Heft 25. Heimgefunden
Inhaltsverzeichnis |
Personen |
Vorgeschichte
Dieses Menschenkind wurde 1918 geboren. Später erkannte man, dass es blind war.
Mit zwei Jahren wurde es in Leipzig operiert, wodurch ihr etwas Licht geschenkt
wurde. Im nächsten Jahr erlitt sie durch Unachtsamkeit eine starke Verbrennung
auf der Brust; sie schwebte lange zwischen Leben und Tod. Als Merkmal blieb auf
der Brust eine Brandnarbe, die ein grosses Kreuz darstellte.
Im Jahr darauf stürzte sie aus dem zweiten Stock des Hauses, das wir bewohnten,
es geschah ihr nichts, spielend wurde sie im Garten gefunden.
Dann verletzte sie sich mit einer Gabel das Auge, aber nach drei Tagen war sie
wieder gesund. Nun wurde auch offenbar, dass sie geistig unnormal war trotz
ihrer grossen Fähigkeiten. Sie tanzte wie die beste Tänzerin und hatte für Musik
ein Riesengedächtnis. Eine nur einmal gehörte Melodie sang sie manchmal nach
Monaten und Jahren noch nach, aber in ihrer Sprachweise, die Fremde nicht
verstehen konnten. Alle diese Fähigkeiten verlor sie nach ihrer Sterilisation,
die nach dem damaligen Gesetz vorgenommen werden musste. Ja von dieser Zeit an
ging eine Änderung vor sich, die ihren Zustand zu ihrem Nachteil verschlimmerte,
so dass sie später in eine Anstalt überführt werden musste, wo sie dann im Alter
von 21 Jahren verstarb.
Erlöst vom Irdischen
In einem schönen Garten erwacht Hanny, schaut um sich, da spricht eine Stimme:
„Fürchte dich nicht, kleine Hanny, ich bin bei dir, erschrecke nicht, nun kann
dir nichts mehr geschehen, du bist erlöst vom Irdischen, von deinem Leiden."
„Erlöst? Ja wo bin ich denn, ich kann ja richtig sehen! Jetzt sehe ich auch
dich, wer bist du, wo ist Schwester Lina?"
„Du bist bei mir, deiner Grossmutter, Lina kann nicht hierher kommen, denn du
bist gestorben."
„Gestorben?, gestorben! Kann ich heim zu Papa und Mama?"
„Nein, Hanny, jetzt noch nicht, du musst erst von deinem kranken Körper ganz
frei sein, musst dich mir anvertrauen und dich nicht mehr fürchten, denn die
Menschen können dir nichts mehr tun. Ich bringe dich zu guten und lieben
Schwestern, die dich lieb haben werden. Dort sollst du dein Leid und alle deine
Leiden vergessen, denn dein kranker Körper bleibt auf der Erde zurück."
„Ja, aber zu keinen Schwestern, lieber heim zu Papa und Mama, ich werde folgen."
„Heute noch nicht, kleine Hanny, vielleicht morgen; komm, ich trage dich zu
guten Schwestern; du musst sie recht lieb haben."
„Bekomme ich da auch satt zu essen - und muss ich da nicht frieren?"
„Soviel du essen willst, kannst du haben, und dort ist es immer schön warm, dort
friert überhaupt niemand."
„Kann mich da auch Papa besuchen?"
„Kind, du bist voll Bangigkeit und voller Angst; du bist erlöst von allem
Irdischen und sollst eingehen in das Reich der Seligen. Umarme mich fest, so nun
halte mich fest; nun ist mein Gebet erhört, ich darf dich forttragen in ein
herrliches Sein."
Hanny hielt die Grossmutter umschlungen, in einigen Minuten sagte diese:
„So, meine Hanny, wir sind da, wo du die ersten Stufen erklimmen kannst, die
dich zum freien Kinde machen."
Eine junge Schwester nimmt Hanny in Empfang und sagt:
„Hanny heisst du, sei herzlich willkommen. Schaue mich nicht so voll Angst an,
ich werde dich recht lieb haben."
Grossmutter begleitete die beiden, die nach einem schönen Häuschen gingen, wo
noch viele Mädchen in diesem Alter weilten.
Die Schwester sagte; „Hier bringe ich euch ein scheues Vögelchen; habt sie alle
recht lieb, denn sie musste viel leiden."
„Schwester Martha, wer ist diese herrliche Schwester, bleibt diese auch hier?"
„Nein, ihr Mädels, es ist Hannys Grossmutter, die ein seliger Engelsgeist ist.
Sie brachte uns Hanny, die vor ein paar Stunden von ihrem Erdenleid erlöst
wurde."
„Vor ein paar Stunden? Warum mussten wir so lange in Ungewissheit bleiben und
mussten bitten, rufen und beten?"
Da sagte die Grossmutter: „Kinder, ihr habt auch dieses nicht erleben brauchen,
was diese — nun eure Schwester — erleben musste. Euch wurde vieles gelehrt, ihr
konntet euch in eurer Welt umschauen, ihr hörtet eurer Mutter Gebete, wie sie es
euch lehrte. Eure Schwester Hanny hatte nichts dergleichen. Sie war fast blind,
nur die Strahlen der Sonne oder der Lampen brachten ihr etwas Licht. Krank im
Kopf und krank die Nerven, das Kind war zum Leiden geboren. Kein Interesse an
Gott und dem Heiland, verbrachte sie Tage, Wochen und Jahre, und das härteste
Los, das einen treffen kann: das Elternhaus war für sie verloren. Darum liebt
dieses euer Schwesterlein, in ihr ist ein guter Kern, sie wird euch noch viele
Freude machen. Und du, Martha, du treue Hüterin der Liebe, freue dich des
Dienstes, den dir die ewige Liebe anbot, es ist übergrosse Gnade. Jesu Liebe sei
euer Leben, eure Liebe, eure Kraft und Seligkeit."
Bald wurden sie lebendig, jede wollte Hanny beglücken, diese aber wurde
ängstlich. Nun wurde gegessen, Brot mit Honig, und gute Milch getrunken. Hanny
hatte tüchtigen Hunger, da sagte Martha: „Hanny, hier nimmt dir niemand etwas,
sie alle geben dir noch von dem Ihrigen, wenn du nicht satt werden solltest. Du
bist nicht mehr in der Anstalt, sondern in einem Kinderheim, wo du noch viel
lernen sollst und alle Angst ablegen, die noch in dir lebt."
„Kinderheim? Ich sehe euch alle, wo sind die Kinder? Bist du Schwester Martha?"
„Ja, Hanny, bleibe nur bei mir und sage mir alles, ich will dich alles vergessen
machen, was du durchmachen musstest."
„Martha, muss ich wieder in die Anstalt, wo es so kalt ist? Ich habe soviel
frieren müssen."
„Nein, Hanny, hier ist es nicht kalt. Überall ist es warm, überall ist es schön,
und alle sind gut zu dir. Aber du musst auch gut sein; musst alles tun, was ich
dir sage, du wirst viel lernen müssen. Dann wirst du uns viel erzählen müssen
von deinen Eltern und Geschwistern, die heute traurig sind, weil sie eine kranke
Hanny haben, die nichts lernen konnte. Nun will ich dich herumführen; komm, gib
mir deine Hand. Habe keine Angst, hier gibt es keinen Doktor, keine
Oberschwester, sondern liebe, gute Mädels wie du noch eines werden wirst.
Nun schau hin, dort sind deine Schwestern. Sie pflücken Blumen, dort sind
welche, die pflücken Kirschen und Erdbeeren, wirst du welche essen können? Ja?,
dann komm, wir gehen gleich hin. Kinder, bringt einige Erdbeeren für Hanny, so,
das ist schön."
Hier begrüssten die Mädchen die verängstigte Hanny, eine sagt:
„Hanny heisst du, o welch ein schöner Name. Ich heisse Liesa, willst du die
Erdbeeren von mir annehmen? Ganz reif, ganz süss sind sie, es gibt viele hier,
da, nimm die ganzen hin."
Hanny stopfte rasch die Beeren in den Mund, und Martha sagte:
„Aber Hanny, iss recht langsam, sie schmecken doch so gut. Siehe, hier nimmt dir
niemand etwas, sondern sie bringen dir alles, was du nur willst."
Liesa sagte: „Hanny, ich will dir noch welche holen, willst du noch mehr? Oder
soll ich dir Kirschen holen? Warte ein wenig, gleich bin ich wieder da."
Sagte Martha: „Hanny, ist es nicht schön hier bei uns? Schau hin, dort kommt
Liesa mit vielen Kirschen gesprungen! So, das ist schön, Liesa, komm, begleite
uns. Weil du freiwillig von deinen Beeren und Kirschen gegeben hast, sollst du
auch immer bei ihr bleiben, willst du Hanny recht lieb haben?"
„Ach, Schwester Martha, ich danke dir, ich will recht gut zu Hanny sein und sie
recht lieb haben."
„So gehen wir weiter." Liesa ging an ihrer Seite. Sie gingen in ein kleines
Haus, da war es schön, ganz grosse Fenster liessen viel Licht herein. An der
Seite standen Betten.
„Hier wirst du schlafen mit Liesa, meine Hanny, bis du richtig zuhause bist. An
den Tischen werdet ihr essen, und nun komm, nun gehen wir ein Stück weiter." So
gingen sie zu dritt weiter in den Garten hinein. Hohe Sträucher nahmen die
Aussicht, aber um so schöner blühten sie. Immer weiter ging der Weg, welcher
kein Weg, sondern ganz weicher Moosboden war. Da sagte Martha:
„Kinder, so gefällt es mir, wenn ihr rechte Freude habt, aber wir wollen wieder
zurück, denn für Hanny ist das Gehen noch ungewohnt. Hast du schon solche Blumen
und Sträucher gesehen?"
„Nein, ich hatte schlechte Augen, aber nun sehe ich alles, darf ich mir einen
Zweig abbrechen? Zu Hause habe ich im Wald immer Zweige abgebrochen."
„Du darfst es, Hanny, aber du darfst ihn dann nicht wegwerfen, sondern musst ihn
mitnehmen und den Anderen zeigen, damit sie sich mit dir freuen."
Ein schöner weisser Busch hatte es Hanny angetan. „Ach sind die schön, Schwester
Martha, darf ich einen Strauss bekommen?"
„Soviel du willst, Hanny! Du, Liesa, mache noch einen Strauss für alle, damit
die Freude desto grösser werde!"
Als Liesa die Zweige abbrach, kam Milch aus den Stielen. Hanny bemerkte es, da
sagte Martha: „Wenn du Durst hast, könntest du den Saft trinken, er ist
zuckersüss. Unwillig darf man nichts abbrechen, denn die Pflanze ist auch ein
Geschenk Gottes, unseres heiligen Vaters. Lange blühen sie nur am Stock, während
sie im Strauss bald eingehen. Wir haben Blumen genug, um das Heim und die
Schwestern zu schmücken. So trage nun diese herrlichen Zweige, denn nun beginnt
sich in dir das Leben zu regen."
Hanny war schweigsam geblieben. Das Neue reizte sie weniger, sie war recht
ängstlich. Nun kamen sie an ihr kleines Häuschen, wo die anderen den Tisch
gedeckt hatten.
Der Platz, den Hanny einzunehmen hatte, war mit Blumen geschmückt, Martha setzte
sich rechts, Liesa links. Die anderen brachten Brot mit Erdbeeren und Milch.
Martha segnete die Speisen und dankte dem Geber aller Gaben für dieses Geschenk,
dann wurde gegessen.
„Hanny, wie schmeckt dir dieses Brot", fragte Martha, „und diese Beeren?"
„Gut, sehr gut, wo ist denn die Bäckerei?"
„Die Brote bekommen wir fertig, sie werden nicht alle, auch wenn noch 100
hungrige Hannys kämen."
Bald waren alle satt, auch Hanny. Einige räumten ab, brachten aber dafür eine
Christusfigur und stellten sie vor Martha auf den Tisch.
„Kennst du den Mann?", fragte Martha die Hanny.
„Nein?! Möchtest du Ihn nicht
kennen lernen? Es ist unser Heiland, der alle Kranken gesund macht, auch dich."
„Gesund, gesund? Ich bin nicht mehr krank und kann sehen und wäre gestorben?"
„Ja, dieses sind wir alle, aber deswegen bist du noch krank, weil du noch soviel
Angst hast. Du brauchst keine Angst mehr zu haben, wir sind alle gut zu dir,
alle 30 werden dir Liebe erweisen. Und nun erzählen wir von unserem guten
Heiland, der alle gesund machen kann. Ihr anderen aber singt erst ein schönes
Lied von unserem Heiland unserer Hanny." Sie sangen:
Vorbei ist die Angst, vorbei ist das Leid,
vergangen alles Herzeleid,
nun leben wir in Freude und Licht
und unser Herze vom Jubel durchbricht,
da alles Alte ist vergangen.
O süsse Liebe, sel'ge Wonne,
bleib ewig unsere Herzenssonne;
dring du in unsere Herzen ein
und lasse uns in deinem Schein
zu lauter Liebe werden.
O komm zu uns, Herr Jesu Christ,
mach Du gesund, was krank noch ist
durch Deine heilge Liebe;
füll unser Herz mit Deinem Geist,
der uns den Weg zum Vater weist,
denn alles ist durch Dich nun neu geworden.
„Nun, Hanny, war es schön? Kannst du auch singen? Nicht? Du wirst es bald
lernen. Und nun, Kinder, lasset uns ruhen, um uns zu beschauen."
Hanny schaute, wie sich die Anderen auf die Betten legten und fragte die
Schwester, ob sie sich nicht ausziehen und ob es auch finster werde.
„Nein, meine Hanny, wir brauchen keinen Schlaf, nur Ruhe - du am nötigsten, du
hast viel hinter dir und musst erst alles ordnen. Ein Ausziehen gibt es nicht.
Wenn du in Ordnung bist, bekommst du ein neues Kleid, das behältst du so lange,
bis du wiederum ein neues bekommst.
Nun, wir legen uns, du in dieses dein Bett. Schliesse die Augen, und du wirst
doch sehen, aber nicht, was um uns ist, sondern was in uns lebt. Du wirst später
alles noch verstehen lernen, aber du musst wollen, damit du froh und glücklich
wirst." —
Hanny machte Fortschritte, ein Lerneifer setzte ein, der in ihr ruhende Geist
fing an zu drängen, so dass Martha in aller Geduld zurückdrängen musste. Dazu
kam auch ein Eifer, mit den Anderen zu schaffen. Hanny war nicht
wiederzuerkennen.
Einige Male kam die Grossmutter, da war Hanny kein ängstliches Kind mehr,
sondern ein eifriges Mädel geworden.
Vergessen war noch nicht das Erdenleben, denn es gab auch Momente, wo das alte
Seelische und Niedere wieder vorherrschen wollte, da war Martha die treue
Hüterin.
So lernte Hanny durch den Geist ihre neue Bestimmung kennen, und es gab eine
Trennungsstunde.
Durchbruch zum Leben
Ein Bote führte Hanny nach Süden, alle gaben das Geleit, aber kein Schmerz, nur
Freude belebte alle Herzen. „Wir folgen dir!", riefen alle, nur Liesa sagte:
„Hanny, vergiss uns in deinem Glück nicht, dem du entgegengehst, auf dich ist
die Liebe Jesu besonders gefallen."
Willig folgte sie dem Boten, bald war das Ziel erreicht: eine ungewöhnlich
schöne Landschaft mit vielen Häuschen und grossen Gärten. Zum Empfang waren
viele gekommen, es waren durchweg alle in ihrem Alter. Eine ältere Frau,
geschmückt mit dem leuchtendsten Geschmeide im Haar, nahm Hanny in Empfang und
sagte:
„Sei herzlich willkommen, Gottes Segen zum Eingang."
Auch hier gab es viel Arbeit, noch mehr zu lernen, aber eine Liebe umwehte alle
Herzen, die zu wetteifern in der Liebe alles Mögliche taten. Es wurde in dem
Garten gearbeitet, durch Selbstbeschauung vieles gelernt, aber vor allem das
Leid erkannt.
Hier wurde praktisch der Helfersinn geübt. Hanny mit ihrem regen Geist lernte
hineinschauen in die Wunder der Liebe, ihr Erdenleben offenbarte sich ihr in
einem ganz anderen Lichte und der rechte Jesusgeist kam zum Durchbruch.
Vor allem: sie glaubte ihrer Mutter Lehrerin, die selbst auf Erden viel Leid
erfahren hatte. Beide waren verschmolzen in einem Wollen, so gross und reif zu
werden, damit man helfen, helfen und erlösen kann. In einer solchen Stunde
erschien wieder die Grossmutter. Hanny flog ihr entgegen, ein Strahlenglanz von
Liebe umwob die Vereinten.
Nun konnten sich alle zusammenfinden, im trauten Kreis wurde die heilige Liebe
durch die selige Mutter in noch herrlicherer Weise geschildert. Was war noch von
der Erde übriggeblieben; nur die Erinnerung. „Wenn ihr einmal in die seligsten
Gefilde eingegangen sein werdet, ist alles in nichts zusammengeronnen. Tausend
Jahre Erdenleid wiegen eine Stunde Seligkeiten auf; was ihr hier lernet, soll
zum Segen aller gereichen. Nicht die Liebe soll entschädigend sein für
ertragenes Leid, o nein, sondern beleben, um leiderlösend zu werden. An der
Liebe könnt ihr emporranken zu einem wahren Gotteskind. Wer aber im tiefsten
Leid zum Befreier und Erlöser werden kann, ist Träger des herrlichen
Jesusgeistes geworden.
Noch zu keiner Zeit, die die Ewigkeit kennt, ist das Leid so gross geworden wie
jetzt. Die ewige Liebe braucht Kinder, von Ihrem Geist durchdrungen, um Leid zu
lindern und um die Schuld zu tilgen, die falscher Geist und falscher Wahn zu
unübersehbaren Haufen ansammelte.
In allen Himmeln ist Trauer über Trauer über all die Verirrten und Verlorenen,
ja, der Herr selbst weint über die, die Er als Seine Kinder beglücken möchte und
die doch unrettbar verloren gehen, wenn nicht gar bald wahre Retter und Helfer
erstehen.
Einst konnte Er als Jesus Seine Liebe offenbaren, konnte sterben am Kreuz um die
Rettung aller, aber Er wird weiterhin verraten und betrogen. Der Feind alles
Lebens glaubt der Herr zu sein, aber lebendigen Kindern soll es gegeben sein,
das zugeschlagene Tor des Lebens wieder zu öffnen. Die Liebe des Vaters soll
noch herrlicher geoffenbart werden, aber nicht durch Worte, sondern durch
Helfen. Dieses möchte ich euch Kindern sagen, vor allem dir, Hanny, die du
erwählt bist zu einem Werkzeug der Liebe. So komme her, mein Kind, dass ich dich
segne; knie aber nieder, damit du empfangen kannst den Lohn, den dir die ewige
Liebe durch mich schickt. So sei nun gesegnet in der Liebe und durch die Liebe
und geweiht für das Werk der Liebe aus Jesum unserem Herrn und Gott. Amen."
Hanny wurde emporgehoben. Da hatte sie ein anderes Kleid von hellblauer Farbe
an, einen goldenen Gürtel um den Leib und einen Reif im Haar, der mit einem
leuchtenden Stein geziert war.
Sie erschrak über diese Pracht, aber die Lehrerin sagte:
„Hanny, nun bist du belohnt für deinen Eifer. Bald wirst du von uns gehen, um
deine Mission zu erfüllen; hast du keinen besonderen Wunsch in dieser
Freudenstunde?"
„Doch, liebste Mutter, ich möchte Liesa holen, dürfte ich sie besuchen und sie
mitbringen?"
„Aber gern, Kind, wir wollen den heiligen Vater bitten, dass Er dir einen Boten
sendet, denn allein kannst du noch nicht gehen."
Im nächsten Augenblick stand auch schon ein Bote da und sagte:
„Geliebte Schwestern, eure Bitte ist schon erhört, ehe sie ausgesprochen ist,
ich werde sie dahin führen und auch wiederbringen. Des Herrn Wille ist unser
Leben."
„Wenn du willst, Hanny, können wir gleich gehen, oder hast du noch Wünsche?"
„O ja, ich möchte Blumen und Trauben mitnehmen für die Anderen, für Martha einen
besonderen Strauss, nur einige Augenblicke. Und du, liebe Mutter, willst du
nicht mitkommen?"
„Wenn es dein Wunsch ist, sehr gern, mein Kind, denn ich bin Herr meiner Zeit,
die ganz der Liebe geweiht ist, und nun eile und mache zurecht, was du brauchst,
um deine Schwestern zu erfreuen."
Ein kurzer Abschied, ein Leuchten der Augen, da zogen die drei Glücklichen ihre
Strasse. Im schnellen Flug durcheilten sie Schönheiten, die Hanny zum erstenmal
so recht zum Bewusstsein kamen.
Viele Schwestern und Brüder sahen sie, und ein fröhliches Winken begann. Da
fragte Hanny, ob dieses auch Selige seien?
„So selig wie du, mein Kind. Sie weilen schon lange hier und haben keine
Sehnsucht nach einer höheren Bestimmung. Du aber stehst im Anfang. Diese waren
schon reich auf Erden, du aber warst arm; diese leben von der Liebe, die sie von
ihrem Erdensein mitgebracht haben, du aber aus der unermesslichen Liebe des
Herrn und Seiner Gnade. Diesen hängt noch vieles Irdische an, während du durchs
Leid schon geläutert und durch die Liebespflege viel vorauseilen konntest."
„Ach, mein gutes Grossmütterchen, manchmal denke ich, das herrliche Sein müsste
vergehen und das alte Elend wieder anfangen, da zitterte ich schon. Und warum?
Weil der liebe Heiland sich kein einziges Mal sehen lässt. Sag, hast du Ihn
schon gesprochen?"
„Hanny, Er ist oft bei uns, es sind Stunden des reinen Glückes. Aber weisst du,
wenn du reif bist, Ihn zu ertragen, wird Er auch zu dir kommen. Nur nicht an das
Alte und Vergangene denken, sondern dem Zukünftigen leben, dann wird die
Gegenwart zur Freude. Nun schau, dort kommen schon deine Schwestern auf uns
zugeeilt, wie sie sich freuen auf dich."
Es waren wirklich ihre ersten Schwestern, die ihr die erste Zeit über alles
Irdische halfen.
Da reichte Hanny ihrer Martha den herrlichen Strauss und sagte:
„Schwester Martha, aus meinem Garten pflückte ich diese Blumen für dich, sie
zeugen von der Liebe, die du mich lehrtest. Du, Liesa, ich muss dich umarmen,
denn ich komme, dich zu holen zu uns."
War das eine Freude, sie erkannten die ängstliche Hanny nicht mehr. Von einer
Frische und Fröhlichkeit durchdrungen legte sie Zeugnis ab von der Liebe, die
sie erleben durfte. Der Gottesbote aber lächelte über diesen Eifer. Als dann die
Trauben verteilt und von allen, auch dem Gottesboten, genossen wurden, gingen
die Herzen erst richtig auf. Das war Leben aus der Liebe nach dem Herzen Gottes.
Da sagte Martha zur Grossmutter:
„Schwester im Herrn, es ist ein Wunder mit dem Kind; wenn ich mir mein Dienen
überdenke, ist es der einzige Fall, wo ein Menschenkind solche Fortschritte
machte. Es gab wohl Zeiten, wo ihr mit eisernem Willen entgegengetreten werden
musste, aber der Liebe war immer das Tor offen."
„Es ist ein Wunder, liebe Schwester Martha, aber ein Wunder aus der höchsten
Liebe. Wenn wir Hanny in ihrer früheren Gestalt und Erkenntnis schauen würden,
wäre es uns kein Wunder mehr, denn der heilige Gott und Vater hat auf die
wunderbarste Weise dem Engel den Weg zum freien Kindessein geebnet und sie wird
noch Grosses in der Liebe vollbringen. Schau nur, wie frei sie mit ihren
Schwestern über grosse, heilige Dinge spricht, am liebsten möchte sie alle
zusammen mitnehmen."
Der Bote nähert sich und spricht:
„Geliebte im Herrn, meinem Herzen ist es die grösste Freude, diese Liebe zu
erleben, es ist das Herrlichste, dass immer den Geringsten das Höchste so
einfach und natürlich ist und zur wahren Seligkeit führt. Wie oft erleben wir
die Anbetung des Herrn, es ist wohl weihevoll, aber das Feuer fehlt, das alles
erwärmt, wie ich es wieder hier erlebe."
„Du hast recht, mein Bruder, darum sind auch die Stunden grösste Seligkeit, wo
wahre himmlische Freude sich offenbart."
Nach irdischer Zeitrechnung vergingen Stunden, aber es war wie ein Augenblick,
da sagte der Bote:
„Geliebte alle, meine Mission geht zu Ende, dämpfet eure Freude, aber nicht den
Geist. Ihr müsset euch wieder trennen, darum nehmet nur äusserlich Abschied,
innerlich seid ihr ja nicht zu trennen.
Du, Schwester Helene, eilest wohl wieder nach deiner Bestimmung, während ich
erst nach erfüllter Pflicht zurückkehren kann. Ich danke dir für deine Liebe,
durch die ich euch dienen durfte."
„Bruder, wir sind alle des Herrn, Sein Leben unser Sein und Seine Liebe unsere
Freude, Glück und Zufriedenheit. In Seinem Geiste sehen wir uns wieder."
Nicht schwer, sondern leicht wurde der Abschied. Liesa war unendlich glücklich,
mit Hanny ziehen zu können. Nun wusste sie auch, sie war gewürdigt für die
Arbeit des Herrn. Alle gaben das Geleite, die Mutter blieb noch eine kleine Zeit
bei Martha und ihren Pfleglingen, um über grosse Dinge mit ihnen zu reden.
Bald erreichten die drei ihr Ziel, von allen erwartet und freudig begrüsst,
jubelnd wurden sie heimgeführt, wo ein Liebesmahl sie erwartete. Nicht zu
trennen waren Liesa und Hanny, beide wetteiferten im Dienst der Liebe. Die
Lehrerin aber hatte drei Mädchen, Christa, Rosel und Lena. Diese verband sie mit
den zwei Unzertrennlichen und machte ihnen bekannt, dass sie bald zu einer
selbständigen Arbeit berufen würden. Da war die Freude gross. Inniger umgab die
Lehrerin die Fünf mit Liebe und konnte ihr Verlangen stillen, immer mehr und
mehr zu erfahren von ihrer künftigen Tätigkeit.
Sehnsucht nach dem Erlöser
Die Lehrerin nach ihrer weisen Art liess die Fünf ganz ihrem Zug gemäss von
innen leben und stellte stets ihr Handeln frei. So kam es, dass Diese grosse
Entdeckungsreisen machten in ihrer grossen herrlichen Welt; wo sie viele alte
und auch gleichaltrige Brüder und Schwestern trafen. Viel lernten sie dabei,
denn in allem glichen sie ihnen, aber die Sehnsucht, den Herrn zu sehen, fehlte
ihnen. Zufrieden mit ihrem Los, ganz der Freude und Wonne lebend, taten sie, was
ihre Pfleger und Pflegerinnen wollten, aber Hanny war damit nicht einverstanden.
Bei einem Besuch von Nachbarn fragte Hanny einige dort weilende Schwestern, ob
auch der liebe Heiland und heilige Vater schon einmal dagewesen sei, da
antwortete eine:
„Wir würden uns wohl freuen, wenn uns dieses Glück zuteil würde, aber uns genügt
vollauf dieses unser Leben. Unser Erdenleben hatte wohl manche glücklichen
Stunden uns bereitet, von den schlechten spricht man nicht gern, ich wüsste
nicht, was uns an unserem Glück noch fehlen würde. Der Herr ist der Herr, Ihm
bleibt es überlassen, ob Er uns besuchen will. Ich bin glücklich, in dieser
Welt, in ihren Schönheiten leben zu dürfen."
„Du magst recht haben, liebe Schwester, ich denke anders. Ich hatte es nicht so
gut wie du, von glücklichen Stunden meines Erdenlebens erzählen zu können. Ich
litt keine Not. Meine Eltern liebten mich heiss und innig. Aber nie sah ich, wie
schön die Welt war, nie konnte ich mich mit Anderen freuen, wie sie sich
freuten. Als ich nun in diese geistige Welt kam, erfuhr ich erst die göttliche
Liebe, erfuhr aber auch, dass es noch viel, viel schönere Schönheiten und
Seligkeiten geben soll - die grösste Seligkeit aber sei die, mit dem Herrn
persönlich zu verkehren.
Wenn uns der Herr schon so viel Liebe, Güte und Gnade schenkte, warum sollte Er
uns die grösste Gnade, mit Ihm zu verkehren, nicht noch schenken wollen? Meine
selige Grossmutter belehrte mich, dass ich eine noch viel grössere Liebe und
Sehnsucht nach Ihm, dem guten Heiland und Vater haben solle, dann würde ich
ausreifen für diese Gnade. So wie du, liebe Schwester aber denkst, kommst du nie
zu dieser Seligkeit."
„Du magst recht haben, aber wäre es nicht über die Schranken der Ordnung
gestiegen? Was uns an Gnade geschenkt wurde, soll uns genügen, warum nach
grösserer Gnade streben? Ist diese Welt nicht schön?"
„Doch, meine liebe Schwester, aber das Sehnen nach unserem heiligen Vater, ist
es nicht auch Gnade von Ihm? Was von Ihm und aus Ihm kommt, soll doch unserer
Seligkeit dienen! Da übersteige ich doch nicht die Grenzen der Ordnung! Im
Gegenteil: wo noch Grenzen sind, sind auch noch Schranken, nach meinem
Dafürhalten sind es immer nur wir selbst, die Schranken oder Grenzen setzen. Die
ewige Gottesliebe nie, denn Gott in Seiner Liebe kann ja gar keine Grenzen
setzen, sonst wäre diese schöne Welt unbewohnt."
„Das kann ich nicht verstehen, alle, alle sind selig."
„Gewiss, liebe Schwester, selig durch die Gnade und Liebe Jesu, aber was hast du
getan, um Ihn zu erfreuen? Unser Leben und Danken gleicht ja einer Glocke, die
mit ihrer Stimme nur künden kann, was der Mensch in sie legte; bei uns liegt
aber noch etwas ganz anderes in uns. Alles was uns gegeben ist, soll dienen, um
zu beglücken, warum soll der Herr, als der Erste, davon ausgeschieden sein?
Hättest du in einem solchen Elend gelebt wie ich, würde dir das Elend bekannter
sein. Den Elenden und Kranken soll unser Leben geweiht sein, weil der Herr
Selbst unter den Elenden noch viel lebt."
Diese Unterhaltung haben noch viele mit angehört, auch die Pflegerin, diese
sagte dann:
„Meine Tochter, du bist auf dem besten Wege, ein Kind Seiner Liebe zu werden,
denn den Schmuck an der Stirne trägt hier noch keine. Wie lange weilst du schon
in dieser Welt?"
„Nur kurze Zeit, meine Mutter, es ist nicht mein Verdienst, so gewachsen zu
sein, sondern grösste Gnade. Eben darum rühme ich die Liebe und Gnade und strebe
darnach, diese Liebe anderen zu erweisen."
„Ich verstehe dich vollkommen, meine Tochter, diese aber brauchen noch lange,
ehe das Leben so zum Durchbruch kommt wie bei dir. Auch mir sind es Stunden
reinsten Glückes und höchste Seligkeit, so der Herr Selbst oder einer Seiner
Diener kommt und sei es nur auf kurze Zeit."
„Aber, liebe Mutter, verzeihe mir, wenn ich dich frage, sind sie wirklich alle
so zufrieden und ohne Sehnsucht? Unsere Lehrerin weckte erst richtig die in uns
ruhende Sehnsucht und gab jederzeit uns zu verstehen, dass unser Glück und
Seligkeit nur eine halbe sei, darum erbrennen wir in Liebe für unseren lieben
und guten Heiland und Vater, wir können die Stunde garnicht erwarten, bis Er
kommt."
»Meine Tochter, ich wollte, alle Kinder wären so wie du, voll sehnsüchtigem
Verlangen, unsere Heimat würde noch viel, viel schöner sein."
Beim Heimwärtswandern sagte Liesa: „Hanny, ich glaube, du hast ein
Sehnsuchtsfeuer angezündet bei den Schwestern. Ich wollte, es würde sich eine
Frucht daraus entwickeln; dann würden sie alle für die Dauer glücklich bleiben.
Wir sind gewiss auch selig, warum ist das Verlangen, dem Herrn ganz eigen zu
sein, so gross geworden?"
„Weisst du, Liesa, Mutter würde uns schon die rechte Antwort geben. Eines ist
sicher: ohne den Herrn richtig zu lieben, gibt es keine Seligkeit. Wo wären wir
geblieben ohne den Herrn und Seine erlösende Liebe?
Der letzte Aufenthalt meines Erdenlebens war die erste Stufe zur Hölle. Die
Sehnsucht in mein Vaterhaus war gedämpft, da Not und Kriegszeit es von selbst
verboten haben, dazu war ich mit einem Leiden behaftet, welches unheilbar war.
Nun kam der Herr Selbst und tut das, worum ich meinen leiblichen Vater gebeten
hatte. Er holte mich in Sein Reich der Liebe und Gnade. Durch die
Selbstbeschauung fand ich viel, aber das Schönste von allem, das ich gefunden
habe ist dies: der Herr ist unser bester Vater und treuester Heiland, mein
grösster Wunsch ist es, Ihn zu sehen, Ihm danken zu können und Ihn einmal zu
umarmen."
„Aber Hanny, Er ist überheilig und wir sind Sünder, ich habe geheim noch etwas
Angst."
„Ich nicht mehr, Sünde kenne ich keine. Habe ich Dummheiten gemacht, musste ich
büssen, was habe ich mit Sünde noch zu tun? Sünde und Liebe verträgt sich nicht,
entweder ich sündige, dann bin ich ohne Liebe, oder ich liebe, dann kann mich
keine Sünde regieren."
„Hanny, jetzt hast du dich verstiegen“, sagte Christa, „Paulus sagte: Wir sind
allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen."
„Es mag für euch richtig sein, für mich aber nicht. Was wusste ich von Gott,
nichts. Für mich gab es kein Gebot, folglich konnte es auch keine Sünde geben.
Für meine Unarten und Dummheiten wurde ich gestraft, ja, ich muss sagen, andere
machten noch grössere Dummheiten und wussten, dass es einen Gott gibt."
„Ja, Hanny, soweit reicht unsere Erkenntnis nicht. Sobald wir zurückkommen, mag
uns unsere Lehrerin den rechten Aufschluss geben. Ich denke, wir sprechen nicht
mehr darüber, damit wir den Herrn nicht betrüben."
Schweigend legten sie den Weg zurück. Gross war die Freude, als sie von den
vielen erzählten, die sie besucht hatten, nur Christa war schweigend geblieben.
In einem günstigen Augenblick sagte Christa zur Lehrerin:
„Mutter, wir fünf sind in einem Punkt nicht einig, hilf uns, damit es nicht zur
Herzensnot werde."
„Schon gut, Christa, ich wusste es, dass es so weit kommen werde, endlich ist
der Augenblick da, auf den ich schon immer wartete. Wenn die anderen sich zur
Ruhe begeben, dann kommt ihr zu mir in mein Ruhestübchen."
Christa lud die anderen zur Mutter Lehrerin ein, die schon auf sie wartete. Ach
wie gern gingen sie zur Mutter Lehrerin.
„So, Kinder, macht es euch bequem, ihr seid in meinem Stübchen ganz meine
Kinder, also was hast du mich zu fragen, meine Christa."
„Mütterchen, ich bin mit Hanny nicht ganz einig, Hanny spricht, ich kenne keine
Sünde, da ich keinen Gott und auch kein Gebot kannte. Ich sagte, wir sind Sünder
und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollten. Hanny erwidert, was habe
ich mit Sünde zu tun? Sünde und Liebe verträgt sich nicht. Entweder ich sündige,
dann bin ich ohne Liebe, oder ich liebe, dann kann mich die Sünde nicht
berühren."
„Ja, Christa, da kannst du deine Hanny nicht verstehen, dies glaube ich dir
gern, aber ich verstehe die Hanny sehr gut, und ich freue mich über ihren
Standpunkt. Bedenke, wer war Hanny und wer warst du! Unsere Entwicklung hier im
Geisterreiche kann sich nur auf der Grundlage entwickeln, die wir als Menschen
hatten. Deine Grundlagen waren gut, in deinem Inneren lehntest du dich an Gott
an; darum hattest du eine leichte Schule hier im ewigen Geisterreich. Hanny aber
hatte gar keine Grundlagen für ihr ewiges Leben, alles musste ihr erst hier im
Geisterreich beigebracht werden. Dazu hatte sie eine gute und liebevolle
Pflegerin, die strenge Anweisung von dem Sendboten der Liebe hatte. Eines ist
sicher: Hanny hat euch alle überflügelt - ihren Standpunkt vertreten nur die
reinsten Geister; ihr werdet auch in Zukunft erleben, dass in Hanny nicht der
geringste Richtergeist leben wird, während ihr erst dazu erzogen werden müsst.
Eure Aufgaben aber vertragen keinen Richtergeist, da ihr ja Helfer und Pfleger
werden sollt, um andere freudig und glücklich zu machen im Sinne der ewigen
Liebe Jesu, oder glaubt ihr, dass ihr lauter Selige in eure Pflege bekommt? O
nein, elende und arme verirrte Seelen, die direkt von der Erde kommen und die
die ersten Entwicklungen durchmachen müssen. Diese werden eure Pfleglinge sein.
Diese eure künftigen Aufgaben sind übergrosse Gnade unseres heiligen und treuen
Gottes und Vaters Jesu. Zu diesem Dienst werden nur starke Seelen gebraucht, die
ganz von Liebe durchdrungen sind. Glaubst du, Christa, diesen Dienst übernehmen
zu können? Jederzeit kannst du zurücktreten, so du dich nicht stark genug
fühlst; von Hanny weiss ich es bestimmt, sie kann es garnicht erwarten, bis ihre
kranken Erdenschwestern kommen, die sie froh und frei machen könnte. Stimmt es,
Hanny?"
„Ja, Mutter, es stimmtl Mit grösster Liebe und grösstem Eifer möchte ich sie zu
beglücken suchen, damit sie ihre Angst ablegen und ihr Elend vergessen, wie ich
es vergessen konnte durch des Herrn Liebe. Aber Christa, Rosel und Lena, es wird
herrlich, diese Arbeit für die Armen und Elenden, habt nur keine Angst, sondern
die Zuversicht, der Herr hilft uns."
„Ja, meine Christa, verstehst du nun die Hanny? Was ist Sünde, kannst du mir die
rechte Antwort geben?"
„So wie du sie erwartest vielleicht nicht, aber Mütterchen, gib du uns die
Antwort, denn du triffst immer das rechte."
„So höret, meine Kinder, das Wort Sünde werdet ihr in keinem Himmel finden.
Sünde ist ein Begriff aus dem feindlichen Lager, nur Gott allein hat das Recht,
zu entscheiden über Sünde, da sie die Frucht ist aus der höllischen Liebe.
Solange Gott Gesetze geben musste, musste auch Sünde als Sünde angesehen werden.
Von dem Zeitpunkt aber, wo Er als Jesus sagte: Ein neu Gebot gebe Ich euch: dass
ihr euch liebet, wie Ich euch geliebet habe, ist vor Gott jede Sünde hinfällig,
sobald das Gebot der Liebe erfüllt wird, und Sünde wird nur dort Sünde sein, wo
der Mensch sie selbst zur Sünde macht. In den Augen der ewigen Barmliebe gibt es
nur Kranke, Verirrte und vom falschen Geist Irregeleitete.
Siehst du einen solchen Sünder mit diesen Augen der ewigen Barmliebe an, kannst
du ihm Helfer und Erretter werden; schauest du aber einen solchen Sünder mit
deinen Gerechtigkeitsaugen an, musst du ihn verdammen. Darum: schaffet den
Richter aus euch. Denket daran: wenn euch die ewige Liebe nicht gesucht oder
gefunden hätte, was wäre aus euch geworden, nicht glückliche, sondern
bedauernswerte Wesen.
Es war nicht leicht, euch bis zu diesem eurem Standpunkt zu erziehen, da war
unendliche Geduld und Liebe und immer wieder Liebe nötig, bis endlich der alte
Ichmensch zusammenbrach und der neue Liebemensch in euch lebendig wurde.
Ich werde euch einmal in eine solche Schule führen, wo solche Wesen leben, das
heisst, wenn ihr wollt und euch nicht fürchtet."
„Mutter, führe uns, damit der Richter in uns verschwinde. Wie gut, dass du uns
dieses gesagt hast."
„Nun gut, es sei, wir werden schnell da sein, wir wollen, und sehet euch um, wir
sind hier. Seid stille, fürchtet euch nicht, des Herrn Liebe ist auch in der
Hölle Liebe!"
Vor einem düsteren Hause klopft die Lehrerin an das Tor, ein Pförtner öffnet und
fragt nach dem Begehr. „Lasset uns ein, der Wille des Herrn ist es, darum sei
ohne Sorge."
„Tretet ein, für euch ist der Weg frei!"
Es ist ganz dunkel, kaum ist etwas zu erkennen. Riesengrosse Gebäude stehen da,
aber Menschen sieht man keine. Sie gehen weiter, da kommen sie an eine Kirche.
„Treten wir ein, es ist Gottesdienst, man hört und sieht uns nicht. Am Altar
steht ein Priester und vor ihm ist ein kleiner Zuhörerkreis. Auf dem Altar
stehen zwei Leuchter, die ganz schwaches Licht verbreiten und eine Figur, die
einen Menschen darstellt, der aber nicht zu erkennen ist. Der Priester spricht:
„Man redet so viel von Gott, aber noch keiner hat Ihn je gesehen, Gott ist ein
Fatum, ein Rätsel; für aufgeklärte Menschen wie wir ein Fragezeichen. Richtet
euer Leben nach eurer Vernunft ein und suchet euch jeden untertänig zu machen,
dann wird es euch gut gehen. Wehe euch, so einer über euch herrscht, zum ewigen
Sklaven werdet ihr werden; kaufet euch die Menschen, dass sie euch dienen, und
ihr werdet die Herren und ihre Herrscher sein.
Meine Kuriere haben einen grossen Zug von Menschen gemeldet, die Arbeit und Brot
suchen, bedienet euch der Schlauheit, damit sie euch als Freunde erkennen. Es
ist Eile geboten, beschliessen wir unsere Konferenz. Eilig verlassen sie die
Kirche und eilen nach der Strasse, die vom Abend kommt. Richtig, es kommen
welche, o wie sehen sie aus, fast nackt, Fetzen von Kleidern hängen herab, und
aus ihren Augen stiert der Hunger. Der Priester im priesterlichen Gewand
begrüsst sie und spricht:
„Ihr armen Unglücklichen, wo kommet ihr her, welcher Gott oder Mensch hat euch
in diese Lage gebracht, ein tausendfacher Fluch treffe ihn. Wir haben noch ein
Herz, darum kommt in unsere Häuser, wir sind gern bereit, euch Unterkunft und
Nahrung zu geben, so ihr in unsere Dienste tretet."
Tritt einer hervor und spricht:
„Ihr Herren, ein Gott muss euch hierher geführt haben, wir sind in einem elenden
Zustand, wenn ihr Arbeit und Brot habt, dann gebt sie uns, aber es muss schnell
geschehen, wir haben Hunger."
„Aber freilich, kommt mit uns, damit ihr in Ordnung kommt. So, in dieses Haus
hinein, da ist schon alles gerichtet für euch."
Auf langen Tafeln lagen harte Brote, die schon zu einem Teil verschimmelt waren,
und ein Getränk, welches weder Geruch noch Geschmack hatte. Der Priester sagte:
„Kommt, ihr Armen, und tuet euch gütlich an diesem Brot und Wein, stärket euch,
dann könnet ihr an die Arbeit gehen, die euch eure Not vergessen lässt."
Als die Hungrigen das Brot brechen wollen, war es hart wie Stein, es gab aber
weder ein Messer noch ein Mittel, um es zu teilen, da sagte der Sprecher zum
Priester:
„Ehrwürdiger Vater, ist hier kein Messer zu haben? Das Brot ist hart wie Stein,
es lässt sich nicht teilen, mit unseren Zähnen können wir es nicht beissen."
„Ich habe kein Messer zur Hand, versucht es nur, es muss sich doch brechen
lassen."
Es ging nicht, da sagte der Sprecher: „Suchen wir selbst etwas, es muss sich
doch etwas finden lassen."
Der Priester aber wehrte ab und sagte: „Hier ist euer angewiesener Platz, und da
habt ihr zu bleiben."
Spricht der Sprecher: „Es sieht aus, als wenn dein priesterliches Gewand eine
Heuchelei oder Maske sei, besorge uns ein Messer, oder ich gehe selbst!"
„Bleibe, ich werde dir ein Messer bringen!" Damit verliess der Priester den Raum
und kam nicht wieder. Lange warteten sie, aber niemand kam. So machte sich der
Redner auf und suchte nach den Herren. Durch mehrere Räume ging er, jetzt hörte
er reden; was er hörte, machte ihm übel.
„Wie er so dumm sein könne, das viele Brot ihnen vorzusetzen ohne eine Stunde
gearbeitet zu haben. Wenn die Leute in einer Stunde nicht an der Arbeit sind,
erhältst du eine Tracht Prügel und nichts zu essen."
Er schlich wieder zurück und schrie: ‚Leute, nehmt das Brot, wir ziehen wieder
ab, dieses sind Leuteschinder, schlechter noch als die, von denen wir abgerückt
sind."
Eilig nehmen sie die Brote, schütten die Krüge um und eilen durch die Türe. Da
kommt ein baumlanger Kerl und brüllt: ‚Hiergeblieben, ihr Brotdiebe, dieses
könnte euch gefallen."
Da niemand stehen blieb, schlug dieser lange Kerl mit seiner starken Faust einem
auf den Kopf, dass dieser zusammenbrach. Als er einen zweiten schlagen wollte,
hatte einer einen Krug genommen und dem Langen ins Gesicht geschlagen. Es war
ein Geschrei und Gebrüll, da kamen die Anderen herbei und schlugen mit harten
Gegenständen auf die Armen ein. Da sagte die Lehrerin: „Kommt, Kinder, hier ist
nichts mehr zu helfen. Diesem höllischen Geist ist nur durch das schärfste
Gericht zu helfen, denn diese sind schon so gut wie verloren."
In wenigen Augenblicken waren sie wieder in dem Ruhestübchen, da sagte die
Lehrerin: „Nun, Kinder, was sagt ihr nun zu dem Erlebten?"
Spricht Hanny: „Mutter, ich war in ähnlicher Hölle und bin doch erlöst, ich kann
nur sagen, wenn sie den Heiland und Seine Liebe kennen würden, wären sie nicht
so; es sind Unglückliche, die sich immer unglücklicher machen durch ihren Hass."
Christa spricht: „Mutter, ich hätte nicht geglaubt, dass es solche Bestien von
Menschen gibt; ob denen zu helfen ist, weiss nur Gott allein."
Spricht die Mutter: „Und doch werden sie auch noch gerettet werden, — wann, ist
unbestimmt. Sie kommen in Verhältnisse durch ihren eigenen verkehrten Geist, wo
die Hölle noch alles verzehren wird, was an Gutem in ihnen lag. Wenn dann nach
Zeiten schwerster Qualen die Reue kommt, dann kommt die Erleichterung.
Habt ihr genug von diesen Gegensätzen oder wollt ihr noch mehr?"
Spricht Christa: „Mütterchen, es ist genug, ich danke dir für deine Mühe, ich
möchte dieses nicht mehr erleben. O welche Gnade, Frieden in uns, Frieden um
uns, und alles erstrahlt von Wonne und Glück!"
„Dann bemühe dich, Christa, die Hanny zu verstehen. In ihr ist noch Liebe für
die Verlorenen, gehet ganz mit ihr, damit dieser Funke von Liebe zu einem
Feuerbrand werde, und ihr seid reif für das heilige Werk des Herrn."
Dem Leben entgegen
Bald schlug auch hier die Trennungsstunde, ein Gottesbote im strahlenden Gewand
führte die fünf nach einem Ort ihrer neuen Bestimmung. Sie wurden erwartet von
ihrer neuen Betreuerin und in ihr neues Heim geführt, welches ein kleines
Häuschen mit einem wunderbaren Innenraum war. Es waren aber nur drei Wände, nach
morgen zu war es offen, aber mit einem Ausblick auf die herrlichsten
Gebirgslandschaften, der ungemein schön war. Im Zimmer war ein grosser Tisch in
Kreuzform, an dem viele Stühle standen, auf dem Tisch die herrlichsten Blumen in
goldkristallenen Gefässen.
„So, meine nun neuen Kinder, hier in eurem zukünftigen Hause, heisse ich euch
herzlich willkommen. Ich bin Mutter Anna für euch alle, aber nicht nur dem Worte
nach, sondern auch in der wahren Liebe und hoffe recht bald die Stunde zu
erleben, wo wir ganz Schwestern werden. Die fürsorgende Liebe stellte mich über
euch, und ich bin mir bewusst der übergrossen Gnade aus Gott. Der Gottesbote
unterrichtete mich über euer vergangenes Leben und Sein und darum möchte ich
euch das Vergangene vergessen machen und in euch den belebenden Geist so
fördern, dass ihr ganz selbständige Kinder Gottes werdet nach dem Herzen unseres
geliebten und heiligen Vaters Jesu.
Nun will ich euch einzeln an mein Herz drücken zum Beweis der unauflöslichen
Gemeinschaft im Geiste Jesu Christi.
Du bist Christa, mein Kind, hier an meinem Herzen ruhe einen Augenblick von den
Armen der Mutter umfasst, vergiss keinen Augenblick, welche Gnade du erlebst,
denn an heiliger Stelle bin ich gesetzt, dir den Heiland zu ersetzen.
Du, Liesa, erlebe auch du den Augenblick, von den Armen der Mutter umfasst zu
werden, die dich pflegen werden, bis du selbst die Reife hast.
Du, Hanny, ruhe dich einen Augenblick in meinen Armen aus, denn nun hast du
wieder eine Mutter, die über dich wachen wird im Geiste Jesu, bist du in Not,
hier an meinem Herzen wird sie vorbei sein.
Du, Rosel, zögere nicht, sondern eile, an meinem Herzen fanden schon viele die
Ruhe, die nötig ist, um zu vergessen, und geniesse den Augenblick, um den dich
viele beneiden.
Du Lena, bleibe nicht zurück, denn die Liebe erfasset gern, was sie ewig halten
möchte. So geniesse in Ruhe, was du ersehnst, ich werde dir gern deine Mutter
ersetzen.
So seid ihr nun meine Kinder geworden, deren ich schon viele habe. Heute seid
ihr meine Kinder, darum kommet zu mir in mein Heim, welches ihr hoffentlich
recht oft besuchen werdet. Das Haus dort ist es, es sieht von aussen wohl noch
recht düster aus, doch wie ihr wisst, kommt es auf das Innere an. Dort nach
Morgen zu sind viele kleine Häuser, dort weilen schon viele in eurem Geist und
dort, nach dem Mittag und Abend zu, ist noch alles unbewohnt, ich hoffe, es wird
auch bald belebt werden.
Jetzt teile ich die Wohnung mit einem Bruder, dem Vater Hendrick. Über dieses
Haus ist eigentlich er als Herr gesetzt nach dem Willen des Herrn, doch er ist
noch etwas scheu, er liebt das Kleine, Unscheinbare und möchte ein treuer Diener
bleiben. Habt ihn recht lieb, so er zu euch kommen wird, und helft alle am
grossen Werk des Herrn."
Es gefiel den Fünfen bei Mutter Anna, ihre Art war so einfach, so natürlich, man
musste sie liebhaben. Da sagte Hanny:
„Ach, Mutter, du hast es verstanden, unsere Herzen mit dem Deinen zu
verschmelzen, ich möchte dir in allem folgen, damit wir auch bald in die Arme
des Heilandes flüchten können, wie wir in deinen Armen einen Augenblick das
Süsse deiner Liebe erleben durften. Ich habe ein Sehnen nach diesem Augenblick,
hilf mir dazu, Mutter Anna, denn solange ich noch dieses vermissen muss, bin ich
nicht fähig, so zu lieben wie ich lieben möchte. Weisst du: ich möchte die ganze
Welt erfüllen mit der Sehnsucht, die mich erfüllt, und möchte die ganze Welt
beglücken, wie ich beglückt wurde."
„Ja, Hanny, ich verstehe dich und dein Sehnen und doch kann ich dir nicht dazu
verhelfen, weil schon alles in dir liegt, nur den Weg darf ich dir weisen, damit
ihr euch entfaltet nach dem Grade eurer Liebe. Nun noch ein Wort zu euren
Aufgaben.
Dieser Ort gleichet dem früheren, von dem ihr kommt, nur unendlich grösser ist
er, dort waret ihr die Betreuten, hier seid ihr Betreuer. Ich will euch keine
Anweisungen geben, was ihr zu tun habt, sondern weihe euch nur in das Amt ein,
welches euch nach dem Willen der höchsten Liebe übertragen wurde. Wie ihr es
ausfüllet, ist eure eigene Sache, da ich überzeugt bin, ihr handelt aus Liebe
und durch die Liebe. So segne ich euch als Vertreterin der ewigen Liebe, damit
alles, was ihr tut, wieder Liebe erwecken möge. Amen.
Hier ist nun ein kleiner Imbiss von dem guten Brot, welches der Herr Selbst uns
liefert und einige Früchte, die bei uns reifen, es sei gesegnet durch die Gnade
Jesu, damit es in euch zur Liebe werde. Amen. Nun Kinder, wie schmeckt es bei
mir?"
„Sehr gut, Mutter! Das Brot, welches wir auf dem vorigen Platz genossen haben,
hat auch gut geschmeckt, aber so wie dieses nicht."
„Ja, Kinder, das liegt daran, von welcher Liebe man beseelt ist. Je reiner die
Liebe, desto besser das Brot. In den Himmeln ist ja der Geschmack von solcher
Güte, dass es kein Wort gibt, um es zu beschreiben. Mit der Zeit werdet ihr noch
mehr der Erkenntnis überkommen, hier bei mir werde ich euch immer mehr und mehr
in die Tiefen der Gottheit führen, doch: euer Licht erstrahlen machen nach eurer
Liebe, kann ich nicht, dies ist eure Herzenssache. Nun wollen wir ruhen und uns
versenken in unser Inneres, damit unser Inneres zu unserem Äusseren werde!"
So schwiegen sie und erlebten neue Wonnen.
„Nun kommt, Kinder, zu euren Pfleglingen, die euch voll Neugierde und voll
Sehnsucht erwarten. Dir aber, Hanny, streiche ich dein Haar über das Stirnband,
damit deine Pfleglinge das Geschenk der ewigen Liebe noch nicht sehen, sie
sollen alle deine Schwestern sein."
Mit einem Jubel waren die Mädchen umringt, der die Herzen höher schlagen liess,
dann sagte Anna:
„So, Kinder, nun liebet euch, dass alles zum Segen gereichen möge! Hier ist euer
Platz, heilige Aufgaben erwarten euch und denket immer daran, dass ein jedes
Herz ein Tempel Gottes werde, ganz der Liebe unseres Heilandes Jesus würdig."
Anna verliess mit segnendem Herzen die Kinder alle. In ihrem Herzen war eine
selige Ruhe, heiliger Frieden, dann sagte sie:
„O du bester Vater und liebevollster Heiland, komme recht bald, damit die
Sehnsucht aller gestillt werde!"
Es waren an zweihundert Bewohner in diesem Heim, auch waren schon einige
Pflegerinnen da, die nun den Fünfen Unterweisungen gaben und schon Kunde hatten,
dass sie nach einem anderen Platz kommen sollten.
Es war eine frohe Arbeit, wie willig waren die einst so armen Menschen und jetzt
wie überglücklich.
Es gab viel zu arbeiten. Der Garten war sehr gross, in der Hauptsache wurden
Blumen und dann Melonen und reifes Obst gepflegt. Reifen tat es immer. Zu
gleicher Zeit gab es blühendes, wachsendes und reifes Obst, aber von einem
Wohlgeschmack, der unbeschreiblich ist. Die weniger Geschickten hatten dauernd
das Unkraut zu bekämpfen. So war die Arbeit im Garten sehr vielseitig und ein
Freuen über den Erfolg, dass allen das Glück aus den Augen leuchtete.
Im Hause, wo alle Platz hatten, wurde an den inneren Menschen gearbeitet, da war
nun Mutter Anna, die da Anregungen gab. Wenn die Pfleglinge vor dem Hause auf
den Lehnstühlen ruhten und innere Beschauungen pflegten, besuchten die Fünf
Mutter Anna. Immer gab es etwas Neues und Lebenswertes, es waren Stunden reinen
Glückes. Einmal kam Vater Hendrick, da flogen die Mädchen auf ihn zu, um ihn zu
begrüssen. Dieser aber war so erschrocken, und der Liebreiz nahm ihn so
gefangen, dass er den Gruss nicht erwidern konnte, aber Mutter Anna glich alles
aus.
Ein Bote brachte neue Mädchen, auch einige ältere, aber in welchem Zustand und
Elend! Da war es Hanny, die Mutter Anna bat, diese pflegen zu dürfen. Es waren
Bekannte darunter, die doppelte Liebe brauchten. Mutter Anna willigte ein.
Hanny erhielt ein neues Häuschen, kleiner als das andere, aber genau so in Form
und Einrichtung, nur waren im Zimmer noch Betten für die Kranken. Mit welcher
Hingabe pflegte sie nun ihre Schützlinge, an nichts liess sie es fehlen, ihre
Liebe wurde mit Erfolg belohnt, sie erwachten, wurden langsam lebendig und
nahmen auch den Geist auf, der da ist Liebe und das Heil aller.
Mit Vater Hendrick wurden sie nach und nach besser bekannt, denn auf einen
Besuch bei Mutter Anna, der eine Feier- und Freudenstunde für alle bedeutete,
folgten mehrere, ja, Vater Hendrick äusserte Wünsche, er brauche Blumen für
seine Freunde, brauche Girlanden für neue Häuser, die hier entstanden und zur
Aufnahme neuer Brüder bereitgehalten werden. So gab es viel Arbeit, aber noch
mehr Freude. Nur eines fehlte, der gute Heiland Jesus!
Endlich war es so weit, dass Hanny mit ihren Schützlingen einmal Vater Hendrick
und Mutter Anna besuchen konnte. Alle versprachen recht liebevoll und artig zu
sein, denn trotz allem guten Willen brach manchmal noch der Zorn oder Unmut bei
der einen oder anderen durch, obwohl Hanny sehr wachsam war. So zogen sie aus,
geschmückt mit herrlichen Blumen in Haar und Gürtel, jede noch einen wunderbaren
Strauss in der Hand und gingen langsamen Schrittes nach dem Hause der Liebe. Als
sie hinkamen, war niemand da. Hanny sagte: „Das ist aber recht, da schmücken wir
der Mutter Anna ihr Heim recht schön. Wird diese eine Freude haben, wenn sie
eure Liebe sieht! Hier sind Schalen und Gefässe genug, das Zimmer muss ein Meer
von Blumen sein!"
Wie geschäftig waren die Mädchen, denen man kein Leid, sondern nur noch Freude
ansah; immer schöner wurde alles hergerichtet, bis es endlich die Zufriedenheit
Hannys erfüllte.
Als nun Mutter Anna noch verzog, sagte sie:
„Kommt, ihr lieben Herzen, ruhet in diesen Stühlen.“ Hier ruhten wir immer so,
und die Mutter Anna erzählte uns so viel von der grossen Heilandsliebe. Darum
werde ich euch auch etwas erzählen, aber ihr müsset recht still zuhören und
alles lebendig werden lassen." Da wurde eine rechte Stille. Hanny aber
schilderte, wie der gute Heiland Jesus auch als Mensch die Armen und Kranken so
liebte, ihnen half und viele gesund machte. Das Herrliche aber war, Er
versprach, bis in Ewigkeiten in solcher Liebe zu verbleiben, bis es keine
Kranken und Elenden mehr gebe. „Sehet", sagte sie weiter, „schauet in die Ferne,
welche Schönheiten sich uns offenbaren und warum? — Damit sich unser Herz stärke
und wir nicht zusammenbrechen, wenn Er selbst einmal zu uns kommt. Wir müssen
erst stark genug werden, jetzt sind wir noch zu schwach dazu, aber lieben wollen
wir Ihn, weil Er uns errettet hat aus aller Not und allem Elend. Noch mehr
lieben muss unsere Sorge sein, dann wird uns auch das grosse Glück zuteil. Wenn
wir an unsere Eltern und Geschwister denken, wie sie in der Welt voll Krieg und
Hass, Leid und Not und noch viel mehr Sorgen leben müssen, da wissen wir erst,
welche Seligkeiten wir erleben, und was haben wir für diese Seligkeiten getan?
Nichts als nur hingenommen. Mütterchen Anna hat recht, wenn sie sagt: ‚Euer
Liebling muss Jesus sein, Er ersetzt alles, Vater, Mutter, Erde und Himmel; aber
erst muss alles Ihm gehören, dann gehört Er auch uns.'
Da schaut, dort, Väterchen und Mütterchen, sie kommen!"
Schnell sprangen sie auf, aber Anna hatte sie schon bemerkt, sie eilten alle hin
und umarmten die Mutter in brennender Liebe.
„Aber Kinder, nicht so stürmisch, wollt ihr Vater Hendrick ganz vergessen?"
Etwas zaghaft drückten sie seine Hand, aber Hanny sagte:
„Väterchen, nicht böse sein, dass wir Mütterchen so stürmisch begrüssten, wir
lieben sie so sehr, sie kommt auch viel öfter zu uns denn du."
„Schon gut, Hanny, mich freut es, dass ich dich sehe, du bist ein tüchtiges Kind
geworden, der Heiland wird sich über dich freuen!" Da sieht Anna, wie die Kinder
ihr Heim geschmückt haben und sagt: „Kinder, Kinder, das habt ihr herrlich
gemacht, nein, so eine Freude, da muss ich jeder einen Kuss geben. Aber du,
Hanny, hast es angestellt, komme her, damit ich deine Stirne frei mache und alle
sehen, wie der Herr dich liebt!
So, meine Hanny, erstrahle in der Liebe zur Liebe, leuchte als ein Kind der
Liebe und sei durchdrungen von Seinem Geiste!"
Da wurden die Augen der anderen gross, als der Edelstein leuchtete in den
herrlichsten Farben am Stirnband.
„So, meine Kinder, nun kommet, dass ich euch den Lohn reiche für eure Liebe!"
