Heft 09. Der Gang nach Emmaus

Heft 09. Der Gang nach Emmaus

 

 

Inhaltsverzeichnis

01. Der Gang nach Emmaus I
02. Der Gang nach Emmaus II
03. Der Gang nach Emmaus III
04. Der Gang nach Emmaus IV
05. Der Gang nach Emmaus V

 

 

01. Der Gang nach Emmaus I

    Ein heller, schöner Sommer-Tag machte alle Menschen wieder etwas froher; die letzten drei Tage (seit Freitag) hatten wie ein finsterer Alp auf ihren Gemütern gelegen, seit sie wussten: „Jesus ist tot!" Jesus war den Armen und Kranken verloren gegangen. Jesus fehlte allen, auch denen, die Ihn noch nicht so recht verstehen wollten! Er war der Gesprächsstoff in allen Häusern Jerusalems und der ganzen Umgebung! Auf einmal kam von irgendwoher die Kunde: „Jesus ist nicht mehr im Grabe! Er soll von den Toten auferstanden sein!" Wie ein Lauffeuer, unaufhaltsam, eilte diese Botschaft von Haus zu Haus, doch nirgends war etwas Bestimmtes zu erfahren.


02. Der Gang nach Emmaus II

    An der Landstrasse von Jerusalem lagerte ein Trupp römischer Soldaten; zwei Männer aus Emmaus, Simon und Kleophas, kamen eilig auf die Römer zu, grüssten den Anführer und baten: „Herr! Wir sind Bürger aus Emmaus; wir gehören zu den Freunden des Jesus von Nazareth. Üble Kunde berichtete uns von Seinem Tod auf Golgatha; darum trieb uns die Unruhe vom Hause fort, um Näheres zu erfahren. Aber es sollen Unruhen dort herrschen, und so getrauten wir uns noch nicht nach der Gottesstadt. Nun wir aber heute hörten: Jesus sei nicht tot! Er sei einigen erschienen, da peinigt Zweifel unser Herz; und so bitten wir dich um Auskunft, Herr, so du uns etwas sagen kannst und willst über die letzten Tage in Jerusalem."
    „Liebe Männer", antwortete der Anführer, „es ist leider wahr: Euer Freund Jesus ist eines gewaltsamen Todes gestorben! Er wurde ans Kreuz geschlagen! Ihm war wirklich nicht zu helfen, da Er jede Schuld auf sich nahm und auch Sein Todes-Urteil ruhig anerkannte! Von dem Gerücht, Er sei von den Toten auferstanden, haben auch wir schon gehört, doch nichts Bestimmtes erfahren können, da wir abberufen wurden. leb habe Ihn nicht gekannt, muss euch zum Trost jedoch sagen: Wer solchen Menschen näher kennen durfte und Ihn zum Freunde hatte, der ist wahrlich glücklich zu preisen! Doch machet euch auf und gehet selbst nach Jerusalem; dort werdet ihr mehr erfahren." — Er grüsste kurz und gab seinen Leuten Befehl zum Weitermarschieren.
    Nach langem Schweigen fragte Kleophas: „Simon! Was sagst du nun?" — „Lieber Bruder", antwortet dieser, „was sollen wir darüber noch reden? Unser geliebter Herr und Meister ist nicht mehr! O welch ein Kummer! Und wir taten nichts zu Seiner Befreiung! Ich leide zu sehr darunter, darum lass uns wieder umkehren und nach Hause gehen. Könnte ich mein Leben einsetzen, nur dass Er wieder lebe!"
    Kleophas antwortete: „Du liebe, treue Seele! Dein Kummer ist ja auch der meine! Aber wer so oft bei Ihm war wie du, dürfte sich doch nicht so niedergeschlagen und trostlos fühlen! Denn was ihr und wir alle als Wahrheit von Ihm empfangen durften, bleibt für ewig unvergessen! Auch mich schmerzt Sein Tod! Doch bedenken wir: Sein Leben und Lieben, Sein Wirken und Schaffen, dies alles lebt doch fort und muss fortwirken! Und darum dürfen wir nicht zu sehr trauern."
    „Bruder!" sprach Simon, „ich sehe, auch du empfindest tiefen Schmerz! Und doch willst du mir beweisen, dass meine Trauer nicht berechtigt ist? Kannst du denn über dein Herz gebieten, so es weint? Kannst du lächeln, wenn es in dir blutet? O Bruder, hier könnte nur Einer helfen, und der ist uns genommen!"
    Kleophas entgegnete: „Bruder Simon, dein Leid spricht tiefe Worte, aber vergiss nicht, was der Meister einst zu uns sagte: Wer in tiefem Leid und Kummer steht, der komme zu Mir! Ich werde ihn trösten und ihm wahrhaft helfen! Und Ich werde alles Leid und allen Kummer in Freude verwandeln!"
    Schmerzvoll sprach Simon: „O Bruder Kleophas! Deine Trostworte sind wie Morgentau für meine wunde Seele! Aber sie helfen mir nicht in meinem Weh! — O Jesus! Warum? Warum liessest Du dies mit Dir geschehen? Du, der Reine! Du, der Göttliche hier auf Erden! Und nun ist alles, alles Hoffen umsonst?"
    Kleophas fühlte den bitteren Kummer seines Freundes, und sein Auge schaute wie Hilfe suchend umher. Da sah er einen Fremden eilends zu ihnen kommen; Kleophas blieb stehen, und auch Simon sah ihn erstaunt an. Nun grüsste der Ankommende: „Der Friede sei mit euch!" Sie dankten: „Und auch mit dir! — bis in Ewigkeit!", und fragten ihn: „Wohin geht dein Weg? — Wir gehen zurück nach Emmaus, das unsere Heimat ist." —
Der Fremdling antwortete: „Auch mein Weg geht nach Emmaus und noch weiter hinaus. Schon von weitem hörte ich eure Trauerreden und eilte deshalb schnell zu euch, da euer Kummer auch meinem Herzen Leid und Schmerz bereitet."
Simon fragte erstaunt: „Wie kann denn unser Kummer dich bedrücken, da wir selber doch nicht die Ursache dazu sein können! So du aber schon mit uns fühlst und leidest, so kennst du vielleicht auch die Ursache unserer Trauer?"
„Gewiss!", antwortet der Fremdling, „eure Reden haben mir doch schon genug davon verraten. Aber ich denke, ihr übertreibt und gebt euren Gefühlen zu viel Spielraum! (Auch wir machen uns oft von unseren menschlichen Gefühlen zu sehr abhängig, und verlieren dadurch die Fühlung mit dem Himmlischen Vater!) Oder es muss etwas ganz Gewaltiges sein, was seinesgleichen nicht hat!"
Simon sprach: „Lieber Freund! Kommst du denn wirklich aus so weiter Ferne, dass du so ahnungslos sein kannst? — Höre: Wir trauern schmerzbewegt um Jesus von Nazareth! — Den Freund und Helfer aller Armen! Es ist kein Mensch im ganzen Juden-Lande, der nicht von diesem grossen Unglück mitbetroffen wäre, mit Ausnahme der Templer und der Römer! Denn Jesus ist tot, ist uns gewaltsam entrissen! Und Grösstes hatten wir alle doch von Ihm erwartet!"
Der Fremdling antwortete sanft: „Ich verstehe solchen Schmerz völlig, da er aus eurer Seele kommt, die so froher Hoffnungen voll war! Doch eines scheint ihr dabei zu vergessen, und das ist: Jesus verfolgte nur ein grosses Ziel! Und mit Seinem Tode erst konnte dieses Ziel erreicht werden, nämlich: ,Die Erfüllung all der Hoffnungen, die Gott, der Ewige, auf Ihn setzte!' Oder denkt ihr, das Opfer Jesu hätte nur den Zweck, Seinen Widersachern einen Triumph zu bereiten?!" —
Simon antwortete: „Lieber Freund! Du sagst, mit Jesu Tod seien die Hoffnungen Gottes erfüllt! Du magst ja recht haben, denn es klingt wahrscheinlich; aber unsere Hoffnungen sind dahin, und wir müssen weiter die Geknechteten und Bedrückten bleiben. Es ist, als wenn sich die Sonne abwenden will von unseren gesegneten Fluren; als wenn alle Freunde sich verbergen, und alle Feinde wieder die Oberhand bekommen! Siehe, unser Glaube war: Nur Er kann und wird unser Volk erlösen! Was kann uns das Gerücht einiger Frauen nützen, Jesus sei gesehen worden! Er lebe!, so wir doch jetzt die Gewissheit haben: Er ist tot! Was der Tod in seinen Armen hält, gibt er nicht zurück."
Der Fremdling sprach ernst: „Simon! Der Schmerz um Jesus macht dich blind und taub und lässt dich alles vergessen, was Jesus euch und allen doch so oft sagte! Dies ist kein Ruhm für dich! — Und wenn alle Seine Jünger ihre Herzen solchen Zweifeln öffnen, dann freilich gewinnt der Gegner und Feind alles Lebens gewaltig an Kraft und Stärke. Gewiss, dein Schmerz ist gross, und jeder Schmerz ist mir heilig, da ich weiss, jeder Schmerz geht zuvor durch das Gottes-Herz! Aber, bist du dir wohl bewusst, dass du auch deinem Jesus durch diesen deinen Zwiespalt grossen Schmerz zufügst? Ja, noch mehr! Auch Gott fügst du diesen Schmerz zu! Da doch Jesus durch Sein Opfer und Sterben nur den Willen Gottes erfüllen wollte, um dadurch allen Menschen ihren Erlösungs-Weg zu zeigen."
