Heft 16. Bei den ersten Christen
Inhaltsverzeichnis
01. Der Überfall
02. Ruth´s Gottvertrauen
03. Die Leiden der Gefangenen
04. Ein Auftrag des Herrn
05. Wie Hilfe naht ( Fortsetzung von Seite 4 )
(wäre Kapitel 1?)
06. Zeugnisse über Jesu Lehre
(Fortsetzung von Seite 14 ) (wäre Kapitel 4 ?)
07. Die drei Boten
08. Bernhart (Fortsetzung von Seite 18 ) (wäre Kapitel 5
?)
09. Der grosse Schreck
10. Elim
11. Asa´s Umkehr
12. Die Befreiung
13. Ruth
14. Ursus
15. Der Sieg dieser göttlichen
Führungen
16. Ausklang
Der Überfall
Mitternacht war vorüber — am Himmelszelt leuchteten in voller Pracht die Sterne,
und die Erde war angefüllt vom köstlichen Duft, den Blumen und Sträucher
spendeten.
Ein gebeugter alter Mann eilte keuchenden Atems durch die Nacht. Was kümmerten
ihn die Schönheiten der schlafenden Natur. Er glaubte sich verfolgt! Seit
Stunden strebte er vorwärts - und müde und abgespannt betete er immer wieder zu
seinem Heiland, als einzigem Retter: „O Jesus! Du Barmherziger! Gib mir nur so
viel Kraft, dass ich an mein Ziel gelange."
Endlich hatte er es erreicht; mit lautem Pochen weckte er die Bewohner; und als
er seinem Freunde ermattet gegenüberstand, fragte dieser erstaunt: „O Vater
Eusebius, du hier in der Nacht, was hat das zu bedeuten?"
„Lasst mich ausruhen", seufzte der Alte, „dann erst kann ich euch von der
grossen Not und Sorge erzählen, die uns so grausam überfallen hat."
Bernhart, ein grosser, kräftig gebauter Mann, führte den Ermüdeten sorgsam auf
einen bequemen Platz im Hause und sprach tröstend: „Sei uns willkommen, im Namen
des Herrn! Was du auch Schweres auf dem Herzen trägst, ich bin zum Helfen gern
bereit, soweit es in meinen Kräften steht!"
„Bruder im Herrn! Ich danke dir für dein liebend Wort", entgegnete ihm Eusebius,
„aber uns ist wahrlich schwer zu helfen. Meine beiden Söhne und meine Tochter
Ruth sind mit roher Gewalt von den Tempelschergen als Gefangene fortgeführt, und
auch ich werde von ihnen verfolgt."
Ganz entsetzt hörte die Familie diese traurige Kunde, dann ermannte sich
Bernhart und sprach: „O Bruder, wo alle Menschen-Hilfe aussichtslos erscheint,
kann doch der Herr immer noch Wunder wirken! Bitten wir Ihn um Rat und
Unterweisung, dann wird auch diese schwere Prüfung vorübergehen, und wir dürfen
den Herrn nur noch mehr loben und preisen."
Der Alte richtete sich auf: „O Freund, du weisst, dass ich nicht so leicht
mutlos werde, und so glaube und hoffe ich auch heute noch fest auf die Gnade
unseres Herrn und Gottes und die unendliche Liebe Jesu in all meiner Not! Aber
was soll ich tun? — wie meinen armen Kindern helfen? Wie lange soll ich diese
bitterste Ungewissheit noch ertragen? O wie hoffnungslos sieht dies alles heute
aus!"
Bernhart versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen und begann: „O Vater
Eusebius, du weisst doch, dass der Herr nur mit denen sein kann, die Seinen
heiligen Worten vollen Glauben schenken und restloses Vertrauen Seiner Liebe und
Allmacht entgegenbringen. So aber unser Glaube schwach würde, stärken wir den
Gegner!
Du weisst, dass Petrus einst aus dem tiefsten Kerker befreit wurde. Werden deine
Kinder sich nicht auch in dem starken Glauben an Jesu rettende Macht jetzt
bewähren sollen? Doch werde erst ruhiger, damit wir uns ganz in die Gegenwart
und unter den Schutz unseres heiligen Gottes stellen können — und dann erzähle.
Inzwischen wird mein Weib uns ein Morgenmahl anrichten."
Und so erzählte der alte Vater Eusebius den Freunden: „Gestern kam eine Karawane
an unserm Hause vorüber und der Anführer begehrte herrisch Wasser von uns in
grösserer Menge. Ohne Misstrauen gaben wir ihnen von unserm kostbaren Wasser —
doch sie forderten auch noch Brot und Gemüse, was ich aber unseres geringen
Vorrates wegen ablehnen musste. Da wurden sie grob; es gab einen lauten
Wortwechsel, und die Wächter drangen schon neugierig ins Haus.
Meine Kinder, die bei mir standen, näherten sich dem Wagen, aus dem jammernde
Klagelaute hörbar waren. Sie sahen viele Gefangene, mit Stricken elend an Händen
und Füssen festgebunden, und erfuhren, dass es Glaubensbrüder waren. Natürlich
wurden sie erregt, sie wollten helfen, und da die Unglücklichen unbeaufsichtigt
waren, wollten sie wenigstens ihre Lage etwas erleichtern. Einer der Wächter
bemerkte dies und stiess laute Warnungsrufe aus. Es kam zu einem heftigen
Handgemenge mit den bewaffneten Wächtern und in kurzer Zeit lagen meine beiden
Söhne verwundet und besinnungslos am Boden.
Als Ruth sich um ihre Brüder bemühen wollte, wurde auch sie von den Wächtern
gebunden und in einen Wagen geworfen, und ebenso meine Söhne, und als ich ihnen
drohend entgegentrat, versuchten sie auch mich zu überwältigen. Nur mit List
konnte ich mich in Sicherheit bringen, da der Anführer plötzlich eilig
aufbrechen wollte. ,Aber wir holen nach, was heute nicht gelang', riefen sie mir
in mein Versteck hinein und fuhren ab in Richtung Hazor.
Als endlich alle Gefahr vorüber schien, verschloss ich mein Haus, und bin den
weiten Weg zu dir geeilt. O Bernhart, nun suche ich bei dir Trost und Hilfe."
„Stärke dich, alter Vater", sprach Dieser erschüttert; „ich habe mächtige
römische Freunde - mit ihrer Hilfe werde ich sicherlich die Freilassung deiner
Kinder erzwingen."
Ruths Gottvertrauen
Schwerfällig hatte sich die Karawane von acht Wagen, mit Maultieren bespannt,
wieder in Bewegung gesetzt. Zu jedem Wagen gehörte ein Treiber und ein Wächter,
ausserdem folgten am Schluss noch einige bewaffnete Männer. Der Eigentümer
dieser Karawane war Elim, ein habgieriger Jude, der vom Tempelrat gedungen war,
diesen Gefangenen-Transport heimlich nach Sidon zu bringen, unter Aufsicht des
fanatischen Priesters Assir.
Am Abend, als die Tiere auf dem schwer fahrbaren Wege sichtlich ermüdet waren,
drängte Elim zum Lagern, aber Assir wollte vorwärts; er fürchtete, die
gefangenen Kinder des ihm bekannten alten Eusebius könnten ihm noch
Unannehmlichkeiten bereiten.
Endlich wurden in einem abseits gelegenen Wäldchen die Zelte aufgeschlagen und
Feuer angezündet. Den Gefangenen wurden die engen Fesseln an Händen und Füssen
etwas gelockert und sie erhielten eine dünne Suppe mit trockenem Brot.
Ruth verlangte, ihre Brüder zu sehen, was Assir gewährte. Tief bekümmert kniete
sie bei den gefesselten Verwundeten und begehrte Wasser. Joseph hatte eine tiefe
Wunde an der Schulter, während Joram den rechten Arm überhaupt nicht mehr
bewegen konnte und grossen Schmerz empfand.
„Nicht klagen", tröstete Euth, „unsere Not ist ja auch des Herrn Not, und unser
Los liegt ganz in des Allmächtigen Hand. Jesus allein kann unser Retter sein, Er
wird Mittel und Wege finden zu unserer Befreiung. Um aber Seinen Weisungen im
rechten Augenblick gehorchen zu können, müsst auch ihr voll Hoffnung und Mut
werden!"
Sie erhielt nun das Wasser, und bald waren die Wunden gereinigt, konnten aber
nicht verbunden werden, weil keine Leinwand zu haben war. In dieser Nacht durfte
Ruth bei ihren Brüdern bleiben; mit tiefem Weh im Herzen gedachte sie an den
sich sorgenden Vater, und so betete sie ununterbrochen zu ihrem Jesus, dem
grossen Heilande in allen Herzens-Nöten.
Gegen Morgen entstand im Lager reges Leben; Ruth wollte sich Wasser besorgen,
aber die Wache verwehrte ihr den Ausgang, da es der Hauptführer streng verboten
hatte.
„Da droht eine neue Gefahr", sprach Joram zu Joseph, „und wir sind wehrlos gegen
diese Teufeleien."
„Erinnere mich nicht an meine Ohnmacht", antwortete Joseph mutlos, „am liebsten
möchte ich sterben!"
Doch Ruth widersprach ernst: „Das kann ich nicht glauben, dass ihr schon sterben
wollt! Wie soll da der Herr anfangen, uns zu helfen? Ich bin wohl sehr traurig,
aber verzagen kann ich nicht, denn wir sind nie ganz verlassen! Und wie lebendig
steht die Gnade Gottes vor mir, die wir durch den Apostel Paulus erleben
durften!"
„O Ruth", sagte Joram, „hier gefesselt liegen, dich hier so schutzlos zu wissen
und über das Geschick des Vaters unwissend zu sein, krampft mein Herz zusammen
und macht mutlos."
„Sorget euch nicht um mich", antwortete Ruth stark, „meine grosse Hoffnung
gründet sich auf den Auferstandenen, der jedem Leidenden so gern helfen will,
wenn er sich nur bittend und gläubig zu Ihm wendet!"
Ein Wächter forderte das Mädchen auf, jetzt das Zelt zu verlassen, doch Ruth
erklärte, bei den kranken Brüdern bleiben zu wollen. Darauf fasste er sie hart
am Arm und zog sie hinaus. Entsetzt schauten die Brüder ihr nach. Joseph stöhnte
laut auf. Joram wollte hinaus, aber der Wächter fragte hart: „Wohin? — es ist
noch kein Befehl zum Verlassen der Zelte gegeben!"
„Freund, ich weiss, du tust hier nur deine Pflicht, weil du im Dienste des
Tempels stehst", antwortete Joram ernst, „aber verboten wird dir nicht sein,
etwas Linnen für meinen kranken Bruder zu besorgen. Der ganze Arm sieht schwarz
und braun aus, trotzdem die Wunde an der Schulter ist." - „Lass mich sehen",
sprach der Wachmann, „ich bin etwas kundig in Wundbehandlung!" Dann sagte er
zuversichtlich: „Die Wunde ist nicht gefährlich, in ein paar Tagen wird der Arm
geheilt sein. Ihr hättet euch nicht um unsere Angelegenheiten kümmern sollen,
dann wäre euch auch nichts geschehen."
Ruth ward in ein Zelt gebracht, darin noch drei seelisch vollständig gebrochene
junge Christinnen auf dem Erdboden kauerten. Voll Mitleid fragte sie diese
Armen: „Warum seid ihr denn hier gefangen?"
Zögernd antwortete eine: „Warum wir hier sind? Wir wissen es nicht! Nur dass wir
an den stillen Versammlungen der Nazarener teilnahmen, wird vom Tempel als
Verbrechen gegen das Gesetz geahndet, und alle sind ja des Todes schuldig, die
dem neuen Glauben zustimmen."
„Da seid ihr doch Christen", sprach Ruth und fragte verwundert: „Glaubt ihr denn
nicht, dass der Herr Jesus Christus euch erretten kann aus dieser schlimmen
Lage?"
„An eine Rettung glauben wir nun nicht mehr, denn dann hätte Christus uns
befreien müssen, als wir im Gefängnis waren, wo wir doch so viel beteten",
antwortete die Sprecherin, „durch all die ausgestandenen Misshandlungen hat das
Leben jetzt keinen Wert mehr für uns."
Ruth schaute die drei ernst an, dann sagte sie bekümmert: „Ihr müsst eine
schlechte Schule gehabt haben, dass ihr so nichtig von eurem Leben denkt! Obwohl
auch für mich die Aussichten auf Errettung klein sind, wage ich nicht, klein von
meinem Leben zu denken. Denn es muss etwas Grosses sein, unser Erdenleben, sonst
hätte der Heiland Jesus nicht den Kreuzestod für unsere Erlösung auf Sich
genommen. Wie aber kann euch Gott helfen, so ihr euch selber aufgegeben habt?
Solange noch ein Atemzug in mir lebt, solange werde ich hoffen und nicht
aufhören, an Seine herrliche Hilfe zu glauben."
Da fragte die eine: „Wie lange bist du denn in diesem Zuge, und warum bist du
hier?" Antwortete Ruth: „Seit gestern, weil ich mit meinen Brüdern euch befreien
wollte!"
„Dann weisst du also noch nicht, was uns erwartet", sprach dieselbe wieder,
„damit du dich aber mit dem Gedanken vertraut machen kannst, sei dir gesagt:
weil wir jung sind und von ansehnlichem Wuchs, werden wir, gleich wie die jungen
Männer, verkauft und wissen nicht, in wessen Hände wir geraten!"
„Trotzdem glaube ich", antwortete Ruth kühn, „dass der Herr alles noch zu einem
guten Ende führen wird! Wir müssen aber bedacht sein, unsere Gesundheit zu
erhalten, um jederzeit widerstandsfähig zu bleiben."
Die Leiden der Gefangenen
Im Lager ertönte ein Hornruf. Eine der Gefangenen erklärte: „Jetzt gibt es
wieder eine dünne Suppe und ein Stück trockenes Brot; inzwischen werden die
Zelte aufgeladen und wir werden wieder gefesselt, um nicht zu entfliehen."
Die Wächter führten 40 Gefangene, darunter zehn junge Frauen, in die Mitte des
Lagers zum Essen. Mit Erschrecken erkannte Ruth, dass alle diese Christen
eigentlich keinen Lebenswillen mehr hatten; wie stumpf bewegten sie sich; doch
wie gierig verschlangen sie ihr Brot! „Es wird Zeit, sie aufzurütteln!" nahm
Ruth sich vor; auch sie war hungrig, aber laut betete sie erst: „Herr und Gott!
Du siehst unsere Not und willst uns prüfen, ob wir Deiner Liebe und Gnade würdig
sind! So stärke uns mit dieser Speise, damit sie in uns Kraft werde und wir
standhaft bleiben, bis Du uns wieder frei und froh machst! Amen!"
Dann trank sie ruhig ihre Suppe — und schon kamen die Wächter und zerrten die
hilfslosen Menschen zu den Wagen. Ruth ging willig mit, sie sagte sich:
„Widerstand ist hier zwecklos, ist Kraftvergeudung; ich muss klar bleiben, damit
ich die nahende Hilfe des Herrn erkenne!“
Die Verteilung auf die Wagen war heute eine bessere, doch die Fesseln dieselben
wie tags zuvor. Menschenleer und völlig unbebaut war die Gegend ringsum, darum
liess man die Wagen offen, eine Wohltat für die Gefangenen, die jedoch keinen
Sinn für die Eigenart der Natur zeigten.
Anders Ruth. Genau prägte sie sich die Gegend ein und überlegte, wie sie sich
die heissersehnte Freiheit erringen könnte. Anfangs hatte sie versucht, mit den
Frauen zu sprechen, doch ihre Leidensgenossinnen waren auch äusserlich zu
erschöpft. Darum machte sie ihren Heiland zu ihrem einzigen Vertrauten und
betete still im Herzen: „O Jesus, wie schwer machen sie es Dir, ihnen zu helfen!
— Und wie leicht wäre es Dir, uns beizustehen, wenn wir alle aufmerksamer Deinen
Weisungen folgen wollten! Wohl ist es sehr bitter, diese Prüfung im
Gott-Vertrauen zu bestehen, aber um so herrlicher wird die Löse dann sein, die
Du sicher für uns alle herbeiführen wirst! Darum stärke mich und alle diese
Unglücklichen, um Deines Ruhmes willen!"
Heiss brannte die Sonne; grösser wurden die Qualen, und auch die Begleiter
schienen matt und träge zu werden, Ruth allein wehrte sich mit allen zu Gebote
stehenden Gedanken gegen diese Schwäche, als hinge ihre und ihrer Brüder Rettung
davon ab. Endlich kam bergiges Land, bewachsen mit Laubholz, und im Schatten
mächtiger Bäume wurde Halt geboten.
In Ruths Seele setzte ein neuer Vorgang ein, sie wurde immer reger und sagte
sich: Wenn irgend eine Rettung möglich ist, muss ich mit dazu beitragen! Und
dabei wurde ihr klar: „Was ich jetzt als neue Kraft in mir empfinde, muss eine
Folge der Schwäche meiner Feinde sein. Wahrscheinlich werden sie hier nur kurzen
Aufenthalt machen und dann versuchen, schnell ausser Landes zu kommen." Und so
war es auch, denn in Eile wurde wieder aufgebrochen und nicht einmal die zum
Essen gelösten Fesseln wurden fester gemacht. Ruth hätte sich vielleicht
befreien können — sie tat es nicht, die Wächter sollten in Sicherheit gewiegt
werden.
Der Weg wurde beschwerlicher, dann kam man ins Gebirge, links und rechts hohe
Felsen mit niedrigen Bäumen bewachsen. Als Ruth nicht mehr ringsum Ausschau
halten konnte, beobachtete sie nun die Wächter und bemerkte, dass dieselben
immer noch in ihrer trägen Art hinter den Wagen herschritten; die beiden Fahrer
sah sie nicht. Mit vieler Mühe gelang es ihr, einen schmalen Saum ihres Kleides
abzutrennen und auf einen Baumast zu werfen. Dann beobachtete sie, ob die
Wächter denselben bemerkten. Sekunden wurden ihr zu Minuten — wird es gelingen
oder nicht?, bangte ihr Herz; jedenfalls kann Jesus mein Tun segnen! Endlich
waren alle Wärter vorüber — keiner hatte es bemerkt! Darnach kam eine Ermattung
auch über sie, sie vergass ihre Umwelt und rang in ihrem Denken um neue
Kraft-Aufspeicherung, denn sie ahnte Gefahr und wollte gewappnet sein!
Langsamer und mühevoller wurde das Vorwärtskommen — die Stunden schlichen dahin;
an einem passenden Platz wurde endlich Halt geboten und es wiederholte sich
derselbe Vorgang wie am Abend zuvor.
Ruth wurde von einem Wächter zum Oberführer Assir geholt. Sie ging freiwillig
mit, denn sie wollte Klarheit darüber: Was wird aus uns werden? Vor seinem Wagen
war ein kleines Zelt errichtet und dorthin wurde Ruth geschoben.
Assir erwartete das Mädchen auf einer Kiste sitzend und begann: „Ich habe dich
holen lassen, um mit dir zu reden, damit du über dein zukünftiges Schicksal im
Klaren bist. Du bist ergriffen worden mit deinen Brüdern, als ihr euch an
fremdem Eigentum vergriffen habt - und nach dem Gesetz seid ihr uns verfallen.
Ich möchte aber Gnade vor Recht ergehen lassen und deine und deiner Brüder
Zukunft nicht vernichten; es kommt aber darauf an, ob du gewillt bist, die
Bedingungen zu erfüllen und auf meine Wünsche einzugehen."
Stolz antwortete Ruth: „Ist auch das Gesetz, dass ich gefesselt dir antworten
soll? Und welcher Art soll meine Leistung sein? An deinem Eigentum haben wir uns
nicht vergriffen, da diese Gefangenen doch nicht dir gehören! Ihr habt sie
überwältigt und geraubt, und als Räuber seid ihr auch eingedrungen in meines
Vaters Haus, und habt uns als willkommene Beute mitgenommen!" Höhnisch lachend
sagte Assir: „Ich hatte geglaubt, dein hochmütiges Wesen wäre zusammengebrochen
und du würdest froh sein, so ich dir ein Mittel anbiete, dass deine Brüder
wieder zurückkehren können. Willst du also freiwillig mir als Magd zu eigen
sein? — Andernfalls werde ich dich zwingen — als meine Sklavin!"
Ruth starrte ihn sprachlos an — Assir trat an den Zeltausgang und pfiff; ein
Wächter kam eilends und Assir befahl: „Entblösse dieser meiner Leibeigenen den
Oberkörper!"
Ruth schrie auf, doch wehren konnte sie sich nicht, da ihre Hände noch immer
gefesselt waren.
Assir befahl weiter: „Hole mir den Jüngeren vom Wagen Nr. 2, aber fest gebunden,
denn diesem ist nicht zu trauen!"
Ruth kauerte im Hintergrund des Zeltes und zitterte am ganzen Leibe. Man brachte
den Bruder vor den Gewaltigen — stolz stand er vor ihm und mit eisigen Blicken
sah er seinem Peiniger ins Gesicht.
„Ich habe auch dich holen lassen, wie hier deine Schwester (dabei hob er das
Zelt hoch). Es liegt nun an dir, deine Schwester zu bewegen, freiwillig mir zu
dienen, dann erhaltet ihr beide eure Freiheit wieder! Oder ich zwinge sie als
meine Leibeigene — ihr aber werdet dann verkauft."
Entgegnete ganz erregt Joram: „Mit welchem Rechte verfügst du über uns? Und aus
welcher Macht heraus wagst du überhaupt dieses Ansinnen? Gleich Verbrechern habt
ihr uns niedergeschlagen und uns der Freiheit beraubt. Du, als seinwollender
Gottesdiener, bedienst dich solcher gottlosen Mittel?"
In diesem Augenblick entriss Assir dem Wärter die Peitsche und schlug
erbarmungslos auf den gefesselten Joram ein, dessen Oberkörper völlig nackend
war wie bei allen diesen Gefangenen. Joram, sowie Ruth, schrien laut auf — doch
kalt lachend sagte der Wüterich: „Nun hast du eine kleine Probe erlebt an deinem
noch hochmütigeren Bruder — das nächste Mal kommst du selbst daran."
Joram war vor Schmerz ohnmächtig zusammengebrochen. Assir ging hinaus und
befahl, den Menschen wieder zurückzubringen, was aber etwas schwierig war, da
der Bewusstlose erst geweckt werden musste. Um nicht laut aufzuschreien, als man
den blutüberströmten Joram zurückbrachte, biss Joseph in ohnmächtiger Wut in den
Zeltplan; er fühlte sich am Ende seiner Kraft.
Voll Angst und Schrecken kauerte Ruth im Winkel des Zeltes. Durch diese
Greuel-Szene hatte sie alle guten Vorsätze plötzlich vergessen — sie vergass
sogar den Herrn. Aufflammend dachte sie nur noch an Flucht, um sich zu rächen!
Sie wusste aber, das Lager war stets gut bewacht und nur darum durften die
Gefangenen sich etwas freier bewegen. Doch keiner von ihnen zeigte Interesse für
das harte Los seiner Leidensgenossen. Von dort also würde niemand ihr helfen
wollen!
Assir kam vom Feuer zurück. „Komm her!", herrschte er sie an. Ruth wollte nicht
— da griff er zur Peitsche. Doch nun flammte ihr Stolz auf. Sie erhob sich, und
voll Ruhe schritt sie zu ihm hin. Assir sah sie an — ihre stolze Schönheit
fesselte ihn und so ergriff er die Stricke und machte ihre Hände frei. Dann
sagte er langsam, aber gebieterisch: „Gehe ans Feuer und hole das Essen für
mich! Ob du etwas erhältst, kommt auf dich selber an."
Sie gehorchte und wunderte sich nur über ihre Ruhe, im Innern war plötzlich alle
Angst und Furcht verschwunden. Die Wärter waren erstaunt, wie dieses schöne und
stolze Mädchen so ruhig an das Feuer ging, wo die Kessel hingen und das Essen
für den Anführer verlangte. Sie erhielt eine Schüssel voll Gemüse und einen
Löffel und brachte es ihrem Peiniger. Assir liess es sich schmecken, doch seine
Augen wandten sich nicht von ihr fort. Dann reichte er die leere Schüssel dem
wartenden Mädchen: „Hole dir auch dein Essen, du sollst nicht klagen über
Hunger."
Ruth reckte sich stolz auf und sprach in ruhigem Ton: „Nein! — Ich hole mir kein
Essen! Und glaube ja nicht, dass ich vor deiner Peitsche, noch Angst, habe -
dieser Schrecken ist schon vorüber! Und wenn du mich totschlägst, ich fürchte
mich nicht mehr!"
„Du willst dich auflehnen? — Mädchen, ich sage dir: reize mich nicht! Merke dir,
hier gilt nur mein Wille, und was ich einmal will, das geschieht!"
„Nein!", sprach Ruth mit fester Entschlossenheit, „so lange ich noch denken
kann, bin ich Herr meines Willens, und jetzt nehme ich meine Kräfte direkt aus
Gott! Vorhin war ich schwach und tief erschrocken — aber nun ist die Gewissheit
auf Gottes Hilfe bei mir eingekehrt und ich sage dir: Du kannst wohl in deiner
teuflischen Art mit satanischen Mitteln die Menschen quälen und zu Tode hetzen,
aber, die ich eine Bekennerin des Nazareners bin, sage dir noch im Angesicht des
Todes: mich bringst du nicht so weit, dass ich an göttlichem Beistand jemals
zweifeln werde."
Höhnisch lachend entgegnete Assir: „Nun, das käme auf einen Versuch an, meine
Tochter." —
„Und ich antworte dir, dass nicht dein, sondern Gottes Wille bestimmen wird, was
mit uns zu geschehen hat!", widersprach kühn und mit ernster Zuversicht das
Mädchen.
