets wieder eines andern und
Bessern belehrt. Alles versank in die bodenlose Tiefe der stets größeren
Vergessenheit, und auf uns kam nichts Weiteres als eine eitle Sage in einer
möglichst großen Verwirrtheit! Die Aussagen der Propheten sind mystische Bilder,
an denen die Menschen noch Hunderte von Jahren nagen werden; aber schwerlich
wird ein Volk zu einer Lösung auf dieser Erde gelangen.
[DTT.01_005,08] Und siehe, du mein holder Knabe, ebenso steht es mit der vor
zwölf Jahren erfolgten wunderbaren Geburt zu Bethlehem als dem mir nur zu
wohlbekannten Orte, der eben darum, weil ihn die Propheten so ausgeschrien
haben, stets von allerlei Magiern, Sehern und Sterndeutern umschwärmt wird, ob
sich dort nicht etwa irgend etwas ereignen würde, das sie zu ihrem Nutzen
ausbeuten könnten. Die Geburt vor zwölf Jahren war ein Hauptwasser auf ihre
trocknen Felder.
[DTT.01_005,09] Die drei Magier aus Persien haben um ihre der Jungfrau
dargebrachten Geschenke mir wohlbewußtermaßen eine Menge Schafe, Kälber, Kühe
und Ochsen zum Gegengeschenk von den Hirten bekommen und haben ihre Reise sicher
nicht umsonst gemacht. Doch nun sind erst zwölf Jahre seither verflossen, und
schon gedenkt kein Mensch mehr jener Geschichte!
[DTT.01_005,10] Daß du uns aus dem Schwärmerland Galiläa diese Geschichte wieder
vorbrachtest, wundert mich nicht im geringsten, denn Galiläa war ja stets das
Land der Schwärmerei, aus welchem Grunde es auch schon von den Alten als ein
Land bezeichnet wurde, aus dem nimmer ein wahrer Prophet kommen kann.
[DTT.01_005,11] Damit, mein holder Junge, glaube ich auch deine sogenannte
Vorfrage ganz beantwortet zu haben! Es kann wohl sein, daß einstens einmal
Jehova den jetzt sehr bedrängten Juden einen Helden erweckt, der sie wieder zu
einem freien Volke erheben wird; aber dazu ist eben jetzt nach der ganz
natürlichen Lage der Dinge nicht die geringste Aussicht vorhanden.
[DTT.01_005,12] Wie müßte ein Held etwa aussehen, und von woher müßte er
gekommen sein, der es mit der ungeheueren Macht der Römer aufnehmen könnte?! Das
kann vielleicht in tausend Jahren einmal geschehen, wenn zufällig allen andern
Weltgroßmächten gleich auch Rom locker und schwach wird, aber jetzt ist dazu
wohl noch lange keine Aussicht vorhanden, und deine berührte Vorfrage geht da
offenbar ins Blaue der Luft über, was soviel sagen will als: sie handelt vom
Nichts und geht auch ins vollkommene Nichts über. – Bist du nun endlich im
klaren mit der Vorfrage?“
[DTT.01_005,13] Sagte Ich: „Ja, ja, so du alles nach dem diesweltlichen Maße
nimmst, da magst du recht haben. Aber hier ist nur ein geistiges Maß anzunehmen,
von dem du aber keinen Begriff zu haben scheinst, und so hast du Mir mit deiner
ganzen, erfahrungsreich sein sollenden Rede am Ende in bezug auf Meine Vorfrage
dennoch soviel wie gar nichts gesagt!
[DTT.01_005,14] Denn so der Messias kommen wird, wird er kein materielles,
sondern nur ein geistiges Reich auf Erden gründen, und dieses Reiches wird kein
Ende sein in Ewigkeit, wie solches auch der Prophet Jesaias von dem kommenden
Messias geweissagt hat.
[DTT.01_005,15] Was ist aber ein geistiges Reich auf Erden? – Das ist kein Reich
mit einem äußerlichen Schaugepränge, sondern das muß inwendig im Menschen sich
offenbaren, und ein Mensch, der in dieses wahre Gottesreich auf Erden unter den
Menschen gelangen wird, der wird sein ein wahrhaft lebendiger und wird den Tod
nicht sehen noch fühlen und schmecken in Ewigkeit, wie solches David, Daniel und
Jesaias geweissagt haben.
[DTT.01_005,16] Wenn es sich mit dem verheißenen Messias nun also und niemals
anders verhalten kann, wie und aus welchem Grunde sollte denn jene überaus
wunderbare Geburt zu Bethlehem ganz so bedeutungslos dastehen?!
[DTT.01_005,17] Gott hat jenes Kind wunderbar vor der mörderischen Hand des
Herodes beschützt, und es lebt heutzutage, freilich höchst zurückgezogen, und
steht, wo es sein muß, in einer allen Elementen gebietenden Kraft da, wie solche
nur einem Gott möglich sein kann. Niemand kann sich vor Ihm verbergen; verbirgt
es sich aber vor den anderen Menschen, so ist es aber dann niemandem möglich, es
eher zu finden, als es sich ganz freiwillig finden läßt.
[DTT.01_005,18] Es hat nie Lesen und Schreiben gelernt, und dennoch gibt es
keine Schrift in der Welt, die es nicht lesen könnte, und schreibt in allen
Zungen und ist bewandert in allen Künsten, die nur irgend in der Welt vorhanden
sein können, und hat eine Kraft, vor der die Berge zittern und die mächtigsten
Zedern ihre Häupter bis zur Erde herab beugen, und selbst Sonne, Mond und Sterne
scheinen zu gehorchen seinem Willen! – Was Ich hier sage, ist keine
Übertreibung, sondern eine ganz buchstäbliche Wahrheit!
[DTT.01_005,19] Wenn aber genau also und nicht anders, da meine Ich denn doch,
daß es von eurer Seite der Mühe wert wäre, euch näher danach zu erkundigen und
darüber nachzusehen in den Propheten, ob die Weissagung des Jesaias nicht
übereinstimme mit den bewußten Eltern des Kindes, mit dem Kinde selbst, mit
seiner Geburt, mit dem Geburtsorte, mit der Zeit, mit seinem jetzigen
Aufenthalte und mit so manchen Zeichen, die es schon bis jetzt von sich gegeben
hat!
[DTT.01_005,20] Diese an sich gewiß nicht unwichtige Sache sollte von euch
Priestern, Weisen, Schriftgelehrten und Ältesten des Volkes doch nicht ganz so
unbeachtet bleiben, da ihr doch jene Stellen im Volke bekleidet, von denen das
Volk die offene Kundgabe der Ankunft des ihm verheißenen Messias allein und mit
allem Rechte zu erwarten hat. – Ich rede um Mein teuer erkauftes Recht, und es
steht niemandem zu, Mich schweigen zu heißen! Da steht der römische Richter, dem
allein ein solches Recht zusteht!“
[DTT.01_005,21] Ich würde diese Berufung an den Richter nicht gemacht haben,
wenn Mich im Flusse Meiner Rede nicht ein alter, gar stolzer Pharisäer zu
schweigen ermahnt hätte, daß dies Dinge wären, über die ein naseweiser Sauhirte
aus Galiläa durchaus nicht zu urteilen habe.
[DTT.01_005,22] Aber der Richter, der ganz auf Meiner Seite war, verwies
ernstlich dem Pharisäer seine Grobheit und gebot ihm, mit solch einer gemeinen
Herrschsprache in seiner Gegenwart nicht mehr zum Vorschein zu kommen. Denn
Meine Kundgabe über den bei Nazareth wohnenden Wunderknaben sei wichtiger auch
für die Römer, als ihr ganzer abgenützter und schon sehr fadensichtig gewordener
Judenkram. Er sagte den Pharisäern trocken ins Gesicht:
[DTT.01_005,23] „Eure Lehre bedarf wie keine auf der weiten Erde einer
gänzlichen Reformation, sonst hält sie sich wahrlich keine fünfzig Jahre mehr!
Denn wie eure Gotteslehre und euer Gottesdienst nun bestellt sind, da sind Roms
Bacchanalien eine wahre Sonne dagegen, obwohl sie als eine Verehrung eines
höheren Gottwesens als eine wahre Mißgeburt des Menschenverstandes dastehen!
[DTT.01_005,24] Du, holder Knabe, aber rede nur ganz beherzt weiter! Es darf dir
kein Leid zugefügt werden, denn in dir scheint mehr Verstand zu sein als in
diesem ganzen Tempel! Daher nur fortgeredet, mein holder Knabe!“
6. Kapitel – Des jungen Leviten gutachtliche Äußerung. Die verächtliche Rede des
Hochpriesters über den Zimmermannssohn von Nazareth.
[DTT.01_006,01] Es trat aber ein junger Pharisäer vor, der eigentlich noch ein
Levite war, und bat um die Erlaubnis, hier ein paar Worte reden zu dürfen. Der
Richter erlaubte ihm das mit dem Bemerken, gelassen und verständig zu reden.
[DTT.01_006,02] Da nahm der Levite das Wort und fing also zu reden an, sagend:
„Ich stamme aus Galiläa, und zwar aus der Nähe von Nazareth, und ich kann mich
nun erinnern, von jenem Wunderknaben so manches gehört zu haben, von dem eben
dieser Knabe eine durchaus nicht unbeachtenswerte Anzeige gemacht hat. Ich kann
zwar nicht behaupten, ihn persönlich kennengelernt zu haben; aber erzählen habe
ich von ihm oft und vieles gehört.
[DTT.01_006,03] Ich erkundigte mich wohl, so gut es gehen konnte, nach seinen
Eltern und vernahm, daß sein Vater ein Zimmermann namens Joseph sei und dessen
zweites Weib Maria heiße, und daß beide in der geraden Primogeniturlinie
(Erstgeburtslinie) von David abstammen. Und es ginge das demnach mit der Aussage
der Propheten zusammen.
[DTT.01_006,04] Ich bin sonach der Meinung, daß es doch der Mühe sich lohnte,
diese namentlich uns Juden sehr nahe angehende Sache einer näheren Prüfung zu
unterziehen. Jedoch, ich habe da nichts anzuordnen, sondern bloß in aller Demut
meine Meinung kundzutun, da ich solches als meine Pflicht ersehe; alles weitere
geht nur den hohen Tempelrat an. – Ich habe in aller Demut geredet.“
[DTT.01_006,05] Da erhob sich ein Hochpriester und sagte: „Was soll der Tempel
auf die Aussage eines wahnwitzigen Knaben?! Da müssen dem Tempel höhere Indizien
gemacht werden! Derlei Reden waren unter dem Judenvolke schon oft da, und es
sind auch sogar offenbare Wunder geschehen, und dennoch war da von einem Messias
späterhin keine Spur zu entdecken!
[DTT.01_006,06] Wie lange ist es denn, als Zacharias als Hoherpriester dem
Tempel vorstand?! Dessen Weib Elisabeth gebar ihm, schon im hohen Alter stehend,
einen Sohn, was ihm von einem Engel, als er im Tempel opferte, angezeigt wurde.
Zacharias konnte dieser Anzeige keinen Glauben geben, da sein Weib dafür zu alt
war. Da ward er dafür so lange mit Stummheit geschlagen, bis sein Weib gebar.
Als zu ihm aber eines Tages die Kunde in den Tempel kam, daß ihm sein Weib einen
Sohn geboren hatte, und er befragt ward, wie der Sohn genannt werden solle, da
ward ihm die Zunge gelöst, und er sprach: ,Johannes!‘ Und siehe, es war dies
eben der Name, den ihm zehn Monde früher der Engel des Herrn gegeben hatte!
[DTT.01_006,07] Zacharias aber fragte den Engel: ,Was soll aus dem Knaben
werden? Laß mich erkennen des Herrn Willen!‘
[DTT.01_006,08] Der Engel aber sprach: ,Dieser ist es, von dem Jesaias also
sprach: ,Er wird sein die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem
Herrn den Weg, und machet eben dessen Fußsteige! Alle Täler sollen voll werden,
und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was krumm ist, soll
richtig werden; was aber uneben ist, soll werden ein schlichter Weg! Und alles
Fleisch wird sehen den Heiland Gottes!‘‘
[DTT.01_006,09] Man forschte damals näher nach und fand bald, daß der
herrschsüchtige Zacharias sich nur dadurch mit geheimer Hilfe der Essäer habe
eine erbliche geistige Dynastie gründen wollen. Er ward deshalb von dem Arme der
Gerechtigkeit ergriffen und für solchen Frevel mit dem Tode bestraft.
[DTT.01_006,10] Wo ist nun jene große Messiashoffnung hingekommen? Kein Mensch
denkt mehr daran! Alles ist vor dem Tempel, der von Jehova für alle Zeiten der
Zeiten ist geheiligt worden, wie ein schwacher Pfützendunst vor der Macht der
Sonne in Nichts zerronnen! Und doch ging jene Geschichte vom Hohenpriester
selbst aus. Da sie aber unlauter war und das Heiligtum Gottes zu verunreinigen
drohte, so hat der Herr auch nicht gesäumt, den Frevel zur rechten Zeit zu
züchtigen.
[DTT.01_006,11] Wenn aber schon jene sehr denkwürdig aussehende Geschichte ein
solches Ende nahm, wie würde sich dann erst des Zimmermanns Joseph
Messiasgeschichte vor dem Tempel ausnehmen, hinter der nichts als irgendwelche
essäische und indomagische Betrügereien stecken! Der Knabe soll nur vor unseren
allsehenden Augen seine Wunder produzieren, und wir werden es dem dummen Volk
dann wohl zu erklären verstehen und enthüllen seinen vermeintlichen Messias!
[DTT.01_006,12] So dieser kommen wird, werden zuvor vor aller Welt Augen große
Zeichen geschehen am Firmamente. Alsdann erst wird der große Erwartete kommen,
mit aller Macht der Himmel ausgerüstet, zu erlösen sein Volk von der Macht der
Heiden, und wird fürder sein ein Herr und König über alle Lande der Erde, und
die Kinder Abrahams werden sein Volk sein und bleiben in Ewigkeit!
[DTT.01_006,13] Wer dieses weiß wie unsereiner aus den Büchern der alten
Weissagungen über die Ankunft des Messias, der kann doch unmöglich glauben, daß
Gott, der seine allzeitige Ankunft auf überaus großartige Weise vor den Augen
der Menschen und aller Kreatur betätigte, nun so unscheinbar und sogar als ein
uneheliches Kind in diese Welt als ein schwacher Mensch, uns gleich dem Tode
untertan, kommen werde!
[DTT.01_006,14] Denn wir wissen es ja, daß des Joachim Tochter Maria eher
schwanger wurde, als sie dem Joseph als Weib im Tempel angetraut ward. Das
Fräulein war dem bekannten Baukünstler aus dem Stamme Davids anfänglich zur
Pflege gegeben, und nur, um ihn nicht zugrunde zu richten, hatte man freundlich
geraten, das Fräulein, bevor die Sache dem Volke ruchbar werde, zum Weibe zu
nehmen und somit den Fleck zu verwischen.
[DTT.01_006,15] Jener Knabe aber ist und bleibt dennoch ein Unehelicher, und es
kann dadurch desto weniger Möglichkeit vorhanden sein, daß er je ein verheißener
Messias werden könnte, und möchte er durch seine erlernten Zauberkünste auch
alle Berge zu versetzen imstande sein!
[DTT.01_006,16] Aus dem wird hoffentlich doch ein jeder noch so Schwachsinnige
ersehen können, was irgend möglich und was hier nach der Gestalt der Sache rein
unmöglich ist und sein muß!“
7. Kapitel – Des Jesusknaben Antwort auf des Hohenpriesters Rede. Von der
Mission des Sohnes des Zacharias und von der Wundermacht des Zimmermannssohnes.
[DTT.01_007,01] Sagte der Richter zu Mir: „Nun, was sagst du, holder Knabe, zu
dieser allerdings äußerst triftigen Rede des Hochpriesters?“
[DTT.01_007,02] Sagte Ich: „Was sollte Ich anders dazu sagen als: Entweder hat
er recht, und der Prophet ist ein Lügner und hat somit kein Recht, oder das
Unrecht fällt auf den Hohenpriester zurück, und der Prophet hat dennoch recht!
Beide aber können unmöglich recht haben, da der Hochpriester gerade das
Gegenteil von dem behauptet, was da der Prophet von der Ankunft des Messias
geweissagt hat!
[DTT.01_007,03] So der Prophet spricht: ,Siehe, eine Jungfrau – also kein Weib –
ist schwanger und wird einen Sohn gebären; den wird sie Emanuel (d.h. ,Gott mit
uns‘) heißen!‘, wie behauptet dann der Hohepriester, daß der Messias nur unter
den großartigsten Zeichen am Firmamente als ein allmächtigster Kriegsheld und
als ein schon gemachter König über alle Völker der Erde rein vom Himmel herab
unter dem größten Himmelsglorienpompe auf diese Erde zu den Menschen kommen
werde?! Wenn es so wäre, was gewönnen da wohl die armen, schwachen Menschen, die
voll der höchsten Furcht über die Erwartung der Dinge, die da kommen werden,
mehr denn zur Hälfte verschmachten müßten?!
[DTT.01_007,04] Ich möchte da schier behaupten, daß solch eine Messiasankunft
auch den Herren des Tempels sehr ungelegen käme und ihnen am Ende dennoch lieber
wäre des Messias Ankunft auf jene bescheidene, höchst anspruchslose Weise, wie
sie eben der Prophet Jesaias beschrieben hat!
[DTT.01_007,05] Es meinte aber der Hochpriester zuvor, daß die etwas wunderbare
Geschichte mit dem Sohne des Zacharias, der eben von den Priesterhänden zwischen
dem großen Opferaltare und dem Allerheiligsten ist erdrosselt worden, ganz zu
Ende ist und niemand mehr daran denke.
[DTT.01_007,06] Ich aber sage, daß sie noch lange nicht zu Ende ist, als wie es
diese Herren meinen, und es wird die Zeit ehest kommen, wo derselbe Johannes wie
ein mächtiger Blitz unter sie fahren und ein großes Gericht halten wird unter
ihnen. Seine Worte werden schärfer sein für euch denn die allerschärfsten
Pfeile!
[DTT.01_007,07] Und wie die Geschichte des eben in Rede stehenden Johannes, so
und als ein noch ärgeres Gericht wird jener Wunderknabe aus Nazareth über euch
kommen und euch zeigen seine volle göttliche Herrlichkeit, aber etwa nicht zu
eurer Auferstehung, sondern zu eurem Falle!“
[DTT.01_007,08] Hier machte der Hochpriester zornige Augen und sagte: „Woher
weißt du denn das, du wahnwitziger Knabe? Wer hat dir in solchen Dingen den Kopf
also verwirrt gemacht, und wer bist du denn, daß du es wagst, uns solche Dinge
so keck zu sagen?“
[DTT.01_007,09] „Ich bin, der Ich bin, und woher Ich kam, das habt ihr
aufgezeichnet. Was fragt ihr denn weiter, wer und woher Ich sei?! Zudem habe Ich
es euch ja ohnehin schon gesagt, daß Ich aus Galiläa und eben auch aus Nazareth
gekommen bin und daher den in Rede stehenden Knaben überaus gut kenne und
durchaus nicht so dumm bin, um nicht die Taten eines Magiers – wenn auch sogar
aus Indien – von jenen des Wunderknaben zu unterscheiden.
[DTT.01_007,10] Mache Mir von euch jemand aus Lehm zwölf Sperlinge und belebe
sie bloß durchs Wort, daß sie dann auffliegen und gleich den andern sich ihre
Nahrung zu suchen anfangen und fortleben!
[DTT.01_007,11] Wer von euch vermag wohl einem sich zu Tode gefallenen und ganz
zerschmetterten Knaben augenblicklich durchs bloße Wort das Leben wiederzugeben
und ihn leiblich vollkommen wieder zu heilen?!
[DTT.01_007,12] Wer von euch vermag dem Blitze zu gebieten, daß er dorthin und
dahin fahre und erschlage eine Hyäne, die einer Mutter ihr einziges Kind raubte
und damit dem Walde zueilte?!
[DTT.01_007,13] Wer von euch kann dem Sturme, wie jener Knabe, gebieten bei
einer großen nächtlichen Windstille und bei einer Gelegenheit, wo einigen
Städten und Flecken eine große Gefahr durch eine zahlreiche Raubmörderhorde
drohte, die nächtlicherweile auf einem großen Schiffe sich Kapernaum nahte, bei
zweihundert Mann stark, die bis an die Zähne bewaffnet waren?!
[DTT.01_007,14] Der bewußte Knabe, der zur selben Zeit mit seinem Vater sich
gerade in Kapernaum befand, rettete den ganzen Ort! Denn auf sein Wort erhob
sich plötzlich einer der fürchterlichsten Seestürme, trieb das Schiff mit
Pfeilesschnelle weit vom Ufer hinein in die hohe See, wo das ganze Schiff durch
den zu mächtigen Wogenschlag zerstört wurde und mit all den zweihundert
Raubmördern unterging.
[DTT.01_007,15] Das und viele derlei Taten hat jener Knabe schon verübt allzeit
zum Wohle der irgend bedrängten Menschheit, und noch nie hat es jemand erlebt,
daß er darum von jemand irgendeinen Lohn verlangte. Daß aber das keine
Erdichtungen von Mir sind, dafür möget ihr zum Steuer der vollsten Wahrheit ganz
Nazareth und Kapernaum zur Zeugenschaft anrufen.
[DTT.01_007,16] Wenn aber also, ist da jener Knabe wohl nur schlechtweg ein
eingelernter Zauberer, oder tut Er alles das nur aus der Ihm in aller Fülle
innewohnenden Gotteskraft? Oder erklärt es nun Mir, wie und mit welchen Mitteln
der Knabe etwa nach eurer Kenntnis und Weisheit solches zustandebringt!
[DTT.01_007,17] Meine Vorfrage habt ihr Mir schlecht beantwortet. Wir werden nun
sehen, was ihr auf diese Hauptfrage für eine Antwort bringen werdet, und wir
werden dann auf die Vorfrage schon wieder zurückkommen und sie selbst zu einer
Hauptfrage machen! Redet aber behende, denn der Tag neigt sich, und wir werden
uns dann wohl um ein Abendmahl umzusehen anfangen!“
8. Kapitel – Die Drohung des Hochpriesters und des römischen Richters strenge
Verwahrung dagegen.
[DTT.01_008,01] Sagte der Hochpriester: „Wenn jener Knabe ohne unser Wissen und
ohne Einwilligung des Tempels also eigenmächtig im Ernste solche Dinge
verrichtet, da liegt es ja klar am Tage, daß er vom Beelzebub, dem Obersten
aller Teufel, besessen ist! Mit Gotteskraft geht das niemals außerhalb des
Tempels! Welche sittliche Reinheit gehört dazu, um der göttlichen Kraft
teilhaftig zu werden, und das kann man nirgends anderswo als allein nur im
Allerheiligsten des Tempels nach der Lehre Mosis und aller Propheten!
[DTT.01_008,02] Wer das weiß aus der Schrift, weiß auch, was es mit derlei
Wundern außer dem Tempel für eine Bewandtnis hat! Da ist es sogar eine
unerläßliche Pflicht des Tempels, solche Kinder und Menschen von der Erde um
jeden Preis zu vertilgen! Und sollte sich es infolge unserer späteren
Nachforschungen bewähren, was du von dem Knaben aussagtest, so wird auch er als
ein Verbündeter des Beelzebub von der Erde vertilgt werden !“
[DTT.01_008,03] Sagte der Richter: „Das war bei euch wohl ehedem die von euch
selbst kreierte (gemachte) Sitte – aber seit wir Römer als eure Herren und
Gebieter dastehen, wird so etwas kaum mehr geschehen; denn das Schwert der
Gerechtigkeit ist nun durchaus und für alle Fälle ganz in unserer Hand, und wer
es immer eigenmächtig ohne unser Wissen und Wollen erhebt, wird ohne allen
Unterschied des Standes als ein Meuterer und Raubmörder behandelt werden!
[DTT.01_008,04] Ich aber habe ehedem von eben diesem Knaben, wie auch von dir
selbst vernommen, daß ihr in euerm Tempelwahn sogar einen Hohenpriester ermordet
habt, im Tempel sogar, weil er ein höheres Gesicht gehabt zu haben vorgab. Er
hatte dadurch sicher euern mächtigen Neid erweckt, und das genügte, um euch zu
bestimmen, ihn aus dieser Welt zu schaffen. Das geschah vor zwölf Jahren, also
unter unserer Herrschaft!
[DTT.01_008,05] Dieser Fall wird näher untersucht, und wer weiß, ob ihr nicht
eher das Schwert der römischen Gerechtigkeit zu verkosten bekommen werdet – denn
jener Wunderknabe eure Tempelrache! Ich sage euch Templern hier kraft meiner
Amtsgewalt, daß ich jeden, der es nur von fernehin wagen würde, jenem Knaben
irgendein Leid zu tun, mit dem Schwerte bestrafen werde! – Eines mehreren bedarf
es nicht!“
[DTT.01_008,06] Sprach der Hochpriester: „Wir aber haben ein Wort vom Kaiser,
das uns die Tempeljustiz sichert, und daß sie von keinem weltlichen Richter
anzutasten ist!“
[DTT.01_008,07] Sagte der Richter: „Wie weit sich diese erstreckt, weiß ich
genau! Ihr könnt wohl eine weise Disziplin üben, aber über diese hinaus bis zum
ius gladii ist noch eine sehr große und sehr weite Kluft! Und wehe dem von euch,
der sie überschreitet!“
[DTT.01_008,08] Sagte der Hochpriester: „Was ist mit der Macht eines Herodes,
der zugleich Vierfürst in Galiläa ist – besitzt er nicht auch das ius gladii?“
[DTT.01_008,09] Sagte der Richter: „Herodes samt den übrigen Fürsten in den
Landen der Juden sind pure Lehensfürsten, und ihr ius gladii ist allein auf ihre
Diener, Knechte und Sklaven beschränkt. Gehen sie mit diesen grausam um – wozu
sie wohl ein erkauftes Recht von zehn zu zehn Jahren haben –, so werden sie bald
ohne Diener sein, da von uns niemand gezwungen wird, bei ihnen Dienste zu
nehmen, und sie können daher ihres eigenen Heils willen keinen besonderen
Gebrauch machen von ihrem teuer erkauften Rechte, und das um so weniger, da ein
jeder ihrer Diener – bis auf etliche Sklaven – aus ihrem Dienste treten kann,
wann er will, und sich im Augenblicke des Austritts nicht mehr unter der
Jurisdiktion eines solchen Fürsten befindet, sondern unter der unsrigen.
[DTT.01_008,10] Dann haben sie das Recht, die Steuern, die ihnen zukommen, zu
erheben und nötigenfalls mit Gewalt einzuheben, aber ohne ius gladii! Die
Exekutionen haben sie bei uns zu nehmen und dafür zu zahlen.
[DTT.01_008,11] Das sind deines Herodes' Rechte, wie die jedes anderen
Lehensfürsten; weiter hinaus ist alles ein schärfst strafbares Verbrechen und
wird schon beim ersten Vergehen mit dem Verlust des Lehensrechtes geahndet.
[DTT.01_008,12] So du etwa glaubst, mit der Macht des Herodes auf den
Wunderknaben zu fahnden, da bist du in einer großen Irre, und Herodes wird sich
davor wohlweislich zu hüten verstehen, über sein Recht hinauszutreten!
[DTT.01_008,13] Dieser Knabe befindet sich nun aber auch in meinem Schutze, und
ich erteile ihm nun erst das volle Recht, euch mit allerlei Fragen zu plagen,
und ich werde nicht von seiner Seite weichen, denn in seinem Gehirne und Gemüte
steckt mehr der kerngesundesten Weisheit als in euch allen und in eurem ganzen
Heiligtum. – Und nun, du mein liebster, holdester Knabe, kannst du wieder reden,
denn ich habe den Platz für dich gereinigt!“
9. Kapitel – Des Jesusknaben Verheißung an den römischen Richter und des
Hochpriesters Zorn darüber. Wie der Mensch selbst zum lebendigen Worte Gottes,
somit zum Gott werden kann. Die Widerlegung des Hochpriesters durch den
Jesusknaben mit Hilfe des Volkskatechismus.