Simon entgegnete erstaunt: „Bruder im Herrn, welche Worte gebrauchst du? Bist du auch Sein Jünger, von dem ich nur nichts weiss? Bist du auch einer von denen, die Er berufen hat, damit Seine Lehre weiter verbreitet wird? Oh, rede von Ihm, damit ich wieder froh werde!"
Auch Kleophas sprach: „Ja, Bruder! Deine Worte bergen in sich den Ton, den wir vermissen! Den Ton der Hoffnung! Wie schmerzlich ist es für uns, zu wissen: Er ist nicht mehr! Wenn Ihm wenigstens dieses unsagbare Leid einer Kreuzigung nicht zugefügt worden wäre! Siehe, Er wusste doch um alle Dinge! Selbst Römer waren Seine Freunde, denn Er nannte auch sie «Meine Brüder!» Oh, warum forderte Er nicht Seine Freunde und Jünger auf, gegen dieses grosse, grosse Unrecht zu kämpfen? Warum? Oh, wer gibt uns hier Antwort?"
Der Fremdling antwortete vertrauensvoll: „Jesus Selbst, meine Brüder! Denn, wenn Er auch körperlich gestorben ist, — lebt Er nicht in euch? Werden Seine Worte, Seine Liebe und Seine Taten nicht schon lebendig in euch? Sagen sie euch nicht, dass es gar nicht anders sein und geschehen konnte!? Sollte Sein Tod nicht bezwecken, dass Er, der Gestorbene, nun unter Seinen Anhängern und Nachfolgern geistig neu erstehen will, um in jedem das Bewusstsein zu erwecken: «Auch ich will nun mithelfen an Seinem Grossen Werk der Erlösung, welches durch Seinen gewaltsamen Tod einen Stillstand erlitt.» Liebe Brüder! Jesus zeigte euch Selbst, dass es ,im Plan' der Ewigen Gottes-Liebe lag, dieses zu leiden und dem Körper nach zu sterben! Fraget nicht mehr: Warum? — Warum? — Denn diese Frage Seiner Freunde ist ärger als das grosse Unrecht, welches Ihm blinde und irregeleitete Menschenbrüder zufügten! Du, Bruder, bist ein Geweckter, ein vom Jesu-Geist schon belebter Mensch! Dein Glaube und deine Liebe zu Ihm sollen ,Sein Leben' in dir schaffen und ,Neues Leben’ in Anderen zeugen, es aber nicht unterbinden! Du kennst Moses und die Propheten, und ihr wisst um alle Verheissungen! Bedenke: wenn Gott alle Feindschaft, die zwischen Ihm und dem Lebens-Feinde besteht, aufheben will, muss auch das rechte Mittel dazu angewendet werden! Und dieses Mittel war und ist — ,Jesus'! und wird es bleiben, bis alle Feindschaft aufgehoben ist."
Simon sprach erstaunt: „Bruder im Herrn! Ich kann dir nicht recht folgen und bitte dich, mich nicht misszuverstehen. Was meinst denn du eigentlich mit dieser Feindschaft zwischen Gott und dem Lebens-Feind? Hast du dabei das Böse im Auge? Wenn ja, warum wurde dann nicht offen der Kampf gegen den Satan geführt? Es wäre doch dem Meister mit Hilfe der Engel ein Leichtes gewesen, diesen Feind alles Göttlichen Lebens unschädlich zu machen."
Mahnend antwortete der Fremdling: „Simon, so verstehst du deinen Meister? (Der doch nie etwas vernichten, sondern alles Übel erlösen will!) Der unter euch lebte wie der Allergeringste, der euch diente mit einer Liebe, die die Erde und ihre Bewohner noch nicht kannte! Simon! Simon! Dein Herz erschrecke nicht, so ich dir zurufe: auch dich hatte Er doch ausersehen und gewürdigt, ein Kämpfer Seiner Heiligen Sache zu werden! Du bist aber in einer gewaltigen Irre, wenn du so an der Person Jesu hängst, da es doch nur auf Seinen ,Geist', auf Sein gewaltiges Innen-Leben und -Wesen, ankommt! Und ,Dieser Geist', den Jesus in sich trug, während Er nach aussen hin lebte wie jeder andere Mensch, — dieser Geist ist ja das Mittel, welches den Feind zwingt, zurückzukehren zur inneren Gottes-Ordnung und zum Leben mit Gott."
Simon sprach: „Bruder im Herrn! Ich möchte dir danken für den Mahnruf, den du mir gabst, wenn der Schmerz um Jesus nicht so gross wäre! Da du aber besser unterrichtet zu sein scheinst denn ich, so frage ich dich: Gab es wirklich kein anderes Mittel als Seinen Kreuzes-Tod? Und hatte Gott wirklich die Absicht, dieses Mittel auf Jesus anzuwenden? Bedenke: Ein Gott des Lebens und der Liebe nimmt keine Rücksicht auf den, den Er Selbst uns sandte, und fordert Gehorsam, Gehorsam bis zum Kreuzestod von Ihm! Was aber noch nicht das Ende ist, denn auch wir und alle Jünger müssen gewärtig sein, denselben Tod zu erleiden wie Er! Ich bin am Ende und finde mich nicht zurecht! O Jesus! Wenn Du noch lebtest, wie leicht könntest Du alle Zweifel beseitigen."
Der Fremdling fragte ernst: „Simon! Warum bereitest du deinem Meister, deinem Jesus und Heiland, zu Seinen Wunden neuen Schmerz? Du weisst doch, wie Jesaias spricht, dass Er um unseretwillen alles Leid auf Sich nehmen wird, alle unsere Krankheit und unsere Schmerzen! Und um unserer Sünde und Missetat willen gemartert, ja, den Tod erleiden würde — damit wir befreit würden von allem Übel und in Seiner Liebe unsern Frieden finden können! (Jesaias 53, 4—6.) Weiter will ich dir sagen, was Jesaias noch sagte, dass denen, die auf Ihn hoffen und an Ihn glauben, ein wahrhafter Erlöser erstehen wird, der sie hineinführen wird in das herrliche Jerusalem, welches erst die Erfüllung sein wird aller Wünsche und Sehnsucht Gottes wie auch Seiner Kinder! Du denkst, es war ein Gebot von Gott, dieser Kreuzes-Tod? 0 nein, mein Bruder! Es war der freie Wille, der Zug aus dem allerinnersten Herzen Jesu, dieses Opfer zu bringen und es Selbst zu sein! Und Gott, der Ewige, nahm dies Opfer an und erhöhte Ihn darum und setzte Ihn zum Herrn über alles, was da lebt im Himmel und auf Erden! Wäre jedoch der geringste Zwang auf Ihn angewendet worden, so jubelte jetzt die Hölle mit ihrem Anhang. Dieser Tod Jesu am Kreuze ist nun der Kreuz-Weg, auf dem sich alle Bewohner der Hölle und alle, die noch mit Jesus im Widerspruch stehen, nicht so leicht zurechtfinden werden! Gerade das, was dich bedrückt und deinen Jammer grösser werden lässt, das Kreuz von Golgatha soll zum Rettungs-Weg und zum Anker für alle werden. An diesem Kreuz muss ein jeder vorüber! (Nur durch das stille und freiwillige Opfern des Eigenwillens, oft wie im schmerzlichsten Kreuzes-Tod, lernt der Mensch den Willen Gottes erkennen! In der Form des Kreuzes entspricht der Längsbalken dem hohen Gottes-Willen, der Querbalken aber unserm Eigenwillen.) Keiner kann es umgehen, da es ja die Grund-Bedingung in sich trägt: Nur durch dieses Kreuz geht der Weg zum wahren Leben mit Gott! Kannst du nun Meine Worte verstehen, Mein Simon und auch du, Kleophas?"
Kleophas antwortete freudig: „Ja Bruder! Es ist lichter geworden in mir, und alle Traurigkeit ist hinweg! Und ich denke: auch Simon ist überzeugt davon, dass der Herr ja gar nicht sterben konnte, ohne uns und allen Menschen etwas zu hinterlassen, was wie Er selbst ist! Siehe, dort ist meine Behausung; komm und kehre mit uns ein und schenke uns noch mehr von deiner Liebe und Weisheit." Der Fremdling wollte ablehnen und sagte: „Ich möchte aber noch weiter, denn Mein Herz drängt, auch andere zu beglücken. Ihr seid ja nun zu Hause, und der Frieden wird in eure Herzen zurückkehren."
Kleophas aber bat: „Lieber Bruder, der Tag neigt sich, und bald bricht die Nacht herein! Bleibe bei uns und nimm teil an unserem einfachen Mahl. Hast du unsere Herzen gespeist mit der Kost aus deinem Herzen und uns so viel Schmerz und Kummer abgenommen, so lasse dich auch von uns stärken und erquicken!"
Der Fremdling lächelte gütig und erwiderte: „Nun, dann sei es, weil es der Zug eures Herzens will." Beim Eintreten ins Haus sprach er: „Und so sei der Friede des Herrn mit dir und mit deinem Hause!"