Als die Pfleglinge ihren Kuss empfangen hatten, sagte Anna: „Kinder, gross ist
die Gnade und Liebe des Herrn, schon viele Bewohner sind in unserer Welt uns zu
eigen gegeben worden, ihr werdet noch viele Blumen opfern müssen. Bei vielen
Bewohnern sind noch die Gärten ohne Blumen, sie müssen hart ringen mit dem
Unkraut, wollt ihr gern von euren Blumen in ihren Gärten welche pflanzen?"
Spricht Hanny: „Mütterchen, alle, wenn du es wünschest, sollen wir sofort
beginnen?"
„Wir wollen noch eine kleine Weile warten, dann könnt ihr beginnen. Vater
Hendrick wird euch den Weg hin- und zurückführen.
Aber nun wollen wir schauen, ob ich euch etwas anbieten kann, nach dem vielen
Reden werden einige Früchte gut schmecken."
Wie sie schmeckten, lässt sich nicht beschreiben, sie waren aus den höchsten
Himmeln!
Nach irdischen Begriffen blieben die Kinder tagelang bei Mutter Anna, ihnen war
es wie kleine Stunden.
Anna konnte aber auch ihre Erlebnisse schildern, die sie mit dem heiligen Vater
hatte, dass alle noch einmal so lange zugehört hätten. „Es soll ein Ruhetag, ein
Sabbat sein, denn was in diesem Heim einkehrt, soll für lange Zeit erfüllt sein
von dem Geist der Liebe. So ziehet wieder hin zu eurer Tätigkkeit, damit ihr
grösser werdet im Geist und reicher in der Liebe."
Freude am Dienen
Hendrick blieb nicht so lange, immer suchte er Beschäftigung, er war immer auf
dem Plan, „man weiss nicht, wann der Herr kommt!"
Als die Mädchen unter frohem Gesang heimwärts zogen, begegneten sie ihm, da
bettelte Hanny:
„Liebes Väterchen, wo sind die Gärten, worin noch keine Blumen wachsen, zeige
sie uns doch, was bloss die armen Menschen ein Leben ohne Freude leben müssen!"
„Hanny, wir wissen es aus eigener Erfahrung, und ich wünsche es auch nicht zu
vergessen: denn man könnte recht leicht hochmütig werden. Im Erdenleben heisst
es: ‚Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen'. Hier
erlebt man die guten Zeiten, und man wird seliger dabei, die grösste Seligkeit
aber ist die, sich an der Freude anderer zu erfreuen."
Eigentlich ohne festen Willen ging Hendrick mit den Mädchen. Da kamen sie an den
Weg, der nach der neuen Siedlung führte. Es hatte die Ordnung der liebenden Hand
aufgehört, aber Hendrick sagte:
„Sieh, Hanny, hier möchte auch bald rechte Ordnung sein, wenn die Leute mit
ihren Gärten etwas nach sind; man muss halt rechte Geduld haben, die Leute sind
hier in dieser Welt, um sich in Ordnung zu bringen und dazu brauchen sie
Tätigkeit.
Zweimal hatte ich das Glück, solche Unglücklichen ohne jeden Sinn für das
göttliche Leben einzuladen und auch behalten zu können. Jedesmal erlebte ich
eine solche grosse Freude, dass ich Sehnsucht habe, wieder anderen Freude zu
machen."
Erwiderte Hanny: „Vater Hendrick, dieses erlebe ich auch, aber diese da erfassen
es noch nicht so recht; was wäre alles zu machen, wo wir so reich an Gütern
sind. Schau diese armseligen Gärten und wie sich die armseligen Besitzer plagen,
ach, ich kann es garnicht sehen, ich muss einmal hinein zu ihnen!"
Der Mann mit seinem Weibe war so vertieft, dass er die vielen Mädchen und
Hendrick garnicht bemerkte. Er erschrak, als Hanny zu ihm hintrat und ihnen
Gottes Gruss und Frieden wünschte. Nun ersahen sie auch die anderen, da war er
bekümmert und sagte:
„Es ist uns noch nicht möglich gewesen, vorwärts zu kommen, das Land ist gut,
aber das viele, viele Unkraut mit seinen tiefen Wurzeln; es ist nicht zum
Vorwärtskommen, sobald man denkt, man ist fertig, geht auch schon das neue
Unkraut auf."
„Es ist auch kein Wunder, lieber Mann, denn beim Herausziehen lasst ihr ja den
Samen ausfallen. Schau: sammle die reifen Samenknollen und reisse dann das
Unkraut aus, dann wird dir bestimmt kein neuer Unkrautsame deine Lebensfreude
nehmen.
Kommt, ihr Geliebten, helfen wir unseren Freunden, sie sind traurig, weil ihre
Arbeit die Freude nicht bringt, die sie erwarteten."
„Es ist dies nicht allein, die Ungewissheit drückt uns nieder: wo sind unsere
Kinder, wir sind gestorben und abgeschnitten von allen, sollen wir allein
bleiben in diesem Haus?"
Spricht Hendrick: „Ich kann euch versichern, es wird sich alles anders
gestalten, wenn ihr euer Verkehrtes und Falsches erkennt. Euer künftiges Leben
hängt ja nur von eurer Entwicklung ab, wozu wir und der ewige Gott euch helfen
wollen, aber die Erde müsset ihr vergessen. Wo eure Kinder sind, wird euch Gott
offenbaren, wenn Er es an der Zeit findet, aber dazu gehört auch, dass ihr euch
an Gott wendet und Ihn suchet.
Siehe, Ich mache alles neu, spricht Er, aber ich muss es auch geschehen lassen.
Schau dir die Kinder an, wie eifrig sie dir helfen! Sprich dich aus mit Hanny,
welche die Pflegerin dieser Schar ist, und du erlebst das Gotteswunder, dann
wirst du nicht mehr sagen, dich drückt die Ungewissheit nieder, sondern du bist
dir bewusst, in der Pflege Gottes zu sein."
„Du machst mir wieder Mut, ich wollte schon verzagen, es ist halt ein Jammer und
ein Elend, so man einsehen muss, dass unser Erdenleben ein verpfuschtes war,
trotzdem wir keine richtige Not hatten. Ich werde mir Mühe geben, ein geordnetes
Leben zu führen."
„Tuet es aber mit Eifer", spricht Hanny, „sonst kommt ihr keinen Schritt
vorwärts. Ihr habt nur Grund zum Danken, denn ihr habt ein Erdenleben gehabt,
welches gegen mein Erdenleben der reinste Himmel war. Glaubet ja nicht, dass ich
ohne eisernen Willen vorwärts gekommen wäre, siehe, du hattest immer noch die
Erkenntnis, sonst wärest du nicht hier und dank der ewigen Gnade Gottes und
Jesus hast du schon eigenen Grund und Boden. Wenn du einmal in unsere Gärten
kommen wirst, dann wirst du es erst erleben, was der Liebe alles möglich ist.
Verwende allen Fleiss an dich und alle Liebe an andere und du wirst Freude
erleben! Nun lass uns jetzt scheiden! Kommt, ihr Lieben, kommt, wir wollen
heimwärts ziehen! Väterchen möchte zur Mutter in ihr Heim."
Es war ein grosses Stück im Garten frei geworden, da sagte Hanny:
„Schauet, ihr waret fleissig! Wir werden bald Blumen und Pflanzen bringen
müssen, sonst sieht der Garten nicht schön aus."
Bald waren alle eifrig dabei, die Blumen auszusuchen, die sie verpflanzen
wollten, aber Hanny sagte:
„Gehet recht sparsam damit um, in vielen Gärten sind Blumen und Sträucher nötig;
nun wir eine Aufgabe haben, möchten wir sie auch restlos erfüllen. Wir könnten
uns ja von Liesa und Christa welche holen, ich werde sie gleich einmal besuchen.
Waren die Mädels erfreut, ihre Hanny zu sehen. „Was? Blumen und Sträucher willst
du holen? Das gibt es nicht, wir gehen alle mit und machen ein Paradies aus den
öden Gärten."
Da sagte Hanny: „So schnell geht es nicht, den Leuten muss erst einmal geholfen
werden. Ein solches Unkrautfeld habt ihr noch nicht gesehen, alle guten Pflanzen
und Sträucher sind so gut wie hin. Es ist am besten, wir legen alle Hand ans
Werk, dann wird es ein heiliges Gelingen; aber vergesset auch Körbe und Früchte
nicht, denn ihre Früchte sind noch nicht an der Liebe gereift." Nun kommen auch
Lena und Rosel, da gab es kein Säumen, alle wollten mithelfen.
Mit vielen Körben, vollbeladen mit den schönsten Früchten und dem nötigen
Werkzeug versehen, ziehen sie mit fröhlichem Gesang zu der neuen Siedlung. Hanny
und Liesa voran, die anderen folgten. Bald hatten sie das erste Häuschen
erreicht, da kamen ihnen drei Männer entgegen und fragten, wo sie hinwollten.
Sagte Hanny: „Wir sind am Ziel. Unkraut bekämpfen, den Leuten zu einem schönen
Garten verhelfen, damit sie Freude erleben."
„Ja, wer schickt euch denn?", fragte der Ältere.
„Niemand, nur die Liebe ist es, die da drängt, Vater Hendrick darf es eigentlich
nicht wissen, aber die armen Leute kommen zu keiner Freude."
„Ihr seid rechte Schlingel, so ein Aufgebot von Helfern ist noch nicht erlebt
worden, meinetwegen, helft, soviel ihr wollt, mir wird es recht sein, wenn die
Leute in Ordnung kommen."
Sagte Hanny: „Vielleicht verteilt ihr die Mädchen, denn ihr wisst, wieviel
Gärten zu bearbeiten sind. Wir brauchen einen Überblick, wieviel Blumen und
Sträucher nötig sind, wir sind 250 Mädchen, die alle gern mithelfen."
„Wie soll ich dich nennen, mein Kind?"
„Ich bin die Hanny, und diese ist Liesa."
„Schon recht, Hanny, ich bin Gotthold, dieser ist Heinrich und das ist Johann;
es sind gerade 24 Gärten, wenn in jedem 10 arbeiten, ist vieles zu erreichen,
und den armen Herzen ist viel gedient."
Schnell ging es diesmal, lustig und fröhlich waren alle, so dass die Besitzer
ihre Sorgen vergassen und sich später von den Früchten geben liessen.
Unverdrossen wurde gearbeitet, meterhoch waren die Haufen von Unkraut, bis
endlich Gotthold zu Hanny sagte:
„Es ist genug, es wäre schön, wenn auch gleich Pflanzen zur Stelle wären."
„Es ist möglich, jede Helferin mit ihren Mädchen holen und pflanzen ihre Blumen
und Sträucher, ich werde sofort aufbrechen, bald sind wir zur Stelle. Aber du,
lieber Vater Gotthold, kannst Liesa, Christa, Rosel und Lena verständigen, dass
ich schon Pflanzen und Blumen hole und sie auch verpflanze."
Mit grösster Eile brachten Hanny und ihre Schützlinge grosse Körbe voll Pflanzen
und Blumen, so dass der Garten allerliebst anzuschauen war. Die anderen taten
dasselbe, so dass Gotthold sagte:
„Das Hilfswerk ist herrlich gelungen!"
Als Hanny mit ihren Schützlingen fertig war, kehrte sie in dem Hause, welches
Friedewald und seinem Weibe zu eigen gegeben war, ein. Es wurde viel von dem
Erdenleben erzählt, welches Friedewald nicht vergessen konnte. Hanny aber
meinte: „Ich bin froh, nicht mehr daran denken zu brauchen. Meine Arbeit, meine
Pfleglinge ersetzen mir alles, so dass die Erdenzeit immer mehr und mehr aus
meinem Gedächtnis schwindet. Es ist ja auch nichts dabei verloren, im Gegenteil,
die Ewigkeit macht mir die grössten Hoffnungen. Nur erst recht eifrig sein und
reif und würdig werden, den guten Heiland und liebsten Vater begrüssen zu
können. Dann wird es schneller aufwärts gehen als bisher." Spricht Hulda:
„Schwester Hanny, sehnst du dich nicht nach deinen Eltern und Geschwistern? Ich
vergehe fast vor Sehnsucht nach meinen Kindern."
„Ich nicht mehr, Schwester Hulda, weil es möglich ist, sie zu besuchen. Meine
Eltern freuen sich, dass ich frei bin von allem Leid und erlöst durch unseren
Herrn Jesus, durch Seine herrliche Gnade. Komme du erst in die rechte Ordnung,
lasse Liebe des Herrn einstrahlen in dein Herz, damit wieder Liebe hinaustrete
und du beglücken kannst." „Ja, wie kann ich das, ich kenne den Herrn zu wenig,
weiss fast nichts mehr von Ihm, wie kann Seine Liebe in mein Herz einstrahlen?"
„Indem du dein eigenes Leid vergisst und fremdes Leid zu lindern suchst. Schau,
deine Nachbarin trägt Kummer um ihren Sohn, weil er sich nie um sie kümmerte,
bringe ihr Liebe entgegen, du wirst sehen, wie froh sie wird, wenn ihr eins seid
im Freuen und Lieben."
„Ja, Hanny, du bist noch viel zu jung, kennst das Leben viel zu wenig, darum
bist du so freudig bereit zu helfen. Ich aber bin niedergedrückt und nie so
recht froh geworden, so dass ich zweifle, dass es mir gelingen wird."
„Aber Hulda, Schwesterlein, wie kannst du zweifeln, wo es nur der Herr Jesus
Selbst ist, der da beglückt, frei und froh macht. Mein Erdenleben war von der
Wiege an bis zum Grabe verpfuscht, wie der menschliche Ausdruck ist, und gerade
darum darf ich mir wagen, nach dem Höchsten zu greifen. Den Herrn Jesus kümmert
mein Erdenleben wenig mehr, aber mein jetziges Leben und meine Einstellung zu
diesem Leben ist Ihm nicht gleichgültig, denn so es nach Ihm ginge, wären wir
alle bei Ihm. Wir aber haben noch so viel Trennendes in uns, dass Er verweilen
muss, und nur Er allein weiss den Zeitpunkt, wenn alles Trennende beseitigt ist.
Denket an euren Garten, er ist das rechte Bild von eurem inneren Leben, auch wir
mussten dahinter sein, weil noch zuviel des Unkrautes darinnen wucherte. Nun ist
auch bei euch ein grosser Fortschritt erreicht, die Liebe half, Sein herrlicher
Liebessegen wird sich an allen herrlich erweisen!"
Es kamen Liesa, Christa, Rosel und Lena mit ihren Pfleglingen, begleitet von
Johann und Heinrich, da sagte Hanny:
„Nun schnell Abschied genommen, damit wir geschlossen heimwärts ziehen, euch
aber segne die Liebe und mache euch recht froh!"
Freiheit im Dienst der Liebe
Als die Mädchen wieder in ihr Heim traten, waren sie so froh bewegt. Es war
alles in der zartesten Schönheit geordnet, wo das Auge hinschaute, war etwas da,
was ein Entzücken hervorrief. Sagte Hanny:
„Schaut, ihr Geliebten, wie reich wir sind, nur wenig durften wir opfern und
ernten reichen Dank. Ich habe schon in den Gärten nachgesehen, nicht das
geringste fehlt uns, ich schlage vor, wir versenken uns in die Tiefe unseres
Herzens und lassen den Geist in uns lebendig werden. Wenn wir auch den Herrn
Selbst noch nicht begrüssen können, so führt uns unser Geist hinein bis an die
Stufen des Vaterhauses, welches jedem zu eigen wird, wenn alles restlos erlöst
ist. So geschehe Sein Wille um der Liebe und der Freude willen!"
Wie immer versenkten sich die Mädchen in ihr Inneres, es war die rechte Stille
und Ruhe. Weihevoll wie in einem Tempel wehte ein süsser Duft von einer zur
anderen. Die Mädchen waren jede für sich allein, wie sie es immer geübt, nahm
keine von der anderen Notiz. Für menschliche Begriffe waren es Stunden, für die
Mädchen waren es Minuten. Hanny war die Erste die aufstand, sie hatte einen
sinnenden Zug im Gesicht und sagte:
„Kommet, ersteht, zu Wichtiges habe ich erlebt, wir müssen zur Mutter, ich
möchte ohne ihren Rat nichts unternehmen!"
„Schwester Hanny, wir wollen hierbleiben, sagte eine, denn wir werden Vater
Hendrick und Mutter Anna nicht antreffen, die sind bei Friedewald und seinem
Weibe. Ich versetzte mich im Geiste dorthin, um nochmals meine Arbeit zu
beschauen, da erlebte ich, wie die beiden dort Einkehr hielten."
„Du kannst recht haben, meine Dora, aber ich war im ewigen Vaterhause und habe
den ewigen Vater nicht antreffen können."
„Erzähle, erzähle, liebe Hanny, der Vater soll nicht daheim gewesen sein?"
„Nun höret, ich versetzte mich in das ewige Vaterhaus, meine Sehnsucht, den
guten Heiland Jesu wenigstens einmal von ferne zu sehen, war zu gross. So ging
ich durch unsere Gärten und eilte in einem Fluge in eine Ferne, wo ich die
goldene Stadt an den strahlenden und glitzernden Türmchen von weitem schaute.
Endlich war ich dort, die Tore waren offen, herrlich strahlende Menschen
beiderlei Geschlechts lustwandelten in den Strassen, den Gärten, die hundert-,
ja tausendmal schöner waren als die unsrigen. Die Menschen erzählten sich, ich
verstand ihre Sprache, aber niemand nahm Notiz von mir. Ich fühlte mich einsam
in der herrlichsten Pracht. Ich besah mir die Häuser, die Anlagen und besuchte
auch einen Tempel von der herrlichsten Bauart und Pracht. Die Fenster leuchteten
in allen Farben, auf dem Altar stand ein leuchtendes Kreuz. Da ich einen Strauss
Blumen, den ich dem guten Heiland bringen wollte, noch in der Hand hatte, legte
ich denselben vor das Kreuz, um zum Händefalten die Hände frei zu bekommen, ich
wollte beten.
Da kam ein Priester, er muss sehr alt gewesen sein, auf mich zu und sprach: „Was
suchst du hier, mein Kind?"
„Ich sagte: Den Heiland Jesus suche ich, ich kann Ihn aber nicht finden, willst
du mir sagen, wo ich Ihn finde?"
Spricht der alte Priester: „Kind, der heilige Gott und Vater ist nicht hier bei
den Seligen, sondern dort, wo die Unseligen leben, dort musst du Ihn suchen.
Ganz wenig ist Er hier, es ist, als ob der Ewige und Grundgütige, Seinen Schmerz
hier abladet und wieder weiter eilt."
„Mag niemand den Herrn auf dem Wege zu den Unseligen begleiten?" fragte ich den
Priester. Da antwortete er:
„Dieser Ort mit seiner Seligkeit ist unsere Welt, wir geniessen dankbar, was der
heilige Gott uns bereitet hat und freuen uns, so wir Ihn oder Seine Boten
begrüssen können. Du aber kehre wieder zurück in deine Welt, vielleicht hast du
Glück, Ihn einmal begrüssen zu können. Diese Blumen aber lasse hier zum Zeichen,
dass du das Kreuz liebst."
„Mir liegt an dem Herrn mehr als an dem Kreuz, ich danke dir für das Licht,
welches du mir gabst, denn nun suche ich den Herrn bei den Armen“. – „Sehet,
meine lieben Schwestern, darum möchte ich Mutter Anna sprechen. So eine
herrliche, herrliche Welt und so lieblos ihre Bewohner. Wenn wir einmal das
Glück haben, den Heiland begrüssen zu können, dann lassen wir Ihn nicht mehr
fort oder wir gehen mit Ihm, ihr denkt doch gewiss wie ich?"
Da war ein Jubel, da war ein Freuen, als ob der Herr schon wirklich da wäre. Sie
waren in der Liebessehnsucht eins geworden.
Spricht Hanny: „Wisst ihr was, wir holen Blumen und warten auf die Mutter oder
gehen ihr entgegen, Mutter möchte schon nähere Erklärungen geben. Ich werde doch
in mir nicht fertig, weil der heilige Vater nicht zu Hause war."
Gern machten die Mädels grosse Sträusse von den schönsten Blumen, dann ging es
hin zu Mutter Annas Haus. Richtig, sie war nicht da! „Nicht schlimm", spricht
Hanny, „wir gehen ihnen entgegen. Freude haben sie doch, wenn sie uns alle
kommen sehen."
Sie gingen den bekannten Weg und kamen doch nicht an das Ziel. „Sollten wir uns
verlaufen haben?" spricht Hanny, „mir kommt die Gegend ganz unbekannt vor. Wir
gehen noch ein Stück, schauen uns um und gehen dann wieder zurück."
Spricht Dora: „Hanny, hier müssen aber Leute gearbeitet haben, denn der Weg kann
noch nicht lange angelegt sein, da doch ganze Stösse von Strauchwerk
aufgestapelt sind. Siehe, Hanny, dort ist ein Haus." Die Mädchen bleiben stehen
und beratschlagen, sollten sie wirklich nach dem grossen Haus gehen? Mutter Anna
wird dort kaum anzutreffen sein. Eine andere spricht: „Ansehen können wir es
schon, wir haben kein Verbot erhalten und wer weiss, ob es bewohnt ist."
Sagt Hanny: „Nun dann kommt, wir gehen und überzeugen uns wer dort wohnt."
Neugierig gehen sie weiter, immer schöner wird die Gegend, nun sind sie dort am
Hause, ein Mann kommt den Mädchen freudig entgegen und spricht:
„Seid gegrüsst im Namen der heiligen Liebe! Ihr seid gewiss die Kinder von Vater
Hendrick und Mutter Anna."
„Ja, diese sind wir", erwiderte Hanny, „unser Besuch ist kein vorgesehener,
sondern nur zufällig; wir haben einen falschen Weg eingeschlagen."
„Aber deswegen seid ihr alle herzlich willkommen, ich rufe meine Leute, die
hinten im Garten sind, sie werden sich recht freuen."
Er nötigte die Mädchen in das Haus, welches sehr geräumig war, und rief in den
Garten: Kommt, Leute, wir haben Besuch!
Ich bin Bruder Liebegott; dieses Haus haben wir uns erbaut, es dient uns zur
Ruhe und Beschaulichkeit. Es war eine rechte Wildnis, als wir hier anfingen,
aber der Herr lohnte unseren Eifer, jetzt ist es ganz schön."
„Ich bin Schwester Hanny, diese Mädchen sind meine Pfleglinge, alle sind sie
soweit, dass sie in ihr altes Leiden nicht mehr zurückfallen, und den neuen
Geist des Lebens langsam aufnehmen." Jetzt kamen die Leute herein, ihr Ausdruck
war freudig. Wer weiss, wie lange sie kein freudiges Gesicht gesehen haben. Da
sprach Liebegott: „Begrüsset die lieben Gäste, es sind die Kinder von Mutter
Anna, von der ich euch so viel erzählte."
Die Begrüssung fiel linkisch aus, Hanny merkte sofort, die Brüder sind nicht
frei, trotz der Freude, die sie äusserten. Das Zimmer war sauber; aber nicht
eine einzige Blume oder was das Auge entzücken konnte war da. Da sprach Hanny:
„Ihr Schwestern, schmückt doch mit euren Blumen diese Stube, damit die Brüder
auch etwas Freude haben. Es gefällt mir hier garnicht, es fehlt an Liebe."
Spricht Liebegott: „Schwester, wie meinst du das, habe ich es an etwas fehlen
lassen?"
„Bruder, dein Name passt nicht zu dir, denn du sollst nicht nur Mahner, sondern
auch Träger dieses Geistes sein. Wenn ich mir deine Brüder anschaue, denke ich
an das Anstaltsleben zurück. Nur ein Gedanke daran, und ich friere. Auch deine
Brüder hier lebten dieses elende Leben dort, es gab wohl Zucht und Ordnung, aber
keine Liebe. Hast du es schon einmal mit der rechten Liebe versucht?" „Aber
Schwester Hanny, meine Leute arbeiten gern, sind willig und froh, ein Leben in
Zufriedenheit und Geborgenheit zu leben, ich habe nicht den geringsten Grund zu
klagen." „Das mag wohl sein, Bruder Liebegott, aber den Brüdern fehlt das Beste
und Schönste, die Liebe zum Herrn und Heiland Jesus. Schaue dir meine Schwestern
an, auch sie sind Anstaltsgenossen wie deine, sprich mit ihnen, oder noch
besser, besuche uns und unsere Gärten. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Befrage meine Schwestern nach Jesus, nach Seinem Leben und nach Seinem Sein, du
wirst staunen über ihre Erkenntnis. Vor allem den lieben Heiland lieben sie mit
einer Glut und möchten Ihn recht bald einmal in ihrer Mitte haben, wie sieht es
bei dir aus?"
„Schwester Hanny, du hast recht, ich bin selbst noch nicht so weit, dass ich
viel von Jesus erzählen könnte, wo sollte ich es auch wohl herhaben?"
„Aber Bruder, du warst doch im Erdenleben Christ. Jetzt in der Ewigkeit müsstest
du doch von selbst darauf kommen, dass ein Leben ohne Jesuliebe nur ein halbes
ist, dabei hast du uns im Namen der Jesuliebe begrüsst. Darf ich einmal zu den
Brüdern reden?"
„Aber gern, Schwester, ich werde der Aufmerksamste sein."
Die Brüder hatten sich alle gesetzt, wie immer sassen sie. Die Mädchen hatten,
da es keine Schalen gab, die Blumen zu einer Ranke gebunden und sie zu dem Wort
‚Jesus' geformt. Sie standen nun im Halbkreis, da sagte Hanny:
„Schwestern kommt, wir singen erst den Brüdern ein Lied von Sonnenschein und
Liebe." Da erklangen die hellen Stimmen: „O lieber goldner Sonnenschein, dring
tief in unser Herz hinein usw."
Ach, wie erstaunten die armen Brüder, so etwas hatten sie noch nicht gehört.
Liebegott war bis in das Innerste ergriffen.
Als sie geendet hatten, sagte Hanny:
„Meine Brüder, ich danke unserem Heiland Jesu, weil ich mit meinen Schwestern
euch allen diese Freude bereiten konnte. Ja ich könnte ohne diese Freude, die
ich aus dem Liebegeiste Jesu empfange, nie mehr sein. Auch ich, wie meine
Schwestern, waren Ausgestossene des Glückes, unser Leben war kein Leben, es war
ein Vegetieren wie das eines Tieres. Nun aber hat Jesus, der liebende Heiland
und liebende Vater, unser Leben anders gestaltet, indem Er uns aus dem
Erdenleben genommen und in ein freies Sein gesetzt hat. Wir haben es erfasst,
alles hat nur halben Sinn ohne Jesus, nur halbes Glück ohne Seinen Liebegeist,
wir haben noch nicht die rechte Seligkeit, da Er zu unserem Glück Selbst noch
fehlt, weil wir noch nicht reif genug sind. Mutter Anna als seliger Engel ist
unsere Hüterin, sie selbst sagte mir, nicht eher wirst du Ihn schauen, als bis
du reif bist. Dies ist aber keine Enttäuschung, sondern Vorfreude, eine Ahnung
vom kommenden Glück, was uns aneifert, immer noch mehr Liebe zu werden. Auch
euch allen möchte ich das Glück schenken, doch ich bin nur eine schwache
Dienerin der Liebe. Aber etwas könnt ihr schon tun, euch recht lieb haben, alles
aus dem Herzen drängen, was noch von drüben mit herübergebracht wurde. Denket
daran, dass der gute Heiland Jesus Sein Heim in jeder Menschenbrust aufschlagen
will, fanget an, euch zu sehnen nach Ihm, dem wir so viel zu danken haben, dann
wird in euch Freude einziehen. Ich weiss, ihr freut euch über eure Arbeit, in
der Ruhe in der ihr lebet, aber das ist ja gar nichts gegen die Freude, die uns
Jesus schenkt. Immer denkt Jesus daran, uns zu erfreuen, und dieses habe ich und
meine Schwestern erkannt, darum ist unsere Sehnsucht nur Jesus und wieder Jesus.
Könntet ihr euch nicht entschliessen und auch anfangen, Jesus zu lieben? Er hat
uns längst geliebt und unsere Namen in Sein Herz eingeschrieben. Darum soll auch
Sein Name in unser Herz eingeschrieben sein und leuchten wie eine Sonne. Schauet
diese Blumen, sie sagen uns Seinen Namen, haltet Ihn fest zu eurem Heil und
ewigem Seligsein."
Sagt Liebegott: „O Schwester Hanny, unmöglich kannst du die Worte aus dir gesagt
haben, es ist ein Wunder, dieses zu erleben. Aber nicht umsonst sollst du uns
gemahnt haben, ja wir werden versuchen, Jesus zu lieben. Denkt ihr nicht auch
so, liebe Brüder, von nun an?"
Da ging ein Jubel los, der nicht enden wollte, da sagte Hanny:
„Bruder, ist das nicht der beste Lohn, den du jetzt erhältst, nun hast du Brüder
gewonnen und Liebe wird dir entgegengebracht werden, zum Dank werden wir in der
nächsten Zeit euren Garten mit Blumen schmücken, damit sich auch der Herr Jesus
freuen kann, so Er zu euch allen kommt. Du wirst erleben die Freude aus der
Liebe, und nun wollen wir scheiden äusserlich, innerlich bleiben wir vereint
durch die Liebe Jesu."
Liebegott konnte vor Rührung fast nicht sprechen, aber ein Bruder sagte: „O
bleibet hier, bleibet hier, ihr seid so schön, wenn ihr fort seid, wird es
wieder finster werden."
„Das geht nicht, mein Bruder, wir müssen unsere Blumen pflegen, wir müssen
fleissig sein, damit wir eure Gärten schön machen können, wir kommen wieder,
aber ihr müsset recht liebevoll werden und immer denken, dass es auch dem guten
Heiland bei euch gefallen soll, so Er einmal kommt."
Da freuten sich alle, ein anderer sagte mit bittenden Augen: „singt noch ein
Lied, es war so schön, so schön."
Da fingen alle Mädel an zu singen:
„Wenn der Heiland, unser Heiland als Vater erscheint
und die Kinder, und die
Kinder um sich dann vereint;
o da werden wir uns freuen und werden selig sein,
denn der Heiland, unser Vater, kehrt gern bei uns ein
und der Vater, unser
Jesus, will glücklich mit uns sein.“
Nun war es aus mit den liebehungrigen Brüdern, sie umarmten sich und riefen:
„wir werden Kinder, wir werden Kinder".
Liebegott wollte beschwichtigen, aber Hanny sagte:
„Bruder, lasse sie, die Liebe kommt zum Durchbruch, du siehst, sie musste
geweckt werden. Wesen wie wir, wo alles Leid aufgestapelt war, brauchen einen
regeren Wecker, lasse sie in dieser Liebe, ja fördere sie und du erlebst Wunder
der Liebe, wie mein Wachstum auch ein Wunder der Liebe ist. Dabei habe ich
nichts anderes getan, als nur die Ratschläge befolgt, die mir Schwester Martha
gab. Es gelang mit grösster Mühe, aber es gelang; nun bin ich durchdrungen vom
Feuer Seiner Liebe und dieses hilft immer weiter. Nun wollen wir scheiden im
Namen Jesu, unsere Liebe aber lassen wir hier!" War das ein Erzählen heimwärts,
die Mädchen waren ganz erfüllt von Freude, aber Hanny sagte: „Wenn bloss die
Mutter nicht zu Hause wäre, denn dieses war nur halbe Arbeit. Jetzt haben wir
den Brüdern Hoffnung gemacht, und die Mutter wird allerhand Bedenken haben."
Richtig, wie sie in die Nähe des Hauses kamen, wurden sie auch schon von Vater
Hendrick bemerkt. Da flogen die Mädchen hin und wollten die Mutter begrüssen.
Aber sie tat ganz ernst und sagte:
„Ja, wie seht ihr denn aus, was ist euch Frohes geschehen? Ich muss euch
schelten, wie könnt ihr denn die Gärten so wundervoll herrichten, wisset ihr
nicht, dass das Himmelreich Gewalt braucht, um es schön zu gestalten?"
Spricht Hanny: „Mütterchen, tue doch nicht so ernst, du freust dich doch genau
so wie wir, oder wäre dir lieber gewesen, die Brüder wären beim Anfang
geblieben? Wir haben ihnen nur über den Anfang hinaus geholfen, nun ist ihnen
leichter, denn nur Blumen spenden ist doch kein Opfer der Liebe?"
„Hanny, Kind, du hättest es aber sagen können, da wäre ich mitgekommen, denn in
den Leuten steckt noch viel Weltgeist. Du musst vorsichtig sein." „O weh,
Mutter, wenn du über dem Schelten bist, dann schelte uns tüchtig aus, denn wir
kommen von Liebegott und den armen Brüdern, wir haben einen Feuerbrand der Liebe
dort angezündet."
„Ich bin sprachlos, Kind, ich habe die Verantwortung über euch, und du gehst so
frei und froh in das Lager derer, die noch grosse Läuterung brauchen, da getraue
ich mich allein nicht hin."
„Wir waren auch nicht allein, Mutter, denn der gute Heiland war mit uns, noch
nie war ich so frei und froh, in mir fühlte ich eine Freude, aber keine Bange."
Spricht Anna zu Hendrick: „Nun schau, Bruder Hendrick, nun ist dir Hanny
zuvorgekommen, deine Arbeit ist es, die Brüder in eine grössere Erkenntnis zu
führen."
„Weisst du, liebe Anna", erwiderte Hendrick, „jetzt könnte ich an dir irre
werden, du bist die Liebe selbst und unser aller guter Engel, und jetzt gefällt
dir der Liebeszug der Hanny nicht. Du musst mich darüber aufklären."
„Ja, Hendrick, die Sorge um die Kinder ist es, sie sind noch nicht so gefestet,
den kranken und irrenden Brüdern Halt und Stütze zu geben, du musst mich
verstehen."
„Freilich, Anna, aber schau nur, wie sie lächeln über deine Angst, sie ist doch
unnötig."
„Hendrick sei vorsichtig, denke immer noch daran, dass noch viel vom Erdenleben
Herübergebrachtes eine Macht ist, die nicht weggeschoben werden kann. Der Herr
spricht nicht umsonst, wachet und betet."
„Mütterchen", spricht Hanny, „ich habe den armen Brüdern auch versprochen, ihre
Gärten mit den Schwestern zu schmücken, du erlaubst es doch, und ihr beide
kommet mit. Oh, wir sind glücklich, Freude gebracht zu habenl" „Ich freue mich
mit euch, Kinder, aber ..."
„Kein Aber, Mütterchen, zuvor war ich dort im herrlichen Vaterhaus, die Menschen
waren schön, ihre Häuser, Paläste, nicht zu beschreiben, der Tempel ein
Kunstwerk, aber sie achteten mich Unscheinbare nicht. Von Liebe fühlte ich
nichts, und das Schlimmste war, der heilige Vater war nicht zu Hause. Er sei bei
den Unseligen, so sagte mir der Priester. Da ist ein Zug in mir, auch den Vater
zu suchen, gleich wo. Dort war ich unbefriedigt inmitten der Seligen, und bei
den Kranken war ich selig, sag Mütterchen, wie kommt das?" „Weil du die Liebe
aufgenommen hast. Nun ist mir nicht mehr bange um dich, mein Kind, handle ganz
frei in dieser Liebe, bald wirst du reif zu Grösserem werden. Bereite alles vor,
damit wir deine wartenden Brüder nicht enttäuschen."
Endlich alle Sehnsucht gestillt
Hanny eilte mit ihren Lieben zu ihrem Haus und Garten, suchte die schönsten
Blumen, Stauden und Sträucher. Wie waren sie alle selig und begeistert, den
armen Brüdern, die auch das schwere Erdenleid tragen mussten, ihren Garten schön
und ertragfähig zu machen.
Nach einer herrlichen Ruhe und Verinnerlichung nahmen sie alle Pflanzen und
reifen Früchte, gingen hin zu Mutter Anna, um sie mitzunehmen zum schönsten
Liebeswerk. Aber niemand war da, leer waren die Zimmer, von Vater Hendrick
nichts zu sehen, da sagte Hanny:
„Warum noch warten, kommt, wir gehen trotzdem, denn die Blumen und Pflanzen
müssen ins Erdreich."
Dort angekommen, fingen sie auch gleich zu pflanzen an. In ihrem Eifer bemerkte
sie nicht, wie Vater Hendrick, Mutter Anna und noch ein freundlicher Mann
gekommen waren. Auf einen Zuruf eilte sie rasch hin, begrüsste die drei und
erfuhr, es sei der Gärtner.
Dieser bekundete seine Freude über ihre Liebe und ihren Eifer.
Die drei blieben, bis die Mädchen alle Pflanzen und Blumen verpflanzt hatten,
dann ging es in das Haus zu den Brüdern.
Alle die Früchte, die Hanny mitbringen liess, wurden von Hendrick gesegnet,
ausgeteilt und mit Freude verspeist.
Nur kurze Zeit hielten sie sich auf, dann gingen sie gemeinsam zurück zum Heim
der Liebe.
Mutter Anna sagte: „Hanny, bringe deine Pfleglinge in die rechte Ruhe, dann
komme zu mir und zu unserem lieben Gast, bringe aber Liesa, Rosel, Christa und
Lena mit."
Schön und stille war es um den lieben Gast, der viel zu Hendrick, Johann und
Heinrich sprach und auch Hanny über die Sehnsucht belehrte, die der heilige
Vater in sich um alle Seine Kinder trage.
Jetzt wurden sie alle in ihrer Ruhe gestört durch neue Fremde, die Hendrick
Böses zufügen wollten.
Als Hendrick zu den Friedensstörern ging, bat Hanny aus vollem inneren Drang
mitkommen zu dürfen.
Da sich bei Hendrick einer eingefunden hatte, der sich von den Ruhestörern
getrennt hatte, gab es allerhand Krach. Ein gutes Brot und noch bessere Worte
brachten es fertig, sie zu bekehren bis auf einen namens Gregor. Diesen einen
wollte Hanny gewinnen, was ihr auch mit Gottes Hilfe gelang. Als dieses
Hilfswerk beendet war und sie zur Mutter Anna zurückkehrte, brach gerade der
Gast auf, begleitete die 5 Mädchen nach ihrem Heim und besah ihre Gärten.
Er war recht zufrieden, die Pfleglinge hatten gute Fortschritte gemacht, die
Gärten waren im besten Zustand, darum kargte Er mit dem Lob nicht und versprach
wiederzukommen.
Hanny hängte sich an Ihn, da ihre Pfleglinge sich noch der Ruhe hingaben. Sie
begleitete Ihn bis an das Tor, Er aber sagte:
„Meine Hanna, es ist schön, so du mich begleitest, aber es ist dieses nicht
nötig, da Ich mich auf eine leichtere Art von euch trennen kann, aber Ich sage
dir, Meinem Herzen hast du eine grosse Freude gemacht, weil du Gregor zur
Einsicht brachtest."
„Ach, Kunststück, lieber Bruder, wo wir in unserem Heiland Jesus eine so
herrliche Hilfe haben, ohne Seine Hilfe wäre es freilich nichts geworden; aber
sage mir, liebster Bruder, gefällt es dir bei uns garnicht, weil du so rasch
wieder weiterziehst? Komme in unser Heim, ich bitte dich herzlich, segne es, mir
ist, als wenn uns dieses noch fehlt an unserer Arbeit, an unserem Glück."
„Später, Hanna, du musst Geduld haben, sage nichts, dem Herrn ist alles bekannt;
deine Liebe, dein Streben und wie du schon heute sagtest, deine Sehnsucht."
„Aber mein Herz bringe ich trotzdem nicht zur Ruhe, auf Erden bin ich fast vor
Leid gestorben, und hier kann ich fast vor Sehnsucht nicht weiterleben, hilf mir
doch, deine Augen verraten mir, du kannst mir helfen."
„Dann komme an Meine Brust, Hanna, und erlebe, wie ein jeder Pulsschlag dir
offenbart, Ich liebe dich!"
Da umklammerte sie Ihn, Tränen entströmten ihren Augen vor Glück, mit jedem
Atemzug erlebte sie, hier ist ein Herz, darinnen nur Liebe und Hingabe pulsiert.
Endlich beruhigte sie sich, dann aber sagte sie:
„Endlich halte ich Dich, und alle Sehnsucht ist gestillt. Du bist es Selbst und
hast mich erlöst, mein treuer Jesus Du, nein, sage nichts, Du bist es, und
keinen anderen könnte ich lieben und Ihm dienen, und wenn ich sterben müsste,
ich lasse Dich nicht mehr, denn Du bist meines Lebens heisseste Sehnsucht. O
wie leicht ist mir jetzt, Dein Wort ist in Erfüllung gegangen. Frei müssen wir
sein, durch Dich bin ich es endlich geworden.
O Du bester Heiland Jesus, weil ich nun erlöst bin von allem, sage ich jetzt:
komme recht bald in Dein Heim, welches Du mir als Heimat gabst und vollende Dein
Werk an meinen Schwestern."
„Gern, Hanna, wenn die Zeit erfüllt ist, keine Minute eher. Nie hätte Ich sagen
können: ,nimm Mich, Ich bin Der, den du liebst', du musstest es von selbst
erleben, darum, Mein Liebling, verrate Mich nicht. Dein Mund muss schweigen, nur
das Herz darf fühlen und empfinden. Wenn deine Schwestern den Reifegrad erreicht
haben, dann bin Ich es, der volle Erfüllung bringt. Nun will Ich auch dich an
Meine Brust drücken, und dieser Kuss ist das Siegel, dass uns nichts mehr
trennen kann. Bleibe in Meiner Liebe und in Meinem Geist, dann bist du Mein Kind
für allezeit!"
Wie in einem Traum ging Hanny in ihr Heim. Die Mädchen waren noch in ihrer Ruhe.
Leise setzte sie sich in ihren Lehnstuhl und träumte von ihrem Jesus.
Mutter Anna hatte Aufträge. Weihnachten, das Fest der Liebe, sollte alle einen.
Verschönern sollten es die Fünf mit ihren Pfleglingen, da gab es viel zu lernen.
Mutter Anna brachte den Stoff: die Geburt Jesu und ihre Erscheinungen mit den
Engeln; die Liebe schuf Kräfte. Mutter Anna strahlte, die Kinder hatten nicht
nur begriffen, sondern lebten für diese Aufgabe. Hanny aber pflegte ihre Trauben
für ihren Liebling, den Heiland Jesus. Sie wusste, an Seinem Erdengeburtstag
wird Er sie aus ihrer Hand empfangen und erlebte in ihrer Vorfreude die grösste
Seligkeit.
Vater Hendrick brachte allen die Einladungen zum heiligen Liebesfest, nur die
letzteren, Gregor und Genossen, mussten ausgeschlossen werden. Johann und
Heinrich hatten einen schweren Stand, aber sie versprachen zu kommen.
Zur festgelegten Stunde kamen alle zum Heim der Liebe, wo alles festlich
hergerichtet war zum Empfang der Schwestern und Brüder. Die Mädchen sangen zur
Begrüssung ein Jubellied, dann wurde alles recht still. Mutter Anna sagte:
„Brüder und Schwestern und ihr Kinder, die Liebe rief und ihr seid gekommen.
Leider konnten nicht alle geladen werden um ihrer Entwicklung willen. So wollen
wir im Namen des Herrn unsere Feier beginnen, nach der Art, wie wir sie im
Paradiese gefeiert haben. Versetzt euch vorerst in euer Inneres, besuchet eure
Lieben im Erdental, dann eilet an die Stätte, wo eure Leiber oder Asche der
Verwesung entgegengehen. In einer Stunde irdischer Zeit rufe ich euch."
Als die gegebene Zeit um war, sagte Anna:
„Kinder, nun singet dem Herrn ein Jubellied."
Da erklangen die hellen Stimmen. Ein Jubeln und Jauchzen entsprang ihren Herzen
und pflanzte sich fort in die Herzen der anderen. Dann kamen Liesa, Christa,
Hanny, Lena und Rosel und brachten die Geburt Jesu zum Vortrag, den Jubel und
die Kunde der Engel, den Mutter Anna einstudierte.
Sie sangen:
Ehrt Ihn, denn im Heiligtum herrlich über allem,
hebt an auf Erden um und um Frieden und Wohlgefallen.
Sei ausgeglichen aller Streit, alle Fehde nichtig.
Weihnacht, Weihnacht, macht die Tore weit,
macht die Steige richtig.
Die anderen: Wir werden den Himmel offen sehn,
Wir werden das ewige Wort verstehn,
Wir werden das heilige Kind erkennen
und liebergriffen bei Seinem Namen nennen.
Beim seligen Namen JESU CHRIST,
darinnen unser Heil beschlossen ist.
Die Fünf: Sehet ihr die Krippe, da liegt Er als Kindlein geboren,
kommend vom Schosse des Vaters, zum Retter erkoren.
Niedrig gesinnt, liegt Er als weinendes Kind,
leidend für die, die da krank und verloren sind.
Die anderen: Darum wollen wir alle fröhlich sein,
denn Gott will unser Vater sein,
und dass der gute JESUS CHRIST
nun unser Bruder geworden ist.
Während dieses Gesanges kommt der Gärtner und stellt sich zwischen Anna und
Hendrick.
Hendrick spricht: „Zu der schönen Feier fehlt nur noch der Herr, unser geliebter
Jesus Selbst. Wir wollen uns rechte Mühe geben, Ihn so zu lieben, dass Er bald
kommen möge. Aber unser geliebter Bruder ist doch gekommen, sei uns recht
herzlich willkommen und bleibe länger hier.
Ihr Kinder, bringet nun alle eure Früchte und Trauben, die eure Liebe reifte,
stärket und sättigt euch, damit ihr alle recht lebendig und freudig werdet.
Du aber, Du heiliger Vater, stille Du unsere Sehnsucht, wie die Kinder unseren
Hunger stillen. Deine Liebe sei unser Leben bis Du volle Erlösung bringst."
Da verteilten wohl an hundert Mädchen ihre Früchte unter den Anwesenden, Hanny
aber trat hin zu Hendrick, Anna und dem Gärtner und wollte etwas sagen. Da legte
der Gärtner den linken Zeigefinger an den Mund und nahm eine grosse Traube
entgegen, die Ihm Hanny reichte. Dann erhielten Hendrick und Anna auch eine und
Hanny sagte:
„Lasset uns recht danken für diese Liebe, die wir als Geschenk in unseren Händen
halten, damit sich fülle unser Herz von Seinem Geist, der uns so gern Seine
Kinder heisst. Alles Vergangene ist vorbei, dies erfuhren wir bei unserem Besuch
ins Irdische; nun gehören wir dem neuen Leben, welches Er als Jesus uns gegeben.
Darum Dir, o Vater Jesus, Dein soll alle meine Liebe sein für jetzt und
allezeit. Heil Jesus!"
O wie schmeckten die herrlichen Früchte, wie leuchteten die Augen, am liebsten
hätten alle gejubelt, aber sie trauten sich nicht. Da sagte Hendrick: „Ihr
Lieben, machet euch alle frei, der weihevolle Teil des Festes ist vorüber, der
zweite Teil soll kein Ende haben; freuet euch und erfreuet alle, beschauet die
Häuser und die Gärten, machet euch mit allem vertraut, und wer heimziehen will,
kann heimziehen."
Da ging Hanny nochmals hin zum Gärtner und sprach lange mit Ihm, dann rief sie
ihre Mädchen zusammen, sprach mit ihnen und zog heimwärts nach ihrem Heim; der
Gärtner hatte versprochen, zu kommen. In aller Eile wurde das Heim geschmückt,
noch manche Blume bekam einen anderen Platz und ein Korb der allerschönsten
Trauben wurde auf den Tisch gestellt.
Hanny schaute inzwischen immer den Weg entlang, endlich kam Er langsamen
Schrittes, die Blumen rechts und links betrachtend. Da eilte sie Ihm entgegen
und ruhte einen Augenblick wortlos an Seiner Brust. Dann sprach sie:
„Vater, lieber Vater, weil Du nur gekommen bist, tritt ein in Dein Haus, alle
erwarten Dich mit grösster Sehnsucht."
Die Mädchen wundern sich, weil Hanny so vertraut mit Ihm ist, sie richtet Ihm
den Lehnstuhl, alle setzen sich im Halbkreis um Ihn, Hanny zu Seinen Füssen.
Nun erzählt Er von Seiner Freude über die Bewohner, lobt ihren Eifer und ihre
Liebe, dann die Blumen und die Früchte, denn sie seien das rechte Abbild ihres
Herzens und fragt, ob sie immer hier bleiben wollen oder nach einem grösseren
Wirkungskreis wollten.
Spricht Hanny: „O Du mein Vater, mein Heiland Du, Du gebotest mir zu schweigen
vor meinen Schwestern. Aber ich bringe es nicht fertig, da ich alle Sehnsucht
gestillt sehen möchte, ich kann nicht mehr ruhig sein, ihr Liebsten kommt alle,
kommt, es ist unser Vater Selbst, der unser Heim gewürdigt hat. Kommt, begrüsst
Ihn als unseren Vater und Erlöser und seid gewiss, Er wird euch nicht
hinwegstossen."
Da drängen sich alle zu Ihm hin, Hanny war bei Seite getreten, Er musste sich
einen Sturm von Liebe gefallen lassen.
„Aber, Meine Kindlein, nicht so stürmisch, wenn Ich euch nicht so lieben würde,
wäre Ich nicht gekommen. Nun ist eure Freude eine vollkommene und auch im Himmel
ist Freude über euch. Ihr dürfet aber nicht nachlassen, sondern müsset in euch
Meine Liebe immer mehr und mehr vollkommen machen. Ich könnte euch in einen
Himmel versetzen, dessen Schönheiten euch blenden würden, aber sie wären nicht
das Abbild eurer Liebe. Seid Mir getreu, seid aber auch euch getreu und seid
versichert, Ich werde euch immer lieben wie Meine Kinder. Habt ihr einen Wunsch,
saget ihn, jetzt bin Ich bei euch, sagt ihn, damit Ich ihn euch erfüllen kann."
Hanny tritt vor und spricht:
„Lieber Vater und bester Heiland, lasse mich hier und gib mir neue Kranke, die
ich zubereiten kann für Dich und Dein Werk, meine Schwestern aber lieben die
Brüder bei Liebegott, könnten sie denen dort Dienerinnen der Liebe, Deiner
Liebe, sein und dort ihrer Reife entgegengehen?"
„Liebe Hanna, deine Bitte schlage ich nicht ab, es ist vorerst noch eine Schule
nötig durch Anna, aber warum erbittest du dir nichts als nur schwere Arbeit?
Dein Wunsch ist erfüllt, die Kranken sind auf dem Wege zu dir und werden noch
Platz in deinem Hause finden, welches nun noch einmal so gross von innen sein
wird."
„Ach, mein Vater, nun ist es gut, ich bin so voller Freude, ich muss Dich
nochmals umarmen, Du musst Dir meine Freude gefallen lassen, denn Du hast mich
froh und überselig gemacht."
Als sie nun den Herrn so recht an ihr Herz gedrückt und Ihn genug umarmt hatte,
brachte sie Ihm nochmals Trauben und bat Ihn, dieselben zu essen.
Der Vater aber sagte:
„Kindlein, die Trauben reichen für alle, nun sollen sie noch einmal so gut
schmecken, Ich will eure Liebe lohnen."
Da wurden sie ganz selig, ein Strahlen ging von ihnen aus, vor ihren Augen
rollten sich Begebenheiten ab. Nun wussten sie alle, dass nur durch ihren
Leidensweg sie diese Klarheit erlangen konnten. Die Trauben aber hatten einen
Geschmack, der unbeschreiblich ist, sie wollten in einen Jubel ausbrechen, aber
der heilige Vater sagte:
„Kindlein, Kindlein, mässiget euch, dies ist ja erst ein Anfang eurer Seligkeit,
nun gehet erst einmal hinaus, beschauet eure Gärten, beschauet euer Haus, und
dann erst sollt ihr Mir sagen, ob Ich nicht alles wettgemacht habe, was das
Erdenleben euch schuldig blieb."
Da eilten die Mädchen hinaus, Hanny aber blieb, sie sagte:
„Ich weiss, mein bester Vater, dass Du Schönheiten über Schönheiten verschenken
kannst, aber Du bist mir doch lieber, darum bleibe ich hier, wenn Du
fortgegangen bist zu den Armen und Kranken habe ich übergenug Zeit und
Gelegenheit, Dein Geschenk zu bewundern. Schicke recht viel Kranke zu mir, dies
wird das grösste Geschenk sein." Die Mädchen kamen hereingestürzt und sagten:
„Hanny, Hanny, welch ein Wunder, wir kennen unsere Gärten nicht mehr, ein ganz
anderes Haus bewohnen wir jetzt, es ist wenigstens zehnmal so gross."
„Das ist recht, dann können auch hundertmal so viele und noch mehr Platz finden,
unser lieber guter Vater Jesus und Heiland wird es uns schon füllen, hoffentlich
helft ihr alle mit."
Der Herr stand auf und sagte:
„Kindlein, es gibt nichts Heiligeres als das Leben, nun habt ihr einen
Vorgeschmack der Himmel bekommen, aber nicht immer kann es so bleiben, da noch
viel, viel des alten Ichgeistes aus euch herausgeschafft wurden muss.
Das beste Mittel ist die Liebe und Pflege der Armen und Verirrten, je grösser
eure Liebe, je grösser eure Kraft, je reifer eure Liebe wird, um so grösser wird
eure Welt. Sehet, wie glücklich bin Ich unter Kindern der Liebe, aber Meine
Liebe treibt mich zu den Armen, Kranken und Unerlösten, darum kann Ich unter
euch nicht bleiben, sondern muss euch wieder verlassen. Ihr aber habt nun die
Brücke zu Meinem Herzen geschlagen, indem ihr bedacht seid, Freude und wieder
Freude zu machen. Lasset nicht nach, wenn ihr glaubt, eure Kräfte reichen nicht
aus, dann rufet Mich, aber nicht mit dem Munde, sondern mit dem Herzen. So
nehmet hin Meinen Liebesegen, dir aber, Meine Hanna, soll werden ein anderes
Kleid, deiner inneren Liebe entsprechend. Seid in Meiner Liebe glücklich und in
Meinem Geiste noch tätiger, damit sich euch ganz der Himmel erschliesse."
Noch einmal reichte Er jeder die Hand und liess sich von Hanny hinausführen.
Als Hanny wieder zu den anderen kam, sagten sie:
„Hanny, hast denn du dich noch nicht angesehen, schaue dich doch an, du strahlst
wie die Sonne."
„Ach, Kinder, redet doch nicht davon, bald werdet ihr noch heller strahlen, wenn
ihr erst richtig lebendig in der Liebe geworden seid. Seid ihr nun endlich
zufrieden mit unserem Heiland Jesus?"
„Ach, Hanny, wir wären nicht darauf gekommen, wenn du uns nicht darauf geholfen
hättest. Sag, wie hast denn du es erfahren, dass Er unser Heiland Jesus ist?"
„Ja, da ist nichts zu erklären, ich konnte mein Herz nicht mehr zum Schweigen
bringen, Seine Augen verrieten, was Sein Mund verschweigen musste. — Aber nun
recht weise sein, unser Jesus hat volles Vertrauen zu uns, wir wollen ganz in
Seinem Geiste bleiben und nicht so aus der Schule schwätzen. Wie Er uns nicht
sagen konnte: ,Ich bin der Vater, euer Jesus', so dürfen wir auch zu keinem
sagen: ,Es ist der Herr', sondern ihre Herzen müssen Ihn aufnehmen, dann verrät
es ihr eigenes Herz. Wollen wir nun unser Haus besichtigen, ich ahne, dass wir
neue Ankömmlinge bekommen."
Neue Aufgaben — neue Seligkeiten
Alle gingen hinaus in den Garten, die Freude und das Entzücken wollte kein Ende
nehmen. Da sah Hanny Mutter Anna und Vater Hendrick kommen. Sie eilte rasch hin
und wurde von Anna herzlich umarmt. Anna sprach:
„Hanny, ist nun alle Sehnsucht gestillt? Die anderen sind nicht so glücklich wie
du, denn ihre Herzen haben Jesus immer noch nicht erkannt. Du aber wirst wieder
vor grosse Aufgaben gestellt werden, denn neue und ganz arme und verirrte Kranke
sind in deinem Hause untergebracht worden. Zwei Gottesboten erwarten dich, sie
möchten ihre Mission beenden."
„Wo denn, Mutter, ich habe keine gesehen!"
„Ja, mein Kind, in deinem Hause im oberen Stockwerk sind sie untergebracht. Mit
Liesa wirst du sie pflegen, bis sie soweit sind, dass sie in deinem Hause
gesunden können. Liesa hat schon Anweisung, dort kommt sie. Gehe nun in der
Heiligen Liebe Namen an dein Werk, dann wird es allen zum herrlichen Segen
gereichen."
Liesa war da und sagte:
„Hanny, ich darf mit dir zusammen arbeiten, hast du die Kranken schon gesehen?"
„Noch nicht, Liesa, aber wir wollen rasch zu ihnen gehen, damit die Gottesboten
ihrer Pflicht entbunden werden. Mutter Anna, willst du nicht mit Vater Hendrick
mitkommen?"
„Jetzt noch nicht, Hanny, aber bald sind wir da."
Die beiden Mädchen gingen eilenden Fusses ins Haus und stiegen die Treppe hinan,
die vorher nicht da war. Oben war ein kleiner Vorraum. Hanny kam alles so
bekannt vor, sie traten ein, öffneten die Türe, betroffen schaute sie in den
Saal; es ist als schwänden ihr die Sinne, sie befand sich im oberen Saal des
Schlosses Colditz. Liesa sprach ein paar Worte, da kam Hanny wieder zu sich. —
Zwei Engel verneigten sich vor ihr und einer sprach:
„Schwester im Herrn, unseres Gottes, die ewige Liebe ordnet an, diese sechzig
Kranken in dem Heim der Liebe unterzubringen. Es ist geschehen nach des Herrn
heiligem Willen; ein weiteres ist uns nicht übergeben worden. Wir stehen vor
einem Rätsel, wie ihr beiden die gefährlichen Kranken meistern wollt, denn nur
mit der uns eigenen Kraft und Willensmacht ist es uns gelungen, unsere Pflicht
zu erfüllen."
„Habet Dank, ihr herrlichen Boten und Diener Gottes", erwiderte Hanny, „es ist
unser besonderer Wunsch gewesen an den Herrn selbst, diese Kranken pflegen zu
dürfen. Es sind meine Schwestern, unter denen ich lebte. Wie die ewige Liebe
Mittel fand, mich gesunden zu lassen, so werden wir auch durch die Gnade des
Herrn Mittel finden ihres Heiles wegen. Sein Wille ist unser Wille und unser
Werk soll Sein Werk sein!" Da schrie eine Kranke auf, und ohne sich zu bedenken,
eilte Hanny hin, ohne mit dem Boten noch ein Wort zu wechseln. Sie sieht einen
Mann im weissen Mantel, denkt es ist ein Doktor, als sie aber ganz dort ist,
erkennt sie den Herrn.
„Vater, Du hier! Ich glaubte es sei ein Doktor."
„Schweige, Hanna, Ich will auch nur der Doktor sein um aller willen, denn für
dich und Liesa wird es zuviel werden. Du wunderst dich, aus deiner schönen Welt
hier in diesem öden, traurigen Saal zu sein, aber bedenke, diese Kranken können
deine schöne Welt noch nicht ertragen, alles muss auf ihre Innenwelt
zugeschnitten sein, denn sonst sind sie nicht zu retten, oder bereuest du, Mich
gebeten zu haben um neue Kranke?"
„O nein, liebster Vater, nur erschrocken bin ich so, dass ich schwach wurde,
aber da Du nun hier bist, ist alles gut! Aber sag mir, mein Vater, warum willst
Du unerkannt als Doktor hier arbeiten?"
„Hanna, es ist der Kranken wegen, die fast unschuldig dieses Los ertragen
mussten, wie auch du es getragen hast; ist es Mir als Vater nicht heiligste
Pflicht, gutzumachen, was die Welt versäumte?
Darum sei recht stille, dort kommt Liesa."
Ach, welche Aufregungen gab es unter den Kranken, sie litten furchtbar unter dem
Hunger, es bedurfte der grössten Hingabe, aber nach und nach wurden sie doch
satt.
Wie oft weinte Liesa, aber wenn der Doktor kam, lebte sie auf, auch die Kranken
hatten alle Angst verloren und unbändige Freude belebte sie, so Er durch den
Saal ging und sich von Hanny berichten liess. Leider hielt die Freude nicht
lange an, der Doktor kam immer seltener. Nur im allergrössten Trubel erschien Er
und bald war wieder Ruhe.
Liesa wollte mutlos werden, darum fragte sie Hanny:
„Wie kommt es, dass du so voller Hoffnung bist, nach meiner Ansicht bleiben die
Kranken bei der alten Leier, jetzt voller Freude und dann voller Wut und Hass.
Was nützt es mir, wenn sie weinen und bereuen, um nachher um so schlimmer zu
werden?"
„Ach Liesa, warum so trüben Gedanken nachhängen, haben wir nicht Grund genug zum
Freuen? Jederzeit können wir zurücktreten und diese Arbeit zurückgeben, aber ich
denke gar nicht daran, denn sie sind auch Kinder unseres heiligen Vaters und sie
werden gesunden!"
Spricht Liesa: „Hanny, was hast du mit dem Doktor für Heimlichkeiten, ihr seid
so vertraut, warum kann ich nicht so sein wie du? Wenn Er da ist, da jubelt
alles in mir, alles sehe ich dann im rosigsten Licht, und wenn Er wieder weg
ist, ist mir, als wenn alle Freude vergangen wäre. Kannst du mir Aufschluss
geben?"
„Doch, Liesa, ich könnte es, doch ich darf nicht: selbst musst du dein Herz
durchforschen, dich durchprüfen und dein Herz sprechen lassen; so gern ich dir
helfen möchte, ich darf nicht."
„Ja warum nicht, sind wir nicht Helfer anderer geworden, warum mir nicht?" „Weil
du nicht mehr in der Seele, sondern im Herzen krank bist; wende dich nur an den
Doktor selbst und habe zu Ihm das rechte kindliche Vertrauen."
Die Kranken schienen zum Leben zu erwachen, das allerschwerste war überwunden,
der Doktor liess sich fast nicht mehr sehen, da meinte Hanny zur Liesa: „Wir
wollen einmal alle in den Garten führen."
Voll Freude ging es hinab nach dem Garten, und dort liessen sie die Kranken ganz
frei nach ihrer Lust sich bewegen.
