Heft 07. Jesus als Meister in der Liebe
INHALTSÜBERSICHT als Fortsetzung von Heft 6
Vorwort
01.
Gespräche über Johannes und den Messias
02. Der Schleier-Tanz
03. Aufbruch nach Bethabara
04. Jesu Taufe am Jordan
05. Jesus in der Wüste
05. II. Die Wirklichkeit kommt!
05. III. Bei Beginn des neuen....
05. IV. Jesus ist nun wieder....
05. V. Den Nachmittag verbringt....
05. VI. Jesus ist allein. Denn....
05. VII. Jesus sucht sich etwas....
05. VIII. Nun lebte Jesus in stiller....
05. IX. So vergeht ein Tag nach....
05. X. Nun folgt die Versuchung, wie....
Vorwort
Immer tiefer noch dürfen wir hineinschauen in Jesu Innenwelt, um mitzuempfinden:
wie Er, opferbereit, alle menschlichen Regungen bemeistern musste, die sich dem
selbstlosen Leben aus der Liebe Gottes noch entgegen stellen könnten.
Wir lernen daraus, nicht nur diese Seine Grösse in der übermenschlichen Kraft
der Überwindung still zu bewundern, sondern auch alle eigenen Schwierigkeiten im
Aussen- und Innen-Leben damit zu vergleichen, um einzusehen, dass sie nur
Prüfungen sind, gottgewollte Gelegenheiten für unsere fortschreitende
Weiterentwicklung, um neue Kräfte zum überwinden auch in uns wachzurufen.
Bevor der Mensch nicht innerlich vollendet ist, kann er die Fülle der göttlichen
Herrlichkeit nicht widerspiegeln.
01. Gespräche über Johannes den Täufer und den kommenden Messias
Es wurde nun wieder lebhafter in der grossen Gaststube, und der Wirt Joram
trennte sich klopfenden Herzens von Jesus, denn ihm ahnte Grosses. Dieser aber
sitzt wie teilnahmslos an einem Tisch; doch um so lebhafter arbeitet Sein
Inneres.
Joram stellt einen Becher Wein und ein grosses Stück Brot vor Jesus hin und
entschuldigt sich, dass er durch seinen Dienst an den Anderen Ihn allein lassen
müsse. Jesus lächelt. Joram aber freut sich, denn sein Auge erhascht einen Blick
voll Liebe und Güte von Ihm.
Es ist ein Kommen und Gehen; an einem Tische fiel der Name ,Johannes'. Alles
horcht auf, und nun erzählt einer: „Templer waren bei ihm, und in heiligem
Feuereifer hielt er ihnen ihre Schlechtigkeiten und Heucheleien vor; diese aber
lachten ihn aus; doch einer sprach offen: Johannes, solange du ein Zutreiber für
uns bist, lassen wir uns dein Tun und Treiben gefallen. Solltest du aber in
diesem Tone weiter wirken, dann werden wir dir und deinem Treiben ein Ende zu
bereiten wissen und dies bald — in kurzer Zeit!'
,Ihr möget recht haben', entgegnete Johannes ernst, ,und werdet auch dieses Ziel
erreichen. Aber nicht eher, bevor Der gekommen ist, der mit Seinem Lichte alle
Finsternis erhellt. Der ein Feuer anzünden wird, welches alles in Schutt und
Asche legt, was nicht Gottes und Jehovas ist!'
,Lass ihn nur kommen, deinen Feuer-Geist!' schrie ein Rabbi, ,auch dem werden
wir entgegentreten und werden ihn zertreten wie so manchen Gotteslästerer!' —
,Ihr Schlangenbrut und Otterngezücht! Eher geht alle Welt zugrunde, ehe ihr Dem
das Reden und Wirken verbieten könnt!’ antwortet ihnen Johannes — und wandte
sich den Hunderten zu, die sich in der Furt des Jordans gelagert hatten.
Johannes aber trug einen Rock aus Kamelfell und einen Gürtel von Leder; und
seine hagere Gestalt, seine langen, ungepflegten Haare gaben ihm das Bild eines
Asketen." —
Der Sprecher schwieg, aber ein Fragen hub an in der Gaststube um Johannes — und
um den kommenden Mann. „Was ist's", ruft ein Anderer, „warum schweigt denn der
Tempel dazu? Haben wir nicht alle das Recht, die Wahrheit zu erfahren? Entweder
Johannes lebt in einem falschen Wahn, dann ist es doppelte Pflicht des Tempels,
Johannes zu überzeugen von seiner Torheit. Oder, Johannes weiss um den
Kommenden! — Dann ist es Pflicht des Volkes, Johannes aufzufordern, doch
deutlicher zu werden. Morgen mache ich mich auf und ziehe nach Bethabara."