03. Der Gang nach Emmaus III

Das Weib des Kleophas sah die drei ankommen, brachte Wasser und wusch erst dem Fremden, dann Simon und zuletzt ihrem Mann die Füsse; und dann begrüsste es den Fremden mit den Worten: „Herr, gegrüssest seiest du im Namen des Herrn, und dein Segen werde unser Friede!"
Der Fremdling antwortete ihr sanft: „Weib des Kleophas! Dein Wunsch und Wille ist erfüllt, so du immer in dieser Demut bleibst! Und der Friede in dir sei deine Kraft und die Erfüllung!" Dankend zog sie sich in die Küche zurück; Kleophas ging ihr nach und sprach; „Hanna, diesem Fremden habe ich viel zu danken! Bereite ein gutes Mahl und richte in der oberen Kammer die Lagerstätte her; denn der Gast bleibt über Nacht bei uns."
Voll Freude sprach Hanna: „O Kleophas! Nichts tue ich lieber als das, was du jetzt verlangst, denn mir gab der Gast so viel wie dir! Aber wie kommt es, dass du deinen Gast als Fremden bezeichnest? Mir ist er jedenfalls nicht fremd! Du musst ein schlechtes Gedächtnis haben, sonst müsstest du wissen, wen du ins Haus gebracht hast!"
Kleophas entschuldigte sich und sagte: „Hanna, wir haben ihn nicht nach seinem Namen gefragt: aber eins wissen wir: er ist einer der unsrigen, einer, der auch an den Meister glaubt! Doch beeile dich, damit das Mahl fertig wird!"
Hanna lächelte und erwiderte: „Ja, gehe nur! Denn deine Worte stören mich in meiner Andacht. — Dir aber, o Herr, will ich ein Mahl bereiten, wie es deine Mutter nicht besser machen konnte!"
Inzwischen nahm Simon mit dem Fremden in der grossen Stube Platz und sprach einladend: „Mache es dir recht bequem, im Hause des Bruders Kleophas ist gut ruhen, denn die Gnade und der Segen des Herrn ruht sichtbar über seinem Grunde. Leider sind beide allein; deshalb sieht er gern Gäste und Freunde um sich, und Hanna, sein Weib, ist glücklich, so sie allen dienen kann."
Freundlich sprach der Fremdling: „Simon, auch ich kehre gerne ein, wo Liebe und Gastlichkeit des Hauses Zierde sind. Denn die grösste Zierde eines wahren Menschen ist Dienen, aber mit einem Herzen voller Liebe und Hingabe! Wäre ich euch nicht begegnet, und ihr wäret nun heimgekommen, und einige Freunde und Brüder hätten euch mit sehnsüchtigem Herzen erwartet, da auch ihnen der Friede gleich euch genommen war — , sage mir, was hätte euch die Liebe und Gastlichkeit dieses Hauses genutzt? Ihr hättet gemeinsam den Kummer und die Zweifel eurer Herzen noch vermehrt, statt sie zu vermindern. Darum ist die grösste Liebe und herzlichste Gastlichkeit dort, wo der Jünger freudig zeugen kann, in seinem ganzen Wesen, von der Herrlichkeit des Herrn! Komme, Kleophas, und höre auch du, was ich nun sage: Nie ist die Erde reicher beschenkt worden denn in diesen Tagen, wo Gottes Herrlichkeit Sich auf Golgatha offenbaren konnte! Endlich, endlich ist es unserm Gott gelungen, ein Werk ins Dasein zu stellen, das aus der allerfreiesten Liebe und Hingabe eines Menschen geboren wurde! — (nicht aus der Göttlichen Allmacht). Nicht dies war in Jesus das Grösste, dass Er Wunder wirkte und durch Tatsachen bewies, dass Er ein Herr und Meister ist, sondern dass durch Seinen Tod am Kreuz eine Möglichkeit geschaffen wurde, allen Menschen die wahre Erlösung zu bringen! Und diese Erlösung ist nun geschaffen! Denn Jesus lebt! Und wo in aller Zukunft Jesus leben kann (als Geist der Liebe), da ist das Tor geöffnet zum Reiche des wahren Lebens. (zum Reiche des lebendigen Empfindungs-Lebens, wo mit erwachten geistigen Sinnen überall die Herrlichkeit Gottes erlebt wird.)
Hoch erstaunt fragte Simon: „Bruder, hast du Jesus schon gesehen und gesprochen? 0 sage, wo, — wo treffen wir Ihn? Heute noch, jetzt gleich will ich zu Ihm eilen; denn mein ganzes Sinnen und Trachten ist jetzt nur auf Jesus gerichtet." Der Fremdling fragte sanft: „Simon, weisst du noch, was der Meister sagte, als Er von uns Abschied nahm und weiter Seines Weges ziehen musste? Sagte Er nicht: «Im Geiste bleibe Ich bei euch und unter euch, so ihr in Meinem Geiste verbleibet!» Warum zieht es dich noch hin zu der Person Jesu, die ja nur der äussere Sammelpunkt Seines inneren Göttlichen Liebe-Wesens war? O Mein Simon, so viel müsstet ihr euch schon von eurem Meister angeeignet haben, dass in eurer Gegenwart niemand den Heiland vermisst! Es würde Jesu grösste Wonne sein, so Seine wahren Jünger in Seinem Geiste sich betrachten als die Bewahrer des hohen heiligen Gutes, welches Er durch Sein freiwilliges Sterben allen, allen hinterlassen hat! (Den Weg zur Erlösung vom Schein-Leben uns vorzuleben!) Betrachtet nun in diesem Sinne Sein Leben und Sterben und setzet alle eure Hoffnungen jetzt auf Seinen Geist, dann ist alle Trauer dahin! Und Sein Leben wird sich bald bekunden in euch und dann auch — um euch."
Bewundernd sprach Kleophas: „O Bruder und Freund des Herrn! Nie sah ich dich um den Meister und doch ist deine Sprache die Sprache Seines Geistes! Wie kommt es, dass du von dem Kummer um Ihn nicht berührt wirst? Denn dein herrliches Zeugen für den Meister beweist mir, dass dein Inneres frei von Leid und Sorgen ist! Gewiss, es ist jedes Wort lebendige Wahrheit, welches du zu uns gesprochen hast; aber wir sehen an uns selber, welch ein grosser Weg noch vor uns liegt, ehe wir zu solch heissersehntem Ziele kommen. Du sagtest: Setzet alle Hoffnung nur auf Seinen Geist! Ja, dürfen und können wir es denn noch? Du sagtest zu uns Worte des Lebens — —, und so wirst du auch in unsere Herzen schauen können und den Trümmerhaufen gewahren, der erst wieder geordnet werden muss. O Freund, wer Söhne und Töchter besitzt — und sie vor der Zeit dahinwelken sieht, der braucht eine andere Kraft, um sein Herz zusammenzuhalten, sonst bricht er zusammen! Und in diesem Zustand fandest du uns! Denn, dass wir Sein Sterben noch nicht in deinem Sinne betrachten können, wird dir auch verständlich sein?"
Liebreich antwortete der Fremdling: „Kleophas, du brauchst dich nicht zu entschuldigen ob deines Schmerzes und Kummers; denn der Meister weiss um alles! Darum nur kam ich zu euch, um diese Banden zu lösen, die ihr selbst in euren noch zu menschlichen Begriffen — um den Menschen Jesus webtet. Sein Tod löste alles Menschliche von Ihm und will allen den euch liebenden Erlöser offenbaren! Und je mehr ihr in diesem Sinne nun Sein herrliches Werk fortsetzet, je mehr Kraft quillt in euch empor und ordnet alle Trümmer und noch falschen Begriffe in dem Sinne Jesu: «Wer Mich liebt, der wird den Willen tun Meines himmlischen Vaters! Denn Er sandte Mich in diese Welt, damit dieselbe selig werde durch Mich.» So lauteten Seine Worte an euch! Und jeder, der das tun wird, was ihr nun im Geiste und im Sinne Jesu tun könnt an euren Mitmenschen, der wird die Seligkeit schmecken, die Jesus genoss all die Zeit hindurch, — da Er restlos den Willen Gottes, Seines himmlischen Vaters, erfüllte! Sehet: durfte Er zurückschrecken vor der allergrössten Liebes-Tat, die Sein Werk doch krönen sollte, wodurch nun endlich der Weg und die Verbindung zwischen Gott und Mensch wahrhaft hergestellt, werden konnte? Hätte Jesus noch mehr Leben zum Opfer gehabt, hätte Er willig, ohne zu zögern, alles hingegeben! Denn es galt, das Innen-Leben aller Menschenkinder von ihrer Knechtschaft zu erretten! (Es galt, unser Empfindungs-Leben zu lösen von den Banden der materiellen Wünsche! Darum sollte der Mensch mehr auf das herrliche Vorbild Jesu achten.) Und ihr nun, die ihr Seine Jünger seid, seid auch die ersten, die aus und von ,Diesem Leben in euch' zeugen sollen!"
Simon dankte: „Lieber, lieber Bruder, wie notwendig solches Zeugnis ist, sehe ich an mir! Wie wenig hat es dich gekostet, und schon fühlen wir im Herzen den geheimen Zug dieses Geistes aus Gott. Es ist selbstverständlich, dass ich mir dieses nicht mehr rauben lasse, da der Feind des Lebens doch ausserhalb meines Herzens leben muss, so lange das Bewusstsein der Gott-Verbundenheit in mir besteht! Und so danke ich dir, mein Bruder, wie ich auch dem Meister danken werde! Wohl fühlte ich deine Worte wie Hammerschläge in meiner Brust, aber jetzt sind sie mir Lebens-Brot und -Wasser! Oh, wenn doch alle die anderen Brüder auch hier wären, wie würden sie sich freuen und gleich mir dankbar sich erweisen."
Der Fremdling belehrte weiter: „Simon! Nun erst, da du an deine Brüder denkst, wirst du völlig befreit vom Druck deiner Schmerzen! Denn was sind eigene Schmerzen, so ich andere heilen kann? Nichts als nur der Antrieb zur Auswirkung dieses freien Gottes-Lebens in mir! So du dich aber in deinem Schmerze windest und gar klagst, schaltest du den Strom des Lebens aus! Und alle Welt in dir und um dich ist gefesselt und geknechtet, wenn nicht gar gebrochen, und der Helfer und Heiland in dir ebenso! — Sehet! Die ganze Welt ist nicht das, was sie scheint, — sondern wie du sie siehst von deinem Innen-Leben aus! Bist du in dir ein freier und froher, ein vom wahren Gottes-Leben durchdrungener Mensch, ein Gottes-Kind, so denkst du nicht an eigenen Kummer! Sondern alle Wünsche in dir gehen dahin, deine Umwelt ebenso frei und froh zu machen! Und bald werden dir dabei Göttliche Kräfte zum Helfen zu Gebote stehen! Bist du aber ein klagender, von Unruhe und Unrast gequälter Mensch, so ärgert dich jede frohe Seele, und in dir ballen sich Kräfte, die nur stören und zerstören wollen! Und die Welt um dich erscheint finster und unschön! Sehet, welche Gegensätze! Und so findet ihr im Leben und Vorbild Jesu alles! Hätte aber Jesus an Sich gedacht, nur Seinen eigenen Wünschen lebend, so hätten alle Menschen ohne Tröstung, ohne Halt und ohne Hoffnung auf ein seliges Innen-Leben bleiben müssen, welches nicht erst im Jenseits, sondern schon hier im Erden-Sein sich bekunden soll! «Ich bin ein guter Hirte»—, waren Seine Worte, und als echter Hirte sorgte Er auch für die Zukunft! Eure Zukunft aber ist Sein Geist in euch ! Denn Er ist: das A und O! — Anfang und Ende aller Dinge."