Da kommt Mutter Anna und Hendrick und alle früheren Pfleglinge und bringen Körbe
voll der schönsten Aprikosen.
Liesa und Hanny, sie sehen und hinspringen war eins, war das ein Freuen! Als
aber dann die Pfleglinge den Kranken die Aprikosen brachten, wollte der Jubel
kein Ende nehmen. Da war all die schwere Aufgabe vergessen. Auch Mutter Anna
erzählte, dass wieder so viele Unglückliche aufgenommen worden wären und in die
Pflege des Friedewald gekommen wären, es fehle an den rechten Helfern. Es sei
wohl vieles erreicht, aber die rechte Erbarmung und die erlösende Liebe sei
immer noch nicht zur hellen Glut entbrannt.
„Ja, leider“, gesteht Hanny ein, „und warum? Weil der Heiland sie noch alle
sucht, statt dass sie den Heiland suchen!"
Spricht Liesa: „Hanny, meinst du, dass ich den Heiland auch noch nicht recht
gefunden habe?"
„Ja, Liesa, solange Er dich sucht, hast du ihn noch nicht so gefunden, wie es zu
der Erlösung der Anderen wichtig ist. Nicht die Liebe zum Heiland allein,
sondern Er in uns macht uns so fähig, dass wir wahre Helfer werden!"
Spricht Anna: „Hanny komm in meine Arme, für dieses Wort drücke ich dich an
meine Brust. So noch einen Kuss, nun bist du mir nicht mehr Kind, sondern
Schwester geworden. Du aber, Liesa, lasse dich nur von deinem Herzen leiten,
siehe, diese Pfleglinge der Hanny sind glücklicher denn du; denn das, was du
ersehnst, haben sie schon in aller Fülle."
„Mutter Anna, habe ich es an etwas fehlen lassen?"
„Nein, mein Kind, du hast alles Lob verdient, mit der ganzen Kraft deiner Liebe
hast du dich eingesetzt und hast doch etwas vergessen. Frage dein Herz, es wird
dir volle Antwort geben. Warum willst du das Grösste nicht wagen? Wer nicht
wagt, gewinnt auch nichts!"
Da kamen alle Kranken, Mutter Anna kamen die Tränen in die Augen, als sie die
zerfallenen Gesichter sah, aus denen die Freude leuchtete.
Da sagte Hanny: „Aber Kinder, singt doch der Mutter Anna ein Lied!"
Da sangen sie:
Wenn der Heiland, wenn der Heiland als König erscheint
und die Seinen, und die Seinen um sich ganz vereint,
oh, dann werden sie glänzen und selig sein,
denn der Heiland als König nennt sie Seine Kindelein.
Mutter Anna nahm Abschied mit den Pfleglingen von Hanny und Liesa. Nachdem sie
ihren Augen entschwunden waren, rief Hanny alle zur Sammlung, um wieder nach
ihrem Saal zurückzukehren.
Wie erstaunten Liesa und Hanny, die Gitter an den Fenstern waren weg, der Saal
viel schöner und grösser, die Betten verschwunden, nur Ruhestühle waren
vorhanden, und statt langer Tafeln waren Tische und Stühle da.
Sagte Liesa: „Hanny, kannst du mir dieses erklären? Dieses ist doch ein Wunder."
„Ja, Liesa, ein Wunder der Liebe, es bedeutet Fortschritt der Kranken, pass auf,
bald werden sie anfangen zu fragen."
O wie recht hatte Hanny, es wurde ein viel freieres und froheres Leben, das Brot
wurde immer besser und auch bessere Früchte wurden gebracht, was aber wichtiger
war, die Pfleglinge wurden ruhiger. Es kostete noch viel Mühe und Geduld, alle
zu überzeugen, dass sie gestorben waren und nicht mehr Kranke und Blöde sind.
Die Jüngeren begriffen eher und leichter als die älteren, aber der grössere
Saal, die gitterfreien Fenster, die viel freiere Aussicht und die bessere Kost
waren doch Beweise von himmlischen Gütern, die nur durch die Gnade Jesu gereicht
wurden.
So wurde aus dem Krankensaal ein Lehrsaal, eine Schule, die nur dem Seelenheil
galt. Da sagte Hanny zur Liesa:
„Du könntest einmal mit den Schwestern allein bleiben, ich möchte zu Mutter Anna
und Vater Hendrick. Eine Sehnsucht nach den beiden ist in mir, da möchte ich es
nicht aufschieben."
Liesa blieb nun allein, sie brauchte keine Angst zu haben, denn von den Kranken
war nichts mehr zu befürchten. Sie unterhielt sich mit einigen, da kommt der
Doktor in seinem weissen Mantel und begrüsst die Kranken und Liesa in seiner
gütigen Art.
Liesa war erschrocken, ihr Herz zitterte mächtig, sie konnte vor Aufregung fast
nichts sagen. Er aber fragte:
„Liesa, warum fürchtest du dich vor Mir, habe ich schon einmal Grund dazu
gegeben?"
„Es ist nicht Furcht oder Angst, ich möchte mich selbst schelten, ich weiss
nicht, was mit mir los ist, und nun muss auch noch Hanny abwesend sein."
„Wäre es dir lieber, wenn Hanny hier wäre? Wie oft hast du gedacht, Mich einmal
allein zu haben, und nun es so weit ist, hast du Angst?"
„Ja, lieber Doktor, dies waren oft meine Gedanken, so ich als Geist Gedanken
haben kann; aber ich bin unfrei, und grosse, heilige Gedanken kommen mir keine."
„Es ist auch nicht nötig, Liesa, vor allem muss deine Erkenntnis wachsen, damit
in dir dein Herzensboden ein völlig reiner und du zu einer Trägerin wahren
Gotteslebens werdest. Was hemmt dich denn in deiner Entwicklung, hast du nicht
alles, was dazu nötig wäre? Siehe, die Hanna ist bedeutend freier, darum gelingt
ihr auch mehr, und dass ihr beide noch einmal die harte Schule durchlebtet, soll
doch ganz eurer Seligkeit dienen.
Ich weiss, manchmal wolltest du mutlos werden und warum, weil noch zuviel des
Unerlösten in dir lebt. Hanna hat es leichter, da sie im Erdenleben viel mehr
abstreifen konnte denn du, aber selig, wahrhaft selig sein ist erst möglich,
wenn sich alles in dir dem wahren Leben zuneigt, einem Leben, welches nur durch
Liebe und Lieben zu erreichen ist." „Dieses ist mir bewusst, lieber Bruder,
tausend Male wollte ich es schon erreichen, aber es gelingt nicht, mir fehlt
mein Heiland Jesus. Alle schönen Reden, aller Eifer verliert an Kraft, weil ich
noch nie die rechte Gnade hatte, Ihm zu begegnen. Anders die Hanny, sie kann gar
nicht genug Seine Liebe, Güte und Erbarmung loben, es fängt an zu schmerzen. Ich
liebe Ihn doch auch, warum bleibt Er fern? Er weiss doch, dass in meiner Brust
nichts anderes lebt als nur Er allein und wieder Er."
„Er weiss es, liebe Liesa, aber du liebst Ihn als Weib, und nicht als Kind.
Alles Sinnliche muss sich im Geiste hinmmlisdier Liebe verschmelzen, wenn du Ihn
nur als Vater, als Heiland, als deinen Gott und Herrn in dir erkennst und aus
diesem Erkennen heraus in eine brennende Liebe übergehst, wird Er keine Minute
zögern, Sich dir zu offenbaren. Darum begrabe deine Mädchenliebe und lasse
auferstehen die Kindesliebe, die nur den heiligen Vater beglücken will. —
Nun komm, Liesa, wir wollen den Schwestern noch etwas Liebes sagen, sie sehnen
sich nach einem Händedruck oder nach einem Wort von Mir."
So war es auch. Verständnislos hörten sie das Gespräch, als aber der gute Doktor
recht liebe Worte sagte, die einen streichelte, die anderen an die Brust
drückte, anderen ein Scherzwort gab, wollte die Freude kein Ende nehmen.
„Aber nun freut euch recht im Stillen, bald werdet ihr Grosses erleben, wenn ihr
euch beschauen lernet und ganz gehorsam werdet und euch zwingt, dass das alte
Übel nicht mehr durchbrechen kann. Wollet ihr das Herrliche erleben? Dann folget
Mir und glaubet Meinen Worten. Sie wollten Folge leisten, darum Liesa folge auch
du Meinen Worten, damit du ganz erstehest."
Liesa spricht weinend: „Bruder, gehe nicht so von mir, wenn Du fort bist, ist
alles finster, ich muss mich dann erst wieder finden. Bleibe, bleibe, ich fühle
es, denn Du bist mehr als der Doktor, solche Liebe wie Du kann nur der gute
Heiland haben! So meine Liebe sündig ist, lasse es zu, Dich nur einmal recht
innig zu lieben, dann kann ich wenigstens von der Erinnerung leben und zehren."
„Dann komme, Liesa, und liebe dich satt, Ich kenne keine sündige Liebe, nur eine
verlangende." Da flog Liesa an Seine Brust und weinte vor Freude, als sie
ruhiger wurde, sagte sie:
„Du bist es, nach dem mein Herz schrie, Du bist es, der meinem Sein Licht und
Leben gab, denn nur Du kannst der ewige Vater sein, weil von Dir die selige
Freude in mein Herz kam! O mein Vater, mein Heiland, Du bist mir doch nicht
gram, ich eine Sünderin und Du der Heilige! Lass es mich nicht entgelten, dass
ich mich so wenig in der Gewalt hatte, aber nun ist mir wohl."
„Meine Liesa, sorge, dass du Mich mehr liebst, dann wird Mein Geist in dir dein
Führer und Leitstern sein. Wärest du eine Sünderin, wäre Ich nicht hier. Wo Ich
bin, nimmt der Himmel seinen Anfang und Meine Kinder beleben ihn, nun aber
bleibe Mir getreu zum Heile aller!"
„Ach mein Jesus, bleibe noch einige Augenblicke und lass mich noch einmal ganz
tief in Deine Augen schauen und nur ein einziges Mal Deinen Mund küssen, dann
ist alle Sehnsucht gestillt!"
Da umklammerte sie Ihn nochmals, drückte einen langen Kuss auf Seine Lippen,
legte ihre Hände auf Seine Schultern, sah Ihm lange in die Augen und sprach:
„Mein Jesus, mein Vater von Ewigkeit zu Ewigkeit, jetzt bin ich befreit von dem
Druck, dessen ich mich nicht erwehren konnte, nun weiss ich, dass ich keine
Schuld mehr habe vor Dir. Verlange von mir den grössten Dienst, mit Freuden will
ich ihn erfüllen, nun weiss ich, dass ich Dich nie mehr verlieren kann."
„Liesa, meine Tochter. Die Ich liebe, sind ganz frei, nie werde Ich einen Dienst
verlangen; aber bitten will Ich gern, dass sie sich Meiner Liebe, Meiner Kräfte
bedienen sollen, die Ich so gern spende zum Heil der Verirrten und Verlorenen.
Du hast in Meine Augen geschaut, lieber wäre Mir, so du in Mein Herz geschaut
hättest, denn dann hättest du Meine ewige Erbarmung erlebt. Doch was du jetzt
noch nicht kannst, wirst du vielleicht später können. So will Ich dich besonders
segnen zum Dank für deine Liebe, lasse Mein Heilandsleben ganz in dir erstehen.
Meine Gnade und Mein heiliger Friede sei dein ewiger Teil. Amen."
Liebe ohne Ende
Nun war Er fort, ein Jubel war in ihr, nun wusste sie erst, was selig sein
bedeutet.
Hanny freute sich, dass Liesa nun auch das Leben ergriffen hatte, denn die
Pfleglinge wurden viel liebevoller behandelt, und sie waren so dankbar. Es ging
nun hinaus in die Gärten, hinunter zu den anderen, die da alle bemüht waren,
Liebe zu erweisen mit Blumen und Früchten. Sie wurden unterrichtet von den
verschiedenen Arbeiten, die nur der Reinigung der eigenen Seele dienten.
Liesa, die in einem Liebesfeuer stand, war die eifrigste, sie wollte nur ihrem
Jesus Freude machen.
Bei dem Umherwandern lernten die Pfleglinge von den anderen viel, auch der
grosse Egoismus hatte einer geschwisterlichen Liebe Platz machen müssen. Als
aber diese alle einem Zug armer, ganz elender und verkommener Wesen begegneten,
die Friedewald mit seinen Brüdern in die liebende Fürsorge nahm, wuchs das
Mitleid. Da keiner helfen konnte, weinten sie und fragten Hanny, was da zu tun
sei, es sei ja kaum anzusehen, wie diese Menschen leiden.
„Nichts können wir für sie tun als nur beten, damit unsere Gebetskräfte sie
umhüllen, sie wissen ja nicht einmal, dass sie Verlorene und Verirrte sind.
Friedewald wird sie schon in Ordnung bringen, gut, dass sie uns nicht sehen,
denn es würde uns nicht gut gehen."
„Wie ist dieses möglich, haben sie doch auch Augen wie wir?"
„Ja, aber der heilige Vater hat Seine Ordnung so gestellt, dass wir sie wohl
schauen, aber sie uns nicht, da wir nicht in ihre Sphäre getreten sind. Lieblose
Wesen haben so gut wie keine Sphäre. Ist einmal Liebe unser ganzes Ich geworden,
dann reicht unsere Sphäre weit, sehr weit und dieses macht uns fähiger, immer
dienen zu können.
Friedewald schaut uns, kann aber nicht zu uns kommen, da sonst die Armen ohne
Aufsicht wären, sie würden viel Schaden anrichten."
„Aber Schwester Hanny, das ist aber traurig, kann denn der liebe Heiland nicht
helfen?"
„Doch, aber sie wollen noch keinen Heiland, hier in der ewigen Welt gilt nur der
eigene Wille."
„Das ist merkwürdig, Friedewald kann ihnen ja auch helfen, warum der gute
Heiland nicht?"
„Weil Friedewald der Vermittler des Heilandes ist. Auch ihr waret so elend,
hattet keinen Willen als nur das alte Übel, was euch auf Erden zum
allerunglücklichsten Wesen machte, und wie froh seid ihr jetzt? Wenn aber euer
Wille und eure Liebe einmal ganz dem guten Heiland gehören wird, dann werdet ihr
noch tausendmale glücklicher sein und vielleicht auch Vermittler werden, um arme
elende und verlorene Wesen zu glücklichen Gotteskindern zu machen."
„Schwester Hanny, sind wir so schlecht, weil der gute Heiland nicht zu uns kommt
oder weil wir noch die schlechten Kleider tragen?"
„Es braucht alles seine Zeit. Für den Heiland Jesus ist keines zu schlecht oder
zu schmutzig, alle, alle geniessen Seine Vater- und Heilandsliebe; aber die
Unfreiheit der Seele und des Geistes und das Unreine der Seele ist die Schranke,
die den Heiland trennt. Unerkannt, unsichtbar ist Er immer bei uns, immer wartet
Er, bis Er erkannt und geschaut wird. Sein Herz ist voll Liebe und Erbarmung und
voll des heissen Verlangens nach Seinen Kindern, aber Er muss warten."
„Schwester Hanny", spricht eine andere, „das kann nicht sein, denn ich habe
solche grosse Liebe zu Ihm und möchte alles tun, wenn Er hier wäre, müsste Er es
wissen."
„Er weiss es, Dora, siehe zum Beweis gab Er für dich diesen Becher süssen Wein,
da koste ihn, du darfst trinken."
Da staunten alle, als sie den gefüllten Becher sahen. „Aber Dora, nimm ihn hin,
er ist zum Beweis Seiner Liebe!"
Mit zwei Händen nimmt sie den Becher, „von Ihm ist er, o mein guter Heiland,
warum verbirgst Du Dich vor mir, Du aber weisst es schon, dass ich Dich liebe."
Dora nimmt einen Schluck, „o kostet nur einmal, welch ein herrlicher Geschmack.
Hier, Hanny, aber nur einen Schluck, damit er für alle reicht!" Es reichte für
alle, ja er war noch reichlich halb voll, da sagte Dora:
„Hanny, darf ich den Becher behalten, oder muss ich denselben wieder abgeben?"
„Behalten darfst du ihn schon, aber was willst du damit anfangen?"
„Schwester Hanny, darf ich den Armen dort einmal zum Kosten geben?"
„Du darfst es, aber ich rate dir ab, der gute Heiland hat deine Bereitwilligkeit
gesehen, du hast mit den Schwestern gekostet, aber nun trinket alle, damit euer
Geist gestärkt werde, der Becher wird nicht leer werden. Dann werden wir
Friedewald bitten, sich den Becher zu holen, wenn wir weiter ziehen, ist es dir
recht?"
Wirklich, es war so, der Becher wurde nicht leer. Er wurde jedesmal wieder voll,
wenn er von einer Hand zur anderen ging. Den Becher stellte man auf einen Haufen
Unkraut und Hanny rief:
„Friedewald, hier ist ein Gruss der ewigen Liebe zu deiner Stärkung!" Da waren
auf einmal alle in schöne blaue Kleider gehüllt, die die Arme freiliessen, auch
das Aussehen war das eines Gesunden.
So eine Freude, so ein Jubel; mit Singen ging es heimwärts. Unterwegs trafen sie
Mutter Anna und Vater Hendrick.
„Kommt mit uns", sagte Hanny schlicht, „es ist uns soviel Schönes gegeben, dass
ihr alles erfahren sollt."
Im Hause gab es wieder ein Staunen, die Treppe zum Oberstock war viel breiter
und aus weissem Marmor, dabei weich, als wenn es Teppiche wären; im Saale aber
war es wie unten, alle Wände waren mit grossen Fenstern versehen, so dass man
die grossen Gärten sehen konnte. Die Tische waren in Kreuzform gerichtet und
Blumen in Mengen von Schalen und Vasen standen darauf. An einem Kopfende war
eine Schale mit Gläsern.
Als nun alle die Herrlichkeiten anschauten, wobei Ausrufe des grössten
Entzückens laut wurden, bemerkte Dora die Schale mit den Gläsern.
„Ach schau, Schwester Hanny, meine Musikgläser: Darf ich damit spielen?"
Dabei griff sie auch schon nach den Stäbchen und berührte die Gläser damit.
Es gab einen wunderbaren Klang, dann aber spielte Dora ein Lied (Hymne aus
Cavalleria Rusticana von Mascagni), so fein, so zart, niemand rührte sich von
der Stelle, so ruhig wurde es, bis sie geendet hatte. Da drängten alle hin und
wollten zusehen, aber Anna sagte:
„Kinder, es gehört euch allen, Dora ist eure Meisterin, sie wird euch manches
Schöne bieten; doch Kinder bedenkt, es soll nicht Zeitvertreib sein, sondern
Erbauung. In der heutigen Stunde wurde euch der Lohn Gerettete zu sein, die
ewige Liebe schmückte euer Heim, Sie schmückte euch mit hellen Kleidern und hat
euch den anderen gleichgestellt; aber nun gilt es, nicht nur Gerettete zu sein,
sondern auch Retter zu werden. Ihr sahet bei Bruder Friedewald Arme und fast
Verlorene. Es ist ein übergrosses Mass von Liebe, Geduld und Ausdauer nötig, um
auch sie vergessen zu machen die Erde, die mit ihrem Weltgeist den Stempel so
furchtbar aufgedrückt hat. Gerade wie ihr im tiefsten Elend standet, aber nun
mit hellen Augen eure Erlösung schauet durch Jesum unseren Herrn, so sollen auch
alle die Gnade erleben und gerettet werden mit eurer Beihilfe, auf die der Herr
Jesus, unser aller Heiland und Vater, rechnet. Ihr wollet doch Seine Kinder
sein?"
Sie versprachen es und wollten ganz dem Herrn zu Willen sein. „Dann kommt auch
bald zu mir und zu Vater Hendrick! Nun soll euer Sein und Leben in und durch den
Herrn sich entwickeln zu eurem und der anderen Heil."
Ein ganz anderes Leben entwickelte sich nun im Haus und Garten der Hanny. Von
oben bis unten gar kein Unterschied mehr, nur eines war noch kein Gemeingut:
dass der Gärtner ihr ewiger Gott und Vater war. Gemeinsam wurde nun alle Arbeit
gemacht und auch gemeinsam alle Ruhe unternommen; es war direkt wunderbar, was
alles offenbar wurde durch den Geist.
In einer solchen Ruhepause kam unerwartet der Herr, für die meisten noch der
Doktor. Im Nu wurde das Schönste und Beste aus dem Garten gebracht. Der Tisch,
an dem Er Platz genommen hatte, glich einem Märchen von Blumen. Die Pfleglinge,
die da immer noch der Meinung waren, ihre Gesundheit danken sie dem Doktor,
hätten gern noch mehr ihre Dankbarkeit ausgedrückt, Aber Er sagte:
„Kinder, liebet Mich und alle die zu euch kommen, gleich welchen Standes und
seien es die Verirrtesten; alle, alle brauchen einen Erlöser und Retter. Nicht
hinwegwerfen sollt ihr eure Liebe, sondern ein Duft von wahrer Glückseligkeit
soll von euch ausgehen, der alles Böse und Schlechte entkräftet und alles
Falsche und Verkehrte zur Besserung bringt. Diese Liebe ist Mein Leben, und in
solcher Liebe möchte Ich in und unter euch leben, dann lebet ihr auch in Mir. Da
ging Dora hin und sagte:
„Guter, guter Doktor, Du lebst schon lange in uns, denn Du bist unsere stille
Liebe, oft schwärmen wir von Dir, mit Ausnahmen von Hanny und Liesa, denn für
die bist Du der gute Heiland Jesus. Ja, Hanny und Liesa, da staunt ihr, dass wir
das wissen, aber deswegen lieben wir euch auch so unendlich viel, dass uns
nichts mehr trennen könnte. Aber nun möchte ich Dich bitten, lieber Doktor,
verrate uns Deinen Namen, alle nennst Du uns bei unseren Namen, bist zu allen
gleich gut, und wir wissen nur, dass Du der gute Doktor bist."
„Ja, Meine liebe Dora, mit Meinem Namen ist es so eine Sache, alle, die Mich
richtig erkannt haben, können denselben richtig aussprechen, alle anderen aber
nicht. Wir sind im grossen, grossen Geisterreich; für ewig wird es nie ein Ende
nehmen. Was nur mit dem Munde nach dem Verstande ausgesprochen wird, gleicht
einer grossen Lüge, was aber aus dem Herzen kommt und über die Lippen fliesst,
ist Wahrheit und Leben, je nach dem Herzensstandpunkt.
Darum soll Mein Name keine Lüge, sondern Wahrheit und Leben sein. Alles Leben
aber kommt von dem ewigen Urleben aus Gott, welcher ewig ist. Sonach ist Gott
und Leben eins, wie Liebe und Leben auch eins ist. Hast du Mich verstanden,
Dora?"
„Jetzt habe ich Dich verstanden, darf ich Dir eine Antwort mit meinen
Musikgläsern geben? Du lächelst, also ja."
Nun setzte sich Dora an ihre Gläser, spielte und sang:
Machet hoch die Tür und weit das Tor,
dass einziehen kann im Jubelchor der König aller Könige.
Wer aber ist es der da König ist
und Dessen Herz voll Liebe ist, der Heiland aller Heilande.
So ziehe ein in unser Herz
und führ uns alle himmelwärts als Deine Kinder,
Du Vater aller Väter.
Da stand der Vater auf und sprach: „Dora, dies ist die rechte Antwort, die aus
deinem Herzen kam, seid ihr nun alle mit der Antwort zufrieden?"
Was nun folgte, war nicht zu beschreiben, ein Freudensturm, der nicht abebben
wollte, da sagte der Vater:
„Kindlein, habt ihr Mich nun endlich erkannt? Wie oft weilte Ich mit wundem
Herzen bei euch, um euch ganz für Mich zu gewinnen. Nur Meiner Liebe ist dieses
möglich, die Ich nur allein zu geben vermag. Nun ihr endlich Mich in euch
aufgenommen habt, habt ihr auch Meine Liebe aufgenommen, und ihr werdet nun erst
selig sein. Dass Hanna und Liesa Mich nicht verrieten, war Mein Wunsch, da Ich
ganz frei erkannt und geliebt sein will.
Nun höret weiter, Meine Kindlein, endlich seid ihr ganz dem Weltgeist entronnen,
aber noch nicht ganz frei von ihm; darum übet euch recht in der Liebe, wachset
im Glauben und in der Demut, dann kann Mein Geist in euch das Erlösungswerk
vollenden und euch zubereiten zum Dienst in Meinem Geiste.
Unter den Menschen der Erde, die da gleich Tieren hausen und sich gegenseitig
vernichten, ist Meine Liebe nur noch ein matter Schimmer, und ihre Rettung steht
auf schwachen Füssen, was soll mit denen werden, so sie in die Ewigkeit
ankommen? Ich kann sie nicht empfangen; Meine Engel werden sie nicht verstehen,
da ihr Leben auf das ewige Gesetz gegründet ist, darum bleiben Meine Kinder für
das verantwortliche Werk nur noch übrig - deren Zahl aber nicht gross ist, um
die Millionen verirrter und verlorener Menschenkinder heimzuführen in das ewige
Vaterhaus. Könntet ihr auf die Seligkeit, mit Mir zu leben, verzichten und euch
entschliessen wie Hanna und Liesa, sich gern dem Heil- und Rettungswerk zu
widmen?"
Da sagte Dora: „Vater, darf ich Dir die Antwort mit den Gläsern geben? Du
lächelst!" Da spielte sie und sang:
O Jesus, mein Vater, mein Leben bist Du,
ein Leben voller Wonne und Glück.
O Jesus, mein Heiland, mein Streben bist Du,
ein Streben voller Eifer und rechtem Geschick.
O Jesus, mein Vater, Dein sei mein Herz
und Dein meine Liebe in mir.
O nimm mich und führe mich ein in Dein Herz
von nun an gehöre ich nur Dir, nur Dir.
Nimm meine Liebe, sie ist ja nun Dein, ja ewig Dein,
denn ich bin ja für ewig ganz Dein Kindelein,
ganz und für ewig Dein Kindelein. Amen.
„Ist dies auch eure Antwort, Meine Kinder? Ja, Ich lese sie auf eurem
Herzensgrund geschrieben, nun will Ich euch auch beglücken, weil ihr Mir solche
grosse Freude gemacht habt."
Durch die weit geöffnete Türe kamen zwei herrliche Engel in strahlenden
Kleidern, der eine brachte einen Krug und einen Kelch, der andere ein Tablett
mit weissem Brot, vor dem Herrn stellten sie alles hin, dann gingen sie an den
Wandschrank und entnahmen Gläser. Sie stellten vor jeden Stuhl ein Glas,
verneigten sich und stellten sich wieder an die Türe.
Da sagte der Herr: „Kommt, Kindlein, setzet euch in rechter Ordnung, Ich will
mit euch das Mahl der Liebe halten; kommt, Meine Getreuen, teilet aus das Brot
und den Wein, Ich will Mich heute sättigen am Kindertische, damit sie ausreifen
für den ewigen Vatertisch."
Nach dem Austeilen des Brotes und des Weines blieben die Engel hinter dem Herrn
stehen, dann sagte der Herr:
„Nehmet und esset, Meine geliebten Kinder, stärket euch an diesen Gaben, damit
dieselben eure Liebe, euren Mut stärken, damit ihr nicht schwach werdet im
heiligsten Werk Meiner Erbarmung." War das ein Brot und ein Wein! Alles bisher
Genossene war ein Schatten gegen dieses Brot und das Wunderbare, es wurde nicht
alle, es blieb immer das gleich grosse Stück. Nur die Gläser wurden leer, die
aber von dem Krug nachgefüllt wurden, der auch nicht leer wurde. So blieben sie
lange sitzen und hörten mit heiliger Andacht den sanften und liebevollen Worten
ihres heiligen Vaters zu. Nun sagte Er: „Kindlein, äusserlich trenne Ich Mich
von euch, innerlich bleiben wir Eins. Ihr, Hanna und Liesa, verkörpert ganz
Meine Liebe und Mein Leben, ihr anderen aber verkörpert von nun an Brot und Wein
zur Rettung aller. So kommt an Meine Brust und empfanget den Lohn Meiner
Vaterliebe!"
Da waren alle angetan mit weissen Kleidern, wie Hanny und Liesa schon trugen,
und selig empfingen sie die grösste Wohltat ihres Lebens, sie durften empfangen
das Leben an der Brust des heiligen Vaters. So ging unter seligem Weinen der
Vater von Seinen Erlösten. Die Engel verneigten sich tief vor den Kindern. Der
Krug und der Kelch sowie das Tablett war als bleibende Erinnerung geblieben.
Leben in der Liebe
Ein ganz, ganz neues Leben begann. Die Pflege des Gartens war die Hauptsache, um
immer und immer wieder Früchte und Blumen zu haben für die, die in ihrer Welt
beheimatet waren. Es löste unendliche Wonnen aus, wo sie nur Einkehr hielten.
Ihrer Liebe war alles möglich. Wenn aber Hanny von dem Heilande sprach, da
entzündeten sich die Herzen und die Sehnsucht wurde immer grösser, auch einmal
Den zu schauen, der für sie so überreich sorgte. Dieses war der Zweck der vielen
Besuche, die die Erlösten machten. Nach jeder Rückkehr wurde eine stille Ruhe,
um immer mehr ihre Innenwelt für die Liebe zu weihen, die das ewige Leben ist.
Bei einer solchen Weihestunde kam ein herrlicher Bruder und Hannys Grossmutter.
Ein Strahl von Liebe und Seligkeit ging von beiden aus, als sie ihren Saal
betraten und den Segen über sie sprachen.
Hanny erkannte sofort ihre Grossmutter und sprach:
„Nun ist unsere Freude gross! Seid recht herzlich willkommen im Geiste des
liebenden Vaters und nehmet Platz, bleibet bei uns eine ganze Zeit."
„Gern tun wir es, meine Hanna, auch meine Freude ist vollkommen, da ich dich im
Vaterhause geborgen weiss. Hast du alles Leid überwunden? Möchtest du gern
heimkehren in die Welt, von der du ausgegangen bist?" „Meine Mutter, hier ist
meine Welt, stündlich erwarte ich Arme und Kranke, die unserer Liebe und Pflege
bedürfen, hier darf ich schaffen, hier wo der heilige Vater Selbst in
hingebender Liebe und Geduld wirkte und bewirkte, dass alle meine Schwestern nun
Erlöste sind. Es wäre ein schlechter Dank, so ich nach Seligkeiten strebte, die
keine Seligkeiten sind, sondern nur Herrlichkeiten."
„Meine Johanna, ich danke dir für deine Hingabe an das Werk des heiligen Vaters,
wir sind nicht gekommen, um euch von hier fortzuholen, sondern um euch noch
tiefer hineinzuführen in das grosse Leben aus Gott unserem Herrn und heiligen
Vater. Nun möchte dieser Bruder in seiner Liebe euch dienen."
(Bodelschwingh) Er spricht:
„Geliebte Schwestern im Herrn, unserem geliebten Vater, unsere Freude ist Seine
Freude, unsere Seligkeit Seine Seligkeit und Seine Liebe unser Leben; alle, die
wir im heiligen Streben nur Diener und Priester Seiner Liebe sind, erfahren auch
die Kraft Seiner Liebe. Wie arm ist die grosse Welt ohne diese Seine Liebe, wie
gering alles Leid gegen das, was das Leben aus Ihm gibt. Ihr alle waret als
Menschen zu beklagen, wie wenig hat man euch auf den Zweck eures Lebens
aufmerksam gemacht und warum? weil der Sinn alles Lebens erst offenbar wird,
wenn man das Leben richtig erkennt. Auch ich hatte in meinem Erdenleben nur eine
Aufgabe, für die Armen, den Ärmsten und den Elendsten der Elenden eine Heimat zu
schaffen, die alles Leid und Elend mildern und vergessen machen soll. Es gelang
freilich nicht immer, weil noch zuviel das Menschliche uns beherrschte. Nun
komme ich auf den Zweck meines Besuches bei euch.
An euren Augen sehe ich den Glanz von Freude und von euren Herzen geht eine
Wonne aus, die aus Liebe das Grösste schaffen möchte, aber gemach, meine lieben
Schwestern, eure Liebe ist noch Dankbarkeit, und diese eure Dankbarkeit muss
einem neuen Leben Platz machen in euch. Der herrliche Vater, dessen Liebe ihr
besitzet, möchte nicht eure Dankbarkeit, sondern euch ganz. Alles, was in euch
lebt, ist noch nicht ganz Sein Eigentum geworden. Erschrecket nicht darum, weil
ich es euch sage, sondern freuet euch, damit auch das Beste vom Besten zum
Besten werde. In allen Belehrungen von Engeln und Dienern Seiner Macht und
Herrlichkeit wird euch ein Weg geebnet, der euch ganz zu Dienern Seiner Liebe
machen soll. Aber wenn alles in euch zur lebendigen Liebe wird, dann habt ihr
Sein Licht in euch aufgenommen. Gerade in Seinem Lichte wird alles offenbar.
Vollkommen sollt ihr werden, wie unser geliebter Vater und Heiland vollkommen
ist. Eure Sehnsucht ist der beste Beweis des Unvollkommenen in euch, die
Erfüllung aber ist nicht das Vollkommene, sondern nur ein Ausruhen, ein Stärken
für die Erreichung des vollkommenen Lebens. Wie waret ihr selig, als der Herr,
unser geliebter Vater, unter euch weilte und euch allen diente, eure Heimat
wurde zum Himmel. Ihr fraget euch oft, warum ist wohl der Herr, unser guter
Vater, nicht immer bei uns, und neue Sehnsucht drängt zur Erfüllung, bei Ihm zu
sein; aber Er, der eure Sehnsucht kennt, hat auch ein Sehnen nach Seinen
geliebten Kindern. Habt ihr schon einmal gefragt, wie könnten wir die Sehnsucht
des Vaters stillen? Was euch kein Diener oder Engel sagen könnte, kann ein von
Seiner Liebe durchdrungenes Kind. Es will ganz den Vater ersetzen, niemand soll
oder darf Ihn vermissen. Wer Sein Kind hört, wird auch den Vater hören, wer ganz
in Seinem Heilandsleben ersteht, wird auch den Heiland ersetzen können. Im
rechten Heilandsgeist wird das Leben des heiligen Vaters offenbar, und Er
Selbst, als das Leben alles Lebens, als die Liebe der Liebe wird immer wohnen in
ihrem Heim, in ihren Herzen. Das ganze All ist voll der herrlichsten
Schöpfungen, aber Kinder, die nur aus, in und durch Ihn leben, gibt es sehr
wenige. Aufgaben, die nur durch Seine Macht und Kraft erfüllt werden, erfreuen
Ihn; aber so ein Kind, und sei es noch so gering, in Seinem herrlichen
Heilandsgeiste nur einen einzigen Bruder oder Schwester an Seine heilige Brust
legen kann, macht Ihn zum glücklichsten aller Väter.
Sehet, meine geliebten Schwestern, diese Liebe ist und soll nicht ein Danken
sein, sondern Leben, heiliges Leben, wie es vom Kreuz von Golgatha herab sich
senkte, ganz tief in die Brust des Menschen, um aufzuerstehen als der Sohn
Gottes, der nur eine Liebe hat, die Seines Vaters, und der nur noch einen Geist
in sich trägt, den, der von beiden ausgeht, um die ewige und urewige
Göttlichkeit zu beweisen, die sich aber nur offenbaren kann nach dem Stand der
Kindlein. Dieses hätte ich euch zu sagen. Mein Vater in mir spricht:
,Kindlein, Kindlein, alles, was noch lebt in euch, lasset es Liebe werden.
Grosse Aufgaben hat Meine Liebe euch zugedacht, weil auf der Erde alles erstarrt
in Finsternis und Nacht. Gross wird die Not, die Kälte, Angst und Pein, ihr aber
sollet als Meine Kinder und Helfer ihre Erlöser sein. Amen. Amen. Amen.'"
Lange noch schwiegen alle, da sagte Hanny:
„Geliebte, eure Worte drangen tief in mein Herz und offenbarten mir wieder eine
neue Liebe des Herrn. Aber nun möchten wir euch erfreuen mit einem Trunk des
Liebeweines, den uns der heilige Vater schenkte und den wir nur denen reichen,
die uns mit dem heiligen Vater noch näher bekannt machen. So wollen wir den
Anfang machen und eure Worte betrachten als Seine Worte und eure Liebe als des
heiligen Vaters Liebe."
Spricht der Bruder: „Johanna, jetzt erstehest du in Seinem Geist, lasse dich
immer tragen von diesem Seinem Heilandsleben, dann wird deine kommende Aufgabe
dir unendliche Wonnen bereiten."
Noch lange weilten die beiden unter ihnen, besahen ihre Gärten und ihre Arbeiten
und weit bis an die Grenzen gaben alle das Geleit. Dann zogen sie heimwärts als
die Glücklichsten aller Glücklichen. Der ganze Saal war zu einer Feier
zusammengekommen, denn liebe Freunde waren zu Besuch gekommen, es herrschte eine
Freude, wie sie auf Erden nie sein kann.
Der Höhepunkt der Feier aber war der, dass der heilige Vater Selbst kam und
allen auf das lieblichste dankte für die Liebe, die den Kranken und Verlorenen
galt.
Der heilige Vater inmitten Seiner Kinder sagte:
„Kindlein, eure Fröhlichkeit tut Meinem Herzen wohl, ihr habt sie verdient, denn
leicht war die Arbeit nicht, die ihr an den Armen und Kranken geleistet habt.
Wer aus euch entbunden sein will von diesem harten Dienst, den entbinde Ich
sofort und will ihm eine Wonne bereiten, aller Himmel würdig."
Spricht Johanna:
„Vater, ich möchte hierbleiben und ganz in Deinem Sinne die Sehnsucht erfüllen
helfen, die in den Armen und Kranken so lebendig lebt. Hier ist meine Heimat, wo
ich durch Deine Gnade und Liebe und durch Deine Kraft und Beihilfe glückliche
und gesunde Schwestern Dir zur Freude heranbilden durfte. Nur um eines bitte ich
Dich, lieber Vater, komme öfter, unsere Herzen verlangen nach Dir, Deine
persönliche Gegenwart ist unsere grösste Seligkeit."
„Siehe, Johanna, deine Worte sind Mir teuer, weil sie aus deiner Liebe kommen.
Da du aber in Meinem Dienst verbleiben willst, will Ich dir zwei Boten senden,
die dich und Liesa zu Verirrten führen, damit ihr noch eine grössere Festigkeit
erreicht. Ich könnte dich gleich einem Raphael stark machen, es würde aber deine
Freude schmälern. Ich könnte dich ausrüsten mit Weisheit und Kraft, du würdest
aber an Liebe verlieren! - - So lasse Ich dich, wie du bist, und Ich weiss, du
wirst in Meinem Erlösergeist verbleiben."
„Ach, mein Vater, wie gut bist Du, könnte ich Dich noch inniger lieben! Ja,
schicke mir die Boten, aber lieber Vater, warum soll nur Liesa und nicht die
drei anderen mitkommen? Sie lieben Dich vielleicht mehr als ich und sind in
ihrem Eifer auch nicht weniger denn ich."
„Johanna, jetzt noch nicht, ihre Liebe, ihr Eifer ist gross, aber Mein Vaterauge
sieht mehr denn du, es mag bei Meinen Worten verbleiben um deiner selbst willen.
Siehe, Mein Kind, gross ist die Schar um dich, die in wirklicher Seligkeit lebt,
aber es sind Schwestern, und die Zahl der wirklichen Helfer ist gering."
„O mein guter Vater, dann gib mir die Gnade, für die irrenden Brüder tätig zu
sein, denn, lieber Vater, im Grunde bist Du es ja Selbst, der alles wirkt und
schafft. O erfülle mich ganz mit Deinem Geiste, aber nicht böse sein, lieber
Vater, Du nimmst doch das Mahl mit uns ein, nicht wie das letztemal, wo Du uns
so reich beglücktest und dann warst Du verschwunden."
„Gern bleibe Ich, Meine Johanna, lasse nur das Mahl richten, damit ihr aber
nicht in Verlegenheit kommt, soll alles schon bereit sein."
Es war auch so, in denkbar kürzester Zeit sassen alle an der Festtafel. Dora
spielte ein Lied mit ihren Gläsern, allen war es, als wenn die Töne noch viel
herrlicher klängen.
Schon segnet der Vater die Speisen, Brot und Wein und herrliche Früchte, dann
spricht Er:
„Kindlein, nehmet auf in euer Allerinnerstes ein jedes Wort, das Ich euch in
dieser Stunde sage, dieses Mahl ist wiederum ein Liebesmahl, das euch stärken
und froher machen soll. Denkt nicht, wir sind selig, weil alles Leid in Freude
und aller Kummer in Frohheit verwandelt ist durch Meine Gnade. Eure Seligkeit
ist noch eine geringe, es gibt noch tausendmal grössere, aber ihr würdet sie
auch nicht ertragen können. Zu eurer grössten Freude aber sage Ich euch:
Ich bin gern unter euch, und Mein Herz ist übervoll von Freude! Vergesset eure
Pfleglinge nicht, denn gar viele erwarten euch mit Sehnsucht, ihr wisst, wie
bitter es ist, ohne Liebe und ohne Freude dahinleben zu müssen. Wie ihr grössere
Seligkeiten noch nicht ertragen könnet, ebenso könnt ihr auch keine höllischen
Zustände ertragen. Darum stärket euch, damit ihr mit grösseren Aufgaben betraut
werden könnt. Der Feind hält grosse Ernte. Alle glauben, weil Ich so geduldig
und langmütig bin, Ich sei nicht mehr; aber bitter und überaus schmerzlich wird
das Erwachen sein. Ihr kennet Mich als Liebe, als Vater und Heiland, aber jene
werden Mich als Gott und als Richter anerkennen müssen, und dieses lindert ihre
Qualen nicht. Eure Aufgaben habt ihr gut erfüllen können, denn nur solchen galt
ja eure Liebe, die Erlösung ersehnten. Werdet ihr auch solche liebend umgeben
können, die Mich nicht lieben, die Mich hassen? Ihr brauchet Mir keine Antwort
zu geben, denn auf dem Grund eurer Seele kann Ich die Antwort lesen. Darum
schauet gern in euer Inneres - ob alles, auch das Geheimste, von Meinem
Heilandsgeiste belebt ist. Wenn eure Liebe der Meinen gleichen wird, dann sind
euch alle Tore offen und es fliessen euch viel mehr Kräfte zu, doch nicht aus
Meiner Macht, sondern aus eurer eigenen Liebe. Sonnet euch in Meiner Liebe und
in Meinem Lichte, damit ihr bestrahlen könnet die Irrenden, wachset noch mehr in
Meinem Geiste, damit ihr helfen könnet, wo der Untergang droht. Mein Segen aber
verbleibe euch, damit ihr alle zum Segen werdet für die anderen."
Nach irdischen Verhältnissen blieb der Herr drei Tage unter ihnen, dann sagte
Er:
„Kindlein, jetzt trenne Ich Mich äusserlich von euch, innerlich kann Ich Mich
nicht von euch trennen, aber von nun an sollet ihr jederzeit euch in euren
Herzen mit Mir besprechen können; denn grössere Aufgaben bedingen auch grössere
Weisheit, grössere Vorsicht und Klugheit und vor allem grössere Sicherheit.
Alles sollt ihr euch aneignen, denn Ich schenke es euch nicht aufs Neue, sondern
weise nur darauf hin, dass dies längst in euch liegt. So kommt nochmals an Meine
Brust und lasset euch umarmen, damit es euch zur Stärkung gereiche für euren
Dienst an Meinem und nun auch eurem Werke."
Bei den Verirrten
Alle begleiteten den heiligen Vater bis an das Tor, dann kehrten sie aufs
höchste beglückt bei Mutter Anna ein, die ihre Schwestern mit himmlischer Freude
begrüsste.
Es gab so vieles zu erzählen von neu Angekommenen, die durch harte Schrecken
gehen mussten und nun endlich ein Heimat fanden.
Da meldeten sich zwei herrliche Engel bei Anna, um Liesa und Hanny zu holen.
Anna war beglückt, den beiden einen besonderen Segen geben zu können und sagte:
„Von hier aus, wo euer Eingang erfolgte, dürft ihr unter sicherem Schutz in die
Welt des Lebensfeindes ziehen, um die Not der Armen und Verlorenen
kennenzulernen, um den Geist zu erleben, der alle Wege verrammte, auf dass euch
nichts fremd bleibe. So ziehet hin, unsere Liebe begleitet euch auf eurem Wege!
Ihr aber, ihr herrlichen Brüder, stärket euch mit einem Trunk von dem Wein, den
diese Kinder mit ihrer Liebe kelterten um des grossen Werkes willen."
Nach dem Trunk sagte der eine Engel:
„Ihr Schwestern, unsere Herzen sind voll Freude, euch dienen zu dürfen. Es ist
uns grösste Wonne, unter denen zu weilen, die der heilige Gott und Vater zuvor
noch umarmte, aber bleiben dürfen wir nicht, denn unser Wille ist das ewige
Gesetz der heiligen Ordnung. Wir sind Vollzieher des ewigen Gotteswillens und
dürfen nicht abweichen um der Ordnung willen. Nach der Rückkehr dürfen wir eine
kleine Zeit bei euch verweilen, doch jetzt gilt es, den Willen des Herrn zu
vollziehen."
Ein kurzer Abschied, dann gingen Johanna und Liesa mit den beiden durch das Tor
und blieben bald den Zurückbleibenden unsichtbar. In allerkürzester Zeit
gelangten die Vier in eine Millionenstadt; der Anblick war von weitem schaurig,
aber der Engel sagte:
„Fürchtet euch nicht, erschrecket über nichts. Was ihr hören und sehen werdet
ist Eigentum des Lebensfeindes, der uns gegenüber machtlos ist. Einen neuen
Abschnitt eures Lebens beginnet ihr. Ihr seid berufen, grössere Aufgaben zu
erfüllen, darum lässt euch die ewige Liebe Zustände erleben, von denen ihr keine
Ahnung habt. Bis jetzt galt eure Liebe den Armen, Kranken und Verirrten, die
ohne jede Schuld in ihr trauriges Dasein kamen, jetzt aber kommen wir zu
Verlorenen und Verblendeten, die durch eigene Schuld in ihr Elend kamen und noch
gar nicht wissen, wie elend sie sind.
Die Aufgaben, die zu erfüllen sind, sind aber deswegen viel härter, weil wir
mitten im Bereich des Lebensfeindes uns befinden, durch die Macht und Gnade
Gottes aber sind wir unüberwindlich. So wollen wir im Namen des Herrn uns dieser
Stadt nähern, doch zuvor wollen wir uns mit diesen Mänteln umhüllen."
Alles ihres Glanzes beraubt, mit ernstem Gesicht nahen sie sich mit langsamen
Schritten einigen brennenden Häusern, wo Menschen bemüht waren, das Feuer zu
löschen. Es waren ihrer wenige, da die Menge der Menschen sich in ihren Kellern
befanden. Der Engel sprach:
„Unsere Blicke sollen weniger den Menschen gelten. Da wir Bewohner der geistigen
Welt sind, gilt auch unsere Arbeit den Seelen, die ihres Fleisches ledig sind,
aber kaum wissen, dass sie nicht mehr Mensch sind. Haltet euch fest an uns, wir
treten jetzt in die Sphäre der Erschlagenen."
Düster und grau ist alles um sie. Als sich die Augen an das Dunkel gewöhnt
haben, sehen sie viele Gestalten, die sich bemühten, aus den Trümmern etwas zu
retten. Grosse Flüche, laute Schreie stossen sie aus, während andere stumm in
Schmerzen ausharren.
Johanna spricht leise zu dem Engel: „Können wir den armen Menschen nicht helfen?
Sie müssen doch furchtbare Schmerzen ausstehen."
„Noch nicht, liebes Schwesterlein, für unsere Hilfe ist die Zeit noch fern,
beachte nur alles um dich und fürchte dich nicht, noch werden wir weder gesehen
noch gehört. Diese wissen noch nicht, dass sie gestorben sind, ihre Leiber
liegen noch unter den Trümmern.
Jetzt sind einige von den Trümmern befreit, da brüllen sie nach den anderen,
diese brüllen auch, aber nach Hilfe. Schreit einer: „Seht nur, wie ihr loskommt,
ich muss erst einmal sehen, dass ich überhaupt herauskomme, ich habe brennenden
Durst und Hunger, es war eine Torheit, nichts in den Keller mitzunehmen." Einige
waren ganz frei, da sagte einer:
„Wo nur die anderen bleiben, uns aus den Trümmern zu befreien? Da sehen Sie
wieder, da haben wir organisiert und immer bezahlt, jetzt wo wir Hilfe brauchen,
sehen wir niemand. Wie lange müssen wir denn eigentlich schon hier unten
stecken? Meinem Hunger nach mindestens drei Tage, wie haben wir geschuftet!"
„Sie haben recht, Herr Nachbar, aber nun heraus aus der Luft, es riecht wirklich
wie im Grabe, ich hatte schon Angst, gestorben zu sein."
„Ich auch, aber haben Sie nicht ein Feuerzeug oder eine Lampe bei sich? Wenn es
nur nicht so dunkel wäre, man kann sich nicht erkennen. Nehmen wir uns bei der
Hand, wir wollen den Ausgang suchen, es muss sich doch ein Ausweg finden."
Sie stürzen über Trümmer und klettern über Schutt und Asche, aber einen Ausweg
finden sie nicht. Nun stossen auch noch andere, die sich befreien konnten, zu
ihnen, aber Freude hatten sie keine.
Einer sagt: „Eine schöne Bescherung, wir sitzen in der Falle, wir kommen hier
nicht heraus. Man muss doch wissen, dass wir noch in unserem Keller sind! Wenn
der Hunger noch grösser wird, kann es ja nett werden!"
„Malen Sie den Teufel doch nicht an die Wand, man wird uns schon vermissen, bis
jetzt wurden alle Verschütteten befreit, wir müssen eben warten." Sie warten,
aber nach einer kleinen Weile spricht einer: „Teufel nochmal, seit Stunden
sitzen wir hier, aber nicht das Geringste ist zu vernehmen, dass man uns sucht,
es ist rein zum Verzweifeln; hat keiner etwas zu essen bei sich, der Hunger ist
bald nicht mehr zu ertragen!"
„Es muss doch etwas geschehen."
„Was soll geschehen? Nichts! Wir verrecken hier wie lebendig Begrabene, denn
mindestens eine Woche stecken wir schon hier unten. Es soll mir nur noch einer
kommen, etwas zu spenden, dem will ich aber heimleuchten; erst bauen wir unsere
Häuser, rühmen uns unserer sozialen Einrichtungen, rüsten auf zu einem Krieg
mit unserem Geld und sitzen zum Schluss gefangen wie eine Maus in der Falle."
„Schweigen Sie doch endlich, mit Meckern wird es kaum anders, der Führer hat
alles bestens organisiert, man wird uns befreien."
Endlich haben sich alle befreit und sind beisammen. Statt sich zu trösten, fragt
einer: „Wo ist meine Frau, meine Kinder, hat sie jemand bemerkt?" Er ruft, aber
keine Antwort. Die anderen rufen auch nach ihren Angehörigen, aber nichts regt
sich. Sagt einer:
„Es ist nicht zu verstehen, wir müssen suchen und sie finden, es ist doch nicht
möglich, in einem Keller zu sein und sich verlieren. Bald ist der Raum
abgesucht, abgetastet; nichts finden sie, da sagt einer: „Das ist unheimlich,
gerade zum Verrücktwerden, man kann uns doch nicht vergessen haben, wir müssen
einen Ausweg finden."
Wieder suchen sie, endlich finden sie einen Riss in der Wand, wo sich einige
Steine herausnehmen lassen. Fieberhaft arbeiten sie, endlich mit der
allergrössten Mühe haben sie ein Loch durch die Wand, dass sie durchschlüpfen
können und finden wiederum nichts anderes als Trümmer. Es ist noch finsterer
geworden, die Aussicht herauszukommen, ist gering. Sie kauern zusammen, fluchen
und verfluchen sich und die anderen, da spricht einer:
„Bereiten wir uns vor auf unser letztes Stündlein, denn nur der Tod kann uns aus
dieser Not erlösen."
„Ich will aber noch nicht sterben, jetzt wo ich ein schönes Dasein habe, rede
mir keiner vom Sterben."
„Nun gut, reden wir vom Leben, aber davon werden wir nicht befreit, wir müssen
raus aus diesem Loch, aber wie? Sorgen Sie doch dafür, Sie Lebensheld. Was
verliere ich schon mit meinem Leben, es hat ja kaum gelohnt, freilich, wer wie
Sie immer gute Tage hatte, möchte gern sein Leben behalten."
„Schweigen Sie doch bitte mit ihren Bemerkungen, es ist halt ein Unglück, man
wird uns befreien."
„Ja, man wird uns befreien, aber wann? Wer weiss, wie viele es erwischt hat, wo
sind die Frauen, die Kinder, die Nachbarn? Vielleicht sind wir tot und leben
doch fort, wie man uns früher belehrte. Das wäre ein Unglück — tot und doch
lebendig, kaum auszudenken I"
„Wenn Sie doch den Mund halten würden, Sie Stänkerer! Ist es nicht genug, im
Finsteren zu sitzen und zu hungern?"
„Was, Stänkerer nennen Sie mich? Machen Sie, dass Sie fortkommen, oder es setzt
etwas ab, Sie eingebildeter Laffe, noch ein einziges Wort, und es schlägt ein."
Der Mann erhebt sich und stösst dabei einen anderen. Es kommt zu einer Rauferei
und bald ist ein Knäuel fertig. Ein Stein löst sich, dann rutscht der ganze
Trümmerhaufen mit den sich gegenseitig Schlagenden in die Tiefe. Lautes Schreien
und Brüllen übertönt den Krach, den die rutschende Masse von sich gibt, dann
wird es ruhig. Die Menschen sitzen in einem Steinbruch, suchen sich zurecht, wie
es geht und finden endlich einen festen Platz mit festem Boden. Etwas sicherer
geworden, gehen sie auf Suche. Es ist finstere Nacht, immer hören sie jammernde
Menschen, finden dieselben auch, eine Begrüssung findet nicht statt, nur die
Frage: „Habt ihr etwas zu essen?"
Es wird ungemütlich, hungernd und nun auch frierend irren sie in dem Steinbruch,
keiner vermag dem anderen zu sagen, wo sie sind. Es kommen immer noch mehr dazu,
so dass die Zahl schon eine grosse ist.
Einer ist dabei, der eine gute Stimme hat, er sagt: „Wie viele sind wir denn
eigentlich, es muss doch mit uns etwas geschehen sein, hat denn niemand eine
elektrische Lampe, um sich umzusehen?"
„Ja, hier ist eine Lampe, sie ist aber bald nieder, zur Not könnten wir ja den
Ausgang finden."
Die Lampe versagt schon beim ersten Aufblitzen, da flammt es hell auf, eine
Gestalt steht da und spricht:
„Gebt euch keine Mühe, diesem eurem Gefängnis zu entrinnen, ihr seid Gestorbene,
eure Leiber liegen unter den Trümmern eures grossen Hauses und harren der
Verwesung. Ich dürfte euch herausführen, wenn ihr bereit seid, euch zu demütigen
und alles das zu tun, was ich euch anrate, denn ich bin ein Bote des ewigen
Gottes."
Allgemeines Gelächter ertönt im Chor, dann spricht der Eine mit der lauten
Stimme: „Lass dich nicht auslachen, hast du noch mehr solche Witze auf Lager?"
„Wenn du es Witze nennst, so euch ein Weg zur Rettung gezeigt wird, so will ich
euch drei Worte zurufen: ,Jesus allein hilft'!"
Da wird das Gelächter noch grösser, aber die Gestalt ist schon nicht mehr da.
Der Sprecher verhöhnt noch den Verschwundenen.
Spricht einer: „War das recht, einen der uns helfen will, auszulachen und es als
Witz zu bezeichnen, so man sagt, wir seien Gestorbene? Jedenfalls haben wir eine
Dummheit begangen, wir haben keinen Ausgang finden können, dieser aber kam und
ging."
Eine Stille folgte diesen Worten, sie werden von einem Schrecken erfasst, der
unheimlich ist.
Der Engel spricht: „Was wir jetzt erlebt haben, war das Vorspiel, überlassen wir
dieselben ihrem Schrecken, in einigen Stunden wird sich das Bild ändern. Wir
werden eine andere Schar beobachten, die zu denen gehört."
Wieder ein Trümmerfeld von Asche und Schutt, viele Wesen mit verhungerten
Gesichtern kauern beisammen, da spricht einer:
„Wenn ich nur den Kerl erwischen könnte, der uns in dieses Sauleben brachte,
sein letztes Stündlein hätte geschlagen, es ist aber auch eine Gemeinheit uns zu
vergessen."
„Warum willst du nicht begreifen, wir seien gestorben", spricht ein anderer,
„denn dieser Zustand ist ein ganz trauriger. Ich bin der Meinung, wir lassen die
Sorge um unser irdisches Sein und versuchen zu beten, wie wir es als Kinder
getan haben."
„Wenn du nichts besseres weisst, dann sei recht hübsch ruhig, wir sind moderne
Menschen und brauchen keine Gebete, lasse also in Zukunft die Redereien."
Spricht ein anderer: „Was ist denn dieses für ein Ton, wenn man in Not ist, kann
jeder seinen Rat hören lassen, wenn Sie so modern sind, dann bitte auch etwas
anständiger sein."
Jetzt kommen viele, viele andere; die Zahl ist nicht zu nennen wegen der
Dunkelheit. Einer aber spricht:
„Endlich treffen wir jemanden, aber nun schnell, suchen wir etwas zu essen oder
zu trinken, um unseren Hunger und Durst zu stillen. Ehe die anderen etwas
erwidern konnten, haben sie auch das kleinste Fleckchen durchstöbert, aber
nichts gefunden, da werden sie grob und fluchen, während die anderen sich in
eine Ecke drängen und sich nicht getrauen, nur ein Wort zu sagen.
Wer ist denn hier alles beisammen, wir müssen es wissen, sind noch lebende
Menschen hier? Diese können wir nicht gebrauchen zu unserem Vorhaben."
„Hier sind Menschen", spricht der Moderne, „wir sind von Trümmern
eingeschlossen."
„Lass sehen, wer ihr seidl Ach seid ihr Helden, nennt euch Menschen und seid
doch nur Geister wie wir. Seid ihr denn noch nicht kuriert von eurem
Menschenwahn? Wo habt ihr denn euren Verstand gelassen, in eurem
Luftschutzkeller etwa? Da schaut her, viel über hundert sind wir und haben
bequem Platz. Wie gross war dein Keller, wo ist deine Bequemlichkeit, die du dir
schufst, wo sind deine Hausgenossen, du eingebildeter hochmoderner Mensch du, na
warte, bei uns wirst du Armut lernen und Büssen, weil du immer von oben herab
uns betrachtet hast; dich kenne ich schon lange und nun sollst du uns dummes
Volk kennenlernen!"
„Auf solche Rede gebe ich überhaupt gar keine Antwort ihr Grobiane, es ist
traurig, euer Menschentum zu verleugnen."
Ein grosses Gelächter erfolgt, dann sagt einer von den neuen:
„Es nützt alles nichts mehr, gebt euch ruhig den Gedanken hin, ihr seid
gestorben. Kein Mensch, kein Gott vermag euch zu helfen; hier ist sich jeder
selbst der Nächste. Wie lange habe ich schon nichts mehr gegessen und lebe immer
noch, es ist manchmal fürchterlich, dieser Hunger, noch fürchterlicher
diese Finsternis; der nächste Schritt kann schon den Abgrund bringen, da man
nichts sieht."
Deine Sprache ist viel vernünftiger, lieber Mann, aber glaubst du es wirklich,
dass es aus ist mit unserem Erdenleben? Ich darf gar nicht daran denken, da
bekomme ich den Schüttelfrost."
„Du musst es aber doch erleben, dass es so ist, gib auf alles acht, dann hast du
bald die Überzeugung."
Da kommt der frühere Schreier hin und brüllt: „Was habt ihr für Heimlichkeiten?
Nichts da! Im Geisterreich gibt es keine sogenannten Besseren, da sind alle
gleich; jetzt einmal heran, damit wir aus dem Loch herauskommen!"
Einige werden handgreiflich und ziehen die anderen hervor, diese wehren sich, es
kommt zu einer Schlägerei, wo sie sich die Kleider vom Leibe reissen.
Während dieser Schlägerei hat sich die graue Dunkelheit rötlich gefärbt, so dass
alles einen unheimlichen Eindruck macht.
Spricht Johanna: „Können wir den Armen nicht helfen? Sie leiden bestimmt grosse
Qualen in dieser Atmosphäre?"
„Noch nicht, liebe Tochter des Herrn, wir sind ja auch nicht zum Helfen hier,
sondern um die Entwicklung derer zu schauen, die nie einen Gott brauchten.
Später, wenn meine Mission beendet ist, kannst und darfst du nach deiner Liebe
wirken. Aber nun aufgepasst, jetzt wird es ernst.
Neue Scharen kommen. An ihren Gesichtern sieht man die Not, Entbehrung und Hass.
Das Geschrei hat sie angelockt, in ihren Händen tragen sie Keulen, die aber wie
Fackeln brennen und fürchterlichen Qualm verursachen. Es ist keineswegs heller
geworden, nur rötlicher. Sie stürzen sich auf die sich prügelnden und schlagen
mit ihren Keulen zu, so dass alle wie Erschlagene daliegen. Jeden Winkel
durchsuchen sie, finden aber nichts. Ihre Wut ist darum viel grösser geworden.
Jetzt regen sich die wie tot Daliegenden. Da packen sie fest zu, ziehen und
zerren sie aus ihrem Loch heraus und stürzen sie in ein tieferes und breiteres,
aus dem stinkender Qualm aufsteigt. Immer weiter geht die Suchaktion der
Wahnsinnigen, jetzt finden sie auch die anderen, die in ihren Trümmern auf Hilfe
hofften. „Endlich", spricht der eine, „seid ihr gekommen, um uns zu befreien!
Habt ihr etwas zu essen mitgebracht?"
„Zu essen? Ihr werdet euch wundern, wo wir selbst vor Hunger ausgebrannt sind,
aber nun heraus aus eurem Paradies, jetzt zahlen wir zurück, was ihr ein Leben
lang uns schuldetet."
Sie wehren sich, aber mit den brennenden Fackeln werden sie getrieben, ihrer
Kleidung beraubt und vorwärts gestossen, bis sie an dem Ort ihres Elends in die
Tiefe gestossen werden."