Seiner Sinne nicht mehr mächtig, griff Assir zur Peitsche und wollte sich auf
das stolze Mädchen stürzen. Dieses aber war schneller — und rasch zum Zelt
hinaus. Der Wächter, nichts ahnend, wurde zur Seite gestossen. Ruth eilte, so
schnell sie konnte, unter einem Wagen hindurch und in wenigen Augenblicken war
sie im Wald verschwunden.
Assir, ganz in Wut entflammt, schlug auf den Wächter ein und schrie: „Schafft
das Mädchen wieder her oder ich schlage euch tot!" Als aber ein anderer Wächter
sah, wie einer von ihnen fast wie tot am Boden lag, nahm sich derselbe den Mut
und sagte: „Du bist nicht unser Herr, nur unterstellt sind wir dir! So du aber
nicht vernünftig bleibst und noch einmal wagst, einen von uns zu schlagen, dann
bist du unser Freund nicht mehr und hast zu gewärtigen, dass dir die Peitsche
wird. Was du mit den Christen machst, darüber wird Gott Richter sein, was du
aber mit uns treiben willst, darüber werden wir selber mit dir abrechnen!"
In diesem Moment holte Assir aus und wollte zuschlagen, aber der Wächter war
schneller und schlug ihn mit der Faust nieder, sodass Assir besinnungslos
hinfiel. Rasch nahm er ihm das Messer und die Peitsche ab, fesselte ihn und
sagte zu den Anderen: „Nun liegt es an uns, ob wir den Tyrannen klein kriegen
oder er uns. Wenn ihr wollt, liefern wir ihn als Gefangenen der Behörde ab, weil
er weit über seine Befugnisse hinausgegangen ist."
Als Assir wieder zu sich kam und sich gefesselt sah, brüllte er vor Wut, aber
der Wächter gab ihm einen Stoss und sagte streng: „Wir haben beschlossen, dich
nicht mehr als unsern Führer anzuerkennen, da du uns, die wir gleich dir Diener
des Tempels sind, behandelst, als wären wir deine Sklaven. Was du mit den
Gefangenen machst, konnte uns gleich sein. Da du aber deine Methoden auch auf
uns anwenden wolltest, bist du nun unser Gefangener geworden. Wir werden dich
dem nächsten Gericht übergeben und Sklavenschändung, Raub und sogar versuchten
Mord dir nachweisen können. Darum bleiben wir hier, schicken zwei Boten nach
Hazor und verlangen Bescheid, was aus der Karawane mit den Gefangenen werden
soll."
Der gefesselte Assir ward auf einen Wagen geschoben und all sein Schreien und
Brüllen fand kein Mitleid. Asa, der beherzte Wächter, ging zu Elim, dem Besitzer
der Karawane und sagte zu ihm: „Elim, du hast eben erlebt, wie man Tyrannen
lohnt! Willst du dich unserer Führung unterstellen, dein Lohn wird dir werden;
freilich müssen wir 5—6 Tage hier bleiben, bis ein neuer Führer kommt, der die
Befehle ganz im Sinne des obersten Tempelrates ausführt. Assir werden wir den
Behörden übergeben, damit er seiner gerechten Strafe zugeführt wird, und in
diesem Falle kennt der Tempel keine Rücksicht!"
Elim gab keine Antwort; er wusste, dass bei diesem Transport nun nicht mehr viel
zu verdienen war, denn Assir hatte ihm eine grosse Extrabelohnung zugesichert.
Ein neuer Wachdienst wurde eingerichtet, allen Gefangenen ward das Los sichtlich
erleichtert, aber den Grund konnte niemand erfahren. Joseph und Joram erhielten
eine bessere Pflege, dazu aber die Mitteilung, dass ihre Schwester entflohen
sei.
Ein Auftrag des Herrn
An diesem für die Gefangenen so schmerzensreichen Tage sah Cornelius, der
Hauptmann der römischen Besatzungstruppen in Cäsarea, als er sein Morgengebet
verrichtete, plötzlich einen Engel vor sich stehen. Cornelius hatte schon öfter
die Gnade, Offenbarungen zu erhalten, und jetzt sprach dieser Gottes-Bote zu
ihm: „Cornelius! Der Herr bedarf deiner und lässt dir durch mich sagen: Rüste
einige deiner Leute aus und sende sie unter einem treuen Diener nach Hazor und
Kedes. Bei Hazor sollen sie drei Boten abfangen, die zum obersten
Tempel-Priester wollen, um neuen Bescheid über das Schicksal gefangener
Nazarener einzuholen. Diese Boten sind gefangen zu halten, bis sie gewillt sind,
deinen Leuten den Weg zu diesem Gefangenen-Transport zu zeigen! Dann sind die
Nazarener zu befreien, die Anführer der Karawane aber richte du selber nach
euren Gesetzen! Gottes Gnade und Segen sei mit dir!"
Ein Gruss mit der Hand — und verschwunden war der Engel.
Cornelius aber sprach in seinem Herzen: „Herr Jesus! Du weisst, mein Leben gebe
ich Dir, so Du es fordern wolltest! So geschehe denn dieser Auftrag ganz in
Deinem Sinne."
Dann ging er ins obere Stockwerk zu seinem treuen Freunde Achibald, der aber das
Christentum nie so recht annehmen wollte, und sprach zu ihm: „Achibald, heute
verlange ich von dir einen grossen Dienst! Höre: ein Engel stand vor mir und
überbrachte mir einen heiligen Auftrag meines Gottes, um gefangene
Glaubensbrüder zu befreien, die der Tempel in Elend und Sklaverei treiben will!"
„Lieber Cornelius", entgegnete Achibald, „diesen Auftrag soll dir ein Engel
überbracht haben? Ich zweifle sehr, aber gern will ich dir dienen - und so
bestimme, was geschehen soll!"
Cornelius ordnete nun an: „Nimm 20 Mann, gut beritten und ausgerüstet; nimm Geld
für eine Woche, aber wenige Lebensmittel, da ihr in höchster Eile reiten müsst.
Zwischen Hazor und Kedes sind drei Boten einer Todes-Karawane abzufangen und zu
zwingen, euch zu den gefangenen Christen zu führen. Diese sind sogleich zu
befreien; die Anführer aber bringst du gefesselt hierher zum Gericht!"
„Lieber Cornelius, sollte dies alles Wahrheit sein, was dein Engel dir berichtet
hat, dann will auch ich an deinen Gott Jesus glauben!", sprach Achibald voll
Staunen.
„So gehe mit Gott, und Seine Gnade sei euer Teil", erwiderte noch Cornelius.
Als Cornelius wieder in sein Arbeitszimmer zurückgekehrt war, kamen ihm doch
Bedenken: „Achibald will ein rechter Christ werden, so sich alles bewahrheitet.
Wie aber, wenn ich mich dieses Mal getäuscht hätte?" Da sprach eine zarte Stimme
in seinem Herzen: „Cornelius, glaube, und du wirst glücklich sein! Auch dein
ewiger Vater ist glücklich, wenn Sein Kind Ihm vertraut. Wo aber noch Zweifel
entstehen, kann auch Misslingen eintreten."
„Herr! Vergib mir!", sprach Cornelius bewegt, „ich glaube Deinem Wort und
vertraue Deiner Gnade. Und heilig sei mir Dein geoffenbarter Wille."
In einer knappen Stunde meldete Achibald sich mit seinen Leuten zum Abreiten
bereit. Cornelius sprach zu ihnen: „Höret, meine Kameraden, der Auftraggeber zu
dieser Expedition ist Gott, der Ewige! Um Seinen Willen restlos zu erfüllen,
gehört bedingungslose Hingabe an dieses Werk. Ich weiss, dass es zum guten
Gelingen führt, aber das Gelingen soll mehr auslösen, als nur das Bewusstsein:
wir haben unsere Pflicht erfüllt! Darum möge auf aller eurer Tätigkeit Gottes
Segen sichtbar ruhen, weil ich nicht der Auftraggeber, sondern nur Vermittler
bin. So reitet denn im Namen meines Gottes, der auch der eure ist! Haltet eure
Ehre rein und bedenket stets, dass euch Gott gedungen hat! Es sei!"
Achibald gab Befehl zum Aufsitzen, hielt den Arm hoch, und wie eine Windsbraut
stürmten sie zum Hof hinaus. Cornelius aber segnete sie mit seiner Rechten: „So
reitet im Namen Jesu und seid getragen von Seinem Geist! Damit sich Dein Name
verherrliche, Du Grosser und doch so lieblicher Gott!"
Solange er noch seine Leute sehen konnte, hielt er seinen Arm erhoben, dann
sagte er zu sich: Wenn wir ins Gefecht zogen, war ich nicht so ergriffen wie
dieses Mal! Es muss doch etwas sehr Grosses sein, so man für Gott etwas
ausführen darf.
Wie Hilfe naht (als Fortsetzung von Seite 4)
Da die traurigen Ereignisse ein rasches Handeln bedingten, wurden schon im
Morgengrauen alle Knechte des Bernhart geweckt, um rasch die Pferde zu füttern
und dann den alten Eusebius wieder heimzubringen. „Denn deine Leute müssen
wissen, dass trotz deines Unglückes die Wirtschaft richtig versorgt werden
muss", schloss Bernhart, und so ritten die beiden Freunde mit vier gut
bewaffneten Knechten dem anbrechenden Tage entgegen.
Da die Stallungen des alten Eusebius entfernt vom Hause lagen, konnten seine
Knechte ihm gestern keine Hilfe sein; und die Magd war vor lauter Angst gleich
geflüchtet. Diese alle wurden nun zu treuem Ausharren ermahnt und dann wurde
beraten, wie den Kindern zu helfen sei. „An Gewalt ist nicht zu denken", sprach
Bernhart, „obwohl ich römischer Bürger bin. Aber wir können zwei Knechte nach
Cäsarea zu Cornelius, dem Besatzungs-Kommandanten, senden und ihn um Schutz und
Mithilfe zur Befreiung bitten. Da wir annehmen, dass die Karawane nach Sidon
ziehen wird, wollen wir inzwischen auskundschaften, wo sie lagern; und da sie
nur einen Tag Vorsprung haben, täglich hinter ihnen herziehen. In spätestens 6—7
Tagen könnte dann mit Hilfe der Leute des Cornelius die Befreiung durchgesetzt
werden."
Eusebius hätte am liebsten mitreiten mögen, aber Bernhart wehrte ab, da er in
seinem Alter den Anstrengungen des eiligen Rittes nicht mehr gewachsen war.
„Aber beten kannst du inzwischen und unser in fürbittender Liebe gedenken. Denn
wenn wir jetzt Tag und Nacht diese jüdische Tempelmeute verfolgen, werden wir
manchmal keine Zeit zum rechten Beten haben! Und doch wissen wir, ohne des Herrn
Beistand ist kein rechtes Gelingen möglich."
Bernhart richtete nun ein kurzes Schreiben an Cornelius und schärfte seinem
treuen Knecht Joel den ganzen Sachverhalt gut ein: „Übergib persönlich dieses
Schreiben, übernachte nur bei römischen Untertanen und lasse dich unterwegs mit
keinem Templer ein, denn keinem Juden kannst du heute trauen! Grösste Vorsicht
ist hier am Platze, darum hüte das Geheimnis und sei ein rechter Streiter für
die von Leid und Unglück betroffenen Menschen! Bruder Dan sei dein Begleiter.
Reitet scharf, aber sorget bei den Pferden für genügend Wasser."
So trennten sie sich; Joel und Dan ritten nach Cäsarea, während Bernhart mit den
beiden anderen Knechten und zwei Packpferden den Wagenspuren der Karawane
folgte. Gegen Mittag hatten sie den Platz erreicht, wo des Nachts vorher
gelagert worden war, doch gönnten sie sich hier nur eine kurze Rast. Dann zogen
sie den Wagenspuren weiter nach, bis sie am Abend erschöpft an Ruhe denken
mussten. Die ganze Gegend war menschenleer, fast keine Vegetation und vor allem
— kein Wasser, um den verbrauchten Wasser-Vorrat in den Schläuchen nachzufüllen.
Bernhart verband die Pferde nach militärischer Art zu einem Joch und wickelte
eine lange Leine um sich, dass die Tiere sich nicht von ihm entfernen konnten.
So kam die Nacht, leuchtende Sterne grüssten die Erde und wunderbare Stille
umgab den einsam wachenden Bernhart. Noch einmal versetzte er sich in das
Geschehene, dann fühlte er sich entbunden von allem Irdischen; es war, als eilte
seine Seele zu dem, der Himmel und Erde geschaffen, um neuen Zustrom an Kraft
und Mut zu empfangen. „O Herr Jesus, Du meines Lebens Sehnsucht, wie musst Du
herrlich sein, sobald alles Trennende von uns gewichen ist! Wie trübe aber muss
unser Auge noch sein, dass wir von Deiner Herrlichkeit so wenig erkennen! Ich
fühle Dich — Du bist bei mir! Aber ich muss blind sein, sonst müsste ich Dich
sehen, denn Deine heilige Hand berührt jetzt mein Haar. — O Du mein Jesus! Mein
Gott und mein Herr! Nur einen Augenblick lass mich in Dein Auge schauen, dann
bin ich gestärkt, und Deine Liebe und Gnade wird mir stets bewusst bleiben!"
Da stand der Herr im weissen Gewand vor dem Bittenden und sprach: „Mein Sohn!
Deiner Sehnsucht Bitte konnte Ich nicht widerstehen, darum habe Ich dich
berührt, auf dass du Den erschaust, dem du deine Liebe und dein Vertrauen
schenkst. Siehe, Ich bin bei und mit euch allen! Und bei allen denen, die nach
Meinen Worten leben, soll sich Meine Verheissung erfüllen: dass Ich in ihnen,
und sie in Mir sind! Nicht die Erde und alles, was auf der Erde ist, soll das
Trennende sein, sondern trennen kann sich nur ein Mensch, so seine Liebe zum
Irdischen stärker ist als zu Mir! Nützet Meine Verheissung recht, und der Himmel
senkt sich herab zu euch und eurer Erde!"
„Herr, was soll ich tun?", stammelte Bernhart.
„Mir glauben, und alle wahrhaft lieben! Mein Jesus-Geist schafft Erlösung und
ein neues Leben in euch! Diesen Geist aber kann Ich dir nicht geben, weil Er
geboren werden muss aus deinem Glauben und deiner Nächsten-Liebe! So tue nun
nach deiner Liebe um deiner Brüder willen."
Verschwunden war die Licht-Erscheinung, doch froh ward sein Herz. „O mein Gott!
Nichts soll mich jetzt hindern, ganz Deinem Willen zu folgen! Ja, lass mich zu
einem Bekenner werden und noch vielen Deinen Liebe und Leben schaffenden Geist
verkünden!"
Da war ihm, als wenn sich viele Seelen an ihn herandrängten und seinen
Gedanken-Worten lauschten — und so sprach er leise: „O ihr unsichtbaren Wesen,
habt ihr die grosse Gnade miterlebt, wie Sich der Herr so voll Liebe mir
offenbarte? Seid auch ihr durchdrungen von kindlicher Dankbarkeit, dann tragt
die Botschaft weiter in eure Sphären, damit der kalte Hauch des Bösen sich ins
Wollen für das Gute auflöse! Jubelt mit mir aus vollem Herzen: Gott hat uns
lieb! Und seid besorgt um alle Verirrten, damit auch ihnen Rettung naht!"
Bernhart ward wieder in den natürlichen Zustand versetzt und fühlte sich so wohl
und frisch, dass sie mit Tagesgrauen schon wieder zum Aufbruch bereit waren. Das
Vorwärtskommen war jetzt schwerer, da der Boden am Fusse des Gebirges steiniger
wurde. Ein Knecht bemerkte drei Reiter, die ihnen entgegen kamen. Bernhart
dachte: „Wie Räuber sehen sie nicht aus, viel Gepäck haben sie auch nicht,
folglich reiten sie nicht wochenlang." Dann begrüssten sie sich und er fragte,
ob in dieser Gegend wohl Wasser zu finden sei.
Antwortete der eine: „Wir wollen nach Hazor, doch sind wir hier so fremd wie
ihr, und an Wasser haben auch wir schon Mangel."
„Nach Hazor kommt ihr aber heute kaum", sprach Bernhart, „denn in zwei Stunden
seid ihr erst in der grossen Ebene. Denkt ihr, dass eure Pferde ohne Wasser
durchhalten?"
„Sie müssen!", antwortete der Sprecher, „wir hatten weder Gelegenheit, noch
Zeit, nach Wasser zu suchen und müssen sehen, wie wir fortkommen!"
„So mag euch Gott helfen!", erwiderte Bernhart, „ich hätte mich besser
vorgesehen!" Dann ritten sie weiter.
„Hier stimmt etwas nicht", sagte er zu seinen Knechten, „es ist ja Wahnsinn,
ohne Packpferd diese Wegstrecke bezwingen zu wollen. Wir haben es gestern
bemerkt, wie durstig wir und die Pferde waren; gediente Soldaten waren es
bestimmt nicht."
Der Weg wurde steiler und steiniger; auf einmal stutzte er — dort auf dem Baum
hing ein heller Stoffstreifen. Er zog ihn herab, besah ihn und sagte: „Lange
hängt dieser Streifen noch nicht hier, es ist ein Stoff, wie ihn unsere Frauen
tragen — vielleicht soll er uns etwas bedeuten? Wir müssen aufmerksamer werden,
ohne Ursache ist dieser Fund nicht! Ich reite jetzt voraus, und ihr folgt mir
erst in Sichtweite."
Der mühevolle Weg forderte vollste Aufmerksamkeit. Nach vielen Stunden hörte er
auf einmal Holz schlagen und vorsichtig stieg er ab und liess seine Leute
herankommen. „In dieser einsamen Gegend sind Leute im Wald beschäftigt. Wir
müssen nachforschen, ob es vielleicht die gesuchte Karawane ist? Darum verlassen
wir diese Strasse und gehen rechts in den Wald, damit wir nicht gesehen werden."
Aber bald konnten sie nicht weiter, der Wald war zu dicht, zu steil und für
Pferde nicht gangbar. So ging Bernhart allein weiter, dem Schall nach — und
plötzlich sah er in ein tiefes Tal, wo Menschen und Tiere bequem lagerten. „Dies
sieht nicht aus, als wenn es Gefangene wären", dachte er, und ging unter grosser
Vorsicht heran. „Ist es die gesuchte Karawane? Von Joseph und Joram ist nichts
zu sehen, auch Ruth ist nicht darunter. Ich muss Näheres erfahren, aber wie? Das
mag mir mein Gott eingeben!" Nachdenklich ging er zurück zu seinen Knechten und
schilderte ihnen seine Eindrücke. „Was aber könnten wir drei gegen diese vielen
Wächter ausrichten? Wir müssen Gewissheit haben und dann zurückreiten, da ich
dem Cornelius die Karawanenstrasse Sarechto—Sidon als Treffpunkt angegeben
hatte; mit seinen Leuten erst können wir unsere Gefangenen befreien."
So suchten sich die drei einen geeigneten Lagerplatz und stärkten sich an Brot,
Feigen und einem Schluck Wasser.
Plötzlich horchte Bernhart auf und sprach leise: „Es muss uns jemand belauschen,
ich hörte ein Geräusch — es wäre doch gefährlich, wenn wir von den Lagerposten
bemerkt worden wären."
Es blieb aber alles ruhig. Nach einer halben Stunde sprach Bernhart: „Nun wollen
wir im Namen des Herrn unser Heil versuchen; einer bleibt hier bei den Pferden,
einer auf halbem Wege, und ich versuche, ans Lager heranzukommen. Drei kurze
Schreie eines Habichts bedeuten: alles in Ordnung, aber zwei Unkenrufe bedeuten:
höchste Gefahr! Dann hilft Einer dem Anderen."
Da stand auf einmal eine Gestalt vor den drei Männern und rief: „O Gott, sei
gelobt - und gepriesen sei sein Name! Ich bin Ruth, des Eusebius Tochter, und du
bist ja Bernhart, meines Vaters Freund!"
„Ruth! du? Wo kommst du her? Wie bist du aus dem Lager entkommen? Es wird doch
bewacht!", fragte Bernhart hoch erstaunt. „Wir sind den Spuren eurer Wagen
sogleich gefolgt, als dein alter Vater uns eure Gefangennahme schilderte."
„O gebt mir zu trinken und eine Decke, um meine Nacktheit zu umhüllen", und dann
erzählte sie von all den Qualen der Gefangenen und von der Angst, ehe sie im
Schutz des Waldes Sicherheit fand. „Als ich merkte, dass ich nicht verfolgt
wurde, blieb ich in der Nähe und lauschte all den Vorgängen. Der Anführer Assir
ist jetzt ein Gefangener und liegt in seinem Zelt schwer gefesselt. Dieses weiss
ich bestimmt, weil sein Brüllen alles verraten hat; aber warum drei Wächter
zurückgeritten sind, ist mir unbekannt."
„Gibt es hier Wasser?", fragte Bernhart besorgt. „In reichlicher Menge, aber auf
der anderen Seite des Lagers", sprach Ruth. „Dann sind wir dieser Sorge
enthoben. Aber wo sind deine Brüder? Ich habe sie nicht bemerkt." „Sie liegen
verwundet in zwei Wagen", antwortete Ruth, „aber befreien können wir sie nicht,
denn hohe Felswände schützen das Lager."
Bernhart überlegte dennoch einen Plan und fragte schliesslich: „Könntest du
nicht ins Lager zurückkehren, um mit offenen Augen alles zu beobachten und
deinen Brüdern Aussicht auf Rettung zu bringen? Siehe, wir müssen erst Hilfe
holen, denn gegen diese Männer sind wir drei machtlos. Wir haben aber den
Hauptmann Cornelius um Beistand gebeten und hoffen durch seine Leute auf eure
völlige Befreiung!"
Nach langem, langem Schweigen erst entgegnete Ruth langsam: „Gut, ich werde
dieses Opfer bringen, weil Assir ja gefangen ist. Aber wie könnte ich euch
nützen, wenn nun morgen früh das Lager aufbricht mit unbekanntem Ziel? Werde ich
ruhig bleiben können, so es euch nicht gelingt, zur rechten Zeit mit euren
Helfern hier zu sein?"
Bernhart antwortete: „Meine tapfere Ruth! Warum willst du auf einmal zweifeln?
Bringe das Opfer und erwecke in deinen Brüdern und all den anderen neuen Mut!
Unser Herr und Heiland Jesus wird dieses schwere Werk durch uns zur herrlichen
Löse führen, da wir es mit Seiner Hilfe gläubig vertrauend angefangen haben. Und
weil ich weiss, Gott hat Seine Hand im Spiel, bin ich völlig sorglos. Sei auch
du so ruhig, dir geschieht kein Leid mehr! Siehe, den drei Boten sind wir heute
schon begegnet, sie werden neue Befehle in Hazor einholen wollen, was mit der
Karawane geschehen soll, da euer Anführer gefangen ist. Es vergehen wohl noch
drei Tage, ehe sie zurück sind, und dann sind auch wir wieder hier."
„Lieber Bernhart, den denkbar schwersten Opfergang trete ich jetzt an", sprach
Ruth langsam, „wie habe ich Gott gedankt, als ich frei war! Freilich ohne eure
Hilfe wäre ich vielleicht verhungert, aber nun die Freiheit wieder aufgeben und
in die Hölle zurückgehen? Es ist fast zu schwer."
„Kind", antwortete Bernhart, „wenn es dir zu schwer ist, dann bleibe bei uns,
aber wohin sollen wir dich bringen? Denn hier im Gebirge kannst du allein nicht
bleiben, da es bestimmt auch wilde Tiere in dieser Gegend gibt."
„So gehe ich schon zurück — für drei Tage! Aber gebt mir ein Messer, damit ich
wenigstens eine Waffe habe."
„Tue es, meine Ruth, um des Gelingens willen! Sei versichert, Gott lässt uns
Seine reiche Gnade erleben, weil wir eines reinen und guten Willens sind! Denke
an das Wort des Meisters, das Er uns hinterlassen hat: ,Alles, was ihr wollt,
dass Ich euch tun soll, wird euch werden, wenn es in selbstlos dienender Liebe
geschieht.' Denken wir auch an deinen Vater, der so vertrauend um eure Befreiung
betet und mit Sehnsucht auf eure Rückkehr wartet!"
„Jetzt weiss ich meinen Weg", sprach Ruth gefasst, „ihr könnt mich ja
beobachten, wie ich empfangen werde." Und nach kurzem, innigem Abschied ging sie
betend langsam zurück; erst, als ein Feuerschein sichtbar wurde, eilte sie
schneller.
Bernhart war ihr gefolgt, er sah vier Wächter am Feuer sitzen, und plötzlich
stand Ruth vor ihnen. Diese sprangen auf, erkannten das Mädchen und führten es
nach dem Wagen Nr. 2, und da sich weiter nichts ereignete, ging er zu seinen
Knechten zurück.
Zeugnisse über Jesu Lehre
(Fortsetzung von Seite 14)
Die Knechte des Bernhart, Joel und Dan, waren froh, für ihren Herrn einen
aussergewöhnlichen Dienst zu verrichten und ritten unentwegt ihrem Ziel Cäsarea
entgegen. Am Abend kamen sie ermüdet an eine grosse Herberge, aus der ihnen
lauter Lärm entgegen schlug, denn in der grossen Wirtsstube sassen viele
römische Soldaten. Joel ging zum Anführer und fragte nach dem Hauptmann
Cornelius, dem er eine Botschaft von seinem Herrn zu überbringen habe.
Achibald horchte gespannt und fragte: „Wer ist dein Herr und um welche Sache
handelt es sich? Ich bin Bevollmächtigter des Hauptmanns Cornelius." - „Dann
darf ich dir dieses kurze Schreiben übergeben, welches mein Herr, Bernhart mit
Namen, mir anvertraut hat, um es dem Hauptmann Cornelius zu überreichen", und
damit reichte er dem Römer das Schreiben hin.