[DTT.01_009,01] Ich aber sah den römischen Richter freundlichst an und sagte:
„Du bist zwar ein Heide, aber du bist gerecht und guten Herzens, und wahrlich,
wenn nun das wahre Gottesreich zu den Menschen auf Erden kommen wird, wirst du
samt deinem ganzen Hause nicht als einer der Letzten in dasselbe aufgenommen
werden! Wer aber darin aufgenommen wird, der wird selig sein und nicht sehen den
Tod ewiglich!“
[DTT.01_009,02] Sagte der Richter: „Wie magst denn du mir eine solche Verheißung
machen?“
[DTT.01_009,03] Sagte Ich: „Nichts leichter als das! Denn Ich sage es ja, daß
Ich jenen Wunderknaben sehr wohl kenne und sein innigster Freund bin. So Ich zu
Ihm komme, da werde Ich deiner nicht vergessen, und Er wird dich segnen, und
sein Segen wird nicht ohne Folgen sein!“
[DTT.01_009,04] Hier erhob sich zornig der Hochpriester und sprach: „Ist denn
jener Knabe ein Gott, daß er segnen kann, als wäre er ein Gott?! Weißt du denn
nicht, daß nur Gott allein segnen kann und sein Hoherpriester nach der Beheißung
Gottes dreimal im Jahre?! Wie sprichst du von jenem Knaben, daß auch er einen
Menschen und sein ganzes Haus sogar segnen könne?! Welche Lehrer müssen bei euch
sein, daß ihre Schüler solch einen Unsinn schwätzen können!“
[DTT.01_009,05] Sagte Ich: „Fürs erste habt ihr selbst uns solche Lehrer
gegeben, und so die Schüler einen Unsinn daherschwätzen, so fällt dieser auf
euch selbst zurück, und so erzeugt ein Unsinn den andern! Wenn aber das ein
Unsinn ist, was Ich von dem Wunderknaben ausgesagt habe, daß Er die segne, die
ihm wahre Freunde sind, warum lehret dann ihr, daß die Eltern ihre Kinder und
die Kinder ihre Eltern allzeit segnen sollen?
[DTT.01_009,06] Noah war doch kein Gott und segnete höchst fruchtbringend seine
beiden Söhne, die seine Scham bedeckten! Ebenso war auch der alte, blinde Isaak
kein Gott, als er den Jakob segnete und ihm gab den Beinamen ,Israel‘, was
soviel heißt als: ,Aus dir gehe hervor das Volk Gottes!‘ War solcher Segen etwa
ein fruchtloser?!
[DTT.01_009,07] So du aber sagst und fragst in deinem großen Tempelhochmute, ob
jener Knabe ein Gott sei, was kannst du Mir sagen, so Ich dir sage: Ja, Er ist
es, und das mit offenbar mehr Recht, als es von euch geschrieben steht: ,Der
Herr Jehova Zebaoth sprach zu seinen Göttern!‘ So ihr aber also in euerm Dünkel
Götter seid, warum sollte denn jener mit so vielen wahrhaft göttlichen
Eigenschaften begabte und erfüllte Knabe kein Gott sein, da er doch sogar von
David abstammt in erster Linie?!
[DTT.01_009,08] Wer aber Gottes Wort hört und danach tut, der hat Gottes Wort
lebendig in sich und ist selbst in seinem ganzen Wesen ein lebendiges Wort
Gottes geworden und ist also im Geiste aus Gott! Wo aber das, wer kann da sagen,
daß da der ganze Mensch nicht aus Gott wäre?! Ist ein Mensch aber dadurch, daß
er in seinem ganzen Wesen zum lebendigen Gottesworte geworden ist, voll erfüllt
mit dem Geiste Gottes, ist er dann nicht ein Gott, da das vollwahre Göttliche
überall, somit auch im Menschen um so mehr, als Gott angesehen werden muß?!“
[DTT.01_009,09] Sagte der Hochpriester: „Was hast du da wieder für einen
sträflichen, gotteslästerlichen Unsinn dahergeschwätzt? Also kann nur ein
unsinniger Narr reden! Das ist ein hirnloses Gewäsch, darüber ein hellsehender
Denker hellauf lachen muß!“ – Darauf lachte der Hochpriester selbst hellauf.
[DTT.01_009,10] Ich aber sagte: „Was heißest du das einen Unsinn? Ist das ein
Unsinn, so seid ihr Hochpriester, Ältesten und Schriftgelehrten selbst Schöpfer
und Ausbreiter desselben, was Ich sogleich auf das allerklarste beweisen kann!“
[DTT.01_009,11] Der Hochpriester: „Wie willst du kecker Schweinehirte aus
Galiläa uns das beweisen?“
[DTT.01_009,12] Sagte Ich: „Bringet mir her den Volkskatechismus!“
[DTT.01_009,13] Fragte der Hochpriester: „Und was willst du damit?“
[DTT.01_009,14] Sagte Ich: „Das wirst du schon sehen! Vorderhand werde Mir das
Buch hergeschafft!“
[DTT.01_009,15] Es wurde das Buch herbeigeschafft, und der Hochpriester sprach:
„Hier ist es! Was wirst du nun damit machen?“
[DTT.01_009,16] Sagte Ich: „Das wirst du nun gleich sehen!“ – Ich schlug das
Buch auf und bat den römischen Richter, daß er die ihm von Mir angezeigte Stelle
laut vorlesen möchte. Er tat das mit sichtlicher Freude.
[DTT.01_009,17] (Der römische Richter:) „Wer Gottes Wort hört und danach tut,
der hat Gottes Wort lebendig in sich und ist selbst in seinem ganzen Wesen ein
lebendiges Wort Gottes geworden und ist also im Geiste aus Gott. Wo aber das,
wer kann da sagen, daß nicht der ganze Mensch aus Gott wäre?! Ist aber ein
Mensch dadurch, daß er in seinem ganzen Wesen zum lebendigen Worte Gottes
geworden ist, voll erfüllt mit dem Geiste Gottes, ist er dann nicht ein Gott, da
das vollwahre Göttliche überall, somit auch im Menschen um so mehr, als Gott
angesehen werden muß?!“
[DTT.01_009,18] Hierauf sagte der römische Richter: „Nun, das sind ja auf ein
Haar dieselben Worte, die ehedem der respektable Priester bei dir als einen
Schweinehirtenunsinn erklärt hat! Nun, diese Geschichte – wie ich's merke –
fängt stets heiterer zu werden an! Da bin ich denn doch selbst gar sehr
neugierig darauf, was da nun herauswachsen wird!“
10. Kapitel – Der mißglückte Versuch eines Schriftgelehrten und eines Ältesten,
den Hochpriester zu rechtfertigen und ihm Geltung zu verschaffen. Die Vertagung
der Sitzung durch den Richter auf den nächsten Tag. Der Jesusknabe und Simon als
Nachtgäste des Römers in der Herberge.
[DTT.01_010,01] Der Hochpriester machte über diese Vorlesung ein sehr
ärgerliches Gesicht.
[DTT.01_010,02] Ich aber sagte: „Nun, du gar so hoch gottesgelehrter Oberster
des Tempels, ist dadurch von Mir nicht alleraugenfälligst der Beweis geliefert,
daß, wenn das von Mir dir ehedem Gesagte ein Unsinn ist – das er aber nicht ist
–, eben ihr selbst Schöpfer und Verbreiter des Unsinnes seid?! So Ich aber
dadurch eine Unwahrheit geredet habe, kannst du Mir sogleich eine Maulschelle
für Meine Keckheit verabfolgen! Aber du wirst das schwerlich tun, dieweil du
das, was in euerm Volkskatechismus geschrieben steht, unmöglich mehr als einen
Unsinn erklären kannst! Aber nun möchte Ich von dir den Grund vernehmen, warum
du das ehedem getan hast! – Ich habe geredet, nun rede du!“
[DTT.01_010,03] Der Hochpriester machte nun eine lächerliche Miene und war um
eine Antwort sichtbar im hohen Grade verlegen.
[DTT.01_010,04] Es erhob sich aber gleich ein anderer Schriftgelehrter und
sagte: „Seine hochzuverehrende Herrlichkeit haben dich dadurch nur auf eine
recht heiße Probe gestellt und wollten daraus ersehen, ob du wohl im
Volkskatechismus fest bewandert bist, dieweil du selbst solchen zugunsten deiner
Sache angezogen hast! Laß nun das, und reden wir beide lieber von etwas ganz
anderem! Denn es kommt bei diesem Hin- und Herstreite ja am Ende doch nichts
heraus!“
[DTT.01_010,05] Sagte Ich: „Siehe da, wie gescheit du sein möchtest, wenn du es
sein könntest! Du möchtest dem Hochpriester nun gerne aus der Kloake helfen, in
die er sich selbst bis über die Ohren und Augen gestürzt hat; aber es geht das
nun wohl nicht mehr!
[DTT.01_010,06] Ich weiß es wohl, daß er Mir nun den Grund nicht sagen wird,
warum er das bei Mir einen Unsinn nannte, was er als Hochpriester wohl am ersten
hätte wissen sollen, daß das im Volkskatechismus vor jedermanns Augen
geschrieben steht; aber weil er eben darum nicht gewußt hat, so nannte er das
einen Unsinn – und doch ist er ein Hochpriester, ein Schriftgelehrter und
Ältester zugleich!
[DTT.01_010,07] Das Denkwürdige an der Sache ist dabei nur das, wie man in
dieser Zeit ein Hochpriester werden und sein kann und wie sich vom Geiste Gottes
erfüllt dünken, da man das Wort Gottes nicht einmal äußerlich kennt! Ist es
nicht also Gebot und Sitte, daß ein jeglicher Hochpriester, der auf dem Stuhle
Mosis und Aarons sitzt, der Schrift in allen ihren Teilen vollkommen kundig sein
soll und jedem, der in irgend etwas einen Zweifel hat, einen vollrechten
Bescheid gebe?!
[DTT.01_010,08] Welchen Bescheid aber kann der jemandem geben, der nicht einmal
die sehr kurz gefaßte Textierung des Volkskatechismus kennt und somit zum
Gelächter und gerechten Ärger eines wahren und eifrigen Juden aus eigener
Unkunde das Unsinn nennt, was doch ein jeder Judenknabe aus dem Volkskatechismus
wissen muß, ansonst ihn ein ehrlicher Meister in eine Handwerkslehre nicht
aufnimmt!“
[DTT.01_010,09] Da ermahnte Mich ein anderer Ältester, daß ich wohl bedenken
solle, wer und was ein Hochpriester sei.
[DTT.01_010,10] Ich aber sagte: „So Ich die volle Wahrheit rede, kann Ich
dadurch je einen wahren Menschen beleidigen?! Saget es selbst, ob das, was Ich
hier rede, nicht in der Schrift von Moses geschrieben steht, und ob sich nicht
die Sache also verhält, wie die Sache selbst klar zeigt!
[DTT.01_010,11] Leider werden hochgeborene Menschen nun nicht mehr nach ihrem
geistigen Vermögen, sondern nur nach ihren weltlichen Reichtümern zu den
höchsten Ämter befördert, wo sie dann gewöhnlich geistig noch ärmer, aber dafür
materiell desto reicher werden! Aber saget es selbst, ob es also vor Gott auch
gerecht ist!?
[DTT.01_010,12] Ja, da kann man, gar leicht begreiflich, über die Ankunft des
verheißenen Messias freilich schwer eine Auskunft erhalten, so diejenigen, die
davon doch füglichermaßen zunächst und zuerst etwas wissen sollten, in der
Schrift so unbewandert sind wie Menschen, die vom Dasein einer Schrift aus dem
Geiste Gottes durch Moses und andere Propheten gar keine Kenntnis besitzen, aber
dabei doch ganz hoch und breit auf dem Stuhle Mosis und der Propheten sitzen!
[DTT.01_010,13] Sie selbst wissen von Gott und seinem Worte wenig oder nichts
und noch weniger von dem lebendigen Worte Jehovas im Menschen, durch das sie
selbst zu einem Gotte werden sollen nach ihren eigenen gemachten
Volksunterrichtsgrundsätzen! – Was sagst denn du, römischer Richter, als ein
Heide zu solchen Dingen und Verhältnissen?“
[DTT.01_010,14] Sagte der Richter: „Da kann ich dir in allem nur recht geben!
Denn hier zwischen den Mauern und in diesem abgeschlossenen Saale kannst du
reden, wie dir die Zunge gewachsen ist, nur öffentlich vor dem Volke wäre so
etwas natürlich unschicksam und sogar schlimm – was du aber auch nicht tun
wirst, da du ein viel zu vernünftiger Junge bist und die für diese Zeit
schlimmen Folgen daraus selbst gar wohl berechnen kannst! – Nun aber gehen wir
zum Nachtmahle! Du und Simon seid heute und morgen meine Gäste!“ Darauf hob der
Richter die Sitzung auf und bestellte sie am nächsten Tage wieder.
[DTT.01_010,15] In des Tempels nächster Nähe aber war eine große Herberge, da
nahmen wir ein gutes Nachtmahl und begaben uns dann schnell zur Ruhe.
[DTT.01_010,16] Diese Herberge gehörte aber auch zum Tempel und wurde von den
Tempeldienern bedient. Wer von den Reisenden in dieser Herberge blieb, dem ward
es also angerechnet, als wäre er unmittelbar im Tempel selbst geblieben. Man
konnte zwar im Tempel auch verbleiben, mußte aber doppelt soviel zahlen und
bekam nichts als Brot und Wasser zum Genusse. Wenn es demnach heißt, daß Ich
drei Tage lang im Tempel verblieb, da muß auch diese Tempelherberge
dazugerechnet werden.
[DTT.01_010,17] Uns dreien ging es in der Herberge ganz gut; jeder konnte ruhig
schlafen.
11. Kapitel –
Die nächtliche Beratung der Templer.
[DTT.01_011,01] Aber die Tempelherren hatten eben keine so ruhige Nacht; denn
Ich wollte es, daß diese selbst- und herrschsüchtige Art von Menschen durch
allerlei beängstigt werden mußte. Und der Hochpriester konnte vor Galle, Ärger
und Furcht zu keinem Schlafe kommen, denn es genierte ihn besonders das über
alles, daß Mich der römische Richter als einen geehrten Gast mit sich nahm. Er
ließ denn auch in einem fort seine Horcher in die Herberge kommen, daß sie ihm
Nachricht brächten von dem, was wir etwa miteinander redeten. Aber wir redeten
nichts.
[DTT.01_011,02] Aber dafür schwätzten die Templer um so mehr unter sich und
berieten, wie sie Mich am nächsten Tage durch allerlei Fragen verwirrt und recht
unsinnig machen könnten. Nur der junge Levite, der auf dem Punkte stand, ein
selbständiger Pharisäer und Vorsteher einer Synagoge zu werden, sagte dem
Gremium, weil er sehr viel gesehen und erfahren hatte bei seinen Missionsreisen,
ganz trocken ins Gesicht:
[DTT.01_011,03] „Mit diesem Knaben werdet ihr alle nichts ausrichten! Ich habe
in Nazareth wahrlich Wunderdinge von seiner Beredsamkeit gehört, und da gibt es
keinen Gelehrten, der diesem Knaben je etwas abgewonnen hätte! Ich sage es euch
ganz offen: Dieses Knaben Zunge und seines Freundes unbegreifliche Willenskraft
sind mächtig zur Genüge, um die ganze Welt zu unterjochen! Und wir haben uns mit
diesem Knaben eine mächtige Laus in den Pelz gesetzt, die wir ohne Schaden nicht
leicht loswerden!
[DTT.01_011,04] Daher wäre meine freilich immerhin unmaßgebliche Meinung diese:
Man lasse ihn bei seiner Meinung, daß wenigstens möglicherweise jener
Wunderknabe der verheißene Messias sein oder mit der Zeit werden könne, da denn
doch die Weissagungen der Propheten auf ihn wie auf diese Zeit hindeuten!
[DTT.01_011,05] Mit was immer für Widerspruch kommen wir mit ihm nicht weiter –
und ihn ärgerlich machen durch eine Drohung, wäre meiner Ansicht nach sogar
bedenklich, denn er weiß um alles auf das genaueste, und nicht fremd scheinen
ihm unsere tiefsten Tempelgeheimnisse zu sein!
[DTT.01_011,06] Es wäre da schon rein des Beelzebubs zu werden, so er eben von
unseren ganz besonderen Geheimnissen offen vor dem ihm sehr geneigten Simon und
dem römischen Richter auszuplaudern anfinge! Daher heißt es da sehr klug sein,
ihn bei seinem Thema lassen, ihn darin eher noch bestärken, als ihn von seiner
Idee abwendig machen zu wollen!
[DTT.01_011,07] Was liegt denn für uns daran, die wir alle die alten
Schriftglaubenssachen schon lange über Bord ins Meer der Vergessenheit geworfen
haben, ob ein Messias, oder ob keiner?! Sondern klug sein und dadurch herrschen
und dabei auf Kosten der blinden und dummen Menschenmenge sehr gut leben ist
besser, als sich allerlei Gewalt, die wir am Ende doch nicht haben, anmaßen und
sich daneben mit allerlei unnötiger Sorge und Angst zernagen lassen!
[DTT.01_011,08] Wir haben uns schon gestern mit unserer schlecht berechneten
Hoheitssteife bei dem Römer schlecht insinuiert, und die Zachariasgeschichte
kann uns noch in große Verlegenheit bringen! Denn zu scherzen ist's mit den
Heiden durchaus nicht! Wir dürfen uns daher morgen nur ein wenig unsanft gegen
den Knaben benehmen – und wir stehen alle in der heißesten, echt römischen
Brühe!
[DTT.01_011,09] Darum seien wir nur ganz feine und schlaue Füchse und machen
unsere gestrigen Fehler wieder soviel als möglich gut, und ich will wetten, daß
der Römer die Geschichte vom Zacharias ganz fallen läßt, ansonst er sie sogleich
als eine scharfe Waffe gegen uns benützen wird! – Was meinet ihr von meinem
Rate?“
[DTT.01_011,10] Sagte der stets wache Oberpriester: „Ja, ja, ich bin mit dir da
ganz einverstanden; es dürfte also schier am besten sein! Rede und Antwort
müssen wir dem Knaben geben, weil er dazu ein teuer erkauftes Recht hat, dieses
können wir nicht von uns hinwegschieben! Nur bin ich der Meinung, daß wir ihm
morgen ein anderes Kollegium aus uns geben, das ihm günstiger denn wir gestern
Rede stehen soll! – Was meinet ihr da?“
[DTT.01_011,11] Sagte der junge Redner: „Der Meinung bin ich wieder nicht! Ein
fremdes Kollegium müßte informiert werden, um recht zu verstehen, wen es in dem
Knaben vor sich hat. Wir aber kennen ihn nun und wissen, was er eigentlich will.
Wir haben ihm sonach leicht Rede zu stehen. Ein fremdes Kollegium würde morgen
vor dem Knaben dastehen wie ein junges Paar Zugochsen vor einem Berge und wüßte
ihm selbst bei einer besten Information nicht Bescheid zu geben.
[DTT.01_011,12] Dann kommt aber da noch etwas ganz Wichtiges in die Betrachtung,
und zwar: Können wir wissen, ob der Knabe sich nicht gerade auf uns versteifen
würde? Wir müßten dann, von Simon und dem römischen Richter verlangt, kommen und
mit dem verzweifelt pfiffigen Knaben zur Rede stehen, bei welcher Gelegenheit
wir uns eben nicht gar besonders gut vor dem Römer ausnehmen möchten, da wir uns
dadurch ja offenbar verrieten, daß wir im Kampfe mit dem Knaben das offenbar
Kürzere gezogen haben!
[DTT.01_011,13] Ich will und kann mit solcher meiner Meinung keine gültige
Vorschrift machen, aber das ist doch gewiß, daß wir das von mir Bemerkte ganz
sicher zu erwarten haben, was niemand von uns eben etwa erwünscht sein dürfte!“
[DTT.01_011,14] Sagte der Oberpriester: „Bin ganz mit dir einverstanden, und wir
werden uns auch deinen guten Rat zur Richtschnur nehmen; aber was meinst du,
mein Sohn, denn überhaupt so über diesen ganz verzweifelt pfiffigen Knaben?
[DTT.01_011,15] Es ist doch rein des Satans zu werden! Wir höchsten Würdenträger
vom ganzen Judenlande müssen uns von einem echten galiläischen Schweinehirten
bis über die Ohren ins Bockshorn treiben lassen! Vor solch einem niedrigsten
Wurme des Gassenstaubes müssen wir zittern und alles Mögliche aufbieten, um
seiner nur auf eine gute Art loszuwerden. Nein, nein, so etwas ist noch seit
Menschengedenken nicht dagewesen!
[DTT.01_011,16] Aber sage mir, was du von dem Knaben denkst! Wie und wann kann
sich dieser Knabe von zwölf Jahren Alters solche Totalwissenschaft zu eigen
gemacht haben?“
[DTT.01_011,17] Sagte der junge Redner: „Lieber, nach dem Hohenpriester
allerhöchster Gebieter und Gönner! So etwas ist in Galiläa gar nichts Neues!
Alles in Galiläa treibt Handel, kommt mit allen Nationen der Welt zusammen und
macht tausendfache Erfahrungen aller Art und Gattung, lernt verschiedene
Sprachen und verkehrt mit Griechen, mit Armeniern, mit Ägyptern und noch einer
Menge anderer Völker. Es ist daher auch begreiflich, daß man in den Städten und
Flecken und Dörfern Galiläas nicht selten Kinder antrifft, deren durchdringender
Verstand alles ins größte Staunen setzen muß, was von uns aus Jerusalem dahin
kommt.
[DTT.01_011,18] Ich, wie bekannt, bin selbst in der Gegend von Nazareth geboren
und war mit der ganzen Schrift schon in meinem zwölften Jahre vertrauter denn
jetzt, wo ich schon so manches vergessen habe, und daneben noch mit einer Menge
anderer Schriften und Dinge. Warum unser blondlockiger Knabe nicht?! Mich
wundert seine Gewecktheit eben nicht so sehr, obwohl sie sehr durchdringend
ist.“
[DTT.01_011,19] Sagte weiter der Oberpriester: „Ja, das wäre bei einer
frühzeitigen Bildung eines talentierten Knaben freilich nicht so etwas ganz
Besonderes; aber wie kommen diese Menschen in den Besitz der Schrift, die als
allein echt nur im Heiligtume des Tempels aufbewahrt ist, und aus der niemand
lesen darf als neben dem Hohenpriester nur der Oberpriester und die
Schriftgelehrten?“
[DTT.01_011,20] Sagte der junge Redner: „Höchster Gebieter, das ist ja schon
seit der Zeit, als die Römer unser Reich erobert haben, nicht mehr wahr! Dem
Eroberer mußten alle Einrichtungen des Tempels und alle seine Bücher zur
Einsichtnahme ausgeliefert werden. Da wurden drei Jahre lang von allem und jedem
die getreuesten Abschriften genommen.
[DTT.01_011,21] Und nun gibt es unter den Römern und Griechen sogar schon eine
solche Menge der ganz getreuen Abschriften in allen Zungen, daß man sich um
wenige Silberlinge eine solche Abschrift in jeder beliebigen Zunge anschaffen
kann. So aber das, wie sollte es dann etwa schwer möglich sein, in einem
galiläischen Knaben von Talent einen wahren Schriftgelehrten non plus ultra
anzutreffen?“
[DTT.01_011,22] Sagte der Oberpriester: „Du kommst mir noch mit römischen
Zwischenworten und weißt doch, daß ich ein Todfeind alles Römischen bin! – Was
heißt denn der Ausdruck ,non plus ultra‘?“
[DTT.01_011,23] Sagte der junge Redner: „Höchster Gebieter, ich als Galiläer bin
auch nebst der hebräischen noch der Griechen wie der Römer Zunge mächtig, also
verstehe ich Syrisch, Chaldäisch, Armenisch, Persisch und Altarabisch, das man
als Sendling auch verstehen muß – und es geschieht mir da im Flusse der Rede gar
leicht und öfters, daß sich mir eine fremde Zunge wie von selbst in den Mund
schiebt!
[DTT.01_011,24] Der Ausdruck ,non plus ultra‘ ist aber nun unter uns Juden
seiner Kürze und Bündigkeit wegen gang und gäbe, daß es einem ordentlich schwer
vorkommt, den langen und langweiligen hebräischen zu gebrauchen. An und für sich
besagt er soviel als: So ein Knabe ist also sehr ,von niemand übertreffend‘ in
aller Schrift bewandert.“
[DTT.01_011,25] Sagte der Oberpriester: „Gut, gut, es liegt nichts daran, ich
bin nur aus leicht begreiflichen Gründen kein Freund der Römer und somit auch
ihrer Zunge nicht; aber lassen wir das beiseite, und du sage mir, was dir
allenfalls von jenem Wunderknaben in Nazareth bekannt ist, dessen Vater ich
kenne wie auch dessen Mutter!“
[DTT.01_011,26] Sagte der junge Redner: „Ja, höchster Gebieter, das ist ein
stark kitzliger Punkt! Ich glaube, ihn vor ein paar Jahren gesehen zu haben, und
zwar in Gesellschaft von mehreren Knaben, die einander aber über alle
Zwillingsbrüder hinaus ähnlich waren. Man sagte mir wohl, dieser und solcher und
jener sei es, aber da die Knaben gleichfort sich sehr lebhaft durcheinander
tummelten, so konnte ich unmöglich den rechten aus ihnen fest ins Auge fassen!
Ich habe ihn also gesehen, und doch auch wieder nicht gesehen!
[DTT.01_011,27] Unser uns nun ein rechtes Wetter machender Knabe aber war damals
ganz sicher auch in der Gesellschaft, begleitet von einem ihm sehr ähnlich
sehenden Knaben, und zwar – wie es mir nun vorkommt – mit einem noch mehr
ernsthaften Gesichte, und machte keine lustigen Sprünge. Es hatte sehr das
Aussehen, als wären die beiden Knaben gleichsam Gebieter über die andern, da
sich die andern ganz nach deren Willen zu bewegen schienen.
[DTT.01_011,28] Was übrigens dieses Buntgetriebe der Knaben durcheinander für
ein Spiel bedeutete, begriff ich nicht, da ich früher nie etwas Ähnliches
gesehen hatte. Planlos schien mir die Sache nicht zu sein, weil sich bei
längerer Beobachtung irgendeine Ordnung durchaus nicht verkennen ließ. Was es
aber vorstellte, konnte mir niemand von den mit mir Anwesenden erklären. Man
sagte mir, daß die Knaben sich stets auf eine solche Art unterhielten, die
früher noch nie in Nazareth gesehen ward; aber niemand versteht es, was so eine
fremdartige Unterhaltung besagt.
[DTT.01_011,29] Das wäre nun aber auch schon alles, was ich persönlich von jenem
Knaben aus eigener Erfahrung weiß. Nun aber habe ich mir von jenem Knaben wohl
gar außerordentliche Dinge erzählen lassen, die an das Allerunglaublichste
stoßen! Alles das wiederzuerzählen, würde man eine Zeit von wenigstens zehn
Tagen vonnöten haben, daher sage ich nur im allgemeinen:
[DTT.01_011,30] Es gehorchen diesem oder besser jenem Wunderknaben buchstäblich
alle Elemente, ja sogar Sonne, Mond und all die Sterne seien seinem Willen
augenscheinlich untertan, da er bloß zu wollen brauche, und die Sonne und der
Mond gäben kein Licht! Und sage er dann ernstvoll zur Sonne oder zum Monde:
,Leuchte fortan!‘ so sei das Licht gleich wieder gegenwärtig.
[DTT.01_011,31] Von der Geburt an Blinde mache er bloß durch ein Wort also hell
sehend, als wie hell sehend da ist eine Katze, die auch in der finstersten Nacht
ihren Raub gar wohl erschaut.
[DTT.01_011,32] Einem Knaben aus der Mitte seiner Gespielen, der voll Mutwillens
auf ein Dachgerüst stieg, herabfiel und zerschmettert tot liegen blieb, habe er
im Angesichte vieler Zuschauer bloß durch sein Wort das Leben also
wiedergegeben, daß der wiederbelebte und von allen Wunden geheilte Knabe so
kerngesund und munter dastand, als ob ihm nie etwas Übles begegnet wäre. Wohl
aber habe daraufhin der Wunderknabe dem vom Tode erweckten Knaben eine sehr
ernste Mahnung gegeben, künftighin nicht mehr so mutwillig und unfolgsam zu
sein, ansonst er ihm nicht mehr helfen würde.
[DTT.01_011,33] Man spricht überhaupt von Wundern der Sittlichkeit und der
weisesten Redekraft von seite des Wunderknaben. Nur eines klingt etwas
sonderbar: er, der Wunderknabe nämlich, bitte nie jemanden um irgend etwas, und
so ihm jemand etwas gegeben, so danke er auch niemals dafür! Er sei stets voll
Ernstes, man sehe ihn oft beten, auch weinen im stillen, aber lachen nie!
[DTT.01_011,34] Das ist in aller Kürze all das Denkwürdige, was ich von jenem
Wunderknaben in meine Erfahrung gebracht habe. Ein mehreres ist mir nicht
bekannt. Wie und mit welchen Mitteln aber jener Knabe solche Wunderdinge
zustandebringt, das zu beurteilen steht zu hoch über dem Horizont meines Wissens
und meiner zu beschränkten Weisheit – das möget nun ihr ältesten und weisesten
Vorsteher des Tempels tun, und ich habe geredet!“
[DTT.01_011,35] Sagte darauf der Hochpriester: „Mit welch anderer Macht wohl als
mit der des leibhaftigen Beelzebub?! Denn Gott wirkt niemals Wunder durch Kinder
und lose Knaben, sondern höchst selten nur durch fromme, Ihm ganz ergebene und
an Jahren reif gewordene Männer, wie wir da sind! So aber zu Nazareth ein
zwölfjähriger Knabe solche Dinge verrichtet, so liegt es ja klar am Tage, daß so
etwas nur durch die Hilfe des Beelzebub geschehen kann! – Das ist meine Meinung,
wer irgendeine andere und bessere geben kann, der stehe auf und rede!“
[DTT.01_011,36] Es erhob sich ein Ältester und sagte: „Meiner Ansicht nach
räumst du dem Beelzebub denn doch etwas zu viel Macht ein! Streng unter uns
gesagt, ist der Beelzebub ohnehin nur eine allegorische Persönlichkeit, unter
der man sich den Totalbegriff alles Bösen und Schlechten, das bloß in der
Verkehrtheit des Menschenwillens liegt, vorstellt.