Spricht Johanna: „Es ist bald nicht mehr mit anzusehen, wenn ich das immer
ansehen müsste, ich würde an dem Gott der Liebe zweifeln müssen. Darf ich
fragen, warum sich Gott so still verhält? Wenn ich daran denke, mit wieviel Mühe
wir gewonnen wurden, warum bei denen nicht?" „O Tochter des Herrn, was du jetzt
erlebst, war wohl die Hölle, das weitaus Schlimmere kommt aber erst noch. Der
ewige Gott weiss um alles, aber um diese doch noch zu retten für das ewige
Leben, muss Er diese Entwicklung geschehen lassen; denn jene waren hartherzige
Menschen, ihr Bauch war ihr Himmel und ihr Geldbeutel ihr Gott. Die Bedrückten
üben in ihrer blinden Wut nur aus, was sich in ihrem Erdenleben als Hass
angesammelt hat."
„Was wird nun geschehen? Ihre Schreie gehen mir doch an das Herz. Als ich noch
in der Anstalt war, mussten wir auch manchmal manchen Schrei hinnehmen, aber es
waren Kranke."
„O Tochter des Herrn, auch diese sind Kranke, alles was wir hier erleben, ist
Läuterung. Wären sie noch Menschen geblieben, wie sie es nach aussen waren, wäre
ihre Schule eine viel leichtere gewesen. Überhaupt darf bei Kindern des Herrn
nie der Gedanke kommen, dass je welche verlorengehen könnten; denn der Herr, der
Selbst Sein Leben zur Errettung aller hingab, legt alles Vertrauen in die, die
Seinen Geist sich zu eigen gemacht haben und rüstet sie aus mit Kraft und Macht,
je nach ihrer Liebe. Darum habt nur Geduld zum Freuen, denn hinter einem jeden
Diener Seiner Liebe stehen viele Helfer. Nun verharren wir noch eine Weile, dann
beginnt ein neuer Akt. Seid weiterhin ruhig, des Herrn Wille ist unsere Stärke
und unser Schutz."
Nun schauen die vier ganz in der Nähe die vielen Unglücklichen. Was in ihren
Augen wie ein Abgrund aussah, war ein Schlammtümpel. Da die meisten ihrer
Kleider entblösst waren, klebte der schwarze Schlamm an ihrem Leibe und war
nicht abzuwischen, so sehr sie sich auch bemühten. Ihr Beginnen einsehend,
schauten sie sich um und trotz der Dunkelheit konnten sie sich nun doch
erkennen. Es waren ihrer viele, auch Frauen waren darunter.
„Wo sind wir nur hingeraten", fragt einer den anderen, „gibt es denn keinen
Ausweg?"
„Ich fürchte nein, denn nun bin ich mir bewusst, dass ich kein Mensch mehr bin,
sondern ein Verstorbener; denn ein derartiges Unglück kann als Mensch nicht
möglich sein. Erst ertönt die Sirene, wir gehen in die Keller, wir hören
Einschläge, dann ist auf einmal alles ruhig, das Licht ist aus und nun Elend
über Elend."
„Es ist unmöglich, dass wir Tote sind, wir reden, wir fühlen Hunger und Durst
und vor allem Schmerz; nicht nur an Armen und Beinen, die gesund erscheinen,
sondern an dem ganzen Leib, es ist ja kaum zu ertragen, wenn nur Hilfe käme!"
„Die haben wir uns verscherzt, uns ist nicht mehr zu helfen, denn die Hand, die
sich uns zur Rettung bot, haben wir zurückgewiesen, sie als Witz hingestellt und
lächerlich gemacht. Was nun freilich werden wird, ist ganz ungewiss."
„O Gott, o Gott, welches Elend, tot und doch lebendig, gesund und doch krank,
vor Kälte fast erstarrend und innen Fieber zum Verbrennen; wie lange wird dieses
wohl dauern."
„Ewig, fürchte ich, denn nun brauchen wir keine Beweise des Fortlebens nach dem
Tode mehr, denn wir leben ja und das Wie ist unser Zustand. Es handelt sich nun
darum, dass wir einig sind oder werden und uns einen Ausweg suchen. Die
Geisterwelt hat keine Schranken, es muss sich doch ein Weg aus dem Schlammloch
finden."
Die anderen, die diesen Diskurs hören, brechen in ein Lamentieren aus, so dass
kein Wort mehr zu verstehen war, da brüllt einer: „Ruhe, wir brauchen einen, der
für uns handelt und denkt, denn hier können wir für ewig nicht bleiben, das kann
auch Gott nicht wollen."
„Du hast recht, Kamerad, Gott wollte unser Unglück nicht, aber wir wollten es
und darum kann uns auch Gott nicht helfen. Als Mensch waren wir zu modern, an
Gott zu glauben und jetzt hat sich unsere moderne Art bitter gerächt, ich halte
eine Rettung für ausgeschlossen, eher glaube ich, dass es schlimmer wird."
Allgemeines Schweigen, dann geht ein Heulen los, die Frauen beschuldigen die
Männer, die Männer werden grob und bald ist wieder der grösste Krach, der
wiederum in Tätlichkeiten auszuarten droht. Da zerreisst ein Blitz die
Dunkelheit, alles ist erschrocken, ein Engel mit flammendem Schwert steht vor
ihnen und spricht:
„Wenn euch an Rettung liegt, dann demütigt euch und schafft erst einmal die
Hölle aus euch heraus, versucht gutzumachen, was ihr als Menschen an Schuld in
euch aufgestapelt habt. Gott ist gerecht, allen denen, die an Ihn glauben und
nach Seinem Willen leben, ist Er ein Vater und ein Heiland. Denen aber, die Ihn
nie brauchten, ja anderen noch den Glauben nahmen, ist Er ein unerbittlicher
Richter, denen es schwer werden wird, alle Schuld zu löschen. Meine Sendung an
euch ist kein Urteil, sondern eine Mahnung.
Verharret ihr in diesem Geist, wird euch noch Schlimmeres erwarten. Legt ihr
aber euren Hochmut, eure Eigenliebe und euren Stolz ab und sucht mit bittenden
Herzen Jesus den Heiland, wird euch Hilfe und Rettung werden, doch nicht Rettung
aus eurer Not, sondern Rettung zum ewigen Heile."
Verschwunden war die Engelsgestalt, wie vom Blitz erschlagen lagen sie betäubt
da, als sie aber wieder zum Bewusstsein kamen, ging ein neues Elend los. Welche
wollten sich bekehren, andere nannten es einen Spuk, aber zu einem Resultat
kamen sie nicht.
Spricht der Engel: „Unsere Mission ist beendet, diese brauchen noch eine Zeit
der Gärung, dann finden sich einige, die da wollen. Es wird schwer werden, die
Einsichtigen von hier zu trennen, weil die anderen es verhindern wollen.
Werfet eure Umhüllung ab! Nun sollen sie auch für Augenblicke uns schauen, wir
aber eilen mit Schnelle wieder zu eurem Heim, wo die anderen uns erwarten."
Zu neuen Aufgaben bereit
Bald waren sie wieder in ihrem herrlichen Heim. Hendrick und Mutter Anna mit
noch vielen ihrer Pfleglinge waren gekommen, um die beiden Engel noch eine
kleine Zeit in ihrer Mitte zu haben.
Als Mutter Anna die beiden fragte:
„Nun, Kinder, was habt ihr uns denn Schönes mitgebracht", weinten beide; dann
sagte Johanna: „Was wissen wir von der Welt der Geister, so gut wie nichts, hier
ist Frieden, Glück und ein Himmel; was würden die anderen geben, um nur ein
kleines Teilchen von unserer Liebe zu haben. O du guter Vater, wie muss die
Sehnsucht in Dir brennen, wenn Dein allgütig Auge die Verirrten sieht!
Riesengross muss Dein Schmerz sein um die, die Deine Vaterliebe nicht wollen,
und Du gibst sie nicht auf."
Alle, alle schauen auf ihre Schwester, die immer so eifrig, so freudig war und
nun so übertraurig ist. Die anderen verstehen sie nicht, da spricht Mutter Anna:
„Wundert euch nicht, denn sie sahen Dinge, für die es keine Worte gibt. Sie
glaubten sich einst im Elend, ein Paradies war es gegen die, bei denen sie
weilen durften."
Spricht der Engel:
„Ihr Vielgeliebten, ihr lebet hier ein Leben, das man mit Recht ein seliges
nennen darf. Die Schönheiten eurer Welt, eures Himmels, sind der Ausdruck eurer
Liebe, die ihr durch die Gnade des Herrn erringen durftet. Ihr waret recht
dankbar und habt wahrlich gute Arbeit geleistet. So wie ihr wachsen durftet in
der Liebe zum Herrn und euch bereichern könnet am Heilandsleben, ebenso kann
sich auch der Widerchrist bereichern; jedes Mittel ist ihm recht, um in
Selbstsucht, Hass und Herrschsucht zu wachsen. Es ist ein fürchterlicher Kampf
zwischen Licht und Finsternis, alle Kräfte sind mobilisiert, um Gott, den
heiligen Vater und Schöpfer aller Dinge, aus Seiner Liebe, Erbarmung und Geduld
zu bringen. Ja, des Lebensfeindes grösster Wunsch ist es, Gott zu Seiner
höchsten Machtentfaltung zu bewegen, damit die Liebe und ihre Kräfte ihre Macht
und Hingabe verlieren. Wir als Seine Diener und Willensträger vollziehen mit
heiligem Ernst Seinen Willen, wir wären bereit, allem Bösen und Gerichteten
einen ewigen Untergang zu bereiten, damit endlich aller Kampf aufhöre; aber der
heilige Gott und Vater aller Geister und Menschen spricht: ,Die Liebe in Mir,
die einst das allergrösste Opfer brachte, um allen Verirrten und Verlorenen
einen Weg zu bahnen zur Errettung und Erlösung, will auch jetzt noch das grösste
Opfer bringen, im Vertrauen auf Meine Kinder, und dem Feind die grösste
Rücksicht entgegenbringen und seine Freiheit unangetastet lassen. In dem
Augenblick, wo Ich Meine Macht anwende, trenne Ich Mich von Meiner Liebe, und
alle Opfer wären umsonst gewesen. Aber solange Ich noch Kinder habe, die sich
Meines Liebes- und Heilandsgeistes bedienen, will Ich alles Gericht
hinausschieben und Mich ganz der Hoffnung hingeben, dass noch alles gewonnen
werde.'
Sehet, ihr Vielgeliebten meines Herrn, vor dieser Sprache verstummen wir, und
kein Dienst ist zu gering, um euch zu unterstützen im Kampf mit den Gefallenen.
Es ist uns grösste Wonne, euch zu stärken und zu stützen. Ihr würdet erschauern
vor Seligkeit, wenn ihr die erschauen könntet, die euch unsichtbar begleiten, ja
wie oft ist es der Herr selbst, der euch hilft, ohne dass ihr es ahnt. Aus
diesem ersehet ihr, wie gross das Vertrauen ist, welches der himmlische Vater
Seinen Kindern entgegenbringt, obwohl Er der allmächtige. Gott, Schöpfer aller
Himmel und Welten ist. Was heute eure beiden Schwestern sahen und erlebten, ist
ein ganz geringer Bruchteil dessen, was das Niedere und Falsche gebiert; wie
würden wohl eure Herzen verzagen, wenn ihr schauen würdet das Böse und Falsche
in ihrer Auswirkung. Wie ihr erzogen werdet von einer Schönheit zur anderen,
müsset ihr auch erzogen werden, eine Hölle nach der anderen zu ertragen. Bei dem
jetzigen Kampf zwischen Licht und Finsternis ist die ganze Unendlichkeit
mitbeteiligt, also nicht nur eure Erde und ihre Sphären, sondern alles, weil es
auf den Endsieg zugehen soll. Fürchtet euch aber dessen nicht, der Herr ist die
Liebe, die Geduld und die ewige Erbarmung; die Erlösung aller ist Sein Ziel!
Wohl könnte die Erlösung einen rascheren Verlauf nehmen, indem die Weisheit Wege
suchte, die zur Erlösung führen; aber Er, der Herrliche und Vollkommene, will
Seinen Kindern das Letzte überlassen, damit der Lebensfeind nicht durch die
Macht des Herrn, sondern durch die Liebe Seiner Lieblinge überwunden werde,
damit er wieder der herrlichste Sohn Seiner Schöpfung werde.
So freuet euch der kommenden Arbeit, die euch freilich Geduld und Mühe kosten
wird, aber um so grösser ist die Freude. Vor kurzem war die Sehnsucht in euch,
das Grösste, den Herrn zu schauen und mit Ihm zu verkehren, nun lasset noch eine
grössere Sehnsucht in euch wachsen, allen denen Heiland und Erlöser zu werden,
die Ihn noch nicht kennen und durch die Macht des Feindes ohne Ihn leben
müssen."
Mutter Anna führte die Engel durch die grossen Gärten, wobei viele hundert der
seligen Kinder ihnen folgten, Liesa und Johanna links und rechts der Engel. Vor
dem schönsten Hause stehen bleibend, sagte sie: „Bis hierher führte ich euch,
nun mögen euch die Kinder führen, denn diese Gegend ist durch ihre Liebe ihr
Eigentum geworden. Hier bin ich nur noch Schwester, jede Liebe, die ich hier
erlebe, ist mir heiligstes Geschenk, dass ich gern noch einmal das Erdenlos
tragen möchte."
Spricht der Engel: „O Tochter unseres heiligen Vaters, vor dieser Sprache
möchten wir uns verneigen, wir wissen, dass du das Erdenleben kennst, wir kennen
die Schule deines Erdenseins und auch deine Führung hier im Geisterreiche; aber
nahe vor der Vollendung nochmals diese Schulen durchleben wollen, trägt ein
Geheimnis in sich, welches unserer Weisheit doch noch entgangen ist."
„Ja, ihr lieben Freunde, es ist so, ein neuer Zug im Innersten macht sich
bemerkbar, da es doch gilt, Erlöser zu werden. Wie ihr eben alles so
schildertet, all die Auswirkung des Falschen und auch des Bösen, muss nicht die
Liebe neue Wege suchen, um endlich den Herrn zu erlösen? In allem Gebundenen ist
auch Sein Leben noch gebunden, in allen Verirrten und Verlorenen ringt noch der
geistige Bruder aus Gott. Wenn Er, der ewige und heilige Gott und Vater als
Erdensohn Sein Leben opferte, um den Weg zu ebnen in das ewige Vaterhaus, soll
da das Drängen im Innersten nicht ein Auffangen des Sehnsuchtsgedankens sein,
den noch der heilige Vater in Sich als Geheimnis trägt? Ich war schon als Mensch
der festen Überzeugung, dass Danken Grösseres vollbringt als das Bitten, auch
weiterhin möchte ich danken. Und: Danken soll der Ansporn sein; nicht, um
Grosses zu vollbringen, sondern etwas heilig Herrliches. Ich, als Selige,
wundere mich oft, dass ihr Engel und herrlichen Diener Gottes diese Sprache
nicht verstehen wollt."
„O Tochter des Herrn, wir können unser Wesen nicht umwandeln, da uns gerade das
fehlt, was euch zum Kinde macht. Was wir sind, sind wir aus Ihm, aus Seiner
Gottheit, Macht und Weisheit, ihr aber seid Kinder Seiner Liebe, Gnade und
Erbarmung."
Spricht Johanna: „Dieses verstehe ich aber nicht recht, bin ich nicht auch aus
Seiner Gottheit hervorgegangen wie du, habe ich nicht auch einstens ein
herrliches Leben gehabt, ehe ich die Schule des Erdenlebens durchlebte, und darf
mich doch heute als Sein Kind betrachten? Der heilige Vater hat es mir
freigestellt, in meine frühere Welt zurückzukehren, wo es kein Leid, keinen
Schmerz und Enttäuschung gibt. Ich aber wollte lieber hier unter den Verirrten
und Verlorenen sein, und warum? Weil der Herr Selbst mit Seiner ganzen Liebe
hier weilt! Dort ist Er Gott, und hier ist Er Vater, dort ist Er Licht, und hier
ist Er Heiland, dort ist Er Sonne, und hier ist Er Wärme, dort sind sie alle
Empfangende aus Seiner Allmacht, und hier sind wir die Gebenden aus Seiner
Liebe, dort herrscht noch das Gesetz, hier ist aber Seine Liebe unser Leben!"
Tief verneigt sich der Engel und spricht: „Vor dieser Sprache verneigen wir uns
gern, und alle unsere Macht steht wie ein Nichts vor uns. Wie gern würde ich
immer Diener bei euch sein! Du, Tochter meines Herrn, bist reicher denn ich,
obwohl ich Macht genug hätte, Himmel und Herrlichkeiten zu erschaffen, aber aus
der Kraft und Allmacht des Herrn nach Seinem heiligen Willen. Hier aber ist ein
Himmel erstanden pur aus eurer Liebe, und dieser ist euer Eigentum."
„Ja, du treuer Engelsbote und Vertreter Gottes, des Schöpfers Himmels und der
Welten. Du hast recht gesagt, dass dieser Himmel unser Eigentum ist", erwiderte
Anna, „eines aber sage ich als Kind unseres Vaters noch dazu, dass dieser unser
Himmel auch Eigentum derer werden soll, die jetzt noch in Nacht und Grauen
leben. Darum sind wir Kinder geworden, um dem liebevollen Vater Verlorene und
Verirrte zurückzuholen, aber nicht aus Seiner göttlichen Macht, sondern durch
Seine heilige Liebe! So, nun ist genug gesprochen, nun ehret unsere lieben
Brüder, unsere Gäste, bereitet ein Freudenmahl! Alle sollen daran teilnehmen!"
So wurde es auch. Die beiden Engel konnten nicht genug die Liebe rühmen, die das
Fest der Liebe bereitete. Am schönsten aber wurde es, als der heilige Vater
Selbst im letzten Augenblick erschien und die Kinder segnete.
Mit den beiden Engeln nahm Er Abschied; die Engel wurden zu anderen Diensten
benötigt. So verging eine Zeit der Ruhe.
Aller Anfang ist schwer
Nachdenklich spricht Hanny zu Liesa: »Die Zeit ist da, immer grösser wird der
Drang in mir, nicht mehr länger zu warten. Vielleicht gelingt es uns, solche
Arme und Leidende der Hölle zu entreissen. Hier ist noch unendlich viel Raum,
Arbeit und untätige Liebe, dass wir es getrost wagen können, in die Welt des
Todes zu gehen. Schon öfter war ich in meinem irdischen Vaterhaus, durfte dort
auch Erfahrungen machen, aber nun weiss ich, die Zeit ist da!"
Erwidert Liesa: „Gern, aber allein?"
„Nicht allein, der übergute Vater ist doch mit uns! Wir nehmen Christa, Rosel
und Lena mit, einen Krug Wasser und Brot."
Freudig stimmten die anderen bei, und unter dem Segen der Mutter Anna verliessen
die Fünf ihre schöne Heimstätte. Unterwegs gesellte sich ein lichter Mann zu
ihnen, der im Auftrage der ewigen Liebe ihnen zur Stütze mitgehen soll. „Nennet
mich Emil. Dich, Johanna, kenne ich schon lange von deinem Erdenleben her; wir
anderen werden uns schon verstehen." „Bist du schon lange in der Welt der
Finsternis gewesen Bruder Emil?"
„Länger als ihr denkt, war ich ein Bewohner dieser Sphären. Nur dem Vater Jesus
danke ich meine Errettung. Darum bat ich flehentlich um Liebe für meine
einstigen Genossen."
„Dann kannst du ja unser Führer sein, denn auf einen Mann werden die mehr Wert
legen als auf unmündige Mädchen."
„Aber Johanna, nicht unterschätzen! Deine Liebe ist der Antrieb, und der Geist
in dir hat dich mündig gemacht. Aber nun aufgepasst, in wenig Augenblicken sind
wir hier."
Es wurde dunkel um sie. Sie waren sich ihrer Schnelligkeit noch nicht bewusst,
mit der sie eilten. Da kommen sie an ein Wirtshaus, in dem tüchtiger Spektakel
ist.
Vorsichtig treten sie näher, noch werden sie nicht gesehen, sie beobachten
längere Zeit in Ruhe die sich Streitenden. Wüste Gesellen mit hassgierigen
Blicken, verängstigte Frauen mit stieren Blicken und durch und durch zerrissenen
und zerlumpten Kleidern am Leibe. Der Streit handelt sich um Brot, die Frauen
geben den Männern, die Männer aber den Frauen die Schuld, bis der Streit in
Tätlichkeiten ausartet. Da tritt Johanna mit den anderen in die Sphäre und
spricht mit lauter Stimme:
„Schämt ihr euch nicht, ihr Männer, eure Frauen zu schlagen; statt alle Schuld
bei euch zu suchen, schiebt ihr alle Schuld den Frauen zu und ladet noch mehr
Schuld auf euch!"
Spricht einer mit ganz wildem Aussehen: „Ach, sieh einer an, ihr zarten
Täubchen, wie kommt ihr denn hier herein, und gleich so grob. Tretet nur näher,
in unserer Langeweile seid ihr ein ganz schöner Zeitvertreib."
„Irre dich nicht, wir sind gekommen, euch die Hand zur Hilfe anzubieten, denn
ihr alle seid Verstorbene und ganz elende Wesen, denen nur noch die helfende
Hand des Heilandes Jesu helfen kann."
Da ging ein Tumult los, sie wollten sich an den Mädchen vergreifen, aber als ob
sie ein glühendes Eisen angegriffen hätten, schrien sie auf und liessen sie
augenblicklich wieder los. Noch schrien die Angreifer, da drängten sich die
Frauen vor und sagten:
„Ist es wahr, dass wir gestorben sind? Es ist über uns ein Elend
hereingebrochen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Wo kommt ihr her?"
„Wenn ihr alle recht ruhig und vernünftig seid, eure Wut- und Hassgefühle in
euch niederzwingt, kann ich reden, sonst nicht."
„Du bist ja noch ein Mädchen, was wirst du uns wohl sagen können? Aber es bleibt
uns ja nichts anderes übrig, als dich anzuhören." „Die Männer hast du dir ja vom
Leibe halten können", sagte eine mit vergrämtem Gesicht.
Johanna: „Ihr Männer und Frauen, ob ihr mir glaubet oder nicht, es ändert sich
nichts an der Tatsache, dass ihr, wie auch wir, Verstorbene sind; nur mit dem
Unterschied, wir sind in der Liebe des Heilandes Jesu Geborgene, während ihr
Verlorene seid. Euer Erdenleben war ohne Gott verbracht, dann kann es nicht
anders sein, als dass ihr hier im Elend hockt. Eines dürfet ihr glauben, dass
ich auch Elend kenne, und zwar durch eigenes Erleben. Mein Erdenleben war das
traurigste Los, das sich je ein Mensch erdenken kann, aber es war nicht meine
Schuld, darum erlebte ich auch nach meinem Leibestode hier im Geisterreich die
allergrösste Gnade Gottes, die ich auch mit beiden Händen ergriff. Euer
Erdenleben mag ein schönes gewesen sein, mir fehlen dafür die Begriffe, aber für
das, was ich an Schönem und Herrlichem in dieser geistigen Welt erlebte, fehlen
euch die Begriffe. Es könnte mir gleich sein, ob ihr unsere schwache Liebe, die
euch aus diesem Elend führen möchte, annehmet oder nicht, denn es gilt ja nicht
unsere, sondern eure Seligkeit. Da aber der herrliche Heiland Jesus in Seiner
Liebe uns Rechte und Freiheiten einräumt, sind wir auf der Suche nach
Verlorenen, die wir in unsere herrliche Welt mitnehmen könnten, um aus ihnen
glückliche und selige Geister zu machen wie wir welche sind."
Ein Mann nähert sich und spricht:
„Eure Worte klingen verheissend, wie ich, seit ich in diesem traurigen Winkel
lebe, noch nicht gehört habe. Es wurde mir in unserem Leben überhaupt viel
verheissen, aber erfüllt hat sich noch nichts. Wie willst du überhaupt beweisen,
wir seien Verstorbene, da müssten wir doch davon wissen, denn der Tod ist etwas
überaus Schweres, ich habe ihn Zeit meines Lebens gefürchtet."
„Deine Worte haben sich gesänftigt, darum kann ich auch weiter mit dir reden,
aber es wird wohl alles nichts nützen, wenn du und ihr alle uns nicht glauben
wollt. Beweise eures Todes und des Lebens braucht ihr doch nicht, denn ihr seid
ja der Beweis. Wie lange habt ihr nichts gegessen und getrunken, wie lange keine
Notdurft verrichtet, wie lange habt ihr keinen Nacht- und Tageswechsel erlebt
oder jemals die Sonne oder den Mond gesehen? So blind wie ihr als Menschen gegen
Gott seid, so blind seid ihr auch gegen euch. Wir aber leben ein Sein im Lichte,
wir haben das beste Brot, das beste Wasser, ja auch Wein und die besten Früchte,
und noch nie ist es weniger geworden, eher mehr. Schauet euch selbst an, was
habt ihr an euren vergänglichen Leib wohl an Zeit und Mühe verwendet, und wie
sehet ihr jetzt aus? Wenn das keine Beweise sind, dann saget, was ich euch
beweisen soll?"
„Ja, Mädchen, du bist ein ganz raffiniertes Menschenkind oder ein Engel. Oft
haben wir auch schon davon gesprochen, aber wer kann uns Antwort geben? Ist
nicht unser Leben ein ganz, ganz schlimmer Traum, der kein Ende nehmen will, und
warum Dingen nachgehen, die unerreichbar sind? Was du uns von dem schönen Leben
erzählst, klingt ja ganz schön, ich habe mir schon als Junge Luftschlösser
gebaut, aber Luftblasen waren es; die Wirklichkeit hat alles zerplatzt. Hättest
uns lieber ein Brot mitbringen können als Beweis, dass ihr überhaupt welches
habt."
„Das Brot ist schon da, aber wie wollt ihr das Brot verteilen, wenn euch die
Gier und die Habsucht derart erfasst hat, um es allein zu besitzen. Schau, hier
ist ein Brot, wer welches mag, muss als Bittender kommen, ich versichere, es
reicht für alle."
Es entsteht ein Tumult. Einige wollen sich auf Johanna stürzen. Da öffnet sich
eine breite Kluft, der Dämpfe entsteigen. Sie erschrecken und weichen zurück,
nicht achtend, dass sie die anderen zertreten. Ein Streit, eine Balgerei
entsteht. Die Schwächeren können sich nicht mehr vom Boden erheben. Schaudernd
wollen sich die Mädchen zurückziehen, da spricht Emil:
„Bleibet, reichet mir eure Hände, nicht aufgeben, denn der Herr ist mit uns."
Sie taten es. Da ging ein Leuchten von diesen sechsen aus, und in diesem Licht
hören sie alle mit ihrem Balgen auf und schauen wie gebannt. Dann erhebt sich
der frühere Redner und spricht:
„Mädchen, du hast recht, wir sind rettungslos verloren. Im Angesicht des Brotes
und der Verheissung, es reiche für alle, hat sich dein Wort erfüllt: die Gier
und die Habsucht ist unser Untergang. Nun glaube ich an ein Totsein für alle
Welt, was wird unser Los sein?"
„Ewige Verdammnis, wenn ihr nicht die rettende Hand ergreift, die euch helfen
will. Mit jeder Tat, die ihr aus Habgier tut, verschlechtert ihr eure Lage und
euer Leben; würdet ihr Liebe gegen eure Mitmenschen aufbringen, verbessertet ihr
euer Leben. Aber hast du schon einen gesehen, der im Elend war und der so dumm
war und die rettende Hand zurückstiess?"
„Nein, Mädchen, denn sogar der Ertrinkende ergreift einen Strohhalm."
„Aber warum wollet ihr nicht die Hand ergreifen, die sich euch bietet? Ich will
es euch sagen, weil ihr aufhören müsstet zu herrschen, weil ihr bittende,
demütige und bescheidene Wesen werden müsstet, und euer unbändiger Stolz lässt
es nicht zu."
Ein Wüterich brüllt: „Aufhören mit diesem Geschwafel, ihr habt uns gerade noch
gefehlt, wer weiss, was hinter euch steckt."
„Anton, jetzt hörst du auf mit Brüllen! Ich vertraue mich euch an, ihr Mädchen
und dir du lieb aussehender Mann, helft mir die anderen beruhigen. Wenn ihr euch
schützen könnt, dann habt ihr auch Macht mir beizustehen. "
„Schau, Robert, jetzt wirst du wohl munter, hast wohl noch nicht genug von uns?
Na warte nur, die Larven werden nicht lange hierbleiben."
über die Rede des Anton entrüsten sich viele, aber sie haben Angst vor dem
Wüterich.
Spricht Robert: „Nur sachte, Anton, dass du es weisst, deine Macht über uns ist
gebrochen. Diese Mädchen und der Mann haben volle Macht über uns, sonst wären
sie nicht hier, und du hättest dir den Schmerz vorhin ersparen können."
„Schweig, sonst erlebst du etwas!" schreit Anton, aber Robert spricht: „Dein
Schreien macht unser Los nicht besser. Dort bei den sechsen winkt Brot und
vielleicht auch Erlösung aus diesem Elend. Wenn nur die Kluft nicht wäre, ich
wäre schon drüben bei euch."
Johanna: „Wenn es dein Ernst ist, dann bitte den Herrn und ewigen Gott, denn
Wesen wie ihr müssen bitten lernen! So euer Verlangen nach Erlösung aus eurer
Not hervorgeht, seid ihr noch nicht für das ewige Reich geschaffen, darum
bekehrt euch, d. h. kehret um auf dem Wege, der zum Verderben führt. Eure Umkehr
muss voller Ernst und heiligem Verlangen sein.
Spricht Anton mit höhnischen und wegwerfenden Gebärden:
„Robert, lasse dich doch nicht am Narrenseil führen, wer weiss, was das für
verkappte Gauner sind, erst sollen wir gestorben sein, dann winken sie uns mit
Brot und jetzt sollen wir noch Betschwestern werden. Ein Mann tut das nicht, wir
sind uns selbst genug und brauchen niemanden, einmal muss doch die Nacht
vergehen."
„Nein, Anton, ich glaube dir nicht mehr, die lange, lange Zeit sehnen wir uns
nach anderen Verhältnissen. Wenn wir jetzt die Hilfe wegstossen, dann hilft uns
keine Reue mehr. Wer von euch will sich mir anschliessen und nach den Worten des
Mädchens mittun?"
Anton wollte dazwischen fahren, aber Robert sagte:
„Schweig, jetzt sollen alle ihren freien Willen haben, vor allem keine Gewalt,
denn diese sind mächtiger."
Ganz wenige sagen: „Ich will mich dir anschliessen Robert, denn Anton ist nicht
zu trauen."
„Dann lasst uns Bittende werden. Unsere Sehnsucht nach Änderung war ja schon ein
Bitten, aber nicht das rechte. Wer aus euch kann denn noch beten? Keiner!? O
Gott, sind wir tief gesunken, ist denn bei diesem Zustand noch eine Rettung
möglich?"
„Johanna: „Gewiss, denn bei Gott ist immer noch Rettung möglich. Er wird keinen
zurückstossen, der als ehrlicher Bittender kommt."
Robert: „Hört ihr, das Mädchen macht uns Mut; knien wir nieder: O Gott, wir sind
grosse Sünder, ja es ist klar, ohne Deine Hilfe bleiben wir Verlorene, sei uns
allen gnädig und barmherzig!"
Betet eine Frau: „O Gott, mein Herz hat sich von Dir abgewendet, wissend schied
ich von Dir, weil die Welt mir mehr bot denn Du. Jetzt sehe ich meine Torheit
ein und bitte Dich, lass mich wieder zu Dir beten und sei uns gnädig. Hilf uns,
errette uns aus diesem Verderben, damit wir wieder freie Menschen werden.
Amen."
Glücklich vollendet
Die Dämpfe hörten auf, die Kluft schloss sich, Johanna ging hin und sagte: „Der
Herr lässt Milde walten und kommt euch durch mich entgegen, es fragt sich nun,
wollt ihr auch die Bedingungen erfüllen, die eure Umkehr ermöglichen? Es kann
auf keinen Fall euer Leben so weitergehen wie das Vergangene. Die Bedingung ist:
Liebe zu Gott und deinem Nächsten in aller Demut und Bescheidenheit, alles
andere kommt dann von selbst."
Robert: „Wir möchten, aber wir werden es kaum können; denn Gott und die Nächsten
lieben, ist ja das Gegenteil von dem, was wir jetzt leben. Bescheidenheit ist
mir immer fremd gewesen und demütig sein, war nur für die Unteren das richtige.
Du siehst, es wird sich kaum ermöglichen."
Johanna lächelt und spricht: „Bedenket, dass ihr nicht mehr hochtrabende
Menschen seid, sondern arme bedauernswerte Wesen. In dem Augenblick, wo ihr die
rettende Hand zurückweiset, wird es mit euch viel schlimmer werden. Ist es denn
gar so schwer, das zu verlassen, was euch bisher unglücklich machte, oder
verlangt ihr, dass der Herr eure Eigenliebe, Herrschsucht und Habgier krönen
soll und euch ein Paradies bereiten, wo ihr noch herrschen könnt? Nein und
tausendmal nein, das ewige Geisterreich ist die Fortsetzung eures irdischen
Lebens.
Wie die Aussaat, so die Ernte. Was ihr hier habt, ist euer eigenes Leben, und
nun wir euch Hilfe und Errettung anbieten, werden sich die Bedingungen kaum
ermöglichen lassen? Was hast denn gerade du von deinen Untergebenen gefordert?
Ein Unmöglich gab es bei dir überhaupt nicht. Was du einst fordertest, verlangt
Gott von dir - ist dieses ungerecht? Ich will kein Richter sein und euch die
Rettung erschweren. Wir sind gekommen, euch zu dienen, euch zu helfen, aus dem
Drang heiliger Gottes- und Nächstenliebe. Ehe wir diesen unseren seligen Stand
erreichten, mussten wir viel, viel ablegen und uns demütigen, bis der letzte
Funke von Eigenliebe erloschen war; dafür aber wurden wir gesegnete, frohe und
selige Wesen. Nun entscheide dich und ihr alle, die ihr meine Worte vernommen
habt, hier heisst es entweder oder."
Tritt die Frau vor, die so betete und spricht:
„Ich will alles tun, was ihr mich lehret, denn in diesem Leben ist eine
Fortsetzung schlimmer als die Hölle. Was du verlangst, ist eine Kleinigkeit
gegen das, was man von uns fordert. Wann ist einmal das Wort Liebe gefallen oder
je gelebt worden, mich ekelt diese Liebe, die die grösste Schweinerei ist; denn
hier ist man kein Mensch, sondern Vieh. Ich will viel mehr tun als ihr verlangt,
weil ich heraus muss aus diesem Elend. Wer dieses Angebot zurückweist, ist mit
tausendfacher Blindheit geschlagen; lieber Magd bei den seligen Wesen, als Vieh
bei den Unmenschen. Hier bin ich, nehmt mich wie ich bin; ohne Klagen will ich
euch dienen."
„Sei willkommen im Namen des Herrn, der unsere Liebe ist, bald wirst du diese
Stunde segnen, aber was wird mit den anderen? Mit diesem Händedruck nehme ich
dich in unsere Gemeinschaft auf und sage dir, der Heiland ist auch für dich am
Kreuze gestorben und mit Seiner Liebe tilget Er auch alle deine Sünden und
Vergehen."
Robert, der alles beobachtete, kam zögernd und sprach:
„Auch ich will mich zu euch bekennen, denn nun mag ich nicht mehr länger hier
bleiben, wo Maria fehlt. Sie war die beste von allen und immer ruhig, und du,
Maria, bist mir doch nicht gram, weil ich oft so hart zu dir war?"
„Wir wollen vom Vergangenen nicht mehr reden, denn ein anderes Leben wird
beginnen, und diese Freunde werden uns bestimmt ein besseres Los bereiten als
wie wir bisher ertragen mussten."
Johanna: „So ist es recht, seid voll Zuversicht und vor allem habt Vertrauen,
aber Robert, möchtest du die anderen nicht auffordern, sich uns anzuschliessen?"
„Ich will es tun, ob es aber Zweck hat, ist fraglich, denn sie sind hart
verbissen."
„So nicht, an den Erfolg musst du glauben, sonst erreichst du nicht das Ziel.
Furcht darfst du keine kennen, denn du stehst nun unter unserem Schutz."
Spricht Robert, einige Schritte vorgehend: „Ihr habt aus dem Munde dieses
Mädchens gehört, was ich von euch wünsche, und ich bitte euch, überlegt nicht
lange und macht es mir nicht schwer, kommt mit zu einem besseren Leben."
Anton: „Dir fehlt wohl dein Liebchen, weil du so rasch entschlossen bist, na
viel Vergnügen, ich lache mich tot, wenn ihr voll Reue wieder zurückkommt. Macht
euch bald schwach, denn euer Getue fehlt mir gerade noch."
Robert: „Deine Worte tun nicht mehr weh, Anton. In mir ist ein besseres
Verlangen geworden im Angesicht der Seligen, aber ihr anderen, warum, warum
lasst ihr euch noch abhalten, hier ist nichts mehr zu erreichen, höchstens noch
zu verlieren."
Zögernd kommen noch welche. Als aber Johanna ihnen die Hände entgegenstreckt,
beschleunigen sie ihre Schritte.
„Auch euch heisse ich willkommen im Namen des Herrn, bald werdet ihr die
Segnungen Seiner Liebe fühlen, dann danken und immer wieder danken. Aber nun
kommt, stillt euren Hunger und euren Durst, Brot ist da, es reicht für alle,
auch wenn es hundertmal so viele wären. Im Reiche der wahren Liebe braucht
keiner zu hungern oder zu frieren, die ewige Liebe sorgt für alles und für alle.
So nehmet hin das Brot, gebt jedem ein grosses Stück." Und, o Wunder, sofort
ergänzt sich das Brot wieder in ihren Händen.
Maria: „O sehet, habt ihr denn solches schon einmal erlebt, das Brot in den
Händen wächst? Es ist wahrhaft ein Gottes wunder!"
Johanna: „Redet nicht so viel, sondern esset euch erst einmal richtig satt. Ich
weiss auch, was Hunger ist, dann könnt ihr reden."
Maria beisst hinein, kaut mit vollen Backen, immer mehr isst sie, aber das Brot
wird nicht weniger, da spricht sie:
„Nun mag kommen was da will, zurück gehe ich auf keinen Fall mehr, denn solches
Brot habe ich noch nie gegessen, und ich war eine Geniesserin, dabei wird es
nicht weniger! Jawohl, Anton, du Erzbetrüger, hier wird deine Schande offenbar.
Du hattest immer Worte, hier aber ist Brot. Hier verkoste es, damit du endlich
deinen grossen Irrtum einsiehst und die anderen in Ruhe lässt, denn von diesem
Brot können alle essen."
Anton will nicht, aber die Begierde der anderen ist so gross, dass Emil
dazwischen tritt und sagt:
„Nur Ruhe und keine Gewalt, eure Schwester hat aus Liebe euch ihr Brot
angeboten, es war ihre erste Liebe nach ihrer Umkehr, und ihr wollt es ihr
entreissen? Ein Wort von mir, und die Erde tut sich auf, wie ihr es schon
erlebtet, Maria steht unter meinem Schutz, wehe wer ihr etwas tut!"
Alle, die so begierig waren, treten einen Schritt zurück und waren
eingeschüchtert.
Maria spricht: „Es war Liebe von diesem Freund, er hinderte euch, gemein zu
werden. Aber deswegen sollt ihr das Brot nicht nur verkosten, sondern einmal
sattessen sollet ihr euch, darum nehmt es hin, nehmt ruhig hin, je mehr ihr
nehmt, desto grösser das Gotteswunder."
Als Maria von einem zum anderen geht, bekommt auch Robert Lust, sein Brot
auszuteilen und reicht es dem Anton hin. Dieser nimmt es, wirft es zu Boden und
tritt mit dem Fusse darauf. Darauf brüllt er auf, denn in dem Augenblick war
sein Fuss verbrannt. Die anderen nehmen gar keine Notiz, denn ihr Verlangen war
Brot und wieder Brot.
Da klagt sich Robert an und spricht:
„Was habe ich getan, doch nichts anderes als Maria?"
Johanna: „Doch, du hast anders gehandelt, dir war nicht daran gelegen, deinem
hungernden Bruder zu dienen, sondern ihn zu schlagen. Es soll kein Vorwurf sein,
aber du musst bedenken, hier im Reiche der Geister ist Wille und Tat so gut wie
eins. Bei allem Tun ist zu überlegen, aus welchem Geiste du handelst. Schaue
Maria an, ihr Gesicht strahlt, weil sie das erstemal wirklich aus reinem Geiste
handelte. Nun sehe zu, wie du deinem im Schmerze sich windenden Bruder helfen
kannst."
„Ja, was kann ich dabei tun?, denn sein Fuss ist ja verbrannt."
„Aber, mein an Liebe armer Bruder, man muss doch versuchen zu helfen! Wenn der
Heiland Jesus so gedacht hätte wie du, gebe es kein Mittel und keinen Weg, um
erlöst zu werden. Um dir aber zu zeigen, wie man es macht, will ich versuchen,
dem armen Leidenden zu helfen."
Sie tritt hin zu Anton, der vor Schmerz die Zähne zusammenbeisst und Worte
ausstösst, die einem Fluch gleichen, und sagt: „In diesem deinem Geiste wird
sich dein Zustand kaum bessern, eher verschlechtern, aber trotzdem will ich
versuchen, dir zu helfen. Da ich die Ursache bin von deinem Wutausbruch, so
gestatte doch, dass ich dein Bein anrühre."
Da Anton Unverständliches murmelt, streicht sie mit der Hand am Bein entlang bis
zum Fusse und sagt: „Guter Heiland, erfülle mich mit Deiner Kraft, damit ich
lindern kann des Bruders Schmerz. Habe Du Dank für Deine Liebe und Gnade und
erweise Dich auch hier als die Liebe aller Liebe und als der Herr alles Lebens,
mein lieber Vater Jesus!"
Der Schmerz war verschwunden, aber der Fuss blieb verkohlt, da sagte Anton: „Ich
kann dir nicht danken für die Wohltat, da ich voller Wut und Hass bin; du tatest
mir Gutes, obwohl ich dich beleidigte."
„Mir liegt an dem Dank nichts, da ich von meinem Heiland so reich belohnt bin,
dass alle deine Liebe nur ein kleines Schimmerchen wäre; aber daran liegt mir,
dass auch du ein Glied unserer Gemeinschaft würdest. Schau, wie diese das
erstemal im Geisterreiche so richtig satt wurden. Ich brauche nur zu fragen,
wollt ihr mit uns gehen in ein Leben der Freude, der Zufriedenheit? Ich kenne
ihre Antwort. Sie lautet, ja! Nur du willst nicht. Glaubst du, dass dieses
Wirtshaus Realität ist? Und glaubst du, dass du Gott dem Herrn etwas abtrotzen
kannst? Denke ja nicht, dass Er, der Herr alles Lebens, sich mit dir in einen
Kampf einlässt, denn Er weiss, einmal musst du und alle doch zu Ihm kommen. Was
aber dazwischen liegt, ist für dich unvorstellbar. Deine innere Liebe gleicht
deinem Leben und gibt den Ausschlag. Noch hattest du Schwestern und Brüder, noch
bist du in deinem irdischen Element, und deine Welt ist voll davon. Bald wirst
du verarmt und einsam sein, denn deine Schwestern und Brüder haben sich
entschlossen, unserem Ruf zu folgen. Schau hin, wie sie sich anfreunden mit
meinem herrlichen Bruder, der unser Führer ist."
Robert, an der Seite Johannas, spricht: „Anton, lasse dich nicht so lange
bitten, sehe es doch ein, dass diese es gut mit uns meinen, es geht doch einem
besseren Leben entgegen."
„Gehe mir aus den Augen, ich will nichts mehr sehen! Rede kein Wort mehr, was
weisst du von einem besseren Leben, der du bisher nur schlechtes kanntest. Der
Himmel kann sich freuen, der dich aufnimmt. Wenn du ein paar Weiber hast, ist
alles gut, du Weiberpatriot."
Robert möchte auffahren, aber Johanna spricht:
„Bleibe ruhig und überlasse alles dem Herrn. Solange du noch gekränkt werden
kannst, verrammelst du den Weg, der zum Herrn führt, denn auch um deinetwillen
liess Er sich beleidigen und anspucken, damit das Erlösungswerk ein vollkommenes
werde."
Anton: „Mädchen, wenn du nicht wärest, hätte ich ihn niedergeschlagen. Ich warne
dich, er wird eurer Gemeinschaft die grösste Schande machen."
Johanna: „Sorge dich um das nicht, denn was der Herr beginnt, führt Er auch
herrlich hinaus. Er hat Mittel genug, wo wir noch keine Ahnung haben. Aber
trotzdem bitte ich dich, mache wenigstens den Versuch und komme mit uns, zurück
kannst du jederzeit, so dein Inneres unbefriedigt bleibt."
Anton: „Mädel, du weisst ja gar nicht, was du forderst. In einen Himmel passt
kein Teufel, nie kann ich so eine Betschwester werden wie ihr. Wenn ich schon
von weitem solche Frömmler sehe, wird mir übel, nein, nein, ich passe nicht zu
euch."
Johanna: „Du hast eine ganz falsche Vorstellung von dem Leben, welches wir
führen, obwohl Jesus, unser Heiland und ewiger Vater, die Erfüllung unserer
grössten Sehnsucht ist. Vom Beten und Frömmeln ist nicht die geringste Rede,
sondern unser Leben ist Leben des Dankes, ist Arbeiten für andere, ist die
einzig grosse Aufgabe nur glücklich zu machen. Glaubst du wohl, wir sind
gekommen, dir und den anderen die Zeit totzuschlagen und uns zu weiden an eurem
Unglück? O nein, euch zu helfen aus eurer Not, euch Wege zu zeigen, die ihr
gehen sollt, um auch Träger zu werden des Geistes, der andere glücklich machen
will. Es ist das letzte Wort, welches ich an dich richte, wer weiss, wann du
wieder einmal die Gnade erlebst, wo sich dir die rettende Heilandshand bietet.
Jesus der Herr ist wohl die Liebe aller Liebe, aber auf den Rücken wirft Er sie
keinem, sondern ein jeder muss nach ihr greifen und sie festhalten, was noch
grosse Anstrengung kostet, oder glaubst du, dass wir aus dem Elend sogleich in
einen Himmel gesetzt wurden? Wenn ich sage, komme mit uns, so können wir doch
nicht zusammenbleiben, denn euch erwartet Arbeit, Arbeit und wieder Arbeit, aber
nicht für uns, sondern für euch, für dich und nur für dich."
Anton: „Mädchen, ich glaube dir, dass du es gut meinst, aber es geht nicht,
meine Welt ist eine andere. Bis jetzt liess ich nur für mich arbeiten, nun soll
ich für andere arbeiten, es wäre das pure Gegenteil."
Johanna: „Jawohl, was wirst du aber tun, wenn du niemanden mehr hast, der für
dich arbeiten wird, denn alle, alle kommen mit uns, nur du bist der einzige der
nicht will; zwingen wird dich auch der ewige Gott nicht. Dieses ist mein letztes
Wort an dich, die Liebe Gottes tratest du mit Füssen, dein Eigenwille war
grösser als der Hunger, wie wirst du dich sehnen nach dem Brot, welches du in
den Schmutz tratest. Wenn der rasende Hunger dich zur Umkehr zwingt, dann wirst
du beten, beten und wieder beten. Wem die Liebe nicht zusagt, muss sich den
ganzen heiligen Ernst gefallen lassen. Dein Wille geschehe jetzt und bis in alle
Ewigkeit“.
Maria, die jedes Wort mithörte, sagte zu Johanna: „Ist es wirklich soweit, dass
er zurückbleiben will, da möchte ich doch lieber auch bleiben, er hat uns auch
manch Gutes getan."
Johanna: „Wenn du sehend wärest, würde ich dich für dieses Wort umarmen, aber du
bist noch blind. Einen Blinden kann kein Blinder führen, werde erst sehend, dann
will ich dich wieder hierher führen. Du musst viel, viel lernen, noch mehr
arbeiten, denn im Geisterreich wiegt ein Gedanke millionenschwerer als zu der
Zeit, da du noch Mensch warst. Als Mensch standen dir Gnadenmittel zur Verfügung
kraft deines Glaubens; hier besitzt du nur das, was du mit herübergebracht hast
und dieses ist sehr wenig. Überlassen wir den Bruder Anton nun sich selbst, denn
ohne Demut kann keiner durch das Tor des Lebens gehen. Eine Liebe wollen wir ihm
noch erweisen, den Krug wollen wir ihm hier lassen, denn ein Brot haben wir
nicht mehr. Euer Hunger ist gestillt, löscht euren Durst, den Rest lassen wir
ihm hier."
Emil, der inzwischen mit vielen schon gesprochen und manches erläutert hat,
kommt zu Johanna und spricht:
„Möchtest du nicht an der Spitze gehen und ich am Schlusse, oder wie dachtest
du?"
„Brüder, geht im Namen des Herrn, ich bleibe mit Maria am Schluss."
Christa liess alle einen Schluck Wasser nehmen, welches so gelobt wurde und doch
nicht weniger wurde, dann übergab sie Johanna den Krug. Johanna setzte den Krug
dem Anton hin und sagte:
„Hier ist noch ein Trunk Wasser für deinen Durst als Beweis, dass wir ohne Hass
von dir gehen. Verschütte es ruhig, aber damit hast du dann auch dir die letzte
Möglichkeit einer Rettung genommen."
Endlich verliessen sie das Wirtshaus. Der Zug ging weiter, weiter über
Trümmerhaufen, verwüstete Dörfer und traurig dastehende Ruinen. Endlich wurde es
heller und heller.
Emil mit den Männern voran, die Mädchen bei den Frauen, und endlich am Schluss
Johanna mit Maria.
Endlos lang war der Weg, die Strasse schien kein Ende zu nehmen, obwohl alle
Verwüstungen aufgehört hatten. Vor ihnen lag eine schöne Landschaft. Hunger und
Durst machten sich bei vielen bemerkbar, da blieb Emil stehen, er liess alle
herankommen.
Er nahm Abschied von dem Zug, vor allem von den Fünfen und sagte: „Meine
Schwestern und Brüder, harret in Geduld, bald schlägt eure Erlösungsstunde. Mein
Dienst ist bei euch zu Ende, ihr benötigt mich nicht mehr, da ihr willig seid
und wollet im Reich der Gnade würdige Bewohner werden. Verzaget nicht, sondern
vertrauet; nach dem Masse eurer Liebe und Vertrauen wachset ihr in das Leben
Gottes hinein. Die Gnade Gottes und die Liebe des Heilandes sei euer ewiger
Teil!"
Vorbereitungen zur Erlösungstat
Verschwunden war der herrliche Bruder. Nun begab sich Johanna mit Maria nach der
Spitze. In kurzer Zeit sahen sie ihre künftige Heimat, die nach aussen recht
dürftig aussah. Mutter Anna und Hendrick waren die einzigen, die sie erwarteten,
den Zug herzlich willkommen hiessen und sie in Hendricks Stube führten. Sie war
immer noch so einfach wie im Anfang, aber alle hatten Platz. Die Tafeln und die
Tische waren mit Früchten und Brot gedeckt, an denen sie nun auch ohne alle
Nötigung rasch Platz nahmen. Sie waren recht müde geworden, froh, endlich
ausruhen zu können und warteten der Dinge, die da kommen sollen.
Mutter Anna musterte alle, sprach zu dem einen oder dem anderen ein paar Worte,
während Hendrick schwieg. Reden war nicht seine Sache. Durch Zureden sättigten
sie sich alle und alle Müdigkeit war verschwunden. Mutter Anna spricht:
„Meine Lieben, ihr seid den Fünfen gefolgt, habt die erste Stärkung erfahren in
eurem neuen Heim und braucht eine Bestimmung für euer künftiges Leben. Ehe ihr
nun mit eigenen Augen euer künftiges Heim beschauen sollt, möchte ich euch auch
die Ordnung dieses Hauses und Heimes klarmachen, nach der ihr euch einrichten
müsst. Wer sich nicht einordnen will und kann, schliesst sich von selbst aus,
auch ist es jedem freigestellt, von dannen zu gehen, wenn er will. Ihr selbst
traget ja eure eigene Welt in euch und wisset es nicht. Es ist auch gut so, denn
ihr würdet erschrecken über die Verwahrlosung und das Raubzeug, das sich darin
aufhält. Ihr seid gleich wie wir Geister und seid Fremdlinge, ihr brauchet vor
allem Führung, Belehrung und Anweisung.
Wir handeln im Geiste der ewigen Ordnung und der erbarmenden Liebe. Hier wird
uns jeder zum Bruder und zur Schwester, niemand braucht Not zu leiden, nach dem
Masse eures geistigen Wachstums und der Erkenntnis gestaltet sich euer Sein und
Leben.
Erhebet euch nun, damit ich euch euren Führer und eure Bestimmung zeigen kann.
Wer von euch Sehnsucht hat, sich mit mir oder Bruder Hendrick auszusprechen,
wird uns hier treffen. Wir sind vom Herrn Selbst als Verwalter eingesetzt, bis
der Herr dieses Heimes einzieht. Kommt im Namen des Herrn Jesu, gesegnet sei
euer Wille und eure Liebe."
Als sie hinaustreten, erwartet sie Gotthold und begrüsst sie mit herzlichen
Worten. Mutter Anna spricht:
„Dieses ist nun euer Freund, Bruder und Berater, sein Wort ist wie das Wort des
Herrn und sein Wille gleich dem Gotteswillen. So nimm, Bruder Gotthold, diese
Schar in deine Obhut. Habe rechte Geduld und sei versichert, der Herr fügt alles
in Seine Liebesordnung ein."
Die fünf Schwestern nehmen Abschied und versprechen, sie bald zu besuchen, da
kommt Maria und spricht:
„Ihr wollt uns verlassen? Darf ich nicht mit euch gehen? Gerade du, Johanna,
warst so gut und hast soviel Liebe gebracht, und nun dürfen wir nicht mehr
zusammen sein?"
„Beruhige dich, Maria, deine Welt ist noch nicht zubereitet für das Leben, ich
hoffe aber, dass du bald in dir wachsen wirst in dem Geist der ewigen Liebe. Sei
getrost, nur Gutes erwartet euch, so ihr Gutes wollt. Die ewige Liebe will ja
euer Bestes zu eurem Heil, nur wollen und müssen wir vertrauen, dann werdet ihr
alle nicht nur die Gnade Gottes, sondern auch die erbarmende Liebe des guten
Vaters und Heilandes erschauen. Ziehet hin in Frieden, euer Wille werde euch zur
Kraft zum Vollbringen."
Gotthold winkt und alle gehen ihm nach.
Wie freudig wurden die Fünf von ihren geliebten Schwestern empfangen. Sie wurden
umringt, bis sie endlich zur Ruhe kamen und alles erfuhren. Das Leben nahm
seinen Gang. Nach einiger Zeit sprach Johanna zu Liesa:
„Wollen wir nicht zu den Letzten gehen, die dem Bruder Gotthold übergeben worden
sind? Mein Herz ist immer bei ihnen."
„Auch mir geht es so, Johanna, immer denke ich an Maria, die ja die erste war,
sich uns anzuschliessen, man müsste ihr besonders dankbar sein."
„Dann komm, wir besuchen sie und bringen ihnen etwas Freude, die Blumen stehen
in bester Pracht." Beide besorgen sich die schönsten, und so gehen sie nach dem
Bestimmungsort. Bald sehen sie schon von weitem, wie sie tätig sind an ihrem
neuen Heim, Gottholds Liebe wurde herrlich belohnt. Sie gaben sich Mühe. Nicht
Gotthold gab Anweisung, sondern sie selbst mussten Beschlüsse fassen, nur
korrigieren tat er, so wuchs Segen aus der Wildnis, die von vielen gerodet
wurde.
Schon von weitem sah man die Früchte ihrer Arbeit.
Die beiden näherten sich, endlich wurden sie bemerkt und mit Freuden begrüsst.
Robert, der eigentlich, ohne es zu wollen, die Seele des Ganzen war, sprach zu
Maria:
„Schau dort die lieblichen Mädchen, sie kommen uns besuchen, hoffentlich freuen
sie sich, denn gerade feierlich sehen wir nicht aus."
Zögernd geht Maria hin zu den beiden und spricht:
„Wie habe ich mich nach euch gesehnt, nun seid ihr doch gekommen, leider können
wir euch nicht viel Schönes bieten, es ist zuviel Arbeit nötig."
„Maria, habe ich nicht gesagt, ihr sollet Geduld haben? Kommt nur mit euch
selbst in Ordnung, ihr werdet Wunder über Wunder erleben. Pflanze diese Blumen
in deinen Garten, sie gedeihen auch in dieser Erde, nur Liebe ist ihr
Bedürfnis."
Auch Robert dankt mit übervollem Herzen den beiden und führt sie dann in ihr
künftiges Heim, welches nun im äusseren fertiggestellt war.
So blieben sie eine kleine Zeit, dann besprach Gotthold noch einiges mit den
beiden. Maria verliess die beiden nicht, da sagte sie:
„Ich bin noch viel zu gering der Gnade Gottes und viel zu unrein in eurer
Gegenwart, aber um das bitte ich euch, kommt recht bald wieder; ich fühle den
Umschwung in mir, dass ich bald freier werde von den Lastern des Irdischen, nur
nicht so schwer sollte es sein. Gotthold ist so voll Liebe zu uns, nie tadelt er
unsere Fehler und Sünden, sein Wort ist immer: ,Ich bin euch kein Richter, nur
Bruder.' In dieser Liebe lässt es sich gut arbeiten. Aber, Johanna, der Berg von
Sünden wird nicht kleiner, wenn ich mich ansehe, möchte ich mich vor mir selber
schämen, es kann doch nicht so fortgehen."
„Ach, Maria, denkst du vielleicht, bei uns ist es besser gegangen? Was wir nicht
vermochten, vollbrachte der Heiland. Hast du dich schon so recht voll Sehnsucht
an Ihn gewandt? Ohne Ihn wirst du schwerlich zur rechten Himmelsruhe kommen, die
in der ewigen Geisterwelt Grundbedingung alles Wesens ist."
Maria: „Ja, hier sitzt der Haken, wie kann ich mich an den Heiland wenden, den
ich so treulos verlassen habe, ich brauchte Ihn ja nicht, die Welt gab
übergenug."
„Trotzdem, Maria, musst du dich immer mehr demütigen. Dein Herz muss dich in
Sehnsucht und Verlangen drängen, Ihm ganz zu gehören, dann wird dir leicht und
was du noch an Sünden und Fehlern an dir siehest, verschwindet durch Seine
Gnade, Liebe und Erbarmung.
Versuche es nur, der herrliche Heiland Jesus hat noch keinen Bittenden von sich
gestossen."
Ach wie freuten sich die anderen, als Johanna und Liesa ihre Arbeit lobten. Sie
versprachen, noch eifriger zu sein und fragten, ob auch ihnen volle Vergebung
zuteil würde?"
Johanna: „Aber, ihr Lieben, wenn euch der Herr zürnen würde, glaubt ihr wohl,
ihr wäret hier? Dem ewigen und heiligen Gott, dem liebevollsten Vater ist es
noch nie in den Sinn gekommen, euch zu strafen oder zur Rechenschaft zu ziehen,
denn alles, was ihr euch aufgebürdet habt, müsst ihr auch selbst abtragen. So
ihr aber recht demütig werdet, anfanget euch zu lieben, kommt auch die Liebe
euch auf halbem Wege entgegen und hilft euch eure Bürde abtragen. Ist aber einer
unter euch, der aus Liebe zum anderen dessen Bürde mit auf sich nimmt, der kann
erleben, dass er bald frei und ledig wird durch die erbarmende Liebe und Gnade
Jesu."
Herzlich nehmen die beiden Abschied. Beim Gehen fragt noch Maria, ob der
zurückgebliebene Anton noch nicht gekommen wäre, sie vermisse ihn sehr.
Johanna: „Maria, wenn dein Herz dich drängt, bitte für ihn. Schon in dem
Verlangen, ihm helfen zu wollen, gehst du auf den Wegen, die zum Heil führen.
Sei getrost, bald, bald wirst du dich freuen."
Liesa sagte auf dem Heimweg: „Es ist erstaunlich, wie sie sich alle bemühen,
Maria hat mir am besten gefallen."
„Mir auch, Liesa, aber leider haben sie noch nicht den Sinn erfasst. Sie sind
fleissig, um bald ein schönes Daheim zu haben. Wann werden sie so weit sein,
dass sie den anderen ein schönes Daheim bieten möchten. Ich hoffte, Maria soweit
zu finden, aber wir müssen uns auch gedulden."
So verging eine Zeit der Ruhe.
Johanna nahm den Ruf des Vaters auf, Maria zu besuchen. Ohne Säumen ging sie
nach deren angewiesener Heimat, die in einfacher, schlichter Weise bewohnt
wurde. Die Gärten wurden nun hergerichtet. Es war eine harte Arbeit, aber sie
machte Freude. Auch schmeckte ihnen von einem zum anderen Male das Brot immer
besser. Maria hatte einen sinnenden Zug im Gesicht, in ihr war eine Wandlung
vollzogen. Sie betete, wenn auch allein, aber sie betete um den verlorenen
Anton.
Gotthold blieb viel in ihrer Nähe, da Robert ihr Herzensleben hemmte. Da
erschien Johanna.
In der Hölle
Mit den Worten: „Es ist soweit, Maria! Bist du bereit, deine Liebe in die Tat
umzusetzen?" wurde sie von Johanna begrüsst.
„O ja, aber wer kommt mit, wir beide können doch nicht so weit zu ihm gehen?"
„Maria, fürchte dich nicht, wer auf den Wegen der Liebe wandelt, ist nicht
allein, sondern wohlgehütet. Der übergute Heiland und ewige Vater weiss um
alles, auch um unsere Schwachheit und wird tausendfach unsere Liebe segnen und
deine Sehnsucht erfüllen."
Wenige Worte wurden mit Gotthold gesprochen, dann gab er seine Erlaubnis und
segnete die beiden.
Mutter Anna erwartete die beiden, nahm beide an ihr Herz und sagte:
„Ziehet im Bewusstsein der übergrossen Gnade Jesu. Segen über Segen sei euch,
weil ihr den Verlorenen heimholen wollt. Mit unserer ganzen Liebe werden wir
euch begleiten."
So schritten sie durch das Tor. Maria sagte:
„Mir ist, als wenn alles viel freundlicher aussieht, werden wir auch den Weg zu
ihm finden?"