Beglückt wendete sich Simon an seinen Freund: „0 Bruder Kleophas! Was sagen wir nun zu dem Gehörten? Ist es nicht, — als wenn der Herr und Meister Selbst (Nochmals taucht diese Ahnung auf! — Und geht nicht Jesus ebenso unerkannt auch oft an unserm Bewusstsein vorüber?)
uns diese heilige Lebens-Wahrheit kundgibt? Mein Inneres ist genau so von Heiligem Leben erfüllt, als wenn wir um den Meister wären! Wahrlich, es ist fast kein Unterschied mehr!"
Kleophas antwortete ihm etwas besorgt: „Simon! Simon! Wirst du auch nicht in den Sorgen- und Kummer-Geist wieder zurückfallen und anderen das Leben schwer machen? Denn mir scheint, als wenn du dich jetzt zu sehr von unserem Freund beeinflussen lässt. Es ist wahr, du Freund und Bruder hast uns durch deine Liebe und dein Mitgehen von unserem Kummer befreit, und in mir ist es wahrlich, als wäre Jesus nicht mehr im Tode! Sein Tod hat mich auch an meinen Tod gemahnt, da ich Seine Worte so rasch vergessen konnte! Doch nun fühle ich mich wohl, und ein ganz anderes Leben ist in mich eingezogen. Morgen früh gehen wir mit dir, und ich weiss, du wirst das Wohin finden; denn aus dir leuchtet schon das Leben, welches uns frei machen soll! Bruder Simon, denkst du nicht auch wie ich?"
Freudig stimmte Simon zu: „0 Bruder Kleophas, frage nicht; das ist doch selbstverständlich! Aber dich, Bruder aus der Ferne, möchte ich noch fragen: Ist Jesus wahrhaft auferstanden, wie einige Frauen erzählt haben sollen? Hast du uns so viel von dem Leben des Meisters gegeben, weisst du vielleicht auch hier Bescheid. Auch hast du selber den Ausspruch gebraucht: Jesus lebt! Freilich gebrauchtest du dies Wort im geistigen Sinne; aber ich meine jetzt, ob Er wirklich dem Grabe entstiegen ist, und ob wir Ihn genau wie dich sehen, sprechen und mit Ihm gehen könnten?"
Der Fremdling entgegnete ernst: „Bruder! Diese Frage ist nicht deinem Gottes-Leben, sondern deiner Seele entsprungen! Doch auch hier will ich euch die rechte Antwort nicht vorenthalten, also höret: Jesus lebt! Wie Er Selbst es euch verheissen hat! Sagte Er nicht: «Brechet diesen Tempel ab (Seinen Körper, da für jeden sein Körper „ein Tempel" des Gottes-Geistes sein soll!), und in drei Tagen will Ich ihn neu aufbauen!» Ja! — Jesus lebt! Er lebt nun in einem unzerstörbaren Leibe und richtet auf alle Herzen, die der Schmerz und die Sorge um Ihn beugten! Ja! Jesus lebt und macht wahr Seine Liebe,
— Die da kündete: «Ich will euch nicht waisen lassen! Nur eine kleine Zeit will Ich Mich verbergen; aber dann komme Ich wieder, um Mich nicht mehr zu trennen von denen, die Mich wahrhaft lieben!» Und nun begreifet: Um diesen auferstandenen und ewig lebendigen Jesus zu schauen, dazu gehört ein lebendiger Glaube, der aber auch nicht den geringsten Zweifel ins innere Herzens-Leben einlässt! Nur, wo dieser Glaube lebendig wird, ist das Herz eingestellt auf den, der nie mehr sterben kann! Denn in solchem echten lebendigen Glauben stirbt zwar der Menschen-Sohn Jesus am Kreuze und verherrlicht selbst im Todesschmerz noch das Leben Seines Ewigen Vaters! Dafür aber wird das Innere Geistes-Leben aus Jesus im eigenen Herzen lebendig und gehet dort als Frucht, als unzerstörbares geistiges Erlöser-Leben auf! Und somit ist wahr, was ich euch kündete: Er starb, damit die Seinen — leben! Die aber nur dieses Neue Leben erhalten aus Seinem Geistes-Leben, welches allen Tod und alles Gericht überwunden hat! Bruder Simon, kannst du nun glauben, dass Er wahrhaft lebt?"
Simon antwortete lebhaft: „Bruder im Herrn! Wie du es darstellst, bin ich genötigt, dir zu sagen: Ja, Er lebt! Aber warum ist mein Herz so voller Unruhe? In mir sagt es laut: Ja! — Er lebt!
Aber in meiner ganzen Sehnsucht drängt es mich, dir zu sagen: Ich möchte Jesus sehen! — So wie Er als Mensch lebte! So, — wie Er noch in meiner Erinnerung lebt! Und ich glaube, dann erst wäre meine Sehnsucht gestillt!"
Ernst sprach der Fremdling weiter: „Bruder Simon, höre, was ich dir nun sagen werde: Lasse dich von deiner Sehnsucht, Ihn äusserlich zu sehen, nicht in Irrtum führen! Denn du weisst aus der Schrift, welche List der Feind alles Lebens anwenden kann! — Dem, welcher sogar in ein Engels-Gewand sich kleiden kann, würde es nicht schwer fallen, das Äussere des Menschen-Sohnes Jesus nachzuahmen! Doch könnte dieses deiner Sehnsucht Erfüllung sein? Ist es dir noch immer nicht möglich, dich ganz hinein zu leben und hinein zu versetzen in das Geistes-Leben deines Meisters und Heilandes Jesu? Nur dann erst wirst du frei von allen äusseren Wünschen und wirst innerlich gefestigt! Wie willst du denn im Sinne deines Meisters wirken, wenn du noch den Hemmschuh Sehnsucht in dir nährst? 0 Simon, eine andere Zeit ist nun für euch angebrochen, eine Zeit des rein geistigen Schaffens und Wirkens! Denn diese Zeit braucht Zeugen! Zeugen, die innerlich ganz frei und gefestigt und mit ganzer Kraft ihr Leben weihen Dem, Der das Leben ist und Leben gibt! Sehnsucht schafft nur Hunger, aber kein Leben! Darum suche nun in dir das, was du noch äusserlich von deinem Jesus erwartest!
Als der Meister in schwerstem Kampfe in sich und mit sich rang, tauchte auch in Ihm eine Hoffnung auf! Und diese Hoffnung wurde zur Sehnsucht und letztlich zur Qual! Denn es betraf euch, Seine Jünger und Brüder! Nur ein einziger froher Blick aus euren Augen wäre für Ihn Erfüllung gewesen, und Seine Qualen wären bedeutend verringert worden! Denn Er erhoffte und ersehnte von euch und aus euch: Volles Verstehen für das, was zu tun Ihm die Liebe — zur Liebe —, die Liebe zu allen geknechteten Menschen und Wesen gebot! Als in Ihm aber diese Hoffnung und Sehnsucht sterben musste, lebte eine geistige, grössere, gewaltigere auf! Und innerlich gestärkt gab es jetzt für Ihn nur noch ein Wollen und Vollbringen — für den Vater! O meine Brüder! So ihr alles dieses nicht erfasst und in euch erlebt, werdet ihr nicht Seine wahren Jünger und Nachfolger werden können! (welch ein schwerbedeutsames Wort für uns!) Denn nur in Ihm ist das wahre Leben!, und dieses göttliche Leben — ist das Licht für die irrende Menschheit! Wer dieses göttliche Licht in sich trägt, lässt alle irdische Hoffnung und Sehnsucht weit hinter sich zurück. Es gilt nun nur eins: Lasset alles Nichtige auch in euch sterben! Dann lebt Er nicht nur unter euch, sondern in euch! Und Sein Geist ersetzt euch Seine äussere Gegenwart."
Erschüttert sprach Simon: „Bruder, Bruder! Du beschämst uns immer mehr, und ich gebe zu, dass du voll und ganz recht hast! Aber einen Punkt hast du berührt, den ich nicht fassen kann: Diese Seine Sehnsucht musste auch in Jesus sterben? Ja, ist denn dieses möglich? Nur, so eine Sehnsucht sich erfüllt, bin ich frei und froh! Doch unser Herr und Meister, dem nichts unmöglich war, musste etwas unerfüllt wieder in sein Herz versenken? Dies begreife ich nicht! — Doch du sagtest dann weiter: «Eine neue, geistige, gewaltigere Sehnsucht lebte in Ihm auf und brachte den Willen in Ihm zum Durchbruch: Zum Vollbringen für den Vater!»
Der Fremdling belehrte weiter: „Simon! Wenige nur werden erfahren, was du gehört und wonach du eben fragtest! Und so höret: Der Herr und Meister im grössten Lebens-Kampfe war allein! Nirgends Aussicht auf Hilfe oder Beistand, da es Sein ausdrücklich Gebot war an alle Engel und Diener des Ewigen Gottes: «Lasset Mich allein! Denn Der Mir hilft und beistehen kann, ist in Mir und ist der Vater!» Aber noch ist Jesus Mensch! Noch hat Er Augen, die Verständnis für das grosse, zu erfüllende Werk suchen! Noch ist Er Mensch mit einem Herzen, welches sich nach Stärkung sehnt durch einen Seiner Brüder. Doch verständnislos sehet ihr den Meister in Gethsemane ringen, und [k]einer aus euch bringt den Mut auf, sich an die Seite eures Meisters zu stellen und zu sagen: «Herr! Mag kommen, was da will, — mein Leben gehört Dir!» Dieses wäre die Erfüllung Seiner Hoffnung und Sehnsucht gewesen! Kämpfen wolltet ihr, ja! Aber nichts tragen, nicht mitdulden! Da starb das letzte Menschliche in Ihm!
Doch in Ihm lebte ein grösserer Gedanke auf, — ein Etwas, das Ihn stark und willig machte! Und dieser Gedanke wurde zum klaren Bewusstsein, zur lebendigen Tatsache, indem Sein Inneres jetzt erfüllt wurde von dem einen Willen: «Nicht mehr Mein, sondern nur Dein Wille geschehe!» Nun war es, als wenn alle hohen Geist-Wesen, die Ihn ringen und kämpfen sahen, Ihm ihre tiefe Dankbarkeit bezeugen wollten und Ihm Kräfte reichten! (und jetzt reichen durften!) Und ein Engel sammelte alle diese Strahlen-Kräfte wie in einem Brennglas und stärkte Ihn in Seinem in Ihm neuerstandenen