Achibald las mit grossem Interesse und liess sich von Joel noch weiteres
berichten, dann sagte er: „Ihr braucht nicht mehr nach Cäsarea zu reiten, denn
ich habe denselben Auftrag von Cornelius erhalten und wir sind auf dem Wege zu
den Gefangenen. Ziehet mit uns und helfet mit am Befreiungswerke, denn Gott
Selbst ist unser Auftraggeber."
Der alte Wirt hatte auch zugehört und berichtete noch mancherlei, wie die
Templer alle Nazarener mit Gewalt und Willkür verfolgten, dass einem das Herz
erstarre. Achibald fragte: „Mein lieber Wirt, bist du auch Christ und
durchdrungen von der Wahrheit des Nazareners?"
„Ich bin es", antwortete der Wirt, „an diesem Tische hat der Herr und Meister
Selbst gesessen und aus Liebe und Barmherzigkeit meinem kranken Knecht seine
Gesundheit wieder geschenkt! Nie werde ich diesen Tag vergessen, denn von dem
Tage an bin ich ein neuer Mensch geworden!"
Achibald fragte gespannt: „Aber mein Freund, wie kannst du das mit deinem
Gewissen vereinen, da du doch den Glauben deiner Väter damit verleugnest?"
„Nein, Herr, dem ist nicht so", erwiderte der ehrwürdige Wirt, „weil mein Glaube
bis zu diesem Tage kein wahrer Glaube war! Ich war blind und habe ohne freien
Willen nur getan, was der Tempel alles von uns verlangte. Nun erst ist mir Licht
und Klarheit über meinen ewigen Gott und Sein herrliches Wesen geworden und
dadurch bin ich jetzt so froh und freue mich, meinem Gott und Herrn täglich
dienen zu können."
„Ich danke dir für dein Bekenntnis, denn es erleichtert mir meinen Auftrag",
antwortete Achibald. „Es freut mich, so ich von Anderen ein Bekenntnis über
Jesus höre, den ich noch nicht kenne."
„Herr", sprach der Wirt noch, „übereile nichts und gehe ruhig deinem Auftrag in
den Wegen Gottes nach, denn wo der Herr die Hand im Spiele hat, kann es nur ein
gutes Gelingen geben; ist aber eigenes Streben vorherrschend, gibt es auch
Störungen. Selig wirst du sein, so du erkennst: dein Gott und Herr hat dich
gedungen und dir eine Aufgabe gegeben, die Er schwer einem Anderen anvertrauen
konnte! Dazu will ich dich und deine Leute segnen! Du aber gedenke an die Ehre,
die dir geworden ist, dass mein ewiger Gott und Vater dich, als Römer, schon
Seinen Kindern gleichstellt!"
Achibald war tief ergriffen, dann verabschiedete er sich und gab Befehl zum
Abreiten. Stunde um Stunde verrann, die Pferde schritten rasch aus. In Achibald
aber zeugten die Worte des ehrlichen Wirtes immer neue Fragen und Gedanken. Bei
einer Herberge liess er endlich rasten, und während sich Menschen und Tiere
erholten, erkundigte er sich bei dem Wirt über den Verkehr auf dieser
Landstrasse.
„Herr", antwortete der ehrfurchtgebietende alte Wirt, „ihr seid Römer und in des
Kaisers Diensten - und seit Jahrzehnten betrachte ich euch als Bedrücker und
Feinde des Judenvolkes! Nun ich aber das grosse Heil erkannt und mich zu den
Bekennern des grossen Meisters und Heilandes Jesu rechne, weiss ich, wer die
Bedrücker und Feinde unseres Volkes sind. Wöchentlich ziehen hier Karawanen
vorüber, gewöhnlich füllen die Templer ihre Schläuche mit Wasser und auch mit
Wein und lassen es sich gut sein, während unsere Brüder und Schwestern
schmachtend auf den Wagen liegen. Einmal, als der genossene Wein die Zungen
löste, erfuhr ich von einem solchen Satans-Priester, dass man nur junge Männer
und Frauen nach der Küste schaffe, weil dort gute Preise für sie zu erzielen
sind; alte Männer und Frauen werden gewöhnlich dem Tode ausgesetzt — und warum?
Weil sie von den hasserfüllten Spähern und Priestern bei ihren nächtlichen
Zusammenkünften überrascht wurden."
Achibald fragte: „Höre, mein lieber Wirt, als Römer habe ich das grösste
Interesse an all solchem Geschehen, aber kannst du es auf deinen heiligen Eid
nehmen, dass die Templer aus der Verfolgung der Nazarener ein Geschäft machen?
Denn zum Sklavenhandel kann nur der Kaiser das Privileg erteilen, der Tempel
aber hat meines Wissens keines erhalten. Wohl hat der Tempel das Strafrecht über
Verräter und solche, die die Heiligkeit des Tempels verletzen, aber den Tod
verhängen oder Sklaven verkaufen, das ist ein Übergriff, der bestraft werden
muss!"
„Herr", entgegnete der Wirt, „ich stehe zu meinem Wort, wie ich zu meinem
Bekenntnis für Jesum stehe, aber die Templer zu überführen, ist schwer. Besser
wäre es, so solche Karawanen abgefangen und nach dem rechtlichen Erwerb der
Sklaven nachgeforscht würde - es würde manches Unrecht und manches Verbrechen
verhindert werden."
Achibald dankte dem Wirt. Gut zwei Stunden wurde gerastet, dann ging es nach
herzlichem Abschied vom ehrwürdigen Wirt in scharfem Ritt nach Hazor. Unterwegs
trafen sie eine Karawane, geführt von einem Griechen und einem Juden im
priesterlichen Kleid. Achibald liess halten und sich vom Priester über die Waren
berichten und forderte Aufklärung über die starke Bewachung.
Zögernd berichtete der Templer, leugnete aber, Menschenware zu haben. Als der
Römer Befehl gab, die Waren zu untersuchen, gab der Priester zu, dass er auch
Gefangene habe, aber nach Anweisung seiner obersten Tempelbehörde handele.
„Es ist gut", sprach Achibald, „doch warum wolltest du uns belügen? So du nur
deine Pflicht erfüllst, bist ja nicht du, sondern der Tempelrat verantwortlich
dafür! Kein Römer wird einen Menschen an seiner Pflichterfüllung hindern, ausser
er handelt gegen unsere Gesetze! Lass mich mit deinen Gefangenen reden!" Und so
befragte er die aneinander Gebundenen nach ihrem Verschulden. Ruhig und gefasst
antworteten sie, dass sie Nazarener seien und lieber sterben wollten, als ihren
Glauben verleugnen!
Er liess sie von den Fesseln befreien und verhiess ihnen Hilfe. Zu dem Priester
aber sprach er ernst: „Danke du deinem Gott, dass diese Menschen dir ein gutes
Zeugnis gaben und du nie deine Gewalt benutzt hast, um brutal oder unmenschlich
zu sein, darum will ich dich in deinem Dienst belassen. Würdest du mir aber
versprechen, bei der ersten Gelegenheit zu lagern und auf meine Rückkehr zu
warten, die aber einige Tage dauern kann, würde ich dir einen Gegendienst
anbieten, bei dem du gewiss über alle Massen zufrieden sein kannst!"
„Herr, du kommst meinen Wünschen damit entgegen", sprach erfreut der Priester;
„mit Widerwillen wird man gezwungen und muss zusehen, wie das Unrecht sich zum
Gewalthaber macht. Denn würde ich mich auflehnen, erlebte ich das gleiche
Schicksal wie diese hier!"
„Also bleibt es bei unserm Versprechen", erwiderte Achibald, und mit festem
Händedruck schieden beide Führer.
Achibald war innerlich erschüttert. Da sehen wir Römer auf Ordnung, haben das
Land besetzt, und doch ist dieser Tempel ein Polyp, der seine unsichtbaren Arme
überall ausstreckt. „O Du ewiger Gott, ich ahne Deine Grösse! Ich ahne Deine
Weisheit und ahne aber auch Deine Fürsorge! O wie würde ich jetzt unglücklich
sein, so ich Cornelius beredet hätte, dieser Engelserscheinung nicht so grosse
Bedeutung beizumessen. O Herr! Lass mich Dein Werk in Deinem Geiste beenden,
damit ich meinen nun gefassten Willen, Dir zu dienen, bekunden kann!" Er hielt
an, winkte Joel und Dan zu sich und sprach: „Höret gut zu! Ich muss einige
ernste Fragen an euch richten. Es hängt viel, sehr viel für mich von euren
Antworten ab. Seid ihr bereit, in allen Dingen mir die rechte Wahrheit zu
berichten?"
„Ja, Herr, wenn es dir dient! Verlange von mir, was du willst - nur nicht, dass
ich meinen Glauben verleugne, denn ich bin auch Christ geworden!", antwortete
Joel mit Bestimmtheit.
„Dein Bekenntnis freut mich und erleichtert mir die Fragen", entgegnete Achibald.
„Also, warum bist du Christ geworden? Genügte dir dein Glaube nicht mehr? Und
welchen Vorteil hast du nun als Christ?"
Ruhig antwortete Joel: „Herr, ich bin nicht um äusserlicher Vorteile willen
Christ geworden, da ich ohnehin in Bernhart einen gütigen Herrn habe. Auch
dieser ist Christ mit seiner ganzen Familie! Wenn ich aber zurückschaue, soweit
ich nur denken kann, so muss ich bekennen, dass mich mein Leben erst freut, seit
ich die Botschaft der grossen Gottes-Liebe gläubig in mein Herz aufnahm.
Meine Eltern waren ehrliche und achtbare Menschen und meine Schwestern waren
untertan ihren Eltern, getreu nach dem Gesetz Mosis, bis meine ältere Schwester
einen andersgläubigen Mann ehelichen wollte. Von dieser Zeit an erfuhren wir
viel Bedrückung von Seiten unserer Tempel-Priester, bis unser Grund nicht mehr
uns, sondern den Templern gehörte. Meine Eltern sind aus Gram und Sorge
gestorben und wir mussten sehen, in Brot und Arbeit zu kommen. Eben durch
Vermittlung der Jesus-Bekenner lernte ich meinen jetzigen Herrn kennen und durch
die Art, wie ich und alle anderen Hausgenossen behandelt wurden, wurde ich irre
an meinem vergangenen Leben! Ich suchte und forschte, bis ich gefunden habe, was
den Menschen wahrhaft glücklich machen kann!"
„Ja, mein Freund", entgegnete der Römer, „lag es nicht an dir, so du in früheren
Zeiten nicht so glücklich warst? Bist du nicht vielleicht von der Wesensart
deines Herrn etwas angesteckt, dass du jetzt sagst, ich bin glücklich! Wie wäre
es aber, so du bei einem Römer, z. B. bei mir in Lohn und Brot wärst, wo Recht
und Gerechtigkeit und äusserste Strenge regiert, würdest du dann auch noch so
denken?"
„Ja, Herr, immer werde ich so denken, weil die Freude, die mich erfüllt, eine
andere ist als früher", entgegnete Joel, „denn diese Freude ist himmlischer Art,
weil sie genährt wird von dem Bewusstsein: ich werde getragen von meinem ewigen
Gott und Vater, der die grosse Liebe ist und nur Liebe und Gnade sein kann!"
„Gut, mein Sohn", erwiderte Achibald, „wer hat dich unterrichtet von diesen
Beweisen der Gottes-Liebe und Gnade?"
Antwortete Joel: „Seine getreuen Zeugen Petrus und Johannes. Nicht nur, dass sie
es mit dem Munde bekannten, nein, mit dem Herzen und mit ihrem ganzen Sein, denn
Kranke wurden heil, Besessene wieder froh und Suchende wie ich — glücklich! Ich
wünsche mir keinen besseren Himmel als wie den, in dem ich jetzt lebe! Denn
derselbe macht mir meinen Erdendienst leicht und meine Aufgaben, ob gross oder
klein, wertvoll!"
„Ich danke dir", erwiderte der Römer, „denkt dein Begleiter auch so?"
„Im Grunde ja", bekannte Joel, „ob er aber auch in dieser Freudigkeit lebt wie
ich, kann ich natürlich nicht bezeugen! Doch liebt er ebenso wie ich Jesum, den
Auferstandenen!"
„Dies genügt mir, mein Sohn! Behalte für dich, was ich mit dir sprach, weil ich
erst mit mir einig werden möchte. Denn ich fange an, mein Leben nun anders zu
betrachten!"
So ritt nun der ganze Tross durch die Sonnenglut weiter und näherte sich der
Stadt Hazor. Grössere Anwesen und geschäftige Menschen bekundeten ihren Fleiss
und ihre Liebe zu ihrem Grund. Achibald suchte von dem Besitzer eines solchen
Grundes Aufklärung zu erhalten, wie er am schnellsten die Strasse nach Kedes
erreichen könnte.
„Herr", antwortete der Besitzer, „die ist nicht leicht zu finden, ich werde dir
einen Knecht als Führer mitgeben, da gerade das Maultier noch gesattelt ist; ihr
spart Zeit und das lästige Fragen."
„Das freut mich sehr, aber ich wüsste nicht, wie ich dir meinen Dank abtragen
könnte."
„Von Dank kann keine Rede sein, da ich immer noch ein Schuldner meines Gottes
und Herrn bin! Ziehet in Frieden — und Gottes Segen sei mit euch!"
Achibald dankte überaus herzlich; er liess den erhaltenen Führer neben sich
reiten und durch kurzes Fragen erfuhr er, dass er selbst, wie auch sein Herr und
das ganze Haus Christen seien.
Achibald fragte: „Mein Freund, wie geht es zu, dass ihr euch so frei zu der
neuen Religion bekennt? Es ist doch immerhin gefährlich, da der Tempel ein
scharfer Gegner der Abtrünnigen ist."
Da wurde ihm zur Antwort: „Herr, wir fürchten den Tempel und seine Priester
nicht, da selbige doch nur schwache Menschen sind wie wir! Aber ein Bekenner des
Gekreuzigten und Auferstandenen ist ein Wegweiser für viele verirrte und
verlorene Seelen. Wäre Christus nicht von den Toten auferstanden, wäre Seine
Lehre wohl ohne Kraft und unser Bekenntnis unfruchtbar. So aber sind wir durch
die lebendige Hoffnung, eins zu werden mit Ihm, zu Vervielfältigern Seines
Lebens und Wortes gemacht worden und sind erfüllt von einer grossen Freude und
Kraft! Da ist nichts Gefährliches dabei. Höchstens dass man uns quälen, peinigen
oder sogar töten könnte dem Leibe nach, umso mehr aber würden wir entbunden
werden von all dem, was uns in der wahren Nachfolge noch hindert!"
„Denkt und spricht dein Herr auch so wie du?", fragte Achibald, „oder ist dieses
dein Bekenntnis nur dein eigenes Leben?"
Da schaute der Gefragte Achibald gross an und sprach: „Herr, aus deinen Fragen
höre ich, dass du von Christum noch nichts erlebt hast, höchstens von ihm
gehört. Wer Ihn erfasst hat mit der Liebe seines Herzens, wird ja ein ganz
anderer, ein neuer Mensch, von dem alles Alte, Anerzogene oder Vererbte, welches
so viel Plagen, Sorgen und Kräfte-Verluste verursachte, schwindet! Wie wird man
froh, nun die Welt, die Menschen, Tiere und Pflanzen ganz anders anzusehen! Es
ist, als wenn alles mir zuruft: Komme zu mir, o Mensch, ich brauche dich! Darum
wirst du auch verstehen, so mein Herr, ohne zu bedenken und zu überlegen, euch
gleich dienend unterstützte, denn im Grunde dient er nicht euch Römern, sondern
Gott!"
„Wer lehrte euch dieses alles, da doch Christus längst nicht mehr lebt?",
forschte Achibald weiter.
„Wir haben keine Lehrer, da schon lange kein Apostel bei uns war. Aber die Liebe
zu unserm Herrn, die wir im freien Dienen an unserm Mitmenschen zu verwirklichen
suchen, lässt immer neues Leben in uns erstehen. Darum ist unsere neue Religion
ein Leben, das überall der Menschen Elend zu lindern sucht und nach den Ursachen
forscht, um dieselben ganz zu beseitigen!"
„Wie lange bist du ein Anhänger des Nazareners?", fragte Achibald noch. „Seit
der Heiland und Erlöser mir das Augenlicht wieder gab! Ich war blind durch
Anderer Schuld, und seitdem sind fünf Jahre verflossen. Aber ich war undankbar
und glaubte, es sei selbstverständlich, dass ein Heiland nur da sei, um zu
heilen. Als ich aber später diese meine geistige Blindheit erkannte, suchte ich
meinen Helfer an allen Orten, doch kam ich jedesmal zu spät, immer war Er schon
weitergezogen!
Vor vier Jahren fand ich Ihn endlich in Bethanien, und dort erst erhielt ich ein
rechtes Licht über Sein Wesen, Seine Lehre und Seine grosse Liebe zu allen
Menschen. Nichts könnte mir mehr Schrecken einflössen als der Gedanke: Was würde
aus mir, so ich Seine Liebe verlieren würde? Ich müsste tief unglücklich
werden!" Hier schwieg der Mann. Auch Achibald war tief ergriffen von dem
einfachen Zeugnis dieses schlichten Menschen. Still ritten sie weiter, ohne
Eile; Hazor blieb links liegen und als sie die Handelsstrasse nach Kedes sahen,
hielt der Knecht an und sprach: „Nun könnt ihr nicht mehr fehl gehen. Auf dieser
Strasse ist viel Verkehr und an Herbergen kein Mangel; aber nach einer Stunde
hören sie auf und ihr müsst euch vorher darauf einrichten, so ihr übernachten
wollet. Ja, ich rate es euch, denn dann kommt eine unfruchtbare Ebene, die genau
zwischen Hazor und Kedes liegt. Ich kehre nun um, ihr alle aber seid betauet von
dem Geiste meines Erlösers und Heilandes Jesus, weil ich durch Seine Gnade euch
dienen durfte!" Ein Gruss mit der rechten Hand, und ohne sich umzusehen, ritt
der Knecht zurück.
Achibald sprach zu sich: „Bruder Cornelius, wie glücklich musst du sein, solchem
Herrn dienen zu dürfen! Doch ich? Ich muss noch blinder sein wie einst dieser
einfache Knecht. Welche Gedankentiefen wurden mir enthüllt und welchen
Bekennermut musste ich erleben! O Rom, was wird aus deiner Macht und Würde, aus
deiner Welt-Stellung, so wir von Christum überwunden werden?" Mit der Hand
wischte er über die Augen und sagte dann: „Nicht trübe Gedanken herbeirufen! Wir
wollen uns leiten lassen von der Sorge um die leidenden Menschen, die auf unsere
Hilfe warten!"
Er hob die rechte Hand, und ein Unterführer kam eilends an seine Seite geritten;
da sprach er: „Höre, mir ist, als ob wir hier aufmerksamer beobachten müssten,
um die gesuchten drei Boten zu fassen; so reite du scharf voraus und halte
einzelne Reiter an, frage nach dem Weg und ihrem Ziel, doch richte es so ein,
dass du nicht über die letzte Herberge hinaus reitest, da wir auch an Ruhe
denken müssen, und denke vor allem an keine Gewalt!"
„Ich verstehe", gab der Beauftragte zur Antwort, „du wirst zufrieden sein." Ein
Schenkeldruck, und fort eilte das Pferd mit der kraftvollen Gestalt.
Achibald dachte wieder an die letzten Worte des Knechtes: „Ich würde unglücklich
sein, so ich Seine Liebe verlieren würde!" Wie tief muss diese Liebe gegründet
sein! O wenn ich auch solche Gnade erleben dürfte und aus all diesen
Zweifels-Gedanken herauskäme! O Cornelius, ich glaube, du wirst deinen Freund
Achibald nicht mehr wiedererkennen!
So gingen seine Gedanken nach Cäsarea zurück und gingen wieder zu Jesus, der, im
Sinne Achibalds, ein alleredelster Mensch war. „O Jesus, wenn schon Deine
Nachfolger und Bekenner so reden, wie musst Du Selbst gesprochen haben!"
Er liess sich treiben, wurde aber dann aufmerksam auf seine Leute, die dem Joel
arg zusetzten und ihm die Göttlichkeit seines Meisters abstreiten wollten.
Achibald musste lächeln, als Joel so ruhig und sicher sagte: „Was weiss ein
Mensch von Gott und Göttlichkeit, so sein Herz nur an toten Dingen hängt? Und
was weiss ein Mensch von der Vielheit der Gaben und der Feinheit des
alleredelsten Lebenszuges, so er sich noch nie mit der Einheit in Gott und
Seiner alles durchdringenden Kraft beschäftigt hat? Ihr seid Soldaten und ans
Gehorchen gewöhnt, gleich welcherlei Art die Befehle sind; habt ihr aber schon
daran gedacht, was zuvor im Kopf und im Herzen des Befehlenden voranging? Habt
Ihr je an die Verantwortung gedacht, die jeder Befehlsgewaltige übernimmt und
übernehmen muss? Über euch steht der Befehlende auch als Richter; aber der
Befehlende trägt seinen Richter in der eigenen Brust. So sehe ich es auch in
meinem Leben an: Durch Gnade wurde ich zu einem Berufenen und trage nun hohe
Verantwortung über mein Tun, doch nur Gott steht über meinem Leben. Weil ich
Gott verantwortlich bin, achte ich nun auf mein Leben und Tun, da es mein
eigener Besitz, von Gott mir gegeben, geworden ist."
Ein Vernünftiger sprach: „Freund, bedenke, wir sind Soldaten, Willensträger
unseres Kaisers und Vertreter seiner Gesetzlichkeit. Es kommt vor, dass wir das
Schwert gebrauchen müssen und wir dürfen nicht fragen: verursacht es Leid und
Schmerzen? Wie aber, so dein Gott dir geböte, gleich mir das Schwert zu ziehen —
und zu töten?"
„O Freund", antwortete Joel, „eben weil der Mensch abgewichen ist von der wahren
Ordnung in und aus Gott, bildeten sich solche zersetzenden Zustände. Um nun zu
erhalten, was zu erhalten ist, berief er Menschen, welche nach Ordnungen suchen,
die der Zersetzung Halt gebieten; und so wurde es notwendig, da Gewalt
entgegenzustellen, wo mit elementarer Macht der Vernichtung zugestrebt wurde. Es
gelang aber nur zum Teil, weil auch Träger dieser Gewalt von dem argen Geist
satanischer Zersetzung eingenommen wurden!
Dies erlebten wir ja an unserem Meister Jesus! Nicht der Tempel, nein, ein Römer
(Pilatus) war es, der den Templern den Weg frei machte zum Schalten und Wüten
ihres zersetzenden Hasses. Gewiss, Jesus hätte Gewalt gegen Gewalt anwenden
können, dann hätte Er aber nur Seine Menschlichkeit bewiesen und wäre heute
vergessen! So aber liess Er alle Gewalt über Sich ergehen und stellte Sich mit
der ganzen Kraft Seiner Liebe über allen Hass! Damit hat Er den Beweis Seiner
Göttlichkeit gegeben, und an dieser Seiner Göttlichkeit wird jede andere Macht
zerschellen!"
„Weisst du", sprach der Soldat, „mit dir möchte ich mich länger unterhalten,
aber nicht auf dem Rücken unserer Tiere, sondern daheim bei deinem Herrn, der
gewiss auch so denkt wie du. Unser Hauptmann ist auch ein edler Mensch, geliebt,
aber auch gefürchtet, aber in solcher Überzeugung hat er noch nie zu uns
gesprochen."
„Das ist auch nicht nötig", versetzte Joel ruhig, „da das neue Leben aus Gott
nie von aussen aufgenommen werden kann, sondern in uns wächst, wie die Liebe zum
Anderen wächst. Wenn du aber willst, kannst du ruhig eine Zeitlang bei uns
verbleiben, so dein Herr dich frei gibt. Es ist überhaupt überall, wo du
hinkommst und Einkehr hältst, eine grosse Nächstenliebe zu finden! Bei uns gibt
es fast keinen Menschen, der nicht vom Geist des Erlösers ergriffen wäre. Je
mehr die Tempelpriester wüten, je mehr Dieselben Hass und Lüge ausstreuen, desto
mehr stossen sie die ihnen noch Treugebliebenen ab. Ich wünschte, ihr Römer
würdet diesem gehässigen Treiben endlich einmal einen Riegel vorschieben."
„Wir sind nur Soldaten", antwortete der Mann, „und bekümmern uns nicht um Dinge,
die uns nichts angehen. Mich freut es aber ungemein, einmal etwas anderes gehört
zu haben, und ich bin dir recht dankbar."
Die drei Boten
In die Herberge des Griechen Hermes kamen drei Reiter auf abgehetzten Pferden
und erbaten Speise und Trank und für die müden Pferde Wasser und Futter. Willig
gab der Wirt einem Knecht Anweisung dazu und bewirtete die drei in der leeren,
kühlen Gaststube. Inzwischen kam auch ein römischer Soldat an und verlangte
Wasser für sein Pferd; dabei erfuhr er von dem Knecht, dass diese drei Pferde
den ganzen Tag noch nichts zu trinken erhalten hätten. Eine solche Quälerei
müsste gerügt werden! „Dies können wir ja sogleich versuchen", sprach der Römer;
„jedenfalls sehe ich mir diese Tierquäler etwas näher an."
Er betrat das Gastzimmer, nahm am anderen Tische Platz und erbat vom Wirt einen
kühlen Trunk, dann sprach er zu den Dreien: „Von wo seid ihr denn hergekommen,
da eure Pferde vor Mattigkeit das Futter verweigern? Das ist unklug und kann
euch grosse Mühsale bringen, denn Pferde sind uns hier doch unentbehrlich!"
Antwortete der eine: „Wir handeln nach Befehl und hatten nicht Zeit, noch
Gelegenheit, grössere Mengen Wasser mitzunehmen. Unser Auftrag geht nach Hazor;
in einer Stunde sind wir am Ziel, da können sich die Pferde schon erholen."