„Maria, nur der Herr ist unser Wegweiser, denn ohne Seiner ist alles verlorene
Mühe. Willst du, dass wir Erfolg haben, dann nur mit Jesus dem Herrn."
Ein Mann im dunklen Gewand erwartete die beiden. Sofort erkannte sie den
heiligen Vater, hörte aber auch innerlich den Ruf: „Verrate Mich nicht." Sie
bezwang sich, begrüsste Ihn mit ruhigen Worten und fragte: „Bist du gegekommen,
uns zu begleiten?"
Er sagte: „Die Liebe gebot Mir, euch beiden zu dienen, denn ohne Schutz ist es
gefährlich, in die tobende Hölle zu gehen. Verfügt über Mich, Ich will Mich ganz
eurem Willen fügen."
Johanna konnte vor überquellendem Glück nicht reden, eine solche Herablassung
war ihr doch noch nie vorgekommen. Sie ergriff Seine Hände, drückte sie, jedes
weitere Wort hätte alles verraten.
Mit einer Schnelligkeit waren sie an dem Ort der Verwüstung angelangt. Eine
graue Finsternis mit aufsteigenden Dämpfen machte diesen Ort noch grauenvoller.
„Wir sind an Ort und Stelle", sagte der Herr, „handelt nach eurer Liebe und
Weisheit, erschrecket über nichts, denn auch in der Hölle ist der Herr immer
noch Herr."
Johanna: „Du hast die Worte unseres Begleiters gehört, fürchte dich nicht, uns
kann nichts geschehen, denn Liebe hat scharfe Augen. Wir wollen Anton suchen
gehen."
In einem grossen Trümmerfeld hörten sie ihn schon von weitem toben. Er war immer
allein, verfluchte sich, die ganze Welt und vor allem sein unsterbliches Sein,
welches ihm immer grösseren Hunger und noch grössere Qualen bereitete. Nun
treten die drei in seine Sphäre.
Mit wutverzerrtem Gesicht blickt er auf die Angekommenen. Er will einen Fluch
ausstossen, aber Johanna sagt:
„Der Friede des Herrn sei mit dir!"
Da ergreift Anton einen grossen Stein und will ihn auf Johanna werfen, aber der
Herr hebt Seine Hand und spricht:
„Halt ein, du Verblendeter, wenn du nicht auf ewig die Gnade Gottes dir
verscherzen willst! Mit dem Stein sollst du so lange verwachsen sein, solange
wir hier sind, und bis dein Hass sein Ende gefunden haben wird; damit du uns
aber nicht schädigen kannst, sollen deine Arme kraftlos sein."
„Was wollt ihr hier, ich habe euch nicht gerufen."
Johanna: „Wir sind von selbst gekommen, um dich noch einmal einzuladen in unsere
Gemeinschaft, wo Bruderliebe oberstes Gesetz ist. Wir wissen um dein verlorenes
Leben, kennen dein übergrosses Elend und möchten dich vor dem ewigen Verderben
retten."
„Aber nun aus den Augen, wenn ich könnte, ich würde euch zermalmen."
Tritt Maria hervor und spricht:
„Anton, halt ein, du fluchst dir den Tod an den Hals, willst denn du immer noch
nicht begreifen, die anderen sind glücklich und zufrieden mit ihrem Los. Wenn
wir auch in keinem Himmel leben, aber ein Paradies bauen wir uns mit Hilfe des
Herrn und Seiner grossen Gnade. Bis jetzt ist es noch keinem in den Sinn
gekommen, zurückzukehren zu dem alten vergangenen Leben, weil wir alles haben,
was zu unserem Erhalt nötig ist. Nur ich bin nicht so recht glücklich, weil du
mir fehlst."
„Schweig, ich will nichts hören, ich glaube dir nicht, oder seid ihr gekommen,
mich elender zu machen?"
Johanna: „Dich elender zu machen ist nicht mehr nötig, da du schon elend genug
bist; du willst es nur nicht begreifen und hoffst auf einen guten Ausgang, ohne
dich von deinem Element zu trennen. Es wird aber nicht werden, da du als Herr in
deiner eigenen Welt auch den in dir ruhenden Gesetzen verpflichtet bist. Wie
deine Liebe, so dein Leben. Jeder, sei es wer es auch sei, muss durch die Schule
des Gehorsams gehen, keinem kann etwas anderes werden, als was seine in ihm
wohnende Liebe will. Noch ist es Zeit, deinen Hass in dir zu begraben, noch
kommt dir Jesus in Seiner rettenden Liebe entgegen, um dir zu zeigen die Wege
zum freien und wahren Leben. Verharrst du in diesem deinem jetzigen Sein,
verrammelst du dir mehr und mehr den Weg, der in die Freiheit und zum rechten
Leben führt. Oder willst du uns weismachen, dass dein jetziges Leben ein
wohlgefälliges und glückliches sei?"
Anton schweigt. Er möchte die drei abschütteln und kann nicht. Finstere Gedanken
wühlen ihn auf, aber er ist in allen Dingen ohnmächtig, die Arme versagen ihm
den Dienst und den schweren Stein muss er tragen, er wird immer schwerer und
schwerer.
Wie auf ein inneres Geheiss schweigen Johanna und Maria und sehen auf den sich
schwer quälenden Anton. Endlich, nach einer für ihn unendlich langen Zeit,
spricht er zum Herrn:
„Nimm wieder den Stein von mir, von mir habt ihr nichts mehr zu befürchten, Du
bist der Stärkere."
Der Herr: „Gut, dass du es einsiehst, sei wieder frei und im Vollbesitz deiner
Kraft, doch im geringsten, wo du wortbrüchig wirst, mache Ich Gebrauch von
Meiner Stärke."
Anton legt den Stein behutsam nieder und spricht:
„Mir ist nicht wohl in Deiner Nähe, denn noch nie war ich des anderen Knecht;
aber kann ich eigentlich dafür, dass ich so bin? Man hätte mich anders erziehen
müssen."
„Glaubst du in deiner Verblendung, das sei eine Entschuldigung? Du hast doch als
Mensch alles besser gewusst, hast es verstanden, deine Mitmenschen
tributpflichtig zu machen. Auch hier in der Geisterwelt hast du als Herrscher
und Hochmutsgeist dich durchsetzen können, bis endlich der Herr deine Ziele und
deinen Sinn durchkreuzte. Oder glaubst du, dass der ewige Gott auch dir zins-
und tributpflichtig werden soll? Als Mensch standest du auf Gottesboden und
missachtetest die Gebote der Menschenliebe, jetzt, wo du deines Fleisches ledig
bist, stehst du auf deinem eigenen Boden und erntest, was du als Mensch gewollt
hast.
Dein Los war noch ein erträgliches gewesen, weil die Fäden der Liebe dieses
mutigen Weibes zu dir verbunden sind, zerreisse sie nicht, denn überschrecklich
wird das Verderben über dich kommen.
Noch bist du der Herr deiner selbst. Auch unter der Gemeinschaft derer, die dich
suchen, kannst du immer noch deine Freiheit als dein höchstes Gut betrachten.
Wenn aber die Hölle dich ergreift, dann wirst du zum Knecht und Sklaven deiner
in dir geschaffenen Quälgeister, und die Aussicht auf eine Rettung wird immer
schwerer."
„Ich weiss gar nicht, was ihr wollt, lasst mich doch, wo ich bin, ich habe keine
Lust mit euch zu gehen, und wenn es mein Verderben ist, was geht es euch an?"
Der Herr: „Sehr viel, denn auch deine Erlösung gehört zum grossen
Erlösungswerke."
„Da mag der ewige Gott und Herr warten, bis es mir passt, jetzt habe ich noch
keine Lust", erwidert der Verblendete. Aber der Herr spricht:
„So nehme das Verhängnis seinen Lauf, wir werden aber trotzdem in der Nähe
bleiben."
Johanna: „Vater, Du bist Liebe und ewige Erbarmung, ist keine Rettung möglich?
Brüder mit solchem Willen könnten Grosses wirken in Deiner Liebe."
„Ja, Johanna, du hast recht, wir geben ihn nicht auf, nur unsichtbar sind wir
ihm geworden. Nimm Maria an der Hand, sie soll sich nicht fürchten, soll stark
sein, denn wir brauchen auch sie zu dem grossen Werke. Schauen wir fest auf
Anton."
Anton sieht sich um, er ist wieder allein, er spricht:
„Der reine Teufelsspuk, sie sind verschwunden, sogar ohne Abschied, das nennen
sie also Liebe; ich bin froh, dass sie weg sind, unheimlich ist der Mensch, ich
wollte sagen Geist, geworden, na egal, ich habe meine Arme wieder und wehe dem,
der mir in die Quere kommt.“ - Da gibt es einen fürchterlichen Krach, Feuer und
Qualm entströmen der Erde und verursachen tüchtige Hitze und Qualm, wohl an zehn
fürchterlich aussehende Männer umstehen den Anton und rufen, er solle kommen.
„Ich komme nicht", ruft er, „macht, dass ihr weiterkommt, ich will nichts mit
euch zu tun haben, ihr Gesindel."
Spricht einer: „Macht ihn euch willfährig, aber rasch, sonst wird er euch
gefährlich."
Da springen sie auf und wollen ihn fassen. Anton wehrt sich lange, aber endlich
liegt er am Boden. Sie binden ihm die Hände und Füsse, dann tragen sie Steine zu
einem Haufen, werfen ihn hinauf, dann werfen sie noch mehr Steine auf ihn bis
nur der Kopf herausschaut, bringen Feuer, mit dem sie vertraut sein müssen, und
erhitzen den Steinhaufen. Immer geschäftiger werden sie und bringen dem Feuer
neue Nahrung, so dass die Flammen auch an seinem Kopf lecken. Laut brüllt er vor
Schmerz auf, die Fesseln sind wohl mitverbrannt, aber seine Kräfte sind hin. Nun
stöhnt er nur noch vor Schmerzen, er ist erledigt.
Maria ergreift weinend die Hände des Begleiters und spricht:
„Du guter, starker Mann, es ist zuviel, ich kann dieses nicht mehr mit ansehen,
es ist doch unmöglich, dass es etwas solches geben kann; hast du nicht die
Macht, ihn von den Teufeln zu befreien?"
„Maria, Ich hätte die Macht, aber Ich kann und darf es nicht. Ja, wenn Anton
demütig und bittend würde, so wäre dieses anders, denn hier im freien Reich der
Geister ist auch Gott an die urewigen Gesetze gebunden. Übrigens, Maria: schaue
auf Johanna, wie sie ruhig ist, sie weiss, dass hinter diesem allem Tun immer
noch die Heilandsliebe Ausschau hält. Nur fremd ist dir dieses alles. Wenn du
aber das Leben wahrhaft ergriffen hast, wird dich auch das Licht der Liebe
genugsam erleuchten. Sei nur ruhig und warte der Dinge, die da kommen, wir
dürfen nie die Hoffnung aufgeben."
Die zehn Wüteriche umstehen den Steinhaufen, das Feuer ist nieder, sein
Unterleib ist nahezu verbrannt. An den Armen ist überhaupt kein Fleisch mehr zu
sehen, aber die Kraft in den Armen kehrt zurück. Er schiebt die glühenden Steine
zurück und will sich befreien, da schreit der Anführer:
„Passt auf - er muss wieder gebunden werden?" Da sieht Anton den Anführer,
erfasst einen glühenden Stein und wirft ihn dem Anführer an die Brust. Dieser
bricht zusammen, die anderen rücken ab, sie haben Furcht vor den Steinen
bekommen.
Als Anton sieht, dass er mit dem Anführer allein ist, packt er ihn wie ein
Bündel und wirft ihn auf die heissen Steine. Er schaut sich an und erschrickt
über sich selbst.
Er setzt sich in einen Winkel und schaut auf den Menschen, der sich von den
Steinen erhoben hatte. Dieser geht auf ihn zu und spricht:
„Beinahe hättest du mir Schaden zugefügt, es wäre für dich das grösste Unglück
gewesen, aber wir wollen uns vertragen."
„Nein", spricht Anton, „mit Gelichter deiner Art werde ich nie verkehren, was
tat ich dir, weil du mich so quältest?"
„Deine Kräfte habe ich herausgefordert, glaubst du, dass deine Kräfte zunehmen
würden, wenn du nicht erprobt würdest? Unser Führer sollst du werden, denn auf
Erden geht es lustig zu, der Tod hält reiche Ernte, da wollen wir uns unseren
Anteil sichern."
„Was", brüllt Anton, „zum Führer und Räuberhauptmann wollt ihr mich haben! Aber
nun fort, sonst zermalme ich dich mit den Steinen, wenn ich nur einen von euch
erblicke, seid ihr der Steine sicher."
„Du wirst es schwer bereuen, gut hätten wir es mit dir gehabt, aber wenn du
nicht willst, geht es auch ohne dich."
Herrlicher Erfolg
Anton war wieder allein. „Was nun, wie sehe ich bloss aus! Wenn nur der
verfluchte Schmerz nicht wäre und dieser rasende Durst. Wie wäre ich froh, wenn
das Mädel oder Maria mit einem Schluck Wasser hier wäre. Leer ist der Krug schon
lange, zerbrechen mag ich ihn nicht, ich will nur einmal schauen, vielleicht
sind noch einige Tropfen drin. Da steht der Krug. Lass dich nur noch einmal
anschauen, dann kannst auch du den Weg alles Fleisches gehen. Doch halt, was ist
das, es sind noch einige Tropfen darinnen." Mit den knöchernen Fingern tupft er
hinein und kühlt sich die Zunge. Aber merkwürdig, es sind doch immer noch einige
Tropfen darinnen, und so leckt und leckt er immerzu, aber der Durst wird immer
grässlicher. So spricht er weiter:
„O du Krug in meiner Hand, warum zertrümmere ich dich nicht, was ist mit dir
los, dass du immer einen feuchten Boden hast, ich kann wischen wie ich will,
immer bringst du etwas Feuchtigkeit auf. Ist es wahr, dass du ein Stück aus dem
Paradiese bist, von dem Maria sprach? Wo werden sie jetzt sein, es muss eine
verteufelt lange Zeit her sein, dass sie hier waren, na egal, was war, kommt
nicht mehr wieder." Er beschäftigt sich mit dem Krug und denkt über sein Elend
nach.
Maria spricht: „Du lieber, guter Freund, könnte und dürfte ich ihm nur einen
Krug Wasser bringen, ich glaube, es liesse sich mit ihm reden."
„Du darfst es, Maria, aber warte noch eine Weile, wo willst du so schnell Wasser
herbringen in dieser Steinwüste?"
„Du hast recht, wollen wir nicht welches holen?"
„Ist nicht nötig, Maria, wenn Johanna den Krug in die Hand nimmt, wird er sofort
voller Wasser sein, aber Anton muss bitten lernen."
„Oh, da sieht es schlimm aus, so wie ich ihn kenne, wird er nicht bitten."
„Er wird es, Maria, glaube es felsenfest, denn ohne deinen Glauben wird er zu
keiner Bitte kommen. Aber nun passe auf was geschieht!"
Anton tupft immer eifriger in den Krug, auf einmal rutscht er ihm aus der Hand
und liegt zerbrochen am Boden. Sprachlos schaut er auf das Unglück und spricht:
„Nun ist alle Hoffnung dahin, das Ende des Kruges ist auch mein Ende, mir wird
niemand glauben, dass der Krug ohne meinen Willen zerbrochen ist, nun weiss ich
nicht, was werden soll."
Der Durst wird immer rasender, die Schmerzen immer grösser, er legt sich hin und
leckt die Scherben ab, aber Kühlung wird ihm keine. Stöhnend spricht er:
„O ich Tor, im Paradiese könnt ich sein, nun ist alles aus, wenn ich nur sterben
könnte."
Nun bleibt er liegen und spricht noch:
„Mag werden, was da will, hier bleibe ich liegen bis der Tod kommt. O Gott, der
ich Dich verachtet, lass mich endlich sterben, sterben, sterben."
Aber kein Tod kommt, die Schmerzen brennen noch ärger, er wühlt sich um und um,
und die Zeit wird ihm zur Ewigkeit, die Minute zur endlosen Qual.
Lautlos geht Johanna hin, von ihren Händen geht ein Leuchten aus, sie klaubt die
Scherben auf, mit dem letzten Scherben ist auch der Krug wieder heil und voll
Wasser. Stumm reicht sie Maria den vollen Krug, dann streicht sie mit beiden
Händen über den stöhnenden Anton. Im Nu richtet sich dieser auf und spricht:
„Mädchen, dieses werde ich dir nicht mehr vergessen, du hast mir die Schmerzen
abgenommen, aber danken kann ich dir nicht, ich bin am Ende."
Johanna aber sagt:
„Ist auch nicht nötig zu danken, denn nicht ich tat dir die Wohltat, sondern der
Herr und Heiland Jesus. Er würde dir noch mehr tun, so du recht demütig bitten
würdest."
„Mädchen, ich habe rasenden Durst, kannst du mir nicht einen einzigen Schluck
Wasser bringen, der Krug ist ohne mein Wollen zerbrochen."
„Anton, so weit reicht es bei mir nicht, aber bitte doch den Herrn Jesus, Er hat
noch keinem eine Bitte abgeschlagen, so sie aus reinem Herzen kam."
„Ich würde bitten, so Er hier wäre, wenn du es vermagst, bringe Ihn her, oder
führe mich hin zu Ihm. Bist du allein hier, warum hast du keine Angst?"
„Ich bin allein und nicht allein, aber Maria und den Freund kann ich dir
bringen, sie sind schon da."
Anton: „Maria, bringst du mir Wasser, lass mich trinken, ich verbrenne vor
innerem Feuer!"
Maria: „Du musst dich an unseren Führer wenden, ohne Seine Einwilligung tue ich
es nicht, weil es um dein Heil geht."
Anton sieht den Herrn an, dann spricht er:
„Ja, Du bist der Stärkere, mit Deinen Armen möchte ich keine Bekanntschaft
machen, aber Deine Augen sind gut; an Dich solle ich mich wenden um einen
Trunk."
„Wer da bittet, dem wird gegeben, darum mag dir Maria den Krug geben, er ist
voll des besten Wassers."
Schon reicht Maria den Krug hin, den Anton hastig nimmt und trinkt, trinkt und
trinkt. Endlich ist der Brand gelöscht, dann spricht er:
„Wer Du auch seiest, nimm den Dank aus meinem Munde, denn etwas anderes habe ich
nicht."
„Doch, Anton, dich selbst kannst du noch geben, indem du die Liebe, die dich
sucht, nicht mit Füssen trittst. Viel Schmerz hättest du dir sparen können, wenn
du mit den anderen gegangen wärest. Sie sind versorgt und glücklich, weil es
aufwärts geht, während du inzwischen mit der Hölle Bekanntschaft gemacht hast.
Nun stehst du wiederum am Scheidewege. Wenn Ich dir einen guten Rat gebe, so sei
es der: verscherze dir die Liebe deiner Schwester nicht, denn ohne sie wärest du
ein Opfer deines Hasses geworden!"
„Du kannst recht haben, aber leider bin ich so dumm."
Maria nimmt den Krug und spricht:
„Aber Anton, du kommst doch mit uns zu den anderen, du wirst dann auch so froh
und voll der besten Hoffnungen und auch mein Sehnen ist es, dich geborgen zu
wissen."
„Wenn ich darf, jetzt bin ich dazu entschlossen, aber sehe mich an, ich gehöre
nicht mehr zu euch, ich bin ja von den Teufeln gezeichnet für das ganze Leben."
Johanna: „Rede nicht so, sondern hebe deine Augen auf und suche den Herrn und
Heiland, der auch uns ein Helfer wurde. Du wirst bald alles vergessen lernen,
wenn du nur einmal mit Seiner Liebe und Erbarmung Bekanntschaft gemacht hast."
„Du magst recht haben, aber ihr wäret auch keine solchen Bösewichter, wie ich
einer bin."
„Rede nicht mehr davon, sondern komme, wir wollen diesen traurigen Ort verlassen
und uns ganz der Führung dieses Führers anvertrauen, aber du musst gern wollen."
„Ich will, denn schwerer wird die Zukunft nicht sein als die vergangene Zeit
war."
Der Herr spricht: „Maria, gehe mit deinem Bruder voraus, wir folgen auf dem
Fusse nach."
Maria nimmt Anton bei der Hand und spricht:
„Nun zieht Freude in mich ein, meine Sehnsucht wird erfüllt, denn auch ich litt
um deinetwillen, aber nun wird alles gut."
„Du hast mir vergeben, Maria? Dann aber schnell fort."
Sie gehen durch die Trümmerstätten, immer enger wird der Gang. Jetzt endlich
treten sie ins Freie. Da werden sie mit Fluchen und Schreien überfallen. Wohl an
die zwanzig wild aussehende Männer umzingeln die Vier. Einer packt den Anton
beim Arm und will ihn von Maria reissen. Da schlägt Anton zu, und dieser liegt
stumm am Boden. Die anderen brüllen vor Wut und greifen ihn an, aber Anton packt
einen und wirft ihn auf den Boden, da weichen die anderen zurück.
„Schnell fort", spricht Anton, „hier ist es gefährlich!" Aber Maria sagt:
„Anton, willst du die Armen hier liegen lassen? Wir sind doch auf dem Wege in
das wahre Leben."
„Eigentlich hast du recht, aber sind sie nicht unsere Feinde? Sie wollten mit
uns doch nur Schlechtes."
„Tue Gutes dafür, wir kommen weiter damit."
„Wenn du meinst, will ich ihn aufheben." Schon beugt er sich zu dem einen, hebt
ihn auf und spricht: „Maria, hast du nicht noch einen Schluck Wasser im Krug,
ich will ihn damit beleben." In diesem Augenblick schlägt dieser die Augen auf.
Anton hält ihm den Krug an den Mund und dieser trinkt einige Schluck. Dann
spricht er:
„Ich wollte deinen Untergang, du aber belebst mich mit frischem Wasser, du
kannst nicht so schlecht sein, wie man dich machte."
„Ach, rede nicht davon, Kamerad, sondern komme mit uns. Wir wollen erst noch den
anderen anschauen, vielleicht ist er nicht so schlecht daran."
Es war auch so, nur ein Schluck Wasser tat Wunder, aber vor Angst zitterte er
noch mächtig. Sagte Anton:
„Friert dich so sehr oder hast du Schmerzen?" Spricht der Angeredete:
„Ja, aber noch grössere Furcht, denn ich habe noch keinen guten Augenblick
gehabt seit dem grossen Unglück."
Wie die anderen sahen, dass Anton so besorgt war, kamen sie zögernd näher, einer
fragte: „Könnten wir auch einen Schluck Wasser bekommen, wir sind am Verdursten.
Die Luft ist hier so trocken und heiss, von dir hatten wir auch eine andere
Vorstellung."
„Wenn ihr nichts Schlechtes mehr wollt, dann kommt her, dort dieser Mann kann
mehr als ich, ich bin nur aus Barmherzigkeit angenommen."
Da wagt sich einer hin zum Herrn und spricht:
„Ist es wahr, dass du etwas mehr sein könntest, wir sind Unglückliche, die nicht
mehr wissen, was sie aus Hunger und Durst tun."
Der Herr: „Wenn euer Verlangen nach Hilfe ernstlich ist, eure Sehnsucht nach
einem besseren Sein euch erfüllt, dann seid ihr recht, so ihr zu Mir kommet,
aber unter einer Bedingung, dass Wut und Hass aus euch verschwinden. Ihr seid
Geister und Bewohner der Geisterwelt und keine Menschen mehr, alle Hilfe ist
nutzlos, so nehmt erst einen Trunk aus diesem Krug, alles weitere hängt nicht
von Mir, sondern von euch ab."
Johanna erhielt einen Wink, nahm von Maria den Krug und schon war er voll
Wasser. Da trank jeder, aber der Krug wurde nicht leer. Auch Anton erbat sich
noch einen Schluck, Johanna reichte ihn hin und sagte: „Die Liebe Jesu segne dir
diesen Trunk, damit er dir zum Heile gereiche."
Anton sah Johanna scharf an, er zögerte mit dem Trinken, dann aber tat er einen
langen Zug und sagte:
„O du Jesus, was musst Du für ein Mensch gewesen sein, denn in diesem Krug war
bestimmt Wein, mir ist auf einmal viel wohler geworden. Nun dauert es mich, dass
ich diesen Krug ausgetrunken habe, er hätte denen auch gute Dienste getan. Aber
nun wollen wir uns nicht länger aufhalten, damit wir endlich aus dem Loch
herauskommen."
Maria: „Ja, Anton, das möchte ich auch, aber wo willst du mit denen hin, dürfen
wir denn diese mitnehmen?"
Der Herr stand sofort neben Maria und sagte: „Maria, sorge dich nicht, sondern
lasse Johanna reden, sie kennt den Herrn besser denn du. Merke gut auf, denn
alles geschieht durch die grosse Heilandsliebe."
Johanna hob die Hand, begrüsste sie mit den Worten:
„Die Liebe Jesu lässt euch grüssen und einladen in unsere Gemeinschaft, die nur
der anderen Heil und Wohlergehen will. Noch seid ihr fremd in dieser Welt, arm
sind eure Herzen an Liebe, durch mich lässt euch der Heiland einladen und Seine
Hilfe anbieten. Sie lautet: Kommet mit uns in unsere Gemeinschaft. Freilich
müsset ihr euer Leben von Grund aus ändern, da ihr ohne jeden Glauben und Liebe
und ohne Besitz von geistigem Gut seid, aber es sind viele da, die euch gern
helfen und euch wahrer Bruder sein werden. Ich bin überzeugt, dass ich euch
nicht enttäusche und ihr die Stunde segnet, wo ihr mir Vertrauen
entgegengebracht habt."
Tritt Anton hervor und spricht: „Mädchen, rede nicht soviel, der Freund hier ist
Garantie, dass es mit dem Schlechten für uns ein Ende hat. Ihr dürft mir
glauben, lange, lange ist es her, seit sich meine Genossen von mir trennten. Wie
es mir erging, vermag kein Mensch zu schildern, sehet meinen Körper, das hat die
Hölle aus mir gemacht, sehet wie Maria strahlt, das hat der Heiland Jesus aus
ihr gemachtl Zu diesem Heiland wollen wir, ja müssen wir, sonst gehen wir alle
zusammen zu Grunde. Ich denke in eurem Sinn zu reden, so ich zu dem Freunde
sage: ,Sei Du unser Führer, wie Du den Schwestern Führer warst. Verzeihe mir
meine Beleidigungen, mit denen ich Dich kränkte."
Der Herr: „Siehe, Anton, so gefällst du Mir besser. Und da Ich dich in deinem
von der Hölle gezeichneten Zustand doch nicht mitnehmen kann, so will Ich dich
anrühren, du wirst zufrieden sein."
„Rühre mich an, Du guter Engelsfreund, es ist mir ein Beweis, dass Du mir
vergeben hast, doch gestatte, dass ich dann wenigstens vor Dir knie."
Anton fiel auf seine Knie, der Herr legte Seine Rechte auf sein Haupt und sagte:
„Lasse die Liebe dein Leben werden, dann wirst du auch den Heiland erfreuen, so
sei bekleidet!"
Anton sah die Veränderung, er trug einen sauberen grauen Mantel und sagte: „Habe
tausend Dank, mit dem Eifer ich einst der Welt diente, mit demselben Eifer werde
ich von nun an Gott dienen, und dazu bitte ich Dich, Herr Jesus, um Deine
Vergebung und um Kraft. Amen. —"
Die anderen schauten die Veränderung, beschauten den Anton, die Johanna und den
Herrn. Einer sagte:
„Wir wären Narren, so wir zurückblieben, wir kommen mit, wenn wir dürfen."
Johanna sagte: „Ihr dürft, ihr seid geladen, verlieret keine Minute, denn das
Glück wartet auf euch, es heisst Jesus der gute Heiland."
So zogen alle voll Hoffnung die Strasse, die den Neuen unendlich lang erschien.
Da liess der Herr den Zug halten und sagte allen hörbar zu Johanna:
„Johanna, hier verlasse Ich dich, das Ziel hast du vor Augen, Mein Dienst ist
erfüllt. Sei nicht traurig, rüstet alles zu einem grossen Fest, damit alle das
Wunder der Erlöserliebe erkennen!"
Ein Händedruck, verschwunden war der Herr, die anderen fragten: „Wo ist Er hin?"
Anton fragte: „Wer war dieser Freund?" Aber Johanna sagte: „Fraget nicht, denn
noch ist alles Neugierde in euch; in ganz kurzer Zeit sind wir an unserem
Bestimmungsort, der meine Heimat ist und die eure werden wird. So kommt im Namen
des Herrn, der die ewige Liebe ist!"
Endlich war das Ziel erreicht. Das Tor schien viel grösser. Hendrick und Anna
erwarteten den Zug, öffneten die Türe und luden zur Einkehr.
Wachsende Erkenntnis
In der grossen Stube des Hendrick war gedeckt für die Ankommenden: Brot, Früchte
und Milch. Anna zeigte hin an die lange Tafel und sagte: „Seid herzlich
willkommen im Namen des Herrn Jesus! Stärket euch von dem langen Weg, der euch
hungrig und müde machte. Hier seid ihr wohlgeborgen. Esset vorerst und trinket,
die Liebe hat euch dieses bereitet."
Anton: „Habt Dank für den Willkommensgruss und für die Liebesgabe. Wohl sind wir
alle nicht würdig der grossen Liebe, aber ich glaube, so ich im Sinne der
anderen rede und sage, wir wollen eure Liebe nicht enttäuschen und unser wüstes
und vergangenes Leben vergessen."
„So ist es recht", spricht Hendrick, „sättigt euch vorerst, dann wollen wir
weiterreden."
Das Mahl schmeckte allen gut, sie getrauten sich nur nicht so recht heran, aber
Anna sagte:
„Nicht so zaudern, sondern frei zugegriffen, das Brot wird nie alle werden, denn
hier am Vatertische gibt es für ewig keinen Mangel!"
Nun waren sie satt, alle Müdigkeit war verschwunden, da unterrichtete Anna die
Neuen von der Ordnung, der sich jeder zu unterordnen habe.
„Du, Anton, sei der Führer deiner kleinen Gemeinde. Bruder Gotthold wird dich in
allem unterrichten, und neben deinen Brüdern errichtet ihr euch ein Heim nach
eurer Lust und Liebe."
Anton: „Ich möchte nicht Führer sein, wenn es aber der Herr so will, da will ich
der geringste Diener sein. Aber wie kommt es, dass wir uns erst ein Heim
errichten müssen, meines Wissens steht ja geschrieben, dass der Herr Wohnung
bereiten will."
„Ja, Anton, du hast recht, für alle, die an Ihn glaubten und Seinen Willen
taten, trifft dieses auch zu; aber wo habt ihr die Frucht des Glaubens? Ihr
müsset von vorn anfangen, es bedarf vieler Arbeit, vieler Mühe, denn die Stätte,
die euch zur Wohnung wird, ist ja das getreue Abbild eurer Innenwelt. Ich will
euch nicht mutlos machen, sondern zum Trost euch mitteilen, dass gar viele
Helfer da sind, um euch zu dienen. Einen Kummer aber muss ich dir machen, Maria
bleibt bei Johanna. Auch sie muss erst neugeboren werden, damit sie später ihren
Platz ganz ausfüllen kann, wo sie die ewige Liebe hinstellen wird. Keine Frage
weiter, dort kommt Gotthold! Machet euch bereit, nach eurem neuen Bestimmungsort
zu gehen. Wer Sehnsucht nach Aussprache hat, wir sind immer hier zu finden."
Gotthold tritt ein, begrüsst alle auf das freundlichste und spricht:
„Du bist der Bruder, den der Herr bestimmt hat! Ich beglückwünsche dich zu
diesem herrlichen Amt und hoffe, du wirst deine Pflicht erfüllen."
Anton: „Du bist also Gotthold! Ich bin entschlossen, den Willen des Herrn
restlos zu erfüllen, aber du musst mir helfen, denn bis jetzt war ich ein
Teufel."
Gotthold: „Wenn der Herr dich berufen hat zu diesem herrlichen Dienst, dann hat
Er auch einen Strich hinter deine Vergangenheit gemacht. Das erste, was du nun
zu tun hast ist das, dass du auch einen Strich hinter dein und deiner
Anvertrauten Leben machst. Mit dem Eintritt in diese Welt hat ein neues Leben
seinen Anfang genommen. Habt rechte Geduld, zueinander rechtes Vertrauen und gar
bald werdet ihr überglücklich sein.
Du, Johanna, nimmst Maria mit zu dir, aber bald kommst du, uns zu besuchen." So
nehmen sie Abschied. Maria wäre gern mit Anton gegangen, aber Anna sagte:
„Kind, der Herr weiss um alles. Seine Vorsorge hat nur deine Glückseligkeit im
Auge, und du wirst in dem Neuen bald die anderen vergessen. Amen."
Anna zog nun mit Johanna und Maria in ihr schönes Heim. Hendrick aber begleitete
die anderen nach ihrer neuen Wirkungsstätte.
Wie staunte Maria im Heim der Anna, sie wagte kaum sich zu rühren vor dieser
Schönheit, die sich ihren Augen bot, aber Anna sagte, sie erst in die Arme
nehmend:
„Johanna, führe sie in dein Heim und sage allen Schwestern, dass das
Weihnachtsfest bei uns um so herrlicher gefeiert werden soll und alle mitfeiern
sollen, auch die, die jetzt bei uns Einkehr gehalten haben. Du, Maria,
erschrecke nicht vor den Schönheiten, die sich deinen Augen zeigen, denn in dir
liegen noch viel herrlichere. Sie können aber nur in der wahren Liebe ausgeboren
werden. Nun eilet, die anderen können die Ankunft gar nicht erwarten."
Welche Augen machte Maria, als sie durch die vielen Gärten gingen, sie kam aus
dem Staunen gar nicht heraus.
„Ist das der Himmel, in dem wir sind?" fragte sie, aber Johanna sagte: „Wenn es
dir Himmel ist, ja, aber es gibt noch tausendmal herrlichere Schönheiten, und
dazu sind wir noch nicht reif. Denke aber ja nicht, dass diese Blumen und
Fruchtgärten so waren, o nein, wir haben sie erst durch die Gnade und Liebe Jesu
dazu gemacht.
Dort ist unser Heim, die Schwestern kommen schon geeilt, um uns zu begrüssen."
„O Johanna, in meinem dunklen, schmutzigen Gewand muss ich mich doch schämen,
warum sagtest du nicht, dass alles so überherrlich ist?"
„O lasse alles dieses, werde Liebe, und du wirst noch heller glänzen als wir,
aber nun pass auf, was du jetzt erlebst!"
Beide wurden umringt, niemand konnte etwas sagen, die Freude war überwältigend,
es war eine Freude, die die Erde fast nicht kennt. Ein Jubel und im Jubel zogen
sie ein in das Haus. Da prallte Maria zurück! „In diesem Haus soll ich wohnen?
Mir nimmt es die Gedanken, hauchte sie." Aber Johanna zog sie hin an die Tafel,
die die Liebe bereitet hatte.
Johanna erzählte von dem Erlebten, schilderte all das Traurige. Beweinte alle,
weil die ewige Liebe so besorgt ist und Selbst den Handlanger machte, um die
Verirrten zu retten.
Maria verstand dieses alles nicht so recht, dann sagte Liesa:
„Johanna, viele Kranke sind wieder da, ich möchte nach oben gehen, ich werde da
dringend gebraucht, ruhe dich erst richtig aus, dann komme nach."
„Nein, Liesa, ich und Maria kommen mit, gehe nur voraus. Nun, Maria, höre,
willst du mit mir die Pflege der Kranken mit übernehmen? Auch für dich würde es
zum Segen gereichen."
„Ich will, Johanna, lehre es mich, damit ich endlich ein brauchbares Geschöpf
werde."
„So nicht, Maria, die Liebe soll dich leiten, denn was nun kommt ist Schule,
harte Schule, du musst vergessen die Liebe zur einstigen Welt, veredeln in dir
die Liebe zu den Männern und nur einen Willen dir aneignen, ein Helfer zu werden
wie Der, der dir ein Helfer wurde."
„Ich will es versuchen, Johanna, verlass mich nicht, ich kann nichts ohne deine
Liebe."
„Dann komme!" Ein Winken, ein Grüssen, dann gingen sie Hand in Hand eine Treppe
höher.
Als sie in die geöffnete Tür eintreten, stehen beide still, ein Saal mit
vielleicht tausend Betten und vielen Tafeln und Bänken bot sich ihren Blicken,
da kommt Liesa und spricht:
„Schau, Johanna, so viele waren es noch nicht, es sind sehr Schwerkranke
darunter, mit Sehnsucht erwarten wir dich. Und du bist Maria, sei uns herzlich
willkommen, die Liebe, die wir für dich in uns fühlen, soll dir das Schwere
tragen helfen, damit du bald frei und froh wirst, Jesus mit dir!"
Maria lernte nun Elend kennen, unermüdlich tat sie Seite an Seite mit Johanna,
was ihr geheissen wurde. Wenn es fast nicht mehr ging, dann ging Johanna mit ihr
in den Garten. Sie kehrten dann in sich ein, was sie wieder mutig machte.
Der herrliche Vater war gekommen, als Doktor in einem weissen Mantel, von Bett
zu Bett, von Tisch zu Tisch ging Er mit Johanna, überall ein gütiges Wort
sagend, oder ein Streicheln über das zerzauste Haar. Da zog eine Welle von
Freude durch den Saal, die Freudenbezeigungen wollten kein Ende nehmen.
Maria schaute Ihn durchdringend an, mächtig zog es sie zu Ihm hin. Sie wehrte
sich dagegen, sie glaubte, es wäre die alte Leidenschaft, die sie zu den Männern
zog. Sie konnte nicht anders, sie ging hin zu Ihm und sagte:
„Doktor, verzeihe mir, ich muss einmal Deine Hände drücken, die unselige
Leidenschaft hat mich wieder ergriffen. Verzeihe mir, und wenn Du mich
hinausstossest, ich kann nicht anders."
„Maria, nun bist du geheilt, hier hast du Meine beiden Hände!"
Da griff sie hin, wollte sie an ihr Herz drücken und gewahrte die Nägelmale. Sie
erschrak und schrie auf:
„O was ist das, Du bist Jesus! O was habe ich Unselige getan!" Sie sank nieder
und weinte, benetzte mit ihren Tränen Seine Füsse, bemerkte aber die Nägelmale
an Seinen Füssen nicht sofort. Als sie sich ausgeweint hatte, sah sie auch an
den Füssen die Nägelmale. Da wollte sie entfliehen. Er aber hielt sie zurück und
sagte:
„Maria, wo willst du hinfliehen? Alles ist doch Mein Reich! Ich habe rechte
Freude über dich. Zum Beweis Meiner Freude sollst du auch ein anderes Kleid
haben. Fahre fort, Meine Tochter, mache dein Herz ganz frei, dass nur noch ein
Sehnen dich erfüllt, ganz Liebe zu werden, damit auch du zum Segen der Verirrten
wirst."
„O Jesus, Du trägst mir meinen Verrat nicht nach?"
„Maria, was du tatest in deiner Blindheit, hast du auch abbüssen müssen, da du
aber deinem verlorenen Bruder den Weg bahntest, hast du alles gutgemacht. Lerne
fleissig in deiner jetzigen Schule, dann ergreifst du auch Mein Leben, welches
Liebe und Erbarmung ist. Denn nur in Meinem Leben stehend, kannst du wachsen und
ausreifen. Mein Friede sei deine Stärke und Meine Liebe dein Leben. Amen."
Verschwunden war der Herr, nach einer Weile sagte sie:
„Ach, Johanna, wenn es am himmlischsten ist, dann ist es auch zu Ende. Aber
schau, ich habe ein blaues Kleid und einen weissen Mantel. Doch ich muss dich
fragen, Johanna: wusstest du, dass der Doktor der Heiland Jesus ist?"
„Gewiss, Maria, aber in unserer Welt ist es anders als in der irdischen Welt.
Hier musst du allein finden, damit dein Innenleben bereichert wird von dem
Göttlichen und Himmlischen. Bist du nun glücklich?"
„Gewiss, aber ich hätte mich anders benommen."
„Maria, wir spielen hier kein Theater, sondern das Leben ist ein heiliger Ernst,
wir nötigen zu nichts, sondern dein in dir wohnender Geist muss dich drängen,
sonst ist kein Wachstum möglich."
Viele, viele Hände waren tätig für das kommende Weihnachtsfest, nun war der
Zeitpunkt da. Die Kranken waren soweit, dass sie keine Betten mehr benutzten. Im
Saale war alles wohnlicher und freundlicher geworden. Der Aufenthalt im Freien
machte alle zusammen viel froher.
Ein Fest im Geiste Jesu
Alle zogen nach Mutter Annas Heim. Mit Erstaunen sahen sie eine grosse Arena mit
zehntausend Plätzen. In der Mitte eine Tribüne, worauf hundert und noch mehr
Platz hatten. Platzanweiser waren da. Johanna mit ihren Pfleglingen waren am
südlichen Teil untergebracht. Immer neue Scharen kamen Bekannte und Unbekannte;
ganz reibungslos wurden alle placiert. Es war ein Freuen, ein stilles Hinnehmen
dieser Guttat, die eben die Erde noch nicht kennt.
Viele schmückten die Tribüne, in kürzester Zeit waren die Blumen der Mittelpunkt
alles Schauens. Um die Tribüne standen Tausende in glänzenden Gewändern mit
Instrumenten. Ihre Augen glänzten vor Freude. Nun kommt Mutter Anna mit einem
herrlichen Engel. Sofort beginnen die Instrumente. Was gespielt wird, kennt
niemand, aber die Töne ergreifen die Herzen aller. Dann spricht der Engel:
„Friede und Freude verbindet uns! Mein Gruss ist auch mein Dank an euch, die ihr
Kinder meines Herrn und Gottes seid. Mit wehem und wundem Herzen komme ich von
den Gefilden eurer einstigen Erde, wo man das Fest der Liebe zum Sieg des Hasses
macht. Meine Augen sahen Not, Not, Elend über Elend, mein Herz aber fühlte noch
grösseres Leid, da die irregeleiteten Menschen denen die Hände binden, die
helfen und lindern möchten. Ich erbat mir die Erlaubnis vom Herrn, bei euch das
Fest zu verleben, denn auch ihr, die ihr noch Erdgebundene seid, bedürft noch
vieles, was euch erst nach und nach zu eigen wird.
Meine Worte gelten vor allem denen, die noch in dunklen Gewändern sind, und zu
euch spreche ich im Namen des Herrn: Seid euch bewusst, dass jedes Leben seine
Erfüllung braucht, werdet euch klar, dass nur euer eigener Wille und Wollen das
Fördernde ist in eurem jetzigen Dasein. Wenn an diesem heiligen Tage, der in
allen Himmeln gefeiert wird, ihr auch in Gemeinschaft mit Seligen feiern könnet,
ist es höchste Gnade und das grösste Liebesgeschenk unseres Gottes und heiligen
Vaters. Ihr aber in weissen und glänzenden Gewändern, ihr Geschmückten mit dem
Preis der Liebe, überstrahlt alle und alles mit der Liebe, die euer Leben ist.
Euer Auge sei gerichtet auf die Armen, euer Herz bleibe die Stätte, die den
Gottentferntesten noch Zuflucht bieten möchte. Euere Liebe ist auch für die
Himmel nicht ohne Bedeutung geblieben, darum sollet ihr auch von den Seligen,
die euren Herzen nahestehen, erfreut werden. Machet euch bereit für die
himmlischen Gäste!"
Auf einmal war die Arena noch einmal so gross. Unzählige waren gekommen zu ihren
Lieben, um das Wunder der Liebe Gottes noch mehr zu offenbaren.
Bei Johanna war die Mutter Helene, die Freude des Wiedersehens ist
unaussprechlich. Die Musiker spielen sanfte Weisen, auf die Tribüne werden die
feinsten Früchte gebracht.
Fanfaren ertönen, ein Zug geschmückter junger Mädchen, geführt von einer
strahlenden Pflegerin, begeben sich auf die Tribüne und führen die
Bethlehemsszene auf, wo die Hirten den Neugeborenen suchen. Geführt von einem
Engel spricht eine:
O seliger Augenblick, wo meine Augen dürfen schauen,
ein Kindlein, heut in dieser Nacht geboren,
der Du aus den Ewigkeiten in die Zeit geschritten kamst
und die Armen und Verirrten alle bei den Händen nahmst.
Sei in allen Zeiten mein Hirte und mein Held,
lass mich gehen Deine Wege, wie es Dir nur gefällt.
O seliger Augenblick, als Kind in dieser Nacht geboren,
hast mich zum Kind gemacht, zum Heiland mich erkoren.
Darf gehen in die Nacht, um alles zu erhellen,
mit Deinem Gnadenlicht Dich Selbst nun darzustellen.
O wonnevoller Gnadenakt, was Du uns bist geworden,
lass mich Dein Wesen ganz erfassen,
O Jesus Du mein Vater, o komm und bleib bei uns,
wie wir bei Dir verbleiben.
O hört die Freudenkunde, geboren einst als Kind,
klang es aus Engelsmunde; doch jetzt ruf ich als Kind in dieser Gnadenstunde:
Du, Jesus, bist das Leben, das Heil für alle Welt,
willst ganz als Vater Dich hingeben, wo Kindesliebe Dich umhüllt.
Hier diese Gaben sind von Dir, lass mich sie nun austeilen,
dass alle die, die nun hier weilen, an Deiner Seite heilen.
Nun gab sie ein Zeichen, rasch ergriffen die geschmückten Mädchen die Früchte,
welche in zierlichen Körbchen auf der Tribüne ihrer Verteilung harrten. Schnell
eilten sie zu den Anwesenden auf den Plätzen. Lautlos und schnell ging die
Verteilung der Früchte vor sich, aber die Tribüne wurde nicht leer, je mehr
abgeholt wurde, desto mehr wurden. Die Körbchen gingen von Hand zu Hand, was
herausgenommen wurde, ergänzte sich von selbst. Auch in die Reihen der
Dunkelgekleideten wurden die Früchte getragen. Nun hatten sie alle dieses
kostbare Geschenk in ihren Händen, da wurde noch einmal allen eine Freude, der
heilige Vater war sichtbar geworden!
Segnend hatte Er Seine Hände erhoben, dann sagte Er zu allen:
„Eure Freude ist auch Meine Freude, liebe Kindlein, es ist Meinem Vaterherzen
höchstes Glück, so Ich in euch Mein Leben wachsen sehe und Mein Heilandsgeist
von euch angeeignet wird. Ich komme von den Stätten tiefsten Elends und möchte
euch, die ihr in Meinem Heilandsgeiste tätig seid, nochmals erinnern, dass kein
Himmel und keine Schönheit der Himmel Mein Herz so erfreuen kann wie ihr, die
ihr nun dem Elend entrissen seid und die wahre Freude und das rechte Leben zu
eurem Glücke macht. Der Feind alles Lebens glaubt den Sieg über alles Leben
feiern zu können, er spottet über Meine Heilandsliebe und rühmt sein Wesen,
welches besser sei als Meine Heilandsliebe. Hier nun, wie Ich in eure
leuchtenden Augen schaue und eure Herzensliebe wie brennende Kerzen strahlen,
bin Ich entschädigt für all das Weh, welches Mein Herz ergriffen hat im Trubel
der finsteren und verirrten Welt. O Kinder hört, Mein Herz ist immer bei euch,
der Strom Meiner Liebe und Kraft wird nie aufhören, euch zu beleben, aber um
eines bitte Ich euch, vergesset in eurem Glück die Armen nicht! Geniesset nun
die Früchte, die Meine Liebe für euch schuf, sie sollen der Ausdruck Meiner
Liebe und des Dankes sein. Amen."
Obwohl alle am liebsten zum Herrn geeilt wären, blieben sie doch ruhig und
genossen die reine Frucht der Vaterliebe. Dann fingen die Mädchen an zu singen,
die Spielleute setzten mit ihren Instrumenten ein. Bei diesem herrlichen
Oratorium vergassen alle, dass sie einst auch im Elend geweilt hatten.
Nach Stunden war das Fest vorüber, die Seligen waren wieder in ihre Himmel
zurückgekehrt. Sie nahmen den Ausdruck der gehabten Freude mit, die
Dagebliebenen waren überselig.
So verloren sich die Scharen und zogen in ihre schönen Heimstätten zurück.
Gotthold blieb mit seinen Pfleglingen geduldig, bis sie zu Vater Hendrick und
Mutter Anna gehen konnten, wo Johanna mit Maria, Liesa, Rosel, Christa und Lena
schon waren. Ihre Pfleglinge wurden durch andere in ihre Heimstätte geführt, die
der herrliche Engel begleitete auf Geheiss des ewigen Vaters, der mit Hendrick
in Unterhaltung war.
Die Liebe höret nimmer auf
Bei Hendrick angekommen, war es Anton, der sich nicht halten konnte.
Er eilte hin zum Herrn und sagte:
„Du lieber Freund, weil ich Dich nur einmal wiedersehe, mein Herz verlangt
danach, Dir zu danken und Dich zu bitten, mir zu gestatten, dass ich Johanna und
Maria, die ich fast nicht mehr kenne, auch danken kann."
„Tue es, Anton, Ich bin unterrichtet von deiner Arbeit, deinem Eifer, nur noch
mehr Geduld musst du haben und üben. Hier im Reiche der Ewigkeit ist es eben
anders als auf der Erde, denn wo du bist und stehst, ist ja dein Reich, und wenn
dir alles viel zu langsam geht, musst du zur wahren Liebe dich entschliessen,
dann werden Dir Helfer und auch Hilfe.
Da schau dir dieses Kunstwerk an, nur Liebe schuf es und in denkbar kürzester
Zeit, du würdest mit deinen Brüdern eine Ewigkeit dazu gebrauchen, oder gehe mit
deinen Brüdern dorthin, wo Johanna und Maria ihre Liebe ausüben, dann ist dir
vieles beantwortet, was an Fragen dich bewegt.
Begrüsse nun deine Schwestern und stosse dich nicht an deinem Gewand, wenn Zeit
und Stunde da ist, wird auch ein lichteres Gewand deine Wesenheit bekunden."
Die Begrüssung war eine herzliche, aber Anton war unfrei, er gewahrte die Kluft,
die zwischen ihm und den anderen war. Johanna sagte:
„Über die Kluft baue eine Brücke, sie heisst Liebe! Habe rechtes Vertrauen, bald
wirst du das Wunder der Liebe erleben. Es ist auch gestattet, uns zu besuchen;
bis dahin gedulde dich, auch deine Brüder möchten die Gnade ganz auskosten, hier
bei Mutter Anna eingekehrt zu sein."
Alle drängten hin zu Mutter Anna, diese sagte:
„Kommt, Kinder, auch bei mir müsset ihr einkehren, aber ihr dürft nicht
erschrecken über die Schönheiten."
So ging sie voraus ins Haus, aber da getrauten sie sich nicht weiter. Da kam der
Herr mit Hendrick und sagte:
„Aber nun kommet nur herein, ihr Freunde, denn ihr seid ja eingeladen, stosset
euch an nichts, denn Grund hätte Mutter Anna, sich an euch zu stossen."
Da traten die Brüder näher, Anna lud zum grossen Tische ein, wo Wein, Brot und
Früchte in durchsichtigen Goldgefässen waren.
Anton war beklommen, aber der Herr nahm ihn an Seine Seite. Da sassen sie nun
wie die armen Sünder, da sagte der Herr:
„Freuet euch der Gnade, an diesem Tische zu sitzen, denn wer an diesem Tische
gegessen und getrunken hat, hat volle Vergebung erlangt. Wohl kann aus eurer
Innenwelt alles Alte nicht so schnell zu Neuem umgestaltet werden, aber erlebet
ihr nicht, wie der Heiland und die Vaterliebe euch hilft? Alle wie sie hier und
draussen in den herrlichen Auen wohnen, waren verirrte und zum Teil fast
verlorene Menschen und sind doch gerettet worden. Sie sind glücklich in ihrem
Sein. Auch ihr werdet es noch ganz und voll werden. Nun hinweg mit den trüben
Gedanken, voraus den Blick in die Zukunft und Hand ans Werk, es wird gelingen!"
Mutter Anna sagte: „Kinder, die Liebe höret nimmer auf, wiederum ist der Tisch
für euch alle gedeckt, geniesset mit frohen und dankbaren Herzen, damit ihr ganz
froh und glücklich werdet. Lasset euch vom wahren Leben ergreifen, welches uns
geschenkt ist durch Jesum Christum. Seine Liebe und Sein Segen walte über euch.
Amen."
Johanna nahm das Brot und sagte, es dem Herrn reichend:
„Möchtest Du nicht mit mir von einem Brote geniessen?"
„Aber gern, Johanna, wir alle werden von dem Brote geniessen, sei versichert, es
reicht für alle!"
Da brach der Herr ein Stück ab und gab die Hälfte dem Anton, zerbrach sie und
sagte:
„Gib deinem Bruder die Hälfte weiter und so fort, es wird reichen!"
So geschah es, alle verkosteten und verkosteten wieder das Brot, es schmeckte
immer besser. Da weinte Anton und sagte:
„Freund, warum erleben die Menschen das Wunder nicht, alle Sünde würde aufhören
und nur nach dem Schöpfer und Geber dieses Brotes fragen."
„Anton, so sagst du jetzt, ist das Wunder nicht täglich auf Erden ersichtlich?
Bringt die Erde nicht alles hervor, was den Menschen zu Nutz und Frommen ist,
und wie sieht es aus? Jetzt erkennst du die Gnade und bist erstaunt über deine
Frage, aber sie beweist, dass du Freude am Leben gewinnst. Fahre nur fort in
deinem Tun, nimm dir die rechte Liebe zum Antrieb, dann wird es nicht lange
dauern und du wirst froh."
„Gott gebe es", sagte Anton, „ich könnte es gebrauchen, ich kann nur so schlecht
das Vergangene vergessen. Wenn ich daran denke, dass ich das herrliche Brot mit
Füssen trat, könnte ich mich ohrfeigen."
„Habe Geduld, Anton, bald wirst du überwunden haben."
Anton: „Das sagst Du, der Du vielleicht nie gesündigt hast! Ja, wenn ich nur
einmal mit dem Heiland Jesus reden könnte, vielleicht könnte Er mich heilen. Die
schwerste Arbeit suche ich mir stets aus, um vergessen zu können. So wir aber
etwas ruhen, wird die Erinnerung wieder lebendig. Die Narben an meinem Fuss und
Bein sind ja das Schandmal meiner grossen Sünde."
Der Herr: „Anton, du verkennst deine Lage, du weilst ja unter Seligen, speisest
jetzt am Vatertisch und kannst dich nicht aufschwingen zu der Freude, die in
allen Himmeln zu finden ist? Komm, Johanna, schenke uns von dem Wein, damit er
belebt zum Leben!"
Johanna tat es. Der Herr reichte dem Anton einen vollen Kelch des klarsten
Weines sagend:
„Lasse dein Leben Liebe werden", trank einige Schluck und sagte: „Trinke, und
gib weiter, alle sollen wissen, der Herr ist Liebe!"
„Welch ein Geschenk, dieser Wein!", sagte dann Mutter Anna; „Kinder, nehmt noch
diese Früchte und kommt und beschaut euch dieses Paradies, welches die Liebe
geboren hat."
Die Besucher legten die Scheu ab, dann ging es hinaus unter Führung der Anna.
Sie alle kamen aus dem Staunen nicht heraus.
Die Arena war verschwunden, an dieser Stelle war ein allerschönster Blumenhain,
welcher einen Duft verbreitete, für den es keinen Ausdruck gibt. Aber Anna
führte sie weiter, an grösseren Blumen- und Fruchtgärten vorbei. Im Hintergrund
standen kleine weisse Häuschen, zwei Bewohner grüssten und winkten. Als sie
nähertraten war die Freude gross. Johanna sprang ihnen entgegen und sagte:
„Vorsicht, den Herrn nicht verraten!" Die Besucher traten näher.
Anna sagte: „Kommt, tretet ein und schauet, was der Liebe möglich ist."
Anton aber sagte:
„Aber Freunde, ist es nicht zuviel verlangt, wir sind an dreissig und fünf gehen
kaum hinein? Da sagte der Herr:
„Du irrst dich gewaltig, sagte nicht Anna ,schauet was der Liebe möglich ist!1"
Tief verneigten sich die zwei Bewohner dieses Hauses und nun erschraken die
Besucher vor der Grösse dieses Raumes und der Schönheit, die sich ihren Blicken
bot. Im Hintergrund dehnten sich herrliche Gärten aus, in denen viele Menschen
lustwandelten.
Spricht Anton: „Du lieber Freund, dieses geht nicht mit rechten Dingen zu, da
bleibt aller Verstand stehen, von aussen die reinste Kirschenbude und von innen,
na, ich weiss nicht, was ich sagen soll."
Der Herr aber sagte: „Anton, denke immer daran, dass der Herr die grösste Liebe
ist!"
Weiter ging es nach dem Haus der Johanna. Freilich, dieses war etwas grösser,
aber schmuck und schneeweiss sah es aus. Johanna sagte:
„Tretet ein im Namen der Liebe und gesegnet sei euer Eingang."
Im Erdgeschoss hielten sie sich nicht lange auf, langsam hatten sie sich an die
Schönheiten gewöhnt, aber die Freundlichkeit der Bewohner, das Strahlen der
Augen übertrug sich auf sie, dass alle vergessen hatten, was sie bedrückte. So
nahmen sie hier Abschied und gingen nach oben. Dort bewegten sich die Kranken
frei, sie kamen näher und ihre Freude war gross, denn sie hatten ihren Doktor
erkannt.
Die Freudenausbrüche, die Anton erlebte, packten sein ganzes Innere. Was muss
dieser Doktor für ein Mensch gewesen sein, dass die Herzen dieser Blöden und
Kranken Ihm so entgegenstrahlen und erst die Pflegerinnen, wie leuchteten ihre
Augen, es war eine Harmonie, die ihn ganz weich machte. Und erst Maria, was war
mit der los? Sie hatte ja nur noch Augen und Ohren für den Doktor, sollte sie in
den verliebt sein? Ich muss sie fragen, denkt er bei sich, da dreht sich der
Herr um und spricht:
„Anton, warum verlierst du dich wieder, wo du dich selbst noch nicht gefunden
hast, sagte Ich nicht, dass du immer daran denken sollst, der Herr ist die
Liebe? Alles Denken aber muss mit dem Herzen geschehen, sonst kommst du nicht
zur Gewissheit!"
Anton: „Weisst du, lieber Freund, jedes Wort ist ein Rätsel, jeder Blick den man
tut, offenbart ein Geheimnis; es wird lange dauern, ehe ich klar sehe, aber um
eines bin ich reicher geworden, dass wir als Menschen die grössten Dummköpfe
waren, und die Dummheit hängt sich hier noch an, als wenn sie und der Mensch
zusammengehörten. O lieber Freund, nimm mir meine Rede nicht übel, ich habe mich
in den Schönheiten dieser Welt wirklich verloren."
Der Herr: „Anton, nicht in den Schönheiten, sondern in deiner Dummheit; aber nun
mache Ernst im Geiste der Liebe, denn alle die du hier siehst, wissen, dass die
Liebe der Grund und Urgrund des wahren Lebens ist, aber keine Liebe die
geniessen, sondern schenken und helfen will."
An einer langen Tafel waren schöne grosse Blumen, ihr Duft unsagbar, die
Besucher trennten sich ungern. Da sagte Johanna:
„Nehmt ein jeder einen Strauss mit in euer Heim, pflanzet dieselben in eure
Gärten ein, dann verwelken sie nicht und bringen obendrein neue schöne Blüten.
Meine Mission ist nun erfüllt, bald hoffe ich, euch alle besuchen zu können.
Aber eins muss ich dir sagen, Anton, Maria kann noch nicht mit dir gehen, denn
dieses hängt nicht von uns, sondern vom Herrn ab. Nur Er weiss um alles, wir
aber nur das, was uns Sein Geist offenbart. Zieht hin in Frieden. Du, lieber
Gotthold, wirst bald von deinem Schweigen entbunden werden und viel reden
müssen."
So trennten sich die Besucher von den Kranken und Pfleglingen.
Maria sagte zu Anton: „Anton, hier erlebe ich erst die wahre Liebe; sei
versichert, nur in dieser Liebe ist es möglich, für alle Ewigkeiten glücklich zu
werden. Glaube und hoffe, dann wird es dir gelingen, gleich uns den Geist zu
erfassen, der wahrhaft glücklich und selig macht. Wirf alles Vergangene von dir
und lebe ganz dem Geiste dieses dir nun bekannt gewordenen Lebens, dann bist du
daheim, wo der heilige Vater auf dich wartet. Die Liebe Jesu wird dich stark
machen!"
Der Herr aber segnete die Dahinziehenden, die immer und immer wieder winkten.
Der Liebe grosses Wunder
Rastlos arbeiteten die Mädchen. Maria hatte sich gefunden, ihr Herz glühte vor
Sehnsucht, so sie an die Stunde dachte, wo sie den Herrn erkannte. Eine heisse
Welle zog über ihr Herz, und endlich hatten ihre sinnlichen Regungen einer
heiligen Sehnsucht Platz gemacht. Mit übergrosser Sehnsucht wartete sie auf den
Herrn.
In einer solchen Stunde sagte Johanna:
„Maria", wollen wir nicht einmal zu deinen Freunden gehen, ich fühle ihre
Sehnsucht nach uns."
„Gern, Johanna, aber lieber wäre mir, der gute Heiland wäre hier; ich habe ein
mächtiges Verlangen nach Ihm."
„Wenn dein Verlangen ganz aus der Liebe geboren ist, dann, Maria, ist Er auch
hier! Ist dieses Verlangen aber eine Regung aus deiner Seele, dann übe Geduld,
denn wisse, der Herr und heilige Vater wird dir geben, was dir und den anderen
zum Heile dient. Wir wollen aber doch deinen und auch unseren Freunden eine
rechte Freude machen."
Ein Korb der schönsten Blumen und vieler schöner Früchte wurde gepackt, dann
machten sich die beiden, begleitet von dem Segen der anderen, auf den Weg.
Mutter Anna erwartete sie mit Freuden. Als sie kamen, führte sie die beiden in
ihr Heim, um sie noch einmal so recht zu erfreuen. Vor allem nahm sie noch
einmal Maria an ihre Brust und sagte:
„Kind, fahre so fort im Eifer dieser dir nun gewordenen Liebe, dann wird deine
Sehnsucht den Grad erreicht haben, wo sie volle Erfüllung bringt. Noch denkst du
zu viel an dich, und die Schönheiten verlieren an Glanz und Herrlichkeiten; gilt
aber deine Sehnsucht ganz dem Herrn um der anderen willen, umwebst du die dich
umgebenden Schönheiten mit deiner Liebe, und alles wird schöner werden. Denke
nicht, der Herr wird deine Sehnsucht stillen, so Er ganz bei dir ist, sondern
sei versichert, dass du erst wahrhaft glücklich bist, so du ganz in Seinem
Geiste Dienerin und Vertreterin Seiner heiligen Liebe geworden bist."