Wollen (Lukas 22, Vers 43). Hunderte, ja Tausende von Jahren werden vergehen, — dann erst wird offenbar, was den Herrn und Meister alles Lebens festigte in dem Willen, zu dulden und zu sterben für Sein grosses heiliges Liebes-Werk! In dieser Stunde wurde der grösste aller Siege erkämpft! Und was nachher erfolgte, konnte leichter ertragen werden! Denn der zum Durchbruch gekommene Geistes-Wille schuf unaufhörlich neue Kräfte in Ihm! Dieser Stunde habt ihr und haben alle kommenden Geschlechter es zu verdanken, dass nun ein Weg geschaffen wurde, der alle bestimmt zum herrlichen Lebens-Ziel führt! Was ihr dann auf Golgatha erschautet und erlebtet, war die Krönung alles dessen, was zuvor schon im Herzen Jesu sich formte und bildete, um nun, der ganzen Unendlichkeit sichtbar, den seit Ewigkeiten versprochenen Beweis zu geben: Gott — ist Liebe! — Und Liebe ist und war das Leben in Gott!
Von nun an wird jeder, der diese Liebe sich angeeignet, leben: aus dem Überwinder-Geiste von Gethsemane und Golgatha! Und kein Feind noch Gegner wird es je wagen dürfen, sich an diesem Heiligtum des Lebens zu vergreifen! In diesem Strahlen-Leben ist Jesus nicht mehr ein Gast der Erde, sondern in Sein Eigentum zurückgekehrt (in die Innere Göttlichkeit Des Vaters). Und dieses himmlische Wissen, dieses Bewusstsein, wurde Ihm in jener schweren Stunde! — Darum, liebe Brüder, trauert nicht! — Denn Er lebt dort, wo Seine Kinder und Seine Brüder erwachen! Dort, wo ein kindliches Herz vom Geiste der Dankbarkeit durchdrungen ist: Dies tatest Du für mich, damit ich nun leben darf ein Leben in Deiner Gnade, ein Leben der Freude und der Erfüllung!"
Hanna hatte die ganze Rede des Fremden mit angehört, die beiden Brüder aber hatten sie nicht bemerkt; da wandte sich der Fremde um und sprach zu ihr: „Komme auch du näher und vernimm auch weiterhin, was ich den beiden noch sagen werde, da es für alle so wichtig ist! Denn nicht nur Männer und Jünger des Herrn, sondern alle Menschen, ob gross oder klein, ob arm oder reich, sind berufen, Träger jenes gewaltigen Gottes-Lebens zu sein, um damit zu wirken und zu schaffen nach dem Willen des Erlösers! Denn nicht mehr habt ihr es jetzt mit ,dem Gesetz' zu tun, — sondern mit dem Geiste des Erlösers, und eure Aufgaben sind nur in diesem Geiste zu lösen! Fraget nicht: ,Welche Aufgaben harren unser'?, — sondern seid jederzeit bereit, den Ruf dazu in euch zu vernehmen!
Denn der euch zur Arbeit dingt, gibt auch die Anweisung! Wie ihr aber die Aufgaben löset, bleibt eurer freien Liebe und Weisheit überlassen! In euch liegt noch so manches in Trümmern, was Jesu Tod verursachte; doch ihr selbst seid es, die da wieder Ordnung schaffen müssen! Darum denket daran, wie schwer euer Meister kämpfte, als es galt, die Hemmungen in Ihm zu lösen, um restlos den Willen Gottes zu erfüllen! — Bedenket aber auch das andere: Luzifer ist jetzt der Besiegte, und sein Hass ist grenzenlos! Es gibt keinen Engel, der diesen grossen und doch so tief gesunkenen und verirrten Bruder nicht bedauert! Doch mit des Herrn Tod auf Golgatha — ist auch diesem der Weg zur Freiheit, zurück zu Gott, jetzt nur noch möglich — über Golgatha (d. h.: durch den freiwilligen Kreuzes-Tod seines Eigen-Willens)! Das Kreuz, das dem Menschen-Sohne Jesus alles Göttliche rauben sollte, ist zum grossen Wendepunkt für alle geworden! So wie ein jeder nun das freie Recht ergreifen kann, auch auf sich den Geist von Golgatha wirken zu lassen, um in sich das Bewusstsein zu steigern: «Jesus, der Erlöser, lebt auch in mir! Und Sein Leben sei meine Kraft, die mir hilft, alles Irdische in mir zu überwinden!» —, so ist es nun aber nicht mehr möglich, in einem anderen Geiste diesen Sieg zu erringen! Das Kreuz ist nicht nur das Symbol von Leiden und Prüfungen, sondern auch das Zeichen des Erwählten! Denn ,Im Kreuze sich bewähren', heisst: in sich öffnen alle Tore (alle geistigen Sinne und Sinneswerkzeuge) zum wahren, ewigen Leben."
Stumm sahen sich die Brüder an! — Da nun Hanna bemerkte, dass der Gast nicht mehr weiter sprach, ging sie still hinaus und besorgte das Mahl. Die drei aber schwiegen, und jeder war tief bewegt. Als die Speisen bereitstanden, bat Kleophas: „Bruder! Das Mahl harret unser, und Gott gab uns das Recht, zu segnen! So segne du die Speise und danke du für uns." Segnend hob der Fremde Seine Hände über das Mahl, nahm das Brot, brach es und sprach: „So geniesset es im Namen des Herrn, damit es in euch zur Stärkung für Leib und Seele werde, und ihr erfüllet werdet mit der Dankbarkeit, mit der Ich erfüllet war, so dass Ich den Willen des Vaters in Mir restlos erfüllen konnte! Amen."
„Herr! — Du bis es!" riefen Simon und Kleophas zugleich und sprangen hin, um Ihn mit ihren Händen zu fassen, aber — der Platz war leer! verschwunden war der Herr! Nun sahen sie sich an, und Simon sprach erschüttert: „Es war — der Herr!" — „Oh, — warum haben wir Ihn nicht eher erkannt? Wie weh muss Ihm ums Herz gewesen sein! —
Wir, Seine Jünger, sehen vor lauter Kummer und Sorge nicht einmal den Herrn bei uns! Der uns doch so liebevoll aller Sorgen ledig machte! Wir aber überhören die Stimme unseres Herzens, die da mahnet: «Es ist der Herr! — Das ist der Herr Selbst!»"
„Simon", sprach Kleophas, „Ja! — Es war der Herr! Und nur Er weiss, warum Er fremd bleiben wollte, denn schlugen nicht unsere Herzen gewaltig, als wollten sie protestieren gegen unsere Blindheit! Ich aber sage dir, der Herr wollte es so, sonst hätten wir Ihn erkennen müssen!"
Simon rief erregt: „O Bruder! Jetzt bist du in der Irre! Der Herr sollte es wollen, dass wir Ihn nicht erkennen? Nein! Ich denke anders! Wohl wurden unsere Augen gehalten, — aber von unserer Schwäche, von unserer Menschlichkeit, die da keinen Ausweg sehen wollte aus unserer Trauer. Und in dieser Schwäche kam der Herr zu uns und machte uns frei davon! Darum will ich heute noch zu den Brüdern gehen und ihnen die grosse Kunde bringen: Der Herr — lebt!"
Nun sprach Hanna: „0 ihr Männer, ihr Toren! Wie kam es denn, dass ich wusste, wer der Gast war? Ehe Er zu mir sprach, wusste ich: Es ist der Herr! Als ich Seine Füsse abstäubte, da gewahrte ich die Nägel-Male, und so schaute ich auf Seine Hände —, auch hier bemerkte ich die Wundmale! Da begrüsste ich Ihn als den Herrn!, und Sein Dank war für mich ein Geschenk aus den Himmeln."
Kleophas fragte erstaunt: „Was, Hanna, du hast Ihn erkannt und sagtest mir nichts davon?" Hanna lächelte und erwiderte: „Doch! — Aber du warst ja taub und blind, und nur der Herr konnte dich wieder sehend und hörend machen. Nun eilet hin zu den Brüdern und bringt ihnen die Kunde: «Der Herr ist nicht mehr im Grabe, sondern Er ist bei uns gewesen — und hat uns tiefe Geheimnisse Seines Lebens enthüllet!»
Sehet, auch ohne die Wundmale hätten mich Seine Worte aufhorchen lassen! Denn, welcher Fremde weiss wohl um Dinge, die nur uns bekannt sind? Und welcher Fremdling könnte sich wohl so einsetzen für den Heiland Jesus? Aber es ist alles gut so! Hat der Herr es doch erreicht, dass ihr nicht mehr klagt, sondern wieder froh seid und nun die angstvollen Gemüter der anderen aufrichten könnt."
Simon fragte erstaunt: „Hanna, seit wann trittst denn du so für den Meister ein? Das war ja früher nicht der Fall; im Gegenteil, du hast oft behauptet: «So kann es nicht immer fortgehen.»"
Hanna erklärte ihm: „Simon, du hast recht geredet: ich war ja auch nur eine Dienende und musste mich begnügen mit den Brocken, die da übrig blieben! Aber heute hat mich der Herr gesegnet! Und ich fühle in mir noch den Strom von Lebens-Kraft, der aus Ihm in mich übergegangen ist! Immer hätte ich jubeln mögen über Seine Worte: «Dein Wunsch und Wille ist erfüllt, so du in der Demut bleibest! Und dieser Friede in dir — sei deine Kraft und die Erfüllung!» O ihr Männer! Begreifet, was es heisst, von Ihm gesegnet zu sein! Sein Friede ist unsere Kraft und Erfüllung! Weiter brauche ich nichts mehr für mein Erdenleben. Sein Friede trägt mich! Sein Friede ist mir Halt und gibt mir die Gewissheit: Er lebt! — Er lebt! —, wenn auch andere es nicht glauben können. Welch beseligenden Zustand hat Er mit den wenigen Worten in mir geschaffen? Ihr habt eine Stunde lang mit Ihm geredet und seid doch an aller Seligkeit vorbeigegangen!" —
Simon bestätigte: „Hanna, gewiss, du bist die Glücklichere! Und ich freue mich über dein doch wahrhaft verdientes Glück. Dass wir den Herrn nicht gleich erkannten, hat uns wohl um Wonnen gebracht, die nur die höchsten Engel erleben; aber ist es nicht genug Glück, zu wissen: Der Herr kam zu uns! Zu uns, die wir in Trauer und Zweifeln lagen! Und hat uns frei und froh gemacht!"
Hanna begütigte: „Ja, Simon, wir wollen nicht streiten, wer glücklicher ist! Ist doch der Herr Selbst zu uns gekommen und hat uns den Frieden unserer Seele gebracht. Aber ich denke, es hat der Herr noch einen ganz besonderen Grund dabei gehabt, und darum sage ich euch: Geniesset nun das von Ihm gesegnete Mahl; denn nicht umsonst hat dies der Herr getan! Und gedenket Seiner Worte dabei, dass es euch erfüllen soll mit Dankbarkeit, um freudiger für Ihn weiter zu wirken und schaffen! Denn ebenso, wie ihr im Zweifel wäret, -— so werden auch viele andere noch in Trauer um Ihn sein."
Bald war das Mahl beendet; denn Hanna hatte ihren Eifer gelockt, Ihm ihre Dankbarkeit durch Taten zu bekunden. Und so verabschiedeten sie sich und eilten nach Jerusalem, obgleich es schon Nacht wurde.