Der Römer sprach ernst: „Ich aber bin ein Tierfreund, und Menschen, die ihre
ihnen anvertrauten Tiere quälen, kann ich nicht ungerügt lassen! Woher ihr
eigentlich kommt, habt ihr noch nicht gesagt."
„Wir sind in einer Mission des Tempels unterwegs und haben kein Recht, Andere
davon zu unterrichten!"
„Wie ihr denkt", antwortete kurz der Soldat, stand auf und ging hinaus, wo er zu
dem Wirt sprach: „Wir werden wohl hier Rast halten; du hast doch genügend Futter
für 25 Pferde und ebensoviel Leute?"
„Gewiss", versicherte der Grieche, „und wenn 50 Mann kämen, es würde reichen!"
Der Soldat ging auf die Strasse. Von weitem sah er seine Kameraden kommen; ein
Zeichen, und in kurzer Zeit war Achibald zur Stelle. „Ich glaube, wir sind am
Ziele", meldete er; „es sind hier drei verdächtige Männer eingekehrt, dort, ihre
ermüdeten Pferde sind wert, dass man sich für sie interessiert."
Achibald liess sich berichten, und dann betraten beide das Gastzimmer, wo er
sich die drei Leute ansah. Doch diese fühlten sich nicht ganz sicher und wollten
aufbrechen. „Ich muss mit euch sprechen", sagte Achibald, „da ihr meinem
Vertreter die Auskunft verweigert, die er befugt ist, von euch zu verlangen!"
„Wir haben keinerlei Auskunft zu geben, da wir dem Tempel dienen und nur ganz im
Sinne unserer obersten Behörde handeln", ward ihm zur Antwort.
„Ganz recht, deswegen werdet ihr von mir auch keinerlei Vorwurf erhalten. Die
Art aber, wie ihr mit hilflosen Tieren umgeht, lässt uns vermuten, dass ihr
nicht im Sinne eurer Tempelherren handelt. Wir Römer sind die Herren und Hüter
dieses Landes - und jede Ungerechtigkeit wird geahndet. Also: wo kommt ihr her?
Und welcherlei Auftrag ist euch geworden? Noch frage ich euch als Mensch. Zögert
ihr aber oder wollt ihr uns belügen, dann stehe ich vor euch als Richter, laut
meiner Vollmacht!"
Die Drei schwiegen; diese Fragen waren ihnen sichtlich unangenehm und eine
Ahnung mahnte sie zur Vorsicht.
Achibald ging kurz entschlossen an das Fenster und gab ein Zeichen, sofort kamen
drei Soldaten ins Gastzimmer und er gab Befehl: „Bewacht diese Leute gut, ich
traue ihnen nicht recht!" Dann fragte er nochmals: „Habt ihr euch besonnen und
wollt aufrichtig bekennen, wess euer Amt und Dienst ist?"
Antwortete der eine: „Herr, wir fügen uns, weil ihr die Macht habt, aber ich
bitte auch, uns Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Wir sind beauftragt, beim
obersten Priester von Hazor Bescheid zu holen wegen eines Karawanenzuges, der
auf unsere Rückkehr wartet; hier ist meine Order."
Achibald las, gab das Schreiben wieder zurück und liess sich näheres berichten,
dann sprach er: „Euch wird deswegen kein Leid geschehen, doch überzeugen muss
ich mich von der Wahrheit eures Berichtes, weil auch ich nach gesetzlicher
Anweisung handle. Ihr werdet nicht zum Tempel-Obersten gehen, sondern sogleich
mit uns zurückreiten; sind eure Angaben richtig, dann ist es gut; habt ihr mich
belogen, dann wehe euch!"
Ein Schrecken legte sich auf ihre Gesichter und die Antwort blieb aus, aber
Achibald sagte ruhig: „Überlegt es euch bis morgen früh, bis dahin seid ihr
Gefangene!"
Am Abend wurde ihm gemeldet: „Einer von den Bewachten möchte eine Aussprache
haben, am liebsten gleich jetzt!" „Bringe ihn her", antwortete Achibald, „aber
bleibe solange hier, bis ich fertig bin mit ihm." „Was hast du mir zu sagen?",
fragte Achibald streng.
„Herr, antwortete der Tempeldiener, „ich möchte erzählen, was ich bis jetzt noch
verschwiegen habe, denn ich sehe ein, dass du, Herr, doch die Wahrheit erfahren
wirst, sobald wir das Lager erreicht haben."
„So rede! Doch merke dir, einen Grad von Milde habt ihr euch verscherzt, weil
ihr nicht gleich ehrlich gegen mich gewesen seid. Sprich also die reine
Wahrheit!"
Nun enthüllte der Bote dem Achibald von Anfang bis Ende das ganze Geschehen und
sprach zum Schluss: „So richte du uns nach Gerechtigkeit und handle nach deinen
Befugnissen! Wir sind nur Knechte und müssen gehorchen."
„Möchtet ihr ein besseres Leben und ein menschlicheres Dasein führen?", fragte
Achibald milder, „denn dieser Gewaltstreich ist ja nicht euer erster und
schliesslich auch nicht euer letzter. Vielleicht könnte ich, so ihr wollet,
eurem Leben eine andere Richtung geben."
„Herr, für meine Kameraden kann ich nicht sprechen, aber ich möchte lieber heute
als morgen fort vom Tempel, denn Gewalt und Grausamkeiten sind ja unser
tägliches Erleben. Würde aber einer von uns sich dagegen auflehnen, würde an uns
dasselbe vollzogen!"
„Gut, ich will euch helfen", sprach Achibald, „aber ihr müsset auch mir helfen
wollen - so hole deine beiden Kameraden!"
Der Mann ging und sprach zu diesen: „Kommet schnell, ich glaube, wir erleben
hier ein grosses Glück!" Achibald reichte jedem die Hand und sprach: „Wir können
gute Freunde werden, wenn ihr bereit seid, mir den Weg zu zeigen, um dieses
grosse Unrecht wieder gutzumachen. Wir Römer sind nicht eure Feinde, sondern nur
Feinde all jener Grausamkeiten, die in eurem Lande geschehen. In unserem Schutz
kann und darf euch nichts geschehen, aber was denen geschieht, die wissentlich
grausam handeln, darüber seid ihr wohl im Bilde. Darum leget euch jetzt ruhig
nieder, doch frühzeitig wollen wir zu eurer Karawane zurückreiten."
„Herr, du wirst zufrieden sein", sprach nochmals der eine, „denn ich fühle es,
der heutige Tag ist ein entscheidender in unserm Leben!"
Bernhart (Fortsetzung von Seite 18)
Im Lager blieb alles ruhig; die Wächter nahmen es mit ihrer Wachsamkeit nicht
mehr so genau und waren gegen Morgen eingeschlafen. So bemerkten sie nicht, wie
Elim, der Karawanenbesitzer, leise auf den Wagen stieg, auf dem Assir gebunden
lag und zu ihm sprach: „Still sein! Niemand darf merken, dass ich zu dir komme."
Assir aber befahl sogleich: „Mache meine Fesseln los, damit ich mich frei
bewegen kann! Konntest du nicht früher kommen? Und was ist überhaupt geschehen?
Konntest du mir nicht zur Hilfeleistung beispringen? Oder — was forderst du für
meine Freiheit?"
„Du willst recht viel wissen auf einmal und es ist schon besser, du bleibst
gebunden, sonst könnte ich vielleicht deine Stelle einnehmen; also dies sei dir
mitgeteilt: Asa hat deine Stelle eingenommen und gestern drei Mann
fortgeschickt, um Ersatz für dich zu holen. Dann ist auch das geflohene Mädchen
wieder zurückgekehrt und zu ihren Brüdern in das Zelt geeilt. Asa aber weiss
anscheinend garnichts davon, da die Wächter ihn nicht in Kenntnis setzten."
Assir wollte sich aufrichten, aber die Stricke hielten zu gut. Bittend sprach
er: „Elim, bei unserer Freundschaft, du musst mir zu meinem Rechte verhelfen, du
weisst, dass du bestimmt keinen Schaden davon hast! Lass mich nur fünf Minuten
frei und du wirst sehen, wie die Leute mir wieder gehorchen! Wir müssen fort,
auf keinen Fall darf ein Anderer dieses Lager betreten, schon der beiden Männer
und des Mädchens wegen!"
Entgegnete Elim: „Das würde dir wohl gefallen, so ich deinen Wunsch erfüllte,
und in Sidon würdest du wieder sagen: Elim, fahre ruhig mit deinen Wagen heim,
jederzeit kann ich Andere bekommen. Darum stelle ich dir erst meine Rechnung
auf: die Hälfte von dem Gewinn und das wiedergekommene Mädchen."
„Die Hälfte ja, aber das Mädchen nicht, die bleibt mir!", antwortete Assir in
ohnmächtiger Wut.
„Ist das dein letztes Wort?", fragte Elim mit funkelnden Augen; „überlege dir
genau, was du sagst!"
„Lieber verzichte ich auf den Gewinn", entgegnete Assir, „aber das Mädchen
bleibt mir!"
„So sollst du weder Gewinn, noch das Mädchen, haben. Lasse dir die Zeit nicht
lang werden, vielleicht ist mit Asa besser handeln!", sagte Elim gelassen und
verschwand lautlos aus dem Wagen. Assir schrie laut auf vor Wut und suchte sich
zu befreien, aber die Fesseln hielten stand.
Um diese Zeit erwachte Bernhart. Doch glaubte er zu träumen, denn vor ihm stand
ein fremdes, lichtes Wesen. „Wer bist du?, oder träume ich?", fragte er und
griff hin zur lichtvollen Gestalt.
„Versuche nicht, mich zu fassen, denn ich trage nicht Fleisch und Blut wie du,
aber um dir dienstbar zu sein, bin ich von meinem Herrn und Gott gesandt und
möchte mich meines Auftrages entledigen; er lautet: Bleibet hier in der Nähe
dieser Menschen, denn Hilfe ist unterwegs! Ehe Gott der Herr um Hilfe angerufen
wurde, hat Er schon Massnahmen dazu unternommen!"
„Was tun wir nun?" fragte Bernhart erstaunt, „Sollen wir zur Rettung der
Unglücklichen nicht etwas unternehmen?"
„Glauben sollst du, dass dein Gott alles so führt, dass ihr alle euch freuen
könnt!", antwortete das lichte Wesen. „Alle eure Gebete und die vielen Tränen
jener Armen sind bis in die höchsten Himmel gedrungen. So ist es erklärlich,
dass auch alle Kräfte dort angespannt sind — zur herrlichen Löse!"
„So hätten wir ruhig zu Hause bleiben können?", fragte Bernhart verwundert, „und
hätten nur im Beten und Fürbitten anhalten sollen, um den Herrn zur Hilfe zu
bewegen?"
„O nein, da irrst du sehr, mein lieber Menschenbruder", erwiderte der Engel,
„durch dein ernstes Bemühen und durch deinen Tat-Willen hast du ja den Geist
wahrer Nächsten- und Gottes-Liebe in dir entbunden! Nun bedarf es nur noch der
Erprobung, ob dein Tatwille deinem Mitleid oder dem wahren Innen-Leben aus Gott
entsprungen ist. Bei allen deinen Bestrebungen, die zur völligen Ausreife des in
dir wohnenden Gottes-Lebens dienen, kommt immer nur der wahre Grund deiner
Absichten in Frage, da Gott in Seinen Kindern ja Sein eigenes Leben ausreifen
sehen will! Bist du in dir schon eins mit Gott, dem Ewigen, dann bist ja nicht
mehr du das Wollende; sondern: Sein Erlöser-Geist drängt in dir zur helfenden
Tat! Siehe, wir stehen euch mit unserem Einfluss bei und haben das allergrösste
Verlangen, jenen verderblichen Fluch entsündigen zu helfen! Aber unsere Hilfe
kann erst Hilfe sein und werden, so der wahre, lebendige Glaube bei euch
vorhanden ist! In dem Augenblick, wo der kleinste Zweifel deiner Brust
entsteigt, hinderst du uns - und die Kraft eurer Gebete ist geschwächt. Um des
grössten Werkes willen — glaube und vertraue! Damit das, was verflucht ist, sich
in Segen umwandeln kann. Der Segen Gottes sei mit dir!"
Finster war es wieder um ihn; wie in Nichts war die Erscheinung zerronnen, aber
die Worte blieben und wurden in ihm immer lebendiger. „O Du gütiger Gott und
heiliger Vater aller Deiner Kinder! Glauben will ich und glauben werde ich an
Deine All-Liebe, an Deine Erbarmung und an die Gnade, die ich wiederum erlebte!
Stärke Du mehr und mehr meinen Glauben, damit ich endlich zu dem ausreife, was
Dein Erlöser-Geist in mir sehen möchte! Hilf mir, das Rechte zu finden und stehe
mir bei, damit ich ganz in Deinem Sinne handle! Für Deine gefangenen Kinder aber
bitte ich um Deinen Vater-Segen!"
Da erschallten vom Lager her Wutschreie; Bernhart wurde dadurch in seiner
Andacht gestört und schon wollte sich etwas in ihm regen, was seine frohe
Stimmung sehr beengte. „Mein Jesus! Was soll ich hier tun? Ich fühle mich so
hilflos jenem Hass-Geiste gegenüber, dass ich direkt ängstlich werde, obwohl ich
weiss: Du bist bei mir!" In ihm wurde es wieder ruhiger und da der Tag graute,
weckte er seine beiden Knechte und berichtete ihnen das am frühen Morgen
Erlebte. „Wir müssen nun hier bleiben und abwarten, darum ist Sorge zu tragen,
dass unsere Pferde vor allem frisches Wasser bekommen. Wie Ruth sagte, sei auf
der anderen Seite Wasser, also müssen wir uns mit unseren Pferden dahin begeben.
Vor denen, die das Lager bewachen, brauchen wir uns nicht zu fürchten, denn Gott
ist ja mit uns!"
So wurde der Ort verlassen und nach einer Viertelstunde Weges rieselte eine
kleine Wasserrinne in ein sumpfiges, von hohen Bäumen umgebenes Wiesenland.
Abseits von der grossen Karawanenstrasse suchten sie sich ein Lager und als
alles geordnet war, wurde dankbaren Herzens ein Frühmahl mit Brot, frischem
Wasser und einigen gedörrten Datteln gehalten. Bernhart besprach nun mit seinen
Knechten, einen Wachdienst einzurichten, um das Lager stets zu beobachten. Er
selbst ging als erster und fand einen Felsenblock, von dem aus er ungestört
alles übersehen konnte.
Der grosse Sehreck
Im Lager wurde es lebendig; Männer und Frauen gingen umher, es war ein Bild des
Friedens. In der Mitte des Lagers war man um das Feuer bemüht, und nach längerer
Zeit ertönte ein Pfiff, darauf kamen die Männer und dann die Frauen mit
Schüsseln, um ihre Suppe zu holen. Auch Ruth kam hoch erhobenen Hauptes und
bekam ihre Töpfe gefüllt, und alles geschah mit einer gewissen Ruhe und
Sicherheit. Dann sah Bernhart, wie die Männer mit Geschirr fortgingen,
wahrscheinlich um Wasser zu holen, und das Lager war wie ausgestorben.
Plötzlich hörte man wütende Rufe — Assir raste unter die Dagebliebenen und
drohte mit der Peitsche! „Wo ist Asa?", brüllte er die Leute an, „wie könnt ihr
wagen, gegen mich zu sein? Redet, oder ihr fühlt die Peitsche!"
Ängstlich duckten sich die Leute, keiner sagte ein Wort; in diesem Schweigen
aber kam Assir etwas zur Besinnung und sagte nun ruhiger: „Leute, höret zu! Ich
will vergessen, was ihr mir angetan habt; auch will ich dahin wirken, besseren
Sold für euch zu erhalten, aber ich verlange Gehorsam! Asa muss fort, weil er
euch veranlasste, treulos gegen mich zu werden. Wo ist er hin?"
„Zum Wasserholen sind die Männer fortgegangen, denn das vorhandene geht zu
Ende", wurde ihm zur Antwort. „Das Wasser ist schon hin?", fragte Assir
entsetzt, „dabei sind noch fast acht Tage zu rechnen, ehe wir nach Sidon kommen.
Warum laufen überhaupt die Gefangenen so frei herum? Sie können fliehen und
niemand merkt es! Das erste, was getan werden muss, ist die Fesselung der
Gefangenen!"
„Ich würde es nicht tun", entgegnete ein Wachmann, „die armen Menschen sind ja
so froh und dankbar, so wir sie nicht quälen! Das erste, was Asa tat, war, er
redete gut mit den Gefangenen und versprach, sie wie Menschen zu behandeln, und
nicht die geringste Arbeit hatten wir gestern mit ihnen. Ist es denn so schwer,
menschlich zu sein? Dir geht ja nichts ab von deiner Würde als Priester und als
Führer dieser Todes-Karawane!"
„Das verstehst du nicht", sprach Assir, „nur weil ihr gegen mich eingestellt
seid, ist euch auf einmal nichts mehr recht."
Grollend wandte er sich ab und schaute in die Zelte, als aber die Gefangenen den
Assir sahen, waren sie plötzlich ganz verstört. Assir freute sich über ihr
Erschrecken, dann ging er in das Zelt, in dem Joseph, Joram und Ruth weilten und
musste sich wundern, dass diese sich nicht vor seinem Anblick fürchteten.
Spöttisch fragte er: „Na, du Flüchtling, hier bist du ja wieder! Der Hunger hat
dich wohl wieder zurückgetrieben?"
„Nein", antwortete Ruth stolz, „sondern weil ich meine Brüder nicht verlassen
wollte!"
„Ich denke, dass es von meinem Willen abhängt, wo du bist! Glaube ja nicht, dass
ich meine Ansprüche an dich aufgegeben habe."
Da sprang Joram auf und drohte: „Aber jetzt hinaus aus diesem Zelt! Wenn du mich
auch bald totgeschlagen hast, ein zweites Mal geschieht es nicht! Dass du es
weisst: es könnte auch der Spiess umgedreht werden! Nur ein Wort an meine
Leidensgenossen und du wirst von uns bewacht! Ich weiss, dass Elim dich
freigemacht hat. Ich weiss, dass ihr gehandelt habt um Ruth. Ich weiss aber
auch, dass Gott wacht und deine Verbrechen gesühnt haben will! Darum verlasse
uns, sonst rufe ich alle Mitgefangenen zum Kampf gegen dich auf."
Und so verliess Assir das Zelt und sprach zu Elim: „Die drei können uns
gefährlich werden, sie wissen, dass du mich freigemacht hast, und dass das
Mädchen der Preis sein soll!"
Elim aber lächelte höhnisch und sagte: „Mein Freund, es geht nicht um mich,
sondern um dich! Bringe mir das Mädchen und ich erfülle dir jeden Wunsch! Wenn
nicht, stelle ich mich auf die Seite der Gefangenen, und das übrige kannst du
dir denken."
„Also auch du", sprach ganz erbost Assir, „bist auf die Seite meiner Feinde
getreten? Das wirst du teuer bezahlen müssen!"
„Nicht teurer wie du", spottete Elim, „entweder du erfüllst dein Versprechen
oder ich handle nach eigenem Ermessen. Du bist ein Teufel, ich nicht minder;
aber du sollst erleben, dass ich doch noch ehrlich handeln kann. Um dir aber zu
beweisen, dass der alte Elim ein ehrlicher Mensch sein kann, hole ich mir die
Drei in mein Zelt und auf meinen Wagen. Willst du mich hindern, versuche es;
jetzt reut es mich, dich befreit zu haben!"
Elim
Elim liess Assir stehen, ging zu den Geschwistern und sprach: „Ich komme eben
vom Assir, der voll Gift und Galle gegen euch ist. Darum möchte ich euch in
meinen Schutz nehmen. Es reut mich gewaltig, ihm zur Freiheit verhelfen zu
haben."
Sprach Joram: „Du bist Elim und nicht viel besser als Assir! Wir werden deinen
Schutz nicht annehmen, da wir ihn nicht gebrauchen. So dich aber deine Handlung
reut und du uns dienen willst, so halte dich von Assir fern und vergiss, dass du
Ruth, meine Schwester, als Lohn für dein Verhalten ausgehandelt hast! Wir sind
Christen und können nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern wünschen,
dass auch du, so du vor einen Richter gestellt wirst, in Ehren bestehen kannst.
Wir wollen vergessen, was du vorhattest und vergeben dir deine Torheit. Um aber
Freunde zu werden, musst du versuchen, solche Verbrechen zu verhindern und deine
Goldgier bezähmen. Siehe, du wunderst dich, dass ich dies alles weiss? Ich weiss
aber noch mehr und zwar: dass Jesus Christus uns erretten und von euch
Rechenschaft fordern wird!"
Elim war wie stumm; nach längerem Schweigen erst sprach er: „Du magst Recht
haben, aber kann ich dafür, dass ich von meiner frühesten Jugend an in solchen
Ansichten erzogen bin und nichts anderes kenne als handeln und verdienen. Von
Jesus habe ich nicht viel Gutes gehört, denn dass Er den Tempel hasste und seine
Diener beseitigte, war doch bestimmt verwerflich. Viele frommen Juden hat Er zu
Abtrünnigen gemacht und das soll etwas Gutes sein? Ich fürchte Ihn nicht! Ich
kenne Ihn nur als Aufrührer - und an Seine Auferstehung glaube ich nicht!"
„Elim, du sprichst wie einer, der nichts Besseres weiss", erwiderte Joram,
„darum verzeihe ich dir! Würdest du aber erleben, was wir erlebt haben, würdest
du vielleicht deine Meinung ändern. Wir jedenfalls haben vom Tempel zu Jerusalem
und seinen Dienern noch nie etwas Gutes erlebt und der Hochmut und die Habsucht
der dortigen Priester ist fast nicht zu beschreiben! Nun wir durch Christum
Jesum die Wahrheit über Gott und sein ewiges Wort empfangen haben, sind uns auch
die Augen aufgegangen über das Haus Jehovas und seine getreuen Diener. Das beste
Zeugnis aber hat mir der Priester Assir auf meinen Rücken geschrieben und
solange ich diesen Leib trage, kann es mir keine Kunst der Erde wieder abnehmen.
Und nun frage ich dich, kannst du mir einen Fall nennen, wo ein Christ so
gehandelt hat wie Assir an mir? Ich verlange nicht, dass du ein Christ wirst,
denn du kannst es nicht, weil sich dein ganzes Inneres wehrt, Jesum als den
Messias anzuerkennen. Aber so du an Moses glaubst und seine Gesetze als
Gottes-Gesetze anerkennst, warum richtest du dich dann nicht darnach? Wir
Christen leben nach der Lehre Jesu und Seinen Liebe-Gesetzen!"
Aus dem Lager ertönten laute Rufe; Assir hatte die zurückkehrenden Wasserholer
kommen sehen, ging eilends auf sie zu und schalt nun Asa, das Lager ohne
genügend Schutz verlassen zu haben.
„Wer hat Assir befreit?", fragte Asa erregt die Zurückgebliebenen. „Ist das die
Treue, die ihr mir gelobt habt, bis wir einen neuen Truppführer haben?" Und zu
Assir gewendet, sprach er: „Dir leisten wir keinen Gehorsam mehr, denn du hast
Missbrauch getrieben mit deiner dir verliehenen Macht!"
„Asa schweige!", drohte Assir, „du bist der Störenfried und wirst dich vor dem
Rat zu verantworten haben! Du hast deinen Eid gebrochen und die vom Tempel
Beauftragten zur Untreue bewegt. Wenn du schon vor mir als Mensch keinen Respekt
mehr haben konntest, so musstest du aber den Priester in mir achten, als
Beauftragten des Tempelrates, und dieses hast du vergessen!"
Asa, dem diese Wendung zu überraschend kam, war natürlich dem Assir nicht
gewachsen. Und da er zugleich die Unentschlossenheit seiner Kameraden sah,
fragte er sie ernst: „Wer von euch bekennt sich zu seinem Eid? Und wer von euch
will aufrecht erhalten, was wir beschlossen hatten?"
Keiner sagte ein Wort - und ein Blick auf Assir sagte ihm: es ist vergeblich,
noch etwas zu erwidern. Er sah ein, Assir hatte durch die Einfalt der Anderen
gesiegt und so sagte er zu ihnen: „Ich entbinde euch von dem mir gegebenen
Versprechen, obgleich ihr es sicher bald bereuen werdet!"
Assir sprang hin zu Asa und schrie: „Schweige, sonst machst du dich des Aufruhrs
schuldig! Ich habe dich nicht zu richten, aber das Lager steht dir offen, du
kannst gehen, wohin dich dein Sinn führt."
Asa's Umkehr
Asa ging nach dem Zelt des Elim, der tief erschrocken diesen Vorgang beobachtet
hatte und ganz zerknirscht sagte: „Dein guter Wille hat auch dir einen Streich
gespielt, wie er mir einen gespielt hat, denn ich habe Assir befreit."
Nun kannst du auch die Folgen tragen", entgegnete ihm Asa, „ich fürchte, grausam
wird er sich rächen! Gib mir ein Maultier, dass ich das Lager verlassen kann,
ich fühle mich nicht mehr sicher!" Elim aber bat: „Bleibe lieber in meiner Nähe,
wir warten das Weitere erst ab." Und so geschah es.
Der Tag verging langsam, die Christen erhielten wie früher ihr Essen und im
Lager herrschte wieder der alte Geist. Assir war innerlich voll Hass; äusserlich
aber ruhig und schickte die Leute mehrmals nach Wasser, bis der Vorrat wieder
aufgefüllt war, dann ging er zu Elim und sagte ganz freundlich: „Also, lieber
Elim, ich wäre wieder soweit, dass wir ans Abbrechen denken können; hier können
wir nicht länger liegen bleiben!" Elim sprach kalt: „Spanne ruhig deine
Gefangenen an deine Wagen, meine Tiere jedenfalls nicht, über die habe ich das
Eigentumsrecht. Löse dein Versprechen ein und ich stehe weiter zu Diensten. Zu
diesem Mädchen aber verlange ich noch die beiden Brüder hinzu, dies ist mein
letztes Wort!"