Reich an Freude gingen beide vorbei an herrlichen Gärten und Häuschen. Wie viele
kamen geeilt, um nur ein paar Worte der rechten Freude und des Verstehens
auszutauschen, bis sie zu den Wohnstätten kamen, wo Gotthold mit den anderen
wirkte.
Ein schönes Häuschen war entstanden mit einem grossen Vorgarten.
Robert, der gerade anwesend war, sagte zu Anton:
„Da schau, ein neuer Sonnenschein kommt jetzt in dein und deiner Brüder Haus,
Maria und Johanna sind doch gekommen."
Anton eilte hin und bewillkommnete beide. Am liebsten hätte er Maria umarmt,
aber die beiden trugen den Korb mit den Blumen und Früchten. Voller Freude rief
er Gotthold und die, die im grossen Garten arbeiteten.
War das eine Freude, als Anton beide in ihr Häuschen führte. Er bat sie, recht
lange zu bleiben und von dem Freunde zu erzählen, der ihm die Möglichkeit gab,
mit den anderen ein neues Leben aufzubauen.
Die Blumen wurden in Gefässe getan, die Früchte in Schalen gelegt, da wurde die
grosse Stube voll des feinsten Wohlgeruches, so dass Anton sagte:
„Ihr müsset noch etwas mitgebracht haben, denn so lieblich können die Blumen
unmöglich duften, ich fühle mich so unendlich wohl wie noch nie in meinem
Leben."
Johanna: „Du ahnst richtig, lieber Anton, die Liebe, die wir fühlen und tragen
in unseren Herzen würde nur durch Worte geschmälert werden, darum sprechen die
Blumen, was unser Mund verschweigen muss, aber nun führe du uns durch dein
Reich, damit wir auch von deiner Liebe erfahren und erschauen."
Tüchtig ist hier gearbeitet worden, Johanna kargte mit ihrem Lob nicht, aber
Anton sagte:
„Ich fühle in mir, dass wir alle anders geworden sind, aber schau, mein früheres
Leben lastet noch gewaltig auf mir. Ja, wenn ich alles herausreissen und
ungeschehen machen könnte, da wären die Aussichten gut, oder wenn dieser gute
Geistesfreund mit Seiner Kraft und Weisheit hier wäre, Er würde viel in mir
umstalten. Jetzt denke ich, endlich habe ich es erfasst, im nächsten
Zeitabschnitt ist alles wieder beim alten. Maria fehlt mir."
Johanna: „Aber Freund, seit wann reifen denn die Früchte an einem Tage, warum
sehnst du dich nach Maria, die selber noch die grössten Anstrengungen machen
muss, um auszureifen in dem Geist, der wahres Leben bedeutet. Nur einen brauchst
du, der dir volle Stütze sein kann, Jesus, unseren guten Heiland. Was wären wir
ohne Seiner, was und wo wären wir geblieben, so Er nicht zu uns gekommen wäre.
Schaue nur Maria an, endlich ist es ihr gelungen, mit Hilfe des herrlichen
Heilandes frei zu werden von der unseligen Leidenschaft, die in ihrer Seele lag.
Seitdem ist auch die Schranke niedergerissen, die sie von ihrem Heiland und
Herrn trennte."
Anton: „Ich verstehe dich, Mädchen, mit Gewalt will ich vergessen, gutmachen
mein verpfuschtes Leben, ich ringe im Gebet um die Freiwerdung und bin meinen
Kameraden der beste Freund. Nie tadelt mich Gotthold, aber ich stehe so entfernt
vom Ziele, dass ich verzagen möchte."
Johanna: „Lieber Freund, du erzählst mir nichts Neues, genau so erging es mir,
Maria und allen, allen, die in der Schule der Entwicklung stehen. Wir alle
kannten uns nicht, alles war auf das Äussere eingestellt und wir liessen das
Innere unbeachtet; das Äussere drückte unbarmherzig den Stempel auf unsere
Seele, welche hier unser Leib ist. Darum gibt es nur eine Hilfe und eine
Rettung, durch Jesus den guten Heiland."
Anton: „Mädchen, das will ich ja, aber wie ist es denn möglich, ich habe ja den
Willen!"
Johanna: „Alles, was du willst, dass man dir tue, tue anderen zuvor! Noch ist
zuviel des eigenen Willens in dir. Lass deinen Willen grösste Sehnsucht werden,
deinen Brüdern nicht nur Freund und Kamerad, sondern wahrer Bruder zu sein; dann
durchbricht dein eigener in dir wohnender Geist die Schranke und kann dem
Heilandsgeiste Handlanger sein."
Anton ist bekümmert, er schaut Maria an und spricht: „Maria, du liebst mich,
würdest du auch so sprechen wie Johanna? Es heisst, dich verlieren, denn
deutlich sehe ich es, du bist es, die in mir lebt."
Maria: „Anton, ich habe den grossen Schatz gefunden, durch den wir alle, auch
du, wahrhaftig selig werden können, es ist der Heiland Jesus. Solange noch etwas
in uns lebt, was sich nicht mit dieser Heilandsliebe deckt, ist die wahre
Seligkeit nicht zu erringen. Ich freue mich doch so sehr über euch alle, weil
ihr den Willen habt. Aber nun lasse auch die Liebe zu deinem Heiland wirkend
werden, aber nicht die sinnliche, sondern die himmlische, die nur geben und
wieder geben will. Ich weiss es aus Erfahrung, was es kostet, ich glaubte auch,
es wird nicht möglich sein, aber jetzt sage ich dir, es ist doch gelungen. Und
weisst du, wer mir dabei half? Jener gute Freund!"
Johanna legte ihre Hand auf Marias Mund und sagte:
„Maria, die Brüder schauen so sehnsüchtig auf die Früchte, willst du nicht
austeilen? Bitte doch Anton, dass er alle hereinrufen soll. Wir reden viel zu
viel und doch fehlen noch welche, die sich auch erfreuen wollen."
Anton schaut um sich, da greift er sich an den Kopf und spricht:
„Jetzt habe ich wirklich die anderen vergessen, du hast recht Johanna, ich denke
viel zu viel an mich."
Schnell ging er in den Garten und rief alle laut zusammen. Wie sie alle bei ihm
waren, sagte er: „Kommt, die Liebe ist zu uns gekommen!"
Nun wollten sie alle hören, Anton aber sagte nur: „Kommt und sehet!"
Wie die Begrüssung vorüber war, sorgte Anton, dass alle Platz nahmen. Maria
teilte die Früchte aus; aber niemand getraute sich zu essen, sie sahen alle auf
Anton und warteten auf ein Wort von ihm.
Johanna: „Anton, deine Brüder sind unfrei, an was mag das liegen? Ihre Freude
ist noch keine reine. Lasse doch in dir den harten Zug zu Liebe werden, sei du
Vorbild in der Liebe. Ihr aber, ihr Brüder, leget alle Scheu ab, damit nicht nur
euer Haus, sondern auch euer Inneres zum Sonnenschein werde. Die Früchte in
eurer Hand geniesset in Freude, es sind noch welche da, kommt, zögert nicht
länger, wir haben sie nicht zum Anschauen mitgebracht. "
Anton schaute auf Johanna und Maria, dann nickte er den anderen zu und biss in
den Apfel, den er in der Hand hatte. Dann sagte er:
„O welch ein Geschenk, o Brüder, säumet nicht länger, esset, esset, wahrlich, da
vergisst man alle Sorgen."
Endlich fingen die anderen auch zu essen an, da wurde erst die Freude zur
Freude. Da kam einer und fragte Johanna:
„Könnten wir in unserem Garten doch auch einen so herrlichen Baum pflanzen, der
solche guten Früchte bringt, schon das Anschauen ist eine Freude, geschweige das
Essen!"
Johanna: „Brüder, die Bäume bringen die Früchte nach der Liebe, die wir in uns
tragen, nicht die Bäume, sondern alles was in unserem Garten wächst, gleicht
unserer inneren Liebe. Es ist nicht wie auf der Erde, wo sich alles nach den
Gesetzen einordnen lässt und muss. Hier im grossen Geisterreich gibt es wohl
auch Gesetze, aber die Liebe gibt Erfüllung. Trachtet nach dem, was den anderen
erfreuen kann, und alles wird schöner und besser!"
Anton: „Johanna, gibt es denn so etwas, dass der Baum heute saure und später
süsse Früchte gibt?"
Johanna: „Anton, warum zweifelst du an der Herrlichkeit Gottes, die nur offenbar
wird durch die tätige Liebe? Hier nimm diese Blumen und pflanze sie, aber im
Geiste wahrer Bruderliebe, und das Wunder der Gottesliebe wird offenbar werden."
Anton: „Wirklich? Dann werde ich es versuchen."
„Johanna: „Dann nimm die schönsten, es sind unsere Himmelsschlüsselchen, die nie
verwelken so sie in das Erdreich kommen."
Anton: „Johanna, würdest du mir dabei helfen?"
Johanna: „Gern."
Die anderen blieben zurück. Anton nahm die Blumen, ging nach seinem Garten und
wollte die Blumen einsetzen; da sagte Johanna:
„Anton, so nicht, pflanze doch die Blumen in die Gärten deiner Brüder, dann
werden sie recht gedeihen, sei versichert, für deinen Garten bleiben immer noch
welche. Denkst du aber nur an deinen Garten, dann reichen sie kaum für dich. Ich
gehe inzwischen wieder zu Maria, sie braucht mich."
Anton setzte nun die schönen grossen Blumen in die Gärten seiner Brüder, aber je
mehr er einsetzte, sie wurden nicht weniger, eher mehr. Da wunderte er sich über
dieses Wunder.
Sollte Johanna recht haben? Es kam eine Freude über ihn, so dass er immer
fleissiger arbeitete.
Schon einige Gärten waren bepflanzt, da kommt ein einsamer Mann daher, beschaut
sich rechts und links die Gärten, Anton denkt, wer mag das sein? Es ist der
erste fremde Mann, der in diese Nähe kommt. Da geht eine Erleuchtung über ihn,
das ist doch der fremde Freund, der ihm aus der Hölle half. Er eilt mit den
Blumen in der Hand hin und begrüsst ihn mit sichtlicher Freude.
Da spricht der fremde Freund: „Anton, warum bist du allein, wo sind deine
Freunde, haben sie dich verlassen?"
„O nein, lieber Freund, im Hause sind sie, wo Johanna und Maria zu Besuch
gekommen sind. Ich wollte nur die Blumen einpflanzen, die die beiden mitgebracht
haben, damit unsere Gärten etwas freundlicher werden."
„Da tatest du recht, komm, ich helfe dir dabei, damit wir rasch fertig werden
und zu den anderen kommen. Ich muss doch sehen, wie ihr euch zu eurem Heile
entwickelt habt."
„Es wäre schon schön, aber lass mich die Blumen selber pflanzen, erstens möchte
ich Johannas Rat befolgen und zweitens macht es mir Freude, weil ich so ein
grosses Wunder erlebe."
„Wieso Wunder? Im Geisterreich gibt es keine Wunder, Ich müsste doch davon
wissen."
„Nun, wenn das kein Wunder ist, wenn die Blumen nicht weniger werden, was soll
es denn dann sein? Die verpflanzten Blumen geben ja zusammen einen grossen
Haufen, es war aber nur ein Strauss!"
„Anton, bleibe bei deiner Ansicht, aber nun lass mich dir doch etwas helfen,
schon darum, weil du Mir Freude machst. Komm, gib Mir die Hälfte, Ich bin kein
schlechter Gärtner, bald werden die Blumen gesetzt sein, und dabei erzählst du
Mir, wie es dir inzwischen ergangen ist."
„Weisst Du, guter Freund, ich werde doch Johannas guten Rat befolgen und einen
Strich hinter das Vergangene machen, denn so ich es nochmals erzähle, zieht
wieder Bitterkeit in mich ein, denn ich bin trotz guten Willens nicht vorwärts
gekommen."
„Aber nicht doch, Anton, du siehst ja ganz gut aus, hast du denn Not gelitten?"
„Ja und nein, guter Mann, wie man es nimmt. Hunger und Durst leiden wir hier
nicht, auch die Arbeit geht vorwärts, aber hier innen hapert es gewaltig, die
Erdenschwere lastet noch zu sehr, Maria kann ich nicht vergessen, sie fehlt
mir."
Ganz eifrig ist nun der Mann geworden, die Blumen flogen nur so in den Boden.
Anton schwitzte, denn er wollte nicht nachstehen. Endlich war noch ein Garten zu
bepflanzen, da sagte der Freund:
„Anton, siehe, ich habe nur noch sieben Blumen, wie viele hast du noch?"
„Nur noch zwei, guter Mann, es schadet aber nichts, denn dieser Garten ist der
Meinige, die Hauptsache ist, dass den anderen ihre Gärten recht schön werden,
die Brüder sollen sich freuen!"
„Anton, lass uns die Blumen mit recht viel Liebe pflanzen, dann wirst du erst
das wahre Wunder erleben!"
Ohne Liebe kein Gelingen
Rasch waren die Blumen gesetzt. Anton hoffte, die Blumen würden sich vermehren
wie in den anderen Gärten. Er war enttäuscht, aber der Freund sagte:
„Anton, warum hast du Schatten in deinen Augen, du hofftest, die Blumen würden
sich vermehren, warum bist du enttäuscht? Du kannst doch später wieder aus den
Samen neue ziehen und nach deiner Lust und Freude die Blumenpracht vergrössern,
oder tut es dir leid, dass du bei den anderen freigebiger warst?"
Anton nimmt die Hände des Freundes und spricht:
„Siehst Du, lieber Freund, wieder verfiel ich in den alten Fehler, es ist nur
gut, dass Du da bist, ich glaube, ich hätte die grösste Dummheit gemacht und von
den Gärten der Brüder geholt, um nicht geringer dazustehen."
„Anton, Ich glaube, du begehst die Dummheit, dass du deine Brüder falsch
beurteilst, Ich glaube eher, deine Brüder würden dich umsomehr lieben. Wie recht
Ich habe, wirst du erleben, wenn deine Brüder kommen. Dort kommen sie schon, wir
haben länger gebraucht, sie wollen dich holen."
Sie kamen alle, auch Johanna und Maria. Sie will sich auf den Herrn stürzen,
Johanna hält sie und spricht:
„Halt, grösste Vorsicht, nichts verraten, du weisst, der Herr will von selbst
erkannt sein."
Da staunen die Brüder über ihre Gärten, von dem Mann nehmen sie weniger Notiz,
aber einer spricht doch zu Anton:
„Bruder, Bruder, ich weiss nicht, was ich von dir denken soll, mein Garten ist
das reine Blumenwunder und der deine ist so leer. Ich hatte immer eine kleine
Furcht von dir, aber von nun an will ich dich lieben, weil du doch der Bessere
bist l"
Anton: „Rede nicht so, Paul, bedanken wir uns bei Johanna und dem guten Freund,
denn Er half ja dabei."
Paul: „Ja, wer ist denn dieser Freund, ist es derselbe von dem du immer soviel
sprichst, wie heisst Er denn?"
„Wenn ich das nur wüsste, Paul, nur das weiss ich, dass wir Ihm zu grösstem Dank
verpflichtet sind, denn ohne Seiner sässen wir noch im grossen Elend. Wenn ich
an das Fest und den Besucher denke, dachte ich manchmal, so ein grosser Engel
möchte ich auch werden!"
Paul: „Aber Anton, warum fragst du Ihn nicht nach Stand und Namen, ich glaube
kaum, dass Er dir gram sein könnte."
Anton: „Er ist ein grosser Arzt, Johannas Kranke leben förmlich auf so Er
kommt."
Paul: „Anton, ich glaube du bist ein grosser Dummerling, mir würde es nicht
schwerfallen, Ihn zu fragen, ich werde es an deiner Statt tun, ich habe grosses
Zutrauen zu Ihm."
Gotthold besprach sich mit dem Herrn, da kam Paul und wollte das Gespräch
belauschen, da sagte der Herr zu Paul:
„Wolltest du etwas von Mir? Ich bin zu allen gekommen, doch wisse, Neugier
befriedige ich nicht, Meine Liebe will euer ewiges Heil."
Paul: „Lieber Engelsfreund, Du hast richtig geschaut, aber sieh, Anton liebt
dich, weiss aber nicht, wer Du bist. Ich möchte Anton helfen und Du kannst mir
dabei behilflich sein; denn ich habe grosses Zutrauen zu Dir."
Der Herr: „Paul, es ist lobenswert von dir, auch würde Ich dir gern dabei
helfen, aber schau, warum kommt Anton nicht selbst. Hier im ewigen Geisterreich
kann nur das Eigentum werden und sein, was ein jeder sich selbst erringt. Es
würde ihm keinen Nutzen, eher Schaden bringen, und was liegt an Meinem Namen?
Wenn Ich dir Meinen Namen sage, bist du immer noch derselbe, hast du Mich in dir
erkannt und aufgenommen, sind wir nach aussen wohl zwei, aber innerlich eins.
Solange dir Bruder Anton noch Anton ist, seid ihr zwei, hast du ihn aber recht
erkannt, kannst für alles einstehen, was er tut in seiner Liebe oder Schwäche,
dann bist du mit ihm eins, dann ist die Ebene erreicht, wo du wahrhaft Gott
erkennen und Ihn auch in dir aufnehmen kannst. Hast du mich verstanden?"
Paul: „Verstanden? Nein! Aber ich ahne Grosses, und es ist natürlich, so
natürlich, als wenn es nichts Natürlicheres gebe; darf ich ganz frei reden? Du
sagst, wenn ich einstehe für meinen Bruder, dann ist die Ebene erreicht; würdest
Du, lieber Freund, auch für meine Dummheiten einstehen?"
Der Herr: „Aber gewiss! Denn wisse, Paul, Dummheiten, die in der reinen Liebe
gemacht werden, sind zu korrigieren, dann entsteht immer noch etwas Herrliches.
Denn wahre Liebe findet immer noch Mittel, alles in das rechte Verhältnis
einzuordnen."
Paul: „Ich danke Dir, aber nun die Probe, erschrecke nicht, denn ich sage Dir,
Du bist kein Engelsfreund und auch kein Doktor, sondern der Herr Selbst! Und
weil Du für meine Dummheiten einstehen willst, so tue ich, zu was mich mein Herz
drängt!"
Er umfasst den Herrn, drückt einen Kuss auf Seine Stirne und spricht: „Nun ist
mir wohl, und wenn alles zusammenbricht!"
Der Herr: „Bleibe in deinem Glauben, aber vergiss dabei deine Brüder nicht!
Nicht allen ist es gegeben, Mich im Sturme zu erobern, es ist viel Geduld nötig,
aber noch mehr Vertrauen. Verrate Mich nicht, aber zeuge von Meiner Liebe und
Meinem Verstehen. In Bruder Gotthold hast du eine treue Stütze. Gehe wieder hin
zu Anton, damit er auch in Ordnung kommt."
Als Paul wieder zu Anton kommt ist dieser ungehalten, er spricht:
„Paul, ich liebe solche Zärtlichkeiten nicht, die du unserm Freund zugedacht
hast, sie erinnern mich an meine elende Schwäche, mit der ich nicht fertig
werde, hast du nun erfahren, wer Er ist?"
Paul: „Bruderherz, ich brauche es nicht mehr zu wissen, da mir Seine Liebe
offenbar wurde. Hättest du Ihm, als Er dir die Blumen mit einsetzen half, so
recht gedankt, aber nicht mit dem Munde, sondern mit dem Herzen, dann wüsstest
du vielleicht mehr als ich. Eins sei dir gesagt, wenn der Freund sagen würde,
,Paul, gehe mit Mir', ohne zu zögern ginge ich mit Ihm und sei es bis an das
Ende aller Welt."
Anton: „Paul, du bist ein Schwärmer, um mich ist alles heiliger Ernst, nie mehr
möchte ich Gott betrüben, denn ungesühnt ist noch meine Schuld."
Paul: „Anton, du bist nicht nur ein Dummerling, sondern ein grosser Ochse, lebst
schon wer weiss wie lange im Reich der Gnade und gehst an der grossen Liebe
vorbei, die uns dauernd umweht, reisse dich endlich zusammen und unterschätze
deinen Wert nicht. Wären wir dem Herrn nicht wertvoll, hätte Er uns nicht
gesucht, würde der Herr uns noch als die alten Sündenböcke anschauen, dann wäre
dieser herrliche Freund nicht zu uns gekommen. In diesem Freunde ist die
erlösende Liebe bei uns eingekehrt, darum Herz auf, Mund zu. Schlimmer wie es
uns ergangen ist, kann es doch nicht mehr gehen, die Blumen beweisen es doch,
welch Wunder die Liebe ist."
Anton: „Paul, ich wollte, du hättest recht."
Paul: „Ach was, recht, — glaube und wage etwasl Was hast du in der Erdenwelt
gewagt, und hier im Reiche der Liebe bleibst du ein kleines Kind. Schau, wie sie
alle lächeln über meine Rede, und der gute Freund nickt mir zu, also kann es
kein Fehler sein."
Johanna und Maria, die die Gärten der anderen noch anschauten, treten nun hin zu
Anton, da spricht Maria:
„Anton, herrlich sind die Gärten deiner Brüder, aber deiner wird noch herrlicher
werden, weil du den rechten Weg eingeschlagen hast. Nur ist mir unverständlich,
wie du es fertig gebracht hast."
Anton: „ Maria, das hat der gute Freund mit Seiner Beihilfe mitgetan, Blumen
pflanzen muss Seine Spezialität sein, denn ich bin kaum nachgekommen."
Maria: „Anton, bist du nun überzeugt, dass, vom Herrn angefangen bis zu mir, die
ich die geringste bin, alle dein und aller Heil wollen? Ist dir noch nicht zum
Bewusstsein gekommen, was eigentlich die Liebe in ihrem Grundwesen ist und was
sie will? Solange noch diese Unklarheiten in dir bestehen, wirst du kaum in dir
fertig werden. Ich weiss es, diese Liebe ist das wahre Leben, ohne diese Liebe
ist überhaupt in dieser Welt keine Entwicklung zum freien Sein möglich; darum
denke ich gar nicht mehr an mich, sondern wie ich nur ganz Dienerin und
Vertreterin dieser Liebe werden könnte. Seit dieser Zeit gehe ich leicht und
frei in ein besseres Sein über und habe keine Wünsche mehr mit mir, sondern nur
noch für andere."
Anton: „Maria, wenn ich das könnte, nichts wünsche ich mir sehnlicher!"
Maria: „Anton, du hast doch den Anfang gemacht, indem du an deinen Garten
zuletzt dachtest."
Anton: „Nichts zu machen, Johanna musste mich erst dazu anhalten."
Maria: „Aber du tatest es doch und erfuhrest durch den Besuch, was die Liebe
zeitigt. Dieser Freund half dir, die Blumen wurden nicht weniger, was willst
denn du noch mehr?"
Anton: „Maria, treibe mich nicht in die Enge, ich bin eben noch der Starrkopf
wie früher, dieses macht mich unfroh."
Maria: „Anton, dann ist dir nicht zu helfen, wer blind und dumm ist, mag es auch
bleiben, denke aber ernstlich an das Heilandswort: ,Das Himmelreich braucht
Gewalt', nicht Gewalt mit deinen Willenskräften, sondern mit dem Herzen. Dein
Bruder Paul war tausendmal klüger denn du, wenn du ihn auch als Schwärmer
tadelst, aber er steht an der geöffneten Pforte des Lebens, während du die
geöffnete Pforte nicht sehen willst. Mehr darf ich dir nicht sagen, nun handle
nach dem, was dein Herz begehrt."
Anton will sich erregen, da sieht er auf den Herrn, der ihm zulächelt. Er geht
langsam hin und spricht:
„Freund, Du bist nun der Einzige, der mich verstehen könnte. Immer redet man von
Liebe, jetzt wo ich sie brauche, versagen sie. Ich will niemand tadeln, aber es
ist so, das heisst Dich ausgenommen."
Der Herr: „Mein lieber Anton, Ich möchte deine gute Meinung über Mich nicht
verlieren, darum will Ich lieber schweigen; aber was würdest du sagen, wenn man
einem Kinde immer gute Ratschläge gibt und dasselbe befolgt dieselben nicht. Du
fragst dich jetzt, bin ich so ein Kind, ich habe doch den besten Willen? Da sage
Ich dir, da Ich das Leben kenne: es wird noch lange dauern, bis du auf deinem
eigenen Grund ein neues Leben aufbauen kannst, statt auf dem Grund, den der Herr
als Erlöser Selbst legte. Dein Eifer ist vorbildlich, aber du wirst erlahmen in
deinen Kräften, da du sühnen willst deine Schuld. Ist des Heilandes Blut nicht
auch für dich geflossen, soll Sein Sterben am Kreuz dir nicht das Leben
bringen?"
Anton: „Lieber guter Freund, bringe mich mit dem Heiland Jesus zusammen, damit
ich Ihm meine Not mitteilen kann, hat Er Tausenden geholfen, kann Er auch mir
helfen."
Der Herr: „Anton, du hast von der Hilfe des Herrn und Heilandes Jesu eine
falsche Vorstellung, Er will ja nicht angebettelt und um Hilfe angefleht sein,
sondern Sein Geist soll Eigentum eines jeden Menschen oder Geistes werden. Nach
deiner Vorstellung müsste Er dich aus deiner Welt in Seine Welt setzen. Hast du
dir überlegt, dass du nahe vierzig Jahre in der Gnadenwelt gelebt hast und hast
glänzend versagt? Du denkst bei dir, was konnte ich dafür, dass ich so erzogen
wurde? Da sage Ich dir: Du hast einen Verstand, der alles prüfen und erwägen,
und ein Herz, das wahrhaft empfinden konnte. Gottes Wort war dir gleichgültig,
auf sogenannte fromme Leute hattest du immer deinen Spott, aber deswegen hat
dich nie der Heiland Jesus fallen gelassen, und jetzt ist Er immer noch bemüht,
dich für Sein Reich und Seine Arbeit zu gewinnen."
Anton: „Freund, was soll ich tun, sage es mit einfachen und klaren Worten."
Der Herr: „Anton, höre, als die Jünger ihren Meister fragten, wer dereinst der
Grösste in Seinem Reiche sein werde, sagte Er: ,Wer unter euch der Geringste
sein wird, wird der Grösste sein.' Daraus kannst du ersehen, dass jeder
Herrschgedanke und jede Neigung, die sich nicht mit dem Heilandsgedanken
verträgt, voll und ganz verschwinden muss."
Anton: „O weh, da liegt der Has' im Pfeffer! Ehrlich gesagt, so weit bin ich
noch nicht. Nun glaube ich Dir, dass der Heiland Jesus mir nicht helfen kann."
Der Herr: „Doch, Anton, mit Seiner Kraft wird Er dich stärken, mit Seiner Liebe
kommt Er dir aufs neue entgegen, du musst es nur sehen wollen; dann wird alles
viel leichter werden. Aber nun zeige Mir auch dein Haus!"
Anton: „Lieber Freund, nicht mein, sondern unser Haus, aber nicht ich allein,
sondern alle sollen dabei sein."
Der Herr: „Anton, dieses freut Mich, sage deinen Brüdern, Ich möchte bei ihnen
einkehren."
Blicke in die innere Welt
Das war eine Freude, wie gern führten sie den Freund in ihr Haus. Bald war alles
besichtigt, der Freund kargte mit dem Lobe nicht, nur müsste alles Liebe atmen,
wie zum Beispiel diese Blumen und diese schönen Früchte.
Anton: „Ja, lieber Freund, unser Gotthold hat noch kein Wort darüber gesagt, für
ihn war ja alles richtig."
Der Herr: „Gewiss, du musst aber bedenken, dass ihr freie Geister seid und nicht
nach Anweisungen und Befehlen schaffen sollt, sondern ihr müsset es selbst
finden und eurem freien Geist auch freie Bahn lassen!"
Sie nehmen alle an der Tafel Platz, da sagte Paul:
„Ich möchte Dir gern von den Früchten anbieten, die uns Johanna und Maria
brachten, würdest Du diese kleine Gabe ablehnen?"
Der Herr: „Nein, Paul, aber warum willst du die anderen ausschliessen? Du musst
nur überzeugt sein, dass der Herr deine Liebe segnet, dass sie für alle
reichen!"
Da nahm Paul die Schale und hielt sie dem Herrn hin und teilte dann an alle aus.
Die Früchte reichten; da sagte Anton:
„Du, Paul, ich hätte Angst gehabt vor der Blamage, wenn sie nicht gereicht
hätten."
Paul: „Da wäre ich auch nicht zu Grunde gegangen, aber nun, wo wir die rechte
Hilfe haben, wird alles gelingen, nur eine Bitte hätte ich an Dich, Du lieber,
guter Freund, bleibe bei uns, es fängt an Tag zu werden, damit wir im Lichte
erkennen die Gnade, die Liebe und die Erbarmung, die Du uns offenbarst."
Der Herr: „Paul, höre, Ich komme wieder, aber nicht so ihr mich bittet, sondern
wenn eure Herzen weit offenstehen. Um aber euch allen den Beweis zu geben, sage
Ich euch, dass Ich euch alle liebe, und so esset diese schönen Früchte, die
unser Paul austeilte, lasst alles in euch Liebe werden!"
Da fingen alle an zu essen. Beim Geschmack kommt allen der Gedanke, dieses ist
Frucht aus den Himmeln, folglich ist auch der Herr nicht weit.
Anton wurde stille, in ihm arbeitete es tüchtig, eine Sehnsucht wurde in ihm
lebendig, diesen Freund zu halten. Die anderen wurden lebendiger und freier.
Johanna schilderte ihre Arbeiten, ihre Mühen und Freuden und weckte damit immer
mehr die Sehnsucht nach dem wahren Heiland, aber nicht genug, sie schilderte
auch die Sehnsucht des Herrn und Heilandes Jesu nach Seinen Kindern; da ja Er
der himmlische Vater Selbst ist. Sie schilderte das Erlebnis, wie sie in der
herrlichen Welt den Heiland suchte und die Antwort empfing, der Herr ist nicht
hier, sondern bei den Armen und Verlassenen, bis sich alle zu Ihm gefunden
haben.
Da spricht Anton: „Lieber Freund, ist die Erzählung der Johanna pure Wahrheit
oder nur ein Erlebnis für sie allein?"
Der Herr: „Wie du es nimmst, lieber Anton, für Johanna ist es nicht nur ein
Erlebnis, sondern auch Wahrheit. Darum wurde sie eifriger, — bald wird ihr der
schönste Lohn werden!"
Johanna erwiderte: „Der herrlichste Lohn ist lieben und geliebt werden, in
dieser tätigen Liebe bin ich tätig und für ewig Sein Kind. Seine Vaterliebe
offenbart sich immer mehr und mehr und löst in uns Gedanken aus, die nach
Erfüllung streben. Maria, du verstehst mich, jetzt erlebst du die grosse
Seligkeit, die nur Liebe geben kann. Ihr Brüder aber: seid versichert, wenn ihr
euch durchringen könnt zu dem festen Entschluss, ganz Bruder zu sein, dann seid
ihr auch eingegangen in die Kindschaft Gottes, die ganz den Willen des heiligen
Vaters erfüllen will.
O heiliger Vater, still das Sehnen und lass uns werden in der Liebe gross,
Deinen Heilandsgeist lass uns erleben, erleichtern der Verirrten Los. Nicht an
das eigene Glück mehr denken, denn Du bist unser grösstes Glück, gib, dass wir
alles das verschenken, was unsere Lieb an Dir erblickt. O heiliger Vater, nimm
den Dank entgegen, weil Du gedungen hast Dein Kind, begleit es immerfort mit
Deinem Segen, bis alle nun gewonnen sind für Deine grossen Vaterziele. Amen."
Die armen Brüder staunten, wie Johanna so frei reden konnte. Anton ergriff die
Hand Marias und sagte:
„Maria, ich will nichts versprechen, aber eins weiss ich, dass ich über den Berg
bin. Kommt recht bald wieder, ich fühle es, dass die Erlösungsstunde naht. Du,
Johanna, vergiss mich auch nicht, wenn du in grösserer Seligkeit stehst, doch um
diese Liebe bitte ich dich, wenn du mit dem Herrn zusammenkommst, bitte für
mich, damit ich volle Vergebung erlange."
Johanna: „Mein noch armer Bruder, um was du mich bittest, werde ich nicht tun,
aber ich wage Grösseres und sage dir: Fahre fort in der Liebe zu deinen Brüdern,
und weiter sage ich dir aus dem Geiste meines herrlichen Jesusvaters, alle
Schuld ist ausgelöscht und durch Seine Liebe längst getilgt. Aber nun streiche
auch alle Schulden, die du noch siehst an all den anderen. Heilig ist das Leben,
heiliger noch als die Liebe, erfasse es, dann hast auch du den Herrn erfasst;
weil Er ja das Leben Selbst ist. Lasse die Worte in deinem Herzen Wahrheit
werden und ausgelöscht ist alle Schuld für ewig."
Der Herr reicht Anton die Hand und spricht: „Anton, Ich wollte dir dein Herz
erleichtern, aber Johanna ist Mir zuvorgekommen. Es liegt nun an dir, ob du
diese Verheissung als Wahrheit anerkennen willst und kannst. Mehr noch will Ich
tun, so höret alle Meine Brüder: Auch euch ist alle eure Schuld gestrichen, die
noch im Buche des Lebens stand, aber dafür liebet die Liebe und lasset
untereinander rechte brüderliche Liebe walten, die den anderen ganz frei machen
wird von dem, was euch noch anhaftet von dem irdisch Herübergebrachten. Ich
werde euch jetzt verlassen, aber Meine Liebe gehöret euch, werdet frei und froh
und bereitet euch vor für eure künftigen Aufgaben. Als die rechten Gotteskinder
sollet ihr Erlöser werden durch Seine Kraft, Gnade und Erbarmung.
So segne Ich euch, und der Friede des Herrn sei euer Anteil! Amen."
Der Herr und die beiden verabschiedeten sich von allen. Anton blieb im
Hintergrund und ging als letzter mit dem Herrn aus dem Hause. Die Brüder
begleiteten die Mädchen, Anton blieb mit dem Herrn zurück. Da fiel Anton dem
Herrn zu Füssen, drückte sein Gesicht an Seine Hände und sagte:
„Herr und Heiland, nun habe ich Dich erkannt! Ich sage nicht ‚bleibe hier',
sondern ich bitte Dich, komme recht bald wieder. Mit Früchten der Liebe will ich
Dich willkommen heissen. Nun, wo ich frei von aller Schuld bin, o Herr, gehöre
ich Dir ganz; mein Leben wird ein Danken sein! So ich aber wieder in den alten
Fehler verfalle, dann sei mir gnädig, und Deine Barmherzigkeit soll meine
Barmherzigkeit werden."
„Da sage Ich, Amen! Mein Anton, nun du mich erkannt hast, bleibe es beim alten.
Deine Liebe aber sei dir Wegweiser und Erfüllung!"
Die anderen hatten das Fehlen des Herrn und Antons bemerkt, darum warteten sie
auf die beiden. Da sehen sie, wie Anton vor dem Herrn kniet, und Paul sagt:
„Endlich ist die Binde von den Augen gefallen, schauet Brüder das Wunder der
grossen Heilandsliebe!"
Johanna: „Brüder, gehet wieder zurück in euer Haus und haltet Den fest, der
unseren Anton zum Kinde macht! Nun ist der Weg frei zum Leben, freuet euch, wie
wir uns freuen!" —
Als die beiden in ihr Heim treten ist alles eine Freude, aber Johanna sagte:
„Liebe Herzen, nicht so laut, damit wir das Kommen des Herrn nicht übersehen.
Wir haben Schönes erlebt, aber noch Schöneres werdet ihr erleben, wenn ihr ganz
gesund seid. Werdet frei und froh und uns gleich dienende Schwestern. Denn dass
ihr immer Pfleglinge bleiben sollt, ist doch euer Wille nicht. Wir waren bei
Brüdern, die an ihrer Verirrung im Erdenleben noch so schwer tragen, es kostete
viel, viel schwere Arbeit, sich all dessen zu entledigen, sie mussten sich ein
Heim erbauen, mussten, um Gärten zu erhalten, alles ausroden und dauernd
arbeiten, damit das Unkraut nicht alles überwuchere. Nun ist die Hauptarbeit
getan, sie können nicht mehr zurückverfallen in den Irrtum, da der Heiland in
ihre Mitte kam und Selbst den Grund zur wahren Seligkeit für ewig gelegt hat.
Auch zu euch wird Er kommen und euch zubereiten für Seine Liebe, Sein heiliges
Werk und Sein Leben."
Schmiegt sich eine an Johanna und spricht:
„Ach, Johanna, warum lässt uns denn der Heiland so lange warten, warum dauert es
denn bei uns so lange bis wir gesund werden?"
„Aber Frieda, weisst du nicht, dass dich der übergute Heiland über alles liebt?
Keine Sekunde würde Er zögern, dich und alle zu besuchen und gesund zu machen,
aber ihr würdet in eurer Entwicklung leiden. Siehe, die ewige, erbarmende Liebe
will ja euch allen helfen, darum ist alles so von Ihm geordnet, dass du das, was
dich und alle für ewig beseligen soll, aus Seiner Gnade erringen musst. Wohl ist
Er für alle gestorben aus Seiner übergrossen Liebe heraus und hat eine Erlösung
gebracht, aber glauben musst du können. Musst mit allem, was Er dir zugedacht,
vollständig einverstanden sein. Er weiss um alles, nur das eine will Er nicht
wissen, wann du Ihm ganz gehören willst, dieses ersehnt und erhofft Er nur!"
Frieda: „Aber Johanna, da leidet doch der Herr und Heiland gerade so wie wir,
ist denn dieses möglich?"
Johanna: „Leider ist es so. Er, der Herr Himmels und der Erden, der Schöpfer und
Erhalter aller Dinge, hat den Menschen so herrlich gemacht, dass er gleich wie
ein Gott und Schöpfer neben Ihm und mit Ihm leben kann in grösster Harmonie und
Seligkeit. Aber leider hat der Mensch in seiner eigenen Liebe den Boden
verlassen, auf dem er jederzeit mit Ihm verkehren kann, die Folgen werden erst
richtig erkannt, wenn der Mensch in die Ewigkeit eintritt. Darum üben wir uns
ja, kennen und ergründen zu wollen, was noch in uns lebt, was den heiligen Vater
abhält, uns zu besuchen und uns zu helfen."
Frieda: „O Johanna, das ist schwer, sich selbst zu erkennen, ich erlebe es ja in
mir, da ich mich nie so verinnerlichen kann wie du und die anderen Schwestern."
Johanna: „Du wirst es auch bald können, nur fest wollen musst du. Dann darfst du
dich nicht ärgern, so du in dir Dinge erschauest, die dir nicht gefallen."
Frieda: „Aber Johanna, die grausigen Bilder können mich auch aufregen, ich bin
doch kein so schlechtes Menschenkind mehr und habe doch den Heiland so lieb."
Johanna: „Komme du zur rechten Ruhe, dann wollen wir Hand in Hand uns in die
rechte Stille versetzen, sei versichert, du wirst viel lernen dabei."
Noch mehrere wollten sich an dieser Verinnerlichung mit beteiligen. Da nahmen
sie sich bei den Händen und Johanna sagte:
„Nun lasset die Aussenwelt verschwinden, kehrt in euch ein und habet genau acht,
was sich ereignet. Mit keinem Laut dürft ihr die Stille der anderen stören."
Nach irdischem Zeitmass brauchten sie zwei Stunden, dann sagte Johanna:
„Erstehet wieder in eurer Wirklichkeit! Du, Frieda, erzähle nun, was du in dir
geschaut hast. Ihr anderen höret zu, weil ein jedes von euch etwas anderes
erlebt hat. Es soll euch ein neuer Beweis sein, wie verschieden die Innenwelt
eines jeden und wie wichtig es für eure Entwicklung ist."
Frieda: „Ich schloss die Augen. Ich fühlte den Strom aus deiner Hand. Da sehe
ich einen roten Stern auf mich zukommen, der immer grösser wird. Nach einer
Weile erscheint, wo der Stern steht, ein Mann, der trägt auf dem Rücken einen
Huckepack, in der rechten Hand hat er einen Stecken und kommt auf mich zu.
Trotz der Mühe, mich zu erreichen, bleibt die Entfernung gleich gross. Ich
denke, der Mann geht auf mich zu und kommt doch nicht näher, was ist denn
eigentlich los. Der Mann gibt sich die grösste Mühe, aber er erreicht mich
nicht. Endlich sieht er seine Erfolglosigkeit ein, da bleibt er stehen, er sucht
wahrscheinlich einen Stützpunkt um auszuruhen. Er findet nichts trotz seines
Umherschauens, erschaut auch nichts anderes als Sand und einige Grasflächen.
Nach einer kleinen Weile kommen ganz kleine Menschen, aber die sind gemein. Sie
werfen dem Mann noch mehr auf seinen Huckepack. Er wehrt sich dagegen, aber die
kleinen bösen Menschen lachen ihn aus und weg sind sie.
Nach einer Weile kommen wieder andere Menschen, gehen vorbei. Da spricht der
arme Mann: Helft mir doch einmal meine Last von meinem Rücken herab, ich kann
nicht mehr weiter. Da gehen sie hochmütig vorüber und lassen den armen Mann
stehen, sie haben ihm nicht einmal einen Blick gegönnt.
Wieder dauert es eine Weile, da kommt eine Mutter mit ihrem siebenjährigen
Jungen. Die sieht ihn, geht auf ihn zu und spricht: ,Ach Vater, du hast heute
recht schwer und viel auf deinem Rücken, wo willst du denn noch hin?'
Spricht der arme Mann: ,Ich habe noch einen weiten Weg, mir fehlt nur eine
Stütze, wo ich meine Last einmal hinstellen kann, ich möchte einmal ausruhen,
denn allein bringe ich sie nicht wieder auf meinen Rücken, würdest du mir
behilflich sein?'
Die Mutter: ,Ei freilich, mein Bub kann nachher einen Wagen besorgen, dann hast
du sie los, er mag bis in das nächste Dorf mitgehen, oder willst du eine kleine
Zeit bei uns bleiben?'
Er nickt nur. Sie hilft ihm die Last vom Rücken nehmen, da sieht sie, dass der
Rode durchgescheuert ist, und sagt:
.Aber guter Mann, so viel ladet man auch nicht auf, das ist doch nicht nötig.'
Da sagt der arme Mann: „Nicht ich, sondern Andere bürdeten mir diese Last auf;
niemand nimmt mir etwas ab, ich suche und suche und finde keinen, der mir hilft.
Die Menschen sind blind und taub und ohne fühlende Herzen.'
Da verschwand alles vor meinen Augen, nur die Last war geblieben. Ich aber war
begierig zu wissen, was eigentlich in diesem Huckepack ist. Ich nahm einige
Hüllen weg und, o Schreck, da waren allerhand lebende Tiere. Der Pack wird zum
Stall, da leben neben Schweinen Hunde und Katzen und auch noch andere Tiere, vor
denen man sich fürchtet, denn ich sah auch einige Ratten. Da reisse ich aus und
bin froh, dass es nur ein Erlebnis ist."
Johanna: „Nun, Ida, erzähle du dein Erleben, aber ohne Scheu, denn wir sind
unter uns und verstehen uns alle."
Ida: „Ach, Schwester Johanna, da ist wenig zu erzählen: Ich bin wieder zu Hause
und merkwürdig, Vater und Mutter sind nicht da. Natürlich suche ich mir etwas zu
essen und tue mir gütlich, denn ich habe gefunden, nach was ich Sehnsucht hatte.
Als ich so im besten Schmausen bin, kommen zwei kleine Nachbarskinder und sehen
mich so erwartungsvoll an. Ich nicke ihnen zu. Die beiden sagen nichts, da
streckt das Mädelchen mir die Hand bittend entgegen. Ich sage dann: ,Gehet nur
ruhig wieder nach Hause, ihr habt mehr zu essen als ich, denn ich bin nur zu
Besuch da.' Da blicken mich die beiden so vorwurfsvoll an. Ehe ich etwas denke,
waren sie fort. Aber mir schmeckte es auf einmal nicht mehr, ich wusste jetzt,
da habe ich einen Fehler gemacht. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer. Da ist alles
fremd, alles ist ganz anders, ich fühle mich auf einmal verlassen und fange an
zu weinen, renne hinaus, um Mutter zu suchen, und erwache aus diesem Traum."
Johanna: „Ihr alle könnet Erlebnisse erzählen, aber nicht deuten, was sie euch
sagen wollen. Du, Frieda, kannst du dir vorstellen, wer der Mann mit dem
Huckepack war und dieser merkwürdige Inhalt?"
Frieda: „Nein, liebste Schwester, noch nie sah ich den Mann in meinem Leben."
Johanna: „Nun höre und erschrecke nicht, dieser Mann entspricht in deiner Welt
dem Herrn und Heiland Jesus, dem du durch deine verkehrten Begriffe alles
aufgebürdet hast. Die kleinen und bösen Menschen entsprechen deiner Eigenliebe,
die dem Herrn immer neue Lasten aufbürdet. Die hochmütigen Menschen entsprechen
deiner Liebe zur Welt, die nur an sich und nie an den anderen denkt. Durch
deinen Eintritt in unsere Gemeinschaft hast du der grossen Vaterliebe Raum
gegeben, die sich in der Mutter mit dem Kinde offenbart und den Herrn und
Heiland entlastet. Und dadurch erhältst du Einblicke, was in deiner Welt noch
lebt."
Frieda: „Aber, Schwester Johanna, dies ist doch schrecklich, ich weiss doch gar
nichts davon, meine Welt oder wie du schon oft sagtest, wäre ja schlimmer als
ein Schweinestall."
Johanna: „Ja, da hast du recht, du musst aber bedenken, diese Bewohner sind nur
Entsprechungen, in Wirklichkeit liegen all die Neigungen dieser Menschen und
Tiere in dir und darum gilt es ringen, ringen und wieder ringen, dass der Herr,
damit Er ganz in uns wohnen kann, ein gereinigtes Haus vorfindet.
Du, Ida, bist bedeutend schlechter daran, denn dein Erlebnis bewies, dass du
wohl die Segnungen der Liebe bedenkenlos geniessest, aber arm an Liebe bleibst.
Dass du dich in deiner Welt allein fühltest und ein Jammer über dich kommt, ist
dein Glück, denn noch ist die Gnadentüre offen, du brauchst nur hindurchzugehen.
Der Heiland wartet auf euch alle, Er ist da, wenn eure Liebe in jene Reife
eingetreten ist, ohne die Er zu uns allen nicht kommen kann."
Ida: „Schwester Johanna, das ist hart, ich habe doch den Heiland so lieb, ich
sehne mich ja nach Ihm."
Johanna: „Ja, dieses weiss Er auch bestimmt, besser als du es Ihm sagen kannst,
aber es ist nicht die rechte Liebe, denn in den Nachbarskindern ist Er ja als
Bittender zu dir gekommen. Es ist dies kein Vorwurf oder Tadel, sondern eine
Lehre; nur durch die Lehre kannst du zur Wahrheit gelangen. Tust du darnach,
kommt dir dein eigener Geist zu Hilfe, der sich dauernd in dir als Sehnsucht
bekundet. Lasst es jetzt genug sein, wir gehen in unsere Gärten und wollen
schauen, was an Früchten reif geworden ist."
Maria machte allen Freude, in ihr war der Geist lebendig, immer mehr und mehr
drang sie ein in die Tiefen ihrer Seele. Nach aussen trug sie ihr geläutertes
Wesen, dass alle ihre Freude hatten.
Die Pfleglinge waren soweit gesund und bald wird ein Bote kommen, der diese
Herzen anderweit unterbringen wird. Johanna hatte ein Drängen des Herrn in sich;
sie wusste, dies ist das Zeichen, dass eine neue Aufgabe harret, darum wollte
sie mit ihren Schwestern Anton besuchen.
Endlich fest verankert
Maria: „Johanna, wie kannst du wissen, dass es mein geheimster Wunsch ist, Anton
wiederzusehen?"
Johanna: „Aber Maria, weisst du noch nicht, dass, wenn zwei eins geworden sind,
sich nichts Fremdes mehr einschleichen kann? Der Herr offenbart alle Dinge, auch
diese, die meine Schwestern erfreuen oder beglücken."
Über dreissig Schwestern, mit Blumen geschmückt und schönen Früchten beladen,
wandern, von Freude durchdrungen, nach Antons Heim.
Gotthold erwartet sie mit Freuden, denn von Anton konnte er nur Gutes melden.
Die Gärten prangten in einer Fülle, überall war die liebende und sorgende Hand
zu sehen.
Anton war hocherfreut, er umarmte Johanna und Maria und sagte:
„Alles danke ich euch, ihr Lieben, nun gibt es keinen Rückfall mehr. Ich habe
mich durchgerungen mit der gnädigen Hilfe des Herrn, dass der Feind alles Lebens
in mir nicht mehr die Oberhand behält."
Johanna: „Lieber Anton, ich habe gewusst, dass die Liebe den Sieg davonträgt,
aber nun tapfer bleiben, wenn Proben kommen!"
Anton: „Johanna, wenn ich dir sage, ich habe mich durchgerungen mit des Herrn
Hilfe, dann ist es auch so und bedarf keiner Probe mehr; denn was ich bin, bin
ich durch die Gnade des Herrn. Sein Opfer auf Golgatha war nicht umsonst, ich
gehöre Ihm ganz, mag kommen was da will, meine Brüder fassen die Liebe und Gnade
des Herrn ebenso auf. Wie wir uns freuen, Gerettete zu sein, dies wird dir
Gotthold bezeugen, der uns in nie ermüdender Liebe und Treue hineinführt in das
Wesen Gottes."
Johanna: „Anton, sei einmal ganz offen, würde dir für ewig diese Arbeit, diese
Freude behagen?"
Anton: „Warum fragst du, Johanna, haben wir nicht Grund genug, zu danken? Wir
kennen keine Not, wir verstehen uns, warum soll mir dieser Zustand nicht immer
behagen?"
Johanna: „Anton, ihr seid Gerettete, seid glücklich, da ihr dem Elend entrissen
seid; hast du schon darüber nachgedacht, dass noch viele gerettet werden müssen?
Beschaue dir recht unsere Welt, wie viele könnten da noch das Glück und das
wahre Leben finden, aber an Rettern und Helfern fehlt es. Könntest du aus dir
heraus den Verirrten und Verlorenen ein Retter werden? Siehe, der Herr und ewig
gute Vater verzichtet auf den Dank aus deinem Munde, aber Er kann nicht auf den
Dank aus deinem Herzen verzichten."
Da ergreift Anton die Hand Johannas und spricht:
„Johanna, kann und darf ich dieses wirklich? Bedenke, welch harter und brutaler
Mensch ich war, werden sie mich nicht mit Schmach und Schande bedecken?"
Johanna: „Aber Anton, sagtest du nicht, dass du dich durchgerungen hast, was
kümmert dich der Schmutz, es gilt ja Befreier zu sein. Wer selbst im tiefsten
Schmutz sich befand, kann am besten die Nöte verstehen. Bedenke aber auch, ist
der Herr nicht die erste und beste Hilfe?"
Anton: „Du hast recht, Johanna, ich danke dir für diesen Hinweis. Du zeigst mir
einen Weg, der mich wahrhaft zu einem Diener Seiner Liebe macht, doch sag mir,
Johanna, warum kommt denn der Herr nicht mehr zu uns, welchen Fehler machen wir
noch?"
Johanna: „Aber im Geiste ist Er doch unter euch, was will Er denn noch bei euch;
ich denke, bei den Armen und Verirrten ist Seine Anwesenheit wichtiger."
„Davon hat Gotthold noch kein Wort gesagt", erwiderte Anton, „aber es leuchtet
mir ein, wie ein Blitzstrahl steht ein ganz anderes Bild vor mir als das,
welches ich mir über den Herrn machte. O Johanna, wie es mich durchschauert,
diese unergründliche Liebe, die nur den Armen und Verirrten sucht. Heute hast du
mir das Höchste gegeben, was eins dem anderen geben kann und vermag. Dem Herrn
sei Lob und Dank!"
Die Stunden eilen vorüber; in Freude schlagen ihre Herzen, mit Liebe umwehen sie
das herrliche Bewusstsein: wir gehören zusammen!
Johanna: „Bruder Anton, stelle dem Herrn alles anheim, Maria musste auch erst
ausreifen, den Zeitpunkt wies der Herr. Und nun auf Wiedersehen recht bald bei
uns im Heim der Liebe."
In ganz kurzer Zeit kommt Anton mit seinen Brüdern. Bei Vater Hendrick und
Mutter Anna ist die Einkehr. Es sind noch viele Besucher da, unter anderen
Friedewald mit seinem Weibe Hulda.
Darob ist eine grosse Freude, aber in ihrem Streben sind sie nicht ganz eins.
Friedewald ist zufrieden mit der ihm anvertrauten Aufgabe, Anton wünscht sich
neue Aufgaben. Mutter Anna, als Repräsentantin dieser herrlichen Welt, soll nun
neue Aufgaben stellen. Während dieser Unterhaltung kommen Johanna, Maria, Liesa,
Christa, Rosel und Lena. Was an Liebe aufgeboten wird, ist kaum zu beschreiben.
Mutter Annas Heim glich einer Märchenwelt, während bei Vater Hendrick alles
geblieben war.
Es war eine Feierstunde, die alle erlebten, da Mutter Anna die rechten Worte
fand, um den Heilandsgeist zu verkörpern, der wohl in vielen als Sehnsucht, aber
noch nicht als Eigentum lag.
Mit diesen Worten endete sie ihre Rede:
„Grosse, ernste Zeiten mahnen uns, die wir geboren in der Gnade Jesu und in
Seiner Liebe Geborgene sind. Selig sind wir, aber um was werden wir gemahnt?
Frei und selbständig sollen wir werden und sein, nicht immer hoffen und harren
auf das Geheiss des Herrn. Ist nicht Sein Geist unser Geist und Seine Liebe
unser Leben geworden? Warum wohl schweifen noch unsere Gedanken in die irdische
Welt, die noch soviel Unerlöstes, auch von uns, trägt?
Siehe, mein Bruder Anton, in dir ist das rechte Feuer, gleich einer Lawine
möchtest du mit deiner in dir neu gewordenen Liebe alles umwehen, aber du willst
nicht ohne des Herrn Geheiss an neue Aufgaben herantreten. Du, Friedewald, bist
ruhiger, da deine Welt begrenzt ist. Aber siehe, was dir noch unglaublich
erscheint, ist dem Anton eine neue Welt geworden. Der Herr hat Diener genug, um
Welten zu gestalten, die an Schönheiten einander übertreffen würden; aber
durchgehet diese Himmel, — selten ist der Herr dort zu Gaste. Darum des Herrn
Sehnen nach Kindern, wo Er zu Hause ist, wo kein Gesetz zu etwas verpflichtet,
sondern die reine Liebe Schöpferin ist, die immer neues ausgebiert.
Schauet euch alle dieses Heim an, Kindesliebe schuf Schönheiten, die ewig
erfreuen und nicht ermüden. In dem rechten Geiste ist auch der Herr zugegen,
aber nicht als Herr, sondern als liebender Vater, Helfer, Bruder und Freund.
In diesem Geiste sind wir Wächter unserer Welt, Beschützer und Helfer der uns
anvertrauten Seelen, aber auch Schöpfer neuer Liebesgedanken und Ideen, die sich
mit Fleiss auch verwirklichen lassen. In dieser unserer Gemeinschaft sind über
zwanzigtausend treue Herzen verbunden. Was gibt uns denn die Sicherheit und
Kraft, alles in des Herrn Geist zu vollbringen? Die Gewissheit: Ich bin Sein
Kind und stehe an Vaterstelle hier, Bedenket, dass niemand den herrlichen Vater
und Heiland vermissen soll, und ihr habt selbst noch Sehnsucht nach Seinem
persönlichen Kommen? Erstehet in wahrer Bruderliebe, auf dass alle Herzen
leuchten in Herrlichkeit, Klarheit und Kraft zu aller Heil und Seligkeit und
auch zur Seligkeit des heiligen Vaters.
Geniesset alle Früchte nach eurer Lust und euer Herz wird euch die rechten Wege
zeigen, denn denket daran, warum ihr hierhergekommen seid, ihr möchtet euch
gegenseitig erfreuen!"
Nun brechen sie auf, um im Heim der Liebe bei Johanna und Maria Einkehr zu
halten.
Schon als sie von weitem das viel grössere Haus sehen, fragt Anton, wer dieses
Haus erbaut habe. Aber Johanna muss ihn belehren, dass es die ewige Liebe Selbst
war und es Ihm nichts ausmache, ob Er eins oder hundert Häuser im Nu herstelle.
Da schaut Anton ganz verdutzt zu Johanna und spricht:
„Beim Herrn ist alles möglich! Aber nun möchte ich wissen, warum wir bei
grösster Anstrengung unser Haus bauen mussten?"
Johanna: „Ja, es ist einmal so, wenn man arm und ohne jeden Lebensgrund in diese
Welt kommt, muss man eben nachholen, was man im Erdenleben versäumt hat. Sei
versichert, wenn du in deiner Liebe zehn oder mehr Häuser brauchst, sind sie
auch da. Was deine Liebe will, will auch der Herr; stosse dich nie an etwas, sei
es schön oder unschön, stelle dich ganz auf Liebe ein und alles wird natürlich
werden. So, nun sind wir hier, seid in Seinem Namen herzlich willkommen l"
Anton stutzt, alles ist viel schöner und auch grösser geworden, die vielen,
vielen Menschen nehmen nur den kleinsten Teil ein, da spricht Anton: „Sag,
Johanna, seit wann hast denn du grösser gebaut, da gehen doch noch zehnmal so
viele herein."
Johanna: „Anton, ich habe gar nicht darauf geachtet, denn dieses ist mir
bewusst, dass der Herr niemals uns in Verlegenheit bringen will, so sich
Kindesliebe etwas wagt, was einem Engel unmöglich erscheint!"
„Wieso", fragt Anton, „sind Engel nicht auch Willensträger des Herrn?"
Johanna: „Jawohl, du hast recht, Kinder aber sind Liebesträger jener Liebe, die
das eigene Leben hingab, um allen Rettung zu bringen und zu ermöglichen.
Noch bist du dir des grossen Elends gar nicht bewusst, wenn aber das drängende
Leben in dir ganz dein eigenes geworden ist, dann vergisst du deine eigenen
Wünsche und suchst im Geiste der herrlichen Vater- und Heilandsliebe Leben zu
spenden. Denke, was Mutter Anna sagte: .Niemand soll den herrlichen Vater und
Heiland vermissen durch unsere Liebe und wir ersehnen noch selbst den Herrn,
dass Er persönlich zu uns komme?' — Siehe, du hast an der Brust des Herrn
geruht, dein ganzes Leben ist von Stunde an ein neues, denn dein vergangenes hat
der Herr auf Sein Konto gesetzt und nun wartest du, dass Er komme und sage dir,
was du längst weisst. Siehe, diese vielen, vielen Herzen hängen in Dankbarkeit
an uns, ihre Freude ist unsere Freude und es fehlt noch viel, bis sie eingehen
in den Geist, der ganz erlösen und befreien will. Deine Brüder waren dankbare
und willige Herzen. Würdest du dir auch getrauen, die Widerspenstigen, die
Kranken und Verirrten in den Geist hineinzuführen, der sie zu freien Kindern
machen wird? Wenn es dir gelingt, dann, Bruder, dann bist du Sieger in der Liebe
und ganz Diener und Vertreter der Liebe geworden!
Nun kommt und schauet, was die Liebe uns schenkte. Wundert euch über nichts,
seid euch stets bewusst, dass es in euch noch viel herrlicher liegt!"
Sie verkosteten einige Früchte, deren Wohlgeschmack die Erde nicht kennt, dann
gingen alle in die Gärten und Anlagen, die sie in die grösste Verwunderung
setzten.
Anton sagte in Gegenwart von Bruder Friedewald:
„Johanna, du hättest uns diese Freude nicht machen sollen, denn armselig ist
unser Heim, diesen Sinn für Schönheit bringen wir nicht auf."
Johanna: „Aber, Bruder, achtest du die Liebe des Herrn so gering? Wir wollen
nicht Schönheiten schaffen, sondern erfreuen! So ist alles durch die Liebe des
Herrn und Seine Gnade von selbst geworden. Zu was brauchst du Sinn für
Schönheiten, wenn Liebe dein Bedürfnis ist? Liegt doch alles noch viel
herrlicher in dir."
Spricht Friedewald: „Es ist kaum zu glauben, wie Johanna alles hinstellt. Wir
stehen vor den grössten Rätseln und wagen kaum zu denken vor dieser gewaltigen
Pracht und Grösse."
Johanna: „Die Liebe des heiligen Vaters, die uns alle zu Kindern machte, ist das
Einfachste und Natürlichste, was es nur gibt. Es ist nicht des Vaters Schuld,
wenn du noch unfrei und befangen bist, sondern deine eigene. Ringe dich zu
dieser Freiheit durch, die dich zum freien Kinde macht, alle Kräfte Gottes,
Seine Weisheit stehen dir doch zur Verfügung, nur die Liebe nicht, die musst du
in dir selbst finden. Diese Liebe muss die Triebkraft sein von allem deinem
Wollen und Wirken. In dieser deiner Dankbarkeit bleibst du mehr Diener als Kind
und deine Brüder sind dir eben nur Brüder. Siehe, was ich dir sage, ist mein
eigenes Leben, denn in einem jeden Bruder sehe ich einen werdenden Heiland, der
Millionen verirrter Brüder ihrer wahren Bestimmung zuführen könnte. In einer
jeden Schwester eine Mutter, die unendliches Leben aus Gott ausgebären könnte.
Siehe, dazu brauche ich keine Reife in meiner Seele, sondern das Bewusstsein:
Ich bin Sein Kind! Sein Sterben am Kreuz ist meine Geburtsurkunde, Seine Liebe
das ewige Vermächtnis. Der Gedanke, ich könnte irren, kommt mir gar nicht, weil
Er selbst mir Seinen Geist gibt, aus dem ich handeln und wirken soll.