[DTT.01_011,37] Daß dann durch ein volles Zusammenwirken einer allen guten
Gesetzen hohnsprechenden Gesellschaft von vielen Menschen unter sich ein
sogenannter Beelzebub erzeugt wird, der fürder nichts mehr Gutes in ihr
aufkommen läßt, das ist eine schon seit lange her ausgemachte Sache! Denn ein
solch böser Geist gleicht einem moralischen Pesthauche und vergiftet fortwährend
die Herzen der in solcher Gesellschaft lebenden Menschen, daß sie aus sich und
durch sich nimmer besser werden können.
[DTT.01_011,38] Aber auch daran schuldet nicht ein gewisser geistig-persönlicher
böser Geist Beelzebub, sondern die gänzlich verkehrte und somit schlechte
Erziehung der Kinder von der Wiege an. Derlei Menschen bekommen keinen Begriff
von einem allmächtigen und allweisesten Gotte, auch in allen andern Kenntnissen
und Wissenschaften stehen sie den zivilisierten Völkern himmelweit nach und
können darum auch bald und leicht von denselben besiegt werden.
[DTT.01_011,39] Wenn wir aber nun die außerordentliche Bildung unseres in Rede
stehenden Knaben betrachten, dessen überaus fromme und tiefgebildete Eltern uns
nur zu gut bekannt sind, und beherzigen seinen überaus großen
Wohltätigkeitssinn, so kann es wenigstens mir nicht einmal in einem
allerschlechtesten Traume einfallen, zu behaupten, ein solcher Knabe stehe im
vollsten Machtverbande mit dem Obersten aller Teufel, die nimmer imstande seien,
auch nur einen kleinsten Lichtgedanken in sich aufkeimen zu lassen!
[DTT.01_011,40] Oder kann durch das absolut Böse nach unserer Anschauungsweise
je auch nur ein anscheinend guter Zweck erreicht werden? Mir wenigstens ist so
etwas bis jetzt noch ganz fremd geblieben! Oder weiß es jemand von euch etwa,
daß grundschlechte Menschen je eine gute und lobenswerte Handlung begangen
haben?! Oder läßt sich mit den schlechtesten und verworfensten Mitteln
erweislich je etwas wahrhaft Gutes erreichen?!
[DTT.01_011,41] So aber unser Wunderknabe mit seiner Willenskraft, die für uns
freilich etwas Unbegreifliches ist, lauter allerbeste und großartigst edle
Handlungen von nachhaltig besten Folgen verübt, wie möglich kann er sich dabei
des grundschlechtesten Mittels bedienen?! Darüber bitte ich mir von euch eine
haltbare Erklärung aus!“
[DTT.01_011,42] Mehrere von den Ältesten und Schriftgelehrten stimmten mit dem
Redner überein – nur der Oberpriester und sein eben nicht sehr zahlreicher
Anhang nicht. Und der Oberpriester erhob sich und sagte zum Verteidiger des
Wunderknaben:
[DTT.01_011,43] (Der Oberpriester:) „Sieh, ich merkte aus deiner Rede, daß du
des Beelzebubs Persönlichkeit leugnest mit sinniger Rede und ebenso die
Persönlichkeit der ihm unterstehenden Teufel! So du mit deiner Rede das Recht
behaupten solltest, da erkläre es mir auch in deiner Weise, wer auf dem Berge
Nebo gestritten hat um den Leib Mosis mit dem Erzengel Michael drei Tage
hindurch und dazu noch den Sieg behauptete!
[DTT.01_011,44] Wer war jene Lichtgestalt, die sich vor den Gottesthron wagen
durfte, um sich die Zulassung zu erbitten, dem Vater Hiob auf den Zahn fühlen zu
dürfen? Wer war denn die Schlange Evas? Wer der böse Geist Sauls, den der Knabe
David mit dem Saitenklang seiner Harfe verscheuchte? Ferner gibt es noch eine
Menge Daten in der Schrift, besonders im Daniel, der zu öfteren Malen des großen
Drachen und der großen Hure Babels erwähnt! Wie wirst du eigentlicher Weltweiser
das alles in deiner Weise aufklären?“
[DTT.01_011,45] Sagte der frühere, weise Älteste und Schriftgelehrte: „Dies wäre
mir eine gar leichte Arbeit, so dein Verstand den das zu begreifen
erforderlichen Bildungsgrad besäße, aber deine gänzliche Verstandesnacht faßt
solche Lichtdinge nicht. Und so würde ich nur einem Tauben und Blinden eine
vergebliche Predigt halten, die keine Wirkung hätte – und so lasse ich das
bleiben!
[DTT.01_011,46] Die mich verstehen wollten und konnten, die haben mich schon
ehedem verstanden. Einem harten Willen aber eine Predigt zu halten, heißt einen
Stein darum ins Wasser legen, damit er weich werde. Hast du nie die große
Kabbala gelesen, die da ist das Werk eines großen Geistes? Darin geschieht eine
gedehnte Erklärung von den Entsprechungen zwischen den Sprach- und
Schriftbildern und der Wirklichkeit, die sie darstellen!“
[DTT.01_011,47] Sagte der Oberpriester: „Die kleine wohl, aber die große nicht!“
[DTT.01_011,48] Sagte der Redner: „Dann kann ich unmöglich reden mit dir, denn
die kleine hat einen anderen Autor und ist nicht wert, ein schlechtester Auszug
der alten, großen genannt zu werden!
[DTT.01_011,49] Vor Gott gibt es keinen Satan und keinen Teufel und somit auch
nicht irgend etwas absolut Böses, denn Ihm müssen alle Mächte und Kräfte
gehorchen, und keine kann über ihren Kreis hinaus wirken.
[DTT.01_011,50] Ist das Feuer nicht ein Kraftelement, das des Bösen und
Zerstörenden in höchster Fülle in sich faßt? Ist es darum ein Produkt des
Satans, so es ganze Städte zerstört und in tote Asche verwandelt, wenn es
entweder durch den bösen Willen, sage, der Menschen oder durch ihre immerhin
sträfliche Fahrlässigkeit entfesselt wird?
[DTT.01_011,51] Oder steckt darum der Satan im Wasser, weil es auch Menschen und
Tiere tötet, so sie in dasselbe fallen? Oder steckt der Satan etwa in einem
Steine, oder in der Höhe der Gebirge, oder in den giftigen Tieren und Pflanzen,
oder kurz in allem, was uns Menschen den Tod bringen kann bei einem unsinnigen
Gebrauch? – Sieh, alles auf der Erde und in der Erde kann sein voll Segen, aber
auch gleichzeitig voll Fluch, je nachdem es ein Mensch entweder weise oder dumm
gebraucht !
[DTT.01_011,52] Was war denn der berühmte Kampf des Satan mit dem Erzengel
Michael um den Leib Mosis?
[DTT.01_011,53] Der fromme Teil der Juden, die Moses wie einen Gott verehrten,
dachte, daß Moses auch dem Fleische nach nicht sterben werde, da es hieße: ,Die
die Gesetze Gottes streng beachten, die werden nicht sterben, sondern gleichfort
ewig leben, und ihr Fleisch werden die Würmer nicht zernagen!‘ Moses aber ward
am Ende dennoch schwach und starb wie jeder andere Mensch.
[DTT.01_011,54] Da waren unter den Juden ein Weiser und ein Arzt.
[DTT.01_011,55] Der Weise sagte: ,Man trage den Leichnam auf die Spitze eines
hohen Berges, wo die reinsten Lebenslüfte wehen, und Moses wird wieder lebendig
und wird führen sein Volk ins verheißene Gelobte Land!‘
[DTT.01_011,56] Der einsichtsvollere Arzt aber sagte: ,Kein Leib, der einmal
entseelt ist, wird je wieder lebendig!‘
[DTT.01_011,57] Der Weise sagte: ,So Moses auf der Bergspitze in drei Tagen
nicht wieder lebendig wird, sondern tot bleibt, hast du über mich und meinen
Glauben gesiegt, und ich bin dein Sklave mein Leben lang!‘
[DTT.01_011,58] Der Arzt aber sagte: ,Daß ich siegen werde, das weiß ich zum
voraus. Darum brauchst du mir aber keinen Sklaven abzugeben, sondern ich werde
bleiben, was ich bin, und du, was du bist, und du wirst einsehen, daß der Fürst
oder die Macht des Todes sein Opfer behält und nimmer ausläßt.‘
[DTT.01_011,59] Und es ward Moses mit großer Feierlichkeit auf die Bergesspitze
des Nebo gebracht. Viele Tausende der vornehmsten Israeliten begleiteten den
Leichnam. Und als die Spitze des Berges mit vieler Mühe erreicht war, da ward
Moses den freien Lebenslüften ausgestellt, und es wurden an ihm drei Tage
hindurch alle denkbaren geistigen und materiellen Wiederbelebungsversuche
gemacht, aber alles vergebens: des großen Propheten Auge öffnete sich nicht mehr
für das Licht dieser Welt.
[DTT.01_011,60] Da sprach am vierten Tage der Weise ganz entrüstet vor dem
Volke: ,Siehe, du Volk Gottes, des Satans Macht! Drei Tage lang kämpfte Michael
(Macht der Himmel) mit dem Satan (Macht des Todes) um den Leib des Propheten und
Satan besiegte ihn; aber dafür sprach Michael: ,Gott wird dich darum richten‘!‘
[DTT.01_011,61] Das war eine Rede vor dem Volke, figürlich (symbolisch) zwar,
aber doch notwendig und in ihrem eigentlichen Grunde doch auch sehr wahr.
[DTT.01_011,62] Als der Arzt dann sicher nur unter vier Augen mit dem Weisen
sprach und ihn daran erinnerte, wie er doch recht hatte, da sagte der Weise:
[DTT.01_011,63] ,Leider hast du recht. Aber es ist doch immerhin traurig für uns
Menschen, daß Jehova auch bei seinem größten Propheten keine Ausnahme macht und
ihn am Ende ebenso wie jedes gemeine Tier erwürgt und tötet! Moses hätte Er
wohlbehalten können und zeigen dem Volke, daß Satan über seinen durch und durch
Geheiligten keine Macht mehr habe!‘
[DTT.01_011,64] Der Arzt aber sagte: ,Du rechtest nicht gerecht mit Jehova!
Siehe, Er hat allem Fleische seinen Weg und dem Geiste den seinen vorgezeichnet:
der Weg des Fleisches aber muß völlig gerichtet sein, damit der Weg des Geistes
ein freier bleibe für ewig!‘
[DTT.01_011,65] Als die beiden noch also miteinander Worte wechselten, da trat
auf einmal zwischen sie Mosis Geist und sagte: ,Der Friede mit euch! Gottes
Ordnung ist unwandelbar, und alles, was Er tut, ist gut! So der Leib auch
stirbt, da stirbt dennoch nicht auch der Geist. Haltet die Gesetze, und rechtet
nicht um meinen Leib, denn ich, Moses, lebe ewig fort, so auch tausend Male
gestorben wäre der Leib, den ich trug!‘
[DTT.01_011,66] Darauf verschwand der Geist, und die beiden waren ausgeglichen.
–
[DTT.01_011,67] Nun, mein lieber Bruder in Abraham, Isaak und Jakob, was sagst
du dazu? Wo ist deine Persönlichkeit des Satans? Denn was ich dir nun sagte, ist
die nackte geschichtliche Wahrheit, und die im Buche geschriebene ist nur ein
Bild, gegeben wie alle derlei Nachrichten in dichterischen Versen, die man
allein nur durch die Wissenschaft der Entsprechungen in der Natürlichkeit
verstehen kann. – Was sagst du nun dazu als selbst ein Schriftgelehrter?“
[DTT.01_011,68] Sagte der Oberpriester: „Ja, ja, die Sache hat viel für sich und
läßt sich gut hören, aber sie beruht dennoch auf dem Glauben und läßt über
diesen hinaus keinen erweisenden Grund zu. Aber es mag an dieser Sache immerhin
etwas sein, denn so es einmal pur auf dem Glauben beruht, da ist es am Ende
schon bald einerlei, ob ich dieses oder jenes glaube – und es ist etwas
Natürliches immer leichter zu glauben als etwas Übernatürliches. – Lassen wir
demnach von dieser Sache ab! Die Nacht ist vorüber, und man wird uns in der
Sprechhalle schon erwarten!“
[DTT.01_011,69] Sagte der junge Halbpharisäer: „Bin wahrlich sehr neugierig
darauf, was die Sache heute für eine Wendung nehmen wird! Aber nur um das möchte
ich um unseres Heiles willen wohl gebeten haben, daß mein Rat als klug wegen der
Römer in eine kleine Erwägung gezogen werden möchte; denn es liegt ja doch
wahrlich gar nicht so sehr etwas daran, ob wir unter uns und zwischen den vier
Wänden das halbwegs scheinbar annehmen, was der Knabe ganz eigentlich haben
will, da wir uns sonst die Römer sicher zu noch größeren Feinden machen würden,
als sie es ohnehin schon sind!“
[DTT.01_011,70] Sagte der Oberpriester: „Sei unbesorgt, mein Sohn! Was sich nur
immer tun läßt, das wird nicht unterlassen werden, denn heute kennen wir unsern
Standpunkt offenbar besser, als wir ihn gestern erkannt haben.“
[DTT.01_011,71] Nach diesen Worten kam ein Tempeldiener und meldete – wie
gewöhnlich in allertiefster Ehrfurcht –, daß der römische Kommissarius mit dem
Knaben, der Simon von Bethania und noch etliche Herren mit ihm in der Halle
seien.
12. Kapitel – Der Zusammentritt des Prüfungskollegiums im Sprechsaale am zweiten
Tage. Der mißglückte Versuch der Templer, die Sitzung aufzuheben.
[DTT.01_012,01] Auf diese Nachricht eilte das ganze Kollegium in den Sprechsaal
und wurde dort von den Anwesenden nach der Sitte geziemend begrüßt, etwas, was
die Pharisäer gar sehr liebten, und weshalb sich einige gleich aufhielten, weil
der Knabe nichts dergleichen tat, was nur von fernhin einem Gruße ähnlich sah.
[DTT.01_012,02] Es trat darum ein Alter zu Mir hin und fragte mehr bescheiden,
warum Ich als der etwas trotzig aussehende Knabe niemanden gegrüßt habe.
[DTT.01_012,03] Ich aber sagte ihm kurz: „Das schickt sich wohl von euch und
euresgleichen untereinander, aber was hat damit ein zwölfjähriger Knabe zu tun?!
Übrigens hat ja von euch auch Mich niemand gegrüßt, warum sollte Ich denn nun
wieder etwas zurückgeben, das Ich zuvor von euch noch nie erhalten habe?!
[DTT.01_012,04] Und zudem besteht bei uns in Galiläa diese Sitte nicht, und für
Mich schon gar nicht! Denn ihr lasset euch allezeit über alle Gebühr ehren und
grüßen, dieweil euch die Welt zu Herren gemacht hat. Ich aber bin in Meiner Art
auch ein ganz besonderer Herr, warum habt denn ihr Mich nicht auch zuvorkommend
gegrüßt?!
[DTT.01_012,05] O glaubet es Mir, Ich als Knabe weiß sehr genau, wen Ich zu
grüßen habe, aber euch bin Ich durchaus keinen Gruß schuldig! Den näheren Grund
kann euch Mein Römer kundgeben, so ihr ihn durchaus wissen wollet. Es ist aber
heute ja ein Nachsabbat, an dem, so wie am Sabbate selbst, nach eurer Satzung
alles Grüßen und Ehren streng untersagt ist, weil auch dieses den Sabbat
entheilige und den Menschen auf den ganzen Tag verunreinige. Warum verlanget
demnach ihr von Mir etwas, was euren Satzungen zuwiderläuft?“
[DTT.01_012,06] Hier schwiegen die Templer, sahen einander groß an, und der
junge Levite sagte: „Meine hohen Gebieter, es ist mit diesem sonst
allerholdesten Knaben ganz und gar nicht mehr zum Aushalten! Das schönste bei
der Sache ist nur, daß er um alles weiß und somit auch unwiderruflich recht
hat!“
[DTT.01_012,07] Sagte der Oberpriester zum römischen Kommissarius: „Hoher
Richter nach Recht und Gebühr! Dieser Knabe wies uns an dich wegen noch eines
Grundes, weshalb er uns nicht gegrüßt hat. Möchte es dir genehm sein, uns
denselben kundzutun?!“
[DTT.01_012,08] Sagte der Richter: „O warum nicht? Recht gerne auch noch
obendrauf! Ob es euch aber eben eine besondere Freude machen wird, das weiß ich
kaum.“
[DTT.01_012,09] Sagten alle: „Nur heraus damit, denn heute sind wir gut gelaunt
und vertragen gar manches, was wir sonst kaum ertragen würden!“
[DTT.01_012,10] Sagte der Richter: „Also wohl denn, und so höret! Dieser Knabe
selbst ist eben jener Wunderknabe aus Nazareth, den er gestern nur zu vertreten
schien! – Wie gefällt euch diese Geschichte? Wer ihm ein Haar krümmen würde,
hätte meinen höchsten Zorn zu gewärtigen!“
[DTT.01_012,11] Als das Kollegium solches hörte, fuhr es sehr erschreckt und
bebend zusammen!
[DTT.01_012,12] Erst nach einer Weile sagte der Oberpriester: „Warum hast du uns
denn das nicht schon gestern gesagt? Hätten wir das schon gestern gewußt, so
hätten wir sicher ganz anders mit dir geredet und hätten dir auch ganz andere
Antworten gegeben, die dir offenbar besser gefallen hätten als die gestrigen!“
[DTT.01_012,13] Sagte Ich: „Oh, das weiß Ich recht gut. Aber da es Mir nicht ums
Heucheln, sondern um die Wahrheit zu tun ist, so tat Ich eben also, wie Ich es
getan habe! Und wäre Ich heute noch der, der Ich gestern war, so hätte Ich von
euch wieder kein wahres Wort erfahren, da ihr in der Nacht euch aus Furcht vor
dem römischen Richter gar fein beraten habt, wie ihr Mir wegen des bereits in
dieser Welt seienden Messias gar alles wolltet gelten lassen, um Mich zu
besänftigen und durch Mich etwa auch den Richter wegen des Zacharias Geschichte.
[DTT.01_012,14] Da Ich aber nun nicht der Verteidiger des Wunderknaben, sondern
der Wunderknabe selbst bin, so hat solch plötzliche, unvorhergesehene Wendung
der Sache eure Sinne verwirrt und euern schlechten Plan vereitelt, und ihr steht
nun da voll Furcht und Angst, und wisset nicht aus und nicht ein. – Redet nun,
wie euch diese Geschichte behagt!“
[DTT.01_012,15] Alle stutzten, und der Oberpriester sagte mit scheinbar
freundlicher Miene: „Nun, du lieber Wunderknabe, da du so schon um alles zu
wissen scheinst, da möchte ich von dir nun auch noch erfahren, wer von uns
eigentlich solchen Rat ausgedacht hat!“
[DTT.01_012,16] Sagte Ich: „Eben derjenige, dem Ich selbst den Rat also
eingeflüstert! Er ist unter euch der Jüngste und ist auch aus Galiläa geboren:
sein Name ist Barnabe!“
[DTT.01_012,17] Diese Antwort war wieder ein Blitzstrahl unter die Pharisäer,
und es fing sie an eine große Furcht anzuwandeln; denn vieler Gewissen war sehr
unrein, und sie fürchteten manche Entdeckung ihrer geheimen Laster vor den Ohren
des strengen Römers.
[DTT.01_012,18] Der Oberpriester raunte einem Pharisäer still ins Ohr: „Geben
wir dem Simon das Geld zurück, und die Konferenz mit dem
Jehova-steh-uns-bei-Knaben, der uns noch die unerträglichsten Verlegenheiten
bereiten wird, ist aus! Oder wir fragen ihn um nichts mehr! So er uns fragt,
wollen wir ihm schon eine Antwort geben, aus der kein Satan klug werden soll!
Nein, der Bube soll uns noch lange nicht über den Kopf gewachsen sein! Schau du
einmal diese saubere Kundschaft an! Gestern war er ein anderer – und heute
wieder ein anderer!“
[DTT.01_012,19] Hier zog ein gar schlau sein wollender Pharisäer den
Oberpriester auf die Seite und sagte: „Weißt du was?! Dem Wechselbalge von einem
Wunderknaben sind wir ja gar keine Rede und Antwort mehr schuldig! Für den es
bezahlt wurde, der ist der heutige nicht, für den heutigen aber hat niemand
bezahlt, und mithin sind wir ihm auch keine Rede und Antwort mehr schuldig! –
Was meinst du?“
[DTT.01_012,20] Sagte der Oberpriester: „Freund, diesen Gedanken kann dir nur
ein Gott eingegeben haben! Wenn die Not am höchsten, ist die Hilfe von oben am
nächsten! Die Konferenz und Konzession (Erlaubnis zum Reden) werde somit als
aufgehoben erklärt, weil der heutige Knabe ein anderer ist, als der gestrige
war, für den eigentlich gezahlt worden ist!“
[DTT.01_012,21] Mit dem trat schnell der Tempelherold hervor und sagte mit
großem tempelamtlichen Pathos: „In aller Ermächtigung von seiten der
allerhöchsten Oberpriesterschaft des Tempels Jehovas erkläre ich auf Grund
dessen, daß der heutige Knabe nicht mehr der gestrige ist, für den die große
Taxe bezahlt worden ist, die weitere Sitzung als völlig aufgehoben, und man wird
diesem ganz anderen Wunderknaben, für den keine Taxe bezahlt wurde, und auch
niemand anderem Rede stehen!“
[DTT.01_012,22] Hier erhob sich aber der Richter voll Ernst und sagte: „Die
Sitzung bleibt, und ihr werdet reden! Der heutige Knabe ist ganz derselbe, für
den die große Taxe bezahlt wurde, nur die moralisch-charakteristische
Persönlichkeit ist, von euch unvermutet, eine andere geworden. Nach unseren
Gesetzen ändert aber dieser kluge Umstand nichts an dem Rechte des Knaben, und
somit lautet mein stets gültiger Richterspruch: Die Sitzung dauert heute und
morgen unverändert fort, was da auch immer kommen möge! Fraget oder antwortet,
das ist gleich! Dixi!“
13. Kapitel – Die Fortsetzung der Sitzung. Des Jesusknaben Frage an die Templer:
„Was würdet ihr tun, wenn Ich denn doch der Messias wäre?“ Jorams, des
Talmudisten, vorsichtige Antwort betreffs des Messias.
[DTT.01_013,01] Bei dieser energischen Widersprache des römischen Richters
traten alle, sichtbar unwillig, wieder an ihre Plätze und verhielten sich eine
Zeitlang stumm. Da an Mich keine Frage mehr ergehen wollte,
[DTT.01_013,02] so trat Ich unter sie und sagte: „Höret, da ihr Mich keiner
Frage mehr würdigen wollt, so werde Ich so frei sein, euch eine kleine Frage zu
stellen: Saget Mir – aber ganz offen –, was ihr dann tun würdet, so Ich denn
doch im Ernste der verheißene Messias wäre, um den sich gestern das
Hauptgespräch gedreht hat!“
[DTT.01_013,03] Sagte ein griesgrämiger, alter Haupttempelzelot: „Knabe, Knabe,
nimm dich vor Jehovas Tempel wohl in acht, was du rechtest und redest allhier an
heiliger Stätte! Hüte dich vor zu großem Frevel!“
[DTT.01_013,04] Ich aber sagte ihm darauf: „Hüte lieber du dich davor und ihr
alle, daß das Haus des Herrn von euch nicht gänzlich zu einer Mördergrube wird!
Dadurch aber, so Ich frage, was ihr tun würdet, wenn Ich am Ende dennoch der
verheißene Messias wäre, entheilige Ich den Tempel durchaus nicht, indem eine
solche Frage ohne alle Sünde und Scheu ein jeder Mensch an euch stellen kann! –
Und ihr könnt Mir ja ebenso eine bedingungsweise Antwort geben, als Ich euch nur
eine bedingungsweise Frage gestellt habe!“
[DTT.01_013,05] Hier erhob sich der alte weise Talmudist und Großkabbalist
namens Joram und sagte: „Bei Gott sind alle Dinge möglich; doch wir Menschen
müssen sehr auf unserer Hut sein und eine solche über alles hochwichtige
Verheißung erst dann als wahr annehmen, so alle Umstände, von denen die
Erfüllung der Verheißung in der beschriebenen Art begleitet sein muß, mit Händen
zu greifen klar dastehen vor jedermanns staunendem Auge.
[DTT.01_013,06] Nun, du mein Holdjunge, hast wohl halbwegs in bezug auf deine
Geburt im Propheten Jesaias ein paar Verse für dich; aber wieviel hat dieser
Prophet von dem verheißenen und kommen sollenden Messias noch alles geweissagt,
was auf dich ebensowenig paßt wie auf mich, obschon auch ich ein Abkomme Davids
und auch mit deinem Vater Joseph weitschichtig verwandt bin, wie ich auch am
meisten dazu beigetragen habe, daß die Tempelzöglingin Maria sein Weib wurde.
[DTT.01_013,07] Ich habe dieses mir sonst sehr werte Ehepaar schon über elf
Jahre lang nicht gesehen und dich als offenbar den Erstling Josephs aus der
zweiten Ehe noch gar nie. Ich weiß von dir also nachgerade nur soviel, als ich
gestern aus deinem Munde und von unserm Leviten Barnabe, der auch ein Nazaräer
ist, vernommen habe.
[DTT.01_013,08] Nun, deine besonderen Fähigkeiten, die nach verläßlichen
Berichten alles, was je irgendeine noch so vollendete Willens- und Glaubensmacht
als ein offenes Wunder leistete, himmelweit übertreffen sollen, wären freilich
von der Art, daß man von ihnen aus auch auf den Besitzer derselben ein ganz
besonderes Augenmerk zu richten hätte; aber von irgendeiner abgemachten
Bestimmtheit dessen, was sie beurkunden sollen, kann da begreiflicherweise noch
lange keine Rede sein, obwohl man – wie gesagt – sie als ein hell denkender
Mensch und Priester nicht unberücksichtigt lassen kann.
[DTT.01_013,09] Auf jeden Fall wird auch der Messias gleich uns ein Mensch sein,
nur seine Eigenschaften und Fähigkeiten werden göttlicher Art sein. Nun, was
deine Eigenschaften schon jetzt in deinen Kindesjahren betrifft, so wären diese
schon von der Art, die für dein späteres Mannesalter etwas Ungeheures erwarten
ließen. Aber siehe, ich bin schon ein sehr alter Mann und habe viele Erfahrungen
gemacht, und ich habe auch schon zu öfteren Malen bei Kindern in der oft
zartesten Jugend nicht selten Fähigkeiten und Eigenschaften entdeckt, die mir da
sagten: aus diesem und jenem Kinde hat uns Jehova offenbar wieder einen großen
Propheten erweckt! – Allein, als solche Kinder dann älter und älter geworden
sind, haben alle die glänzenden Eigenschaften rein, als wären sie nie dagewesen,
sich verloren, und der Mensch war so ein ganz gewöhnlicher wie unsereiner, der
ich nur das weiß, was ich bei allem Fleiße in vielen Jahren recht mühsam erlernt
und erfahren habe!
[DTT.01_013,10] Es hat sonach an mir wie an unzählig vielen anderen Menschen
sich der Schriftspruch bewahrheitet: ,Im Schweiße deines Angesichtes sollst du
dein Brot essen!‘ Und es wird dir, mein holdester Vetter, vielleicht auch noch
einmal also ergehen – vielleicht auch nicht, was wir Menschen nicht und nie als
ausgemacht zum voraus bestimmen können. Der Mensch denkt wohl so manches, Gott
aber lenkt es! – Nun, mein lieber, holdester junger Vetter, kannst du wieder
deine Bemerkungen machen, und ich werde dir recht gerne Rede stehen!“
[DTT.01_013,11] Sagte Ich: „Du bist Mir auch aus euerm ganzen Kollegium der
Liebste und hast für Mich schon in dieser Nacht dem Hohenpriester ein gutes und
reines Wort geredet, wodurch dem Hohenpriester ein wenig die Augen bezüglich der
Persönlichkeit des Satans geöffnet wurden, daß er zum wenigsten – und zwar zum
ersten Male in seinem ganzen Leben – einen Dunst von der allwichtigsten
Entsprechungslehre bekommen hat und dadurch einzusehen begann, daß Taten wie die
Meinigen unmöglich mit Hilfe einer bösen Macht und Kraft zustandegebracht werden
können!