04. Der Gang nach Emmaus IV

Die beiden Männer waren innerlich mit dem Erlebten beschäftigt; jeder wartete auf eine Anrede des anderen, doch keiner wollte die Stille entweihen, und so gingen sie schweigend mit raschen Schritten vorwärts. Auf dem Wege kamen ihnen zwei Männer entgegen; doch erst, als sie ganz nahe waren, erkannten sie sich in dem schwachen Mondlicht, und der eine grüsste: „Frieden sei mit euch!" — Er wendete sich an Kleophas und fragte: „Nun, Bruder Kleophas, wohin wollt ihr noch? Es geht auf Mitternacht! Was ist denn geschehen, dass es nicht Zeit hätte bis zum frühen Morgen?"
Kleophas antwortete: „Bruder Joseph! Wir haben das grösste Wunder aller Wunder erlebt: Der Meister Jesus ist vom Tode auferstanden, und wir haben mit Ihm gesprochen! Dieses wollen wir allen Brüdern verkünden, die noch in Angst und Schmerzen um Jesus trauern."
Joseph fragte erstaunt: „Ihr sahet Jesus? — Er lebt wirklich? Wir kommen von Jerusalem; dort herrscht Zweifel und allerlei Gerede, aber keiner weiss, was wahr und unwahr ist. Zu Bruder Ephraim sagte man sogar, Jesus wäre in Begleitung zweier Engel im Tempel gewesen und hätte mit dem Hohenpriester abgerechnet."
Kleophas fragte erstaunt: „Brüder, habt ihr diesem Gerücht geglaubt? Unser Meister Jesus, der Sich schlagen und töten liess, hätte jetzt mit Seinen Feinden abgerechnet? Dies hätte Er als Mensch doch leichter tun können! Aber Er litt lieber unschuldig, als um sein Recht zu kämpfen! Nun wir aber mit Ihm gesprochen haben, wissen wir, warum dies alles so geschehen musste! Doch haltet uns nicht auf, wir haben grösste Eile; denn jede Stunde Verzögerung könnte Sein Werk in Gefahr bringen."
Ephraim fragte: „Brüder, was wollt ihr mitten in der Nacht denn ausrichten? So Jesus lebt, wird Er Selbst wissen, was zu tun ist. Übrigens kann ich es noch nicht glauben; denn was der Tod uns nimmt, ist und bleibt für uns Menschen tot. Darum kehret nur ruhig um und überlasst alles Kommende eurem Meister!"
Simon entgegnete ihm: „Bruder Ephraim, wir wissen, wie es vorher um uns stand, und wir haben Grund, uns jetzt zu freuen! Denn der Herr Selbst hat uns diese Freude gebracht. Als Jesus als Heiland Kranken Heilung brachte und mancher Not ein Ende machte, war es dir lieb; da Er dir aber keinen irdischen Vorteil brachte, war Er weniger dein Freund; und so ist es dir nicht so wichtig, ob Er lebt oder nicht. Uns aber ist es das Allerwichtigste! Denn, ist Jesus wahrhaft von den Toten auferstanden, so können wir wieder hoffen! Komm, Kleophas! Unser Ziel sind unsere Brüder; auch ihnen tut diese Freude und frohe Kunde wohl: Unser Jesus lebt!
Simon und Kleophas verabschiedeten sich kurz und lenkten ihre Schritte nach Jerusalem. Die beiden Anderen aber blieben betroffen zurück, und Joseph fragte: „Was ist nun eigentlich wahr? Weisst du, zur Ruhe kommen wir heute doch nicht! Wir wollen den beiden nacheilen und mit ihnen gehen; dann werden wir wohl endlich die reine Wahrheit erfahren!"
Ephraim antwortete: „Joseph, du redest, als wäre dies die leichteste Sache von der Welt. Wie kann ich mitgehen zu Seinen Jüngern, der ich so geringes Interesse für Jesus zeigte, solange Er lebte, und auch jetzt noch nicht Feuer und Flamme für Ihn bin. Ist Er wahrhaft auferstanden, dann war es schade um all die Schmerzen und Leiden." Joseph erregte sich und sagte: „Zweifler! So bleibe allein, — in mir ist ein Zug zu Jesus! Wenn Er lebt,—welches Glück! Dann wird Er sicher noch Sein Volk erlösen, da Er nicht mehr zu vernichten sein wird! Das Überwältigende ist doch: Erst Leiden, dann Tod und nun ein Neues Leben! Darum, Bruder Ephraim, ich eile den beiden nach."
Ephraim murrte: „Dann gehe, du Schwärmer! Ich ziehe meine Ruhe vor."
Joseph aber hörte diese Worte nicht mehr, denn er eilte den beiden nach, konnte sie aber nicht gleich einholen. „Tut nichts", sprach er für sich, „ich finde sie doch; denn nur in der Herberge beim Lazarus werden sie einkehren!" Darauf zog ein Glücks-Gefühl in ihn ein, so dass er laut ausrief: „O Herr und Heiland Jesus! Warum lief ich Dir nicht nach, als Du noch lebtest? Jetzt erst fühle ich diesen Drang in mir, wo Du bewiesen hast, dass Dein Wort nicht Ton und Schall war, sondern Wahrheit. 0 lasse mich die Überzeugung finden, dass Du noch wahrhaft bei uns bist."
Simon und Kleophas aber eilten unentwegt weiter, und Simon sprach: „Bruder Kleophas! Die Liebe beflügelt unsere Schritte, wir sind schon ein gutes Stück dem Ziele näher gekommen! Siehe, auch die Sterne am Himmel bekunden durch ihr Leuchten den Dank, den sie ihrem Schöpfer schulden! Immer noch denke ich nach, was der Herr über die Dankbarkeit sagte! Wie verstehst du eigentlich dieses Sein Wort?"
Kleophas antwortete: „Bruder, wie ist es wohl anders zu verstehen, als sich zu bemühen, so zu werden, wie der Meister Selbst war. Nicht nur so zu reden, nein, vor allem so denken zu lernen, wie Er dachte! Alle Seine Gedanken richteten sich auf Seinen Heiligen Vater! Und in dieser Verbundenheit kannte Er ja kein anderes Ziel als Gott, und Gottes Willen zu tun! — Alles andere Denken war ja nur die Folge Seines innigen Verbundenseins mit Gott! Und jetzt verstehe ich auch alle Seine Worte ganz anders! Sieh, wir, die wir an Ihn glaubten, hofften auf Vorteile, hofften auf Erlösung unseres geknechteten Volkes! Und darum taten wir, was Er von uns forderte. Aber, wollte Jesus das auch, was wir von Ihm erhofften? Immer betonte Er: «Tuet nach Meinen Worten, dann werdet ihr inne werden, dass nicht Ich, sondern der Vater in dem Himmel zu euch gesprochen hat.» Und so nahm Er zwar unsere Liebe an, zeigte uns aber immer wieder, was wahre Liebe bedeutet. Jetzt weiss ich erst, — was Liebe ist, Bruder Simon! Und mein Handeln Jesu gegenüber würde heute ein anderes sein, da eben das Bewusstsein in mir auflebt: Ihm immer dankbarer zu sein, weil Er mich erwählt hat, zu arbeiten für Ihn, aber nicht aus meinem Geiste zu arbeiten, sondern aus Seinem Geiste! Und dies fehlte uns! (Das Bewusstsein: „Ohne Mich könnt Ihr nichts tun!") Siehe, ich will dir beweisen, dass wir auch in dieser Stunde nicht aus dem Geiste Jesu, sondern aus unserem Geiste heraus nach Jerusalem gehen! Er sagte, und in Seiner Liebe lag ein bestimmter Plan: — «Gehet zu den anderen, um die grosse Freude zu verkünden!» Wir gehen, und Seine Liebe stellte uns vor eine herrliche Aufgabe, die wir aber nicht beachteten, wie ich es jetzt in mir ersehe! Denn die beiden Nachbarn Joseph und Ephraim waren uns zur Aufgabe gestellt! Wir durften uns nicht so leicht von ihnen trennen; wir mussten versuchen, den beiden das grosse Erleben so eindringlich ans Herz zu legen, dass auch sie es hätten glauben müssen: Der Herr lebt! Wäre ihr Glaube zu solcher Gewissheit geworden, dann erst, Bruder Simon, wäre unserer Bruder-Liebe Genüge getan und dadurch wären wir dem Herrn dankbar gewesen für die Gnade, die wir heute erlebten! So aber ist meine Freude schon gedampft, denn vorhin haben wir versagt!"
Simon sprach nachdenklich: „Mein Bruder Kleophas! Es liegt tiefer Sinn und tiefe, reine Wahrheit in deinen Worten, aber ich glaube, du urteilst jetzt zu scharf über dich und unser Tun. Du kannst recht haben, aber dann wäre ja jede verfehlte Handlung eine Anklage! Wer aber will behaupten, der Herr habe es anders gewollt? Ich glaube, du gehst hier zu weit! Ist es nicht unsere Liebe, die uns zu den Brüdern treibt? Ist Liebe und Dankbarkeit nicht eins wie das andere?"
Kleophas erwiderte: „Bruder, du hast den Sinn nicht erfasst! Und so ich es dir erklären wollte, hättest du doch wieder Einwürfe, da alles, was ich in mir sehe, nicht mit Worten auszudrücken ist! — Dieses aber offenbare ich dir: Was uns der Meister in Seinem Erden-Sein noch nicht offenbaren konnte, kann Er jetzt! Aber nur denen kann Er es offenbaren, die Ihm so nahe gekommen sind, dass sie, wenn sie mit Ihm verbunden sind, alles selber bei Ihm finden, was Er in Seiner unendlichen Güte, Liebe und Erbarmung für sie in Bereitschaft hält."
Erstaunt fragte Simon: „Kleophas, meinst du mit deinen Worten, dass der Herr uns noch mehr hätte sagen wollen, als wir heute von Ihm hörten, dass aber etwas Ihn abgehalten hätte, ganz offen mit uns zu reden?"
Kleophas entgegnete ernst: „Bruder, ich sage dir, dies ist nicht nur meine Meinung, sondern es ist jetzt bewusstes Erkennen! Denn der Herr konnte uns nur geben, was wir benötigten! Aber Er hat damit meinen inneren Geist rege gemacht! — Und nun ich dem Gesagten in mir nachgehe, finde ich den Herrn viel, viel herrlicher als zuvor! Ist es da ein Wunder, wenn neue Gedanken, neue Lebens-Ströme in mir lebendig werden? Und, Bruder Simon, —- wenn der Herr gibt, gibt Er mit offenem Herzen! So schaue ich in Sein mir nun geöffnetes Herz und finde noch viel, viel Ungesprochenes darin! Darum sage ich dir noch einmal: Wir haben den Herrn enttäuscht! Denn jene beiden waren uns zur Probe gestellt —, und der Herr hatte auf uns eine Hoffnung gesetzt!"
Simon fragte erregt: „Bruder, können wir morgen nicht vollenden, was heute unvollendet blieb? Ich glaube doch, dass es noch nachzuholen ist, was wir versäumten."
Kleophas antwortete: „Was versäumt ist, ist versäumt! So, wie ich die vergangene Stunde nicht mehr zurückrufen kann, so ist auch eine versäumte Gelegenheit nicht mehr einzuholen! Doch der Herr ist gütig! Was wir nicht können, ist dem Herrn ein Leichtes! Es gilt ja nicht, den Willen des Herrn zu erfüllen, weil Er Der Herr und Meister ist, sondern, Seinen Willen zu erfüllen, weil Er uns zu Seinen Auserwählten machen will! Seinen Engeln will Er uns gleich machen! — Sein Inneres Leben sollen wir jetzt betrachten lernen als unser Eigentum! Also, dass Sein Leben und das meine keinen
Unterschied mehr aufweisen in allen Lebens-Lagen! 0 Bruder, fühlst du darin nicht das Grosse, das Herrliche? Er, mein Heiland und mein Gott, legte in mich das Fühlen und Empfinden, was Er Selbst als Herr und Meister fühlte und empfand, als Er sich mit mir verband! Gross ist der Herr, und gewaltig Seine Macht! Aber für diese Liebe, die sich hier offenbart, fehlen mir alle Worte."
Ergriffen antwortete Simon: „Mein Bruder! Ich ahne, was du empfindest, stehe aber selbst noch wie im Nebel! Denn die Gestalt Jesu will mir fast verschwinden vor dem Geiste dieser Liebe aus Jesus! Hier ist ein Kreuz-Weg für mich, und darum kann ich deinen Empfindungen nicht weiter folgen. In der Gestalt Jesu trat mir ein Leben gegenüber, das mich tief erfasste, bis ins Innerste. Und aller Sehnsucht Erfüllung wäre ja die, mit Ihm — ganz eins zu werden!"
Da sprach Kleophas: „Simon! Simon! — Was sagte der Herr? «Lasse dich von deiner Sehnsucht nicht irreführen!» Nach deinen Begriffen könnte Sein Leben nur in der Person und Gestalt Jesu zu dir kommen? Wie aber willst du Sein Wort auffassen: Wenn aber der Tröster kommt, — der wird euch in alle Wahrheit leiten!" — Bruder, Bruder, von wo wird dieser Tröster kommen? Wo ist derselbe jetzt und wer ist der Tröster? Ist es nicht das neu erstandene, aus Seinem Liebes-Geist in uns gewordene Leben, welches das Bewusstsein auslöst: «Nur Du, Herr Jesus, kannst der wahre Tröster sein! Denn wo Du lebst, wirkt Deine Wahrheit und Dein Leben!» Sein Geistes-Leben aber will erkannt und dann erfasst sein! Denn nie hat Jesus zu uns gesagt: «Ich bin der Herr und dein Gott!», sondern: «Suche Mich, Mein Kind! Gern will Ich Mich finden lassen und will dir geben, nach dem du Verlangen hast! Aber suchen musst du aus deinem freiesten, kindlichen Herzens-Zug zu Mir.» Siehst du, mein Simon, so erkenne ich jetzt die Liebe Jesu und finde Ihn Selbst in mir!"