Sehet, liebe Brüder, nicht nur einmal sagte mir der Herr: Wenn du willst, führe
ich dich in deine Welt, die an Schönheiten das Herrlichste darstellt, ich aber
sagte, lass mich hier, mein Vater, hier ist mein Platz, weil es Dein Leben zu
verpflanzen gilt. Wenn Er als der Herr und ewige Vater immer noch als Bittender
von Herz zu Herz, von Seele zu Seele geht, was ist da meine Pflicht als Kind?"
Von Seligkeit zu Seligkeit
Sie kommen an kleinen Häusern vorüber. Friedewald hatte so etwas noch nicht
gesehen, da sagte er:
„In einem so kleinen Häuschen muss es sich aber gut ausruhen lassen inmitten der
herrlichen Pracht!"
Johanna: „Wir wollen einmal so ein Heim besuchen, damit du auch die Wunder der
Liebe erlebst, die so unendlich ist."
„Wir alle", spricht Friedewald, „da gehen doch kaum zehn Mann hinein, und wir
sind nahe tausend?"
„Komm und sieh, Bruder, dort erwartet uns schon der Bruder und die Schwester,
die Eigentümer dieses Häuschens sind. Wundert euch nicht, denn ihr stehet auf
dem Boden reinster Gottesliebe!"
Fast gebückt gehen sie durch die schmale Tür, da stehen sie in einem Raum, der
Tausende fasst, es ist kein Raum, sondern eine Welt, in der viele, viele leben.
Friedewald: „Lasset uns wieder umkehren, diese Wunder erdrücken mich, vor dieser
Gottesliebe bleibe ich Staub und Asche!"
Spricht der Besitzer dieses Häuschens: „Seid tausendmal gegrüsst und willkommen
ihr Schwestern und Brüder! Bleibet, solange ihr wollet, und lasset uns sonnen in
eurer Liebe, die uns so grosse Freude bringt. Dich, Johanna, möchte ich am
liebsten schelten, weil du mir deine Schwestern noch keinmal brachtest."
„Die Zeit war noch nicht da, Bruder Christian, es gab auch keine Gelegenheit, da
andere unsere Liebe benötigten, aber freue dich, heute ist die Frucht am
Reifen!"
„Dies höre ich gern, Johanna, aber ich kann dir auch eine grosse Freude
bereiten: Dort im nächsten Haus ist ein guter Bekannter mit seinem Weibe
eingezogen; beide haben dich in deinem Erdenleben gut gekannt, und du hast
manche Liebe durch sie genossen."
„Dann muss ich sie sofort besuchen, denn um zu erfreuen darf man nicht lange
zögern!"
„Schon recht so, aber vorerst bleibt ihr alle hier. Mein Herz ist übervoll, dass
ich alle an meine Brust drücken möchte, und meine Auguste überlegt schon, wie
sie euch alle mit Freuden überraschen könnte."
Johanna aber spricht: „Nichts da! Heute sind wir die Bringenden. Meine
Schwestern haben in Überfülle vorgesorgt, manchen herrlichen Strauss
mitgebracht, die euch noch lange erfreuen sollen."
Da fingen Liesa, Christa, Rosel und Lena an, mit den Blumen, die die Pfleglinge
mitgebracht hatten, die Ruhesitze zu schmücken und sangen dabei das Lied: ,O
Liebe, goldner Sonnenschein'. Alle waren ruhig und hörten sich den Gesang an.
Durch diesen Gesang wurden aber auch andere Bewohner dieses Hauses mit
angelockt, und bald herrschte die grösste Freude.
Anton wusste nicht, wie ihm geschah, Christian und Auguste nahmen ihn in ihre
Mitte und überredeten ihn noch mehr, diese Welt noch besser in Augenschein zu
nehmen.
„Warum gerade mich", sagte Anton, „Friedewald ist bei weitem der Bessere."
„Nein, Bruder, in dir ist ein loderndes Feuer, welches ich noch nähren möchte.
Du bist im Gären, damit deine Liebe im Rahmen der Heilandsliebe bleibe, kannst
du ruhig Dinge sehen, die du auf keinen Fall kennst. Nur Friedewald und die fünf
Dienerinnen der Liebe sollen uns begleiten. Um die anderen brauchen wir uns
nicht zu sorgen, mein Weib hat die rechten Helfer zur Hand."
Anton sieht auf Johanna, diese nickt, da fragt er, was mit Maria geschehe?
Antwortete Johanna: „Diese bleibt hier bei Christians Weib, da Bruder Christian
nur uns fünf bezeichnet hat, die mitkommen sollen."
Ohne viel zu reden, folgen sie Christian durch schöne Anlagen und Gärten und
Häuser. Dann kommen sie an eine Einsiedlerklause an einsamer Stelle.
Christian: „Durch die Gnade des Herrn darf ich euch hierher bringen. Von aussen
klein und unansehnlich, die Tür klein aber breit, aber innen wird sich euch
vieles offenbaren, öffnen wir im Namen des Herrn die Tür!"
Die Eintretenden sehen nichts als sieben Türen. Christian spricht:
„Diese Klause hat sieben Türen. Sie sind alle unverschlossen, aber ich möchte
nicht, dass ihr die Türen von selbst öffnet und die Räume betretet, da euch noch
vieles fremd und unbekannt ist. Ich will euer Führer sein, aber ihr müsset nicht
reden, euch nicht wundern und nicht erschrecken, nur sehen, hören und fühlen.
Hier in Nr. 1 ist vieles, was euch noch von der Erde bekannt ist, da werden wir
am wenigsten verweilen, kommt, tretet ein!"
Es war dunkel in dem Raum, aber es wird lichter und lichter. Da sehen sie eine
Stadt mit vielen, vielen Menschen, sie hasten und jagen, keiner hat Zeit. Grosse
Handelsgeschäfte und Handelshäuser werden sichtbar und über dieser Stadt ist ein
grauer Dunst.
Christian: „Da schaut, wie sie in der Geisterwelt noch gefangen sind, die armen,
armen Menschen. Hier ist noch lange Zeit, bis geholfen werden kann, denn dieser
graue Dunst ist das Zeichen, dass sie noch zufrieden sind. Folget mir in Nr. 2!"
Auch hier ist die Gegend dunkel, aber bald wird es heller. Es war ein Jahrmarkt
mit vielem, vielem Tingeltangel und vielen geputzten Menschen. Sie belustigten
sich, denn es war ja alles frei und kostete nichts, es war ein Leben und Treiben
und ein Spektakel, hundertmal schlimmer als auf der Erdenwelt.
Christian: „Auch hier ist jede Liebe vergeblich, denn dieses Treiben ist ihr
Leben. Gehen wir in Nr. 3!"
Da war es schon heller, man konnte die Gegend übersehen. Da waren in einer Reihe
viele Kirchen. An einer jeden Kirche waren Diener, die Vorübergehende, die
reichlich vertreten waren, einluden. „Wollen wir uns eine ansehen? Du, Bruder
Anton, bestimme, in welche wir treten sollen."
Anton: „Gehen wir in die dritte Kirche, weil es Zimmer Nr. 3 ist."
Christian: „Ich wusste es, dass du Nr. 3 wählst."
Voller Freude erhalten sie ein Traktat von dem Diener, sie treten ein. Eine
grosse Kirche nimmt sie auf, geschmückt mit vielen Bildern und Spiegeln, die
hohl, rund, lang und auch breit waren. Nach jeder Richtung konnte man sich und
auch andere beschauen, was mitunter grosse Heiterkeit auslöste. Der Altar trug
nur eine Zierde, ein brennendes Licht.
Christian: „Das einzige Gute in dieser Kirche ist das Licht. Setzen wir uns in
eine Reihe, wir wollen etwas verweilen." Immer mehr Besucher kommen, vor den
Spiegeln stauen sich die Menschen. Eine Glocke ertönt, die Besucher suchen in
den Reihen Platz, da kommen auch Priester, angeputzt mit bunten Talaren. Eine
Orgel spielt ein unbekanntes Lied, ein Priester spricht ein paar Worte, die
nicht verstanden werden, dann verteilen die anderen Priester Spiegel, die auf
der Rückseite ein kleines Bildnis haben.
Christian spricht: „Kommt, wir brauchen ihre Spiegel nicht! Ablehnen wäre
Beleidigung, denn diese Priester können sehr erbost werden."
Sie verlassen nun die Kirche und geben dem Diener das Traktat wieder zurück.
Christian sagt: „Hier wird nur der Eitelkeit gefrönt, es wäre verfehlt, wollte
man hier diese Menschen bekehren.
Gehen wir in Nr. 4!" Als sie eintraten, befanden sie sich in einem grossen Hause
und in einem grossen Saal. An den Wänden hingen Bildnisse grosser Männer, einige
Bilder waren sogar mit Schleifen geschmückt. Es waren viele Männer anwesend, es
war eine Versammlung grosser Männer, die die Zustände auf der Erde
kritisierten. Da gab es erhitzte Gemüter, die einen waren beglückt, die anderen
empört. Immer stürmischer wurde die Konferenz. Da sah man, wie aus
Menschenköpfen Tierköpfe wurden. Nach einer schweren Debatte standen sich nur
noch Bestien gegenüber, die sich am liebsten zerrissen hätten."
Sagte Christian: „Kommt, hier können nur starke Geister beruhigen. Bekehren geht
sehr schwer vor sich, denn diese sind eingefleischte Politiker, auch haben sie
grossen Anhang, die die Zustände der Erde ausspionieren."
Spricht Christian: „Da sind unsere Kranken doch viel vernünftigere Wesen, sie
behalten wenigstens ihr Menschenantlitz."
Christian öffnete Tür Nr. 5.
Es ist stockfinster, lange braucht es, ehe es soweit hell ist. Alle befinden
sich auf einem Friedhof. Es sind viele frische Gräber.
Christian: „Hier kann ich zu euch reden, weil wir weder gehört noch gesehen
werden. Der Tod hält reiche Ernte und fast alle, die hier begraben sind, weilen
noch an und bei den Gräbern.
Hier ist ein grosses Arbeitsfeld dienender Geister, die mit grossem Erfolg
arbeiten, denn diese sind Opfer dieser Zeit, die für die Ewigkeit nicht sorgten.
Viele wissen noch gar nicht, dass sie gestorben sind und nehmen darum auch die
Wahrheit sehr schwer auf. Es dauert auch sehr lange, ehe denen geholfen ist, da
sie nicht bitten wollen.
Nun kommt in Nr. 6.
Hier muss grosse Vorsicht walten." Finsternis umgab sie. Christian nahm Antons
Hand, die anderen nahmen sich auch bei den Händen, so zog sie Christian nach
sich. Vor einem grossen Grabe standen sie. Dieses Grab hatte ein Fenster, durch
das man hineinsehen konnte.
Es war etwas lichter geworden. Da liess Christian alle nacheinander hineinsehen.
Was sie hier ersahen, war die Ausgeburt des stinkenden Hochmuts. Da sahen sie
aufgeblasene Menschen als Frösche, Affen, Pfauhähne und allerhand andere Tiere.
Ihre grösste Wollust aber war, wenn sie mit scharfen Messern bei den anderen im
Fleische herumwühlen konnten.
Christian legte den Finger an den Mund, schweigend traten sie zurück, da spricht
er:
„Hier ist die Hölle in ihrem Element, noch nie hat hier ein Engel mit Erfolg
dienen können. Sie werden durch Leiden und Qualen geläutert werden müssen. Nun
wollen wir noch Nr. 7 besuchen. Es dauert nur Augenblicke, aber es ist nichts
für Mädchen, darum wartet hier."
Christian winkt Anton und Friedewald an die geöffnete Tür. Sie schauen in ein
Zimmer, wo Menschen beiderlei Geschlechts beim Schmausen waren. Anton sieht
Christian an und spricht leise:
„Ja, gibt es denn so etwas? Die Männer essen Schamteile von Frauen und die
Frauen solche von Männern. Dabei schmatzen sie alle, als wenn es die beste
Himmelsspeise wäre." „Schaue nur weiter", spricht Christian. Die Teller wurden
leer. Da werden sie fast wahnsinnig vor Wollust. Es kommt so weit, dass sie mit
den Zähnen Fleisch von den Geschlechtsteilen bei den anderen herausbeissen und
mit grösster Wollust verzehren.
„Kommt, es ist genug", spricht Christian, „dieses ist das Schlimmste; zu helfen
ist hier gar nichts. Hier kann nur Krankheit und Schmerz das Nötige tun, bis sie
empfänglich werden für ein Wort des Lebens der Liebe und Gnade Jesu."
Beim Heimwärtsgehen sagte Anton:
„Bruder Christian, ihr seid bestimmt erlöste und selige Bewohner dieser Welt,
wie kommt es, dass es in dieser deiner Welt noch solche höllische Wesen und Orte
gibt? Bei den ersten drei Türen möchte es noch gehen, aber bei den anderen?"
„Du hast recht gefragt, mein Bruder, siehe, was wir gesehen haben, liegt auch
noch in unserer Welt. Solange wir nicht vollkommen sind, ist auch die
Entwicklung nicht vollendet. Es bedarf eben einer langen Entwicklung. Was ihr
als Auswirkung sehet, liegt noch als Same in euch. Gehen wir aber auf den Wegen
des Herrn und suchen ganz dem Heiland und Vater Jesu gleich zu werden, kann
jener Same des Falschen und Verkehrten nicht zur Auswirkung kommen. Es ist darum
gut, dass wir immer bewusster werden all der Dinge, die in uns der Auferstehung
harren. Was in mir gebunden liegt, suche ich bei anderen zu lösen, was in mir
leben soll, wecke ich bei anderen, dazu gibt uns der Herr die Kraft und das
Gelingen."
Als sie wieder zurückkamen, war alles in der grössten Freude und Harmonie. Da
fragte Maria die Johanna: „War es schon, Johanna?"
Sie sagte: „Maria, wie eine schwere Wolke liegt auf mir das Erlebnis. Wir müssen
noch viel lernen, viel Liebe uns aneignen, damit wir gerüstet sind vor den
Todgeweihten."
Maria: „Bist du traurig, Johanna, über das Erlebte, ich wollte, ich könnte dir
ganz Mithelferin sein!"
Johanna: „Traurig, nein, aber wie traurig muss der gute Vater sein, weil alle
Seine Liebe so geringen Erfolg hatte. Wundern wir uns nicht, wenn wir nicht
gleich Erfolg haben; die Grösse der Geduld des Vaters ist von uns nicht zu
begreifen. Wann werden wir endlich so weit sein, dass wir Ihn ganz verstehen
können!"
Christian: „Johanna, die Ewigkeit wird uns alles bringen, der Zug in uns,
würdige Vertreter Seiner Liebe und Erbarmung zu sein, schafft Kraft aus Seiner
Kraft und Leben der Liebe aus Seinem Liebeleben. Für euch, lieber Anton und
Friedewald, seien die Erlebnisse nur ein Schauen in euch, ein Beschauen eurer
Liebe und ein Überprüfen, wie weit ihr den Verlorenen nachgehen könnt.
Bis jetzt konntest du, lieber Anton, dich am Vatertische nähren durch Seine
Gnade. Wenn du nun Bruder wirst, und sei es wer es will, wird an deinem Tische
zehren, den der himmlische Vater stets decken wird. Siehe, wie alle deine Brüder
sich sättigen an meinem Tische, der mir pur Vatertisch ist, und wenn
Hunderttausende kämen, alle würden satt werden, wenn der Zug in mir lebendig
ist, ihnen allen wahrer Bruder zu sein. Davon hängt das Gelingen ab. Wundere
dich nicht, wenn deine Feinde die Ersten sind, die dir begegnen, da sie von
ihrem Hass getrieben werden, dich zu suchen. Aber die Liebe als das einzige
Mittel ist fähig, Überwinder zu sein und die Freude ist der herrlichste Lohn.
Du, Friedewald, wirst es leichter haben, du hattest weniger Feinde, aber wen du
dir zum Freunde machen kannst, wird ewig dein Eigentum sein. Ziehet nun weiter,
die ewige Liebe sei euer Leitstern. Die Gnade Jesu sei bei euch und in euch
immerdar!"
Johanna sagte: „Bruder Anton, ziehe mit deinen Brüdern an deinen Wirkungsort,
warte nicht mehr auf den Ruf des Vaters, sondern handle nach dem Zug in dir! Du,
Friedewald, komme du noch mit deiner Schwester Hulda zu dem Freund meines
irdischen Vaters, es wird dir bestimmt grossen Segen bringen."
Friedewald schickte seine Brüder nach ihrem Heim und versprach, recht bald
nachzukommen, da er noch Johanna begleiten wolle.
Johanna schickte ihre Schwestern zu ihren Pfleglingen, sie sollen rasch viele
herrliche Blumen bringen, es gelte eine grosse Freude zu machen. Wie der Wind
eilten die Schwestern fort und in wenigen Minuten waren sie wieder da, jede
hatte einen tüchtigen Strauss der schönsten Blumen.
Johanna ging zwischen Friedewald und Hulda, so manche Erinnerung wurde lebendig.
Da kamen sie an Brunos und Mariens Heim.
Auch dieses war von aussen klein, es passte sich ganz den anderen an. Am
Vorgarten wurden sie erwartet.
Herzlich willkommen, kleine Hanny, sagte Bruno, Marie aber nahm sie in die Arme
und sagte:
„Auf der Erde war es Mitleid, so wir dir Liebe entgegenbrachten, hier aber ist
es heilige Liebe, die unsere Herzen eint."
„Auch ich habe Freude, euch besuchen zu können. Hier meine Schwestern und unsere
Pfleglinge möchten euch auch ihre Liebe bekunden, ihr habt doch nichts dagegen,
wenn sie euch euer schönes Heim noch etwas aus ihrer Liebe verschönern?"
Marie: „Aber freilich, Hanny, es ist ja nicht unsere, sondern auch des Herrn
Freude."
In wenigen Minuten war das Heim geschmückt, welches unaussprechlich schön war.
Auf vielen Säulen ruhte das Dach, eine jede Säule hatte eine andere Farbe. In
der Mitte war eine lange Tafel mit vielen Stühlen an den Wänden, rechts und
links waren herrliche Nischen, wo eine jede Nische wieder eine Welt für sich
war.
Bruno: „Lasse alle an der Tafel Platz nehmen zu einem Gastmahl der Liebe. Was
auf Erden uns heilige Pflicht war, ist uns hier grösstes Bedürfnis. Wenn in den
Stunden der Ruhe manches Irdische wieder lebendig wird, zieht manchmal Reue in
mich ein, ich hätte noch mehr tun können; nun aber bin ich frei, alle sollen in
meinem Hause, welches auch das Haus meines Vaters ist, erfahren, was der reinen
Liebe möglich ist."
Johanna wollte den Schwestern Anweisungen geben zum Platznehmen, aber Bruno
sagte: „Lasse sie ganz frei sich bewegen, ich werde sie freistellen." So sagte
er laut:
„Ihr Schwestern, höret, die Johanna mit ihren Schwestern sind meine, ihr aber
seid des heiligen Vaters Gäste; darum nehmet an der feierlich geschmückten Tafel
Platz, die ihr unbewusst dem herrlichen Vater geschmückt habt. Brüder und
Schwestern in meinem Hause werden euch bedienen. Wir sitzen dort in der Nische
und können alles übersehen. Ihr aber seid ganz frei und tut so, als wenn ihr
ganz in eurem eigenen Heim wäret."
Bruno lud Johanna mit ihren Schwestern wie auch Friedewald und Hulda zum
Platznehmen in dieser Nische ein, die einem Feenpalast glich. Ein Tisch mit
zwölf Stühlen lud zum Sitzen ein. Nun kamen auch schon dienende Schwestern mit
Brot und Wein und allerfeinsten Kelchen. Als die Tafel gedeckt, die Kelche alle
gefüllt waren, nahmen die bedienenden Schwestern und Brüder mit an der Tafel
Platz.
Bruno stand auf und sagte:
„Ihr Kinder meines himmlischen Vaters, ich konnte nicht jedes einzelne von euch
begrüssen, ich wollte es auch nicht, da nicht ich, sondern die ewige Liebe euch
grüssen und danken will, dass ihr endlich gekommen seid. Geniesset das Brot,
welches für die Feierstunde geschenkt wurde und geniesset den Wein, den Liebe
schuf, auf dass beide, Brot und Wein, Leben und Liebe in euch werden. Nehmet ein
jedes sein Glas und trinken wir auf das Wohl aller, die wir lieben."
Bruno hob sein Glas und sagte:
„Du, herrlicher Vater, segne uns und dieses Mahl, damit wir ganz eins mit Dir
werden. Amen." Da tranken alle und griffen nach dem Brot, welches so gut
schmeckte, dann ging eine Freude durch die Reihen, wie es auf Erden nicht
möglich ist. Auch die in der Nische wurden voller Freude, die Herzen wurden
übervoll von Wonne und Seligkeit.
Spricht Friedewald: „Solche Freude habe ich noch nie erleben dürfen, es war bei
uns auch herrlich und schön, aber diese Freude ist eine andere, ich kann es gar
nicht fassen."
Bruno: „Ja, Friedewald, ich verstehe dich vollkommen, bei euch bedurfte es
Anlässe von aussen, so ihr euch freuen und selig fühlen wolltet, hier aber ist
es Anregung von innen, die diese Freude und Seligkeit hervorbringt. Was ihr
Freude nennt, ist Frucht aus eurer Liebe, diese Freude aber ist aus dem Herrn,
der ganz in Seinem Geiste und auch persönlich unter uns ist."
„Wo ist Er?" fragten alle wie aus einem Munde. Bruno und Marie lächeln, sie
wussten, dass der heilige Vater als Bruder Hannys Pfleglinge bediente. Johanna
hatte Ihn bemerkt, aber Bruno sagte: „Dort, zwischen Frieda und Ida sitzt Er!"
Sie sind ganz ahnungslos die beiden, aber ihre Herzen brennen vor Freude.
Jetzt hatten alle Ihn bemerkt, darum sagte Bruno:
„Nichts verraten! Es ist des heiligen Vaters Liebeszug, unerkannt zu dienen.
Kannst du dir denken warum, liebe Hanny?"
„Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Ist es darum, dass Er die Liebe noch
mehr wecken will?"
„Auch das mit, Hanny, aber schau, dieses Heim ist so, dass auch der Feind mit
seinen Spionen Gelegenheit hat, mit scharfen Augen alles zu beobachten. So der
heilige Vater die noch Unmündigen und noch nicht restlos Ihm gehörenden mit
Seiner Liebe auszeichnet, dann wissen sie, diese sind für sie verloren, darum
diese Freude bei uns. Dort im feindlichen Lager ist Enttäuschung. "
Auch diese Feierstunde nahm ihr Ende. Aber der schönste Augenblick war der, wo
der Herr denen in der Nische den Wein kredenzte und auf ihre Bitten mit ihnen
anstiess.
Voll seligsten Ahnungen führte Johanna ihre Lieben heimwärts.
Auch Friedewald und Hulda trennten sich mit dem Bewusstsein, ein neuer Abschnitt
beginnt zu ihrem und der anderen Heil.
Im Glutofen bewährt
Nach einer ganz kurzen Zeit kam Anton allein in das Heim der Liebe. Er konnte
nicht anders, das Drängen in ihm war so mächtig, dass er Abschied von seinen
Lieben nahm und zu Hendrick und Mutter Anna eilte, wo er herzlich empfangen
wurde. Nach einem kurzen und seligen Verweilen drängte es ihn zu Johanna und
Maria. Diese wieder erwarteten ihn, da es ihnen der Herr offenbart hatte.
Ohne viel zu reden sagte Anton:
„Johanna, mit mir ist es soweit, ich muss zu meinen verirrten Brüdern und
Schwestern, ihr Elend macht mich unfroh. Ich fühle es, ich gehöre zu ihnen oder
sie zu mir, würdest du mir helfen?"
„Gern, Anton, aber dann hast du nicht den Anteil an Freude, weil du ja fremde
Hilfe in Anspruch nimmst."
„Aber Johanna, ich will ja gar keinen Anteil, sondern, dass sich die anderen in
unserer Freude finden und freuen. Auch kann ich dem Drängen nicht mehr länger
widerstehen."
„Wenn dem so ist, Anton, dann wollen wir nicht zögern, deine Liebe ist auch des
Herrn Liebe. Es bedarf keiner langen Vorbereitung, denn wir sind bereit. Aber
diesmal geht ihr alle, meine Schwestern, mit."
Dies war eine Freude, Liesa umarmte Johanna und sagte:
„Endlich gewürdigt zum grösseren Werke, o Du herrlicher Jesus, wie gut bist du!"
Nach kurzem Abschied von allen Lieben, wie auch von Mutter Anna, treten sie
hinaus in die ihnen bekannte aber dunkle Welt. Sie eilen nach Abend zu, wohin
eine schlechte Strasse führt.
Johanna fragte: „Anton, hast du ein bestimmtes Ziel oder willst du dich von
deiner Liebe leiten lassen?"
Anton: „Johanna, zu meinen Freunden zieht es mich, die auch im Geisterreiche
leben und schon verstorben waren, ehe ich von der Erde gehen musste."
Da tritt ihnen ein Engel entgegen, grüsst herzlich und sagt:
„Ich bin als Diener euch beigegeben nach dem Willen des Herrn, ich stehe euch
mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft und Macht zu Diensten, da dieser Bruder
noch unerfahren ist, ihr dürft nur anordnen, willig und gern diene ich euch."
Johanna: „Wie dürfen wir dich nennen? Ich bin Johanna, dieser Bruder ist Anton;
Maria, Lena, Christa, Liesa und Rosel gehen das erstemal mit zu den Unerlösten."
„Nennet mich Gotthard, auch ich bin gleich euch ein Diener der Liebe, aber mein
Wesen ist hart wie Gott."
„Dieses habe ich noch nie gehört, dass Gott hart sein soll, ich kenne Ihn von
der lieblichsten Seite."
„Auch du wirst Ihn noch von dieser Seite kennen lernen, denn wo Gott nur Gott
ist, ist nur heiliger Ernst, heilige Ordnung und heilige Wahrheit, denn auch du
hast dieses erfahren müssen."
„Nun verstehe ich dich, Gotthard, dein Dienst mit uns bindet uns für ewig
zusammen."
Gotthard sagte: „Umhänget euch mit diesen Mänteln, wir sind schon nahe dieser
Sphären, die kein Licht vertragen können. Du, Anton, brauchst keinen, da dein
Kleid noch von dunkler Farbe ist. Nun noch einen guten Rat, lieber Anton. Du
bist der Führer dieser Schar, wie du die uns Begegnenden behandelst, ist deine
eigene Sache, vor allem fürchte dich nicht und vertraue dem Herrn, der in deiner
Liebe unter uns ist. Ihr Schwestern seid ohne Furcht, denn ihr dürfet zum
Gelingen des heiligen Werkes mit beitragen. Fürchtet euch nicht, seid stark im
Glauben, auf dass dieses Werk gelinge. Ich darf nichts zum Gelingen beitragen,
sondern habe euch zu schützen nach dem Willen des Herrn."
Sie kommen in bewohnte Gegenden. Es wird immer finsterer. Rötlicher Schein wie
von einer Feuersbrunst wird sichtbar.
„Dort muss eine Stadt brennen", spricht Anton, „dem Feuerschein nach ist es ein
Riesenbrand."
„Du irrst, lieber Freund, dieses ist die Aussensphäre derer, die ihr besuchen
wollet. Je heftiger der Widerstreit unter den dort weilenden Geistern tobt,
desto rötlicher ist für uns der Anblick. Es sind dieses sehr zornige und
streitsüchtige Wesen, wenn wir unter sie treten, merken wir nichts von dem
Feuerschein.
Also Mut und Vertrauen, wir sind am Ziel!"
Eine Menge von vielen Geistern ist auf einem engen Raum zusammengedrängt, einer
hat eine Rede gehalten, die allem Anschein nach nicht den Erfolg hatte, denn ein
Drängen und Schubsen war in der Menge. Mehrere wollten hin zum Sprecher, der auf
einem lockeren Sandhaufen gesprochen hatte.
Endlich war ein anderer auf den Sandhaufen gestiegen, da war Ruhe. Er sagte:
„Der Vorredner hat uns Hoffnung gemacht auf Hilfe, hat aber vergessen uns zu
sagen, wo wir Brot hernehmen sollen, denn nicht ich, sondern wir alle haben
furchtbaren Hunger; auch ist er uns die Erklärung schuldig geblieben, wie wir
überhaupt hierher gekommen sind. Finster ist es schon reichlich lange, wir
erkennen uns kaum noch und ich frage nun: „Was soll mit uns eigentlich geschehen
und was ist zu tun, zu Hause geht manches Geschäft verloren, wer ersetzt mir den
Schaden?"
Brüllt einer: „Du hast auch immer dein Geschäft vor Augen, hier geht es um
grössere Dinge, wir wollen die Herren sein und keine Knechte."
„Dann wünsche ich euch allen viel Glück, ich wollte, ich wäre zu Hause in meinem
Geschäft."
Einige reissen den Redner herunter von seinem Sandhügel, viel fehlte nicht, so
wäre er zusammengetreten worden. Da kommt ein anderer und tritt auf den
Sandhaufen, wartet ein Weilchen, dann spricht er: „Leute, keinen Streit! Wir
sind fast am Ziel angelangt. Wenn ihr geschlossen hinter uns steht, gibt es
keine Macht, die uns verdrängen kann. Die ganze Stadt ist unser Eigentum, alle
Bewohner haben sich nach uns zu richten. Die Widerspenstigen sitzen in
Gefängnissen, nur noch kurze Zeit, dann betteln sie alle nach Brot."
Anton glühte vor Eifer, er hatte keine Ruhe mehr, er drängte zu dem Redner und
erkennt in ihm einen seiner schärfsten Konkurrenten.
„Was willst du hier", herrschte dieser ihn an, „willst du mit uns gehen?"
Da spricht Anton: „Nein, mit euch nicht, aber auffordern, mit mir zu gehen."
„Da hast du dir einen schlechten Zeitpunkt gewählt, denn für uns ist die Zeit
günstig."
Anton wurde nun ruhig, auf den Sandhaufen ging er nicht, aber laut sagte er:
„Freunde höret, was ich sagen muss, ich komme aus einer Welt des Lichtes und des
Friedens, wo Tausende und Abertausende in Freude und Zufriedenheit leben. Brot
und die besten Früchte, Wein und die besten Fruchtsäfte stehen uns zur
Verfügung, so dass keiner zu hungern braucht. Ich kenne viele von euch. Ich, wie
auch ihr alle, seid Gestorbene, ihr seid Geister und keine Menschen mehr, seid
gefangen von eurer Hab- und Herrschsucht.
Was wollt ihr noch anstreben, ihr wollt herrschen über die, die ihr gefangen
habt, weil sie besser als ihr waren. Ist euch noch nicht der Gedanke gekommen,
dass bei euch etwas nicht stimmt? Warum wird es bei euch nicht Tag, warum
scheint bei euch keine Sonne, kein Mond, keine Sterne? Wie lange habt ihr nichts
gegessen? Dies sind Tatsachen, die euch zum Nachdenken anregen müssen."
Da brüllt der andere ihn an:
„Du Habenichts! Pleite hast du gemacht und gehst auf den Fang, Dumme dir zu
holen, die dich wieder hochbringen sollen. Bezahle erst alle die, die du
betrogen hast, oder hast du vergessen, wie viele durch dich pleite geworden
sind?"
Anton besann sich zur inneren Ruhe und sagte:
„Ich habe nichts vergessen. Um das grosse Unrecht gutzumachen, das ich euch als
Mensch zufügte, deswegen bin ich ja zu euch gekommen. Glaubet doch das einmal,
ihr seid Gestorbene und bedürfet irdischer Dinge nicht mehr."
„Schweig", brüllte der frühere Redner, „behalte deine Weisheit für dich, oder du
lernst uns von der anderen Seite kennen. Dir haben wir einmal geglaubt und nie
wieder! Überhaupt, mache dich mit deiner Gesellschaft nicht so breit, mit einem
Lumpen wie du, wollen wir nichts mehr zu tun haben."
Anton wollte sich erregen, da sagte Johanna:
„Bruder, wenn du dich von den Beschuldigern getroffen fühlst, dann ist das Spiel
verloren! Bleibe in der Ruhe, denn es gilt ja, die Liebe des Herrn zu
verherrlichen."
„Es ist schwerer, als ich dachte. Ich sehe gar keinen Weg mehr. Sie lehnen mich
ab. Versuche du einmal dein Heil."
„Wenn ich dir dienen kann, gern." Sie stellte sich vor den Redner und sagte:
„Freund, ich wüsste nicht, dass ich dir oder einem anderen von euch Leid
zugefügt hätte, darf ich die Bitte des Anton wiederholen und euch fragen, ob ihr
dieses traurige Leben für ewig behalten wollt? Denn es ist so, wie Anton sagte,
wir sind Geister und keine Menschen mehr. Ihr wollet es nicht glauben und doch
ist es nicht anders. Ist es. dir, lieber Freund, noch nicht zum Bewusstsein
gekommen, dass du von deiner Familie getrennt bist?"
„Wer bist denn du eigentlich, dass du solches Interesse an uns hast? Ob wir
gestorben sind oder nicht, kann ja euch egal sein; wir haben euch nicht gerufen,
darum verschwindet, sonst brauchen wir Gewalt!"
„Ich möchte dir raten, lieber Freund, nicht so prahlerisch zu sein, denn die
Gewalt, die ihr besitzet, ist herzlich wenig. Aber wenn du schon nicht Vernunft
annehmen willst, so hast du kein Recht, andere davon abzuhalten, vernünftig zu
werden oder uns zu wehren, euch die Wahrheit zu sagen über euren Zustand. Darum
wende ich mich nun zu euch, liebe Zuhörer, und frage euch, seid ihr mit eurem
Zustand wirklich zufrieden?"
„Nein, nein", rufen die Umstehenden, „wir wollen nach Hause."
Da brüllt der frühere Redner: „Fort mit euch, ich werde euch helfen!", und will
Johanna niederschlagen.
Gotthard greift zu und spricht: „Noch eine Bewegung, dann fühlst du die ganze
Härte Gottes, du ohnmächtiger Maulredner!"
Da wurde Gotthard geschlagen, und im Nu brannte der Arm des Schlägers
lichterloh.
Die Menge wich entsetzt zurück. Der Mann brüllt vor Schmerzen, er wirft sich auf
den Boden, will das Feuer totdrücken; es nützt nichts, der Arm brennt weiter.
Die anderen sind entsetzt über diese brennende Fackel. Aber nun jagt der
Brennende wie von Furien getrieben fort.
Da sagt Johanna: „Entsetzt euch nicht, liebe Freunde, wir sind gekommen euch zu
dienen, zu helfen, auf dass ihr zu einem rechten und wahren Leben kommt. Dass
euer Bruder die Rüge einstecken muss, ist ja seine eigene Schuld, er wurde
gewarnt von diesem Gottesboten, überleget euch ordentlich, ob ihr unsere Hilfe
annehmen wollt oder nicht, wir sind eure Freunde."
Tritt ein Mann hin und spricht: „Wie gern würden wir euch glauben und eure Hilfe
annehmen, aber es geht einfach nicht, wir sind an unsere Gläubiger gebunden, sie
sind es, denen wir gehorchen müssen."
Anton kennt den Mann und spricht: „Lorenz, du musst mich doch kennen, du hast
durch mich keinen Schaden gelitten, aber ich sage dir, löset euch von euren
Gläubigern, so sie auf ihrem Standpunkt beharren. Hier sind alle Schulden durch
Jesum Christum bezahlt, wenn du bereit bist, an Ihn zu glauben und dein Leben
Ihm zu weihen. Es kommt dann alles in die rechte Ordnung, denn ihr seid keine
Menschen mehr.
Auch ich musste dieses erst einsehen und glauben lernen. Was habt ihr getan,
seit ihr im Geisterreiche seid, nichts weiter als gesucht, gehungert und
zugehört, was euch eure Gläubiger sagten. Ich mit vielen eurer Freunde haben uns
besonnen und die helfende Jesu-Hand ergriffen und führen ein Leben wohl reich an
Arbeit, aber noch reicher an Freude."
Da drängen sich viele hin und sagen:
„Sage ja! Wir wollen ein ordentliches Leben. Lorenz, habe keine Angst, der
Gottesbote hat unseren Peiniger gestraft, weil er zugeschlagen hatte."
Da kommen wieder andere und schreien: „Lorenz, wehe dir, so du zum Verräter
wirst, wir sind die Herren und niemand anders."
Spricht Anton zu dem Engel: „Lieber Gottesbote, wir brauchen deine Hilfe, denn
hier sind wir machtlos, dort schau hin, wie sich die grosse Menge duckt vor den
paar Männern."
Spricht der Engel: „Anton, ich darf nicht helfen, nur schützen darf ich euch,
aber rede mit Johanna, was diese sagt."
Anton: „Johanna, hast du gehört, was der Engel sagte, was soll nun werden?"
Johanna: „Aber Anton, warum bist du mutlos und kleingläubig geworden, ist der
Herr nicht unter uns in Seinem Geiste, warum wagst du nicht im Namen des Herrn
deinen Willen durchzusetzen? Hier in dieser Welt ist der Sieger, der den
stärksten Willen hat. Ermanne dich und sei würdig der grossen Gnade, die dich
berufen hat, ein Helfer zu werdenl"
Anton ging in sich, betete innig, dann sagte er:
„Lorenz, mit dir möchte ich weiterreden und ihr, die ihr die Herren seid, habt
jetzt zu schweigen, da es gilt, Hilfesuchenden zu helfen."
Da schrie einer: „Was, du Pleitegeier willst uns Schweigen gebieten, hier hast
du deinen Lohn!"
Anton erhielt mit einer Knute einen Schlag in das Gesicht, dann sagte er: „Halt,
im Namen Jesu des Herrn, diesen Schlag verzeihe ich dir, weil du der Geschädigte
durch mich warst. Aber ich sage dir, mit einem zweiten Schlag schlägst du den
Herrn Jesus, der in mir lebt, und dieses würdest du schwer büssen müssen!"
Da holte dieser zum Schlage aus. Anton hielt die Hand hoch und sagte:
„Im Namen des Herrn Jesu! wirf die Knute weg, sonst verbrennst du wie dein
Freund verbrannte!"
Der andere zögerte. Da fing die Knute an zu brennen. Rasch warf er sie weg, wo
sie auf dem Boden verbrannte.
Anton bekam Mut, nun sagte er:
„Ihr alle habt die Macht des Herrn Jesu erlebt und kennengelernt, fürchte sich
keiner darob, wir wollen euch helfen, darum überleget euch nicht lange und
lasset euch führen in ein besseres Sein.
Du, Lorenz, rufe deine Freunde, sie sind unsere Freunde, ihr alle, die ihr
wollet, seid angenommen."
Spricht Lorenz: „Du, Anton, wo willst du uns hinführen? Wenn es wirklich wahr
ist, dass wir gestorben sind, dann sage uns, wo die Reise hingeht? Jetzt ist mir
alles schrecklich."
Anton: „Lorenz, das alles hat später Zeit, vor allem sammle, die mit dir gehen
wollen, damit Einigkeit unter uns werde."
Auch Lorenz besann sich und sagte: „Leute, ihr habt gehört, was unser Freund
Anton will, wer mit mir in ein besseres Sein gehen will, mag mit mir gehen!"
Viele gehen mit Lorenz. Unter den anderen ist noch ein Zögern, da tritt Johanna
hin und spricht:
„Ist es denn gar so schwer, an ein besseres Sein zu glauben? Wenn ihr schon
eurem Bekannten nicht glaubet, so glaubet wenigstens mir, die ich die geringste
Magd und Dienerin des Herrn Jesus bin. Da sehet mich an, sehe ich wie eine
Unselige und Unzufriedene aus?" Sie zog das dunkle Gewand ab, da sahen alle das
strahlende Kleid, das strahlende Stirnband und den strahlenden Gürtel. Da waren
sie alle wie gebannt. Johanna aber nahm das Gewand wieder über ihren Körper und
sagte: „Ihr habt mich in meinem wahren Sein geschaut. Verdient habe ich dieses
auf keinen Fall, ich habe es nur der Liebe, Gnade und Erbannung des Herrn Jesus,
des wahren und ewigen Heilandes und Erlösers zu danken. Ich war genau so elend
wie ihr und wurde doch angenommen. Freilich musste ich viel lernen, noch mehr
ablegen, mit dem ich verwachsen war. Aber seit des Heilandes Jesu Beistand und
Hilfe bin ich doch eine Gerettete und Erlöste, die nur einen Wunsch hat, dass
sich alle, die noch im Falschen und Verkehrten leben, finden möchten zum Herrn
alles Lebens und Seins. Zögert nicht länger, ergreift die erlösende Hand des
Herrn und Heilandes Jesu, die Er durch uns euch entgegenstreckt, ihr werdet nur
danken, danken und niemals bereuen."
Da drängten sie hin zu Lorenz. Es wurden immer mehr. Da wurde es auch heller und
heller, so dass man jedes Gesicht erkennen konnte. An hundert, vorwiegend
Männer, blieben stehen, sie gingen nicht mit den anderen, da fragte Anton:
„Brüder, wollet ihr nicht mit den anderen ziehen? Sehet doch hin, wie hell und
licht es bei denen geworden ist, was hält euch noch zurück, das wahre Leben zu
ergreifen?"
Spricht einer: „Du, Anton, ich glaube dir nicht, wenn es schon einen Himmel
geben würde, so wäre es unmöglich, dass so ein Halunke wie du darinnen sein
könnte. Wir sind gewiss nicht die besten, aber gegen dich waren wir reine
Lämmer. Nein, nein, das ist ein Trick, mit dem du uns ködern willst und diese
Weiber? Na, schweigen wir, bei uns versagt deine Kunst."
Anton: „Freunde, diesmal verkennt ihr mich. Ich verstehe euch, wenn ihr
zweifelt, dass ich ein Bewohner der Himmel bin. Ich bin es auch nicht, sondern
lebe in einer Welt, die ich mit Freunden erst zum Paradiese machte. Da ich die
unendliche Liebe und Gnade des Herrn Jesu erfahren durfte, ging mein Denken zu
euch zurück, möchte gutmachen im Geiste der erlösenden Liebe und euch mein
Paradies überlassen, wo es sich schön und gut leben lässt. Glaubt mir nur dies
eine Mal noch. Wenn ihr unzufrieden seid, könnt ihr wieder zurückgehen, bei uns
ist die höchste und grösste Freiheit."
Sagt der Vorredner: „Anton, ich bin nicht abgeneigt, ich glaube die anderen auch
nicht, aber wer gibt uns die Gewähr, dass du ehrlich bist?"
Anton: „Dittrich, jetzt habe ich dich erkannt, du hast mir schon als Mensch
misstraut. Es ist deine Vorsicht gut und auch in Ordnung, aber wir sind Geister,
dieser Freund ein Engel und Gottesbote, zu unserem Schutz beigegeben, damit wir
auf den Wegen des Herrn, die wir jetzt gehen, nicht Opfer von Teufeln werden,
wie es Meinhard wollte. Oder glaubst du, dass der Heiland Jesus Seinen Engel uns
zum Vergnügen mitgibt? Ihr habt seine Macht kennengelernt, ist dies nicht Beweis
genug?"
Dittrich wollte antworten, da zog ein Flammenmeer daher, kam immer näher und
näher. Da fragte Anton den Engel, was das bedeutet?
Dieser sagte: „Bruder, jetzt kommt die Probe. Diese da sind alle ungefährlich,
sie alle sind zu überzeugen mit den Mitteln, die dir die Liebe zur Verfügung
stellt. Aber jetzt kommen Teufel, die von der Fackel der Zornwut entzündet sind.
Empfange sie im Namen des Herrn und fürchte dich nicht; wenn ihr Zorn verraucht
ist, sieht alles halb so schlimm aus."
Jetzt waren sie da, an hundert waren es, die die brennenden Fackeln schwenkten
und die Meute umstellte, die zurückgeblieben war.
Lorenz war schon weitergewandert auf Geheiss der Johanna, da die Strasse zu
ihrer Bestimmung führe.
„Wo sind die anderen", brüllt einer Anton an; dieser aber sagte:
„Meinhard, dein Hass ist unnütz und deine Wut machtlos, denn wir sind im
sicheren Schütze des Herrn Jesus, dir aber sage ich, die anderen sind schon auf
dem Wege zu ihrem zukünftigen Heime, wo Liebe, Friede und Freude herrscht. Deine
Macht ist zu Ende oder sag, was hast du in der langen Zeit deinen Freunden
bieten können? Nichts, gar nichts."
Meinhard stiess ein Wutgeheul aus, die anderen hoben ihre Fackeln und wollten
zuschlagen. Da hob der Engel die Hand, und sie warfen die Fackeln weg, denn sie
wurden brennend heiss, nur bei Meinhard brannte der Arm weiter.
Der Engel machte das Zeichen des Kreuzes über Meinhard, da verlosch das Feuer,
der verbrannte Arm blieb, ebenso auch der Schmerz.
Gerettet durch die Liebe
Johanna trat hin zu dem Wütenden und sagte:
„Im Namen des Herrn Jesus weiche der Schmerz, damit du erkennest, dass wir dein
und euer Heil wollen. Wenn du einen Rat annehmen willst, so sei es der: Glaube,
dass wir nicht dein Unglück, sondern dein und eurer Heil wollen. Willst du in
deinem Element der Hab- und Herrschsucht verbleiben, wir hindern dich nicht;
aber wir verlangen, dass auch du die anderen nicht hinderst, so sie sich von dir
trennen wollen."
„Was habe ich mit dir zu schaffen, gehst wohl auf Männerfang aus, wie du Anton
eingefangen hast, bei mir hast du kein Glück."
„Dein Brüllen, deine Wut ist nur eine Ohnmacht, aber um dich nicht noch mehr zu
reizen, will ich in meiner richtigen Art mit dir und den anderen sprechen und
sage dir im Namen des Herrn Jesu: Schweige, denn für Teufel ist nicht die
erbarmende Liebe Gottes, sondern der heilige Ernst."
Johanna warf ihre Umhüllung ab, sie stand in ihrem hellen und strahlenden Wesen
vor der grossen Menge, hob die Hand und sagte:
„Im Namen Jesu warne ich euch alle, die ihr in Zorn und Wut uns vernichten
wollet. Die Macht des Herrn ist mit uns, Sein heiliger Wille lautet, dass alle
in Sein ewiges Reich eingehen können, so sie ihr früheres Leben weit hinter sich
werfen und sich bekehren, d. h. ein anderes Leben leben wollen. Tief seid ihr
gesunken, viel tiefer geht es bald nicht mehr. Dann wird keine rettende Hand
euch entgegengehalten werden können, da im tiefsten Abgrund die Sehnsucht nach
Jesus ertötet ist. Dir, Meinhard, der du jetzt Jesum geflucht hast, gebe ich im
Namen des Herrn Jesu deinen Schmerz zurück, immer brennender wird er werden, bis
du reuevoll den Fluch zurücknimmst. Euch anderen rate ich, kehret um, lasset
diesen Ruf nicht ungehört vorübergehen, denn ein Leben der grössten Not und des
grössten Elends erwartet euch."
Meinhard krümmte sich vor Schmerzen, er wollte fluchen, aber kein Wort brachte
er hervor, da wichen die anderen zurück.
Anton ging zu Dittrich und sagte:
„Weichet nicht zurück. Meinhards Macht ist zu Ende. Seine Begleiter sind
bedauernswerte Geschöpfe und genauso zur Erlösung berufen wie ihr; wenn du und
ihr mir nicht glauben wollet, so glaubet doch den anderen um eures Heiles
willen."
Dittrich: „Du magst recht haben und es gut meinen, aber glaubst du, dass ich
Meinhard im Stiche lasse? Ich sehe die Macht des Herrn, aber ich weiss nicht,
was hinter dir steht. Du meinst jetzt, ich solle dir glauben, aber wie oft hast
du uns belogen, wie bitter waren die Folgen deines Betruges, ja deine
Handlungsweisen waren es, die uns in dieses Elend brachten."
Anton: „Dittrich, ich mache alles gut, ich bin vom Herrn Jesu angenommen. Seine
unendliche Liebe, die in mir das Verlangen lebendig machte, ist es, die mich zu
euch führte, um euch zu helfen und euch aus dem Elend herauszuführen, euch dem
zu entreissen, dem ihr zusteuert. Da ich das Elend auskosten musste bis zur
letzten Neige, bitte ich euch, vertrauet mir."
Meinhard krümmte sich vor Schmerzen. Anton ging hin zu ihm und sagte:
„Meinhard, du hast jedes Wort gehört, warum leidest du, wo dir Möglichkeit
gegeben ist, dich zu befreien von allem Schmerz, bitte Jesum, den wunderbaren
Heiland, um Vergebung, und du wirst frei sein von den Schmerzen."
Meinhard erwiderte rauh: „Du bist schuld an diesem meinem Unglück. Wer hat dich
gerufen? Wir wären jetzt die Herren über alle Bewohner, du aber mit deinen
Weibern und dem verkappten Engel hast mir einen Strich durch meine Rechnung
gemacht."
Anton: „Meinhard, warum willst du taub und blind bleiben, ist es denn so schwer,
Liebe anzunehmen, wo du nicht den geringsten Anteil hast. Brich doch mit all den
Erdbegriffen, hier sind wir Geister, alles Irdische ist nur erschwerender Unrat,
die Geisterwelt bietet ganz andere Chancen. Was du im Erdenleben nur mit den
raffiniertesten Mitteln erreichen konntest, fällt dir umsonst in den Schoss,
wenn dein Leben Liebe atmet."
Meinhard horchte auf und spricht: „Was sagtest du, auch hier kann man Herrscher
und Besitzer sein?"
Anton: „Ja, Meinhard, nur nicht im herrschenden sondern im dienenden Geist.
Schaue dir Johanna an, als Menschenkind war sie eine der Ärmsten und
Verachtetsten, ihr Haus ist jetzt so gross, dass mindestens zehntausend Wesen
darin wohnen können und ein Leben führen wie im Paradies. In ihrem Haus ist eine
Schönheit anzutreffen, die kein irdischer Fürst aufweisen kann, ihre
Hausgenossen verehren sie wie eine Mutter oder Königin. Schaue sie an, der
Diamant ist das Geschenk der ewigen Liebe für das Leid, welches sie tragen
musste."
Meinhard: „Anton, befreie mich von den rasenden Schmerzen, sie verzehren mich!"
Anton: „Ich würde es gern tun, aber ich kann nicht, hier im ewigen Geisterreich
ist ein gesprochenes Wort wie ein Gesetz, nur der Herr allein vermag es, bitte
darum!"
Laut, laut stöhnte Meinhard auf. Johanna umwob ihn mit ihrer Liebe, endlich
sagte er: „Herr, ich habe geflucht, wenn Du willst, verzeihe mir und nimm den
brennenden Schmerz von meinem Leibe."
Im Nu war der Schmerz verschwunden, aber der verkohlte Arm gab Zeugnis dieser
Zurechtweisung.
Meinhard ging hin zu Johanna und sagte: „Du seiest Johanna und eine grosse
Herrin, ich bitte auch dich um Verzeihung."
„Ist nicht mehr nötig, lieber Meinhard, irren ist noch kein Verbrechen, aber im
Irrtum verharren, kann bittere Folgen haben. Wir sind freie Geister und Schöpfer
unserer Seligkeit, wie auch unserer Leiden. Die ewige Ordnung ist freilich in
allen Dingen zu beachten, aber sie ist so einfach, so herrlich und schön, dass
es auch der Geringste verstehen kann. In dieser Welt bist und bleibst du dein
eigener Herr, wie auch ich und alle ihr eigener Herr sind. Siehe, diese Ordnung
schuf Gott und machte sie zum ewigen Gesetz. Da nun Gott selbst Mensch wurde und
in Sich Selbst eine Welt baute nach der von Ihm gesetzten Ordnung, nahm Er zur
Liebe Seine Zuflucht und machte einen Himmel, der da offen ist für alle, die Ihn
lieben. Auch wir dürfen dieses und können das Tor zu unserer eigenen Welt
offenhalten für die, die wir lieben. Da aber Liebe nicht unser eigenes, sondern
des Herrn Leben ist, kannst du dir vorstellen, was alles nötig ist, um zu der
Liebe zu gelangen, die allen zugängig ist, auch dir."
„Johanna, du sprichst vernünftig, aber hast du vergessen, dass ich und meine
Genossen Teufel sind?"
„Das habe ich vergessen, aber das habe ich nicht vergessen, dass der Herr in mir
auch der Herr über alle Teufel ist. Es kommt ja auch nicht darauf an, was der
Herr über dich denkt, sondern wie ich mich zu dir stelle. Meinem Herrn und
Heiland ist alles angenehm, was ich in Seinem Liebegeist unternehme und darum
bitte ich dich, versuche den Vorschlag, den wir dir bieten."
„Aber, Johanna, was soll aus meinen Genossen werden, sie werden zur Hölle, wenn
ich sie verlasse."
„Was du mit deinen Brüdern machst, ist ja nicht meine, sondern deine Sache, mir
wird alles recht sein, denn Raum ist für alle vorhanden."
„Ich muss erst mit ihnen einmal reden, denn ohne sie wäre mein Leben auch kein
Leben."
„Tue es, wir warten gern!"
Da sagte Meinhard: „Höret, meine Getreuen, ich habe mich eingehend überzeugt,
dass wir bis jetzt in einem grossen Irrtum lebten. Meine Meinung ist die: wir
nehmen die. Einladung an! Gefällt es uns nicht, fangen wir unser altes Leben
wieder von vorne an, ich sehe aber schon jetzt, dass es zu einem vollen Erfolg
ausschlägt."
Sie waren einverstanden, da sagte Meinhard: „Zügelt eure Leidenschaften, denn
wir wollen der Hölle und dem Untergang entfliehen und das Leben ergreifen,
welches uns durch diese Getreuen des ewigen Gottes offenbart wurde."
Johanna spricht mit lauter Stimme:
„So grüsse ich euch im Namen des Herrn Jesu und heisse euch willkommen! Nie
werdet ihr euren Entschluss bereuen. Dass ihr aber nicht in einen herrlichen
Himmel kommt, wird euch verständlich sein. Euer Bruder Anton wird die grössten
Opfer bringen, um euch zu beglücken, höret auf ihn, er bietet euch sein Heim,
worin ihr alle Platz haben werdet. Nie mehr werdet ihr hungern oder frieren,
denn der Herr gibt in Überfülle!"
Da zogen sie nun weiter. Anton sagte zu Johanna:
„Du, haben denn alle in meinem Hause Platz, hast du meine Brüder ganz
vergessen?"
„Nein, Anton, aber du vergisst den Herrn und Seine väterliche Vorsorge. O Anton,
wann wirst du endlich ganz Sein Sohn sein?"
„Ach Johanna, ich könnte mich ohrfeigen, was sagst du, Maria?"
„Ich sage gar nichts, sondern denke mich hinein in die erbarmende Liebe Jesu."
Lorenz hielt mit seiner grossen Schar. Ihm war es so ungeheuerlich, nach einem
Ziel zu gehen, welches er nicht kannte, darum bat er, alle sollten warten. Gross
war nun die Freude, als alle wieder zusammen waren, alle hatten nur einen Blick
auf die strahlende Johanna. Endlich waren sie am Ziele. Anton und Johanna
sagten, dass nun die Wanderung vorüber sei und hier die erste Station sei.
Mutter Anna segnete die unzählige Schar und lud alle zur Einkehr ein, wo ein
gedeckter Tisch ihrer harrte.
Sie ging mit Hendrick voraus und, o Wunder, eine Riesenhalle tat sich auf, wo
gedeckte Tische und Tafeln mit Brot, Milch und Früchten darauf standen. Das
sagte Anton:
„Hier ist unsere Mutter, die Vertreterin des Heilandes Jesu, hier Vater
Hendrick, der Willensträger Gottes. Hier hat jeder und jedes das Recht, mit
allen Wünschen und Beschwerden zu kommen, sie beide werden euch Vater und Mutter
sein."
Spricht Mutter Anna: „Freunde, seid willkommen, die Liebe Jesu erwartet euch.
Ihr werdet in eure Bestimmung geführt werden, es wird manchmal hart werden, aber
es wird zu eurem Heile dienen. Wer umkehren will, kann es tun, die Pforte ist
immer offen und unbewacht. Wer sich der Gemeinschaft nicht unterordnen kann,
scheidet von selbst aus. Aber ich weiss, ihr werdet unsere Liebe wieder mit
Liebe lohnen und unsere Treue ebenso. An Brot gibt es keinen Mangel, darum
greifet zu und geniesset dankbar die Gabe des Herrn, der gnädig und übergut
ist."
Mit Hast griffen alle nach dem Brot und sättigten sich, denn überlange war es
her, dass sie richtiges Brot zwischen den Zähnen hatten. In ihrer Hast bemerkten
sie gar nicht den Wohlgeschmack, aber Mutter Anna fragte, wie ihnen das Brot
schmecke, da erst bemerkten sie den wunderbaren Geschmack; aber die Früchte
machten sie erst richtig aufmerksam, so etwas war noch nicht über ihre Zunge
gekommen. Nun waren alle froh, auch die ungern mitgezogen waren.
Anna ging mit Anton die Tafel entlang, sie sahen nur dankbare Gesichter, hier
und da sagte Anna ein paar Worte, die auch wieder Freude auslösten. Da sagte
Anna zu Anton:
„Nun, Bruder, liegt es an deiner Liebe, sie alle zu gewinnen, stosse dich nicht
an ihren Eigenheiten, sondern habe recht Geduld. Wie wäre es, so Johanna ihre
Schwestern rufen würde, dass sie diese Stunde noch verschönten? Mit Gesang
könnten sie einziehen in dein Haus?"
„Dies wäre schön, ich werde Johanna einen Wink geben."
„Ist schon geschehen, denn gleich nach dem Platznehmen ist Johanna mit ihren
Schwestern fortgeeilt, um alle geschmückt zu holen."
Es dauerte auch nicht lange, da kamen die seligen Scharen mit ihren Pflegerinnen
und bald ertönten Gesänge, die alle ergriffen machten. Da staunten die verirrten
Wesen über die glücklichen Sänger, die alle in Weiss waren. Jetzt, wo sie ihre
dunklen Gewänder anschauen, kommt ihnen zum Bewusstsein, dass sie auch schon
Verlorene waren.
Da sagte Anna: „Liebe Schwestern und Brüder und Kinder, es ist unsere Art, dass
wir gern Freude machen und Wonne bereiten, darum holte Johanna alle ihre
Schwestern, die euch nun erfreuen.
So wie ihr jetzt seid, so waren einst auch diese weissen und seligen Wesen. Ich
habe ihre Entwicklung überwacht und werde auch eure überwachen, damit auch ihr
recht bald so glücklich und selig seid wie diese da. Aber höret, zu allem gehört
Geduld, Glaube und Vertrauen. Anton sei euer Bruder, Priester und Wächter, seine
Anordnungen werden euch zum Heile sein, aber trotzdem seid ihr alle frei.
Wachet einer über den anderen und werfet weit weg, was euch noch anhanget vom
Irdischen. Als Bewohner der Geisterwelt habet nur Ewiges vor Augen, dann wundert
euch über nichts, die Geisterwelt hat genau dieselben Gesetze wie die
vergängliche Welt, jeder Missbrauch hat bittere Folgen. Freuet euch, ihr seid
angenommen vom Herrn, auch eure Schuld hat Er bezahlt mit Seinem Blute, machet
euch nun zu dankbaren Kindern durch Seine Gnade, Liebe und Erbarmung.
So ziehet hin in Frieden, begleitet von unserer Liebe und unserem Segen. So wie
euch jetzt glückliche Menschen begleiten, so freuet euch und scheut keine Mühe,
keine Arbeit; es gilt für euer Sein und Leben."
Anton hatte wenig Mühe, denn alle folgten gern, vor allem wollten sie ihre
Heimat haben.
In Anton war eine Sorge, die vielen, vielen Menschen und das kleine Haus. Da war
Johanna bei ihm und sagte: „Anton, warum bist du unfrei, ist nicht der Herr das
A und O, der Anfang und das Ende?"
Da lächelte er und sagte: „Hast recht, ich bin dumm, ich werde einen schönen
Führer abgeben!"
„Es scheint so, Anton, da wird wohl Maria hierbleiben müssen. Aber dies ist
nicht meine, sondern des Herrn Angelegenheit."
„Ist der Herr da, Johanna? Ich sehe Ihn ja noch gar nicht!"
Endlich kommen sie an Antons Haus. Alle seine Brüder erwarten ihn, Gotthold an
der Spitze, mit Sehnsucht, da spricht Anton:
„Gotthold, hilf mir, wie bringe ich die vielen Menschen unter, es sind
Tausende!"
„Der Herr hat geholfen, mein Bruder, erschrecke vor der Allmacht Gottes nicht!
Was wir in tausend Jahren nicht erreicht hätten, war das Werk von Sekunden.
Mache weit das Tor und heisse alle herzlich willkommen in deinem Hause!"
Da rief Anton: „Willkommen daheim und Gottes Frieden und Segen mit eueil allen!"
Anton staunte mehr denn je, denn dieses Haus war eine Welt. Freilich mit noch
vielen brachliegenden Gärten und leeren Häusern. Die Schwestern der Johanna
hatten alle innere Anweisung, die Scharen in ihre Behausung zu führen, so dass
nach irdischer Zeit kaum eine Stunde nötig war, um allen das rechte Zuhause zu
geben.
In ihren Häusern fanden sie alles Nötige, dann verabschiedeten sich die
Schwestern mit guten Ratschlägen von den Neuangekommenen.
Auch Anton war jetzt befriedigt und überglücklich. Dann findet er sein Heim,
seine Brüder und den Herrn.
Er fällt Ihm zu Füssen und spricht:
„O Herr und bester Heiland und Vater, wenn Du nicht gewesen wärest, wo wäre ich
da, o habe Dank, tausend Dank und gib mir die rechte Weisheit und die rechte
Hilfe!"
„Anton, Mein Sohn, so gefällst du Mir schon besser. Du hast nun eine grosse
Familie, wirst manchmal Sorgen haben. Ich will dir Maria belassen, die Mich
innig gebeten hat, dass sie dir helfen kann. Willst du sie als Geschenk Meiner
Liebe nehmen?"
„O Herr und Vater, Du machst mich unendlich glücklich! Ich will mich Deiner
Gnade würdig machen und ganz in Deinem Dienst, in Deinem Geiste Dein Kind und
auch Dein Diener sein."
„So nimm sie hin, — hier, Maria, dein Mann für ewig! Anton, siehe, dein Weib!