„So? Und ich sage dir: morgen früh stehen deine Wagen abfahrtbereit; wenn nicht,
wirst du gezwungen werden!", entgegnete Assir. „Du scheinst vergessen zu haben,
welchen Gehorsam du dem Tempel schuldest!"
Antwortete Elim mit innerer Ruhe: „Da hast du Recht, aber du scheinst dich in
einen gewaltigen Irrtum verstiegen zu haben und bildest dir ein, du seiest der
Tempel. Nein, Assir, ein Räuber bist du und Lügner zugleich. Wie hast du heute
morgen gebettelt, ich solle deine Fesseln lösen; einen heiligen Eid hast du
geschworen, doch jetzt, wo du frei bist, zeigst du deinen wahren Charakter.
Gehe, sonst rufe ich meine Knechte!"
„Versuche es!", zischte Assir, „meiner Leute bin ich wieder sicher! Willst du es
wirklich darauf ankommen lassen und mir Trotz bieten? Du weisst, mein Arm reicht
weit, und dies alles um dieses Mädchens willen?" Assir ging, er wusste, er hatte
gewonnenes Spiel.
Als die Sonne sich neigte, umzog sich der Himmel, schwarze Wolken jagten schnell
vorüber und endlich entlud sich unter Blitz und Donner und strömendem Regen ein
schweres Gewitter. Assir war voll Furcht in das grosse Zelt der Gefangenen
geeilt, die in den Ecken hockten und um Schutz und Beistand beteten. Leicht wäre
es ihnen gewesen, ihren Peiniger jetzt zu überwältigen, er wusste es, aber ihre
lange Haft hatte sie völlig mutlos gemacht.
Als das Gewitter sich verzog, alarmierte Assir sofort seine Leute und liess alle
Männer wieder fesseln, zum Dank, dass er unbehelligt blieb. Elim kam mit seinen
Knechten und holte die drei Geschwister in sein Zelt, er war besorgt um sie, die
ihm verzeihen konnten. Assir sagte nichts. Ich kann warten, dachte er, in Sidon
ist Abrechnung! Die Geschwister fanden den Asa in dem geräumigen Zelt, und Ruth
fragte, warum er sich vor Assir versteckt halte. Mit kurzen Worten erfuhren sie
die Wahrheit darüber und so sagte Joram: „Du warst wie ein Freund zu uns, darum
erfahre, dass wir wissen: unsere Freunde sind schon auf dem Wege, uns zu
befreien! Rufe doch Elim herein, dass wir die Sache besprechen und keine
unnötige Aufregung entstehe."
Elim kam und wurde auch eingeweiht, doch gebeten, vorläufig in alle Wünsche
Assirs willig einzugehen. „Es können höchstens noch 2—3 Tage vergehen, dann ist
Hilfe und Erlösung da. Nötig ist nur, da Assir vom Wege abweichen wird, ein
Verbindungsmann; es kann aber auch sein, dass einer unserer Freunde in der Nähe
ist und das Lager beobachtet."
Sprach Asa: „So könnte ich das Lager still verlassen und Umschau halten. Wie
nennt sich dein Freund?"
„Bernhart ist sein Name, und ist ein grosser Menschenfreund! Suche ihn in
Richtung der Wasserquelle. Findest du niemand, so ist für uns die Hoffnung
grösser, denn dann sind alle auf unsere Rettung bedacht."
Eilig entfernte sich Asa, denn nach der Elim-Seite hin waren keine Wächter
aufgestellt. Nützen wollte er die Zeit, ehe es ganz finster wurde und bemerken
würde Assir sein Fehlen ja auch nicht. So eilte er vorwärts, auf einmal wurde er
von zwei Männern angehalten; es war Bernhart und ein Knecht, die das Lager
scharf beobachteten. „Wohin des Weges? Es geht auf die Nacht zu!" „Bist du
Bernhart, den ich suche?", fragte Asa froh. „Ich gehöre zu denen im Lager, bin
aber glücklich ausgeschieden; ich muss aber wissen, wer ihr seid!"
„Ja, ich bins", sprach Bernhart, „wir lagern ganz in der Nähe und hoffen auf
baldige Hilfe. Der Wüterich ist ja wieder im Besitze seiner Allgewalt, da ist
mir eigentlich bange um Ruth." „Nicht nötig", antwortete Asa, „wenn du willst,
hole ich euch das Mädchen und auch ihre Brüder, aber so bald Hilfe kommt, wäre
es für euch eine unnötige Belastung."
Sagte Bernhart: „Daran erkenne ich, dass du uns Freund bist. Aber wie wäre es,
so wir im Lager das Gastrecht in Anspruch nehmen würden? Wir wären da und
könnten mit offenen Augen und Ohren Dinge gewahren, die uns vielleicht dienlich
sind." Sprach Asa: „O Freunde, ich rate nicht, denn Assir ist misstrauisch und
habsüchtig. Er hätte keine Ruhe, so er nicht euer ganzes Gepäck durchforscht
hätte. Ich bin der Meinung, ihr verlasset euren Späherposten, lagert hinter dem
Lager und folget morgen früh dem Karawanenzug. Es muss den Anschein haben, als
wisst ihr garnichts von diesem Lager, die Posten bewachen ja nur die Gefangenen.
Sollte Gefahr im Anzüge sein, so werdet ihr durch den Lärm sowieso gewarnt."
Sprach Bernhart noch: „So kehre zurück und verkünde ihnen die Freude: Gott, der
Herr, ist um eure Rettung bedacht!"
Lautlos bewegte sich Asa wieder zurück. Die Feuer loderten auf von dem Holzstoss
in der Mitte des Lagers und so sah er, wie Assir um die Zelte des Elim
herumstieg. Er verhielt den Schritt und war neugierig, was derselbe eigentlich
wollte. Asa erschrak, die drei Freunde waren sein Ziel, sie könnten sich
verraten. Und schnell ging er dem Lager zu, doch so, dass er bemerkt werden
musste. Assir schaute hin und fragte laut: „Wo kommst du her? Was hast du im
Walde zu suchen?"
„Nichts, das dich angeht", entgegnete Asa kühl, „doch ich weiss, warum du hier
herumspionierst: du möchtest das Mädchen überwältigen! Aber nun bin ich ihr
Wächter, da ich in Elims Dienste getreten bin."
Assir wandte sich stolz um und ging zum Feuer. Asa meldete im Zelt: „Ich bin
wieder zurück und habe euren Freund Bernhart getroffen! Er lässt dir, Ruth,
sagen: Gott, der Herr, ist bedacht auf Rettung!"
„O Gott! Sei gelobt und gepriesen! In mir wollte schon wieder Angst aufsteigen,
aber nun will ich ruhig sein — und glauben!"
Asa sprach: „Schlafet ruhig, ich wache! Und sollte der Schlaf mich überwinden
wollen, dann wecke ich einen von euch, wach muss einer sein! Und hier sind zwei
Schwerter für den Notfall, die ich mir schon am Nachmittag besorgt habe. Ich
traue dem Fuchs nicht. Und nun schlafet, dieweil ich wache!"
Asa setzte sich vor das Zelt und hatte nun Zeit, über sein früheres Leben und
seine Zukunft nachzudenken: „Was war mein Leben im Dienste des Tempels und der
Priester? Ein Verhärten meiner Gefühle und Empfindungen! Und wie stehe ich nun
vor mir? Wie ein verdorbener Mensch, der nicht wert ist, geachtet zu werden! Wo
wird meine Mutter und meine Schwester sein? Seit Jahren bin ich von ihnen
getrennt. O Gott, gibt es für solch verirrte Menschen auch noch Hilfe und
Errettung? Wie musst Du, Gott, Deine Gläubigen lieben, wenn Du ihnen sagen
lässt, Du seiest bedacht auf ihre Rettung! Ich glaube, Du, Gott, bist überall,
nur nicht in Deinem Tempel und den Synagogen. O wie müssen Dich jene Gefangenen
lieben, wenn sie sogar ihr Leben für Dich aufs Spiel setzen!"
Im Lager war inzwischen vollständige Ruhe eingetreten, da hub ein Singen an aus
einem Zelte, in dem die Frauen schliefen. Dies klang so schön, so lieblich, wenn
auch die Worte nicht verständlich waren, aber die Töne drangen ihm so ins Herz —
er musste weinen. Dann schaute er empor zum Sternenzelt, welches in wunderbarer
Pracht leuchtete und strahlte, und dachte: „O Gott! Für wen hast Du eigentlich
dies alles geschaffen? Für die Menschen wohl nicht, denn wie wenig achten sie
auf die Schönheiten Deiner Werke!" Immer mehr vertiefte er sich in die
Geheimnisse, die Gott und Seine Schöpfung umgeben; aber plötzlich konnte er
nicht weiter denken; denn die Gegenwart, in der er lebte, war zu schrecklich.
„Herr, alles atmet Friede, die Sterne, die Natur, nur die Menschen nicht! Warum
nur lässt Du ihre Schlechtigkeiten zu? Deine eigenen Kinder, Deine Dir Getreuen
sind die Leidtragenden dabei! O gib mir Aufschluss! Wenn ich nur an den Assir
denke, bin ich am Ende meines Glaubens an Dich!"
Er stand auf, ging um das Zelt, schaute hinein und sah, dass die drei nicht
schliefen, so sprach er: „Wenn ihr nicht schlafet, könnten wir uns in dieser
herrlichen Nacht vor dem Zelt unterhalten, denn ich bin nun schon so weit
gekommen, dass ich an Gott zweifeln muss!" Diese horchten auf und wunderten
sich, Asa so reden zu hören. Vor dem Zelt sitzend, sprach Joram: „Lieber Freund,
dein letztes Wort sagt uns, dass du in einen Konflikt mit dir selbst geraten
bist, indem dein stilles Verlangen nach wahrem Frieden dich das Unstete deines
bisherigen Lebens empfinden lässt."
„Du nennst mich Freund?", fragte Asa erstaunt, „und ich war dir doch Feind!" Und
bewegt erzählte er, wie eine innere Umkehr in seinem Denken stattfinden wollte,
dann aber vor seinen Gedanken eine dunkle Wolke stand. „Sehet, alles in der
Natur ist erfüllt von Frieden, Ordnung und Schönheit; alles verkündet die
Weisheit eines grossen, wunderbaren Schöpfers! Als ich aber mich betrachtete,
die ganzen Bilder der letzten Woche, ja Jahre, vor meinen Augen abrollen liess,
da musste ich mir sagen: Bei den Menschen trifft dies alles leider nicht mehr
zu, denn sie trachten nur darnach, ihr Leben schöner zu gestalten, auf Kosten so
vieler Leidtragender! Wo ist da Gott? Wo bleibt Seine Weisheit? Seine Allmacht?
Ich bin am Ende, weiss keinen Ausweg mit meinen Gedanken und möchte doch nicht,
dass dieses mein Leben so weitergehen soll."
„Lieber Freund Asa, es ist gut für dich, so dich solche Gedanken bewegen; dies
ist der Beweis, dass Gott um dich wirbt und dich mit Seinem Geist umgibt. Was du
suchst, haben Tausende vor dir schon gefunden! Sie haben redlichen Herzens nach
einer befriedigenden Antwort gesucht und hüten nun still das ihnen Offenbarte
wie ein Heiligtum! Nur eines möchte ich dir sagen: du beurteilst alles nach dem
Schein, aber nicht nach dem Sein. Du hast Kenntnis von Gott, aber kennen tust du
Gott nicht. Du stossest dich jetzt an Wirkungen, aber du magst nicht nach den
Ursachen forschen! Siehe, mein lieber Freund: es würde jedes Wort nutzlos sein,
so du mir nicht glauben könntest. Frage dich aber selbst und erforsche dich, ob
du mir glauben kannst. Auch wir Bekenner Jesu haben uns erforschen müssen, ob
wir Ihm glauben wollen. Siehe, einem Menschen voll von Irrtum, Irrlehren und
verkehrten Begriffen ist schlecht predigen. Es würde uns ergehen wie einem
Landmann, der einen neuen Acker kaufte und beim Umackern gewahrt, dass derselbe
voll Unkraut ist. Würde der nicht ein Tor sein, der in diesen Acker guten Weizen
legen würde? Er würde sich sagen: ich muss erst den Acker von dem Unkraut
reinigen und darum den Weizen für das nächste Jahr aufsparen.
So geht es auch mir — mit dir. Dein Herz ist voll von Irrlehren und falschen
Begriffen; es befriedigt dich nichts mehr, und du möchtest jetzt den letzten
guten Gedanken an Gott noch vernichten. Jedes Wort von mir, wie wahr es dir auch
augenblicklich erscheint, würde bald von dir in Zweifel gezogen, weil dein alter
Mensch sich nicht erneuern lassen will! Wohl oft hättest du Gelegenheit gehabt,
der Wahrheit tiefsten Sinn zu erfassen, aber du wolltest es ja nicht! Der
Antrieb, dich selbst ernstlicher zu erforschen und das dir Fehlende zu ergänzen,
wird dir aber nicht recht gelingen, so du nicht an Gott und Seinen alles
durchdringenden Geist glauben willst."
Sprach Asa: „Ich habe dich gut verstanden, den letzten Satz aber: ich solle an
Gott und Seinen alles durchdringenden Geist glauben, kann ich nicht erfassen,
denn wie sollte ich an Gott glauben können, den mir die seinwollenden
Gottesdiener raubten? Wenn Gott nur etwas von Seinem alles durchdringenden Geist
Seinen berufenen Dienern offenbart hätte, müsste ich etwas davon im Tempel
erlebt haben!"
„Lieber Freund, du bist verbittert", entgegnete Joram, „bedenkst aber nicht,
dass doch so mancher ehrliche Gottesdiener seine Pflichten und Aufgaben treu und
gewissenhaft erfüllte. Denke zurück, was du über den letzten Hohenpriester
Zacharias gehört hast. Diesem Menschen war es gegeben, nicht mehr aus sich,
sondern nur aus dem alles durchdringenden Geiste aus Gott zu reden! Dieser
Hohepriester, der Letzte seiner Art, verkehrte oft mit Engeln, wie wir jetzt
untereinander verkehren und holte sich bei ihnen Rat. Es gibt auch heute noch
viele Menschen, denen Gott das Höchste und Liebste bedeutet — und warum? Weil
sie sich durchdrungen fühlen von einem ganz neuen Leben aus diesem göttlichen
Geiste!
Du wirst nun fragen: Was ist denn dieser Gottes-Geist eigentlich? Dieser Geist
aus Gott ist das alles Sein durchdringende und alles Sicht- und Unsichtbare
umschliessende geistige Leben. Dieses Gottes-Leben umgibt uns wie die Luft uns
umgibt, unsichtbar, und doch absolut notwendig, denn ohne Luft müssten wir alle
sofort zu Grunde gehen. Ebenso müssen auch all die Seelen sich höchst
unglücklich fühlen, die ohne Gott und das neue Leben aus Ihm durch dieses
Erdenleben pilgern wollen.
Wo sich einem ehrlich suchenden Menschen Gottes Sein und Wirken in allem
Lebenden als Liebe, Weisheit und Kraft in herrlichen Ordnungsgesetzen offenbart,
kann der noch zweifeln am Dasein Gottes? Sobald sich unser inneres Auge erst
öffnet für all dieses heilige Leben rings um uns und unser Glaube es einmal
schauen und erfassen will, zeigt sich auch schon die Wirkung dieses
Gottes-Geistes uns fühlbar und bald auch sichtbar, als etwas uns Heiligendes!
Nur Menschen, die sich nie die Mühe gaben, darüber nachzudenken, wollen gern ein
eigenes Leben sich aufbauen. Ihre Ordnungen lehnen sich nicht an die göttliche
Ordnung und Weisheit, und so entstehen die grossen Disharmonien unter den
Menschen, die dir eben so klar vor Augen standen und dich am Dasein Gottes
zweifeln machten!"
Asa hatte diese Worte sehr aufmerksam in sich aufgenommen. Nach längerem
Schweigen fuhr Joram fort: „Es gibt im ganzen Lande hier nicht einen Menschen,
der nicht die Gesetze und die Ordnungen Gottes kennt, und doch leben so viele
lieber auf Kosten Anderer nach ihrer eigenen, ihnen bequemen Art. Ebenso, wie es
treue Gottesdiener gab, durchdrungen von den Wahrheiten der Gottes-Lehre, gibt
es auch ungetreue, die sich wohl Gottesdiener nennen, aber von einem ganz
anderen Geiste beherrscht sind. Aber unser Bestreben muss gerade dadurch
zunehmen, das schwindende Gottesleben mit allen Mitteln in uns selber und in
Anderen festzuhalten.
So war es bei mir! So ist es bei allen, die ehrlich bemüht sind, Gott getreu zu
bleiben! Und der Lohn blieb nicht aus. Das Bewusst-werden Seiner steten
Gegenwart schuf Wunder an neuen Kräften, stärkte den schwachen Glauben, erfüllte
das Herz mit froher Zuversicht und offenbarte immer mehr neues Leben in und aus
Gott. Seit nun Jesus Christus in mein Erdendasein trat, offenbart sich mir auch
Gottes Liebe, Gnade und Erbarmung und macht mich dadurch zu Seinem Kinde. Dass
wir hier jetzt so schwer leiden müssen, tut meinem Glauben an Gott keinen
Abbruch, weil Glaube erst durch Prüfungen zum lebendigen Glauben wird. Was im
Menschen durch solchen Glauben wächst, ist erst sein wahres Leben, ist sein
Eigentum, weil es ja durch Kampf errungen ist. Im Kampf Errungenes, das ist ein
wahres Gottes-Geschenk, weil die Kraft, mit der ich kämpfte, mir als
Gottes-Kraft bewusst ward!"
Joram schwieg plötzlich; er fühlte, diese seine Worte waren aus höherem Einfluss
gesprochen und er hatte selber noch darüber nachzudenken.
Asa hatte wie ein Hungriger alles tief in sich aufgenommen. Endlich sagte er:
„Ich glaube, ich könnte dich verstehen, da du als Mann zum Manne sprachst! Wie
würdest aber du, Ruth, mir darauf wohl antworten?" „Nicht viel anders", sprach
Ruth, „nur müsste ich dir noch sagen: „arm bist du, weil du diese Liebe Gottes
noch nicht kennen lerntest und bist doch dauernd an den Wundern heiligster Liebe
tagtäglich vorübergegangen. Ist es nicht ein Wunder, so die Menschen, denen auch
du Kerkermeister warst, dir nicht grollen? Ist es nicht ein Wunder heiligster
Liebe, dass wir, die wir dem Tode so nahe stehen, schon wissen: Rettung kommt
und ist sehr nahe! Ist es nicht Wunder über Wunder, dass gerade wir dich
unterweisen dürfen, in den Geist der erlösenden und erbarmenden Liebe einzugehen?
O mein Freund, ich habe die Wunder der herrlichen und heiligen Liebe erfahren!
Als ich gestern abend meine Schritte wieder zum Lager lenkte, wie wurde es mir
zuerst schwer! Als ich aber an meine Brüder dachte, die doch einen Zuspruch
brauchten, wurde mir wohler, und wie ich ganz unbehelligt ins grosse Zelt
huschen konnte, da erlebte ich das grösste Wunder der göttlichen Liebe, denn die
Botschaft: Hilfe ist nahe! löste in uns ein Dankgefühl gegen Gott aus, das uns
heiligte im wunderbarsten Schweigen! Wenn ich aber das tiefe Leid, welches ihr
uns zugefügt habt, bedenke, so war es wohl hart, sehr hart, und Vater wird noch
mehr leiden wie wir! Ist es aber möglich, dass dein Sinn sich ändert, um auch an
dieses hohe und herrliche Ziel zu gelangen, dann wäre auch das ein hoher Zweck
und ein Wunder dieser unserer göttlichen Prüfungen! Darum vergeben wir auch dem
Assir und hoffen, dass auch er sich noch Anderen möchte!"
„Wir wollen nicht von dem Anderen sprechen", antwortete Asa, „sondern bei
unserem Thema verbleiben. Wer weiss, wo ich morgen sein kann, da mich Assir
vernichten möchte! Darum möchte ich fort, sobald ich kann, am liebsten zu
Bernhart, und in seinen Dienst treten. Bei ihm könnte ich wohl den Frieden
meines Herzens finden!"
Sprach der ernste Joseph: „Asa, du warst uns kein Kerkermeister und hast allen
ihr schweres Los nicht schwerer gemacht. Dafür möchte ich dir danken und zwar,
wenn du willst, so kannst du bei meinem Vater in Dienste treten, wir würden
Freunde, sogar Brüder werden! Bemühe dich um nichts, bleibe bei uns, bis die
Rettung kommt, dann ziehst du mit uns und kommst mit Assir nicht mehr zusammen.
Der Geist im Hause meines alten Vaters ist derselbe wie bei Bernhart, es ist der
Geist des Glaubens und der Liebe. Bei uns ist keiner Herr und keiner Knecht; der
Vater ist das Oberhaupt und der Überwachende, wir alle aber sind gleichen
Sinnes, keiner mehr und keiner weniger. Uns freut unser Leben! Sorgen hat wohl
jeder einmal, aber wir tragen Freude wie Leid gemeinsam und fühlen uns stets
geborgen in der grossen All-Liebe und All-Erbarmung unseres Heilandes Jesus
Christus! Unsere Hoffnung auf Befreiung wird sich erfüllen, denn was Gott
zugesagt, hält Er gewiss! Und so sich die Feinde mehren würden wie Sand am Meer,
Gott lachet ihrer und wird allen beweisen, dass Er der Allmächtige ist!"
In diesem Augenblick sprang Assir vor das Zelt, wo die Vier sassen und schrie
voll Hohn: „Ich werde euch beweisen, dass Gott nicht lachen wird und werde Gott
beweisen, dass ich noch bin!"
Assir wollte sich auf Asa stürzen, der ein Schwert in die Hand nahm, da sagte
Ruth: „Lasse dein Schwert in Ruhe, Gott bedarf solcher Waffen nicht! Eben
erlebten wir die Weihe Seiner Gegenwart, darum wollen wir warten, bis der Herr
wirkend eingreift!"
Assir, ganz voll Wut, gebot den Wächtern, die Vier zu fesseln und kein Auge von
ihnen abzulassen und drohte: „Ich werde ihren Gottesglauben schon zunichte
machen!"
„Tue es immerhin", sprach Joseph sehr ernst, „wir werden ja erleben, wer Recht
behält!"
„Schweig!", gebot Assir, „sonst lernst auch du mich kennen, wie dieser da!"
Rasch waren sie gebunden; Asa empfand heftige Schmerzen und stöhnte laut, aber
Ruth tröstete: „Auch ich empfinde Schmerzen, die fast unerträglich sind, aber
klagen, nein, das dürfen wir nicht, damit wir denen draussen den Triumph nicht
gönnen. Sondern der Triumph gehört unserm Gott und Herrn Jesus Christus!" So
kauerten sie zusammen und sehnten den neuen Tag herbei.
Die Befreiung
Im Lager ward es früh lebendig. Assir war plötzlich wieder überall, und mit
Eifer trieb er seine Leute zur höchsten Eile an. Im Wagen des Elim durcheilte
ein Schreck die Leute, man rief und suchte nach ihm, nichts war zu erfahren —
Elim blieb verschwunden! Assir aber tat, als bemerke er nichts davon: „Rasch die
Tiere füttern und dann weiter, weiter!" —
Bereits vier Stunden fuhr die Karawane, als das Gebirge links liegen blieb und
Assir aus Vorsicht vom geraden Wege nach Sidon abwich, um in eine buschige Ebene
einzubiegen. Er sprang vom Wagen, um die Karawane an sich vorüberziehen zu
lassen. Da erfasste ihn ein Schrecken — mit Sturmgebraus kam eine Schar
bewaffneter Reiter und forderte zum Halten auf. Am liebsten wäre er geflohen,
aber wohin in dieser Buschwüste? „Wer ist hier der verantwortliche Führer?",
rief Achibald, denn dieser war es, der die Karawane eingeholt hatte. „Hier, ich
bin es!", sprach Assir stolz. „Seit wann ist es denn Sitte, dass friedliche
Karawanenzüge angehalten werden? Es sieht aus, als wolltet ihr Gewalt
anwenden?!"
Achibald war vom Pferde gesprungen und sagte kalt: „Seit Räuber und Mörder die
Lande durchziehen, macht es sich nötig, zu kontrollieren. Die Herren im Lande
sind wir Römer und hier ist meine Vollmacht! Bitte, mit welcher Fracht sind
diese Wagen beladen?"
Entgegnete Assir: „Ich lasse mich nicht kontrollieren, da ich im allerhöchsten
Auftrag handele; hier ist meine Vollmacht!"
Achibald nahm das Schreiben, steckte es in seine Tasche und sagte: „Hättest du
ein reines Gewissen, so hättest du sofort in eine Kontrolle eingewilligt, weil
du sie aber verweigerst, so werde ich dieselbe durch meine Leute vornehmen
lassen; aber erst werde ich mich deiner sichern."
Auf einen kurzen Wink erhielt ein Soldat den Befehl: „Fessele diesem Mann die
Hände auf dem Rücken und schone ihn nicht, so er sich durch Flucht der
Gefangennahme entziehen will!" Mit kräftigem Griff fasste der Mann zu und im
nächsten Augenblick war Assir ein Gefangener!
Jetzt kam Bernhart herangeritten und meldete: „Bruder, der Kranke ist aus seiner
schweren Ohnmacht erwacht und klagt Assir an!" —
„Wer ist Assir?", fragte Achibald, „er mag freiwillig vortreten." „Assir war
unser Anführer und liegt dort gefesselt", entgegnete ein Wächter. „Dann ist es
gut", sprach Achibald, „der entgeht seinem Schicksal nicht mehr." Nun begann die
Kontrolle, wobei die Gefangenen sogleich von ihren harten Stricken befreit
wurden.