[DTT.01_013,12] Du siehst aus dem, daß Mir auch das nicht verborgen ist, was du
noch so still und geheim mit dem Oberpriester verhandelt hast, und so kannst du
dir es auch denken, daß Ich nun ganz genau weiß, was sich nun der sehr verlegene
Oberpriester denkt, der darum eine große Furcht hat, durch Mich in irgend etwas
für ihn Unangenehmem verraten zu werden. Allein, diese Furcht ist bei ihm eine
eitle.
[DTT.01_013,13] Ja, würde Ich mit des Beelzebubs Hilfe Meine Taten verrichten,
da wäre er schon lange verraten und auch schon gerichtet, aber da Ich alle Meine
Werke nur mit der Kraft und Macht Gottes in Mir verrichte, die ewig nur Gutes
und nimmer etwas Böses will, so hat der Oberpriester sich vor Mir auch nicht zu
ängstigen – denn von Mir ausgehend soll ihm kein Haar gekrümmt werden!
[DTT.01_013,14] Wir aber haben nun die Zeit mit recht vielen unnützen Dingen
verplaudert und die eigentliche Hauptsache in ihrem weiteren Verfolge ganz
beiseite gelassen!“
[DTT.01_013,15] Hier fragte Joram: „Worin soll eigentlich diese bestehen? Rede
du nun ganz von der Leber weg, und wir werden in unserer Beurteilung billig
sein, da wir auch in dir recht viel Billigkeit entdeckt haben!“
14. Kapitel – Des Jesusknaben Zeugnis über sich als dem rechten ,Raubebald,
Eilebeute‘. Jorams Ansicht: Abwarten und die Zeit entscheiden lassen! Jesu
Hinweis auf die Allmacht Gottes in sich. Jorams ablehnende Antwort.
[DTT.01_014,01] Sagte Ich: „Hier vor euch steht in Mir der rechte ,Raubebald,
Eilebeute‘, ein Name des Sohnes einer Prophetin im Jesaias. Wir haben gestern
von dem kommenden Messias gesprochen. Ich selbst ward euch als solcher
dargestellt, und zwar laut den genauest auf Mich passenden Texten aus dem
Propheten Jesaias. Die Sache aber wurde von euch negiert.
[DTT.01_014,02] Gestern redete Ich nur wie ein zweiter von Mir, heute aber stehe
Ich selbst vor euch ohne die allergeringste Furcht, weder vor euch noch vor
jemand anderm in der ganzen Welt, da Ich Mir der ewig nie besiegbaren Kraft und
Macht in Mir selbst bewußt bin, die wahrlich keine fremde, sondern Meine
höchsteigene ist, und greife dasselbe Thema wieder auf und frage nun besonders
dich, Joram, was du davon hältst! Rede aber nun auch du ohne Scheu und Furcht,
so ganz von der Leber weg! Wahrlich, auch dir soll darum kein Haar gekrümmt
werden!“
[DTT.01_014,03] Sagte Joram: „Ja, du mein sonst allerliebster und holdester
Vetter (wirst mirs nicht übel nehmen, daß ich dich nun also nenne, denn ich bin
ja mit deinem Vater wahrlich sehr nahe verwandt), das ist und bleibt immerhin
eine sehr kitzlige Sache, zu sagen: ,Du bist es, der da verheißen ist!‘ Und es
wäre so etwas unter gewissen Umständen nun auch noch sehr gewagt, da man doch
schon so manche Beispiele von Kindern hat, die auch in ihrer zarten Jugend
manche außerordentliche Talente und Fähigkeiten an den Tag gelegt haben, daß
darob oft eine große Menschenmenge ins größte Staunen versetzt ward; aber in den
späteren Jahren wurden ganz gewöhnliche Menschen daraus, daß von ihren
Jugendtalenten und -fähigkeiten keine Spur mehr an ihnen zu entdecken war!
[DTT.01_014,04] Nun, ein solcher Fall, wenn auch nicht wahrscheinlich, muß von
uns Menschen doch auch bei dir als möglich angenommen werden, und es wäre daher
eine volle Annahme dessen, als stecke in dir verborgen der verheißene Messias,
ein wenig verfrüht, was du mir als ein wahrhaft für deine Jugend überraschend
weiser Knabe nicht in Abrede stellen wirst! Aber dir in Anbetracht deiner
Geburt, deiner Abstammung und deiner noch nie dagewesenen Fähigkeiten
apodiktisch in Abrede stellen, daß du der Verheißene seiest, wäre meiner Ansicht
nach ebenso unsinnig, denn du kannst ja das ebensogut sein wie nicht sein! Daher
heißt es nach meiner Ansicht sowohl für dich als für uns, abwarten und sehen,
was uns die Zeit bringen wird! – Sage mir du nun, ob ich recht habe oder nicht!“
[DTT.01_014,05] Sagte Ich: „Weltlich, nach der irdischen Vernunft hast du
offenbar recht! Aber es liegt im Menschenherzen ja noch ein tieferes und
leuchtenderes Kriterium; dieses könnte es dir schon sagen, ob Ich ein Knabe
jener Art bin, der in späteren Jahren seiner Fähigkeiten bar werden kann. So Ich
die Macht habe, zu schaffen und zu zerstören nach Meiner höchsteigenen Willkür,
wie werde Ich Mich da selbst zerstören wollen?!
[DTT.01_014,06] Ich sage dir: Von Meinem inneren Geiste hängt das Dasein aller
Dinge allein ab. Daher kann ich denn auch wollen, was Ich will, und es muß
geschehen, was Ich will, wie dir solches auch von Mir ausgesagt ward durch
anderer Zeugen Mund, nicht allein durch den Meinigen. Wenn aber also, wie läßt
sich da dann wohl denken, daß Ich je Meiner dir bekanntgegebenen Eigenschaften
und Fähigkeiten bar werden könnte?! Kann Ich aber das nicht, was bin Ich dann?“
[DTT.01_014,07] Sagte Joram: „Ja – jetzt – das ist noch immer nur eine Annahme,
aber noch lange kein Beweis! Dasselbe, was du von dir sagst, könnte ebensogut
auch ich von mir sagen; aber da so etwas denn ein wenig zu kühn wäre und etwas,
was mir ewig nicht gleichsehen könnte, so würde man mich entweder weidlichst
auslachen oder als einen Narren in Gewahrsam bringen! Nun, du bist ein geweckter
Knabe in einem unzurechnungsfähigen Alter und scheinst eine große dichterische
Begabung zu besitzen, schon von Mutterleibe an, und man lächelt daher nur zu
deinen mutterwitzigen Ausbrüchen!
[DTT.01_014,08] Schau, schau, du sonst allerliebster Knabe! Wo kann denn ein
Mensch je von sich sagen: ,Durch meinen innern Geist ist alles, was da ist,
erschaffen!‘?! Das kann nur der ewige und unendliche Geist Gottes, der in seinem
Wesen allenthalben gegenwärtig ist! Da hast du dich in deiner Messiasidee ein
wenig zu hoch verstiegen! Bleiben wir nur immer schön auf dem Boden dieser Erde
und bearbeiten denselben mit dem rechten Fleiße, damit er uns eine hinreichende
Nahrung bringe, dann werden wir sicher besser daran sein, als wenn wir uns zu
etwas machen wollen, was unmöglich ist und nie werden kann!
[DTT.01_014,09] So etwa einst der Messias kommen wird, da wird Er nur als ein
vollkommener Mensch, nie aber als ein Gott zu uns kommen! Aber es ist bei euch
halbgriechischen Juden und somit auch Halbheiden also die Sitte, daß ihr
Menschen von besonderen Begabungen gleich unter die Götter steckt oder euch
selbst als solche anseht und betrachtet. Das sollte aber nicht sein und ist hoch
gefehlt gegen das Gebot Gottes, wo es heißt: ,Ich allein bin euer Gott und euer
Herr, ihr sollet keine fremden Götter neben mir haben!‘ Aber in Gliläa scheint
man es mit diesem Gebote eben nicht gar zu genau zu nehmen, ansonst es dir nie
einfallen könnte, dich als einen Gott zu dünken!
[DTT.01_014,10] Siehe, solches unterlaß du in der Folge, und bleibe bei allen
deinen außerordentlichen Talenten und Fähigkeiten dem alten und einzigen Gotte
treu, und laß die Heiden Heiden sein, so wird es dir wohlergehen auf Erden! Was
ist denn selbst die größte Stärke eines Riesenmenschen gegen die vereinte Kraft
von vielen tausend Menschen, und was dann erst die Stärke eines Knaben?! So aber
David sagt: ,Oh, wie gar nichts sind alle Menschen gegen Dich, o Herr!‘ – wie
kann es einem Knaben einfallen, zu sagen, er sei ein Gott in seinem Geiste,
durch den alle Dinge erschaffen seien?! – Siehst du wohl ein, daß du da
ungeheuer über die Schnur gehauen hast?!“
[DTT.01_014,11] Sagte hier der Oberpriester: „Na, das war einmal wieder eine
gesunde Belehrung, gepaart mit ungewöhnlich vieler Mäßigung! – Das ist aber
richtig und wahr: weil es von den Galiläern geschrieben steht, daß in ihrem
Lande kein Prophet aufstehen kann, so machen sie sich lieber gleich selbst zu
Göttern, diese Halbheiden! Und dieser Knabe scheint die besten Anlagen dazu zu
besitzen! Ja, du mein lieber Messiasknabe, uns macht man nicht gar so leicht ein
Alpha für ein Omega! So etwas kann wohl in Nazareth gehen, aber bei uns in
Jerusalem geht das nicht!“
15. Kapitel – Allerlei Einwände Jorams und des Oberpriesters gegen die
Messianität des Jesusknaben und ihre Widerlegung.
[DTT.01_015,01] Sagte Ich: „Ihr habt in eurer Art und Erkenntnis ganz wohl
geredet, da eure Gedanken und Begriffe nicht weiter hinreichen, als wie weit da
reicht euer Odem. Würdet ihr aber weiter und höher zu denken imstande sein, so
würdet ihr Mich auch mit ganz anderen Augen ansehen und über Mich auch ganz
anders urteilen. Da ihr aber das schon anstößig findet, was Ich euch über Meinen
innern Geist gesagt habe, so erkläret es Mir, was hernach das für ein Geist war,
der aus den Propheten redete!“
[DTT.01_015,02] Sagte Joram: „Das war Gottes Geist, und zwar derselbe, durch den
alle Dinge gemacht worden sind!“
[DTT.01_015,03] „Gut“, sagte Ich, „so jener Geist, der aus den Propheten redete,
Gottes Geist war, warum sollte dann Mein innerer Geist kein Gottesgeist sein, da
Ich aus demselben bei weitem Größeres zu wirken imstande bin, als alle die
Propheten von Henoch an je gewirkt haben?! Denn sie waren beschränkt, nur in
einer gewissen Sphäre zu wirken, Ich aber bin unbeschränkt und tue, was Ich
will, und es muß geschehen, was Ich will! Wenn aber also, wie ist dann Mein
innerer Geist ein anderer denn jener, der aus den Propheten redete?!“
[DTT.01_015,04] Sagte Joram: „Ja wohl, ja wohl und ganz gut, es könnte das schon
also sein, wenn du nur kein Galiläer wärest! Aber es steht denn einmal im Buche
geschrieben, daß aus Galiläa kein Prophet kommt – und so mußt du es dir schon
gefallen lassen, daß wir deinen innern Geist jenem der Propheten nicht
gleichstellen können und dürfen!“
[DTT.01_015,05] Sagte Ich: „Bin Ich denn auch in Galiläa geboren?! Ist nicht
Bethlehem, die alte Stadt Davids, Meine Geburtsstätte?! Schlaget nach in euern
Registern, ob es nicht also ist! Oder war Jesaias darum etwa kein rechter
Prophet, weil er auch nach Galiläa kam und dort Weissagungen machte in der Nähe
der alten Stadt Cäsarea Philippi?! – Sehet, wie blind ihr doch seid und wie
unstichhaltig euer Urteil!
[DTT.01_015,06] Es ist in der Schrift wohl gesagt, daß niemand, der in Galiläa
geboren, zu einem Propheten erweckt werden kann. Da aber weder mein Nährvater
Joseph noch Meine Leibesmutter Maria und ebensowenig auch Ich von Geburt
Galiläer sind, sondern nur als fremde Einwanderer erst neun Jahre lang in
Nazareth leben, wie soll dann Ich nicht auch den wahren, göttlichen Geist in Mir
besitzen können gleich jedem andern Propheten?!“
[DTT.01_015,07] Sagte der Oberpriester: „Steht es aber nicht auch geschrieben:
,Siehe, Ich sende Meinen Engel vor Dir her, damit er bereite die Wege dem Herrn
und ebne seine Fußstapfen!‘, und es werde zuvor Elias kommen und die Menschen
wohl vorbereiten auf die große Ankunft des Messias?! Ist das bei dir nun der
Fall? Wo ist der Engel des Herrn und wo Elias?“
[DTT.01_015,08] Sagte Ich: „Für Menschen eures Schlages, die vor lauter Bäumen
den Wald nicht sehen, ist freilich weder der Engel des Herrn noch sein Prophet
Elias dagewesen; doch für die Sehenden ist das alles schon vor zwölf Jahren
geschehen! Ihr aber habt weder den Engel, der mit Zacharias redete, noch dessen
wunderbar gezeugten Sohn gesehen und erkannt, denn was bei euch nicht mit Feuer,
Blitz und Donnergekrache geschieht, das merket ihr nicht!
[DTT.01_015,09] Als Elias in seiner Felsenhöhle die Aufforderung erhielt, darauf
zu achten, wie Jehova vor seiner Höhle vorüberziehen werde, da zog zuerst ein
Feuer vor seiner offenen Höhle vorüber, aber darin war Jehova nicht. Dann zog
ein mächtiger Sturm vorüber, aber auch darin war Jehova nicht. Am Ende zog ein
kaum merkbares Säuseln vor der Höhle vorüber – und siehe, darin war Jehova!
[DTT.01_015,10] Und seht, eben damit zeigt der große Prophet die gegenwärtige
Ankunft des Messias an!
[DTT.01_015,11] Ihr erwartet wohl Feuer und Sturm, was vor euch schon oftmals
vorüberzog, aber da war Jehova nicht darin. Nun zieht das sanfte Säuseln vor
euch vorüber, darin wahrlich Jehova ist, aber das merken eure tauben Ohren und
blinden Augen nicht und werden es auch nicht merken – außer am Rande eures
Lebens, allwann euch aber solch spätes Merken nicht mehr viel nützen wird!
[DTT.01_015,12] Gebt Mir darauf eine Antwort nach eurer Tempelweisheit!“
16. Kapitel – Die Frage des spottenden Barnabe. Des Herrn rügende Antwort und
Gegenfrage. Barnabes Verlegenheit und Abbitte. Das Wunder mit den Eselsohren und
dem lebendigen Esel.
[DTT.01_016,01] Barnabe fragte die hohen Pharisäer um die Erlaubnis, mit Mir zu
reden, da er auf einen guten Einfall gekommen sei. Man gestattete ihm das, und
er begann also wie folgt zu reden:
[DTT.01_016,02] „Höre, du mein lieber, kleiner herrgottlicher Messias aus
Nazareth in Galiläa, was freilich nicht viel sagen will! Du hast uns nun so
einige Beweislein geliefert, aus denen wir sogar mit unsern verstopften Ohren zu
hören und mit verbundenen Augen zu sehen anfangen, daß du am Ende dennoch der
verheißene Messias bist, aber eben mit dieser Einsicht stehen wir nun ganz als
eingespannte Ochsen am Berge! Was werden wir nun tun? Oder was sollen wir nun
tun?
[DTT.01_016,03] Dieser Tag geht schon seinem Ende entgegen, und du hast nur noch
morgen das erkaufte Recht, zu reden, obgleich du der Messias bist! Daher meine
ich, daß es für dich nun an der Zeit wäre, deine Anordnungen zu machen, was von
nun an, da wir dich erkannt haben, mit uns und mit dem Tempel zu geschehen hat!
Bleibt alles, wie es ist, oder wird alles neugestaltet? Du bist nun einmal der
verheißene und zu uns hereingesäuselte Messias, was wir dir nicht mehr
abstreiten können: aber was nun? – Rede, und handle nun, du junger
gottmenschlicher Messias – natürlich von oben her!“
[DTT.01_016,04] Sagte Ich: „Wegen dieses deines gar schlechten Witzes hättest du
wahrlich nicht nötig gehabt, dein Maul gar so weit aufzureißen und zu zeigen,
daß du wohl sehr gerne etwas möchtest, aber es fehlen dir die materiellen und
geistigen Mittel dazu! Verstanden, du Träger Bileams?! – Aber da du an Mich nun
einmal die Frage gestellt hast, was von nun an mit euch und mit dem Tempel zu
geschehen hat, so muß Ich dir schon auch eine rechte Antwort darauf geben!
[DTT.01_016,05] Siehe, also steht es geschrieben: ,So aber der Messias kommen
wird, da wird Er das Gesetz nicht aufheben – auch nicht ein Häkchen desselben –,
sondern es selbst auf das genaueste erfüllen!‘ Er wird nicht aufheben den Tempel
und dessen Diener, wohl aber züchtigen dessen gesetzwidrige Verkehrtheit, und
weise sich dünkende Protzer von Leviten wird Er kennzeichnen zur dankbaren
Anerkennung ihrer schlecht angebrachten Witzereißerei!
[DTT.01_016,06] Ist denn für dich Meine auf Mich bezug habende Besprechung der
eben auch unwiderlegbar auf Mich bezug habenden Schrifttexte eine Narrheit?!
Oder beweise du es Mir, daß Ich nicht gerade auf ein Haar derselbe bin, von dem
alle Propheten geweissagt haben! So du aber dessen ernstlich nicht imstande
bist, wozu unterfängst du dich dann, Mich zu verspotten?! – Na warte – Ich werde
dir nun auch eine Frage geben, die du Mir beantworten wirst! Beantwortest du Mir
die Frage nicht zu Meiner Zufriedenheit, so sollst du Mir zu einem wahren Midas
der Heiden werden!
[DTT.01_016,07] Sage Mir, du seichtester Witzbold, was der Name ,Jerusalem‘
besagt?! Was steckt darinnen? Als Levite und angehender Varisar (Pharisäer) mußt
du das aus den Büchern Mosis und auch aus dem Buche Henoch, das Noah über die
Sündflut herübergebracht hat unter dem Titel ,Kriege Jehovas‘ wissen, und Ich
habe nun das volle Recht, von dir die Erklärung zu verlangen, denn es liegt gar
viel an dem richtigen Verständnisse dieses Namens! Rede nun!“
[DTT.01_016,08] Der junge Levite hatte von der urhebräischen Zunge keinen Dunst.
Er bat Mich deshalb um etwas Zeit und Geduld, und Ich gewährte ihm das. Nun
schlich er sich zu einem alten Schriftgelehrten, ob dieser ihm das nicht zu
sagen wüßte. Allein der wußte es auch nicht und beschied ihn zum Kabbalisten
Joram. Dieser zuckte auch bedenklich mit den Achseln und sagte nach einer Weile
leise zu ihm:
[DTT.01_016,09] (Joram:) „Ja, es gibt in den gar alten Büchern wohl eine Art
etymologischer Erklärung hierüber, und in der Kabbala geschieht auch eine Art
erläuternde Erwähnung, aber in so mystischen Thesen, daß dagegen das Hohe Lied
Salomons ein wahres Kinderspiel ist! Ich selbst habe weder das eine noch das
andere verstanden und kann dir daher nun unmöglich aus deiner Verlegenheit
helfen!
[DTT.01_016,10] Übrigens muß ich dir die Bemerkung machen, daß du mit dem Knaben
einmal wegen seiner eminenten Geistesschärfe und dann wegen des Ansehens seines
hohen römischen Protektors viel glimpflicher hättest reden sollen, zumal du eben
derjenige bist, der uns eine mehr haltbare Auskunft über sein wundersames Wesen
gegeben hat!
[DTT.01_016,11] Merktest du denn zuvor nicht, wie er von Wort zu Wort um alles
wußte, was wir in der Nacht in aller Geheimheit über ihn beraten und gesprochen
haben?! Ich sagte dazu nichts, habe aber für mich darin ein gewaltiges Zeichen
gefunden von der Anwesenheit eines Geistes in diesem Knaben, dem es eben kein
Schweres zu sein scheint, Herzen und Nieren der Menschen zu prüfen.
[DTT.01_016,12] Ich gebe dir darum den Rat, den außerordentlichen Knaben wegen
der angetanen offenbaren Beleidigung um Vergebung zu bitten, sonst stehe ich
wahrlich nicht gut, ob er dir nicht einen lästigen Schabernack spielt! Gehe hin,
und folge meinem Rate!“
[DTT.01_016,13] Sagte Barnabe: „Na, das Recht zu reden hat er allerdings, und
Scherz versteht er auch keinen – so muß man ihn denn doch um Vergebung bitten!
Daß aber niemand den Namen der Stadt zergliedern kann, das ist wahrlich bei uns
Templern doch auch etwas Sonderbares!“
[DTT.01_016,14] Hierauf begab sich Barnabe wieder zu Mir und sagte freundlichen
Angesichtes: „Lieber, holdester Junge! Ich habe meinen groben Fehler, den ich an
dir durch meinen wahrlich schlechten und sehr unzeitigen Witz begangen habe,
eingesehen und bitte dich wahrhaft von ganzem Herzen um Vergebung und füge
sogleich inständigst die Bitte hinzu, daß du uns gefälligst den Namen
,Jerusalem‘ erläutern möchtest, denn wir alle wissen nichts aus ihm zu machen!
Man übersetzt ihn wohl mit dem Ausdrucke ,Heilige Stadt‘ oder ,Stadt Gottes‘ –
allein, wie das im Worte ,Jerusalem‘ vorhanden sei, das weiß wohl kaum jemand
von uns!
[DTT.01_016,15] Man erzählt sich wohl, daß ein Ort hier unter dem Namen ,Salem‘
bestanden hatte, wo der große und mächtige König wohnte, dem alle damaligen
Fürsten der Erde den Zehent geben mußten – denn der König Melchisedek war für
alle Menschen auf der Erde zugleich der einzige und wahrhaftigste Hohepriester
Jehovas –, aber man weiß sonst von diesem Hohenpriester, von seinen Lehren und
Taten, wie auch von seiner Persönlichkeit wenig oder auch nichts! Wenn du ohne
Zweifel davon mehr weißt denn wir alle, so setze uns gefälligst davon in
Kenntnis!“
[DTT.01_016,16] Sagte Ich: „Dein Glück, daß du Mir so gekommen bist – sonst
wärest du auf eine Art gezeichnet worden, die dir wahrlich nicht angenehm
gewesen wäre! Die Zeichen aber, mit denen dein Haupt geziert worden wäre, liegen
nun zu deinen Füßen. Hebe sie auf und lerne daraus, daß Ich die mutwillige
Spottsucht bei jedem Menschen züchtige, und daß man an der Stätte, wo es sich um
den größten Lebensernst aller Menschen der Erde für ewig handelt, sich nicht
eines elenden und nichtigsten Scherzes bedienen soll! – Besieh nun zuvor den
Scherz, den Ich für deinen schlechten Witz mit dir gemacht hätte, dann erst
werde Ich dir auch die zweite Bitte gewähren!“
[DTT.01_016,17] Hier bog sich Barnabe zu Boden und hob zwei zu seinen Füßen
liegende, vollkommen ausgebildete, ganz natürliche Eselsohren auf und entsetzte
sich darum um so mehr, weil ihnen jede Spur mangelte, als wären sie zu dem
Behufe einem wirklichen Esel abgeschnitten worden.
[DTT.01_016,18] Einige der Anwesenden – besonders unser Simon und der römische
Richter – gerieten dadurch in ein helles Lachen, aber allen Templern wurde es
ganz sonderbar zumute, und sie fingen an, sich untereinander zu fragen, wie
solches auf eine natürliche Weise möglich wäre. Und sie rieten hin und her,
konnten aber zu keinem nur von fernhin haltbaren Resultate gelangen.
[DTT.01_016,19] Da sagte Barnabe: „Was nützt all unser Hin- und Herraten, die
Sache ist ein reines Wunder und weiter nichts! Denn hätte sich der Knabe damit
zuvor schon vorgesehen, so müßte er auch schon zuvor gewußt haben, daß ich gegen
ihn einen schlechten Witz machen werde! Und das wäre doch etwa ein noch größeres
Wunder!
[DTT.01_016,20] Der Knabe aber hat uns von solcher seiner Eigenschaft schon
dadurch eine sehr denkwürdige Probe abgelegt, als er unsere geheimen nächtlichen
Besprechungen mir von Wort zu Wort vortrug und dem Hohenpriester seine
geheimsten Gedanken offen und laut aussprechen wollte! Wer das eine kann, dem
dürfte etwas anderes auch auf eine gleiche, uns freilich unbegreifliche Weise
möglich sein!
[DTT.01_016,21] Hinter diesem Knaben steckt unfehlbar etwas Außerordentliches!
Ich wäre für mich schon der Meinung, daß sich mit der Zeit aus ihm ein ganz
vollkommener Messias herausbilden dürfte!“
[DTT.01_016,22] Sagte der Oberpriester: „Du redest geradeso wie ein Blinder von
der Pracht der Farben! Wie oft haben persische Zauberer uns mit Zauberstücken
überrascht, und Gedanken erraten, ist bei uns auch nichts Neues mehr! Wer kennt
die griechischen Orakel nicht?! Diese haben das Gedankenerraten so geläufig
gehabt, daß sich am Ende nahezu niemand mehr in ihre Nähe zu kommen getraute!
[DTT.01_016,23] Ja, mein Lieber, bei einer so hochwichtigen Sache muß man mit
ganz anderen Augen schauen und die Erscheinungen einer viel tieferen Beurteilung
unterziehen! Erst wenn man alles genauest durchgeprüft hat, kann man – aber
immer nur sehr behutsam – dabei eine etwas bessere Meinung anzunehmen anfangen!
Von einem Vollglauben aber darf so lange keine Rede sein, als bis alle Umstände
und Zeichen derart konstatiert sind, daß sie nichts mehr zu wünschen
übriglassen.
[DTT.01_016,24] Das, mein lieber Barnabe, zu deiner Belehrung, denn es ist das
noch immer ein alter Fehler von dir, daß du bei deinen sonst sehr schätzbaren
Kenntnissen sehr leichtgläubig bist!“
[DTT.01_016,25] Sagte Barnabe: „Nein, das war ich nie! Denn wäre ich ein
Leichtgläubiger, so wäre ich niemals zu den mannigfachen gründlichen Kenntnissen
gekommen, die man sich durch Leichtgläubigkeit niemals erwerben kann. Ich
verstehe eine Sache und eine Erscheinung zu prüfen und unterscheide ganz sicher
das Alpha vom Omega, aber hier ist mein ganzer Verstand mir zu kurz geworden,
und alle meine vielen und mannigfachen Erfahrungen sind in den Jordan gefallen!
[DTT.01_016,26] Die Zauberkünste der Perser kenne ich und noch eine Menge
anderer, aber da gibt es keine darunter, durch die man imstande wäre, ein Paar
ganz unversehrter Eselsohren aus der puren Luft ins Dasein zu rufen. Und die
klug berechneten Orakelsprüche und Gedankenerratungen sowohl des ältesten
Orakels zu Dodona wie jenes zu Delphi sind mir wohlbekannt. Aber darunter habe
ich nie dem Ähnliches gefunden, wie dieser Knabe mir, wie auch dem Joram, von
Wort zu Wort vorhielt, was wir ganz geheim unter uns besprochen haben!
[DTT.01_016,27] Ich bleibe daher bei meiner ausgesprochenen Meinung und sage
noch einmal ganz unverhohlen: Hinter diesem Knaben steckt mehr, als was wir alle
je zu begreifen imstande sein werden! Ich will gerade nicht behaupten, daß er
wegen seiner außerordentlichen Eigenschaften schon unfehlbar der anzuhoffende
Messias sei; aber eher kann es offenbar er sein denn irgend jemand von uns
allen, wie wir da versammelt sind!
[DTT.01_016,28] Aber nun, mein lieber, holder junger Landsmann, möchte ich wohl,
bevor es Abend wird, noch das ,Jerusalem‘ und den ,Melchisedek‘ von dir
versprochenermaßen erklärt haben!“
[DTT.01_016,29] Sagte Ich: „Das soll dir, weil du so gut für Mich geredet hast,
auch werden. Nimm aber zuvor die beiden Eselsleser (Eselsohren) an den äußersten
Spitzen in deine Hände und halte sie zwischen den Fingern etwas in die Höhe, und
wir werden sehen, ob das auch die persischen Zauberer vermögen!“
[DTT.01_016,30] Barnabe tat das, und Ich sprach: „Es werde zu diesen Lesern auch
ein lebendiger und völlig gesunder Eselsleib!“
[DTT.01_016,31] Im Augenblick stand ein gutgestalteter Esel mitten unter der
Gesellschaft!
[DTT.01_016,32] Da entsetzten sich alle wegen Meiner Wundertatskraft und machten
Miene, die Flucht zu ergreifen.
[DTT.01_016,33] Aber der römische Richter und Simon ließen das nicht zu und
sagten: „Die Zeit muß eingehalten werden, und der Wunderknabe wird noch die zwei
Worte erklären!“
[DTT.01_016,34] Da setzten sich die Templer wieder und staunten den
neugeschaffenen Esel verblüfft an, und keiner vermochte auch nur eine Silbe über
seine Lippen zu bringen oder zu urteilen, wie etwa solches zu bewirken möglich
wäre.