Ich habe sie für dich zubereitet:
Bleibet Mir getreu, auf dass Mein Geist euch belebe. Die Liebe zu deiner grossen
Familie erfordert Umsicht und Weisheit. Darum sorget, dass Ich sei und bleibe
Mittelpunkt in und um euch, dann werdet ihr vollenden das Werk, das Ich begonnen
habe. Mein Segen sei wie ein Quell, der da rinnt. Meine Liebe in euch die Kraft,
die alles auf sich nimmt. Mein Frieden in euch, der allen Frieden bringt! Amen."
Die Freude war riesengross. Ein Hochzeitsmahl wurde gerichtet, wo der Herr
Selbst der Gastgeber war. In der grössten Freude reichte der Herr Anton und
Maria ein Kleid in Blau und Weiss, alle anderen alten Brüder erhielten lichte
Kleider.
Die Welt ohne Liebe
Der Herr sagte: „Kindlein, nun muss Ich noch Johanna heimbringen. Nehmt Abschied
von ihr, denn eine lange Zeit werdet ihr sie nicht sehen, Ich habe andere Pläne
mit ihr vor."
Johanna sagte: „Seid nicht traurig, sondern fröhlich, denn so der heilige Vater
etwas vorhat, gibt es immer grössere Freude, grösseres Glück und grössere
Aufgaben. Bald sehen wir uns wieder. Meine Liebe wird euch immer bleiben."
Bei Mutter Anna hielten sie Einkehr, sie umarmte noch einmal Johanna, küsste sie
und sagte:
„Johanna, der Herr braucht dich an anderer Stelle. Für deine Schwestern ist
herrlich gesorgt, in dieser schönen Welt gehen sie Aufgaben entgegen, die ein
Weib zu erfüllen hat; dank deiner Liebe sind sie soweit."
Da eilte sie hin zum Herrn und sagte:
„O Vater, wie freue ich mich für die Schwestern und für die Brüder aber noch
mehr freue ich mich über die neue Aufgabe, die Du mir gibst."
Der Herr: „Ja, Johanna, ich brauche dich. Bis jetzt überliess Ich dir, was deine
eigene Liebe alles wollte, aber jetzt habe Ich eine Bitte: Die Erde steht in
hellen Flammen, allem Elend muss Ich mit Wehmut und Trauer, mit gebundenen
Händen gegenüberstehen. Es gibt wohl viele, die Mich um Hilfe bitten. Ich muss
um des Heiles aller willen stumm und taub sein. In den grossen und herrlichen
Welten, die auch das grosse Elend dieser Erde sehen, ist Gleichgültigkeit, ist
noch kein Verlangen, Kräfte zu spenden, da ihnen Meine heilige Liebe, Meine
Sehnsucht und vor allem das grosse Leid fremd ist. Siehe, Ich könnte Engel
senden, aber dann wäre es Mein Werk, da sie nur nach Meinem Auftrag handeln.
Meine Kinder aber handeln nach ihrer eigenen Liebe; verstehest du nun Meine
Bitte?"
„Ja, Vater, aber gib mir Liesa, Christa, Rosel und Lena mit, denn auch in ihren
Herzen brennt das Verlangen, ganz Deiner Liebe würdig zu werden."
Der Herr: „Mir ist alles recht, Meine Johanna, Ich will es auch nicht wissen,
wie du es anfängst, es soll ganz das Werk deiner Liebe sein. So wie Ich dich
jetzt bitte, so habe Ich noch viele gebeten, weil Ich die Erde gebrauche, als
Pflanzschule und Veredelungsanstalt."
„Lieber Vater, wann darf ich beginnen, mich drängt es, denn meine Liebe bist
Du!" Der Herr:
„Ihr könnet sofort beginnen. Der Engel Gotthard wird euch weiterhin begleiten,
da er ja auch wie ihr ein Abkömmling dieser eurer früheren Welt ist."
Johanna: „Mein guter Jesus, mein Vater, meine Welt! Ich nehme keinen Abschied,
denn Du bist ja mit uns. Wo ich hingehe, bist auch Du mit mir, Deine Kraft ist
ja in mir, denn ohne Deiner bin ich nichts!"
Da stand der Engel Gotthard vor den Fünfen und sagte:
„Schwestern, es ist soweit, des Herrn Wille geschehe!"
Noch eine Umarmung und ein jubelndes Winken, da waren die Sechs verschwunden,
die im nächsten Augenblick auch schon die Welt betraten, die Johanna kannte. Da
sagte Johanna: „Ich war schon hier, es ist die Welt ohne Liebe."
Gotthard aber sagte: „Johanna, du wirst keinen leichten Stand haben, denn diese
Wesen sind sehr stolz und weise, hier haben wir noch nichts ausrichten können."
Johanna: „Ich glaube dir, Bruder, mir kommt es auch nicht darauf an, sie zu
überragen, sondern ich möchte ihnen Liebe bringen, die froh und frei macht."
In ihrem hellen und strahlenden Wesen eilen sie nach dem Tempel, der einsam und
verlassen dastand, denn die Bewohner trafen Vorbereitungen zu einem Fest.
Schmucklos stand das Kreuz auf dem Altar, da sagte Johanna: „Wenn wir nur Blumen
hätten aus unserem Garten, dann wäre es leicht, eine Zierde aus diesem Tempel zu
machen."
Spricht Gotthard: „Wenn du willst, bin ich in einigen Augenblicken wieder hier."
Da nickte Johanna.
Es war auch so, kaum war der Engel fort, war er wieder da mit einem Riesenkorb
der allerschönsten Blumen.
Die Fünf fingen an, das Kreuz und die Leuchter zu schmücken, es waren auch genug
Schalen da, so dass der Altar einen herrlichen Anblick bot. Da tritt ein alter
Priester ein, begrüsst die Tätigen und spricht:
„Was tut ihr hier? Wir schmücken den Altar nur, wenn es der grosse Geist
wünscht, bis jetzt habe ich noch keine Anweisung."
Johanna verneigt sich vor dem Priester und spricht:
„Verzeihe, Vater Josafa, dass wir dem Drängen unseres Herzens Folge leisteten,
wir kennen den grossen Geist anders als ihr. Es ist unser Bedürfnis, unserer
Liebe unseren Dank so zum Ausdruck zu bringen, wie es der grosse Geist in uns
legte."
Josafa: „O Kind, welche Sprache sprichst du! Es ist gegen jeden gesunden
Menschenverstand, etwas zu tun, wozu noch keine Anweisung ergangen ist. Du
behauptest, den grossen Geist anders zu kennen, dieses ist Vermessenheit und
unweise."
„Lieber Vater, du magst recht haben, weil du nur ein Diener und Priester dieser
schönen und grossen Welt bist. Du nennst mein höchstes und heiligstes Wissen
Vermessenheit und unweise, und doch ist es so, wie ich es sagte. Als ich vor
einiger Zeit durch die Gnade Gottes hier an diesem Altar kniete, warst gerade du
es, der zu mir sagte: ,Der Herr ist nicht hier, Er ist auf der Erde, um zu
suchen das Verlorene.' Siehe, von dieser Erde kommen wir, mit Ihm haben wir die
grössten Seligkeiten genossen. Er, der uns aus dem grössten Elend, aus dem
grössten Leid und Verirrung herausgezogen hat, ist uns nicht nur ein Heiland und
Erlöser, sondern ein Vater geworden, der den grössten Dank und die grösste Liebe
verdient, die in unserer einfachen und schlichten Kindesliebe möglich ist."
„Kinder, diese Sprache hörte ich von Dienern des grossen Geistes, es ist eine
lange, lange Zeit her, wo uns die Kunde wurde, der grosse Geist sei auf der
lichtarmen Erde, um allen Erlösung zu bringen. Hier ist dieses nicht vonnöten,
alles ist geordnet und weise eingerichtet, wir kennen kein Leid und keine
Verirrung, wir haben auch nicht das Bedürfnis, dasselbe kennenzulernen, mit
Ausnahme derer, die vorziehen, auf der lichtarmen Erde die Lebensschule zu
durchleben. Dieses geschieht aber meistens auf Veranlassung von Dienern des
grossen Geistes, die in höheren Sphären leben.
Aber wollt ihr mir nicht sagen, welchen Zweck verfolgt ihr mit diesem Besuche,
ihr seid ja Ewigkeitswesen, wollt ihr nochmals mit dem Fleischleib umkleidet
werden?"
Johanna: „Vater Josafa, wir wollen weiter nichts anderes, als den Menschen und
Bewohnern dieser deiner schönen Welt eine Bitte unterbreiten und eine Sehnsucht
wecken, den grossen Geist auch so kennenzulernen wie wir und wenn möglich, auch
mit Ihm zu verkehren."
Josafa: „Meine Tochter, verwehren werde ich dir dieses nicht, da du doch keinen
Erfolg haben wirst, ich sehe auch nicht ein, warum und wozu? Es genügt uns
vollkommen, wenn wir den Anweisungen der Engel aus höheren Sphären nachkommen."
Johanna: „Vater Josafa, du hattest doch ein Weib und Kinder, ist dir nie in den
Sinn gekommen, dass sie einmal so recht aus sich heraus dich erfreuen könnten?
Freilich, nun sie ihre Selbständigkeit erlangt haben, ist dir dieses Gefühl
fremd geworden, weil ihr alle die Liebe, welche uns allen das höchste ist, als
Schwäche hinstellt."
Josafa: „Meine Tochter, die Vernunft verbietet uns, an den Gesetzen, die für
diese Welt bestehen, zu rütteln. Warum nach einem höheren Grad streben, da uns
der unsrige voll und ganz befriedigt. Das Auge des grossen Geistes ruht mit
Wohlgefallen auf uns, dieses ist uns Freude und Seligkeit."
Johanna: „Vater Josafa, hast du noch nicht nachgedacht, dass der grosse Geist,
den ihr alle mit der grössten Ehrfurcht verehrt, auch Sehnsucht haben könnte,
dass Seine freien und herrlichen Wesen und Geschöpfe einmal Ihm eine Freude,
eine Extrafreude bereiten möchten? Wohl habt ihr weise Gesetze, aber meines
Wissens kein Verbot, Liebe zu üben, Liebe zu geben. Ihr alle wisset, dass der
Herr und ewige Gott auf der lichtarmen Erde weilt, um Sein dort begonnenes
Erlösungswerk zu vollenden, glaubst du, dass auch wir und auch ihr, so wir Ihm
nach unseren schwachen Kräften helfen würden, Sein Missfallen ernten würden? Ich
habe die felsenfeste Überzeugung, dass es Ihm, dem grossen Geiste, unserem
herrlichen Heiland und Erlöser eine Freude macht, die Ihm noch kein Engel oder
Diener bereitete."
Josafa: „Meine Tochter, deine Sprache ist die eines unmündigen Kindes und dein
Begehren das eines reifen Weibes, beides ist nicht Eigentum der Weisheit und
kann grössere Nachteile als Vorteile bringen, da wir es nicht benötigen."
Johanna: „Vater, dann hat wohl auch das Erlösungswerk mit grösseren Nachteilen
zu rechnen. Ich bin anderer Überzeugung, da ich das Elend, Leid und Not kenne
und grauenvoller Jammer mir nicht fremd ist, denn gerade dieses ist ja die
Triebfeder, die den grossen Geist und Heiland Jesus an die von Elend
geschwängerte Erde fesselt. Es muss doch die grosse heilige Liebe etwas viel
Grösseres und Gewaltigeres sein, sonst würde doch der Herr und ewige Gott,
Schöpfer Himmels und der Erden bei den schönen und nahezu vollkommenen Menschen
bleiben und sich in ihrer Reinheit sonnen, oder vermagst du mir als Priester des
grossen Geistes einen anderen Grund zu nennen?"
Josafa: „Meine Tochter, die Glut deines Herzens ist uns fremd. Noch nie haben
wir den Gründen nachgeforscht, warum der grosse Geist uns meidet und dort weilt,
wo man Seiner unwürdig ist. Seine Massnahmen sind uns ewiges Gesetz, daran zu
rütteln, verbietet uns unsere Weisheit."
Johanna: „Vater Josafa, warum habt ihr dann diesen Tempel, diesen Altar mit dem
schmucklosen Kreuz erbaut, mahnt dieses Kreuz nicht täglich und stündlich an die
Liebe, die Er als Jesus auslebte? Wie willst du Seinen Tod am Kreuze mit deiner
Weisheit einen? Ich weiss, es wird euch unverständlich bleiben, dass Er als Herr
über alles Leben sich opferte an dem
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Fluchholze und somit eine Erlösung brachte, die allen, allen die Tore des Lebens
öffnete. Auch euch, die ihr meinet, keinen Tod zu kennen."
Josafa: „Meine Tochter, dieser deiner Sprache will ich keinen Widerspruch
entgegensetzen, denn es ist nicht die Sprache eines Boten des grossen Geistes,
sondern als wenn es der Herr selbst wäre."
Johanna: „Vater Josafa, nun ist der Weg frei zu deinem und deiner Brüder Herzen.
Nicht der grosse Gott spricht zu dir, sondern ein Kind des grossen Gottes und
Vaters und Vertreter Seiner Erlöserliebe. Ich bitte dich, lasse uns bei dir
wohnen mit dem uns beigegebenen Engel des Herrn."
„Deiner Bitte steht nichts im Wege, meine Tochter, wenn dieser Bruder aber ein
Engel ist, wundere ich mich über sein Schweigen."
Spricht der Engel: „Es ist der Wille des grossen Geistes, diesen Seinen Kindern
volle Freiheit zu lassen. Ich bin nur zu ihrem Schutze beigegeben, weil der
Feind alles Lebens die freie Liebe der wahren Kinder unterbinden will. Mir ist
er höchste Seligkeit, dieser Dienst, da er der Freiwerdung und Auferstehung des
wahren Gottessohnes dient."
„Von welchem Gottessohne sprichst du? In unserer Welt wissen wir, dass der
grosse Geist als Gottessohn die lichtarme Erde betrat, um eine Erlösung zu
bringen." •
Engel: „Bruder im Herrn, diese Frage wird Johanna allen deinen Kindern
beantworten, ich habe Anweisung, keine Belehrungen zu geben."
Im Heim des Priesters war Ruhe und Behaglichkeit. Von den Speisen genossen die
Sechs nichts, denn der Priester war Mensch. Aber lichtvolle Geister weilten da,
mit denen die Fünf sich weise unterhielten, der Engel aber schwieg.
Der Priester hörte und schaute die Lichtwesen seiner Welt, als wären sie auch
Menschen, aber Johanna hörte genau, dass sie auf derselben Ebene sich bewegten
wie der Priester Josafa.
Als die Vorbereitungen zu dem bevorstehenden Fest getroffen waren, erhielt der
Priester den Bescheid, es sei alles so bereitet wie es angeordnet sei.
Jetzt bemerkten die Kinder des Priesters die Sechs. Sie fragten ihren Vater wer
diese hier seien; da sagte Josafa: „Wenn morgen das Lichtfest beginnt, werdet
ihr es erfahren."
Gotthard sagte zu Johanna: „Es würde von grossem Nutzen sein, so wir diese Welt
noch etwas beschauen würden, diese Lichtwesen würden uns begleiten."
Johanna bat darum. Im nächsten Augenblick zogen sie, begleitet von herrlichen
Lichtwesen, durch herrliche Strassen und Auen. Was sie hier sahen, geht über
Erdbegriffe. Es war überall das gleiche, grosse Bauten, Schönheiten an Palästen
und Fruchtgärten, die Menschen waren dasselbe, schön aber kalt.
Johanna wusste dieses schon, aber es berührte sie doch eigenartig, diese
Menschen. Da fragte sie den Engel, ob sie auch gesehen oder gehört werden von
diesen Menschen.
Nein, von diesen Menschen nicht, nur die Priester haben die Gabe, diesen
Menschen die Sehe zu geben, so es die Weisheit erfordert. Wenn du das Recht hast
zu reden, dann schauen sie euch, eher nicht.
„Dürfen wir einmal in ein so grosses Haus eintreten?" fragte Johanna, „bis jetzt
sahen wir alles nur von aussen."
„Wir dürfen, dort ist ein grosses Haus mit vielen Bewohnern. Da die Türen nie
geschlossen sind, können wir sofort eintreten." Die begleitenden Lichtwesen
blieben vor dem Hause.
Im Hause war es genau wie aussen, wohl gross und schön, aber ein Zimmer gleich
dem anderen, die Einrichtungen waren einfach, aber auch überall gleich; die
Menschen ruhten von ihrem Schaffen, sie waren schweigsam. In einem anderen
Zimmer war Musik, aber die Menschen hatten keine Andacht.
Weiter führte Gotthard die Fünf: grosse Tempel, grosse Seen und immer wieder
grosse Prachtbauten. Da fragte Johanna den Engel, warum die Menschen hier alles
so gross bauen, die Häuser sind nur halb bewohnt?
„Es ist ihre Art, die Weisheit ist vorausschauend, eine Wohnungsnot würde das
Gegenteil ihrer Weisheit bedeuten, es ist eben anders als in deiner Erdenwelt,
dort ist das Innere das Wahre und Bleibende, hier aber das Äussere."
„Dann sind aber die Menschen gar nicht so reich wie es aussieht, eher arm möchte
ich sie nennen."
„Du hast richtig gesehen, hier gibt es weder Reichtum noch Armut, da ja alles im
Überfluss vorhanden ist, hier gibt es keinen Geiz aber auch keine Freigebigkeit.
Das Familienleben ist das Gegenteil von dem auf deiner Erde. Die Kinder werden
nicht von den Eltern, sondern von Lehrern erzogen, die Ehen werden geschlossen
wie es die Priester anordnen. In allen Dingen ist das menschliche Leben durch
eherne Gesetze geregelt. In diesen Menschen liegt nicht so ausgeprägt der Hang
zum Guten und zum Schlechten wie bei euch Menschen deiner Erde, sondern sie
haben ihren Zuschnitt, darüber hinaus oder hinab wäre nur den Priestern möglich.
Krankheiten sind ihnen fremd und der Tod ist ihnen Fortsetzung ihres schönen
aber nach deinen Begriffen armen Lebens."
Die Lichtwesen wunderten sich über die Antworten, aber Johanna sagte ihnen, was
sie erlebt, seit sie Bewohnerin der geistigen und ewigen Welt sei.
Den Lichtwesen war dieses unbegreiflich, aber sie hatten nun kein Verlangen,
noch mehr zu erfahren.
Johanna bat den Engel, wieder umzukehren, sie brauche Stille und Einkehr. „Diese
Eindrücke muss ich erst ordnen", sagte sie zu ihren Schwestern, die wie Johanna
auch nicht aus ihrem Staunen herauskämen. Vor der Wohnung des Priesters lagerten
sie sich und kehrten in ihrer Welt ein und sammelten sich in ihrer Ruhe.
Liebe unerwünscht
Am anderen Tage war Sabbat. Schon frühzeitig opferte der Priester an seinem
kleinen Hausaltar Blumen und kleine Früchte, die die Kinder aus dem Garten
brachten. Ein Wohlgeruch ohnegleichen erfüllte das Haus und schien eine freudige
Stimmung unter den Hausbewohnern hervorzubringen.
Johanna fragte, ob der Geruch diese hervorbringe? Gotthard bejahte es und
erklärte, der Wohlgeruch sei das Zeichen, dass das Opfer angenommen und dem
grossen Geiste wohlgefällig sei.
Nach der Opferung begrüsste der Priester seine Gäste und gab den Rat, nach dem
Säulentempel vorauszugehen, damit sie alle einen Begriff von der Freude
bekommen, die alle beseelt, so sie nach dem Tempel geladen sind.
Es war auch so, aus allen Richtungen auf wohlgepflegten Strassen kamen Scharen
über Scharen schön geputzter Menschen ohne Kinder, viele trugen zierliche
Körbchen, die sie den Tempeldienern reichten. Trotzdem sich die vielen Menschen
unterhielten, störte es nicht, im Gegenteil, es klang alles wie ferne Musik.
Die Sechs waren in den Tempel eingetreten. Am Altarplatz war eine Erhöhung, von
dort übersahen sie das Kommen der Besucher.
„Wie viele werden kommen?" fragte Johanna.
Engel: „Zehntausend dürften nicht reichen, da ja dieser Säulentempel Plätze für
das dreifache hat. Bei aussergewöhnlichen Anlässen wird jeder Platz besetzt
sein."
Immer mehr und mehr kamen. Ein Gedränge ist nicht zu merken, da ja die Plätze
von allen Seiten Zugänge haben, es hat auch jeder Besucher seinen bestimmten
Platz.
Mehrere als Priester Kenntliche bemerken die Besucher. Sie äussern keine
besondere Freude, sie legen keinen Wert auf fremde Besucher.
Nun kommt der Priester Josafa im festlichen Priestergewand, die anderen Priester
bringen Opfer, die von den Besuchern abgegeben waren als Blumen, Sträucher und
Früchte. Josafa nimmt nur ganz wenig von dem gebrachten Opfergut und legt alles
auf den Opferaltar. Er betet, inzwischen ertönen Musikklänge von einem Chor, der
sich vor dem Opferaltar aufgestellt hat. Dann sieht sich Josafa um, als erwarte
er jemand. Nach einer langen Pause, die Musik setzte nie aus, geht Josafa zu dem
Engel und spricht:
„O du Bote des Herrn, mehrere Boten des Herrn und grossen Geistes sind
angemeldet, es ist das erstemal, dass dieselben zur Opferung nicht erschienen
sind, wir können doch das Fest nicht ohne die Boten feiern?"
Gotthard erwidert: „Ehrwürdiger Vater und Priester aller deiner Kinder, hier,
diese Fünf sind mehr denn nur Boten des Herrn, es sind Seine Kinder, Kinder
Seiner Vaterliebe. Es ist der Wille des Herrn, dieselben zu hören.“ Ohne ein
Wort zu erwidern, lässt sich der Priester Feuer geben. Unter Bitte und Dank
entzündet er die Opfergaben. Hellauf lodert das Feuer, lieblichen Geruch
verbreitend.
Die Musik schweigt, dann setzt ein Orkan von Stimmen ein, alle Anwesenden singen
ein Lied, die Grösse und Macht Gottes verherrlichend. Solange das Feuer brennt,
dauert das Lied. Als die Flammen verlöschen, die Asche noch rauchend einen noch
grösseren Duft verbreitet, verebbt der Gesang.
Der alte Priester tritt an den Altar, sammelt die glühende Asche in ein Gefäss
und spricht:
„Kinder und Kindeskinder, der Anweisung folgend, befinden wir uns hier, um
Anbetung, Dank und Opfer darzubringen dem grossen Geist, der uns wiederum Boten
gesandt hat, die uns Seinen Willen überbringen. So will es der Herr, dass ihr
alle sie schauet und höret, was Er uns unterbreiten lässt."
Da wurden allen Besuchern die Sechs sichtbar; Johanna tritt an des Priesters
Seite, segnet alle Anwesenden und beginnt:
„Die Liebe und Gnade des Herrn, Sein heiliger Friede sei mit euch! Verklungen
ist der Dank aus eurem Munde, abgebrannt das Opfer, welches auf dem Opferaltar
loderte, aber mein Herz ist nicht erfüllt mit der Freude, die zur höchsten
Seligkeit werden kann, da allen und allem die rechte Weihe fehlt, die der Herr
Selbst zu geben vermag. Hier wir fünf sind nicht Sendlinge, die euch den Willen
des Herrn unterbreiten, sondern Sendlinge und Vertreter der ewigen, erbarmenden
Vaterliebe, die alle, alle zu Kindern Seiner Liebe machen will. Die Schönheiten
eurer Welt entzücken wohl das Auge, euer Leben spielt sich ab wie ein
festgelegtes Programm, damit ja der grosse Geist und Schöpfer eure Welt, euer
Leben und Sein belässt wie es ist. In diesem Sein und Leben begnügt ihr euch und
ahnet nicht, wie ihr euch um das Schönste bringt, nämlich den Herrn Selbst. Wir,
die wir uns unter den grössten Opfern durchgerungen haben, sind zum Zeugnis
Seiner unendlichen Liebe hier, um zu wecken den in euch schlafenden Geist, der,
einmal erwacht, euch zu den grössten Wonnen führen kann, zu dem Herrn Selbst.
Erschauert nicht ob der Grösse dieses Gedankens, denn uns, die wir uns Kinder
nennen, ist es das Naheliegendste und Natürlichste. Was euch in unendlichen
Fernen liegt, ist uns ganz nahe. Ja, wir Kinder Seiner Liebe können nie ohne
Seinen Geist sein, denn wir vermögen nichts ohne Ihn und mit Ihm alles, darum
sind die Worte, die ich rede, auch nicht aus mir Selbst, sondern aus Seinem
Geiste. Ihr vernehmet nun nicht mich kleines Menschenkind, sondern den Geist,
der mich zu Seinem Kinde machte.
Von eurer Welt zu reden ist nicht nötig, da ihr sie ja alle kennt, aber von der
Welt zu reden, die der Herr und grosse Geist zur Pflanzschule und
Veredelungsanstalt machte, wo Er sich Kinder erziehen will, die zum Höchsten und
Allerhöchsten berufen und erwählt sind. Doch will ich nicht von uns Menschen
reden, sondern vom Herrn Selbst, der gleich uns selbst Mensch wurde und uns
allen das wahre Leben offenbarte.
Vom wahren Leben wisset ihr so gut wie nichts, noch lebet ihr in euren
Gesetzesschranken; dem grossen Geist und Seinen Wächtern ist es bisher gelungen,
den Feind alles Lebens von euch und eurer Welt fernzuhalten, ob es aber so
bleiben wird, liegt an euch. Ja, an euch, höret und staunet ob solcher Worte,
denn der Feind alles Lebens will ertöten jede Ordnung aus Gott, er will seine
eigene Ordnung bringen, die alles Bestehende vernichten und Gott Seiner Macht
und Grösse berauben soll.
Gott schuf einen Weg, auf dem alles Bestehende, da es gefangen und gerichtet
ist, befreit und erlöst werden kann und machte Selbst den Anfang auf unserer
Erde, indem Er selbst Mensch wurde, alle Gesetze, die Seine Ordnung bedingte,
auf das strengste erfüllte und aus Sich einen Geist offenbarte, der bisher
Eigentum der Gottheit war. Diesen Geist erkennt der Lebensfeind in seiner ganzen
Grösse und zwingt den Gottmenschen zur Verwirklichung dieses neugeoffenbarten
Geistes.
Jesus, so hiess der Gottmensch, schauderte auch vor der grössten Demütigung
nicht zurück und opferte Sich Selbst, starb am Kreuz, wie es in dem kleinen
Tempel euch allen sichtbar ist. Wohl triumphierte nach dem Tode des Gottmenschen
der Lebensfeind und sein grosser Anhang, aber nach drei Tagen waren alle
Hindernisse überwunden, der Mensch gewordene Gott Jesus ging aus dem Tode als
das Leben Selbst hervor und hinterliess zum freien und ewigen Geschenk Seinen
Erlösergeist, der am Kreuze ausgeboren wurde, allen, allen, auch euch, zur
freien Verfügung.
Ihr werdet fragen, was ist eigentlich dieser Erlösergeist, wir bedürfen dessen
nicht, da wir ja in der rechten Ordnung leben. Das fraget und saget ihr mit
Recht, weil euch alles, was aus dem Lebensfeind geboren war, vollständig fremd
und unbekannt ist. Gott aber, als die ewige Liebe, will sich nicht untreu werden
und Seine Gegner vernichten, sondern sucht nach Mitteln, die alle und alles zu
Kindern machen will. In Seiner unendlichen Liebe gab Er allen, allen die grösste
Freiheit, auch seinen Feinden. Diese nützten aber die grosse Chance und taten
nur das, was dem Gottesleben und der daraus hervorgehenden Ordnung Abbruch tat.
Es scheint nun auf unserer Erde, als ob es keinen Gott und keine Ordnung mehr
gebe, die Bewohner stehen in einer Vernichtung, die nie eine Welt je gesehen
hat, mit dem Schein von Gerechtigkeit steht Mensch gegen Mensch, Bruder gegen
Bruder, der Hass wird mit jeder Stunde ärger. Zu allem aber muss die ewige Liebe
schweigen, weil doch die Rettung aller, aller auf dem Spiele steht.
Es wäre des Lebensfeindes grösster Triumph, so sich Gott Seiner Allmacht
bediente und den Verheerungen ein Ende machte, das Recht auf Liebe und Erlösung
wäre verwirkt. Aber was dem grossen und heiligen Gott und Schöpfer verwehrt ist
durch die in Ihm wohnende Barmherzigkeit und Erbarmung, kann ein Träger Seines
Geistes. Als Träger Seines Erlösergeistes wird des anderen Leid zu meinem
eigenen, des anderen Not die Meine und des anderen Schmerz zu meinem Schmerz. In
diesem Bewusstsein sucht meine in mir gewordene Liebe Mittel, die noch
unbenutzt, ja unbekannt, in jedem Menschen liegen und nur geweckt und erkannt
werden durch die Liebe des uns allen geschenkten Jesu- oder Erlösergeistes.
Wie Er als Gottmensch ein Heiland wurde, kann ein jeder durch Seine Liebe, Seine
Gnade und Erbarmung zum Heiland werden, ein jeder Gedanke aus diesem
Erlösergeist wird zum Sonnenstrahl, zur werdenden Kraft und unsichtbaren Hilfe.
Sehet und höret, meine Schwestern und Brüder aus Gott, dieser Geist, dieses
herrliche Gnadengeschenk, ausgeboren am Kreuze, macht uns zum Heiland und ist
der Gottessohn, der in allen, auch in euch zur wahren Erstehung kommen soll.
Alle Mittel dem Lebensfeind gegenüber sind nutzlos ohne den werdenden Gottessohn
in uns und machen uns kraftlos, aber ist es gelungen, in sich das Herz zu einer
Heimstätte zu machen für alle Verirrten und Verlorenen und Verwirrten, dann ist
der Gottessohn geboren und kann erstehen in seiner Grösse, Macht und
Herrlichkeit, so ich in diesem Heilandsgeiste liebe und zu helfen suche. Ich
frage euch nicht, wollet ihr auch gleich mir Helfer und Erlöser sein, o nein;
aber fragen möchte ich jeden einzelnen von euch, möchtest du Bruder oder
Schwester nicht einmal den Heiland Jesus den wahren Gott, der uns allen Vater
und zum Bruder wurde, kennenlernen und Ihn einmal schauen, mit Ihm einmal reden
und mit Ihm einmal verkehren und erfahren, was wahres Glück und Seligkeit ist?
Verstehet mich recht, einem jeden ist der Weg geebnet, der zum wahren Leben
führt, der einem jeden die Möglichkeit gibt, zu einem Kinde zu werden, dessen
ewiger Vater Gott Selbst ist und der sich sehnt nach Kindern Seiner Liebe."
Johanna schwieg, sie fühlte die Kälte, die ihr entgegenkam, schon wollte sie
mutlos werden, da regte sich in ihr der heilige Vater: „Mein Kind, nicht
verzagen, auf einen Hieb fällt doch kein Baum; an Meiner Statt stehest du hier
und säest Meinen Samen."
Der Priester ging an Johannas Seite einen Schritt vor und sagte:
„Kinder und Kindeskinder, heute höret ihr eine andere Sprache als die eines
Gottesboten. Es ist meine Pflicht, euch den Unterschied zu zeigen. Die
Gottesboten kamen aus Lichtsphären, diese Tochter aber kam von der lichtarmen
Erde. Die Gottesboten richten ihre Botschaft aus, wie sie dieselbe empfingen,
diese Tochter aber hatte keine Botschaft, sondern nur ihre in ihr lebende Liebe,
die uns für den in ihr wohnenden Heilandsgeist empfänglich machen will.
Kinder und Kindeskinder, gestern und auch heute sah ich die Nutzlosigkeit,
dieser Liebe förderlich zu werden, ein, aber jetzt bin ich anderer Überzeugung
geworden und frage mich, wie es kommt, dass wir uns mit Gottesboten begnügen
müssen, während dort auf der lichtarmen Erde der Herr und grosse Geist die
grössten Opfer brachte. Wer aus euch könnte wohl Antwort geben?"
Weisheit ohne Liebe
Noch immer schwieg die grosse Menge, da sagte Johanna: „Ich, Vater Josafa, da in
euch allen noch nie die grosse Sehnsucht brannte, Ihn zu sehen und zu hören,
denn um Ihn zu sehen und zu hören und mit Ihm zu verkehren als Sein Kind, gehört
auch eine Reife. Nicht eine Reife der strahlenden Weisheit und des klaren
Verstandes, sondern eine Reife der wahren Kindesliebe, die den Menschen zum
Bürger der höchsten Himmel macht und zum Erben Seines ewigen Reiches."
Josafa: „Meine Tochter, was wäre zu tun, um diese Reife zu erlangen?"
Johanna: „Ein Wort aus Seinem Munde lautete: ‚Wenn ihr nicht werdet wie die
Kindlein, könnet ihr das ewige Reich nicht ererben.'
Oder, Vater Josafa, wollet ihr behaupten, dass diese eure schöne Welt euer
Eigentum ist? In dem Augenblick, wo der Lebensfeind seinen Samen bei euch
ausstreuet, seid ihr trotz eurer Weisheit Todgeweihte, darum die Bitte und mein
Rat:
Erstehet als Kinder, die den heiligen Vater ersehnen und nur den einen Wunsch
haben, ganz aufzugehen in dem Wunsch und dem Geiste Seiner erlösenden Liebe, die
am Kreuze für alle, alle ausgeboren wurde.
Werdet Liebe, wie Er, unser heiliger Vater, Liebe ist, suchet in euch lebendig
zu machen, was als ewiges Geschenk in euch gelegt wurde aus dem Herzen Gottes,
dann seid ihr alle auf dem Wege zu Ihm und in euch ist der Weg frei, dass Er zu
euch kommen kann."
Josafa: „Höret, Kinder und Kindeskinder, diese Kinder sind weiser denn wir, denn
sie haben in Fülle, wovon wir noch keine Ahnung haben, da aber unsere Weisheit
uns lehrt, nichts abzuweisen, was uns von Nutzen sein könnte, werde ich die
Kinder bitten, bei uns zu bleiben, bis volle Klarheit ist. Darum bleibet in der
Sehe, lasset euch belehren, denn die Aussicht auf ein ewiges Leben ist ja das
Leben nicht, diese aber haben das Leben überkommen durch Den, der das Leben
ist."
Sich an Johanna wendend fragt er:
„Bist du zufrieden mit uns, meine Tochter des Herrn?"
Johanna: „Ja, Vater Josafa, ich bin es, aber lieber wäre mir, so ihr alle mit
mir zufrieden wäret, eure Herzen sind schwer zu erwärmen, ich kann mich eines
Wehes nicht erwehren. Lasse dieses Fest ausklingen, ich werde mit den Meinen
nach dem Tempel des Kreuzes gehen und jedem aus euch Dienerin sein."
„Aber, liebste Tochter, willst du das Fest verlassen ohne das Dankopfer
mitzumachen?"
„Ja, Vater Josafa, alle diese Dankopfer sind ja dem Herrn ein Gräuel, Er sieht
das Herz an, und dieses ist Ihm noch fremd. Nur das Opfer, das Er brachte am
Kreuz, erschliesst das Herz und macht es zu einem Opferaltar, wo der Mensch sein
Ich, seine verkehrten Begriffe und Wesenarten opfern soll und dafür den Geist
erhalten wird, der ihn in die rechte Wahrheit und Weisheit führt durch die Gnade
des Herrn Jesu Christi.
Ihr aber, meine Schwestern und Brüder, empfanget aus meiner Liebe den Segen des
Herrn, er lautet:
,Die Gnade des Herrn Jesu Christi und Sein heiliger Friede sei mit euch allen.'
Amen."
Johanna nickt ihren Schwestern zu, da spricht Gotthard:
„Liebe Tochter, willst du das Feld räumen, ich sehe noch keinen Erfolg?"
Johanna: „Lieber Bruder, der Erfolg ist grösser als wir ahnen, aber wir müssen
die Herzen selbst zur Gärung kommen lassen, denn vor kurzem war Wehmut in mir,
jetzt aber ist grosse, grosse Freude, wir werden noch grösseres erleben."
Gotthard schüttelte den Kopf, das Gehen von dieser Stelle erschien ihm
Niederlage; aber Johanna war anderen Sinnes. Sie gingen nach dem Tempel.
Als sie ihn betraten, war das Kreuz mit einem herrlichen Licht umgeben, die
Blumen, der Altar, alles sah viel herrlicher aus.
Da sagte Gotthard: „Liebe Johanna, hast du durch die Kraft des Herrn etwas
getan, was unsere Augen ergötzen soll?"
„Nein, Bruder, es ist die Antwort des Herrn, die uns nicht mutlos, sondern
stärker macht. Darum werden wir hierbleiben und warten; ich weiss, die Liebe des
Vaters wird den Sieg erringen!"
Vor dem Altar liessen sie sich nieder, gingen in die Stille und liessen noch
einmal das Erlebte lebendig werden. Dann kamen nach und nach die Lichtwesen und
überschütteten die Fünf mit Fragen.
Der Erfolg bei diesen Lichtwesen war viel grösser als bei den Menschen, es klang
in Sehnsucht aus, „dürfen auch wir den Herrn suchen und durch Ihn das Leben
empfangen?"
Nun kommt der alte Priester Josafa mit einigen Ältesten. Betroffen bleiben sie
stehen, als sie mit ihrer Sehe den Altar so überherrlich strahlen sehen, dann
fühlen sie die Harmonie ihrer Seligen mit den Fünfen. Da spricht Josafa:
„Was sagt ihr nun, meine Brüder, ist es schon einmal erlebt worden, diese
Lichtfülle in diesem kleinen Tempel? Die Sprache dieser Kinder ist grösser als
wir annehmen."
Spricht ein Ältester: „Vater Josafa, wir müssen die Gemeinden befragen und den
grossen Geist nicht betrüben, auf unserem Tun liegt kein Schatten, nur dieses
kann ich nicht verstehen, dass unsere Opferungen dem Herrn ein Gräuel sein
sollen, denn alle bisher erschienenen Gottesboten waren befriedigt über unser
Dankopfer."
Josafa: „Unser Verstand will nicht zugeben, dass der grosse Geist, dem wir
Dankopfer schuldig sind, und der Herr, den diese Kinder lieben als einen Vater,
ein und derselbe ist. Ich sehe ein, dass wir mit diesen zwei Göttern noch viel
zu besprechen haben; ob aber die Gemeinden und die Nachbargemeinden mit uns
gehen, ich sehe wirklich Wolken, die unseren weisen Verstand verdunkeln."
Durch Liebe überwunden
Johanna grüsst die Angekommenen und segnet sie im Namen des Herrn.
Josafa dankt und spricht:
„Kinder, aus welcher Quelle habt ihr das Licht auf und über dem Altar, solch
herrliches Licht sahen meine Augen noch nie."
„Vater Josafa, nicht wir, sondern der ewig gute Vater schenkte uns dieses
Licht."
„War der Herr Selbst oder einer Seiner Boten hier, denn aus Nichts kann doch
dieses herrliche Licht nicht entstehen?"
„Keines von beiden, sondern die Liebe ist Schöpferin alles dessen. Da wir nicht
aus unserer, sondern aus der Liebe des Herrn wirkten, so konnte auch die Liebe
nur wieder zurückstrahlen, was dieselbe auslöste."
Josafa: „Es ist das erstemal, dass etwas hervorgegangen ist ohne unser Zutun,
was ist daraus zu schliessen, liebe Brüder?"
Sagte einer: „Wir können nichts anderes tun, als weitere Anweisungen abwarten;
diese Kinder sind wohl voll heisser Glut, von der wir so gut wie nichts wissen."
Johanna: „Liebe Freunde, als Menschen dürfte wohl eure Vorsicht gut sein, doch
da wir Ewigkeitswesen sind, liegt ja auch uns das Ewige näher als das Zeitliche;
die Liebe aber, aus der wir wirken und zeugen, gehöret ganz der Ewigkeit an und
schliesst alles Zeitliche mit ein. Denket nicht, dass eure Gewohnheiten, eure
Lebensweise und die Grundbedingungen geändert werden sollen, o nein, sondern das
Ewige sollet ihr suchen in euch, den Geist, der ein Teilchen ist aus dem Urgeist
und der Ausgeburt in euch harret, auf dass er erstehe und ihr mit ihm in einem
Leben der Liebe, Barmherzigkeit und Erbarmung. Dieser Geist macht euch zum Kinde
und alle Menschen zu Schwestern und Brüdern. In diesem Geiste machet ihr die
Tore eures Herzens weit auf, für den grossen Geist, der in eurer Welt eine
Heimat sucht. —
Sich an Gotthard wendend spricht der Älteste:
„Du ernster Bote des grossen Gottes, was ratest du uns? Die Sprache der Kinder
ist uns fremd, und doch möchte ich nicht nein sagen, obwohl ich keinen Grund
habe, meine Lebensauffassung zu Anderen."
Erwidert der Engel: „Lieber Freund, die Sprache der Kinder ist die Sprache der
Liebe, die wir nur an wenigen erleben. Es ist uns Dienern oft unbegreiflich, wie
der heilige Gott und Vater sich diesen Kindern gleichstellt. Uns ist es das
grösste Geschenk, wenn wir diesen Kindern dienen dürfen, vor dem wachsenden
Leben in ihnen verneigen wir uns in Ehrfurcht. Ich kenne eure Welt, wie auch die
Bewohner, aber ein solches Glück und frohes Leben ist nie erlebt worden wie bei
den Kindern des heiligen und grossen Gottes.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, diese Kinder tauschen ihre Kindeswürde nicht
mit den grössten Schönheiten eurer Welt, da ihnen die Liebe des heiligen Vaters
die allergrösste Gnade und Seligkeit ist. Wenn ich mir eure Lichtwesen
betrachte, an deren Schönheit und Reinheit nicht das geringste auszusetzen ist
und betrachte mir die Kinder, die dauernd Zutritt haben in den höchsten
Liebehimmel, da, liebe Freunde, ist es nicht schwer zu sagen, dass eure
Lichtwesen doch nur arme Puppen sind, während die Kinder voll des Lebens aus
Gott ihrem Vater sind."
Josafa: „Du getreuer Bote des grossen Gottes, du erschütterst meine Stellung als
Priester und Hirte dieser meiner Kinder und Kindeskinder. Wohl bin ich
ausgerüstet mit Kräften aus dem grossen Gott und handle nach den Anweisungen,
die der grosse Geist mir zukommen lässt, wie werde ich aber handeln, wenn noch
mehr der Kinder des grossen Gottes kommen; ich bitte dich um deinen Rat."
Gotthard: „Lieber Freund aus Gott dem Herrn, ich bin auch nur ein Diener gleich
dir aus Gott dem Herrn, auch ich verfüge über Kräfte, mit denen ich mich mit
jedem Feind messen könnte und doch darf ich über die Befugnisse nicht hinaus,
denn dann höre ich auf, ein getreuer Diener zu sein. Diese Kinder aber haben
überhaupt keine Befugnisse, sie sind in ihren Handlungen ganz frei. Sie kennen
nur einen Willen und ein Streben, in allem Tun und allen Dingen: so zu handeln
wie der heilige Gott handeln würde. Sie denken bei ihrem Tun am wenigsten an
sich, sondern ihre Liebe, ihr Leben ist der Herr Selbst, und dieses finden auch
wir Boten des Herrn nicht bei den Bewohnern dieser eurer Welt."
Josafa: „Deine Antwort ist hart wie der unerschütterliche Wille, es bedarf nun
keiner Worte mehr; denn nun sehe ich klar."
Sich an Johanna wendend spricht er:
„Kinder des grossen Gottes, eurer Liebe ist es gelungen, mich zu erschüttern in
meinen Lebensgrundsätzen, lasset mich und meine Brüder allein. Ich verwehre euch
meine Wohnung nicht, aber ich bitte euch, bleibet in meiner Nähe, denn ich werde
euch noch brauchen."
Johanna: „Vater Josafa, deine Bitte ist schon aus deiner Liebe geboren, fahre so
fort, du wirst das Wunder der Liebe bald erleben." So war es auch, die Liebe
blieb Siegerin; der Widerstand der Ältesten wurde immer geringer, bis Josafa die
Sechs rief, da sie nun Verlangen trugen, den Herrn zu schauen und zu sprechen.
Johanna: „Vater Josafa, solange du noch Mensch bist, wird es dir nicht möglich
sein. Wenn die Sehnsucht nach dem Herrn und Gott, dem guten Heiland und heiligen
Vater so gross ist, dann wird die ewige Liebe dich verwandeln in einen seligen
Geist, doch bedenke, dass du noch eine Mission als Mensch, als werdendes
Gotteskind voll erfüllen sollst.
Lehre deine Kinder die Liebe, die du in dir fühlst, lehre deine Kinder, dass es
nur einen kleinen Weg zum ewigen Vaterherzen gibt. Es ist die Liebe zum
Nächsten, denn in deinem Nächsten lebt der ewige Gottesfunke, der erstehen will
zum Gottessohn. Um dir aber, lieber Vater Josafa, einmal Gelegenheit zu geben,
so seien du und deine Brüder einmal unter uns, aber nicht als Gast, Priester
oder Mensch, sondern als Bruder."
Zustimmend neigte Josafa sein Haupt, da legte Gotthard dem Josafa und den sieben
Ältesten die Hände auf das Haupt. Da entstiegen diesen Körpern weiss strahlende
Lichtwesen, die von Johanna liebevoll begrüsst wurden.
Da sagte Johanna zu Gotthard:
„Bruder, führe uns nach dem Willen des Herrn zu dem lieblichen Ort, wo der Herr
uns alle erwartet, Sein Wille sei unser Leben!"
In wenigen Augenblicken befanden sich alle in einem schönen, herrlichen Garten,
wo ganz einfache Menschen wohnten.
An einem kleinen Häuschen wurden sie erwartet von dem Besitzer, der sie voller
Freude in sein Heim einlud.
Die herzliche Begrüssung, diese von innen überaus herrliche Gestaltung machte
sie betroffen, aber der Bruder verstand es, die Herzen frei zu machen und führte
sie an eine Tafel, wo sein Weib und noch ein Gast sassen.
Bald hatten sie die überaus wohlschmeckenden Früchte, das Brot und den Wein
verkostet, da war es bei Josafa aus, er sagte:
„Brüder, Brüder, wenn das unsere Kinder erleben dürften, sie würden gleich uns
erwachen zu einem anderen Leben! O Du grosser Gott, an Deiner Grösse wurden wir
zu Götzen, an dieser Deiner Liebe werden wir auch zu Kindern! Du aber, du lieber
Hausvater, habe Dank für deine Liebe, die so grosses offenbart."
Der Hausvater: „Lieber Bruder, der Dank gebühret dem Herrn, denn nur Ihm allein
verdanken wir das Glück, dass wir beglücken dürfen, aber nun komme und schaue
unsere Gärten, unsere Arbeit, unsere Aufgaben, damit sich in dir die Sehnsucht
steigere, auch gleich uns ein Bürger der Himmel zu werden, wo der heilige Vater
unsere Liebe, unser Leben und Sein ist. Eure Welt ist unvergleichlich schön,
aber sie bleibt das Eigentum des Herrn und ewigen Gottes, diese unsere Welt aber
ist unser Eigentum durch die Gnade des Herrn; die wir durch die Liebe aus Gott
in uns so schön gestaltet haben. Darum kommt auch so gern der Herr zu uns, denn
Er ist unsere Liebe und Seligkeit." Die Augen gingen allen über, auch Johanna
und den Vieren; denn sie hatten in dem Gast den Herrn erkannt. Er gab ein
Zeichen des Schweigens, das sie auch verstanden.
So schauten sie eine Welt, die nur Seligkeiten zu geben vermag, schauten nur
glückliche Menschen, die alle vom Leid erprobt waren, denn an den Stirnbändern
trugen alle strahlende Diamanten.
Josafa liess sich in allem aufklären und erwählte sich den Gast, der in seiner
klangvollen Stimme so gern Auskunft gab.
Nur auf die Frage, wann der Herr komme, gab Er eine ablehnende Antwort; da es
von der Sehnsucht abhinge, die den Herrn bewege, zu kommen.
„Das ist mir unbegreiflich, lieber Freund, wir haben ja auch Sehnsucht, den
Herrn zu schauen, und doch ist es dem Herrn noch nicht in den Sinn gekommen, uns
zu besuchen."
„Du bist auf falscher Fährte, lieber Freund, denn das Kommen ist auch eine
Gefahr für den Sehnsüchtigen. Wie unreifes Obst eurer Gesundheit schaden würde,
so würde auch den Unreifen das Kommen des Herrn nicht den Segen bringen, den der
Herr mit Seinem Kommen verbindet. Des Herrn oberstes Gebot, welches Er sich
Selber gibt, ist die Wahrung der Freiheit Seiner ringenden und werdenden Kinder,
oder glaubst du, lieber Freund, so der Herr zu dir ganz plötzlich käme, dass du
sofort zu einem Kinde wirst?
Wohl sieht der Herr alle als Seine Kinder an, aber wahres Kind sind sie erst, so
sie im rechten kindlichen Geist erstanden sind, wo sie die Erfüllung der Wünsche
ihres heiligen Vaters suchen!"
„O Freund, bis jetzt habe ich noch nie so recht daran gedacht, sondern meine
Sehnsucht, den Herrn zu schauen, war nur Befriedigung meiner Wünsche. Johanna
verstand es, die Sehnsucht zu wecken, Du aber offenbarst mir die Sehnsucht des
Herrn, dass Er freie Kinder haben möchte, die gleich Ihm Seine Sehnsucht
teilen."
„Jetzt hast du recht gesprochen, lasse in dir alles reifen und je mehr du in die
Herzen deiner Kinder die wahre Liebe und Sehnsucht legen kannst, desto mehr
erstehst du im rechten Kindessein. Die Liebe wird Sehnsucht und auch Erfüllung
bringen, dessen sei versichert, denn siehe, diese Menschen hier verbringen die
grösste Zeit, um ihre Brüder und Schwestern zu beglücken und vergessen dabei die
Verirrten und Verlorenen nicht. Ein jedes gewonnene Herz wird ihnen soviel, als
wenn du in deiner Welt einen neuen Tempel erbauest."
„Ich danke dir, lieber Freund, ich wollte, du könntest es ermöglichen, auch
einmal unser Gast zu sein, damit Du Dich überzeugen könntest, wie weit wir in
unserem Willen und Wollen gereift sind zum freien Gotteskind."
„Dieses wird sich ermöglichen lassen, lieber Freund, und nun komm, wir haben
dabei fast die anderen vergessen."
Noch viel, viel an Schönem sahen sie, da sagte Gotthard zu Josafa:
„Bruder, ich habe Auftrag, dich und deine Brüder wieder zurückzubringen; Johanna
wird mit ihren Schwestern noch eine kleine Zeit hier verweilen, da ja der Zweck
ihrer Liebe erfüllt ist."
Josafa spricht: „Ist der Herr hier, der dir den Auftrag gab? Bitte offenbare es
mir, damit ich Ihm meine Sehnsucht unterbreiten kann."
Gotthard: „Der Herr ist hier, aber finden wirst du Ihn nur mit dem Herzen. Lasse
dir genügen an dem, was du mit deinen Brüdern erlebt und geschaut hast, verwerte
es zu deinem und deiner Brüder Heil." Beim Abschied sagte Josafa:
„Liebe Freunde, mein Inneres ist voll Freude, aber jetzt empfinde ich Schmerz,
von euch gehen zu müssen; doch der Wille des Herrn ist zu erfüllen. Nur eine
Bitte richte ich an euch, vergesset in eurer Liebe uns nicht, denn nun sehe ich
Aufgaben über Aufgaben."
Heimgefunden
Johanna blieb mit ihren Schwestern bei dem Herrn, nun erst, da die Bewohner der
anderen Welt abgezogen waren, konnten sie ihrer Liebe jeden Zwang abstreifen.
Der Bruder und sein Weib waren hoch beglückt, die Fünf noch länger bei sich zu
haben, der heilige Vater aber sagte:
„Kinder, Ich habe noch eine Mission zu erfüllen, dabei möchtest du Johann und
Minna Mir helfen. Johanna habe Ich ein Heim zugedacht, wo sie nach ihrer Liebe
und Sehnsucht Mich stets findet, ihre Aufgaben bedingen auch grössere Ruhe. Wohl
seid ihr alle eins mit Mir, und es ist höchste Wonne, mit euch zu verkehren, so
geht es ja auch euch. Johanna kann dann in ihrem Heim ihrer Liebe ganz freie
Entfaltung geben, um jene Reife zu erlangen, die nötig ist, um als Säule in
Meinem ewigen Reiche zu gelten."
Gemeinschaftlich besuchten sie alle ihre Schwestern und Brüder, hier und da
verweilend nach dem Zug ihrer Liebe, die nur Erfüllung bringt. Diese Zeit war
für die Fünf das Schönste, was sie bisher erlebten, oft gedachten sie ihrer
Schwestern und Brüder, da sagte der heilige Vater:
„Kinder, nun erst habt ihr eure ewige Bestimmung erkannt. Ihr seid nun
eingedrungen in das Wesen Meiner Liebe, ihr habt vom tiefsten Elend bis hinauf
zu den Stätten des ewigen Friedens Erfahrungen gesammelt, die noch verwurzelten
mit Meinem Leben, Meinem Lieben und Meinem Sehnen. Dich, Johanna, führe Ich nun
Selbst heim in dein Reich, dein Heim, wo du Mich jederzeit vorfinden wirst, so
dich dein Sehnen und deine Liebe drängt.
Du Liesa, Christa, Rosel und Lena sollet Zeugen sein, wie die ewige Liebe lohnen
kann all euer Lieben, Dienen und Erlösen."
Christa: „O heiliger Vater, dürfen wir nicht mehr länger mit Johanna
zusammenbleiben? Sie würde uns sehr fehlen!"
„Christa und ihr anderen höret, auch ihr gehet dieser Bestimmung entgegen, der
jetzt Johanna entgegengeht. Von dieser Stunde an ist Johanna ein selbständiger
Geist, während ihr immer noch eine Führung braucht. Johanna wird euch besuchen,
so ihre Sehnsucht nach euch drängt oder ihr sie rufet durch Mich. Freuet euch
mit ihr, damit das Liebesband immer noch inniger euch verbinde für Zeit und
Ewigkeit."
Spricht Minna: „Liebster Vater, überlasse mir, die Johanna aus Deinem
Herzensschrein zu schmücken als Deine Braut, Deine Tochter, Schwester und
Vertraute."
„Minna, du bist Meinen Wünschen zuvorgekommen, Ich freue Mich deiner Liebe."
Johann sagte:
„Lieber Vater, das Liebesmahl ist gerichtet in Johannas Heim, ich habe mich ganz
nach dem Zug in mir verhalten, Du bist mir doch nicht böse, weil ich Dir die
Arbeit abnahm?"
„Böse? Nein! Denn, mein Johann, wie könnte Ich es sein! Hoffentlich hast du
alles überdacht und nichts vergessen?"
„Vater, lieber Vater, nichts habe ich vergessen, denn Du bist ja mein alles!"
Minna berührte nur Johanna, dann stand sie da im strahlenden Kleid, mit einem
Gürtel mit den leuchtendsten Rubinen und einem Goldreif im Haar, besetzt mit den
herrlichsten Diamanten.
Die vier Schwestern erschraken über diese Pracht.
Da sagte Minna: „Ist Dir Johanna recht, lieber Vater?"
„Minna, bist du nicht zu weit gegangen mit deiner Liebe?"
„Ach Vater, ein Zuweit gibt es ja bei Dir gar nicht, Du hast mir alles erst
gegeben. Du, Johanna, aber erschrecke nicht, vor dir liegt eine heilige Stunde,
und ihr Schwestern freuet euch, weil ihr Zeugen dieser unsagbaren Liebe und
Gnade seid!"
Da nimmt der Herr Johanna bei der Hand, im nächsten Augenblick befinden sie sich
in einem herrlichen Garten an einem kleinen schneeweissen Häuschen, aus dem nun
die Grossmutter tritt.
„Vater, Du lieber und herrlicher, Du bringst Johanna Selbst, wie ist mein Herz
voll der grössten Freude!
Sei willkommen, Johanna!"
Spricht der heilige Vater: „Mein Kind, jetzt bist du daheim! Siehe dieses dein
Heim, es ist ganz nach deinen Sehnsuchtswünschen, die Meine Liebe deiner Liebe
abgelauscht hat. Endlich bist du daheim, alles ist dein und nur du kannst
verfügen nach deinem Willen.
Nun komm, führe du uns alle in dein Heim!"
„Ich, lieber Vater, ich, die kleine Hanny, soll Dich und die anderen führen?"
„Ja, du, Johanna, denn nun bist du ein Engel gleich deiner Grossmutter, Johann
und Minna. Fürchtest du dich in deinem Heim, wo nur Freunde sind? Du hast dich
doch nicht gefürchtet in der Hölle bei Wesensfremden."
„Vater, Du hast recht, ich bin nur im Augenblick etwas schwach gewesen, aber,
Vater, gelt, jetzt stärkst Du mich, ich möchte Dir keine Schande machen!"
„Es gilt, Mein Kind, Mein Segen sei deine Kraft!"
Johanna öffnete die Tür und sagte zu allen: „Treten wir ein in das Reich der
Liebe, welches allen Heimat sein soll!"
Johanna schaute um sich, ihr Herz war zum Zerspringen, alles so einfach und doch
so überherrlich schön. Die Wände schienen Leben zu haben, die Fenster waren
gross und liessen Lichtstrahlen herein, die alles in einem wunderbaren Glanz
leuchten liessen. In der Mitte war eine grosse Tafel, gedeckt mit den feinsten
Geschirren.
Sagte Johann: „Johanna, erschrick nicht über die Zahl der Gäste, die zu deinem
Ehrentage eingeladen sind, öffne dort die Tür und rufe sie; denn jetzt bist du
die Herrin und Vertreterin des heiligen Vaters."
Johanna öffnete die Tür, da schaute sie in einen prächtigen Saal, wo viele,
viele in strahlenden Gewändern Johanna erwarteten. Es waren alles Bekannte, die
Johanna von der ersten Stunde im Jenseits halfen zu dem, was sie jetzt erreicht
hatte. Sie spricht:
„Schwestern, und Brüder, die Liebe rief, ihr seid gekommen, habt tausend Dank
für euer Kommen! Nehmet Platz am Tische des Herrn, es gilt Ihm zu danken und Ihn
zu verherrlichen!"
Jedem einzelnen konnte sie nicht die Hände reichen, sie hatte nur Tränen der
Freude.
Alle hatten Platz genommen, da eilten auch schon hilfsbereite Herzen und
brachten das beste Brot, die besten Früchte und noch einen allerbesten Wein. Da
stand der Herr auf und sagte:
„Kinder Meiner Liebe, eine selige Tochter ist die Ursache, dass Ich Mich sonnen
kann in eurer Liebe! Aber diese Stunde gilt vor allem Meiner Tochter Johanna,
die uns alle in ihr Heim einführte. Ihr gehört Mein Dank, da in ihrem Herzen
Mein Heilands- und Erlösergeist erstehen konnte, der allen, allen Wesen Erlösung
bringen wird. In dieser heiligen Stunde sollet ihr wiederum Zeuge sein Meiner
Vaterliebe, Meiner Treue und Meiner Dankbarkeit.
Du, Johanna, hast dich nun endlich durchgerungen und heimgefunden zu Mir, da du
nur ein Streben kanntest, Mich, deinen Heiland, ganz zu besitzen. Es ist dir
gelungen. Dein vergangenes Leiden, dein entsagungsvolles Leben waren die Stufen,
dass du erstehen konntest in dem Geist, den wenige in Mir erschauen und
erkennen. Was ich niemanden sagen und verraten durfte, hast du geahnt, hast du
verwirklichen wollen in deiner ringenden Seele: Mein geheimes Sehnen, Hoffen und
Wünschen! Du bist im Kleinen getreu gewesen, Ich kann dich darum in einer Welt
belassen, die nur Meiner Liebe und Erbarmung entspricht.
Setze fort Mein Werk, alle Meine Kräfte, Liebe und Weisheit sollen dir zu eigen
sein!
Nimm hin Meinen Segen und Meinen Vaterkuss! Amen."
Johanna sagte: „Bester Vater und treuester Heiland, Du nennst mich Dein Kind! In
eine Welt versetzest Du mich, in der im herrschen und dienen soll. Es fehlen mir
die Worte, Dir zu danken, aber Du weisst, wie es in mir aussieht.
Solange ich noch einen Zug in mir fühle, es soll aus Dir kommen; solange ich ein
Leid an anderen sehe, soll es Deine Liebe sein, die mich drängt zu helfen! Ich
danke Dir, mein ewiger und bester Vater, aber Du wirst Mühe haben, diese Glut in
mir zu dämpfen, denn nun hast Du die Hemmungen Selbst in mir abgestreift, die
mich noch aufhielten zur Dir!
Höret alle, meine Schwestern und Brüder, ihr treuen Helfer und Stützen des
heiligen Vaters, auch eure Sehnsucht ist erfüllt, ich durfte durch eure Mithilfe
ausreifen und hineinwachsen in dieses nun für ewig mir geschenkte Leben. Wohl
hat mich der Herr und beste Vater so hoch gestellt, aber trotzdem bleibe ich
eure Hanny, die immer und immer nur eine Sehnsucht kennen wird, zu lieben, zu
dienen und zu beseligen.
In diesem Geiste wollen wir uns noch mehr verbinden und den heiligen Vater
lieben aus unserer heiligsten Liebe, die aus Ihm und für Ihn das Herrlichste
will. Trinken wir gemeinsam, dass Sein heiliges Erlösungswerk volle Krönung
findet und alles sich heimfindet zum heiligen Vaterherzen, wie ich mich dank
Seiner Liebe und Gnade und eurer Liebe heimgefunden habe!
Nehmt alle zur Hand die gefüllten Kelche, dieser Trunk gilt unserem Vater und
Seinem ewigen Werke! Amen."
„Noch einen Trunk! Er gelte der armen, ringenden Erde und ihren Bewohnern, damit
der herrliche Erlösergeist endlich ganz ihr Eigentum werde! Amen!"
Nach dem Mahle war ein Freuen, alle wollten Hanny an ihr Herz drücken. Aber das
schönste war, als der heilige Vater voller Liebe mit Helene und Johanna sich
umschlungen hielten.
Helene sagte: „Nun bist du mir Schwester, denn an einer Brust empfangen wir
Liebe und Leben! Hier ist Erfüllung, Ruhe und der Quell von Licht und Kraft! An
dieser Brust ist die wahre Heimat! Wer ohne Scheu und Zagen, getrieben von der
Heilandsliebe, hier sich anschmiegen kann, hat wahrhaft heimgefunden!"
ENDE