Bernhart eilte an die Wagen und rief: „Ruth! Ruth!" Aus einem Wagen erscholl:
„Hier! Hier sind wir!" Rasch waren die Fesseln gelöst, aufjubelnd fiel Ruth dem
Bernhart in die Arme, dann kniete sie im Sande nieder und betete laut. Andächtig
sahen die anderen Befreiten zu und endlich begriffen auch sie: dies ist die
Rettung! Knieend dankten sie nun alle für diese wunderbare Hilfe und unter
Weinen und Schluchzen beendeten sie ihr Gebet.
Achibald war tief erschüttert; ein grosses Glücksgefühl durchströmte ihn und so
betete auch er: „O Gott! Wie danke ich Dir, dass ich diese Stunde erleben
durfte! Aber nun Du mir so huldreich Deine ewige Güte bewiesen hast, so gib mir
auch den rechten Verstand, um diesen heiligen Auftrag in Deinem Sinne zu Ende zu
führen!"
Achibald nahm nun den Asa in ein ernstes Verhör. Er wollte klar sehen, um
restlos den ihm geoffenbarten Willen Gottes zu erfüllen. Aus Rücksicht auf die
Anderen hatte er die drei Abgesandten der Karawane, die ihn hierher führten, bei
dem schwer verwundeten Elim zurückgelassen, damit auch nicht der geringste
Schein des Verrates auf dieselben fallen sollte.
Als die Leute etwas gegessen hatten, ging es zurück nach dem alten Lagerplatz,
wo ja genügend Wasser in der Nähe war. Assir musste die ganze Strecke laufen;
mit einem festen Gurt um den Leib ward er an das Pferd seines Wachmannes
gebunden und als er sich störrisch zeigte, erhielt er einen Hieb auf seinen
nackten Rücken. Alles dauerte aber länger wie gedacht, und erst am späten
Nachmittag konnten die Zelte wieder aufgebaut werden. Elim lag in schwerem
Fieber und für Ruth begann sogleich ihre Samariter-Tätigkeit, die dem Achibald
stille Bewunderung abzwang.
Nach einem gemeinsamen Mahl rief Achibald alle zusammen und fragte: „Was soll
nun mit euch geschehen? Ich bin beauftragt, alles zu lösen, dass ihr selbst und
auch Gott, euer Herr, voll befriedigt sein kann. Die Knechte des Elim scheiden
aus, da sie sich ihm verpflichtet haben; es handelt sich zuerst um euch, die ihr
dem Tempel verpflichtet seid. Ich könnte euch bestrafen wie euren Anführer, aber
meine Freunde haben für eure Freiheit gebeten, darum, wer sich mir anvertrauen
will, soll es nicht bereuen.
Dann bat Bernhart, mit den Glaubensbrüdern über ihre Zukunft zu reden und bald
war auch dieses alles geordnet, denn kein einziger hatte den Wunsch, in die alte
Heimat zurückzukehren, der Templer wegen! Die Frauen aber hatten überhaupt keine
Wünsche mehr, mit denen beschäftigte sich Ruth.
Glückselig rief Bernhart aus: „Mein Bruder, mein Herz brennt vor Liebe und
Glück, wenn ich bedenke, wie viel Leid nun in Freude verwandelt ist! Ein Herz
voller Liebe, und es löst sich alles wie von selbst. Alle, die zu mir ziehen
wollen, nehme ich mit Freuden auf, und Joseph und Joram nehmen gern die Anderen,
denn fleissige Hände sind überall zu gebrauchen!"
„Damit bin ich einverstanden!", antwortete Achibald, „so nehme ich nur den Assir
und werde mich seiner bald entledigen."
Ruth
Ruth kam eilend in den Kreis und rief froh: „Elim ist gerettet! Das Fieber ist
gewichen, er ist ruhig eingeschlafen."
Verwundert fragte Achibald: „Wie konnte dieses so schnell geschehen? Wundfieber
ist schwer zu beseitigen und endet oft mit dem Tode."
Sagte hierauf Ruth: „Ja, Elim wäre wohl auch gestorben, wenn der grosse Heiland
Jesus ihn nicht geheilt hätte! Der erste Blick auf ihn sagte mir: Hier kann nur
noch Gott helfen! Und so betete ich solange zu meinem Jesus, bis ich innerlich
die Gewissheit erhielt: Er wird gerettet werden! Unaufhörlich sprach Elim im
Fieber und machte sich Vorwürfe über sein verkehrtes Leben, da legte ich
betenden Herzens meine Hand auf seine heisse Stirn und ich erlebte aufs Neue —
Jesu Gegenwart! Elim wurde ruhiger und sagte noch: „O diese schönen Hände — und
doch blutig, aber wie kühler Tau fächeln sie mir Linderung zu! Ziehe doch diese
Hände nicht mehr weg, Du Lieber — Lieber! Jetzt schläft er, darum wollen wir
unserm Jesus danken, recht innig danken für das neue Wunder Seiner Liebe!"
Achibald war ganz erstaunt — noch nie hörte er solche lieblichen Worte, dann
fragte er doch: „Meine liebe Ruth, bist du der festen Überzeugung, dass der
Heiland Jesus dir so nahe war, dass du Seine Gegenwart empfinden konntest, oder
könnte es auch eine Sinnestäuschung gewesen sein? Ich frage nicht, um dein
Erleben herabzusetzen oder aus Neugierde, sondern weil ich anfange, mich auch
für Jesus Christus zu entscheiden. Ich möchte aber ganz sicher gehen; und so ich
mir eine Brücke baue vom Diesseits bis zu Gott, dem Ewigen, so soll dieselbe
mich und auch andere für Ewigkeiten tragen!"
Ruth antwortete freundlich: „Sinnestäuschung kann es wohl für irdische Dinge
geben, aber für ewige Dinge nicht, weil ich ja mein ganzes Sehnen, Hoffen und
Lieben vom Irdischen weg und dem Ewigen zugewendet habe. Dabei habe ich mich
aber nicht von meinem Verstand und meinen Sinnen, sondern nur von den Regungen
meines Herzens leiten lassen. Mein Herz aber kann nur Bejahung, Wonne und Glück,
oder Verneinung, Enttäuschung und Schmerz empfinden. Dass ich dieses Empfinden
schon öfter erlebte, danke ich eben meinem Jesus, meinem Gott und ewigen Vater!
Wenn du dich wahrhaft für Jesus entscheiden willst, dann stelle den Verstand
zurück und lasse deine Herzens-Regungen sprechen und du wirst dann, ohne noch zu
fragen, von der beglückenden Wahrheit Seiner Gegenwart überzeugt werden."
„Liebe Ruth, die ewige Liebe meint es gut mit dir und hat dich zu einem Rüstzeug
für ihre Wesenheit gemacht! Aber nun stelle ich an dich noch eine Frage, ob du
sie beantworten kannst oder nicht, wird meinen Entschluss nicht beeinflussen! Es
handelt sich nämlich darum: ich kenne Jesum nur vom Hörensagen und habe mich
noch nicht viel mit Ihm beschäftigt und so ich nun in die Reihen Seiner Bekenner
trete, fehlt mir noch so Vieles und Wichtiges! Ja, ich fühle mich auf einmal so
unwissend, obschon Cornelius viel und oft von Jesus geredet hat.
Siehe, was habe ich von Jesus, da Er ja ein Bewohner der Himmel und uns
Erdenmenschen nicht mehr schaubar ist! Wie könnte ich nun mit Gewissheit
feststellen: Er ist bei mir? Soll ich mich mit dem Glauben begnügen, weil Sein
Mund einmal gesagt hat: ,Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!' oder
soll ich mir lebhaft vorstellen, Er sei bei mir? In mir lebt noch manches von
unserm Göttertum, obwohl ich längst die Götter beiseite schob. Wenn du mir eine
befriedigende Antwort über Jesu Gegenwart geben könntest, würdest du mir eine
grosse Last abnehmen."
„Lieber Freund", antwortete Ruth, „du stellst tiefe Fragen, die ich dir wohl
gern beantworten will, aber nur so, wie ich es in meinem Herzen empfinde. Siehe,
Jesus, den ich in Seinem Erdenleben wohl gesehen habe, und habe auch Seinen
Worten gelauscht, war doch in meinen Erinnerungen so gut wie ausgelöscht. Was
denkt ein so junges Menschenkind von 13 Jahren viel an Dinge, die weit in die
Ewigkeit hineinragen! Wohl bedauerte ich diesen lieben Menschen, als die Kunde
unser Land durcheilte, Er sei am Kreuz gestorben! Und wieder erscholl eine
Kunde, Er sei von den Toten auferstanden! Ungläubig hörten wir diese Reden an,
bis später einige Männer zu unserm Vater kamen und erzählten, Er sei wahr und
wahrhaftig ihnen erschienen und sie hätten nun von dem auferstandenen Jesus den
Auftrag erhalten, allen zu verkünden: Er lebe!
Lieber Freund, nun hatten wir keinen sehnlicheren Wunsch, als Jesus, den
Auferstandenen, auch zu sehen! Allabendlich beteten wir gemeinsam: „Herr,
würdige uns Deines Besuches, unsere Herzen brennen vor Verlangen, Dich noch
einmal zu schauen und von Dir gesegnet zu werden!
Immer inniger wurde das Verlangen, bis endlich der grosse, selige Augenblick
kam: Er war bei uns — mitten in der abendlichen Andacht, und segnete uns mit
Seinen durchbohrten Händen! Mit Seinen tiefen Augen blickte Er uns so voller
Liebe an und Sein Mund sprach die mir unvergesslichen Worte: ,Fürchtet euch nie
mehr, denn ich habe die Welt und allen Tod überwunden, auf dass ihr mit dem
Bewusstsein: Ich lebe, und ihr wollt durch Mich leben — ein neues Leben in euch
gestaltet, das da eins ist mit Meinem Leben! Mein Frieden und Mein Segen sei mit
euch! Ich gehe jetzt heim zu Meinem ewigen Vater, sonst könnte das neue Leben in
euch nicht erstehen!' Diese Worte sind mir geblieben! Noch manches sprach Er —
aber dies genügte mir voll und ganz.
Wenn ich nun Seine Gegenwart verspüre, bin ich wie losgelöst vom Erdendasein;
dieses erlebte ich am klarsten in der Nacht, da ich dem Assir entfloh. Finster
und allein im tiefen Wald, noch erfüllt von den Schrecken des zuvor Erlebten,
öffnete ich mein Herz Seiner grossen, helfenden Liebe und umklammerte im Geiste
Seine ausgestreckten Hände.
Da vernahm ich in mir die klaren Worte: ,Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir!
Halte fest deinen Glauben, dann kann Ich dir Retter sein!' Das Furchtbare meiner
Lage war verschwunden, ich fühlte mich wie eingehüllt in Gottes Liebe und wurde
ruhig und froh trotz meiner nicht beneidenswerten Lage und wusste: Seine Rettung
naht! Wenn dies Täuschung oder nur Vorstellung gewesen sein sollte, so weiss ich
nicht, wie ich zu dieser inneren Ruhe und diesem wunderbaren Kraftgefühl kam.
Und tatsächlich, wäret ihr nicht alle schon auf der Suche nach uns?
Ich denke, aus dem dir Gesagten hast du auch die Antwort erhalten und darum
wundere dich nicht, so wir dir vielleicht nicht genügend danken, da ja unser
aller Dank unserem Herrn und Retter Jesum gilt!"
In Achibald war es still geworden; die einfachen, schlichten Worte gingen tief
in seine nach Licht und Wahrheit hungernde Seele. Er war so tief ergriffen, dass
er aufstand und tiefer in den Wald ging. Die Männer und Ruth sahen sich ernst
an, dann sagte sie: „Lasst mich zu ihm gehen, er bedarf nur noch der Liebe,
Worte hat er genug vernommen!"
Sprach Bernhart: „Ja gehe, vielleicht gelingt es dem Herrn durch dich, ihn ganz
zu gewinnen!" Lautlos folgte sie dem Römer und sah, wie er sich auf den Boden
setzte und weinte. „O Gott", betete er leise, „Deine Liebe zersprengt mir fast
die Brust und doch steht mein vergangenes wüstes Leben vor mir, als wenn es mich
trennen wollte von Dir und Deiner Wahrheit und von Deiner Güte, die so
überwältigend ist!"
Da legte ihm Ruth leise die Hand aufs Haupt und fragte sanft: „Warum, mein
Bruder, machst du es dem Heiland so schwer; was bedrückt dich, dass du noch
kämpfen musst? Siehe, des Heilands Liebe gilt allen Menschen! Sie ebnet uns den
Weg zum alliebenden Vater-Herzen. Was dich so elend macht und dich wie einen
Sünder trennen möchte von Ihm, dem Über-Herrlichen, ist gesühnt auf Golgatha!
Nicht um Seinet-, sondern um unsertwillen liess Er dieses alles an Sich
geschehen! Und in diesem starken Glauben an Seine Liebe zu uns Menschen wird uns
Sein Erlöser-Geist zum herrlichen Geschenk!"
„Ruth", sprach Achibald, „du redest wie ein Engel, aber es ist zu viel des Bösen
geschehen! Kriege haben mich zu einem grausamen Menschen gemacht und schon von
Natur aus war ich härter wie ein Stein. Liebe strich ich aus meinem Herzen, ich
lebte nur nach Wahrheit und Gerechtigkeit; jetzt aber muss ich einsehen, das war
nicht Wahrheit, sondern Hartherzigkeit gegenüber denen, die Unrecht getan
hatten."
„Lieber Freund, der Herr sieht deine Reue und vergibt dir! Er fragt nur: Willst
du Mir nachfolgen, so glaube an Meine Liebe, die auch dich erfüllen will mit
Meinem Geiste! In diesem Geiste aber wirst du Vollzieher Meines Liebe-Willens!
Darum schaue jetzt auf das, was Ich mit dir will und nicht auf das, was die
Vergangenheit aus dir machte!"
Nach einer Pause erst sprach Ruth weiter: „Lieber Achibald, ich musste so zu dir
sprechen, weil ich nicht anders konnte! Kannst du aber diesen Worten den Glauben
entgegenbringen, dass es nicht meine Worte, sondern des Heilands Worte waren,
dann hast du in deinem Herzen die letzte Schranke zwischen Ihm und dir
niedergerissen." —
„Liebe Ruth, du gibst mir das Vertrauen wieder! Gelingt es dir nun, noch den
letzten Zweifel an die grosse All-Liebe von mir zu nehmen, dann kenne ich nur
noch den einen Weg: Hin zu Ihm! Siehe, wohl könnte ich glauben, Er hat meine
Schuld gesühnt und ich darf wie ein Befreiter wieder aufatmen! Aber das
Verhältnis ist doch dasselbe geblieben: Er, der heilige Gott! — und ich — bin
ein sündiger Mensch! Es könnte doch geschehen, dass ich wieder zurückfalle in
mein früheres Leben und vergesse: Er ist Gott! — und ich bin als Sein Kind nun
Ihm verpflichtet! Was dann?"
„Bruder Achibald, kümmere dich nicht darum, was werden wird, wenn der alte
Mensch wieder einmal auflebt. Wie die Sonne jedem neuen Tage Licht und Wärme
spendet und die Nacht zum Scheiden zwingt, so wird mit jedem Tage eine neue
Kraft, neue Lebens-Energie in dich einziehen und damit das Bild Seiner Liebe
schöner gestalten, sodass du immer wieder spürst, wie selig Seine Liebe macht!
Ich weiss nicht, ob du noch eine Mutter hast, ich habe schon längst meine Mutter
verloren; seit ich aber das Bild meines Jesus in mir trage, ist es mir, als wenn
ich eine zweite Mutter habe, die die Liebe meiner ersten Mutter mit übernommen
hat und darum darf ich nun Mutter — meinen Brüdern sein."
„Ruth! Du Liebe, jetzt warst du mir Engel und auch zugleich Mutter! Nie werde
ich diese Stunde und deine Hilfe vergessen, da ich mich ganz dem Einen
anvertrauen will, dem Gott die ganze Menschheit anvertraute! O jetzt wird es
lichter um mich, jetzt lerne ich das Walten Gottes begrüssen."
Sprach Ruth: „Nun lass uns umkehren, dass es auch die anderen erfahren, wie du
von Seiner immer helfenden und so froh machenden Liebe ergriffen bist!"
Als beide zurückkehrten, hörten sie schwermütige und liebliche Gesänge aus den
von Dank und Sehnsucht erfüllten Herzen der Befreiten, die diesem Abend eine
besondere Weihe gaben. Ruth ging zu dem Kranken. Er schlief und Asa wachte bei
ihm. Betend legte sie ihre rechte Hand auf seine Stirn, aber so zart, dass er
nicht in seinem Schlafe gestört wurde. Bernhart und Achibald waren ergriffen von
dem Bild, das sich ihnen hier bot: der verwilderte kranke Mensch und das zarte,
schöne Mädchen.
Als Achibald und Bernhart dann still in den Wald gingen, sagte er noch: „Mein
Bruder, dieses Kind muss ein Engel sein, wie klug sie ihren Glauben verteidigen
kann und wie stark ihr Wille zum neuen Leben ist!"
„Ja, Bruder", erwiderte Bernhart, „sie ist der gute Engel in ihrer Heimat,
überall, wo zu helfen oder zu trösten ist, da ist Ruth zu finden!"
Ursus
Die Beiden sprachen dann noch über ihre Erlebnisse aus früheren Jahren und
bemerkten nicht, wie weit sie sich vom Lager schon entfernt hatten. Als sie dort
anlangten, wo der Wald in den Busch übergeht, sahen sie in einiger Entfernung
eine Karawane lagern und wie geschäftige Leute hin- und hergingen; ein
interessantes Bild für die beiden Zuschauer.
„Wo mögen sie hinziehen wollen?", fragte Achibald, „sie können nicht von Judäa
kommen, sondern von einem Hafen am Meere."
„Gehen wir hin", antwortete Bernhart, „wir können beruhigter sein, wenn wir
wissen, wer unsere Nachbarn sind." So gingen die beiden ruhigen Schrittes hin;
es musste der Leiter der Karawane aber schon verständigt sein, denn er kam ihnen
entgegen und grüsste: „Der Friede sei mit euch! Seid willkommen in meinem eben
errichteten Lager!"
„Und auch mit dir, bis in alle Ewigkeit!", antwortete Bernhart. „Unser Lager
liegt hier ganz in der Nähe; aber wären wir nicht, in Gespräche vertieft, so
weit gegangen, wir hätten uns nicht treffen können."
„So bitte ich euch, seid jetzt meine Gäste", entgegnete überaus freundlich der
Fremde; „ich kann ja einen Boten hinsenden in euer Lager, damit die Eurigen ohne
Sorge sind;" und so geschah es.
Achibald nannte seinen Namen und sagte: „Unser Lager ist ganz besonderer Art,
denn wir haben keine Waren, sondern Menschen, die wir der Freiheit und der
Freude wiedergeben möchten. Ich bin römischer Soldat und stehe unter dem
Kommando des Hauptmanns Cornelius in Cäsarea. Dieser ist Bernhart, früher in
römischen Diensten und seit heute mein Freund. Er besitzt einen grossen Grund,
hat aber auf Veranlassung seines besten Freundes eine schwere Mission
übernommen, die nun fast restlos erfüllt ist, darum sind wir auf dem Rückwege."
„Ich bin Ursus, der Sohn und Vertraute des Demetrius in Rom und bin auf dem Wege
nach Jerusalem", sprach der Römer zu Achibald, „also sind wir ja Landsleute."
Sie schritten in das errichtete Zelt; hier sprach Ursus nochmals: „Herzlich
willkommen! Es freut mich, dass ich so liebe Gäste begrüssen kann."
In kurzer Zeit wusste Ursus um alles Geschehen aus dem Munde Bernharts, der
seine Rede schloss mit den Worten: „Voll befriedigt sind wir mit dem Erfolg, nur
die Wächter des grausamen Assir machen uns Sorge. Wir sind Christen und möchten
im Sinne des Heilandes Jesu handeln, aber dürfen wir ohne weiteres diesen Leuten
glauben? Gar zu vertrauensselig — hat schon manchem viel Leid gebracht."
Ursus, der die ganze Erzählung ruhig, aber mit grossem Interesse anhörte, sagte:
„O Freund, wenn du ehrlich besorgt bist um diese Leute, so kommt dir der Herr
mit Seiner Hilfe schon entgegen. Siehe, ich bin gern bereit, dir deine Sorge
abzunehmen, weil ich weiss, wenn ich nur den Willen habe, zeigt mir der Herr
auch den Weg! Auch ich liebe Jesus, den Auferstandenen, und habe Teil an dem
neuen Leben durch Ihn! Darum bemühe ich mich, alles an mich Herantretende in dem
Geiste Seiner Liebe zu ordnen!" So vergingen rasch einige Stunden und Ursus
versprach, morgen gemeinsam die Sache mit den Wächtern zu regeln.
Achibald war wie ausgewechselt. „Es wird der Liebe fast zu viel für mich! Dass
ich in einem jungen Römer solche Hingabe an Jesus erlebe, geht über meine
Begriffe. Morgen muss ich wissen, wie Ursus eigentlich dazu kam, Christ zu
werden! Dabei scheint er der Sohn eines reichen Kaufmanns zu sein."
Bernhart wieder war dankbar, dass der Herr ihm Ursus in den Weg führte, war es
doch wie göttliche Hilfe für seine Aufgaben! Im Lager der Befreiten war es ruhig
geworden; ganz unbesorgt gaben sich alle der Ruhe hin, weil sie wussten: Der
Herr ist jetzt unser Wächter!
Nur Assir verlebte schlimme Stunden. Von allen gemieden, allein in einem Zelt
und schwer bewacht, grübelte er, wie er sich befreien könnte. Seinem Wächter bot
er eine ungeheure Summe Geldes; dieser aber sagte: „Nein, dein Gold gehört
sowieso uns. Gib dir keine Mühe, ein Römer ist unbestechlich. Dich zu retten,
hiesse, mich ans Kreuz ausliefern!" Auf solche Antwort hin schwieg er nun, er
wusste, er hatte ausgespielt.
Bei anbrechendem Tage loderten schon hell die Feuer, an denen das Morgenmahl
bereitet wurde und Achibald war erfreut, solch munteres Leben zu sehen; seine
Soldaten waren mit ihren Pferden beschäftigt. Bald war das Mahl verzehrt, dann
wurde frisches Wasser besorgt, während Andere die Zelte abbauten und
kunstgerecht verstauten.
Auf einem herrlichen Hengst kam Ursus geritten und wurde freudig begrüsst von
Achibald und Bernhart. Sein erster Wunsch war, den kranken Elim sehen zu dürfen.
Beide begleiteten ihn, riefen Ruth heraus und fragten nach dem Befinden Elims.
Sie sprach: „Er schläft noch immer. Seine Wunde im Rücken habe ich seit gestern
abend nicht gesehen, denn, wecken mochte ich ihn nicht."
Ursus, der an das Lager getreten war, sprach ernst: „Den Mann kenne ich aber,
ein niedriger und habsüchtiger Charakter, der euch eure Liebe schlecht lohnen
wird."
Ruth schaute auf den jungen Römer und sprach mutig: „Mag er gewesen sein, wie er
will, unsere Liebe hat er verdient, da er uns dem Wüterich entreissen wollte.
Eben um uns zu retten, musste er das Opfer werden."
Ursus, der ganz betroffen Ruth anschaute, sagte: „Deine Worte sind mir ein
liebliches Geschenk! Nichts kann mich mehr beglücken, als so ich erfahre, dass
sich ein Mensch zum Guten entschlossen hat und durch sein Tun bekundet, es sei
ihm ernst!"
Elim musste durch das Reden erwacht sein, denn er bewegte sich und suchte mit
den Händen eine Stütze, um sich zu erheben.
Ruth war besorgt und sprach: „Bleibe noch ruhig liegen, wir helfen dir, so gut
wir können."
„Ja, wo bin ich eigentlich? Ich muss eine grosse Wanderung hinter mir haben, ich
bin noch sehr müde!"
„Denke jetzt an nichts, du bist in getreuen Händen, die alles für dich tun
wollen."
„Ich fühle mich nicht so sehr krank", sprach Elim, „nur noch etwas Schlaf, dann
geht es schon besser; wer sind denn diese drei Männer?"
„Es sind gute Freunde, die auch hoffen und wünschen, dass du so bald wie möglich
ganz gesund wirst."
„Gute Freunde? Wer das glauben könnte! Ich könnte einige gebrauchen, dass sie
mir helfen, denn ich habe eine weite Wanderung gemacht und habe all die Stätten
gesehen, wo man mir droht und mich verdammt! Nur nicht wieder dorthin müssen, es
war schrecklich!"
Ursus sprach zu Ruth: „Mache ein bequemes Lager und lasse mich Elim hinaustragen
in die Sonne, damit er in die Wirklichkeit zurückkehrt, seine Seele ist noch zu
sehr bei den Geschehnissen im Schlafe!"
Elim liess es gern geschehen. Ruth reichte ihm etwas Suppe und dann untersuchten
Ursus und Achibald die Wunde, die gefährlich aussah, aber normal zu verheilen
schien.
„Der Stoss muss aufgehalten worden sein", sprach Ursus zu Achibald, „sonst wäre
bestimmt innere Verblutung eingetreten. Könntest du nicht diesen Assir jetzt
holen lassen, damit er sieht, dass wir von allem unterrichtet sind!"
Als Assir vor den beiden Römern stand, wollte nochmals Trotz und Wut in ihm
aufbrausen, aber Achibald sagte streng: „Siehe hin, wie du Freundschaft
lohntest! Menschen, die andere belügen und betrügen, kann man vielleicht zu
Besserem erziehen, was soll ich aber sagen, wenn einer seinen Freund meuchlings
beseitigen will? Wir wissen alles! Was du aber nicht weisst, will ich dir sagen:
Dass auch Gott dies alles gesehen hat und weiss, wie du ihn verlästert hast!