17. Kapitel – Das wunderbare Verschwinden des Esels. Das Steinwunder. Des
römischen Richters Verwunderung wegen der Wunderkraft des Jesusknaben und dessen
aufklärende Worte über das Kommen seines Gottesreiches.
[DTT.01_017,01] Ich aber sagte: „Um euch zu zeigen, welche Macht Mir zu eigen
ist, und um euch die Furcht vor diesem unnatürlichen Tiere zu nehmen, so gebiete
Ich, daß es wieder also vergehen soll, wie es entstanden ist!“
[DTT.01_017,02] Im selben Moment war das Tier völlig zunichte, so daß auch nicht
ein kleinstes Härchen von ihm übrigblieb. Darüber erstaunten alle noch mehr und
wußten nicht, was sie darüber sagen sollten.
[DTT.01_017,03] Nur der sehr beherzte römische Richter sagte: „Nein, höre du,
mein liebster Knabe, in dir muß entweder Zeus oder irgendeine andere
Hauptgottheit wohnen! Wenn du wolltest, da könntest du wohl auch ein natürliches
Tier oder auch eines Menschen Dasein zunichte machen?“
[DTT.01_017,04] Sagte Ich: „O ja, nicht nur das, sondern auch die ganze Erde!
Aber Mein Sinn, den noch nie jemand erkannt hat, ist: alles zu erhalten und
nichts zu vernichten. Aber damit du selbst ersehen magst, daß Ich kein eitler
Prahler bin und das, was Ich aussage, auch zu leisten imstande bin, so bringet
Mir einen Stein, so groß und schwer, wie ihr wollt, hierher, und leget ihn auf
den Tisch!“
[DTT.01_017,05] Alsbald wurde ein über 100 Pfund schwerer und sehr harter Stein
herbeigeschafft und mit Mühe auf den Tisch gelegt. Als der Stein dalag,
[DTT.01_017,06] sagte Ich über ihn: „Löse dich, und werde zu Äther als deinem
ursprünglichen Elemente!“
[DTT.01_017,07] Und der Stein war hinweg, daß von ihm auch nicht ein
Sonnenstäubchen groß übrigblieb.
[DTT.01_017,08] Da sagte der Römer: „Das, meine achtbaren Freunde, kann nur
einem Gott, nie aber einem Menschen von noch so großen Talenten möglich sein!
Ich habe davon nun die Überzeugung bekommen, daß es um sehr vieles besser ist,
mit dir, holdester Knabe, in der besten Freundschaft denn in Feindschaft zu
stehen.
[DTT.01_017,09] Was würden uns Römern all unsere vielen Legionen der tapfersten
Krieger gegen dich nützen?! Denn du darfst nur wollen, und sie erleiden das
Schicksal dieses Steines und sind im Moment deines Wollens nicht mehr hier,
sondern aufgelöst in Luft und Äther! Und somit erkläre ich, daß du unfehlbar ein
rechter Messias deines Volkes bist und keine Macht je mit dir sich in einen
gänzlich fruchtlosen Kampf einlassen wird!“
[DTT.01_017,10] Sagte Ich: „Darum laß du als Römer dir ja nie ein graues Haar
wachsen! Denn Ich bin nicht gekommen in diese Welt, um Mich zu einem Weltfürsten
zu machen und den Juden ein weltliches Reich zu gründen, sondern allein um das
Gottesreich alles Lebens zu bringen allen Menschen, die eines guten Willens
sind, und zu verderben das Reich des Satans, der da ist der Tod auf Erden! Daher
wird jedes irdische Reich wohl bestehen können und am allerwohlsten, so es auch
das Gottesreich, das Ich auf Erden schaffen werde, anziehen wird!
[DTT.01_017,11] Es weiche darum jede Furcht von euch ob Meiner göttlichen Macht,
denn Ich werde euch untertan bleiben bis zur Umwandlung Meines Leibes, allwann
Ich heimkehren werde dorthin, von wannen Ich gekommen bin. – Jetzt aber wollen
wir zum Schlusse des heutigen Tages noch die zwei Worte näher beleuchten!“
[DTT.01_017,12] Sagte ganz erfreut auch Barnabe: „Na, dem Herrn alles Lob! Nur
Worte wieder und keine Wundertaten mehr – denn es wird einem gar unheimlich
dabei!“
[DTT.01_017,13] Fragte Ich ihn: „Warum denn unheimlich? Hast du doch oft schon
persische und indische und ägyptische Wunder angestaunt, und es ist dir dabei
niemals unheimlich geworden; warum denn gerade jetzt?“
[DTT.01_017,14] Sagte Barnabe: „Weil jene samt und sämtlich auf eine mir
begreifliche Weise hervorgebracht werden, während die deinen auf nichts als nur
in der Macht deines Willens basiert sind! Und das ist ein ungeheurer
Unterschied!“
[DTT.01_017,15] Sagte Ich: „Na, da muß Ich dir schon noch eine Bemerkung machen,
bevor Ich auf die Erklärung der zwei Worte übergehe!“
18. Kapitel – Des Jesusknaben Erzählung von den Wundern der 27 Magier in
Damaskus. Barnabes Verlegenheit und Erstaunen. Vom Geheimnis der Allwissenheit
des Jesusknaben.
[DTT.01_018,01] (Der Jesusknabe:) „Es werden nun genau zwei Jahre sein, als du
dich in Damaskus herumtriebst?! In derselben Zeit kamen bei 27 Magier aus
Indien. Diese machten große Ankündigungen, wie am dritten Tage nach dem Neumond
sie die großartigsten Wunder im großen Haine außerhalb der Stadt wirken würden.
[DTT.01_018,02] Unter den vielen Ankündigungen waren auch folgende: ,Fünf der
Hauptmagier werden, bloß mit ihren kleinen Fingern ohne alle physische
Kraftanstrengung, einen über 1000 Pfund schweren und über 7 Schuh tief in die
Erde – also über seine halbe Länge – eingegrabenen Pfahl herausziehen und ihn
dann frei mehrere Augenblicke dauernd in der Luft herumschweben lassen. Dasselbe
werden sie dann auch an einem über 10000 Pfund schweren Felsstücke tun, einer
Last, die von 300 der stärksten Männer mit der Kraft ihrer puren Hände nicht um
ein Haarbreit verrückt werden kann. Am Ende wird noch ein totes Kamel auf einige
Augenblicke lang vollkommen lebend gemacht, und zum Schlusse wird sogar eine
Bildsäule auf mehrere Augenblicke lang belebt.‘
[DTT.01_018,03] Auf diese Ankündigung war an dem bestimmten Tage beinahe ganz
Damaskus im großen Haine zugegen, um die angekündigte Wundertäterei anzustaunen.
Du warst einer der ersten in der Nähe der Zauberer, und hast alles sehr gut
gesehen und dich erstaunt über alle Maßen.
[DTT.01_018,04] Die vielen vorhergehenden Stücke waren dir schon mehr bekannt,
aber als die letzten mit der überraschendsten Präzision ausgeführt wurden, da
rissest du Mund und Augen weit auf, schlugst die Hände über dem Kopfe zusammen
und riefst laut aus: „Das ist unerhört – noch nie dagewesen! Das können keine
Menschen, sondern das können nur Götter sein, die man anbeten soll!“
[DTT.01_018,05] Du hast freilich deine Exklamation (Ausruf) mehr der vielen
hochangesehenen Heiden wegen gemacht, die bei jener Vorstellung stark vertreten
waren; heimlich bei dir aber hast du dennoch des Beelzebubs gedacht, darum dir
auch sehr unheimlich zumute geworden ist!
[DTT.01_018,06] Nun sagst du aber auch, daß dir bei Meinen Wundern sehr
unheimlich zumute wird! – Was Unterschiedes findest du dann zwischen diesen
Meinen Wundern und jenen von dir vor zwei Jahren in Damaskus gesehenen?“
[DTT.01_018,07] Hier wurde Barnabe sehr verlegen und sagte erst nach einer
Weile: „Aber sage, du holder unbegreiflicher Knabe, woher du das wissen kannst?!
Du warst doch zu jener Zeit nicht selbst in jener Stadt und mir wohl bewußt
sonst auch niemand aus deiner Gegend! Außer einigen wenigen Kollegen im Tempel
habe ich jene sonderbare Wunderwirkerei auch noch niemandem erzählt. Wie kamst
du nun hinter mein tief verborgenes Erfahrungsgeheimnis?“
[DTT.01_018,08] Sagte Ich: „Sei darob ganz ruhig – Ich komme hinter gar alles,
aber es wird darum von Mir aus dennoch nie jemandem ein Hemmschuh angelegt,
sondern ein jeder ist und bleibt frei, zu handeln nach dem Gesetze oder wider
dasselbe. Die Folgen hängen nie von der Macht Meines Willens, sondern von der
Ordnung und Heiligung der gegebenen Gesetze in der Natur sowohl wie auch in der
Moralsphäre der Menschen untereinander ab.
[DTT.01_018,09] Das aber, wie und woher Ich solches alles wissen kann, ist auch
ein Geheimnis, darüber der Welt erst nach etlichen zwanzig Jahren ein Licht
gegeben wird, so wie auch über Meine anderen Wundertaten. Glaubtet ihr, daß in
Mir des Messias Geist wohnt in seiner Fülle, da dürftet ihr bald begreifen, wie
und woher Mir solche noch nie dagewesenen Fähigkeiten eigen sind. So ihr aber
das nicht annehmen und glauben könnet, da müßt ihr schon der vorhin bestimmten
Zeit harren! Dann werdet ihr es wohl begreifen, aber Mir es doch nie
nachmachen!“
19. Kapitel – Die Erklärung der beiden Worte ,Jerusalem‘ und ,Melchisedek‘ durch
den Jesusknaben. Die Heilige Schrift als göttliches Wort. Jorams Hinweis auf die
Unverständlichkeit der auf den Messias hinweisenden Jesaias-Texte.
[DTT.01_019,01] Sagte Barnabe: „Aber liebster wunderbarer Knabe! Wegen der zwei
Worte ,Jerusalem‘ und ,Melchisedek‘ – darüber möchten wir wohl noch heute von
dir einiges vernehmen!“
[DTT.01_019,02] Sagte Ich: „So gib denn acht allein auf die einzelnen Wurzeln
der althebräischen Zunge: Je (dies ist), Ruh oder Ruha (die Wohnstätte), sa (für
den), lem oder lehem (großen König); Me oder mei (meines), l'chi oder lichi –
gelesen litzi – (Angesichtes oder Lichtes), sedek (Sitz).
[DTT.01_019,03] Ihr wißt, daß die Alten die Selbstlaute bei der Wortbildung
zwischen den Mitlauten wohl aussprachen, aber aus einer gewissen Pietät nicht
niederschrieben. Man muß alsonach bei solchen über tausend Jahre alten Worten
die Vokale zwischen die Konsonanten zu setzen verstehen, und der wahre Begriff
eines so alten Namens erklärt sich dann von selbst aus seinen Wurzeln. – Nun
bist du wohl zufriedengestellt mit dieser Erklärung?!“
[DTT.01_019,04] Sagte Barnabe: „Ja ganz überaus und über die Maßen vortrefflich!
– Aber wie kamst du denn wiederum hinter solche Geheimnisse?“
[DTT.01_019,05] Sagte Ich: „Da ist eines wie das andere und beruht alles auf der
von oben Mich verherrlichenden Kraft des Geistes aus Gott! Das aber kannst und
wirst du noch lange nicht einsehen, wie solches möglich ist!
[DTT.01_019,06] Sieh, du liest auch die Schrift, findest aber für dich nichts
Göttliches darinnen, denn du hältst sie für ein reines Menschenwerk, das
verschiedene Menschen wegen der leichteren Beherrschung ihrer Nebenmenschen
zusammengeschrieben haben. Die Ägypter hätten das getan durch ihre mystischen
und riesenhaft großen Gebilde und die Hebräer durch ihre mystischen Schriften;
für die wahre Bildung des Menschen dieser Zeit aber tauge das eine wie das
andere nicht mehr, was alle wahren Weltweisen schon lange wohl eingesehen und
klar bewiesen hätten!
[DTT.01_019,07] Nun sieh, das ist dein höchsteigenes inneres und daher wahres
Glaubensbekenntnis! Ich aber sage dir: Wer die Schrift mit deinen Augen
betrachtet, der wird nie etwas Göttliches darinnen finden und fortan ein
materieller Weltklotz bleiben, der mitunter wohl auch für außerordentliche Dinge
und Erscheinungen einen Sinn haben wird, wenn sie gerade vor seinen Augen
ausgeführt werden. Aber er wird daraus für seinen Geist nie einen Gewinn ziehen,
weil für ihn jedes noch so große Wunder eine pure, seine Sinne ergötzende
Vergnügungssache ist!
[DTT.01_019,08] Wahrlich, derlei Menschen haben eine große Ähnlichkeit mit den
Schweinen, die auch allerlei zusammenfressen, aber dabei dennoch gleichfort die
alten, unveränderlichen Schweine bleiben, denen alles gleich wohlschmeckt, ob
Kot oder feinstes Weizenbrot.
[DTT.01_019,09] Darum aber sollen solche Menschen, denen es an einem höheren
geistigen Glauben fehlt, die Schriften, die aus dem Geiste Gottes den Menschen
gegeben worden sind und als göttliches Wort zu betrachten sind, auch nicht lesen
und sie dadurch verunheiligen, denn es steht geschrieben: ,Den Namen Jehovas
sollst du nicht eitel nennen!‘
[DTT.01_019,10] Ich aber sage und setze hinzu: Ein jedes Wort aus dem Geiste
Gottes ist dem Namen Jehova gleich! Wer es liest wie ein Menschenwerk, der ist
ein strafbarer eitler Nenner des Namens Jehova. Wer es aber liest mit großer
Ehrfurcht seines Gemütes und glaubt, daß die Schrift göttlichen Ursprungs ist,
der wird auch bald und leicht das Göttliche zur Erweckung und Belebung seines
Geistes darinnen finden!
[DTT.01_019,11] Würdest du – und auch ihr – in euch die Schrift dafür halten,
daß sie göttlichen Ursprunges sei, so würdet ihr Mich schon lange für das
gehalten haben, was Ich eigentlich bin, und wie Ich Meine Wundertaten
bewerkstellige. Weil ihr aber die Schrift nur für ein eitles und für diese Zeit
gänzlich unbrauchbares Menschenmachwerk haltet, so ist es euch auch unmöglich,
Mich als das anzuerkennen, was Ich bin – und da ihr Mich als das nicht
anerkennen möget, so müssen euch auch Meine Taten im höchsten Grade
unbegreiflich sein!“
[DTT.01_019,12] Sagte Joram „Mein holdester Knabe, du scheinst hier in deiner
Annahme dich ein wenig zu versteigen! Denn sieh, wenn unter uns auch etwa einige
sind, die an die reine Göttlichkeit der Schrift nicht glauben, so sind aber
dennoch wieder einige, die daran noch sehr festhalten und glauben und daher auch
auf die Ankunft des verhießenen Messias und seines Reiches hoffen, und diese
werden auch bei deiner näheren Bekanntschaft nicht viel dagegen sein, so du eben
jener verheißene Messias wärest, von dem der große Prophet Jesaias am meisten
geweissagt hat.
[DTT.01_019,13] Es ist im Jesaias die Weissagung freilich sehr mystisch
gehalten, und man kann mit des Messias Persönlichkeit nicht so recht ins klare
kommen; aber sie hat im ganzen recht vieles, was mit dir stimmt! Einiges ist
freilich darunter, was weder auf dich und am Ende noch weniger auf einen rechten
Messias – und käme er direkt aus den Himmeln – schon gar nicht paßt! Und so
wirst du überaus weiser Junge wohl auch selbst einsehen, daß es selbst für die
festest Gläubigen mit dem guten Messias – so ganz gerade gesprochen – stets noch
seine sehr geweisten Wege hat, und daß es eine wahrlich sehr schwere Sache ist,
sich darinnen ordentlich und klar zu orientieren!
[DTT.01_019,14] Die Sache bleibt immer nur mehr eine Volkssage, hervorgehend aus
dem langgehegten Wunsch des Volkes, und da mögen die Römer nicht ganz unrecht
haben, so sie sagen: Ubinam vanis invectis superlativum tradit gens, nihil quam
aquam haurire! Und so ist es teilweise auch hier mit dem Messias! Es kann
allerdings schon etwas sein, möglich aber auch nichts – und so würde man aus dem
alten Jakobsbrunnen kaum einen gesunden Wassertropfen zu schöpfen bekommen! –
Was sagst du dazu, holdester Knabe?“
[DTT.01_019,15] Sagte Ich: „Wie lauten denn hernach die Stellen aus den
Weissagungen des Jesaias, die auf den Messias und namentlich auf Mich schon gar
nicht paßten?“
[DTT.01_019,16] Sagte Joram „Ja, mein liebster junger Freund, da muß ich erst
das Buch holen! Auswendig sind mir jene Stellen eben nicht geläufig, denn so
etwas liest man seltener nach, und da vergißt man denn doch so manches,
namentlich aus der Sphäre der Propheten! – Aber warte nur ein wenig, wir werden
die Sache gleich haben!“
[DTT.01_019,17] Sagte Ich: „Weißt du was?! Da es heute schon Abend geworden ist,
so lassen wir das auf morgen. Und da heute von frühmorgens bis jetzt niemand zur
Stärkung seines Leibes etwas zu sich genommen hat, so wollen wir nun unsere
Sitzung aufheben, ein Abendbrot nehmen und morgen dann unsere Sache fortsetzen!“
[DTT.01_019,18] Mit diesem Meinem Antrage waren alle gleich einverstanden, und
wir verließen die Sprechhalle und begaben uns in die schon bekannte Herberge.
20. Kapitel – Die zweite Nacht in der Herberge. Joram und Barnabe auf der Suche
nach passenden Jesaiastexten.
[DTT.01_020,01] Ich, der Richter und der alte Simon begaben uns in die Herberge,
in der wir schon eine Nacht zubrachten, und in der gewöhnlich die Nazaräer in
Jerusalem sich aufzuhalten pflegten.
[DTT.01_020,02] Denn es war in Jerusalem schon eine alte Sitte, daß eine jede
Stadt vom ganzen Judenreiche eine den gleichen Namen tragende Herberge hatte.
Und das war darum, daß, wenn jemand von Jerusalem oder auch von einer andern
Stadt mit jemandem etwas abzumachen hatte oder einen andern Aufschluß aus
irgendeiner Stadt haben wollte, er bloß in die gleichnamige Herberge zu gehen
brauchte und dort sicher täglich einen oder auch mehrere aus der gleichnamigen
Stadt nach Jerusalem in irgendwelchen Geschäften Angekommene antraf.
[DTT.01_020,03] Diese Sitte hatte sich mit der Zeit auch nach Europa verbreitet.
In früheren Zeiten hatten die Aushängeschilder der Gasthäuser eine ähnliche
Bestimmung; in der Jetztzeit ist davon freilich nahezu keine Spur mehr.
[DTT.01_020,04] Ich habe dies nur angefügt, damit man später leichter begreifen
wird, wie Meine Nähreltern Mich am dritten Tage als am Tage ihrer Rückkunft, und
zwar gegen den Abend hin, ganz leicht haben finden müssen, da sie in der
Herberge namens ,Nazareth‘ Mich ehest erfragt hatten, wo Ich Mich des Tages
aufgehalten habe.
[DTT.01_020,05] Die Templer hatten nach ihrem Abendmahl sich diesmal auch zum
größten Teile zur Ruhe begeben. Nur Joram und Barnabe nahmen den Jesaias zur
Hand und suchten darinnen Texte, die auf Mich oder auf irgendeinen andern
Messias nicht sonderlich passen würden. Mit der Zeit aber wurden auch die beiden
vom Schlafe übermannt und begaben sich zur Ruhe.
[DTT.01_020,06] Wie ein Augenblick verfliegt für die Müden die Nacht; und so war
es auch hier der Fall. Die Templer wollten sich noch einmal umdrehen, aber der
schon sehr hell gewordene Tag forderte sie zum Wachbleiben auf und sich zu
begeben an ihr ihnen obliegendes Geschäft, was ihnen für den Tag gar nicht
munden wollte – auch sogar Joram und dem Barnabe nicht, weil sie im ganzen
Jesaias keine so recht schlagende Stelle finden konnten, die Mich zum Schweigen
hätte nötigen können.
[DTT.01_020,07] Joram sagte beim Suchen zum Barnabe: „Man ist ja gerade wie
verhext! Sonst habe ich gleich ein paar Dutzend der für diesen Zweck passenden
Stellen gerade auf der Nase sitzen gehabt – und jetzt suche ich schon eine
Stunde lang wie ein müder Rabe sein Nest und finde nichts, aber auch gar
nichts!“
[DTT.01_020,08] Sagte Barnabe: „Liegt aber ja auch gar nichts daran! Wollte der
Knabe denn schon durchaus zufolge seiner außerordentlichen Eigenschaften, so sie
ihm auch im Mannesalter verbleiben, Messias werden wollen, na, so soll er dabei
bleiben! Da liegt doch wahrlich nicht gar besonders viel daran! Verlassen ihn
etwa späterhin diese Eigenschaften, da wird er seine Idee schon von selbst
fahren lassen! Nimm aber das Buch dennoch mit, denn wir könnten es etwa doch
noch brauchen im Verlaufe des heutigen Tages! – Nun aber gehen auch wir in den
Sprechsaal, denn es werden dort schon die meisten versammelt sein!“
[DTT.01_020,09] Darauf erhoben sich beide und begaben sich schleunigst in den
Sprechsaal.
21. Kapitel – Der Beginn der Besprechung am dritten Tage. Jorams mißlungener
Versuch, das begonnene Thema abzubrechen. Des ausfällig werdenden Oberpriesters
Einwurf und dessen Widerlegung durch den Jesusknaben.
[DTT.01_021,01] Als die beiden auch an ihre Stellen kamen, da erst begann die
Besprechung des dritten Tages.
[DTT.01_021,02] Ich trat nach dem Winke des Mir höchst geneigt gewordenen Römers
zuerst auf und wandte Mich an den Joram, sagend: „Nun sind wir heute als am
dritten Tage wieder hier in dieser Redehalle versammelt! Es kommt nun darauf an,
daß du Mir, schon gestern angetragenermaßen, aus dem Propheten Jesaias zeigest,
welche Texte auf Mich wie auch auf jeden andern nach deiner Meinung werden
mögenden Messias nicht passen sollten!“
[DTT.01_021,03] Sagte Joram: „Ja, mein holdester Junge, es wäre alles recht –
aber mir sind die fraglichen Texte dem Wortlaut nach schon lange entfallen, und
es würde mir jetzt eine wahre Verlegenheit bereiten, gerade dir gegenüber, der
du infolge deines riesenhaften Gedächtnisses die ganze Schrift von Wort zu Wort
kernfest im Kopfe zu haben scheinst, die gewissen Texte aufzusuchen! Darum gehen
wir von der Sache lieber ab, und ich sage: wir lassen dich infolge dessen, was
wir von dir gesehen und gehöret haben, als den verheißenen und respektive schon
angekommenen Messias gelten! Aber alle die vielen Texte nun in der Schrift
aufzusuchen, würde uns viel zuviel Zeit und Mühe kosten!“
[DTT.01_021,04] Sagte Ich: „Nein, Mein Freund, das geht nicht! Ihr möchtet Mich
nun auf eine gute Art loswerden, denn ob ein Messias oder ob keiner, das ist
euch einerlei, wenn ihr dabei nur recht gut leben könnt und euch sammeln große
Haufen Goldes, Silbers und allerlei köstlichen Edelgesteins! Aber es handelt
sich nun vollernstlich darum: Bin Ich es, oder sollet ihr auf einen andern
warten?
[DTT.01_021,05] Bin Ich es, so ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen, und
ihr werdet es aus der Schrift wissen, was da an euch ist zu tun, so ihr eines
guten Willens seid! Bin Ich aber nach eurer Meinung und aus dem Propheten
erwiesen das nicht – nun, da möget ihr denn in euren alten Sünden verharren, bis
der Tod euer Endlos sein wird! – Aber da euch das Aufsuchen der tauglichen Texte
schon so viel Zeit raubt und eine gar so große Mühe macht, so gebet Mir das
Buch, und Ich werde euch Zeit und Mühe ersparen!“
[DTT.01_021,06] Hierauf sagte der Oberpriester: „Da wirst du dir dann wohl alle
jene Texte heraussuchen, die auf dich am allerbesten passen?!“
[DTT.01_021,07] Sagte Ich: „Nun gut, so suche du Mir welche auf, die auf Mich
etwa am wenigsten passen!“
[DTT.01_021,08] Sagte der Oberpriester: „Na, damit soll dir gleich aufgewartet
werden! – Gebet mir das Buch!“
[DTT.01_021,09] Man gab dem Oberpriester das Buch in die Hand, und er fing darin
mit wichtiger Miene herumzusuchen an, konnte jedoch längere Zeit etwas Rechtes
nicht finden. Endlich aber fand er, ihm scheinend, doch etwas, denn es malte
sich in seinem Gesichte eine eigene Art Zufriedenheit, hinter der aber auch der
oberpriesterliche Hochmutskamm bald ärger als bei einem zornigen Truthahne zu
steigen anfing. Er legte mit einem gewissen Herrscherpathos das Buch
aufgeschlagen vor sich auf den Tisch und bohrte ordentlich mit seinem
Zeigefinger siegesfroh in den Text hinein und sprach:
[DTT.01_021,10] (Der Oberpriester:) „Da! Komm nun her, du junger Messias aus
Galiläa, lies den Text und sage mir, ob auch der auf deine Person paßt!“
[DTT.01_021,11] Sagte Ich: „Was rufst du Mich, daß Ich den Text aus deinem Buche
lesen solle?! Der Geist, der in Mir wohnt, wußte schon sehr lange eher darum,
bevor er von Jesaias niedergeschrieben wurde! Und du hast gerade den rechten zu
Meinem Siege über dich aufgeschlagen, wo Ich wahrlich keinen bessern hätte
finden können!“
[DTT.01_021,12] Hier erhob sich der Oberpriester zornig und sprach voll
wutentbrannten Eifers: „Was sagst du? Du hättest um diesen Text schon früher
gewußt, als ihn der Prophet niedergeschrieben hatte?! Ich warne dich, du
galiläischer Knabe, vor zu großem Mutwillen! Du zählst erst zwölf Jahre und
willst schon vor dem Propheten um diesen Text gewußt haben?! Bist du denn
wahnsinnig?!
[DTT.01_021,13] So du auch von deiner Seele oder deinem Geiste sprichst – was
immer ein und dasselbe ist –, so wird diese doch unmöglich älter sein als ihr
Leib, der doch schon nach dem Zeugnisse Mosis eher da sein mußte, als die Seele
in denselben einziehen konnte!
[DTT.01_021,14] Sagt nicht Moses: ,Gott bildete den ersten Menschen aus Lehm und
blies ihm durch die Nüstern eine lebendige Seele ein‘?! Geht aus dem aber nicht
klar hervor, daß dann doch jedes Menschen Leib, als das fertige Wohnhaus der
Seele, eher da sein muß als sie selbst?! Denn was und wo sollte die Seele ohne
den Leib sein?! – Daher bedenke, du junger Galiläer, wohl, wo du stehst und vor
wem!“
[DTT.01_021,15] Sagte Ich: „Abgesehen von dem, daß du durch weltliche Protektion
und nicht durch höhere, geistige Berufung hier Oberpriester bist, und abgesehen
von dem, daß wir hier in der alten Sprechhalle des Tempels versammelt sind, sage
Ich dir dennoch ganz trocken ins Gesicht, daß du über geistige Dinge noch um
vieles schlechter urteilst denn ein Blinder von den Farben!
[DTT.01_021,16] So Gott eine lebendige Seele dem fertigen Leibe Adams durch
dessen Nüstern einblies, so war die Seele doch offenbar zuvor in Gott und konnte
auch nirgends anderswo sein, weil Gott in seinem Wesen unendlich ist und sich
streng genommen außer Ihm nichts befinden kann!
[DTT.01_021,17] Gott aber, da Er selbst ewig ist, kann nichts Zeitliches und
Vergängliches oder erst Entstehendes in sich fassen, sondern, was in Ihm ist,
ist wie Er selbst ewig. Er kann seine ewigen großen Gedanken und Ideen nur außer
sich der Erscheinlichkeit nach zur Gewinnung einer wesenhaften Selbständigkeit
wie hinausstellen; und wenn Er das tut, so ist dies von Ihm ausgehend ein
Schöpfungsmoment, und für das durch seine Macht und Weisheit wie außer Ihn
freigestellte Gottesgedankenwesen beginnt dann erst die Zeit, besser aber der
Zustand der zugelassenen Selbsttätigkeit zur Erwerbung eines bleibenden
selbständigen Seins wie außer Gott, wenn schon im Grunde des Grundes dennoch in
Ihm.