„Da komme ich mit", spricht ein anderer, „denn wer sollte wohl ruhig bleiben, wo
,der Messias' jeden Tag kommen kann?!"
In diesem Augenblick tritt der Händler Hiram mit seinem Weibe ein und hört noch
die letzten laut gesprochenen Worte. Nun geht er an den Tisch und grüsst: „Der
Friede des Herrn sei mit euch! — Vom Messias, dem Kommenden, redet ihr? Sag,
Thomas, was hast du erfahren? Du weisst, wie es um uns alle bestellt ist!
(Andeutend: wie sehr und mit welchem Opfer-Willen sie alle den verheissenen
Messias erwarteten!) —
„Hiram, du Bruder im Herrn", antwortet Thomas, „dort unser Bruder Esra war bei
Johannes in der Wüste und ist der Ansicht, dass Johannes bestimmte Auskunft
geben kann, sonst kann ich dir nichts weiter sagen."
„Weisst du, Bruder Thomas", spricht Hiram, „ich habe einen jungen Mann
kennengelernt, der wird uns noch Besseres zu sagen wissen; an diesen halten wir
uns." Nun erst sieht Hiram den am anderen Tische sitzenden Jesus. „Dort, diesen
meine ich!" — und rasch geht er hin zu Ihm.
Jesus aber spricht: „Hiram, deine Einladung, die du in deinem Herzen trägst,
habe Ich angenommen und Joram verständigt, dass wir heute Abend noch
zusammenbleiben wollen. Lade auch deine beiden Brüder Thomas und Esra, sowie
deine Kinder dazu ein — und grosses Heil wird deinem Hause widerfahren."
Hiram staunt: „Jesus! wie konntest Du wissen um diesen Gedanken? — Überhaupt,
sage mir nur, seit wann kennst Du mich? Dich muss ich schon in meinem
Pilgerdasein gesehen haben, denn Du bist mir kein Fremder mehr."
Jesus antwortet ruhevoll: „Hiram, tue nach Meinen Worten, es wird dir von
grossem Segen sein! Doch eins merke dir: Frage nicht zu viel! Denn der Herr
weiss um dich und weiss ja um alles! In Seinem Ratschluss liegt es schon seit
Ewigkeiten: euch allen zu helfen; aber erst muss die Zeit dazu da sein."
Hiram bittet: „Lieber Jesus! Dein Wort tut meinem Herzen wohl; aber das
Verlangen, Dich besser kennenzulernen, lässt die vielen Fragen in mir
aufsteigen, und darum bitte ich Dich, stille mein Verlangen."
„Mein Hiram, lass uns in das andere Zimmer gehen", bittet Jesus, „und denke erst
an dein leibliches Wohl, dann wollen wir weiterreden." Und so geschah es. Der
Wirt Joram deckte schon den Tisch für Hiram, und nun kommen auch sein Weib,
seine Söhne und die Tochter. Thomas und Esra haben sich auch eingefunden und
beim Nachtmahl wird nur von Johannes und dem kommenden König geredet; Jesus aber
schwieg bei der Unterhaltung.
Dann lässt Joram abräumen — und nun endlich kann Stille und Behaglichkeit in den
grossen Raum einziehen. Die anderen Gäste, meist Händler, haben sich zur Ruhe
auf die Bänke in der Gaststube hingelegt. In der Küche gab Hanna Anweisung für
den nächsten Tag; dann begeben sich auch Joram und Hanna hinein zu Hiram, und so
ist eine kleine Gesellschaft beisammen. Wieder war es Esra, der vom kommenden
König und Messias anfing, und der Wirt Joram fragte:
„Esra, deine Sinne sind noch gut und dein Auge scharf; sag, welchen Eindruck
hattest du von Johannes als dem Herold des kommenden Königs?“
„Joram, hier lässt sich nicht viel sagen", antwortet Esra; „Johannes hat zwar
viele Anhänger, aber er selbst hat sich längst der menschlichen Gesellschaft
entzogen. Er lebt in einer Höhle, und sein ganzes Leben ist ein Leben der Sühne
und Busse. Alles an Johannes ist müde. Nur seine Augen funkeln und verkünden ein
seltenes Innen-Leben. Am liebsten predigt er vom kommenden Erlöser."