Dieser Gott hat dich nun in unsere Hände gegeben und von uns wirst du gestraft
werden. Wie die Strafe ausfällt, weiss ich noch nicht, aber dieses weiss ich,
dass du nicht genug Tränen haben wirst, um deine Verbrechen zu büssen!"
Assir sprach stolz: „Was habe ich mit euch zu schaffen? So ich Verbrechen
begangen habe, verlange ich vor ein Tempel-Gericht gestellt zu werden! Ich
weigere mich, vor Heiden mich zu verantworten, ich habe in gutem Glauben
gehandelt!"
Achibald erwiderte: „Assir, es ist gut, wir handeln auch im guten Glauben! Wenn
du aber hoffst, vor Templer gestellt zu werden, so hoffst du vergebens! Dein
Mass ist voll! Die Tränen und all das Herzeleid und Weh, was du verursacht hast,
ist bis zu dem Thron Gottes gedrungen. Darum gab Gott Selbst uns die Anweisung,
dich unschädlich zu machen, also hoffe von uns Menschen nichts Gutes! Gutes
könnte dir nur von Gott kommen - und Diesen hast du verleugnet. Hast du uns noch
etwas zu sagen, so ist jetzt noch Gelegenheit, denn von mir wirst du kein Wort
mehr vernehmen!"
Assir schwieg. Achibald gab Anweisung, den Gefangenen fortzuführen.
Ruth sagte: „O Du guter Gott, welch eine Führung! Was mag ihm bevorstehen?"
Achibald sagte ernst: „Voraussichtlich das Kreuz! Es kann aber auch sein, dass
er auf einem Kriegsschiff als Ruderer angeschmiedet wird; dieses Los ist aber
noch trauriger als ein rascher Tod!"
„Achibald, mein Bruder", sprach Ursus, „erschrecke ihr Herz nicht! Wir wollen
sagen: Ihm geschehe jetzt, damit er noch gerettet werde und Anteil habe am
grossen Werk des Herrn! Siehe, Gott hat kein Wohlgefallen an der Strafe eines
Gefallenen, und sei der Sünder noch so gross! In dem Augenblick, wo ein
verirrtes und gefallenes Wesen, sei es Mensch oder Geist, bittend die Hände aus
demütigstem Herzen Gott entgegenstreckt, ist es, als ob alle Schuld vergessen
wäre. Und der herrliche Gott wird ihn nur noch prüfen, ob seine Bitte nur Angst
oder heiliger Lebens-Ernst war! Darum mag kommen wie es will, der irdischen
Gerechtigkeit muss wohl stattgegeben werden, aber die Liebe zeigt auch andere
Wege! Mir liegt nun daran, die Leute kennen zu lernen, die ihr gern versorgt
haben möchtet."
„Das kann sofort geregelt werden", erwiderte Achibald, „ich werde sie rufen." Es
kamen nun alle Wächter, die dem Tempel verpflichtet waren; an ihren Gesichtern
sah man ihre Unsicherheit und Unentschlossenheit. Ursus sprach zu Achibald:
„Lasse mich mit den Leuten reden, mir ist es geläufiger denn dir, du bist
befehlen gewöhnt!"
Achibald freute sich, dass ihm diese Arbeit und Sorge abgenommen war und Ursus
begann: „Liebe Leute, ihr seid 20 Männer und stehet vor der Entscheidung, ob
sich euer Leben in diesen Bahnen weiter bewegen soll, oder ob ihr eurem Dasein
eine neue Richtung geben wollt. Wenn ich auch ein Römer bin, so kenne ich eure
Lebensbedingungen und Gewohnheiten genau. Wohl ist euer Brotherr der Tempel und
ihr seid Diener der Priester, aber eure Beschäftigung ist eines Menschen ganz
unwürdig. Saget: wollet ihr beim Tempel verbleiben, oder wollet ihr eine sich
bietende Gelegenheit ergreifen und euch von eurem Brotherrn lossagen? Ich möchte
euch einen Vorschlag machen. Ob ihr ihn annehmt oder nicht - unser jetziges
Verhältnis bleibt das gleiche.
Demetrius, mein ehrwürdiger Vater in Rom, besitzt viele Niederlassungen,
dieselben sind besetzt mit erprobten und würdigen Freunden, es sind aber immer
noch Arbeiter nötig, und diese fehlen manchesmal. Wer da will, kann sofort in
meine Karawane übersiedeln, ihr erhaltet dann die römische Untertanenschaft -
und der Tempel ist euch gegenüber machtlos. Wer also will, komme zu mir! Aber
eines ist zu bedenken: wir alle sind Anhänger des grossen Nazareners und
Heilandes Jesu!"
Einer sagte: „Herr, dabei ist nichts zu bedenken, deine Worte verheissen uns
Hilfe aus der Gesetzes-Fron und Versorgung! Dass wir keine Nazarener sind, ist
nicht unsere, sondern die Schuld des Tempels; es kann nicht schwer sein, Christ
unter Christen zu werden, weil sich für uns ja nur Vorteile daraus ergeben."
Sprach Ursus: „Ihr werdet die heutige Stunde noch oft segnen, denn wahrhaft
glücklich könnt ihr erst werden, so euch die Fülle der grossen Gottes-Liebe
offenbar wird!"
Ein Reiter kam, und als er Ursus sah, meldete er: „Ursus, unsere Wagen stehen
abfahrtbereit, es bedarf nur noch deiner Zustimmung."
Erwiderte Ursus: „Fahret bis an diese Wagen hier, inzwischen wird auch hier
alles geregelt sein. Und nun, liebe Freunde, rufet mir Asa, der beim kranken
Elim wacht." Ursus sah ihn an und sprach freundlich zu ihm: „Höre, lieber
Freund, ich weiss um alles hier; deine Genossen sind schon in meine Obhut
getreten und ich glaube, dich schon so weit zu kennen, dass ich grosses
Vertrauen zu dir haben darf. Ich könnte dich sehr gut gebrauchen auf meinen
vielen und grossen Karawanenzügen und frage dich, ob du bei mir bleiben möchtest."
„Herr, du nennst mich Freund? Daran habe ich grosse Freude! Ja, ich bin der
deine, obwohl ich auch gerne mit den Brüdern der Ruth gegangen wäre. Gebiete
über mich! Keinen Treueren wirst du finden, weil du mich als Freund angesehen
hast."
Ursus reichte dem Asa die Hand und sagte erfreut: „Bruder nenne ich, dich, weil
mein Herz mich dazu drängt! Also höre: Du kennst deine Genossen, nimm sie in
deine Obhut bis zu deren Bestimmung. Die Karawane von Elim übernehme ich
solange, bis er wieder gesund ist. Aber nun eine Vertrauensfrage: Woher stammen
die gefangenen Christen und welche Güter habt ihr noch auf euren Wagen, sind sie
rechtlich erworben?
Asa sprach: „Wo die gefangenen Christen zu Hause sind, ist mir nicht bekannt.
Auf drei Wagen sind teure Seiden und Teppiche verladen, auch ihre Herkunft ist
mir unbekannt; ich fürchte, es ist Diebesgut von gefangenen Christen. Wo ein
Christ in die Hände der Tempelschergen fiel, war auch ihr Hab und Gut für sie
verloren."
Ursus sprach zu Achibald: „Hier offenbart sich aber grosses Unrecht! Es ist wohl
das Beste, ich kaufe die Waren und du verteilst den Erlös unter die Armen, damit
wenigstens der Fluch, der auf diesem Gut liegt, sich nicht weiter verpflanze."
„Dies würde ich gerne tun, ja, ich freue mich, dass du alles so gut regeln
willst!", erwiderte Achibald.
In Asa hatten sich noch Bedenken eingestellt, darum sagte er zu Ursus: „Nun bist
du mein Brotherr, aber wie soll ich dich in Zukunft nennen? Freund und Bruder
wage ich nicht zu sagen, meine Vergangenheit steht wie ein Fels von Schuld da,
dass ich erschaure! Und wie soll ich dir danken, dass mein Leben durch dich in
geordnete Verhältnisse kommt?"
Ursus war plötzlich ganz ernst geworden und sprach: „Asa, nenne mich Ursus, wie
alle Anderen. Siehe, an deiner Vergangenheit stosse ich mich nicht, denn was du
gutzumachen hast, damit gehe du nicht zu Menschen, sondern zu dem ewigen Gott,
der uns Seine grosse Liebe offenbar werden liess durch Jesum Christum, den
Auferstandenen! Ich hoffe, in Zukunft wirst du ein neues Leben beginnen, du
wirst froh und friedlich, liebend und versöhnend leben und als ein Bekenner Jesu
von Seinem Geiste durchdrungen werden, denn das Annehmen Seines grossen
Liebe-Opfers bedingt die Hingabe des ganzen Menschen an Ihn! So wie Jesus einst
zu mir sagte: ‚Komme — wie du bist — auch um dich habe ich gerungen!', so nehme
ich auch dich und alle und sage nicht: bessert euch erst und dann gehören wir
zusammen! Siehe, darum dieser grosse Ernst! Denn die restlose Erfüllung jeden
Liebes-Zuges zu betätigen, ist unsere erste Pflicht!"
Achibald war wunderbar ruhig; eine Welt voll Schönheit tat sich ihm auf. So
sagte er zu Ursus: „Bruder, seit meinem Abreiten von Cornelius sind mir so viele
Beweise von Gottes Weisheit und Liebe geworden, dass ich verstummen muss! Deine
Art aber ist mir doch das grösste Erlebnis; ich weiss nicht, soll ich dich für
einen Menschen oder einen Engel halten. Dein Mund spricht alles so frei und
überzeugend aus und dein Wesen versetzt mich in eine ganz andere Welt! Sage,
bist du immer so, oder nur, weil du mir helfen willst?"
Lächelnd sprach Ursus: „Ich bin, wie du mich siehst, Mensch und Engel! Mensch —
weil ich als Mensch diene, und Engel denen — die ich aus Not und Gewissensqualen
befreien darf. Nimm beides als richtig an, aber dass ich so wirken darf, ist
nicht mein Verdienst, sondern Gottes grosse Güte und Gnade."
Der Sieg dieser göttlichen
Führungen
Elim fühlte sich gestärkt, das Fieber war gewichen und Ruth sagte
freudestrahlend zu den beiden Führern: „Kommt ohne Scheu, er möchte mit euch
sprechen." So setzten sie sich zu dem Kranken und warteten, bis er sprach: „O
Freunde, ihr seid zu mir gekommen wie von Gott gesandt und ich danke euch für
eure Liebe und Pflege. Doch möchte ich euch über meine Verwundung noch eine
Aufklärung geben, und so höret:
Als Assir sich wieder frei fühlte und die Gefangenen gefesselt waren, kam er,
als es fast noch Nacht war, in mein Zelt und begehrte mit mir zu sprechen. Kaum
hatten wir uns einige Minuten vom Lager entfernt, so verlangte er, dass ich
seinen Befehlen willig gehorche. Ich aber hatte mich entschlossen, ihm nicht
mehr zu dienen, sondern den drei Geschwistern helfend zur Seite zu stehen, und
dieses habe ich ihm offen gesagt. Darüber war er empört und drohte mir, und als
ich bei meinem Vorsatz blieb, fühlte ich plötzlich einen harten Stoss im Rücken,
dann wurde es Nacht um mich. Hättet ihr, Freunde, mich nicht gefunden, wer
weiss, ob ich noch lebte!
Assir ist ein Teufel, wie er rachsüchtiger nicht zu denken ist. Aber ich war
auch nicht viel besser, bis dieses Mädchen und ihre Brüder mir meine grosse
Schuld vor Augen führten! Da ersah ich den Abgrund, vor dem ich stand - zugleich
aber auch die rettende Absicht Gottes."
Ursus sagte ernst: „O Elim, wenn du nun gestorben wärest, weisst du, was dich
erwartet hätte? Ich weiss, du hast sehr vieles gut zu machen und ein Leben
voller Arbeit und Mühe könnte all das Leid kaum mildern, das du Anderen
verursacht hast. Und weil du nicht in Harmonie mit den ewigen Gesetzen Gottes
gelebt hast, hättest du all dieses Leid nun an dir selber erfahren müssen. Nun
lerne einsehen, wie Gott in Seiner erbarmenden Liebe dich vor dem Abgrund
rettete und diese Verwundung zuliess, um dir die Möglichkeit zu geben, ein ganz
neues Leben zu beginnen!
Was willst du tun? Willst du weiter deine Wagen und Tiere in den Dienst des
Tempels stellen? Oder hättest du Lust, für andere zu schaffen? Dein Eigentum
würde dir gewahrt bleiben, so du in die Dienste des Römers Demetrius treten
würdest. Überlege es dir und im Laufe der nächsten Tage gib mir Bescheid. Mein
Ziel ist Jerusalem, doch möchten wir vorerst an den Moran-See, weil dort Ruth
mit ihren Brüdern zu Hause ist"
Elim war damit einverstanden und so gaben Achibald und Ursus Anweisung zur
Weiterfahrt. Gegen Abend erst konnte auf einem günstigen Platz Halt gemacht
werden. Die Zelte wurden fröhlich und schnell errichtet und nach dem Mahl
lauschten die vielen Menschen dem Ursus, der von den herrlichen Führungen Gottes
auf seinen weiten Reisen erzählte. Auch nicht ein einziger blieb unberührt,
sondern das innere Leben steigerte sich bis in ein Hineinleben in die fühlbare
Gegenwart Jesu; und auch Bernhart konnte ihre Herzen hineinführen in die
wunderbaren Wege, die Gott ihm erschlossen hatte.
Zum Schluss offenbarte Achibald dem Ursus und Bernhart, dass noch eine grosse
Aufgabe ihrer harre, da noch eine Karawane hier in der Nähe auf Erlösung und
Befreiung hoffe! Ursus sagte sogleich voll Freude: „Senden wir Boten in der
Frühe voraus, damit kein Zeitverlust oder unnötiges Suchen stattfindet. Wir
können noch viele Hände beschäftigen, da der Herr unsere Unternehmen so
überreich gesegnet hat."
Am Morgen nach dem Abbau des Lagers zogen all die Menschen fröhlich weiter, und
als der Zug kurz vor Hazor an die Herberge des Thomas kam, liess Achibald halten
und fragte nach dem ihm bekannten Besitzer. Dieser kam ihm froh entgegen; doch
als er erst Ursus erkannte, war seine Freude unbeschreiblich. Alle Wagen mussten
in den grossen Hof fahren und zu Ursus sprach der Wirt: „Lasse mich nur sorgen,
für alle ein Gastmahl herzurichten. Du. weisst doch, wenn wir uns gegenseitig
Freude machen, freut sich auch unser herrlicher Meister!"
Welch ein frohes, buntes Leben entwickelte sieh nun im Hofe und im Hause, und
doch geschah alles in so freudiger Harmonie, dass selbst die Soldaten des
Achibald sich verwundert fragten: Wie kommen die Menschen dazu, sich so viele
Mühe und Arbeit zu machen für all diese Fremden? Als aber das gut zubereitete
Essen aus Gemüse und Lammfleisch aufgetragen wurde, fragte doch ein Soldat
seinen Führer, warum heute alles so festlich sei, und Achibald sagte: „Es hat
Gott gefallen, dass wir Seinen Auftrag so gut ausgeführt haben und so viele
Gefangene befreiten, darum diese Feststimmung bei allen. Und so danket auch ihr
und freuet euch an allem hier!"
Als das Mahl gesegnet war und fleissige Hände überall sorgten, dass nichts
mangelte, steigerte sich die gemeinsame Freudigkeit so sichtbar, dass es für
Achibald etwas noch nicht Erlebtes ward und er Ursus fragte: „Mein Bruder, oft
schon habe ich an grossen Gastmählern teilgenommen und wir waren auch heiter und
voll Freude, aber solche Herzens-Fröhlichkeit bei allen habe ich noch nicht
erlebt!"
Und Ursus erklärte ihm, dass die Fröhlichkeit dieser Christen nicht zu
vergleichen sei mit dem Frohsein in der Welt. „Hier erlebst du ein Abbild der
Freude, welche herrscht, so wir uns einst wohlgeborgen heimgefunden haben!
Siehe, unser Wirt gönnt sich keine Ruhe und Rast, denn in seinem Herzen lodern
Feuer, deren Strahlen alle beglücken möchten. Wir wollen ihn auch nicht darin
stören, denn bei ihm lebt sich die Freude im grossen Dienen aus!"
„Ja, mein Ursus", fragte Achibald, „wo nimmt aber der einfache Wirt die Mittel
her, diese 150 Menschen zu beköstigen und alle ihre Tiere zu versorgen?"
„Achibald, da frage unseren Bruder Thomas selbst!", antwortete Ursus, „aber
wundere dich nicht über seine Antwort, sie wird lauten: Mir gehört ja eigentlich
nichts hier, alles gehört meinem ewigen Gott und ich bin nur Sein geringer
Diener, darf aber nach freiem Wollen über dieses Besitztum verfügen, um Ihm
Freude damit zu machen! Siehe, wie würde es mich belasten, so ich etwas darin
versäumte!"
Achibald war von dieser Erklärung nicht ganz befriedigt und fragte: „Wir sind
doch Menschen und hängen alle vom Materiellen ab. So ich in blinder Liebe alles
verschenke, kann es geschehen, dass ich vor dem Nichts stehe."
„Verstandesmässig hast du recht", gab Ursus zu, „aber Thomas ist ein wahres Kind
seines und unseres Gottes und seine Liebe ist durchaus keine blinde. Er sagte
selbst zu mir: Je mehr ich einst rechnete, umso schwerer wurde es mir; seit ich
mich aber treiben lasse von meinem Herzen, sehe ich überall Segen über Segen!"
„Das ist mir wieder ein Wunder. Und ich kann nicht begreifen, dass ich mich
jahrelang dagegen wehrte, solchen herrlichen Glauben anzuerkennen!"
„Siehst du, Achibald, jetzt kommst du auf den Kern unseres heiligen Glaubens und
deine Augen schauen in das Wahre und Lichtvolle der Jesus-Lehre! Es mag für
Thomas schwer gewesen sein, Jesum anzuerkennen, dem er einstens aus dem Wege
ging. Als er aber das Wunder Seiner erlösenden Liebe erlebte, war er wie
umgewandelt und ist jetzt ein Segen für alle Menschen hier. Dort kommt er auf
uns zu, nun frage ihn selbst!"
Thomas kam an den Tisch und sagte: „Ihr Brüder, welche Freude muss es für
unseren heiligen Vater sein, so Er zu Seinen Engeln und den Bewohnern Seiner
Himmel sagen kann: Schauet auf die arme, finstere Erde, welch herrliches
Lichtband reicht bis herauf zu uns! Kein Sternenhimmel könnte Mir Schöneres
bieten, als was die Erde uns jetzt schenkt. O du Liebe! Was wirst Du uns noch
alles offenbaren! Aber du, Freund Achibald, bist noch nicht ganz überzeugt von
dem so selig machenden Geiste der Vater-Liebe?"
Entgegnete Achibald: „Da hast du nicht ganz unrecht, aber bedenke, dies alles
ist mir noch zu neu. Ungeahntes wird Wirklichkeit, und was man kaum zu glauben
wagte, ist Natürlichkeit!"
„Bist du erst einmal eins in dir mit diesem Jesu-Geiste, dann, mein Freund, wird
dir alles Dunkle enthüllt", antwortete der Wirt, „und du wirst klar erkennen,
welchem herrlichen Gott du dich zu eigen gabst! Siehe, es ist uns offenbar
gemacht, dass Gott uns Menschen zu Seinen Kindern erwählen will! Dazu darf aber
von uns aus der nötige Fleiss und der ernste Wille, bewährt in starken Prüfungen,
nicht fehlen, sonst wäre die zu erringende Kindschaft nicht so wertvoll."
Die Unterhaltung wurde unterbrochen: zwei Soldaten und zwei Leute des Ursus,
welche in der Frühe aufgebrochen waren und nach Angaben des Achibald die
Karawane suchen sollten, kamen zurück und meldeten, dass dieselbe eine Wegstunde
von hier lagere und sehnsüchtig auf Achibald warte.
Achibald war erfreut, dass sich ihm auch hier wieder der helfende Einfluss
Gottes zeigte und fragte Ursus und Thomas: „Wollen wir hinreiten?" Doch Ursus
antwortete: „Senden wir lieber zwei Boten hin mit dem Auftrag, dass morgen in
der Frühe die ganze Karawane hier sein soll! Warum wollen wir uns hinbemühen, da
dieselben doch gerne herkommen, und da wir nach dem Moran-See wollen, wäre es
unnötiger Zeit- und Kräfte-Verbrauch"; und so geschah es.
Es wurden nun noch Vorbereitungen zur Weiterreise getroffen, da sich der
Transport des Ursus gewaltig vergrössert hatte und am Jordan entlang nur
ärmliche Gegenden waren. Am wohlsten fühlte sich Elim; Ruth war wie eine Tochter
um ihn besorgt und ihre beiden Brüder unterstützten sie aufs beste. Schlimm aber
erging es Assir. Die Speisen rührte er kaum an, er hörte die Freude der Anderen,
war aber allein und dachte in ohnmächtiger Wut nur an Flucht.
Es wurde ein herrlicher Abend, als die nun ziemlich grosse Gemeinde sich zur
Andacht sammelte und Thomas in seiner natürlichen Art das neue Leben aus der
Liebe schilderte, wodurch in manchen eine tiefe Sehnsucht nach solchem Leben zu
keimen anfing.
Aber Thomas war nicht nur ein Verkünder, er war auch ein Beter! Achibald gab es
viel zu denken, wie Thomas mit seinem Gott redete, Ihm alles so kindlich ans
Herz legte und Ihn bat, ihm neue Kraft-Wellen zu senden, damit er wirkungsvoll
segnen könne; so schloss er: „Mein Vater! Dein ist alle Kraft und Herrlichkeit!
Lasse es immer bewusster in mir werden, dass ich nichts bin und nichts habe!
Aber alles aus Dir tun darf, was Du aus dem Füllhorn Deiner Liebe und Gnade in
mein Herz geschüttet hast. O wie glücklich machst Du uns, so wir erkennen: Du
hast uns wieder eine Gelegenheit gegeben, wo nicht wir, sondern Du durch uns der
Liebe- und Freuden-Spender sein willst. Dein Jesu-Geist und Deine Erbarmung mit
allen Irrenden werde zu unserm Leben, damit Dein Leben Eigentum der ganzen
Menschheit werden kann! Amen!"
Und nun wollen wir uns alle in die Ruhe begeben, die Du, o heiliger Vater, durch
Deine Diener und Engel bewachen lassest!"
Nichts störte die Nacht, aber ehe der Tag graute, waren Thomas und sein Haus
schon beschäftigt, um noch ein Morgenmahl, welches zugleich ein Gedächtnismahl
sein sollte, zu bereiten. Als alles soweit fertig war, sammelte er die Seinen
und stimmte den Psalm an: „Jauchzet dem Herrn! Dienet dem Herrn! Und seid
erfüllt mit Jubel! Erkennet, dass Er, Gott, unser Vater ist und uns zu Seinen
Kindern gemacht hat! Gehet ein in den Tag mit Loben und Danken und preiset
Seinen heiligen Namen! Denn Er ist gut und Seine Gnade währet ewiglich! Seine
Treue hat keine Grenzen, doch Seine Liebe umfasset auch das Kleinste und
Geringste! Halleluja! Amen!"
Voll Andacht hörten alle Gäste diesen heiligen Weckruf und in kurzer Zeit waren
sie fröhlich beim Mahl vereint. Hier ward es Ursus gegeben, aus übervollem
Herzen mit ergreifenden Worten nochmals das Leben des Meisters in Seinem
heiligen Liebeszug zur Menschheit darzustellen, sodass alle ergriffen wurden von
dem Hauche, der aus der Ewigkeit herüber wehte in ihr Erden-Sein. Ursus endete:
„Ich trage den höchsten Preis Seiner Liebe in meinem Herzen und in meiner Hand
das Mahn-Mal Seines gewaltigen Opfers. O meine Lieben, was ist uns die Welt ohne
Ihn? Wohin wäre die Menschheit getrieben ohne Ihn? So sehe ich in das viele
Erden-Leid, wie es gleich Sturm-Brandungen die Menschen immer kraftloser und
kleiner machen will, bis aller Mut untergegangen ist und in ihren Herzen nur
noch ein Trümmerhaufen entsetzlichen Unglücks übrigbleibt.
Was es aber heisst, einen Heiland und einen gütigen Vater zu besitzen, der Seine
Kinder so gern glücklich sehen will, kann nur der empfinden, der durch Ihn aus
der grössten Not und Bedrängnis herausgeführt wurde, wie ihr in den letzten
Tagen! Darum lasst es uns nie vergessen: Er, unser Vater, hat uns lieb! Lasst es
zu einem Jubel werden in euch: Er hat uns lieb! Dann ist euer Herz erfüllt mit
Dank und steter Freude und das neue Leben kann sich in euch entfalten! Du aber,
Du herrlicher Vater und Heiland Jesus, sei bei uns und um uns, wie auch in uns!
Amen!"
Ein langes Schweigen machte die Harmonie mit dem Ewigen noch inniger, es löste
sich noch so manche Bangigkeit und alle Herzen wurden froh und weit.
Aber einer, der nur noch mühsam seine Erregung verbergen konnte, Elim, fragte
Ruth, ob er einige Worte sagen dürfe. Ruth bat die Anwesenden für Elim um Gehör
und so sagte er: „Ich muss mich fragen, ob ich noch lebe, oder ob ich träume.
Vor einigen Tagen noch ein Bösewicht, und nun lebe ich hier wie im Himmel! Wohl
schmerzte die tiefe Wunde im Rücken, aber was für Schmerzen sind es für den
inneren Menschen, als ich fühlte, ich bin ausgeschlossen aus der Gemeinschaft
der Menschen, die den Himmel in sich tragen!