[DTT.01_021,18] Wenn aber also, wie sollte Ich dann im Geiste und in Gott nicht
eher dagewesen sein, als der Prophet seine Texte aus Gott schrieb?!
[DTT.01_021,19] Zudem aber bist du noch in einer großen Irre, so du meinst, daß
Geist und Seele ein und dasselbe sind! Die Seele bei den Menschen ist ein
geistiges Produkt aus der Materie, weil in der Materie eben nur ein gerichtetes
Geistiges für die Löse rastet, der reine Geist aber ist niemals gerichtet
gewesen, und es hat ein jeder Mensch seinen von Gott ihm zugeteilten Geist, der
alles beim werdenden Menschen besorgt, tut und leitet, aber mit der eigentlichen
Seele sich erst dann in eins verbindet, so diese aus ihrem eigenen Wollen
vollkommen in die erkannte Ordnung Gottes übergegangen und somit vollends rein
geistig geworden ist.
[DTT.01_021,20] Daß aber bei dir dieser Übergang noch lange nicht stattgefunden
hat, hast du soeben dadurch gezeigt, daß du von deinem eigenen Geiste, ohne den
du nicht einen Augenblick lang leben könntest, noch nie eine Idee gefaßt hast!
[DTT.01_021,21] Ich aber kenne Meinen Geist und bin schon lange eins mit ihm und
kann darum auch aller Natur gebieten, weil der Geist wahrhaft ein Gottesgeist
ist und ewig nie ein anderer sein kann, weil es außer Gott keinen Geist geben
kann, der nicht Gottes Geist wäre. Denke du und alle nun darüber ein wenig nach,
und findet euch darinnen zurecht, dann erst gehen wir auf den auf Mich nicht
passen sollenden Text über!
[DTT.01_021,22] Dir, Oberpriester, aber rate Ich, daß du dich gegen Mich in den
Schranken der gerechten Mäßigung haltest, sonst könntest du bald die Kraft
Meines Gottesgeistes wider dich zu sehr gereizt haben! Was Ich vermag, hast du
schon gestern erfahren – darum weißt du nun auch schon, was dir bevorsteht, wenn
du hier deine Grenzen überschreitest! Denn Ich habe ein teuer erkauftes Recht,
zu reden in Sachen Jehovas, das da vor allem bedungen ward. Es ist aber schon
schlecht genug, daß man sich bei euch sein wollenden Dienern Jehovas ein
Rederecht, nach Stunden bemessen, erkaufen muß; und noch schlechter müßte es
sein, so man noch obendrauf von dem erkauften Rechte nicht den bedungenen
Gebrauch machen dürfte!“
22. Kapitel – Die anerkennenden Worte des römischen Richters an den Jesusknaben
und dessen Rede über die Ordnungsgesetze des Staates und über das göttliche
Gesetz der Nächstenliebe.
[DTT.01_022,01] Hier sagte der Richter: „Aber, du rein aus den Himmeln
herabgekommener holdester Knabe! Du bist ja jetzt schon weiser denn alle Weisen,
die je auf der Erde gelebt haben! Was wird erst aus dir werden?! – Ja, du bist
ein rechter Messias (Mittler zwischen Gott und Menschen), denn noch nie hat je
ein Weiser die Unterschiede zwischen Materie, Seele und Geist so klar
dargestellt und mit so wenigen Worten wie du! Wahrlich, diese Belehrung verdient
eine eigene Belohnung sogar; denn so etwas ist noch nie dagewesen!“
[DTT.01_022,02] Sagte Ich: „Laß das gut sein, edler Freund! Welchen Lohn
könntest du Mir wohl geben, den Ich dir nicht sogleich tausendfach
zurückerstatten könnte?! Wahrlich, Ich sage dir, wer je einem seiner bedürftigen
Mitmenschen aus wahrer, reiner Liebe zu Gott und den Mitmenschen etwas Gutes tun
wird, der wird es Mir tun, und es wird ihm vergolten werden tausendfach! Aber
ebenso auch das Schlechte und Böse, das jemand an seinen Mitmenschen verüben
wird!“
[DTT.01_022,03] Sagte der Richter: „Was möchtest du als Schlechtes und Böses,
das man den Nebenmenschen nicht erweisen soll, näher bezeichnen?! Ich möchte es
wohl wissen, weil ich als ein Richter gar oft in die Lage komme, dem
Nebenmenschen oft sehr Übles und Böses zuzufügen, freilich sehr oft wider meinen
Willen. Aber unser Gesetz ist ein ehernes und kennt keine Rücksichten, nicht
einmal an den eigenen Kindern! – Sage mir darum etwas Haltbares!“
[DTT.01_022,04] Sagte Ich: „Hättest du die Gesetze gemacht, so könntest du sie
auch ändern, aber sie sind ein alter wohlbedachter Volkswille, und du bist
gestellt, die Sünder wider solchen Volkswillen zur gerechten Ahndung zu ziehen.
So du aber das streng gewissenhaft und gerecht tust, was das Gesetz vorschreibt,
so tust du darum kein Böses, sondern nur Gutes!
[DTT.01_022,05] Denn jedermann, der als Mitglied einer großen
Menschengesellschaft lebt, muß sich den Ordnungsgesetzen fügen und sie zu seinen
eigenen Lebensmaximen machen. Will er das nicht, so muß er sich als der für sich
dastehende offenbar Schwächere die notwendig bitteren Folgen als Widerspenstling
der allgemeinen Volksordnung gefallen lassen.
[DTT.01_022,06] Und der vom Volke oder von dessen herrschendem Repräsentanten,
der ein König oder gar ein Kaiser ist, bestellte Richter, der das ihm durch und
durch bekannte Gesetz streng und gerecht ausübt, kann nicht anders als nur
wohltun, denn er reinigt das Feld der Menschensaat vom Unkraut. – So du aber das
tust, erfüllst du deine Pflicht und bist ein Wohltäter der ordnungsliebenden und
-beflissenen Menschen.
[DTT.01_022,07] Daß du als Richter aber hauptsächlich darauf siehst, daß vor
allem ein verirrter Mensch durch das Gericht nicht so sehr gestraft, als
vielmehr gebessert werde, das ist eine Tugend aus den Himmeln in deinem Herzen,
denn du befolgst den ewig wahren Grundsatz der Nächstenliebe, der also lautet:
„Was du vernünftigermaßen nicht willst, daß man es dir täte, das tue auch deinen
Mitmenschen nicht!“ Damit aber bist du vor Gott wie vor den Menschen schon ganz
in der Ordnung und hast gar nicht nötig, dich darum zu kümmern, was da
eigentlich gut und was böse ist!
[DTT.01_022,08] Würden die, so da sitzen auf dem Stuhle Mosis und Aarons, auch
so handeln und gehandelt haben, so würden sie nie von euch Römern unterjocht
worden sein. Aber da sie nicht mehr dem alten Gesetze treu blieben, das für alle
Menschen gleich gegeben ward, sondern sich eigene Satzungen machten nach ihren
Gelüsten, so hat Gott denn auch sein Angesicht von ihnen abgewendet und sie
gegeben unter die scharfe Zuchtrute der Heiden, unter der sie auch ihrer großen
und groben Halsstarrigkeit wegen belassen werden.
[DTT.01_022,09] Du bist ein Heide und erkennst Mich, diese sind Juden und sollen
Kinder Jehovas sein, und sie erkennen Mich nicht und werden Mich auch schwerlich
erkennen! Wie ist nun das?! Mir kommt es vor, wie da ein Prophet geredet hat,
freilich auch damals schon zu tauben Ohren: ,Er kam zu den Seinen in sein
Eigentum, und die Seinen haben Ihn nicht erkannt und nicht aufgenommen!‘ Aber
sei dem nun, wie ihm wolle, Ich habe dir nun den rechten Stand der Dinge
gezeigt, und es ist nun an der Zeit, jene von dem Oberpriester aufgefundenen
Texte näher anzusehen, die auf Mich nicht passen sollen!“
23. Kapitel – Die Verlesung und Erklärung von Jesaias 9,5-6 durch den römischen
Richter.
[DTT.01_023,01] Hier schob Mir der Oberpriester das Buch zu und sagte: „Da, lies
es selber, und überführe Dich!“
[DTT.01_023,02] Ich nahm das Buch und gab es dem Richter, ihm die zu lesenden
Stellen anzeigend, und ersuchte ihn, selbe laut lesen zu wollen, auf daß da
niemand sagen könne, daß Ich die Texte zu Meinen Gunsten gelesen hätte. Das
konnte der Richter um so leichter tun, da er in den meisten orientalischen
Zungen wohlbewandert war und namentlich die althebräische Schrift um vieles
besser zu lesen verstand als alle Templer zusammen.
[DTT.01_023,03] Der Richter nahm freudig das Buch und las daraus, wie da folgt:
,Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, dessen Herrschaft auf
seiner Schulter ist; und Er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater,
Friede-Fürst, auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf
dem Stuhle Davids und in seinem Königreiche, und daß Er es zurichte mit Gericht
und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit! Solches wird tun der Eifer
Zebaoths!‘ – Hierauf fragte der Richter den Oberpriester, ob die Texte also gut
gelesen wären.“
[DTT.01_023,04] Der Oberpriester bejahte das mit einer großen Verbeugung.
[DTT.01_023,05] Darauf fuhr der Richter fort, in Meinem Namen zu reden, und
sagte: „Da habt ihr aber nach meiner Ansicht ja gerade eine Stelle aufgesucht,
die meines Erachtens wie kaum eine andere genau auf diesen jungen, holden und
weisen Knaben paßt!
[DTT.01_023,06] Wie eine Jungfrau einen Sohn gebären werde, den sie Emanuel
heißen werde, das haben wir – wenigstens zu meiner subjektiven Einsicht – derart
erörtert, daß es bei mir nun nicht mehr dem allergeringsten Zweifel unterliegt,
daß dieser Knabe eben der von dem Propheten vorbezeichnete Sohn der euch nach
eurem höchsteigenen Geständnisse wohlbekannten Jungfrau, glaube, namens Maria
ist.
[DTT.01_023,07] Und wenn ich mich nicht irre, so ist mir bei einer Gelegenheit
von dem Hauptmann Kornelius erst vor gar nicht langer Zeit von jener wunderbaren
Geburt eines Knaben zu Bethlehem in einem leeren Schafstalle – wegen Mangel an
besseren Herbergen – erzählt worden, und zwar mit einer großen Begeisterung und
innigsten Teilnahme am damals höchst mißlichen Schicksal jener denkwürdigen
Familie, und daß er sich oft darum erkundigte, aber seit deren Abreise von
Ägypten nichts von ihr zu erfahren imstande war! Leider hat er sich in
Staatsgeschäften nach Tyrus begeben müssen, sonst säße er ganz sicher hier!
[DTT.01_023,08] Also, was die prophetische (prophezeite) Geburt dieses Knaben
betrifft, so wären wir darüber im reinen, und es kann da vor dem Forum der ganz
gesunden und reinen Vernunft durchaus kein Kontra mehr geben!
[DTT.01_023,09] Nun das, daß er Butter und Honig essen werde, um hernach zu
verstehen und zu erwählen das Gute und zu verwerfen das Böse, kann ich mir nach
der altägyptischen Weise nur als eine Entsprechung denken, die vielleicht – nach
meiner Ansicht geurteilt – soviel sagt als: „Er wird erfüllt sein mit aller
Liebe und Weisheit und wohl erkennen das wahre, reine Gute und das entschiedene
Böse!“
[DTT.01_023,10] Daß er wie kein Weiser und Gelehrter der ganzen Welt das vermag,
davon hat er vorhin den klarsten Beweis vor euch allen abgelegt, und so hat er
des geistigen Honigs und der geistigen Butter sicher die größte Menge in sich,
wie er das auch euch Weisesten des Tempels schon zur Genüge gezeigt hat, und wie
ihr gar vieles bei ihm noch erlernen könntet – aber er von und bei euch sicher
nichts! Und das dürfte doch hinreichend anzeigen, wieviel Honig und Butter er
bis jetzt schon hat zu sich genommen haben müssen?!
[DTT.01_023,11] Das alles aber bezeugt um so klarer, daß er eben der von dem
alten Propheten vorhergesagte und von einer Jungfrau geborene Emanuel ist und
fortan keine Jungfrau je mehr einen solchen Sohn auf dieser Erde gebären wird!
[DTT.01_023,12] Ich habe im ganzen großen römischen Kaiserreiche noch nie einen
Sohn von zwölf Jahren kennengelernt, der dem – abgesehen von seinen
unbegreiflichen Wundereigenschaften – nur in einem allerentferntesten Maße
gleichkäme, und so glaube ich, daß die zweite, von euch selbst uns vorgelegte
Textierung des Propheten ebenso genau auf ihn paßt wie die erste, die er auch
gleich anfangs als eine sogenannte Vorfrage aufstellte.
[DTT.01_023,13] Ja, in ihm ist uns wahrlich ein Kind aller Kinder geboren und
ein Sohn aus dem Schoße der Götter wie wir Römer zu sagen pflegen – uns
sterblichen Menschen gegeben, dessen unbegreifliche Herrschaft er selbst
wahrlich nur auf seinen höchsteigenen Schultern trägt, wobei er keines Helfers
bedarf!
[DTT.01_023,14] Der Prophet bezeichnete durch die aufgeführten Namen offenbar
nur dessen Eigenschaften, und saget es selbst, ob ihm da nur eine mangelt!
[DTT.01_023,15] Ist er nicht wunderbar in seinem Verstande, in seiner Rede und
in seinen Taten?!
[DTT.01_023,16] Welcher Weise der Erde kann mir einen noch weiseren Rat erteilen
als dieser wahre und allerreinste Göttersohn?!
[DTT.01_023,17] Daß er eine wahre Allkraft in jeder Beziehung – sei es Geist
oder Materie – besitzt, daran wird hoffentlich auch niemand zweifeln, der ihn
reden hören und handeln gesehen hat!
[DTT.01_023,18] Durch seinen unerschrockensten Mut gegen euch bekannt
hochmütigste Priester, die ihr euch über alle Götter weit hinaus preisen und
anbeten lasset, hat er seinen unerschrockenen Heldenmut auch klar genug an den
Tag gelegt!
[DTT.01_023,19] Wie sein Geist ein notwendig ewiger und eins mit dem Geiste
Gottes ist, hat er vor euch auf eine so begreifliche Weise mit wenigen Worten
bewiesen, daß man wahrlich mit der Blindheit aller Nächte, die je auf der Erde
bestanden haben, geschlagen sein müßte, um da nicht gleich auf den ersten
Augenblick zu verspüren, von woher dieser Wind zu wehen anfängt!
[DTT.01_023,20] Daß er ferner allein dem Menschen den wahren, lebendigen inneren
Frieden geben kann und er daher auch allein nur ein wahrster Fürst aller Fürsten
der Erde ist und einen Frieden den Menschen geben kann auf dieser Erde wie kein
anderer Fürst, das habe ich bereits empfunden!
[DTT.01_023,21] Er allein kann das alte Seher- und Erkenntnisreich Davids, das
von euch schon lange zerstört wurde, wieder lebendig aufrichten und eine
Herrschaft gründen, der alle Fürsten der Erde trotz ihrer Zepter und Kronen für
ewig untertan sein werden; denn das Reich der hellsten Erkenntnis ist und bleibt
stets das mächtigste auf der Welt und kann von keiner Macht je völlig unterjocht
werden. Wo aber Licht ist und seine alles durchschauende Wirkung, da ist auch
ein rechtes Gericht und die vollste, offenste Gerechtigkeit!
[DTT.01_023,22] Und am Ende heißt es noch: ,Und solches wird tun der Eifer
Zebaoths.‘ Wer sonst als der diesen Knaben durch und durch erfüllende Geist
Gottes ist eben der Herr Zebaoth selbst – ein Etwas, das ich auf den ersten
Augenblick heraus hatte! Wie denn ihr nicht, da euch das doch offenbar mehr
angehen sollte denn mich, einen Heiden?!
[DTT.01_023,23] O Götter und o alle Orakel der ganzen Welt zusammen! Wie
entsetzlich blind, dumm und von ganzem Herzen schlecht müsset ihr sein, daß ihr
das nicht auf den ersten Blick einsehen und fühlen möget, von wo da der Wind zu
wehen angefangen hat! Ich, ein Heide, muß euch das sagen, daß es also ist!
[DTT.01_023,24] Was würde wohl jener Prophet, der solche Weissagung
niedergeschrieben hat, zu euerm finstersten Starrsinn sagen, so er wieder
aufstünde und vor euch hinträte?
[DTT.01_023,25] Wandelt euch denn gar keine Scham an, so ihr nun dumm und blind
dasteht vor den Augen dessen, dessen Wille allein euch das faule,
selbstverschuldet schlechte Leben und seine finstere Herrschaft beläßt?! Könnte
Er mit euch nicht ein gleiches Manöver machen wie gestern mit dem fertigen Esel
und mit dem großen Steine?!
[DTT.01_023,26] Da denken diese noch in alle Welt hinaus nach, was da etwa
Rechtens wäre – entweder vor einem Gott, den sie nicht kennen und an den sie
auch nie geglaubt haben, oder vor der Welt, von der sie alle sehr fett geworden
sind und noch fetter zu werden gedenken –, und ein allerwahrster Gott steht vor
ihnen, ausgerüstet mit allen Eigenschaften, die sich die menschliche Phantasie
nur je von einem Gott hat vorstellen können, natürlich in der allererhabensten
Art und Weise!
[DTT.01_023,27] Jetzt möchte ich von euch alten Dummköpfen denn doch erfahren,
wie ihr euch einen Gott vorstellt?! Einen Begriff müßt ihr euch von Ihm ja doch
machen!? Redet – denn nun gebiete ich euch, daß ihr mir antwortet!“
24. Kapitel – Die Rede Jorams über das Wesen Gottes als Antwort an den römischen
Richter.
[DTT.01_024,01] Diese scharfe Anrede des Richters hatte unsere Templer aus aller
Fassung gebracht und sie in einen großen Schrecken versetzt, so daß sie nur zu
stottern statt zusammenhängend zu reden vermochten. Der Gefaßteste war Joram, er
erhob sich denn auch von seinem Stuhle, verneigte sich tief vor dem Richter und
sagte dann:
[DTT.01_024,02] (Joram:) „Hoher, gestrenger und gerechtester Gebieter und
Richter über ganz Jerusalem und noch sehr weit darüber hinaus! Es ist bei uns um
den wahren Begriff von dem Wesen Gottes eine schwere Sache, indem es im Moses
ausdrücklich verboten ist, sich irgendeinen faßlichen Begriff oder irgendeine
nur halbwegs bildliche Idee von Ihm zu machen! Du wirst darum in unserm Tempel
kein Bild finden, durch das für die menschlichen Außensinne sich von der
Gottheit ein anschaulicher Begriff machen ließe!
[DTT.01_024,03] Trotzdem aber haben doch die Väter – als Abraham, Isaak und
Jakob – zu öfteren Malen Gesichte gehabt, in denen sie Gott stets in einer
vollendeten Menschengestalt sahen und sprachen, obwohl es im Moses später heißt:
,Gott kann niemand sehen und leben zugleich; denn Gott ist ein verzehrend Feuer
und wohnt im unzugänglichen Lichte!‘
[DTT.01_024,04] Aber Moses verlangte dennoch einmal Gott zu sehen, wenn ihm das
auch den augenblicklichen Tod gäbe. Da aber sprach am Sinai Gott zu Moses:
,Verbirg dich in dieser Grotte, Ich werde da vorüberziehen! So Ich dich rufen
werde, da tritt aus der Grotte, und du wirst Meinen Rücken sehen!‘
[DTT.01_024,05] Ja, jetzt, wo es sich bald um eine Form Gottes und bald wieder,
sogar streng gesetzlich, um gar keine mehr handelt und eigentlich bei Strafe
nicht handeln darf, da wird eine Ideefassung und Begriffmachung von einem Gotte
wahrlich etwas schwer oder mit der Zeit schon gar nicht mehr möglich, obwohl das
menschliche Gemüt sich dennoch nach einem formellen Gotte sehnt und man es
streng genommen den Heiden gar nicht so sehr übelnehmen kann, daß sie sich ihren
Zeus als einen vollkommensten Menschen bildlich vorstellen! Wir haben nur das
Wort ,Jehova‘, darüber hinaus gibt es nicht viel mehr!
[DTT.01_024,06] Was mich, bloß als Menschen, anbelangt, da ist mir, wie dir,
dieser Knabe als ein Gott ganz gut und mächtig zur Genüge. Aber nun bedenke du
das Volk, das an der Lehre Mosis und der Propheten hängt! Der Tempel ist der
alte Mittelpunkt seiner Beseligung, dahin trägt es seine Wünsche, seine
Hoffnungen und glaubt sich im Tempel seinem Gotte nahe, allwo es dieser vernimmt
durch das Ohr des Hohenpriesters und es erhört durch die Gebete desselben und
seiner Gehilfen! Nimm das auf einmal dem Volke weg und stelle an die Stelle der
Bundeslade diesen göttlichen Knaben, und du hast ehest die allgemeine Revolution
im ganzen Lande!
[DTT.01_024,07] Wir sind Narren, weil wir es zu sein genötigt sind. Wäre das
nicht der Fall und hinge nicht unser Leben und des Volkes Wohlfahrt und Ruhe
davon ab, so wären wir schon lange keine Narren mehr! Oder meinst du, daß es gar
so ein leichtes ist, dem Volke etwas als seiend vorzustellen, das nicht ist und
von dem man sich sogar beim besten Willen keinen Begriff machen kann?!
[DTT.01_024,08] Ich für mich halte dasselbe vom Knaben, was du hältst. Aber vor
dem Volke muß ich dessenungeachtet die alte Narrheit forttreiben und von dem
nicht die leiseste Spur merken lassen, daß ich innerlich ganz einen andern
Glauben habe, als den ich äußerlich zur Schau trage!
[DTT.01_024,09] Sollte es der Macht des Knaben mit der Zeit gelingen, das Volk,
wie nun uns, auf sich aufmerksam zu machen, und daß es ihn als das erkennt und
annimmt, was er ist, dann wird er mit dem ganzen Tempel leicht fertig werden.
Aber eine alte Sache, an der sich gar so viele Interessen kreuzen, ist nicht
beiseite zu schieben wie ein alter Schrank, den man leicht ohne allen Anstand
wegwerfen und vernichten kann und stellen einen neuen an seine Stelle.
[DTT.01_024,10] Das ist meine Ansicht, die sicher der ganze Tempel mit mir
teilt, und ich glaube kaum, daß mir da jemand eine Widerrede geben wird!“
[DTT.01_024,11] Sagte der Richter: „Ja, gegen diese Ansicht läßt sich vorderhand
freilich wenig oder nicht viel einwenden. Aber eines kann dabei immerhin bemerkt
werden, und das besteht darin: Ihr – so ihr glaubt an des Knaben Sendung –
könnet doch immerhin das Volk auf den Knaben auf eine geeignete Weise aufmerksam
machen und zeigen, was nun in die Welt gekommen ist?!“
[DTT.01_024,12] Sagte der Joram: „Diese Forderung gehört offenbar zu denen, die
man billig nennen kann, und es wird sich darin vielleicht auch etwas tun lassen!
Aber es wird das immer ein sehr gewagtes Unternehmen sein, das uns und dem guten
Knaben recht viele Verlegenheiten bereiten dürfte!
[DTT.01_024,13] Denn fürs erste bleibt der Knabe sicher nicht im Tempel, da er
etwa heute oder ganz gewiß morgen von seinen Eltern wieder nach Nazareth geführt
wird, das von hier doch ein wenig zu entfernt ist, um alle nach ihm Fragenden
dahin zu senden.
[DTT.01_024,14] Fürs zweite aber würden Hunderttausende uns ernstlich nach dem
Grunde zu fragen anfangen, warum er als der, als welcher er durch den Propheten
verkündet ist, nicht in dem ihm allein gebührenden Hause, das da eben der Tempel
ist, Wohnung nehme!
[DTT.01_024,15] Und was könnten wir da dem Volke für einen Grund angeben, aus
dem er Galiläa und Nazareth der Stadt Gottes vorziehe? Bald würde das Volk
sagen: ,Stadt und Tempel müssen sich etwas Großes zuschulden haben kommen
lassen; die Sache muß untersucht und gesühnt werden!‘
[DTT.01_024,16] Kurz und gut, wir könnten es anstellen, wie wir auch nur immer
wollten, so würden wir im Volke eine große Erregung wachrufen, die uns gar viel
zu schaffen machen würde. Daher, meine ich, dürfte es hier immerhin geratener
sein, vorderhand dem Volke davon beinahe keine Erwähnung zu machen, sondern die
Sache ganz dem Knaben und der Zeit selbst zu überlassen!
[DTT.01_024,17] Was denn auch kommen möge, wir wenigstens werden darauf schon
durch diesen dreitägigen Akt vorbereitet sein und werden uns selbst noch besser
und tiefer vorbereiten können! – Übrigens wolle nun der Knabe selbst reden und
bestimmen, was er haben will, denn seinem Willen wird sich's schwer zu
widersetzen sein!“
25. Kapitel – Des Jesusknaben scharfe Rede an die heuchlerischen Templer als
seine ärgsten Gegner. Die Mißbräuche im Tempel.
[DTT.01_025,01] Sagte Ich: „Ich bin nun da, um euch eine Kunde zu geben, daß Ich
da bin, um zu vollbringen die Werke dessen, der Mich gesandt hat, den ihr nach
eurem Geständnisse nicht kennet, den aber Ich wohl kenne, da Er in Mir wohnt in
seiner Fülle!
[DTT.01_025,02] Moses verlangte Ihn zu schauen und bekam den Rücken nur zu sehen
– ward aber davon schon geblendet drei Tage lang, und sein Antlitz strahlte dann
so sehr, daß er es verhüllen mußte, so er zum Volke kam; denn dessen Augen
hätten den Lichtglanz nimmer ertragen.
[DTT.01_025,03] Ihr aber möget Mir nun ganz wohl ins Angesicht schauen, und es
blendet eure Augen kein unerträglicher Lichtglanz! Warum? Weil dies Fleisch den,
der in Mir wohnt, verbirgt! Aber dessenungeachtet ist hier mehr denn das, was
dort war! Aber ihr merket es nicht, weil vor euren Augen die dreifache Decke
Mosis hängt und noch lange hängen wird, auf daß ihr den ja nicht erkennen möget,
der aus den allerhöchsten Himmeln zu euch gekommen ist.
[DTT.01_025,04] Mit dem Richter habt ihr freilich wohl gut reden, da er euren
ganz gut gestellten Worten nur sein Gehör leihen kann, mit Mir jedoch zu reden
ist etwas schwerer, weil Ich auch die geheimen Gedanken eurer Herzen vernehme,
die ganz anders lauten denn die Worte eures Mundes! Darum auch seid ihr Mir in
hohem Grade widerwärtig, weil ihr euch wohl äußerlich rein waschet, aber
inwendig in euren Seelen voll Schmutz seid!
[DTT.01_025,05] So euch der Richter, in dessen Herzen kein Falsch ist, dazu
aufforderte, das Volk auf Mich aufmerksam zu machen und es zu erquicken mit der
Erfüllung seiner Hoffnung, warum suchet ihr da allerlei nichtige Umstände, denen
zufolge so etwas gar nicht angehen könnte?!
[DTT.01_025,06] Ich sage es euch aber ganz offen heraus: ihr – und nicht das
Volk – wollet so etwas nicht, ihr selbst seid Meine ärgsten Gegner! Allein, es
macht das gar nichts; denn fürs erste ist Meine Zeit noch nicht da, und fürs
zweite ist eben dieser Tempel von euch zu sehr entweiht worden, als daß Ich je
darinnen Wohnung nehmen könnte! Wahrlich, euer Ansehen soll durch Mich nimmer
gesteigert werden!
[DTT.01_025,07] Darüber schmollet ihr, daß euch Moses verboten hat, euch von
Gott ein geschnitztes Bild zu machen. Aber das macht euch nichts, so ihr euch
selbst zu Göttern vor dem Volke machet und dasselbe lehret, daß Gott ohne euch
nichts tue, auch keine andere Bitte erhöre als nur die eures Mundes. Saget, ob
das zu tun Moses auch geboten hat?!
[DTT.01_025,08] Ja, ja, ihr sollet das Volk leiten auf den Wegen, die zum Himmel
führen – denn das ist Gottes Wille, und das hat Moses und sein Bruder Aaron
geboten –; ihr aber tuet gerade das Gegenteil und betrachtet euren Stand, Gott,
Volk und den Tempel für nichts anderes als für eine recht fette Melkkuh, die zu
melken ihr allein ein Recht von Gott aus zu haben vorgebet!
[DTT.01_025,09] Ich aber sage es euch ganz offen, daß euch Gott, den ihr
verleugnet mit jedem Atemzuge und mit jedem Pulsschlage, dieses Recht nie
gegeben und eure toten und maschinenartigen Gebete nie erhört hat, sie jetzt
nicht erhört und sie auch nie erhören wird!