Simon entgegnete zweifelnd: „Bruder, wir entfernen uns voneinander, statt uns zu einen! Deine Auffassung ist für mich zu hoch. Und dann, Bruder, — wie willst du mir beweisen, dass dieser dein jetziger Liebe-Begriff bei weitem besser sei denn der meine? In Jesus sah ich alles Schöne und Gute! In Jesus habe ich das Vorbild, welches ich in meinem Erdenleben sonst vergebens suchte. Durch jahrelanges Zusammensein mit Ihm habe ich gefunden, was mir innerlich und äusserlich alles gab, um mich glücklich und zufrieden zu machen! — Und nun sprichst du: «Wir haben versagt und den Herrn enttäuscht?» Bruder, ich meine, immer hat uns etwas zusammengeschmiedet, was uns auch beglückte! Wir trugen gemeinsam Freude und Leid, und nie gab es einen Misston in unserer Freundschaft; aber nun verstehe ich nicht, wie du in deinem Eifer etwas vertreten kannst, wofür dir doch alle Beweise fehlen!"
Mit ruhiger Freundlichkeit antwortete darauf Kleophas: Bruder Simon, trennen werde und kann ich mich nicht von dir! Dass die ewige und herrliche Gnade mich in mir etwas finden liess, ist ja eben der Anstoss oder Antrieb, noch weiter zu suchen auf dem, Boden völliger Hingabe! Was du aber nicht begreifen willst: du willst für dich — alles haben, — vornehmlich Jesus! Während ich alles hingeben möchte, auch meinen Jesus (d. h.: seinen früheren Begriff von Ihm!)! Wenn du meinst, mir fehlen die Beweise, so irrst du; denn siehe: gleich wird Joseph hier sein, der uns nacheilt! Und dieses Wissen fand ich in mir, da es mir der Herr in meinem Herzen so anzeigte. Und nun sage selbst, ist dieses in mir erwachte und sich in dieser Weise bekundende Leben nicht herrlicher als deine Sehnsucht? Siehe, der Herr gibt! — und gibt uns vieles auch unaufgefordert! Er weiss, was nötig und tunlich ist! Wie drängte der Versucher in der Wüste: «Mache aus Steinen — Brot!» Aber der Meister wusste, warum Er es nicht tat! Und als wir bei der Sättigung und Speisung der 5000 dabei waren, wusste Er längst, was nötig war, um alle die Zuhörer zu sättigen! Auch, — ohne dass nur einer gebeten hätte: «Herr, die Menge hungert, — schaffe Du Brot.» Findest du nicht auch etwas Grosses in dir, das noch ungesprochen ist? Doch nun kommt Joseph, wir wollen ihn erwarten!" Ehe Simon etwas erwidern konnte, kam Joseph eilig an und sprach: „Dass ich euch gefunden habe! — 0 Gott, sei gepriesen und gelobt! Ich habe mir schon ernste Vorwürfe gemacht; — denn: ist Jesus wahrhaft auferstanden und bei euch gewesen, dann dürfen wir alle auch weiter hoffen, dass Er doch noch Sein Volk erlösen wird aus aller Knechtschaft und Bande! O Brüder, verzeihet mir meinen früheren Zweifel, da jetzt neue grosse Hoffnungen in mir aufleben!"
Trotz der Freude über Josephs Erscheinen mahnte Kleophas: „Lieber, täuschest du dich auch nicht? Ist es wirklich der Zug deines Herzens, zu Jesus zu eilen, oder sind die irdischen Vorteile der Beweggrund deiner Hoffnungen? Ich sage auch dir: Jesus starb nicht, um aus dem Tode hervorzugehen als ein Sieger über Seine Feinde und sie nun dauernd zu richten, sondern Jesus starb, — auf dass alle, die an Ihn glauben, ein ganz neues Leben empfangen! Seine Auferstehung — ist das Siegel, ist die für alle Ewigkeiten gültige Unterschrift unter Sein Vermächtnis an alle Seine Kinder: «Ich lebe! Und ihr alle sollet durch Mich auch zu diesem herrlichen Gottes-Leben erwachen!» Darum prüfe dich ernstlich! Denn der Herr, unser Meister, will nicht mehr Herr sein aus Sich, sondern der Herr aus der Liebe Seiner Kinder! Sein Geistes-Leben schenkt Er uns, auf dass wir durch Sein Leben in uns Seine Segnungen empfangen und als Gesegnete weiter arbeiten dürfen am grossen Erlösungs-Werke des Herrn."
Joseph antwortete ernst: „Bruder Kleophas, deine Worte sind wie ein Schwert, aber auch wie Balsam. Du meinst es gut mit mir, obwohl ich es war, der früher manchmal von euch ging und euch nicht in dem Masse unterstützte, wie du und ihr anderen es verdient hättet um Jesu willen! Doch denke ich, dass, so der Meister hier wäre, Er mich nicht verstossen, sondern willkommen heissen würde! Mag ich gefehlt haben, indem mein Interesse für Ihn so gering war, aber nun, Bruder, hat mich innerlich etwas ergriffen, und dies zieht mich gewaltig hin zu Ihm! Oder meinst du, es sei nur Einbildung?"
Erfreut sprach Kleophas: „O Bruder Joseph! Der Herr weiss um dein Verlangen, — und so sei versichert: Er tut das Seine, tue auch du das deine! Denn es geht auf die Dauer nicht an, immer zu bitten, und immer wieder nur zu bitten, dass der Herr zu uns komme — und uns helfe nach unserem Verlangen! Solange der Meister unter uns lebte als Mensch, gab Er und diente Er uns als Mensch, wie ein Bruder! Jetzt aber, wo alles Menschliche von Ihm abgelegt und Er in Seiner wahren himmlischen Natur zu uns kommt, da, liebe Brüder, wollen wir uns bemühen, die Gebenden und Dienenden für unsere Brüder zu werden! Denn Er ist nun unser Vater, und wir sind Seine Kinder! So wie Er durch Sein Vorbild uns dieses Geben und Dienen lehrte, so wollen wir Ihm darin nachfolgen, und wir werden erfüllt von Ihm und Seinem Geiste! Es ist aber nicht, was wir unser eigen nennen könnten! Alles ist von Ihm und aus Ihm! Und so dir, Bruder Joseph, der Gedanke kommt: «Ich will zu Ihm!» —, so sei versichert, dass auch dieser Gedanke von Ihm in dich gelegt wurde, um dich zu einem suchenden und verlangenden Menschen zu gestalten. Dass sich in deiner Seele noch fremde Einflüsse bemerkbar machen, ist selbstverständlich; aber die Liebe zum Herrn und das wachsende Verlangen, mit Ihm immer enger verbunden zu sein, schaffen Licht und Klarheit darüber in uns! Darum, Bruder Joseph, freue dich! Du bist auf dem rechten Wege, da du uns suchtest und nun auch fandest! Freilich triffst du bei uns nicht den Herrn! Aber den Weg zu Ihm zeigen wir dir, damit du Ihn dann allein findest — in dir!"
Joseph wunderte sich und sprach: „Bruder Kleophas! Wie sprichst du heute eine so bewusstere Sprache denn früher? Ich erstaune über dich. Es wäre doch verständlicher, Simon spräche so zu mir, da er ja ein Jünger des Herrn schon ist; doch ich denke auch, es ist ja gleich, wer mir die richtigen Wege zeigt, um zum Ziel zu gelangen! Aber lass dich nicht verdriessen, so ich doch noch mit einer Frage komme: Der Herr sei vom Tode auferstanden, ist die grosse Kunde! Gut! — Denn ihr habt Ihn gesehen und gesprochen; doch frage ich: War Sein Tod vielleicht das Signal, dass wir uns enger zusammenschliessen und in Ihm nun erst unseren wahren Erlöser erkennen? Es muss für Seine Feinde niederschmetternd sein, erst der Triumph: «Dieser Feind alter mosaischer Gesetze ist nicht mehr! Wir sind die Herren!» Und nun kommt Jesus aus dem Grabe und spricht: «Ich bin nicht mehr tot, sondern Ich lebe!» Liebe Brüder, ich mahne euch, vergesst diese Stunde nicht, damit Sein Sieg auch der unsrige werde."1)
Kleophas mahnte wieder: „Bruder Joseph, du irrst gewaltig! Der Herr lebt! Aber Er will nun leben in den Herzen Seiner Kinder! Für mich bedarf dies keiner weiteren Beweise mehr, da ich schon Strom und Kraft aus Ihm in mir fühle! Und so kenne ich jetzt nur die eine Aufgabe, mich dieser Gnade würdig zu zeigen! Deine Frage aber lässt keinen Glauben erkennen, sondern immer noch Zweifel. Joseph, erkenne: neue Fragen bringen neue Zweifel! Dies müsstest du als alter Jude wissen! Warum willst du unserem Zeugnis nicht unbedingt glauben? Merke dir: das Verhältnis des Herrn und Meisters zu uns ist nun ein anderes! Denn nun ist Er nicht mehr Mensch und unser Diener, sondern der Herr und Ewig-Vater, wie im Jesaias verheissen ist. Da nun dieses eine zutrifft, muss auch das andere zutreffen, und so, Bruder Joseph, gehe ich bis zu den weitesten Begriffen über Jesus! Und in mir ist dabei wunderbare Ruhe und Sicherheit! Darum wundere dich nicht, frage nicht, sondern glaube! Glaube auch da, wo du noch nicht siehst! Er ist ja jetzt das wunderbare, gnadenvolle Sein, dass, wo eines der Geringsten im Herzen zum Herrn steht, Er sich auch schon bekundet: «Siehe! Ich bin bei dir! — fürchte dich nicht!»"
Joseph staunte und fand nur die Worte: „Bruder Kleophas, hier muss ich schweigen; denn deine Sprache beweist ein Leben, welches ich noch nicht fassen kann! Und dennoch sage ich dir: Ich möchte Jesus sehen und an Seinem Anblick mich laben, möchte Ihn um Verzeihung bitten und an Seinen Worten mich aufrichten! Denn deine Worte klingen mir zu gewaltig! Bruder Simon, wie denkst du darüber?"
Simon lächelte gütig und erwiderte: „Joseph! Ich sage dir, dass wir alle beide noch grosse Toren sind. Es geht uns wie so vielen! Wir suchen nach etwas, was wir schon lange in der Hand haben. Was gab uns heute alles der Meister Selbst! Und im Herzen drängt es und mahnt es; vor Liebe möchte es zerspringen; doch der kalte Verstand baut Dämme und Schusswälle, damit das Neue Leben nicht hindurch kann! Nun bin ich genügend kuriert! Denn ich bekenne dir, dass Bruder Kleophas das Neue Leben erfasst hat und es uns schon bekundete! 0 wie klar sind mir jetzt die Worte: «Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreuet werdet, ein jeglicher in das Seine, und Mich allein lasset! Aber Ich bin nicht allein, denn Der Vater ist bei Mir.» Wie wahr sind Seine Worte, und wie recht hatte Er! Und was war Seine Kraft? Der Vater ist bei Ihm! Und Brüder, dieses Wort mache auch ich mir zu eigen: «Der Vater — ist bei mir!» So wie Jesus tat, in diesem Geiste will auch ich Dir, Vater, dienen! Denn Du bist ja auch mein Vater, Du bist ja unser aller Vater!"
In diesem Augenblick ging eine grosse Sternschnuppe nieder und erleuchtete tageshell die Gegend. Nach ihrem Erlöschen aber war es, als sei finstere Nacht; doch dann leuchten auch die Sterne wieder!
Dann sprach Kleophas: „Wollt ihr noch eine bessere Antwort haben, als sie uns eben gegeben wurde? Wo alle Elemente bezeugen, wie sie dem Leben und den Gesehen aus Gott untertan sind? Darum gilt auch für uns nur eins: Mit Freude erfüllen den Willen des lebendigen und heiligen Meisters Jesu! Dann wird die Welt erfahren: Unser Meister lebt! Wenn aber das Verlangen nach äusserer Freiheit und materiellen Vorteilen in euch nicht stirbt, dann kann und wird Er Sich niemals in euch offenbaren, — noch Sich euch zeigen können! «Mein Reich ist nicht von dieser Welt», sprach Sein heiliger Mund. In diesem Reiche lebt Er! Und damit wir in Seinem Reiche mit Ihm leben dürfen, hat Er Selbst die Tore weit geöffnet durch Seine Auferstehung! Glaubet mir, liebe Brüder: Dem Herrn wäre viel, viel erspart geblieben, hätten wir den Sinn Seiner Reden und den Geist Seiner Liebe besser erfasst. Sein Sterben hätte uns nicht zerstreut, sondern gesammelt und geeint und hätte in uns Seinen Geist reifen lassen, der so gerne gibt — und allen dient!"
Bewegt sprach Simon: „Bruder Kleophas, jetzt verstehe ich dich besser! Es tut mir leid, dass ich erst meine Wege ging! Aber dem Herrn sei gedankt! Ich habe mich wieder zurechtgefunden und verstehe nun auch, wie du denkst. Wie werden sich die Brüder freuen, wenn wir ihnen diese frohe Kunde bringen!"
Kleophas antwortete: „Bruder, ob sie auch so verzagt sind, wie wir es waren? Wo wären wir, wenn uns nicht der Herr frei gemacht? Doch beeilen wir uns und lassen den Mund ruhen, dafür aber unsere Herzen um so lebendiger sprechen!"