Da wurde mir Hilfe und Rettung durch einen Engel in Menschengestalt! Die, welche
ich um einen hohen Preis verkaufen wollte, um mich zu bereichern, schenkte mir
ihr Mitleid und bettete mich in die Arme Jesu. O Gott, verdient hätte ich, dass
ich ins Feuer geworfen würde! So aber darf ich die heilige Hand ergreifen, die
Jesu Erbarmung mir entgegenhält und auch mir Hilfe und Rettung bringen will.
Ja, ich möchte euer Bruder sein, der gut machen will, was Übles er auch getan
hat — und so bitte ich euch: unterstützet mich in diesem Wollen!"
Achibald stand plötzlich auf und stürmte hinaus - vor seinen Soldaten wollte er
nicht weich werden! Alles in ihm war in Aufruhr, erst draussen konnte er ruhiger
werden! So ging er weiter und in dem Lichte des jungen Tages sah er die grosse
Karawane schon kommen. Sein Herz sprach: „O Gott! Auch dies ist ein Geschenk
Deiner fürsorgenden Liebe! Mache mich stark, damit ich all diese Beweise Deiner
so sichtbaren Erbarmung ertragen kann!"
„Soweit deine Liebe reicht, soweit reicht auch deine Kraft!", sprach es in ihm.
„Nicht Ich kann dich stark zum Tragen machen, sondern inwieweit du geben lernst,
wirst du zum Träger Meiner Liebe, Meiner Kraft und Meines Erlöser-Geistes!"
„Wo kommen diese Worte nur her?", dachte er, da ertönte es aufs Neue: „Glaube
nur und frage nicht, wie auch Ich dir glaube!"
„Wieder ein neues Wunder!", dachte er. „Warum nur ist der Mensch so blind und
dumm, dass er solche Zeichen und Wunder nicht sieht? Aber nun hast Du, Jesus,
mir die Augen geöffnet zum Sehen und Ohren zum Hören gegeben, darum, o Gott,
habe innigen Dank!"
Näher kamen die Wagen und Achibald beschleunigte seine Schritte; man hatte ihn
erkannt und rasch kam der Priester und begrüsste ihn freudig: „Herr, deinen
Worten folgend und deiner Liebe und Einsicht vertrauend, sind wir deinem Wunsche
nachgekommen. Alle kommen freiwillig zu dir, denn ich hatte alle früheren
Gefangenen freigegeben! Aber sie wollten zu dir, da sie fühlten, bei dir allein
ist Sicherheit vor dem Tempel!"
„Ich freue mich, dass du meinen Worten geglaubt hast und dieses Vertrauen mir
entgegenbringst; du wirst es nicht bereuen! Wie soll ich dich nennen und wer ist
der Besitzer dieser vielen Wagen und Tiere?"
„Herr, nenne mich Jona, und Basil ist der Besitzer der Karawane." „Wieviel Leute
hast du in Obhut?" „Herr, es sind mir 60 Männer und 20 Frauen vom obersten
Tempelrat als Gefangene übergeben und 24 Wächter dazu. Waren habe ich so gut wie
keine, aber Basil führt auf eigene Rechnung einige Wagen mit kostbaren
Spezereien mit."
„Also, Jona, höre: dort in der Ferne lagern viele Menschen und erwarten euch.
Ich möchte noch nichts beschliessen über die dir Anvertrauten, aber wenn du in
römische Dienste treten willst, bin ich dir gern behilflich dabei. Denke darüber
nach und lasse dort an dem grossen Gehöft halten, jetzt möchte ich die Befreiten
begrüssen!"
So fuhren die Wagen an ihm vorüber; die Menschen hatten ihn erkannt und grüssten
und winkten, der Grieche Basil aber grüsste sehr unterwürfig, sodass Achibald zu
ihm sagte: „Basil, fürchte nichts, dein Lohn wird dir werden! Wenn wir
Bedrängten gern helfen, dann sei versichert, dass ehrlichen Menschen von uns
kein Schaden zugefügt wird. Aber sei zu mir offen und wahr, so ich dich frage:
hast du es nötig, für den Tempel Sklavenfuhren zu übernehmen? Gibt es nicht
genug Römer und Griechen, die da froh sind, ehrliche Karawanenbesitzer zu
mieten?"
„Herr! Du magst es gut mit mir meinen, aber jeder ist sich selbst der Nächste,
und Ware ist Ware, ob tot oder lebendig. Nur nach der beförderten Ware wird mein
Verdienst berechnet, darum habe ich mir nie eine Gewissensfrage daraus gemacht."
Entgegnete Achibald: „Basil, weisst du auch, dass diese gefangenen Menschen
nichts verbrochen haben und nur um ihres Glaubens willen Gefangene sind?"
„Herr, ich habe noch nicht darüber nachgedacht. Werden Unschuldige
transportiert, habe ja nicht ich, sondern der Auftraggeber die Verantwortung.
Darum habe ich auch nie mit dem beigegebenen Priester darüber gesprochen!"
„So, also Basil, ich denke, wir werden uns noch besser verständigen; aber dort
ist schon das vorläufige Ziel, nachher wirst du weiter unterrichtet werden." Als
die vielen Wagen an der Herberge hielten, kamen alle aus dem Hause und
begrüssten die Neuangekommenen herzlich.
Achibald ging mit Jona zum Ursus, der sich sogleich erbot, mit diesen befreiten
Christen über ihre Zukunft zu reden und es gelang ihm leicht, ihr Vertrauen zu
erwecken. „Wer von euch nach der Heimat zurück will, trete hervor, für den sind
diese Besprechungen erledigt!"
Aber niemand meldete sich, nur einer sagte: „Lieber Herr, die Heimat bleibt uns
für immer verschlossen, der Templer wegen, darum beschliesse du über uns, wie
wir in Lohn und Brot kommen könnten bei wahren Menschenfreunden."
Dann holte Jona die vom Tempelrat angestellten 24 Wächter zusammen und zu ihnen
sprach Ursus: „Habt ihr schon bedacht, was aus euch werden wird?"
Und Jona antwortete ihm: „Wir alle sind längst dieses Treibens müde und wissen
nun, dass wir uns mitschuldig an den vielen Verbrechen machten. Darum haben wir
den Gefangenen nie Gewalt angetan oder ihnen Speise und Trank entzogen, was sie
euch alle bezeugen können. Wenn es nach mir ginge, würde ich mit meinen Leuten
gern in römische Dienste treten, um für alle Zeiten vom Tempel loszukommen."
„Solche Wünsche können erfüllt werden", sprach Ursus, „denn mein Herr und Vater
Demetrius kann noch viele frohe Arbeiter beschäftigen."
Als Ursus ins Haus zurück wollte, wurde er von den vielen Menschen aufgehalten,
die Zeuge eines Wiedersehens zwischen Asa und seiner Schwester Salome waren, die
eine Gefangene der neuen Karawane war. Tief erregt rief Asa: „Welche Freude, o
Ursus! Meine Schwester Salome, von der ich seit 10 Jahren getrennt war, habe ich
hier wiedergefunden!"
„O Asa, auch ich freue mich um deinetwegen", sprach Ursus, „so bleibet denn
zusammen, bis der ewige Gott es anders über euch bestimmt!" Auch die anderen
waren erfreut über dieses Sich-wieder-finden und Thomas verstand es, das rechte
Verständnis für diese Gnade in ihnen zu wecken.
Es wurden nun drei Karawanen zusammengestellt: Eine des Ursus, der auch noch all
diese Wächter zu sich nahm, eine für Bernhart und eine für Joseph und Joram, und
ganz frei durften sich die Männer und Frauen entscheiden. Dann nahmen sie
Abschied von dem gastlichen Hause und seinem Besitzer Thomas, der sie alle
segnete.
Achibald musste sich entschliessen, seiner Neigung nach noch mit Ursus zu reisen
oder nach der Stätte seiner Pflicht zurückzukehren, denn seine Mission war
erfüllt.
Ursus aber versprach ihm, sobald sein Geschäft erledigt sei, bestimmt nach
Cäsarea zu kommen. So trennten sich die Freunde mit dem Vorsatz, jede
Gelegenheit zu benutzen, sich wiederzusehen. Achibald ritt mit seinen Soldaten
und dem gefangenen Assir nach Cäsarea zurück, wo sie am anderen Tage gegen
Mittag ankamen.
Cornelius aber hatte durch seinen Engel schon Kunde von dem glücklichen Ausgang
der Mission erhalten und begrüsste sie voll Freude: „Mein Achibald, und ihr,
meine Kameraden! Ich bin unterrichtet von all eurem Tun und eurem schönen
Erfolg! Doch nicht ich danke euch, sondern Gott, der Ewige, dankt euch! Ich darf
euch nur Seinen Dank übermitteln.
Das grösste Geschenk aber, welches ihr mir mitbringet, ist die Freude, die ich
in euren Augen lese! Ihr seid Zeugen geworden von Gottes Weisheit, Liebe und
Erbarmung und ich wünsche, dass ihr dieses grosse Erleben nie vergessen möchtet!
Dieses sagt euch euer Hauptmann und Führer Cornelius. Wer aber von euch das
Bedürfnis hat, sich über des ewigen Gottes Liebe und Erbarmung beraten und
unterweisen zu lassen, der soll ohne Scheu kommen und soll erfahren, dass ich
euch auch ein Bruder und Diener sein kann! Heute seid ihr frei — und abends seid
ihr meine Gäste! Heil euch!"
Ausklang
Die Sonne hatte sich schon stark geneigt, als der alte Eusebius nochmals den
Blick in die Ferne schweifen liess. In seiner Seele war eine Unruhe, die immer
stärker wurde und so sprach er zu der Magd: „Mir ist, als wenn Bernhart mit den
Kindern bald kommt." Die Magd nahm es nicht so ernst, weil diese Tage für
Eusebius immer voll Unruhe waren; aber plötzlich sah er Reiter und Wagen kommen
und fragte erregt: „Wer ist denn das? Sind es Templer, oder könnte es Bernhart
sein?" Und ehe die Magd antwortete, kamen schon Ursus und Bernhart angeritten,
sprangen vom Pferde und begrüssten den Alten.
Dieser fragte ängstlich: „Wo sind meine Kinder?", doch schon waren auch Joseph
und Joram da und stürmisch umarmten sie ihren Vater. Dann kam auch Ruth mit den
Wagen und Eusebius stand fast sprachlos vor Freude unter ihnen.
Ruth berichtete gleich: „Vater, wir bringen noch all die gefangenen Christen mit
und auch einen Kranken; du behältst sie doch gern in unserem Hause?"
„Kinder, dass ihr nur wieder da seid! Für die anderen wird schon auch Platz
geschafft. Wer ist dieser Mann hier?"
„Dieses ist Ursus, ein Römer, aber einer der Unsrigen, den uns Gott wie einen
rettenden Engel zugesandt hat."
Ursus wartete, bis sich der Freudensturm gelegt hatte. Er war ergriffen von all
der Freude, aber ihn schauerte, so er daran dachte: Wenn den Templern ihr Raub
geglückt wäre, was wäre aus diesen edlen Menschen Und dem ehrwürdigen Alten
geworden?
Eusebius sah seinen Ernst und entschuldigte sich: „Lieber junger Freund! Lasse
keinen Schatten auf dein Herz fallen, weil wir in unserer Freude dich fast nicht
beachten. Die Freude, uns wieder zu haben, ist ja so gross, dass sie nicht
geschildert werden kann."
„Auch ich freue mich mit euch, mein Vater!", sprach Ursus freundlich, „da ich ja
auch mithelfen durfte, dieses grosse Rettungswerk zu vollbringen! Wenn du erst
alles erfahren wirst, dann ist kein Himmelsbürger seliger als du, denn alle
diese harten Prüfungen und Führungen sind ein sichtbares Gottes-Werk und für
alle ein Gottes-Wunder!
Aber, lieber Vater, unsere Leute und Tiere brauchen jetzt ihre verdiente Ruhe,
lass mich nur alles anordnen, denn du bist der vielen Leute ungewohnt."
Ein Händedruck und Ursus ging hinaus; er liess die Kolonne Bernharts und seine
Leute Zelte aufbauen und Kochfeuer anrichten. „Ihr Anderen aber, die ihr nun zu
diesem Hause gehört, geduldet euch, euer Brotherr Eusebius muss alles erst mit
seinen Söhnen beraten."
Nach so mancher Mühe, die an diesem Abend noch nötig war, wurde das zubereitete
Mahl fröhlich eingenommen und zuletzt wurde eine allgemeine Andacht gehalten.
Eusebius wollte noch vieles erfahren und so wurde bis nach Mitternacht berichtet
und der Alte sagte zuletzt noch: „O Gott! Wie gut bist Du! Was wäre uns ohne
Dich geschehen!"
Auch Ursus konnte noch so manches Schöne erzählen von dem jungen Römer Achibald
und wie er ganz durchdrungen ward von dieser überall sichtbaren göttlichen
Liebe, die seinen Auftrag segnete.
Ursus wollte dem Eusebius gern ein grösseres Geschenk machen, weil er doch nun
für all die Leute zu sorgen hatte, aber dieser sagte: „Mein Bruder, du warst
Zeuge unseres Glücks, als meine Kinder, die ich fast als verloren ansehen
musste, wieder in meine Arme eilten! Nur Gott weiss, in wie schweren Sorgen ich
war, ich wäre gestorben, wären sie nicht zurückgekommen. Nun schenkte mir Gott
zum zweiten Male meine Kinder und dazu noch 50 Seelen, deren ich mich in Liebe
gern annehmen will!
„O mein Ursus, mein Bruder! Wenn Gott eines Seiner Kinder prüft, tut Er es nicht
ohne Zweck und kommt mit Seinem so reichen Lohne, wie es nicht erwartet werden
konnte. Behalte, was du mir zugedacht, du triffst ja auf deinen Reisen so viele,
viele Arme! Aber kannst du nicht noch einen Tag rasten und mir behilflich sein
bei der Unterbringung der neuen Hausgenossen? Meine Söhne sind dessen noch
ungewohnt und Bernhart muss heimziehen, denn er nimmt doch die vielen Anderen zu
sich!"
„Lieber Vater Eusebius! Gern bliebe ich noch einen Tag bei euch, aber solange
ich die sich mir anvertrauten Templerdiener nicht restlos versorgt habe, ruft
mich die Pflicht zur grössten Vorsicht! Ich komme später wieder, um das Eigentum
Elims zurückzubringen. So wie du heute die Neuangekommenen schon wie deine
Kinder lieben willst, so will auch der überherrliche Jesus uns Vater sein! Sei
versichert, in diesem Lieben und Dienen bist du aller Sorgen entbunden und euer
Leben wird täglich bereichert! Denn wo Gott weiss, dass sein Kind getreulich
Lasten und Bürden tragen will, kennt Er schon Wege, die uns glücklich machen.
Dies habe ich oft erfahren, dadurch ward mein Herz erst fähig, so reich zu
lieben und zu geben!"
Frühzeitig schon war Ruth mit anderen Schwestern mit der Zubereitung des
Morgenmahles tätig und dann nahte die Stunde des Abschieds. Ursus nahm die Wagen
und Tiere des Elim vorläufig mit und versprach, alles Gut, das Assir sich
angeeignet hatte, im Sinne der Liebe zu verwenden. So segnete denn Eusebius all
die Scheidenden im Namen des Heilandes und Retters Jesus.
Ruth fühlte sich wieder in ihrem Element und sorgte für ihren alten Vater und
für Elim, der fast gesund war und den beiden Söhnen gute Ratschläge erteilen
konnte, um den fünfzig Menschen neue Arbeit und Brot zu geben, und das Wort des
Ursus: „Wer ein Leben der Liebe und des selbstlosen Dienens lebt, ist der Sorge
entbunden!", erfüllte sich auch hier.
So verging ein Monat. Da kamen römische Soldaten und fragten nach Elim, ob er
noch im Hause weile, und meldeten: „Heute in drei Tagen ist hier
Gerichtsverhandlung! Wir haben noch Bernhart und seine beiden Knechte hierher zu
laden, ebenso sollen Joseph, Joram und Ruth sich als Zeugen bereit halten!"
Elim sprach, als er davon Kenntnis erhielt: „Dieser Tag wird uns die Abrechnung
all dieser unserer Prüfungen zeigen und unseres Gottes gnädige Vorsehung
offenbaren!"
Als der Tag kam, an dem sich das Schicksal Assirs entscheiden sollte, erschien
gegen Mittag Bernhart mit seinen Knechten, freudig begrüsst von allen. Dann
kamen die Römer Cornelius und Achibald im prächtigen Wagen und die Soldaten, die
den Zug vor einem Monat begleiteten. Assir war stark bewacht und war fast nicht
mehr zu erkennen. Römische Richter und Schreiber liessen Tische und Bänke auf
dem Hof herrichten und das Gericht trat zusammen.
Die erste Frage lautete: „Assir, erkennst du uns als Gericht an?" Assir
antwortete laut: „Nein! Ich verlange vor ein Tempelgericht gestellt zu werden!"
Sprach der Richter: „Assir, du hättest milde Richter gefunden; aber nun kann nur
noch Gerechtigkeit walten, denn Milde willst du nicht!"
So wurden Joseph, Joram und Ruth gehört. Als Ruth schweigen wollte, sagte der
Richter: „Ruth, du stehst hier im Angesichte Gottes vor den Menschen, die Gott
als Richter gedungen hat, du hast die Pflicht, alles der Wahrheit gemäss zu
berichten, ein Schweigen und Verschweigen rettet den Angeklagten nicht vor
Strafe!"
Als alle vernommen waren, fragte der Richter ernst: „Assir, was hast du darauf
zu erwidern?" „Was soll ich erwidern", entgegnete Assir, „der Tod ist mir doch
sicher!"
„Du irrst", erwiderte der Richter, „wir wollen nie den Untergang eines Menschen,
sondern bieten einem jeden Verirrten die Hand zur Rettung. Du gibst zwar alle
Schuld dem Tempelrat, wir aber haben es mit dir zu tun! Du hast den Raub
angeordnet, du hast dich durch Betrügereien bereichert, du hast die dir
anvertrauten Menschen grausam misshandelt und einen Mordversuch an deinem
Freunde Elim verübt! Noch einmal frage ich dich als dein Richter: gibst du zu,
schuldig zu sein?"
„Gewiss bin ich schuldig", antwortete Assir, „aber die Strafe gehört den
Templern, die mich zu dem erzogen haben! Was geht es überhaupt euch Römer an, so
ich mir im Dienste des Tempels Übergriffe erlaube? Seid doch ihr Römer nichts
anderes als auch Räuber. Wo sind meine Leute, wo mein Eigentum? Geraubt und
gestohlen!"
„Wenn du zu deiner Entschuldigung nichts besseres sagen kannst, schliessen wir
das Verhör, in zwei Stunden wirst du dein Urteil hören!"
Ein Mahl wurde bereitet, aber Freude wollte nicht aufkommen, wie ein Alp lag es
auf allen. Dann trat das Gericht noch einmal zusammen und verkündete das Urteil:
„Zehn Jahre Galeeren unter strengster Bewachung!" So wurde Assir schwer
gefesselt abgeführt, hätte er Reue gezeigt und Besserung versprochen, wäre er
nur zu 1-2 Jahren Galeerenstrafe verurteilt worden.
Der alte Hausvater bat die Römer: „Bleibet noch einige Tage meine Gäste. Zu all
diesem Trüben gehört auch die Freude, und diese ist wahrhaft in mein Haus
eingezogen mit all den von euch befreiten Menschenkindern!"
Cornelius möchte nun die neuen Hausgenossen in ihrer Beschäftigung sehen und war
erfreut, wie gut Eusebius für seine Leute sorgte.
Achibald fragte, wie er über Elim dächte.
Eusebius erwiderte: „Bruder, Elim ist uns fast unersetzlich geworden! Seine
klugen Anweisungen aus seinen reichen Erfahrungen haben etwas an sich, was wir
nicht in uns haben, ich möchte ihn immer hier behalten. Das Beste ist aber, er
ist ein Christ geworden, wie es wenige gibt: gross im Schweigen, aber
hilfsbereit für alle."
Durch die neuen Arbeiter konnte Eusebius aus seinen Wäldern einfache, hübsche
Holzbauten für die Unterkunft der vielen errichten lassen und wollte nun, nach
Elims Ratschlägen, das viele Weideland in Acker und Gartenland verwandeln, um
alle Produkte, die nötig waren zum Erhalt und Gewinn, selbst zu bauen.
Auch Bernhart berichtete von seinen neuen Mitarbeitern, dass sie sich zufrieden
und glücklich bei ihm eingewöhnt hätten, und Cornelius versprach, auch ihn zu
besuchen, was grosse Freude auslöste.
Als sich nachher alle im gemeinsamen Schweigen gesammelt hatten, stand Cornelius
auf und sprach: „Meine teuren Freunde! Den heutigen Tag darf ich als einen der
schönsten in meinem Leben ansehen, denn ich durfte erfahren und erschauen, wie
wunderbar Gott uns die Wege zum Helfen zeigt und wie herrliche Mittel Er uns
dazu in die Hände spielt, wenn wir Seinen Weisungen vertrauen und unsern ganzen
Tat-Willen für die Befreiung unserer Mitmenschen einsetzen! Der grösste Lohn ist
uns die Freude, zwei Brüder, Elim und Achibald, als tüchtige Arbeiter an dem
grossen Jesus-Werke der Erlösung aus allem Leid gewonnen zu haben.
Welch reinste Freude war es für mich, als mein junger Freund Achibald nach der
Reise strahlend zu mir kam und sagte: ,Dein Gott ist nun auch mein Gott und dein
Heiland ist auch der meine geworden! Nun habe ich nur noch den einen Wunsch:
auch ein Anderer dem Beruf nach zu werden, da sich Christ und Soldat noch nicht
ganz in mir einen.'
Darum, lieber Eusebius, habe ich eine grosse Bitte an dich, an deren Erfüllung
mir sehr viel liegt. Achibald möchte Landmann werden, nimm ihn auf in dein Haus.
Nur wegen Achibalds Zukunft weilen wir noch hier, und wenn du damit
einverstanden bist, dann sage ich dir: er kommt auch noch mit anderen Absichten,
über die ich aber nicht sprechen will."
Eusebius sprach herzlich: „Sei uns willkommen, Achibald! Du ahnst wohl kaum, wie
glücklich du mich machst und mir meine einzige Sorge abnimmst; du kommst und
möchtest mein Sohn werden? Was Ruths Mund verschwieg, haben aber schon ihre
Augen verraten, darum sage ich dir: Was unser Heiland zusammenführt, kann nur
Gutes zeitigen! Darum komme, meine Ruth, und haltet euch fest fürs Leben! Mein
Segen ist und soll wortlos sein, weil eure Werbung auch eine wortlose war! Ich
fühle es: eine grosse Aufgabe ist euch noch zugedacht. Und eine Ahnung sagt mir,
dass auch ein geheimer Wunsch unseres guten Gottes und Vaters dabei in Erfüllung
gehen wird."
Cornelius war tief ergriffen, dabei wurde plötzlich ein Engelsbote seinen Augen
sichtbar und dieser sprach: „Offenbare deinen Brüdern auch unsere Teilnahme! In
allen Himmeln ist Jubel, weil endlich wieder Bedingungen erfüllt sind, um neue
Segens-Ströme, neue Lebens-Wellen aus dem Geiste wahrer Liebe und Hingabe an das
grosse Erlösungs-Werk erstehen zu lassen. Die ewige Liebe ist besorgt um viele,
viele Ihrer treuen Kinder, die aus Not und Bedrückung einen Zufluchtsort der
Ruhe suchen, und diesen dürft ihr mit schaffen!
Erwerbet so viel Grund und Boden wie nur irgend möglich. Die Mittel fliessen
euch zu, wenn ihr wahrhaft an das Gelingen glaubt, und erbauet nicht nur in
eurem Herzen, nein, auch auf dem neu erworbenen Land, Wohn- und Ruhestätten für
die Verfolgten. Denn das Böse in den Herzen jener Gottes-Feinde versucht mit
Macht, grünende Saaten zu zertreten, die der Herr als Menschensohn in die Herzen
Seiner Getreuen gelegt hat. Bauet nicht nur euch ein Haus, wo ihr euch sonnen
könnt in Seiner Liebe; sondern bauet dem Herrn ein Haus in den Herzen derer, die
da wissen: Alles Leben ist Gnade! Alles ist durchdrungen vom Geiste Seines
ewigen Schaffens und Erhaltens! Erschrecket nicht über das, was in der Welt
vorgeht! Je sicherer ihr euch in der Fürsorge eures Gottes und Vaters fühlt,
umso mehr könnt ihr die Wunden lindern, die die Welt schlägt! Trocknet die
Tränen! Lindert den Schmerz! Dies sei mein Wunsch und mein Segens-Gruss aus
meiner Welt, die hereinragt in die eurige!"
Cornelius schwieg bewegt — dann fragte Achibald glückstrahlend: „Ruth, ist es
wahr, du willst mit mir gemeinsam durchs Leben gehen und mir Weib und Kamerad
sein?"
„Ja, Achibald! Da du dich zum Heiland bekannt hast, habe ich mich zu dir
bekannt! Siehe, der gütige Heiland sagte einmal zu mir: „Harre der Stunde, die
Ich seit Ewigkeit schon in Bereitschaft halte! Denn dem du gern Gefährtin sein
willst, den muss Ich erst noch zubereiten, weil, solange dein Bild in ihm mehr
lebt denn Meines, er noch nicht deiner wert ist!"
Und so hat sich nun die Verheissung meines Gottes erfüllt!
Wir aber wollen dem Herrn dienen und in allem Geschehen Seinen heiligen Plan zu
erkennen suchen, dann sind wir Gesegnete und dürfen wieder segnen!"
So wurde Leid in reinste Freude verwandelt, Schmerz und Kummer zu einem grossen
Glück umstaltet, welches der grosse Gott vorgesehen als Sieg für Seine geprüften
Kinder!