[DTT.01_025,10] Denn würde Gott euer wildes Geplärr und euer Rabengekrächze
erhören – wahrlich, da müßte Ich doch auch etwas davon wissen! Denn was der
Vater weiß, das weiß auch der Sohn, oder: was Meine Liebe weiß, das weiß auch
Mein Verstand! Aber von einer jemaligen Erhörung eures Gebetes weiß weder Meine
Liebe noch Mein Verstand etwas!
[DTT.01_025,11] Und dennoch saget ihr: ,So du, Mensch, zu Gott um etwas betest,
da ist dir das zu nichts nütze, so du aber uns ein Opfer bringst und wir für
dich beten, dann ist dir unser Gebet schon zu etwas nütze! Wir Priester allein
dürfen beten mit Nutz, das Volk aber darf nur Opfer bringen und also mitbeten
durch die reichlichen Opfer!‘
[DTT.01_025,12] So sauget ihr das Volk aus doppelt: erstens nehmt ihr von allen
Früchten den Zehent und alle Erstgeburten der Haustiere und lasset euch für die
Erstgeburt der Menschen eine tüchtige Löse geben; und zweitens haranguieret ihr
das Volk ohne Unterlaß um Opfer und verheißet ihm darum lange und anhaltende
Gebete, die ihr dann aber nie vollbringt!
[DTT.01_025,13] Denn ihr saget dann wohl bei euch: ,Ob wir beten oder nicht
beten, das nützt dem Opferbringer ohnehin nichts. So ihm etwas nützt, da nützt
ihm allein das Opfer, das er uns gebracht hat in guter Meinung!‘ Und so tuet ihr
auch das nicht, wofür ihr euch habt zahlen lassen!
[DTT.01_025,14] Mit wem soll Ich euch da vergleichen? – Ihr seid allezeit wider
Gott und gleichet vollkommen den reißenden Wölfen, die in Schafspelzen
einhergehen, damit die Schafe vor ihnen nicht fliehen und sie dieselben mit
ihren scharfen Zähnen ohne alle Mühe erreichen und zerreißen können! Aber wie
nun eure Arbeit, so wird euch auch dereinst drüben im Seelenreiche der Lohn
werden! – Ich sage euch das, und ihr könnet euch darauf verlassen, daß für euch
Meine Verheißung nicht unterm Wege verbleiben wird!“
26. Kapitel – Des Oberpriesters zornige Entgegnung. Des Jesusknaben Weissagung
über die Berufung der Heiden zu Gotteskindern anstelle der Juden und über die
Zerstörung des Tempels und Jerusalems. Die Wahrheit über den Tod des Zacharias.
[DTT.01_026,01] Bei dieser Meiner Rede ward der Oberpriester zornig und sagte:
„Knabe, wer gab dir das Recht, uns und den Tempel zu bedrohen?! Haben denn wir
die Satzungen gemacht, nach denen wir nun zu handeln haben?! So weise manche
deiner früheren Reden waren, so unweise sind sie nun! Weißt du denn nicht, daß
auf einen Hieb kein Baum fällt, und daß es eitel ist, etwas zu ändern, was
durchaus nicht zu ändern ist?! Ändere du das Volk, wenn du's kannst! Das
Judenvolk ist ein schon gar alter Baum, den man nicht mehr wie eine junge
Haselstaude beugen kann!
[DTT.01_026,02] Wir wollen durchaus nicht zweifeln, daß dir eine höhere Berufung
von Gott erteilt ist; aber darum mußt du die alten Institutionen, die von Moses
herrühren – wenn auch mit manchen nachträglichen Beisätzen, die die
Zeitverhältnisse erforderten – nicht mit Füßen treten und uns als die Verwalter
derselben nicht mit reißenden Wölfen in Schafspelzen vergleichen! Denn wir haben
noch niemand zerrissen; so wir aber Gottes- und Tempellästerer gezüchtigt haben
und die Ehebrecher, so taten wir nichts als nur das, was Moses befohlen hat.
Kannst du da sagen, daß wir unrecht und wider die Satzungen Gottes gehandelt
haben?!
[DTT.01_026,03] So du mit uns redest, da lege deine Worte in eine bessere
Waagschale. Denn findest du etwas Schlechtes an uns und am Tempel, so sage uns
das mit kindlich-guten Worten, und wir werden sehen, was sich da wird machen
lassen! Aber mit Drohungen wirst du mit uns nichts ausrichten!“
[DTT.01_026,04] Sagte Ich: „Mit eurer Art hat noch nie jemand weder mit sanfter
noch mit scharfer Rede etwas ausgerichtet. Daher werdet ihr auch bleiben, wie
ihr seid, bis ans Ende der Welt! Darum aber wird die Gnade von euch genommen und
den Heiden verliehen werden!
[DTT.01_026,05] Sehet über das große Meer nach dem Weltteile Europa! Das ist von
puren Heiden bewohnt, höchst selten nur kommt ein Jude dahin. Dorthin wird die
Gnade aus den Himmeln verpflanzt werden!
[DTT.01_026,06] In etlichen siebzig Jahren aber wird man Jerusalem und den
Tempel suchen und wird die Stelle nicht mehr finden, wo die Stadt und wo der
Tempel gestanden, und man wird dann sagen: ,Ha, was liegt wohl an der alten
Stelle, wo der Tempel gestanden?! Nehmen wir die nächste beste Stelle und bauen
da einen Tempel Salomonis und richten ihn ein, wie er früher eingerichtet war!‘
[DTT.01_026,07] Ja, also werden sie reden und also auch tun! Aber sowie sie am
Tempel werden zu arbeiten anfangen, wird aus der Erde ein mächtiges Feuer
emporschießen, und die Bauleute und das Material werden gar übel zugerichtet
werden.
[DTT.01_026,08] Bald auf mehrere solche mißglückten Versuche werden mächtige
Heidenstämme von Morgen und Mittag in dies Land eindringen und es verwüsten, und
ihr werdet zerstreut werden auf der ganzen Erde und werdet verfolgt werden von
einem Ende der Erde bis zum andern!
[DTT.01_026,09] Also wird es mit euch geschehen, dieweil ihr euch eigenmächtig
von den alten Satzungen Gottes entfernt habt und habt dafür eure sehr
weltsüchtig-menschlichen hingestellt und habt euch gemästet von dem großen
Gewinne, den euch die Handhabung eurer Menschensatzungen abwarf.
[DTT.01_026,10] Leset selbst die Chronik des Tempels und seine geheimen
Begebenheiten, und ihr werdet Dinge schon seit den Zeiten der Propheten finden,
vor denen sich jedes nur einigermaßen menschlich gerecht denkenden Menschen
Haare bis zur Spitze Libanons hinan sträuben müssen!
[DTT.01_026,11] Ist doch ein jeder Priester und Prophet noch gesteinigt worden,
der es sich ernstlich vornahm, aus dem Hause Jehovas die abscheulichen
Menschensatzungen auszuscheiden und wieder die rein göttlichen einzuführen!
[DTT.01_026,12] Wie lange ist es wohl, daß der Oberpriester Zacharias, als er in
reiner Weise im Tempel opferte, von, sage, euren Händen erwürgt worden ist?!
[DTT.01_026,13] Das Volk, das den Zacharias hoch achtete und liebte, verlangte
laut Kunde von euch, was mit dem Manne Gottes geschah, als ein neuer
Oberpriester an seine Stelle berufen ward.
[DTT.01_026,14] Da beloget ihr das Volk auf eine überdreiste Weise und sagtet
mit erheuchelter Ehrfurchtsmiene, Zacharias habe im Allerheiligsten gebetet für
das ganze Volk, da sei ihm abermals der Engel des Herrn erschienen, dessen
Angesicht mehr denn die Mittagssonne leuchtete.
[DTT.01_026,15] Und der Engel habe zum erstaunten Manne Gottes gesprochen: ,O
treuer Diener des Herrn! Dein irdisch Tagwerk hast du vollendet, und du bist
gerecht befunden worden vor Gott! Darum sollst du nun verlassen diese Erde und
mir folgen, wie du bist, mit Leib und Seele gleich dem Henoch und Elias vor den
Thron des allmächtigen Gottes im Himmel, allwo ein großer Lohn deiner harrt!‘
[DTT.01_026,16] Darauf habe Zacharias mit schon ganz himmlisch verklärten Augen
gen Himmel geblickt und sei in den Armen des Engels augenblicklich aus dem
Tempel und von dieser Erde entschwunden!
[DTT.01_026,17] Ihr aber habt dann noch einen weißen Stein an die erlogene
Stelle mit der Inschrift gesetzt: ,Zacharias, des Mannes Gottes, Verklärung!‘
Und damit habt ihr euch vor dem Volke wieder weiß gewaschen und verehret dann
mit dem Volke den Mann Gottes mit allerlei Psaltern, während er da kniend
betete, gleich Raubmördern überfallen und erwürgt habt!
[DTT.01_026,18] Wie es aber dem Zacharias ergangen ist, so erging es gar vielen
Propheten und wahren Hohenpriestern in der Ordnung Aarons! Nachher aber habt ihr
ihnen des Volkes willen gleich erhabene Monumente errichtet und ihnen bis zur
Stunde alle Verehrung erwiesen!
[DTT.01_026,19] Saget, ob es anders ist! – Ihr schweigt und seid nun stumm vor
Angst, da Ich solches nun vor euch aufgedeckt habe! Ihr dünket euch durch eure
Stellung freilich sicher vor dem Arme der Weltgerechtigkeit; ja, ja, der kann
euch wohl leider nicht zu, weil sich außer Mir kein Zeuge wider euch vorfindet!
Aber Ich bedarf für euch auch des Weltgerechtigkeitsarmes nicht – auch werde Ich
selbst an euch keine Hand legen und euch züchtigen. Aber so ihr verharret in
eurer Verkehrtheit, so wird das an euch geschehen, was Ich euch ehedem
angekündigt habe! – Nun habe Ich geredet, redet nun ihr!“
[DTT.01_026,20] Hier machte der Richter eine böse Miene und sagte zu Mir: „So Du
es willst, mache ich mit diesen Larven von Gottesdienern einen kurzen Prozeß!
Denn mir genügt Dein Zeugnis vollkommen!“
[DTT.01_026,21] Sagte Ich: „Laß das gut sein! Denn sieh, Ich hätte ja Gewalt zur
Übergenüge in Meinem Willen und könnte sie vernichten im schnellsten
Augenblicke. Aber weder du noch das Volk und ebensowenig Ich würden dabei etwas
gewonnen haben! Es genügt nun, daß wir ihre starke Nacht etwas dämmerlich
gemacht haben, ein plötzlich eintretender Tag würde sie erst recht blind machen,
und mit ihnen das ganze Judenvolk. Das würde aber geschehen, so du sie nun ihrer
übervielen gröbsten Sünden wegen zur schärfsten Ahndung zögest. – Diese werden
sich in ihre gelegten Netze selbst verstricken und darinnen zugrunde gehen!
[DTT.01_026,22] Es ist aber dem Menschen auf Erden überall ein Maß gestellt, wie
fürs Gute also auch fürs Schlechte; im gleichen aber ist auch einem jeden
Institute und jedem Volke ein Maß gestellt. Wenn es voll wird des
Göttlich-Guten, dann wird das Volk und sein Land anfangen zu triefen vom Segen;
wenn aber ein Volk und sein Land voll wird des Schlechten, dann ergeht über
dasselbe aber auch unnachsichtlich ein strenges Gericht. Das Volk hat
ausgespielt seine schlechte Rolle, und das Land wird in eine Wüste verwandelt,
wie es auch in nicht gar ferner Zeit mit diesem Lande der Fall sein wird!
[DTT.01_026,23] Wer es fassen kann und will, der fasse es! Es ist nun die Zeit
nahe herangerückt, in der man den argen Menschen von den Dächern herab zurufen
wird, wessen Geistes Kinder sie sind, und ihre Taten wird man ihnen von den
Stirnen ablesen können! Denn aus der Schule Ich geschöpft habe, was Ich weiß,
aus derselben Schule werden dereinst viele Jünger Meiner Liebe schöpfen und dann
auch wissen, was Ich weiß, und tun, was Ich tue! Aber noch ist die Zeit nicht
völlig da. Wenn sie aber völlig da sein wird, werdet ihr schon vernehmen und
euch danach richten können.
[DTT.01_026,24] Ich habe nun geredet! Wer noch etwas zu reden hat, der rede;
denn Ich werde nur noch eine ganz kurze Zeit Mich unter euch aufhalten, da die,
die Mich verloren zu haben meinen, bald Jerusalem erreichen und Mich hier finden
werden!“
27. Kapitel – Joram erkennt den Jesusknaben als Messias an, bittet Ihn um Rat
und um die Erklärung von Jesaias 52,14 und 53,3. Des Jesusknaben ausführliche
Antwort.
[DTT.01_027,01] Sagte Joram: „Lieber Knabe, uns tut es wahrlich recht sehr leid,
wenn wir Dich irgend beleidigt haben, und daß Du uns nun schon so früh zu
verlassen gedenkst! Höre mich, Du lieber göttlicher Knabe! Denn ich will nun
noch ganz offen ein paar Wörtlein zu Dir reden und bin der Meinung, daß Du sie
mir nicht übel deuten wirst, und so ich Dich dann um einen Rat bitten werde, da
wirst Du Deinen Mund vor uns und vor mir nicht verschließen?!“
[DTT.01_027,02] Sagte Ich: „So rede denn, obwohl Ich weiß, was du reden wirst
und welchen Rat du benötigst; aber sprich du dich dennoch der andern wegen laut
aus, denn sie haben es nötiger, das laut zu vernehmen, denn wir beide!“
[DTT.01_027,03] Hierauf trat Joram näher zu Mir hin und sagte: „Daß Du unfehlbar
derjenige bist, der uns verheißen ist und auf dessen Ankunft alle Juden und mit
ihnen auch die andern Völker harren, darüber sind bei mir alle Zweifel gewichen,
und was mir die Augen am meisten geöffnet hat, war Deine höchst genaue Kunde von
dem innersten losen Tempelgetriebe schon seit alters her!
[DTT.01_027,04] Denn es ist also und ist schon lange also, und weil es leider
also ist, war auch allein der Grund, daß sich das bedeutende Land Samaria von
uns gänzlich getrennt hat und wir nun mit Galiläa nicht um vieles besser stehen
als mit Samaria. Von Geist ist bei uns nun gar nichts mehr. Nur durch eine
notgedrungene Politik erhalten wir noch das bißchen Ansehen des Tempels.
[DTT.01_027,05] Ich war zwar ein genötigter Teilhaber an der schwarzen Disziplin
der Mauern Salomos, konnte aber, wenn auch das Übel einsehend, als ein einzelner
Mensch nichts gegen sie tun, da bei uns jeder effektive Beschluß vom großen Rate
abhängt und da stets die Stimmenmehrheit den leidigen Ausschlag gibt. Ich war
mit meiner einzelnen Stimme wohl bei solchen Gelegenheiten, wie Du sie vor uns
aufgedeckt hast, nie dafür, sondern allzeit dagegen, aber das hat den
Verurteilten keinen Nutzen gebracht.
[DTT.01_027,06] Ich sehe es nur zu klar ein, daß sich der Tempel so nicht mehr
sieben Dezennien halten kann, und dennoch ist es für dieses alte, ehrwürdige
Institut ewig schade, daß es offenbar zugrunde wird gehen müssen, und das nun um
so sicherer, als uns in der nächsten Nähe noch die Essäer und die Sadduzäer
stark über den Kopf zu wachsen anfangen.
[DTT.01_027,07] Aber hier fragt es sich nun ganz ernstlich um den Rat, was da zu
tun noch möglich sein könnte, um den Tempel den nächstfolgenden Jahrhunderten zu
erhalten! In Dir, Du göttlicher Knabe, scheint jene Weisheit in aller Fülle
vertreten zu sein, die hier nach meiner Meinung allein einen maßgebenden Rat
erteilen könnte?
[DTT.01_027,08] Und nun schließlich, da Du schon der Verheißene sein sollst –
woran ich, wie gesagt, für meine Person nicht den geringsten Zweifel mehr habe –
noch etwas höchst Sonderbares über den Messias eben aus dem Propheten Jesaias!
[DTT.01_027,09] Hier hast Du das 53. Kapitel – da sieht es mit dem erhabenen
Messias, der identisch mit Jehova ein und dasselbe Wesen ist, ganz sonderbar
aus! Es wird seiner menschlichen Wesenheit Erwähnung getan, wo es heißt, daß
sich viele über Ihn ärgern werden, weil seine Gestalt häßlicher ist denn die
anderer Leute und sein Ansehen denn das anderer Menschenkinder. (Jes.52,14)
[DTT.01_027,10] Und da, sieh, wieder weiter heißt es: ,Er war der
Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war
verachtet, daß man das Angesicht vor Ihm verbarg; darum haben wir Ihn nicht
geachtet!‘ (Jes.53,3)
[DTT.01_027,11] Wahrlich, wenn ich Deine vollkommen gesunde Gestalt, die dazu
noch von großer Anmut ist, betrachte und nun auch sehe, wie Du geachtet bist, so
stimmt das mit dem Propheten wohl durchaus nicht zusammen! Oder was hat der
Prophet damit sagen wollen?“
[DTT.01_027,12] Sagte Ich: „Ja, das wird das endliche vollwahre Zeichen sein,
daß eben Ich der Verheißene bin! Denn an Mir wird das alles vollzogen werden
beinahe buchstäblich, was da gesagt ist. Was jedoch Meine Leibesgestalt
anbelangt, so hat die Aussage des Propheten darauf keinen Bezug, sondern der
Prophet drückt da bildlich entsprechend nur die gänzlich verkehrte Gemütsart und
Denkweise der jetzigen Menschen aus, der gegenüber Meine Gemütsart und Denkweise
sich ausnehmen wird wie eine häßliche Gestalt, die da verkümmert ist durch
allerlei Krankheit und viele Schmerzen.
[DTT.01_027,13] Ich werde darum bei den Angesehenen und Reichen dieser Welt auch
sehr verachtet sein, und man wird fliehen vor Mir wie vor einem Aase, und so es
von oben zugelassen wird, wird man Mich verfolgen wie einen ärgsten Verbrecher,
wie sich solches nun schon bei euch augenfällig gegen Mich zeigte. Denn stünde
Ich, als vor euch ein Menschenkind, nicht unter römischem Schutze, und es wäre
die Zeit der Zulassung über Mein Außenmenschliches schon da, so wäre Ich lebend
nimmer aus euren Händen gekommen.
[DTT.01_027,14] So wie ihr aber nun zum größten Teile seid, also werdet ihr auch
fortan bleiben, bis dereinst das große Gericht über euch ergehen wird, von dem
der Prophet Daniel geweissagt hat, als er an der heiligen Stätte stand!
[DTT.01_027,15] Aber es könnte das alles auch anders gehen, so ihr eure große
Irre erkennetet, Buße tätet und euch bekehrtet gänzlich! Aber es wird das mit
euch schwerlich je der Fall werden, und somit ist der von Mir euch zu gebende
und hiermit auch schon gegebene Rat ein fruchtloser! Denn ihr hängt zu mächtig
an eurem Weltansehen und an euren irdischen Schätzen, und diese werden euch in
das Gericht stürzen! Nicht Ich werde je über euch den Stab brechen – obwohl Ich
es könnte zufolge Meiner Macht –, sondern ihr selbst und euer Welttum wird das
über euch tun!
[DTT.01_027,16] Aber du meinst nun, Ich solle euch nun nur eine rechte Weisung
geben – ihr würdet darüber zu Rate sitzen und beraten, wie solches unvermerkt
dem Volke beizubringen wäre? Ja, ja, ihr würdet darüber wohl einen Rat halten,
und euer Geld und Weltansehen würde dann euch entgegentreten und sagen: ,Wir
bleiben, was wir sind, und wollen erst abwarten, ob jenes Gericht je über uns
hereinbrechen wird; denn ein so altes und gefestigtes Institut soll sich denn
doch nicht von einem galiläischen Knaben ins Bockshorn treiben lassen!‘ – Dann
wird Mein Rat mit der Stimmenmehrheit verworfen, und ihr werdet also sein wie
jetzt und eigentlich noch um vieles ärger!
[DTT.01_027,17] Tuet hinweg euer vieles Gold und Silber, hinweg eure vielen und
überkostbaren Edelsteine und die große Masse Perlen. Teilet vieles unter die
Armen, und das viele Mehrere gebet dem Kaiser, der allein das Recht hat, die
Schätze der Erde zu sammeln und sie zu gebrauchen zur Zeit der Not. Lebet allein
von dem, was euch Moses bestimmt hat, bereuet die vielen Frevel und sühnet die
großen Sünden durch Werke der wahren Nächstenliebe. Habet keine Geheimnisse vor
dem Volke, sondern seid wahrhaftig, gerecht und getreu in allen euren Reden und
Handlungen, und verharret aber immer bei dem, und werdet gegen vom Geiste Gottes
erweckte Menschen niemals halsstarrig: so wird das Gericht unterm Wege
verbleiben und der Tempel bestehen bis ans Ende der Welt!
[DTT.01_027,18] Denn Gott der Herr will die Menschen zu keinen Maschinen seiner
Allmacht, sondern zu ganz freien, selbsttätigen und selbständigen Kindern will
Er sie haben! Er bedarf eurer Opfer und eurer Gebete ewig nicht, sondern Er
will, daß ihr in euren Herzen Ihn erkennet, Ihn über alles liebet und eure
nächsten armen Brüder wie euch selbst. Tuet ihnen alles, was ihr weisermaßen
wollen könnet, daß sie solches auch euch täten, so werdet ihr bei Gott alle
Gnade wiederfinden und werdet Ihm angenehm sein, wie einer Mutter ihre liebsten
Kinder, und Er wird euch schirmen, wie eine Löwin ihre Jungen, und sorgen für
euch, wie eine Henne für ihre Küchlein!
[DTT.01_027,19] Könnet ihr das tun? – O ja, ihr könntet es wohl tun, so ihr dazu
den rechten Willen hättet, aber an dem fehlt es euch und hat euch immer daran
gefehlt, und somit habe Ich nun wie alle die vor Mir dagewesenen Propheten und
Seher zu tauben Ohren und Herzen geredet!“
28. Kapitel – Des Jesusknaben Erweis, daß der Tempel und das ganze Land nicht
mehr zu reinigen und zu retten sind. Die neue Bundeslade und das ,Verfluchte
Wasser‘.
[DTT.01_028,01] Sagte Joram: „Das möchte ich denn doch noch nicht als eine
ausgemachte Sache ansehen! Denn es kommt Zeit, und es kommt Rat, und so Salomo
recht hat mit dem, daß er behauptet, daß in der Welt alles eitel ist, so könnte
es ja doch einmal sein, daß Deine nunmalige Prophezeiung auch in das Fach des
Eitlen übergehen könnte und wir dennoch Deinen wahrhaft höchst zu beherzigenden
Rat ins Werk setzten! Denn siehe, wir mehrere sind einmal sehr einverstanden mit
Dir! Freilich sind wir wohl der allerwenigste Teil der Tempelbewohnerschaft,
aber so ziemlich die Allerhöchsten dürften wir da sein und somit auch ohne
weiteres maßgebend! – Was meinst Du da?“
[DTT.01_028,02] Sagte Ich: „Also aber war es in diesem Hause schon öfter und
manchmal sogar um vieles besser, und dennoch drang der bessere Teil niemals
durch, sondern allzeit der große Haufe, der stets den größten Lärm zu schlagen
verstand! Aber Ich sage es dir und jedem, der da denkt wie du und aber auch bei
sich danach tut – denn auch bei den übervielen Bösen wird der einzelne Gerechte
vor dem Angesichte Gottes nicht unbeachtet bleiben –:
[DTT.01_028,03] Ihr im allgemeinen habt euch wohl eine neue Bundeslade
anfertigen lassen und habt euch angeschafft ein neues Gefäß zur Aufbewahrung des
von keinem Propheten angeratenen ,Verfluchten Wassers‘, welches da ist eine
schlechteste Erfindung und Einführung der neueren Zeit! Wahrlich, das war
unnötig, sowohl die Lade wie das Gefäß! Warum habt ihr dafür nicht lieber eure
Herzen durch eine rechte Buße in Gott erneuert und euern alten Weltsinn
umgewandelt in den der wahren Liebe und Barmherzigkeit?!
[DTT.01_028,04] Wahrlich, Ich sage euch: Die alte Bundeslade, voll des Geistes
aus Gott, steht in Mir nun vor euch und sagt euch ganz offen ins Gesicht, daß in
eurer neuen Bundeslade sich kein Sonnenstäubchen groß irgendeines Geistes Gottes
befindet, wohl aber eine Überfülle des alten, bösesten Märengeistes, der in
euren Herzen ausgeboren wird; und das Verfluchte Wasser sind die schlechten
Tränen um so manche Weltlichtsverluste, von denen ihr euch die größten Gewinne
erhofftet, und diejenigen, die euch verrieten gegen die Römer, so ihr sie in
eure Klauen habet bekommen können, sind zumeist am Verfluchten Wasser elendigst
gestorben!
[DTT.01_028,05] Aber von nun an wird euch das selbst tausendmal verfluchte
Wasser nichts mehr nützen! Es war zwar wohl dereinst ausgemacht worden, daß
jene, die einen Tempelverrat in den göttlichen Dingen gegen die Feinde Jehovas
machten – als da waren die Philister und derart sehr böse und finstere Heiden
vor alters –, das böse Wasser aus dem Toten Meere sollten zu trinken bekommen,
und täte ihnen das Wasser kein Leids, sie als unschuldig zu betrachten wären,
wogegen, so ihnen die Bäuche aufgetrieben würden, sie als Schuldige ihrem argen
Schicksale überlassen werden sollten und zugrunde gehen an den Folgen und
Wirkungen des toten Wassers. Aber seit wie lange ist diese Satzung in eine ganz
andere übergegangen!
[DTT.01_028,06] Wie viele Tausende sind schon an den Folgen eures neueren
Giftwassers zugrunde gegangen, ohne daß sie den allergeringsten Verrat des rein
Göttlichen aus dem Tempel an irgendeinen bösen Heiden gemacht haben! Warum nahmt
denn ihr selber nicht das tote Wasser, da eben ihr selbst den Heiden geheim –
aber freilich um viel Gold – das Allerheiligste zur Besichtigung gar oftmals
aufgeschlossen habt?!
[DTT.01_028,07] Siehe, das und noch viele andere Dinge gehen hier im Tempel vor,
ja dieses sein sollende Gotteshaus auf Erden ist zu einer wahren Raubmörderhöhle
geworden. Da gibt es keinen Greuel, der in diesem Tempel nicht wäre zu öfteren
Malen verübt worden! Meinet ihr wohl, daß solch eine Stätte noch immer gut genug
wäre, Gott dem Herrn eine Wohnstätte abzugeben?! Wahrlich, mit dem Schwerte, an
dem das Blut deines Bruders haftet, sollst du nimmer ins Feld ziehen, denn daran
hängt schon ein alter Fluch, und du wirst damit nimmer einen Sieg erfechten!
[DTT.01_028,08] Ja, eure Herzen könnet ihr noch reinigen, so ihr ernstlich
wolltet, aber dies Gemäuer nimmer! Habt ihr doch selbst ein Gesetz, demzufolge
ein ganzes Land, ein Haus, ein Acker, ein Haustier und ein Mensch durch eine
gröbste Sünde wider den Geist Gottes für immerdar verunreinigt werden können –
warum dieser Tempel nicht, in dem zu verschiedenen Malen die größten und
himmelschreiendsten Greuel verübt worden sind?!
[DTT.01_028,09] Ich aber sage es euch: Nicht nur dieser Tempel, sondern das
ganze Land ist schon seit lange her unwiederrett- und -reinigbar über alle Maßen
verunreinigt und wird darum in jüngster Folge von den Heiden zertreten und zu
einer Wohnstätte der Räuber und reißenden Tiere werden.
[DTT.01_028,10] Damit habe Ich euch nun Meine Meinung ganz unverhohlen
preisgegeben, und ihr könnt nun damit machen, was ihr wollt!? Denn Ich werde
euch bald verlassen, und was Ich geredet habe, habe Ich nur vor euch geredet und
vor sonst niemandem, obwohl Ich allezeit wußte, wie es um euch steht, und werde
auch zu niemandem weiterreden, da solches fruchtlos wäre! Aber ihr könntet, so
ihr wolltet, die Sache noch ändern, doch dieses Gemäuer würde zu nichts mehr
taugen! – Verstehet ihr das?“
29. Kapitel – Die hänselnde Frage des Oberpriesters. Des Jesusknaben abweisende
Antwort. Barnabes Bitte um Erklärung von Jesaia 54,4-9, und ihre Erfüllung durch
den Herrn.
[DTT.01_029,01] Sagte nun einmal wieder der Oberpriester darauf: „Sage mir denn
nun, du Halbgott und Halbmensch von einem Knaben aus Galiläa, wohin wirst du
ziehen, daß wir dich hinfür lange nicht mehr zu sehen bekommen sollen? – Ich
aber meine, indem du ein Nazaräer bist, und zwar ein Sohn des mir wohlbekannten
Zimmermanns Joseph und dessen Weibes Maria, und ich oder jemand von uns jährlich
sicher ein, zwei, auch drei Male jene galiläischen Orte besuchen werden, so
sollte es etwa ja nicht so besonders schwer werden, dich dort als sicher eine
sehr bekannte Persönlichkeit zu Gesichte zu bekommen und sich mit dir weiter
über eine Reorganisation des Tempels zu besprechen?! – Was meinst du, junger
Prophet aus Galiläa, in dieser Hinsicht?“
[DTT.01_029,02] Sagte Ich: „So dein Herz bei deinen Mich nur hänseln wollenden
Worten auch dabeigewesen wäre, so hätte Ich dir allerdings noch eine Antwort
gegeben; aber so bist du keiner andern wert als der allein, die du nun erhalten
hast!