05. Der Gang nach Emmaus V

In Jerusalem hatte die Kunde „Das Grab — ist leer!" die grösste Erregung ausgelöst! Die Templer liessen sich nicht sehen, und so konnten sich die Freunde des Herrn etwas freier bewegen. In der Herberge des Lazarus ging es auch lebhaft zu: ein Kommen und Gehen, ein Fragen und Antworten, doch keiner wusste Genaues. Es war nach Mitternacht, aber im Hause dachte niemand an Schlaf; denn Petrus hatte die Nachricht mitgebracht, der Herr sei von den Frauen gesehen worden! Und das Verlangen aller, Ihn auch wiederzusehen, wurde nun immer stärker. Da öffnete sich die Tür und herein traten Simon, Kleophas und Joseph; sie wurden willkommen geheissen, und die Ankommenden waren froh, die Brüder hier anzutreffen.
Petrus fragte sie gleich: „Meine Brüder! Was treibt euch Wichtiges mitten in der Nacht nach Jerusalem? Ist es auch die Sehnsucht und das Verlangen, den Herrn zu sehen? Dann muss ich euch die betrübende Antwort geben: Der Herr ist noch nicht hier gewesen! Wohl liess uns der Herr durch die Frauen sagen, Er lebe; aber gesehen haben wir Ihn noch nicht!"
Simon antwortete: „Bruder Petrus und ihr alle, die ihr hier in Sehnsucht der Gnade harret, den Herrn Selbst auch zu sehen, — ich verkündige euch die frohe Botschaft: Wir haben mit dem Herrn gesprochen! Ja, Er ist im Hause des Bruders Kleophas mit uns eingekehrt! Doch haben wir dem Herrn wenig Freude bereitet, denn unsere Herzen und Gemüter waren noch voller Angst, Sorgen und Schmerzen um Ihn! Er kam zu uns als Fremder, als einer, der nichts weiss, — und liess sich von uns unseren Kummer erzählen. Wie wunderbar wohltuend waren Seine tröstenden Worte! — Doch sagte
Er auch, dass es für Jünger des Herrn unwürdig sei, das Herz von Zweifeln in Aufruhr bringen zu lassen! Und doch bedurfte es so langer Zeit, ehe wir Ihn erkannten! Wir kommen nun, um euch zu sagen: Fürchtet nichts! Denn der Herr weiss um alles und ist besorgt um alle!"
„Erzähle!", baten die Brüder, „erzähle und sage uns: Wie sah Er aus? Und was sagte Er zu Euch?"
Simon antwortete: „Brüder, erzählen lässt sich das nicht! Denn als der Herr zu uns kam, waren wir andere als jetzt! Darum möchte ich euch bitten, Brüder, machen wir es wie früher: seien wir schweigsam und achten wir auf uns und unser Inneres! Denn wie kommt es, dass der Herr noch nicht hier war? Sollten wir selbst nicht die Ursache dazu sein? So der Herr sich dem einen oder anderen offenbarte, so konnte Er es nur, da ihre Liebe die Bedingungen zu Seinem Kommen erfüllte. Brüder, wo war unsere Liebe, da der Herr litt? Wo war die Einigkeit, die da nötig war, um den Herrn zu stärken? Sie war verflogen wie Spreu im Winde, und wir liessen Ihn allein! Wir hofften, dass Er seine Feinde zerschmettere!
Doch diese Hoffnung war trügerisch und konnte sich nicht erfüllen. Er aber blieb allein in Seinem Schmerz! Allein mit Seiner Aufgabe! Nun wissen wir aus Seinem Munde, was nottut, und tragen in uns die Freude Seiner Verheissung und kennen auch die Mittel, um weiter zu arbeiten an dem Werke Seiner grossen Erlösung."
„Wie froh macht es mich", sprach Petrus, „von euch zu hören, dass der Meister bei euch war! Denn nun weiss ich, dass Er auch uns besuchen wird! Dein Vorwurf, lieber Simon, ist nicht ganz unberechtigt! Aber nun der Herr lebt und uns Beweise Seiner Liebe gibt und uns unsere Schwäche nicht nachträgt, so wollen wir auch nur auf den Meister hören, was Er uns sagt! Meine Brüder, es war eine trauervolle Zeit, aber auch eine Zeit, wo wir erfahren mussten: Wir können ja ohne Ihn nicht mehr leben! So wollen wir Ihn recht bitten: «0 Herr und Meister! Komme auch zu uns und richte unsere Herzen auf, damit wir wieder froh werden.»"
Nun sprach Kleophas: „Brüder, es ist recht, so wir bitten und in der Hoffnung leben: Er kommt auch zu uns und wird uns weiter helfen und stützen! Aber sollte es nicht noch etwas anderes geben, als nur bitten und hoffen? Ich denke doch, da der Herr und Meister uns allen solche untrüglichen Beweise Seiner Liebe gab, dass in unsern Herzen noch etwas anderes aufleben sollte. Denkt ihr nicht, dass es für uns und mit uns besser stünde, so nun ein Jubel durch unsere Herzen dringen möchte — und laut, aber wortlos verkündete: «Der Herr lebt! Ja, ich fühle Ihn bei mir und in mir!» Es würde bestimmt nicht mehr vorkommen, dass noch ein Zweifel uns unruhig macht. Für das, was der Herr tat und uns allen gab, sind unsere menschlichen Begriffe viel zu klein! Es ist für den menschlichen Verstand unfassbar! Können wir des Herrn Leid ermessen? Dürfen wir überhaupt noch von Seinem Leid sprechen? Brüder! Nur, wenn wir uns ganz in Seine Liebe versenken, dürfen wir es, sonst nicht! Denn des Herrn Leid und Leiden lehrt uns schweigen! Nun der Herr alles Leid überwunden hat, gab Er uns Möglichkeiten, dass auch wir zu Überwindern werden! Der Weg dahin ist nicht weit, da er ja in mein eigenes Herz führt! Brüder! Dort ist der Ort, wo ich mich mit dem Herrn verbunden fühlen kann! Und dort ist auch der Ort, von wo ich allen Menschen den rechten Trost reichen kann aus der Liebe des Vaters in Jesus. Je bewusster und inniger die Verbindung mit Ihm, um so stärker wird das Verlangen erwachen, auch zu dienen und zu geben! — Unsere Liebe zu Ihm ist ja auch Seine Liebe zu uns! Und so tief wie wir den Meister lieben, soviel können auch wir schon dem Nächsten dienen! Und der mir Allernächste ist und bleibt mein Jesus! Der gestrige Tag zeigte mir unser ganzes Elend, da der Herr gestorben und für uns nicht mehr hier war! Doch dieser nun anbrechende neue Tag sieht einen anderen Kleophas! Denn der Herr lebt, und ich lebe mit Ihm! Mein weiteres Leben soll nur von dem einen Willen getragen sein, Dir, Du guter, treuer Jesus, Dir Deinen Anteil von Liebe zu mir zurückzugeben nach allen mir zu Gebote stehenden Kräften."
Die Brüder schauten verwundert auf den Bruder Kleophas, wie er in flammender Rede sein Ich nur noch in den Dienst der Jesus-Liebe zu stellen sich entschloss. Und so mancher fühlte sich gemahnt ob seiner Angst und Sorge, und es wurde still in dem grossen Raume. — Die Worte Kleophas schwangen wie ein zwingender Bann durch alle Herzen, und nichts konnte diese heilige Stille zerreissen!
Nach einer Weile erst fing Kleophas wieder an: „Brüder im Herrn! Dem Herrn alles Lebens und Seins liegt die Sorge um uns an Seinem Herzen! Wie gerne würde Er uns alle ganz frei machen! Aber nun Er bewiesen, dass Er der Herr über alles Leben und allen Tod ist, ist es für Ihn schwer, uns in der Weise zu helfen, wie wir es gewohnt von Ihm waren. Er ist nicht mehr Mensch, — sondern unser Gott, unser Ewiger Vater, der uns alles, alles gab und nichts für Sich zurückbehielt! Und mit dem, was Er uns gab und hinterliess, können und dürfen wir nun — in uns eine ganz neue Welt auf- und ausbauen! Wir sind nicht mehr — kleine Menschen, die sich fürchten müssen vor jedem, auch dem kleinsten Feind des Lebens! O nein, liebe Brüder! Jetzt sind wir Seine Kinder! Seine mit Seinem Herz-Blut erkämpften Kinder! Und dies zu wissen, dies als unzerstörbares Leben aus Ihm in uns tragend, verpflichtet uns und spornt uns zum Danken, zur Lobpreisung an! — Oder denkt einer unter uns anders? — Nicht umsonst stelle ich diese Frage, denn ich erschaue in euch doch noch geringe Zweifel! Was aber ein Zweifel, und sei er noch so klein, bedeutet, habe ich genugsam in mir erfahren."
Die Brüder wurden nun unruhig und flüsterten untereinander. Darum sprach nun Philippus: „Bruder Kleophas, deine Rede klingt wie Musik; aber ich fürchte, sie ist nicht deinem Herzensgrunde entwachsen, sondern nur deiner neuen Begeisterung für Jesus! Siehe, bei dem Meister war alles natürlich, und darum war es auch gar nicht möglich, je einen Widerspruch in Seiner Rede zu finden. Du und Simon, ihr habt den Herrn bei euch gesehen und mit Ihm gesprochen, und trotzdem sprichst du: «Der Herr lebt nun in mir, und nichts kann nun kommen, was mich je in Zweifel bringen kann!» Lieber Bruder! — Ich denke, auch wir kennen den Herrn! Trotz Vorhersage seines Leidens und Sterbens waren wir geschlagen und sind es noch! Ich bekenne freimütig, dass ich dir gerne glauben möchte, aber in mir schmerzt etwas, was sich nicht eher wieder beruhigt, bis auch ich den Herrn gesehen habe! Deine Worte mögen noch so gut gemeint sein; aber in mir bleibe ich derselbe wie vorher."
Kleophas antwortete ruhig: „Bruder Philippus! Es tut mir leid, dass du die Worte wohl gehört, aber ihren Sinn nicht erfasst hast! Auch vergisst du, dass ich betonte: Das Verhältnis des Herrn zu uns muss nun ein anderes werden! Denn der Herr ist jetzt nur Geist und Leben und gibt uns nun ein Leben aus Seinem Geiste! So wie Er starb in der Aussenwelt, so muss Er auch als Mensch in unserer Innenwelt sterben und dann in unserm Glauben geistig wieder auferstehen als der Herr, als der Sieger, als der Erlöser! Wenn dein Glaube dies nicht zu schaffen vermag, dann müssen erst Enttäuschungen dich zwingen, dies anzuerkennen! Glaube! Auch wenn du nicht siehst! Denn dazu hat Er ja in uns allen den Grund gelegt! Er ist nun unser Grund, auf den wir bauen! Und wer diesen Grund verwirft, verwirft sich selbst; wer aber sich selbst verwirft, dem kann dann auch Gott nicht mehr helfen! Liebe Brüder, ist der Meister nur gekommen, um uns den Vater zu zeigen? Oder brachte Er uns den Vater Selbst? Dieses muss in uns eine klare Gewissheit sein! Und so ich durch Jesus, unseren Liebe-Meister, nun einen Ewigen Vater habe, so wüsste ich nicht, was mich abhalten sollte, mich als Sein Kind zu betrachten! Brüder, habt ihr vergessen, was uns der Meister immer sagte: «Wer Mich liebt, der liebt auch Meinen Vater und kann auch tun die Werke, die Ich aus dem Geiste Meines Vaters tue!» Darum lasset uns rechte Brüder sein und im Geiste Jesu uns einen! Dann —, dann offenbart Er uns Seine Liebe und ist persönlich unter uns." Kleophas schwieg. — Das Wunder — der Herr war bei den beiden — schien aber allen zu gross, darum bestürmten sie nun Simon.
Petrus aber sprach: „Brüder, hinter uns liegt eine Zeit, da uns die grössten Wundertaten ruhig liessen, und jetzt fiebert euch förmlich nach dem Wunder, den Herrn zu sehen? Was gab uns am letzen Donnerstag der Meister für Ratschläge? Und Seine Worte vergesst nicht, liebe Brüder: «Ihr seid Mein Eigentum! Betrachtet euch als Meine, schon seit Ewigkeiten bestimmten Brüder! Und bleibet eins mit Mir, dann kann euch kein Ungemach treffen.» Und, liebe Brüder, was ist inzwischen geschehen? Der Herr ging in Sein Eigentum zurück, uns mit dem Auftrag zurücklassend: «Setzet fort Mein Werk zu Meines Vaters Preise, und vergesst Mich nicht! Dann lebe und wirke Ich in euch fort!» Es scheint, liebe Brüder, als sei uns der Herr und Meister genommen; aber gerade das Gegenteil ist der Fall! Nun ist Er auch unser Eigentum! Denn der Feind alles Lebens rechnete nicht mit Seiner Auferstehung! Doch stille, stiller werden, liebe Brüder, damit der Herr auch zu uns kommen kann!"
Auch Simon und Kleophas wollten die Brüder zur Ruhe mahnen, aber es war wie ein grosses Gewässer, das von Sturm und Böen aufgewühlt ist bis in die tiefsten Tiefen. Und immer lebhafter wurde zum Ausdruck gebracht: ,Nur der Herr Selbst kann uns Gewissheit geben'! Und gerade als Kleophas im Begriff war, etwas zu erwidern, — stand der Meister unter ihnen!! „Friede! Friede sei mit euch!", sprach Er, „und fürchtet euch nicht! Denn Ich bin es Selbst, der zu euch kommt, und bringe euch den Frieden und die Ruhe! Nun sehet selbst: Kein Tod und kein Grab konnte Mich in den Fesseln finsterster Todes-Macht behalten! Denn in Mir ist Licht! Ich bin das Licht! Glaubet dies, auch wenn euch Beweise fehlen! Denn Meinem Geistes-Leben sind keine Schranken zu stellen! Wer aber Mich aufnimmt, hat auch Mein Leben in sich aufgenommen! Meine Brüder! Sehet diese Meine Hände und Füsse! Doch sie sind nur der äussere Beweis Meiner Liebe zu euch! Den anderen, den inneren Beweis aber: bringet ihr ihn der Menschheit! Dann will Ich mit Freuden all der Schmerzen gedenken, die Ich um euch und um alle Menschen ertrug. Was heute noch keinem Menschen, keinem Engel in den Sinn gekommen, sollet ihr nun erkennen und erfassen! Doch dazu gehört der lebendige Glaube! Jetzt, wo ihr Mich sehet, glaubt ihr! — Aber selig, selig, der da glaubt, ohne Mich zu schauen! — In dessen Herz soll sich ergiessen ein Strom der Kraft und des Segens! Denn von nun an soll alle Herrlichkeit Meines Lebens sich dort offenbaren, wo Glaube und Liebe — ein neues Geistes-Leben schaffen! Ein Leben aus dem Göttlichen Leben! Licht aus dem Göttlichen Licht, und Liebe aus dem Ewigen Vater! Dies sei Meine Verheissung an euch!! Doch erfüllen kann sich dies alles erst, wenn Ich nicht mehr sichtbar unter euch weile!" — Alle stürzten hin zum Herrn, segnend legte Er Seine durchbohrten Hände auf ihre Häupter und sprach nochmals: „Wachet! — Und verbleibet in Diesem Meinem Geiste! Dann kann auch Ich in euch verbleiben! Seid gesegnet aus der Fülle Meiner Kraft und Meiner Liebe! Und setzet Mein Werk fort, damit es euch und allen zum Ewigen Heile gereiche! Amen" Leer war der Platz, wo der Meister gestanden! Aber nun war auch alle Traurigkeit gewichen, und die grosse Freude belebte alle Herzen: Er lebt! — Er lebt! — — Tod, wo ist dein Stachel? — Hölle, wo ist dein Sieg? — Der Herr hat Hölle und Tod wahrhaft siegreich überwunden!
Freudig trennten sich die Brüder. Kleophas, Simon und Joseph blieben in der Herberge, und die Freude, wiederum mit dem Herrn verbunden zu sein, schuf Kräfte, die keine Müdigkeit aufkommen liessen. In heiliger Stille verbrachten sie den Rest der Nacht. Der kommende Tag aber zeigte ihnen klar ihre neue Aufgabe, die in ihren Herzen wie in Flammenschrift eingegraben stand: Allen die Botschaft zu bringen: Der Herr — ist auferstanden, ist wahrhaftig auferstanden! — Er will nun leben in unseren Herzen!
Amen!