[DTT.01_029,03] Du kannst ein- oder tausendmal nach Nazareth kommen, so wirst du
Mich doch nie wieder zu sehen und noch weniger zu reden bekommen. Denn wann du
kommen wirst, werde Ich schon lange voraus wissen, wo aber dann Ich hinziehen
werde unterdessen, das wirst du nicht wissen und keiner deiner Templer!
[DTT.01_029,04] Ich sage es dir, daß es ein sehr schweres ist, den zu suchen und
zu finden, der allwissend ist! Ja, wenn die Zeit der Zulassung kommen wird von
dem Geiste, der in Mir ist, dann werdet ihr Mich wiederfinden! – Oder: ihr alle
befolget Meinen Rat, dann werde Ich auf Mich nicht lange warten lassen und
selbst kommen zu euch; aber sonst nur dann, wie Ich schon bemerkt habe!“
[DTT.01_029,05] Auf diese Meine Äußerung sagte der Oberpriester nichts mehr,
denn es ärgerte ihn heimlich sehr, daß Ich ihm als Stellvertreter des
Hohenpriesters keine Achtung zollte. Aber die andern sahen das gerade nicht
ungerne, weil er für sie ein starker Haustyrann war.
[DTT.01_029,06] Hierauf trat wieder einmal Barnabe zu Mir und sagte: „Sage mir,
du weisester Knabe! Wie verstehst du denn folgende Texte des 54. Kapitels des
Propheten Jesaias? Sie besagen den Trost auf Zion und lauten:
[DTT.01_029,07] ,Fürchte dich nicht, denn du sollst nicht zuschanden werden;
werde nicht blöde, denn du sollst nicht zum Spotte werden, sondern du wirst der
Schande deiner Jungfrauschaft vergessen und der Schmach deiner Witwenschaft
nicht mehr gedenken!
[DTT.01_029,08] Denn der, der dich gemacht hat, ist dein Mann, Herr Zebaoth ist
sein Name; und dein Erlöser, der Heilige in Israel, der aller Welt Gott genannt
wird.
[DTT.01_029,09] Denn der Herr hat dich lassen im Geschrei sein, daß du seist wie
ein verlassenes und von Herzen betrübtes Weib und wie ein junges Weib, das
verstoßen ist, spricht dein Gott.
[DTT.01_029,10] Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit
großer Barmherzigkeit will Ich dich sammeln.
[DTT.01_029,11] Ich habe Mein Angesicht im Augenblicke des Zornes ein wenig vor
dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will Ich Mich deiner erbarmen, spricht der
Herr dein Erlöser.
[DTT.01_029,12] Denn solches soll mir sein wie das Wasser Noahs, da Ich schwur,
daß die Wasser Noahs nicht mehr sollten über den Erdboden gehen. Also habe Ich
denn auch geschworen, daß Ich nicht über dich zürnen, noch dich schelten will.‘
[DTT.01_029,13] Siehe, diese sehr gewichtigen Verse Jesaias scheinen mir trotz
deiner Drohungen für Jerusalem und für den Tempel wieder sehr günstig und
trostvoll zu lauten! Kannst du diese Texte auch auf dich beziehen, dann wollen
wir dir ganz glauben, daß du vollernstlich der verheißene Messias bist, und der
ganze Tempel wird niedergerissen und auf dem reinen Berge Libanon ein neuer
erbaut werden für alle Zeiten der Zeiten!“
[DTT.01_029,14] Sagte Ich: „Was bis jetzt von Mir geschrieben stand, das war
auch möglich, es euch begreiflich zu machen; was aber Mich betrifft und Mein
Wirken von nun an weiter hinaus, das wird euch schwerst und schon eigentlich gar
nicht begreiflich zu machen sein!
[DTT.01_029,15] Denn diejenige ,Jungfrau‘, die sich nicht fürchten soll,
zuschanden zu werden, und nicht blöde sein soll, um nicht zum Spotte zu werden,
sondern die der Schande der Jungfrauschaft nicht mehr gedenken soll und
vergessen der Schmach der Witwenschaft, ist ja nicht etwa Jerusalem und sein
Tempel, denn wahrlich, da paßten die bildlich entsprechenden Bezeichnungen
,Jungfrau‘ sowenig wie die ,Witwe‘ schon ewig nimmer!
[DTT.01_029,16] Die ,Jungfrau‘, von der da die Rede ist, die wird von Mir erst
gemacht werden: es wird dies sein Meine neue Lehre an die Menschen aus den
Himmeln, und sie wird darum eine ,Jungfrau‘ genannt, weil zuvor noch nicht eine
selbstsüchtige und hurerisch freche Priesterschaft sie mißbraucht hatte zu ihren
schnöden weltlichen Zwecken.
[DTT.01_029,17] Diese Meine künftige Lehre wird aber auch auf eine kurze Zeit
Witwe genannt, weil Ich ihr da genommen werde durch euren Zorn und durch eure
Rache, aber nur durch Zulassung dessen, der in Mir ist und nirgends außer Mir.
Dieser Jungfrau und Witwe Mann aber werde eben auch Ich sein, weil sie von Mir
gemacht wird! Wer aber eben der Mann ist, der die Jungfrau und die Witwe gemacht
hat, das leset nur im Propheten, wie auch die ihr gemachten Verheißungen; denn
Ich bin der Mann, und die Verheißungen gehen nur die geheimnisvolle Jungfrau an.
[DTT.01_029,18] Es werden viel später auch Zeiten, wie sie Daniel beschrieben
hat, kommen, in denen auch mit dieser reinsten Lehre großer Mißbrauch getrieben
wird, aber mit der Jungfrau selbst nimmer, sondern mit den Kindern und
Kindestöchtern der reinen Jungfrau und kurzsichtigen Witwe. Natürlich, diese
werden keine Teilhaber Meiner Verheißungen werden, allein wohl aber die gewisse
,Jungfrau‘, entsprossen aus Meinem Munde, und ihre vielen reinen Kinder!
[DTT.01_029,19] Siehe, also wird die Sache ausfallen und sich verhalten und ewig
nimmer anders werden! Denn mit euch und eurem Tempel werde Ich hinfort ewig in
keiner Gemeinschaft mehr stehen. Ich kam wohl zu euch, um euch zu erretten; ihr
aber habt Mich nicht erkannt und aufgenommen. Fernerhin werdet ihr zu Mir
kommen, wenn euch der böse Schuh zu drücken anfangen wird, doch dann werde Ich
euch nimmer erkennen und nimmer aufnehmen! – Habt ihr Mich wohl verstanden?“
[DTT.01_029,20] Sagte Barnabe: „Wahrlich, um dich mit leichtem Gemüte zu
ertragen, dazu gehört sehr viel Geduld, denn du wirst stets dichter und
eigentlich gröber! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle: wir werden diese Sache denn
doch noch ein wenig abwarten! Die Sache mit dir kommt mir immer so vor wie mit
einem Blitze, der bei seinem Entstehen plötzlich ein mörderisch starkes Licht
erzeugt und durch seinen ihn begleitenden Donner die Erde sogar beben macht;
aber es ist dann gleich aus mit ihm, und nach ihm wird es finsterer als es
früher war!
[DTT.01_029,21] Weißt du, – du bist in deiner Art offenbar ein Phänomen, das
seinesgleichen sucht, und du hast uns bei all deinem Trotze dennoch recht viel
Vergnügen gemacht! Deine Talente, Junge, wären zu brauchen, aber du solltest da
in eine ganz andere und freiere Erziehung kommen und mit deinen wahrlich
großartigen und nie dagewesenen Eigenschaften ein bißchen mehr Humanität
vereinen, so wärest du für späterhin ein Mensch in der Welt, wie es noch kaum je
einen zweiten gegeben hat! Aber mit deiner stets gleichen Schroffheit wirst du
unter den Menschen auf der Welt dir sehr wenig Freunde machen! Wenn du in deiner
sonderbaren Naturmacht noch zunimmst und du zwar keinen Feind zu fürchten hast,
so wirst du wohl von jedermann gefürchtet, aber nie geliebt und geachtet werden.
Mir aber ist es lieber, von allen Menschen geliebt als gefürchtet zu werden! –
Welcher Meinung bis du selbst oder jemand anderer?“
[DTT.01_029,22] Sagte Ich: „O ja, du hättest ganz recht, so alle Menschen rein
und gut wären! Aber da es ganz verschiedenartige Menschen auf der Erde gibt, von
denen einige gut und viele andere schlecht, meineidig und böse sind, da wäre es
wahrlich eine sehr schwere Aufgabe für einen Gerechten und Wahrhaftigen, sich
also zu stellen, um von allen gleich geliebt zu werden! Man müßte mit dem Bösen
böse und mit dem Guten gut sein, und siehe, das ist ebensowenig möglich, als
eine Art Licht zu sein, das zugleich die größte Helle und auf demselben Flecke
aber auch die allerdickste Finsternis verbreitet!
[DTT.01_029,23] Ich sagte es dir: Die wahren Freunde der ewig unwandelbaren
Wahrheit aus Gott, die werden Mich schon lieben, und das über alle Maßen; aber
Menschen, die die göttlichen Gesetze und Wahrheiten mit Füßen treten und leben,
als gäbe es gar keinen Gott mehr, die sollen Mich immerhin fürchten! Denn derlei
Menschen und weltsüchtige Gottesleugner sollen Mich dann kennenlernen, daß Ich
durchaus keinen Scherz verstehe und jedem vergelte nach seinen Werken; denn Ich
allein habe die ewig allervollkommenste Macht dazu.“
[DTT.01_029,24] Sagte Barnabe lächelnd: „Aber Knabe, was sprichst du von ,ewig‘
und zählst noch kaum zwölf Jahre!? Wohin versteigt sich dein Messiaseifer?!
Bleibe schön bei der Natürlichkeit, und wir werden dich recht gern anhören!“
[DTT.01_029,25] Sagte Ich: „Gehe, du wirst Mir nun schon widrig! Meine Ich denn
etwa damit diesen Leib, der freilich erst zwölf Jahre auf dieser Erde besteht?!
Habe Ich denn euch allen nicht schon gestern von der Ewigkeit desjenigen Geistes
eine hinreichende Erklärung gegeben, der in Mir ist und wirkt?! Was wirfst du
Mir da Meinen sich versteigenden Messiaseifer vor?! Verstehe etwas zuvor, dann
erst siehe, ob du mit Mir Reden führen magst, und das offenbar über Dinge, die
dir noch ferner und unbekannter sind als der entfernteste Pol der Erde!“
30. Kapitel – Des Nikodemus Frage nach den Polen der Erde. Des Jesusknaben
Antwort. Der Freundschaftsbund zwischen Nikodemus und dem Jesusknaben.
[DTT.01_030,01] Hier erhob sich ein anderer Ältester und sagte: „Nun, was weißt
du denn von einem entferntesten Pole der Erde?! Geh und sage mir etwas davon,
denn ich habe davon schon einmal von einem vielgereisten Griechen etwas reden
hören.“
[DTT.01_030,02] Sagte Ich: „Ich weiß nicht nur um die Pole der Erde, sondern
sehr genau um alle die ewig weiten Pole aller Himmel Gottes! Aber um dir davon
einen Begriff zu verschaffen, müßte Ich dir mindestens auf tausend Jahre einen
Lehrer abgeben! Also das geht nicht; aber da sage Ich dir ganz etwas anderes:
[DTT.01_030,03] Jene, die in Meiner Lehre einst sein werden, denen werde Ich
geben Meinen Geist, der sie zu den wahrsten Kindern Gottes machen wird und wird
sie leiten in alle Wahrheit und Weisheit, und es soll wahrlich die Unendlichkeit
naturmäßig und geistig nichts in sich bergen, das ihnen fremd bleiben soll!
[DTT.01_030,04] Wirst du etwa ein Jünger Meiner Lehre werden, so sollst auch du
von den Gaben des Geistes Gottes etwas zum Verkosten bekommen und die Pole der
Erde besser kennenlernen, als du sie bis jetzt kennengelernt hast!“
[DTT.01_030,05] Der Fragesteller machte bei dieser Meiner Antwort große Augen
und schrieb sich das fein hinter die Ohren, denn er war noch nicht alt, aber
einer der Weisesten unter den Ältesten. Denn den Titel Ältester bekam oft ein
ganz junger Mensch, wenn er das hierzu erforderliche Vermögen, d.h. Gold und
auch Verstand zur Genüge besaß! Und an dem hatte es bei Meinem Fragesteller
keinen Mangel. – Sein Name war Nikodemus, der später bei Meinem Lehrantritt
geheim auch im Ernste Mein Jünger wurde, wie solches nun schon bekannt ist.
[DTT.01_030,06] Dieser Älteste hatte sich alle Meine Reden geheim am tiefsten in
sein Herz geschrieben und hatte sehr darauf geachtet. Er erhob sich von seinem
Sitze, kam zu Mir und drückte Mir freundlichst Meine Hände und sagte zu Mir ganz
heimlich: „Lieber, holdester Wunderknabe! Wenn du etwa wieder einmal nach
Jerusalem kommen solltest, da besuche mich ganz allein, wir zwei werden
miteinander leicht gleich werden! Und brauchen deine Eltern irgend etwas, so
sollen sie sich nur an Mich allein wenden! Ich heiße Nikodemus.“
[DTT.01_030,07] Und Ich drückte ihm auch ebenso freundlich die Hand und sagte:
„Wenn du etwa einmal nach Nazareth kommst, so wirst du aus eurem ganzen
Kollegium der einzige sein, der Mich finden wird. Und so dir etwas fehlt, da
komme du zu uns, und Ich werde dir helfen in allem, was dir je not tun kann! Im
übrigen aber nehme Ich deinen guten Willen schon fürs Werk an.
[DTT.01_030,08] Da du aber zugleich ein bleibender Vorsteher aller Bürger
Jerusalems bist, so habe auch darauf acht, daß von seiten des höchst
herrschsüchtigen Hohenpriesters, der Mir nicht die Ehre geben wollte, nicht zu
arge Bedrückungen in und außer dem Tempel verübt werden und Ich nicht genötigt
werde, das Gericht vor der Zeit über diese Stadt hereinbrechen zu lassen.
[DTT.01_030,09] Gedenke Meiner! Mein Name heißt Jesus Emanuel, und Mein Geist
heißt Jehova Zebaoth! Nun weißt du, woran du bist! Vertraue und baue auf Mich,
und du wirst den Tod nicht sehen!“
[DTT.01_030,10] Als Nikodemus von Mir diese Worte vernahm, da frohlockte er
heimlich in seiner Seele, aber seine Kollegen ließ er nichts davon merken.
31. Kapitel – Die abschließende Rede des römischen Richters. Des Römers Frage
nach dem Verbleib der Eltern Jesu und des Jesusknaben Aufschluß.
[DTT.01_031,01] Es rieb sich aber nun der römische Richter die Stirn und sagte
mit sehr lauter Stimme: „Höret nun auch noch einmal mich! – Nach all dem, was
ich mit scharfem Blicke seit nun drei Tagen an diesem Knaben bemerkt, von Ihm
vernommen und gesehen habe, so geht da auch mit den gröbsten Händen leicht zu
greifen klarst hervor, daß Er durchaus ein anderes Wesen ist als wir armseligen,
überaus schwachen und sterblichen Menschen dieser Erde!
[DTT.01_031,02] Er gehört zwar seiner irdischen Geburt nach dem Judenstamme an
und steht so teilweise unter den Gesetzen des Tempels und teilweise gleich einem
jeden Juden auch unter den unsrigen. Ich nahm aber sehr wahr, daß der Geist
dieses Knaben eigentlich das Fundament aller Gesetze, sowohl der jedes Staates
wie jeder gesellschaftlichen Volksordnung, und ferner aber auch aller uns nie
offenbar werden könnenden Gesetze in der großen Natur aller Materie und aller
Geister ist! Er ist zugleich ein tief weisester und gerechtester Richter, und
nicht ein Atom groß auch nur scheinbar Arges ist in seinem Wesen! Was sollen da
unsere Gesetze mehr noch mit Ihm zu tun haben, da Er doch augenscheinlichst ein
Herr über alle Gesetze ist?!
[DTT.01_031,03] Ich stelle Ihn demnach frei und himmelhoch erhaben über alle
unsere römischen und ebenso auch frei über alle eure eben nicht viel sagenden
Tempelgesetze und erkläre auch hiermit feierlichst, daß dieser Tempel zur
Aufnahme seiner heiligen Persönlichkeit viel zu unwürdig ist, und sooft es Ihm
belieben sollte, das schlechte Jerusalem zu besuchen, so soll Er in den größten
Ehren, die die Sterblichen einem Unsterblichen und allmächtigen Gotte erweisen
können, in meinem offenbar reineren Palaste die freundlichste Aufnahme finden.
[DTT.01_031,04] Und wann Du zu mir wirst kommen wollen, so will ich laut
ausrufen: ,Höret, Völker, meinem Hause und dem Herrscher Roms ist das größte und
höchste Heil widerfahren!‘
[DTT.01_031,05] Er wird das Heil euch Juden nehmen und es uns Heiden geben, und
ihr werdet zu seiner Zeit noch von unseren schweren Fersen zertreten werden, und
Staub und Asche werden wir über diese Stätte streuen, da ihr euch jetzt als
Götter von dem betörten Volke preisen und förmlich anbeten lasset!
[DTT.01_031,06] Ich habe nun aus meiner innersten Überzeugung gesprochen und bin
nun der sogar maßgeblichen Ansicht, daß wir nun, da ihr wahrlich finsteren
Templer zu keiner besseren Anschauung zu bringen seid, diese Sitzung aufheben!
Denn für was so heilige Worte an gänzlich taube Ohren und steinharte Herzen
vergeuden?!“
[DTT.01_031,07] Sagte Ich: „Noch einige Augenblicke, bis die kommen, die Mich
nun bei drei Tage lang suchen! Sie werden es in der Herberge ,Nazareth‘, die
ohnehin zum Tempel gehört, erfahren, wo Ich Mich aufhalte, und werden Mich
hierher suchen kommen. Mit ihnen werde Ich wieder nach Nazareth ziehen! Denn dem
Leibe nach muß Ich bei denen bleiben, die Ich Mir selbst dazu treu und wahr
erwählt habe!“
[DTT.01_031,08] Sagte der Römer: „Aber wie ging denn das zu, daß Du Deinen
Leibeseltern hast können verlorengehen? Denn meines Dafürhaltens haben sie Dich
ja hierher begleiten müssen, und ich erinnere mich sogar jetzt, beim Eintritt in
die große allgemeine Prüfungshalle des Tempels einen alten, würdigen Mann und
ein ganz junges, aber sehr fromm aussehendes Weib an Deiner Seite bemerkt zu
haben! Sie gingen nach ihrer entrichteten kleinen Taxe freilich wohl mit vielen
anderen aus dem Tempel, worauf ich sie dann nicht mehr zu Gesicht bekam; aber
sie müssen ja doch gewußt haben, daß Du nirgends anders als nur hier sein
kannst?!“
[DTT.01_031,09] Sagte Ich: „Liebster Freund, sieh, das ist ganz einfach: Ich
wollte es also, weil das in Meinem Willen und in Meiner ewigen Ordnung lag! Denn
Ich sage es dir: Diese Szene war in Mir schon von Ewigkeit her vorgesehen. Dann
konnte das auch ganz natürlich also geschehen!
[DTT.01_031,10] Meine Leibeseltern erwarteten Mich gleich den anderen in der
bekannten Herberge, wohl wissend, daß Ich sie nicht verfehlen kann. Da aber der
Nährvater Joseph bei einem Zeugschmied aus Damaskus sich einige Werkzeuge neu
anfertigen ließ und schon vorauswußte, daß er nicht so bald fertig werde und
wegen des Tragens ihn auch Meine recht leibeskräftige Mutter dahin begleitete,
so gab er mehreren Verwandten und sonst wohlbekannten Nazaräern den Auftrag,
falls er mit der Maria etwa zu spät wiederkehrete, daß sie Mich bis zur nächsten
Station nur mitnehmen sollten, weil die beiden von dem bewußten Schmiede bei
längerem Verweilen nicht wieder nach Jerusalem, was ihnen stark aus dem Wege
läge, zurückzukehren für nötig hätten.
[DTT.01_031,11] Also ward es abgemacht, und also auch getan. Die beiden
verweilten lange, und als sie dann in die bewußte Station kamen, trafen sie
daselbst wohl eine Menge bekannter und auch verwandter Nazaräer, aber Ich war
nicht bei ihnen. Und diese meinten, daß Ich vielleicht mit einer früher
abgegangenen Gesellschaft bis zur weitgelegenen Nachtherberge mitgezogen sei –
was zu glauben Meine Eltern auch keinen Anstand nahmen und mit diesen gemächlich
dahin zogen, wo sie aber erst nach Mitternacht ankamen. Nun, da war Ich auch
nicht dabei!
[DTT.01_031,12] Am frühen Morgen machten sie sich auf zu einer noch um ein
bedeutendes weiter liegenden Herberge, aber auch da vernahmen sie nichts von
Mir. Von da kehrten sie wieder hierher zurück, sind bereits in unserer Herberge
angelangt und haben Mich auch zu ihrer großen Beruhigung erfragt und werden nun
alsbald Mich mit einem kleinen Verweise hier auffinden!“
[DTT.01_031,13] Sagte der Römer: „Oh, einen Verweis dürfen sie Dir nicht geben,
dagegen werde schon ich einen Protest einlegen!“
[DTT.01_031,14] Sagte Ich: „Ach laß nur alles geschehen, was von den Propheten
geweissagt ist, Ich werde ihnen dann schon auch Meine Meinung sagen, die ihnen
als Menschen sehr heilsam sein wird!“
[DTT.01_031,15] Hier wollte der Oberpriester noch etwas sagen, aber der Römer
und unser Simon ließen es nicht mehr zu und erklärten die Sitzung nochmals für
aufgehoben.
32. Kapitel – Das Eintreffen von Joseph und Maria im Tempel. Der Eltern Frage
und des Sohnes Antwort. Die freundliche Unterhaltung des Römers und des
Nikodemus mit den Eltern Jesu. Im Palaste des Römers. Die Rückkehr nach
Nazareth.
[DTT.01_032,01] In diesem Augenblick traten eben Meine Eltern in diese besondere
Redehalle, geführt von einem Tempeldiener, und erstaunten bei sich geheim über
die Maßen, Mich in einer so hochweisen und hochherrlichen Gesellschaft
anzutreffen.
[DTT.01_032,02] Der Römer fragte sie sogleich, ob Ich ihr Sohn wäre.
[DTT.01_032,03] Und die Eltern bejahten das mit sichtbar großer Freude. Maria
aber – weniger darum, um Mir einen Verweis zu geben, sondern vielmehr, um ihr
Mutteransehen ein bißchen vor den großen Weltherren geltend zu machen – sagte,
freilich mit der freundlichsten Stimme von der Welt: „Aber, liebster Sohn, warum
hast Du uns denn das getan? Nahezu drei Tage suchen wir Dich mit großer Angst!“
[DTT.01_032,04] Sagte Ich: „Wie mochtet ihr das tun?! Ich habe es euch daheim ja
schon zum voraus gesagt, daß Ich hier das tun werde müssen, was der Wille Meines
Vaters im Himmel ist!“
[DTT.01_032,05] Darauf schwiegen beide und schrieben sich diese Worte tief ins
Herz.
[DTT.01_032,06] Hierauf aber sagte dann der Römer ihnen recht ausführlich, was
Ich für ein Wesen sei, und was Ich geredet und getan habe, und wie sich alle
über die hohe Weisheit und Macht Meiner Reden verwunderten, wie eben auch über
die unbegreifliche Macht Meines Willens, und wie darum er als eine der ersten
Machtautoritäten Roms in Jerusalem Mich über alle Maßen liebgewonnen habe und er
sich erbiete, ihnen als Meinen Eltern jeden denkbaren Vorteil angedeihen zu
lassen,
[DTT.01_032,07] wofür ihm besonders Joseph über alle Maßen freundlichst dankte
und ihm sich nötigenfalls als Zimmermann und Architekt besonders anempfahl und
bald darauf von dem Römer auch große Bauten in und um Jerusalem auszuführen
bekam. Sogar einen neuen Richterthron nach römischer Art bekam Joseph zu machen
und verdiente dabei recht viel Geld.
[DTT.01_032,08] Desgleichen versicherte auch der überreiche Simon von Bethanien
noch im Tempel den Joseph seiner vollsten Freundschaft, worauf wir uns erhoben
und zum Fortgehen bereitmachten.
[DTT.01_032,09] Hier erhoben sich auch die Templer, machten dem Römer eine tiefe
Verbeugung und zogen dann bis auf Nikodemus ab. Dieser aber gab uns
allerfreundlichst das Geleite bis zum großen Palast des Römers, der es sich
durchaus nicht nehmen ließ, uns die kommende Nacht bei sich bei der
auserlesensten Bewirtung zu beherbergen. Ich mußte sein Weib und alle seine
Kinder segnen, und er sagte darauf:
[DTT.01_032,10] (Der römische Richter:) „Nun erst ist meinem ganzen Hause das
größte Heil und die höchste Ehre widerfahren; denn der Herr aller Herren und
König und Kaiser aller Könige und Kaiser hat mein ganzes Haus heimgesucht und
gesegnet!“
[DTT.01_032,11] Daß darüber Meine Eltern höchst erbaut und ergriffen waren, läßt
sich leicht denken, und sie vergaßen dieses Momentes nicht wieder.
[DTT.01_032,12] Darauf wurden wir in den Speisesaal geführt, wo eine
vortreffliche Mahlzeit unser harrte, die ganz besonders Meinen müden und hungrig
gewordenen Eltern sehr wohl zustatten kam.
[DTT.01_032,13] Bei der lange anhaltenden Tafel mußte die Maria alles über Meine
Empfängnis und Geburt und noch eine Menge Daten aus Meinem Kindesleben dem Römer
erzählen, worüber er stets in einen Enthusiasmus von Verwunderung ausbrach und
dabei oft ausrief:
[DTT.01_032,14] „Und das wissen diese Tempelhelden – und glauben doch nichts!?“
[DTT.01_032,15] Nach der Mahlzeit aber begaben wir uns zur Ruhe und am nächsten
Tage verschaffte uns der Römer eine sehr bequeme Fahrgelegenheit bis nach
Nazareth und versah den Joseph mit einem reichlichen Reisegeld, und Simon
geleitete uns bis nach Galiläa, wo er in einem Flecken ein Geschäft zu besorgen
hatte. Und so kamen wir ganz wohlbehalten wieder nach Nazareth, womit die
Tempelszene ein Ende hat. –
[DTT.01_032,16] Daß Ich darauf bis in Mein dreißigstes Jahr von Meiner
Göttlichkeit wenig mehr merken ließ, ist bekannt, und somit ist diese einzig
richtige und wahre Mitteilung über die drei Tage im Tempel zu Ende. Wohl dem,
der sie glaubt und sich daran nicht ärgert! Wer sie gläubig im Herzen lesen
wird, wird vielen Segen überkommen! Amen. Das sage Ich, der Herr. Amen, Amen,
Amen.
Jakob Lorbers Schlußwort. – Meine Knechtes-Anmerkung am 13. Januar 1860.
[DTT.01_000,01] O Herr! vor allem danke ich armer Sünder Dir für diese herrliche
und bis jetzt noch nie dagewesene allerhöchste Gnadenmitteilung, deren ich vor
allem und dann auch die ganze Welt unwürdig ist. Da Du, o Herr, aber schon uns
dadurch eine so übergroße und unverdiente Gnade erwiesen hast, o so segne uns
auch damit, die wir voll des wahren Glaubens Dich aus vollem Herzen lieben!
Verzeihe damit unsere mannigfachen Schwächen, mache uns stark in aller Liebe zu
Dir und unsern armen Brüdern, und lasse uns in Deinem allerheiligsten Namen
allzeit erquicken die Herzen der betrübten und notleidenden Brüder! – Und, o
Herr! gedenke auch in Deiner großen Liebe Deines armen Knechtes auf Erden fortan
und habe meinen innigsten Dank für alle Deine von mir nie verdienten Wohltaten,
die Du mir allzeit gnädigst hast angedeihen lassen. O laß aber auch meinen Segen
an die vielen Armen und Bedürftigen und Bedrängten und an alle Deine wahren
Freunde und meine Wohltäter in Deinem allerheiligsten Namen mit Deinem Segen
vereint wirksam sein! –
[DTT.01_000,02] Dir allein alle Ehre und Liebe ewig, und Dein allein heiliger
Wille geschehe! In tiefster Zerknirschung
[DTT.01_000,03] Deiner Gnade allerunwürdigster Knecht.