„Erlöser?" — fragt Joram, „Erlöser? — Dies kann ich nicht recht fassen! Denn wir
wollen doch ,ein neues Königreich’ aufrichten helfen, und unsere Mittel sind
doch ,dem König’ als dem ,Messias' geweiht."
Hiram spricht: „Brüder, wir wollen doch einmal Jesus fragen; mir ist, als ob wir
bei ihm die beste Auskunft erhalten."
„Ganz recht", bestätigt der Wirt — „und Du, lieber, junger Jesus, gib uns allen
eine befriedigende Antwort!"
„Liebe Freunde", spricht Jesus, „alles kann Ich euch tun, nur keine Antwort
geben, die euch befriedigt. Denn eine Antwort, wie ihr sie wünscht, würde euch
in eurer Schwäche nur stärken und das Bild des Erwarteten noch mehr entstellen.
Vor allem lasst die Heimlichkeiten, denn der Kommende bedarf eurer Hilfe nicht.
Stehet nicht geschrieben: ,dass Seines Reiches Herrlichkeit fürder kein Ende
nehmen wird!' — Und wieder an anderer Stelle: ,dass er arm sein wird — und auch
arm bleiben muss!' — Liebe Freunde, es wird euch nicht recht sein, so Ich euch
sage: Der Kommende meidet jede Gewalt, aber Demut und Hingabe sind Seine
gewaltigen Stützen."
Hiram steht vom Stuhle auf, geht hin zu Jesus und spricht: „Jesus, Du
wunderbarer Mensch! Du weisst mehr denn wir und Johannes. Deine Reden erwecken
den Eindruck, als ob Du den Messias schon kennst! Sag uns, wie sieht Er aus und
was wird Er tun?"
„Hiram, und ihr lieben Freunde", antwortet Jesus sinnend —„leider muss Ich euch
Schmerz bereiten, denn der Messias wird eure Erwartungen nicht erfüllen. Er
kommt zu den Kranken und Schwachen, zu den Müden und Hungrigen, und bietet
überall da Seine Hilfe an, wo es nötig ist. Seine Sendung gilt der Seele Seines
Volkes, die da gefangen und gebunden ist vom verkehrtesten Wahn, von der
Selbstsucht und vom Eigendünkel. Seine Waffen sind Liebe! Seine Taten sind
Liebe; und von Seinen Anhängern verlangt Er nur Liebe, Liebe und wieder Liebe!
Sein Reich, in dem Er herrschen wird, ist ein Reich der Liebe und des Friedens.
Und kein Feind vermag dieses Sein Reich je zu zerstören. Fraget nicht wo, denn
es ist überall und hat seinen Ursprung und seine Wurzeln im allerinnersten
Menschen-Herzen."
„War denn alle unsere Mühe vergebens", fragt Joram, „so der Messias ein anderer
ist — als wir erwarteten?"
„Mitnichten", antwortet Jesus, „sondern erkennet nun eure Aufgaben und werbet
weiter in gerechtem Eifer, aber ohne Geld und Gut. — Wahrlich, Ich sage euch:
Jedes Wort — jede, auch die kleinste Liebe — wird allen zum reichsten Segen!"
„Lieber Jesus", fragt Hiram nachdenkend, „wie kommt es, dass Du zu Johannes in
die Wüste willst, da Du nach Deinen Reden doch besser unterrichtet bist als
Johannes?"
Jesus antwortete: „Mein Freund Hiram! — Es ist recht, dass du dieses fragst, da
vergeht wenigstens in deinem Herzen auch dieser Schatten. Nun — so höre: Es ist
der Geist in Mir, der Mich dahin drängt; und es ist um Johannes willen. Begnüge
dich mit dieser Antwort, denn bald werdet ihr weiteres hören. Wollet ihr aber
Meinen Rat, so gehet auch ihr nach der Stätte, wo Johannes lehrt, denn eure
Geschäfte sind hier ja beendet. Dort werdet ihr den Messias kennenlernen, und Er
selbst wird euch Seinen Willen offenbaren."
„Jesus!" — ruft Joram erregt, „Du verbirgst etwas! — Du weisst mehr als Du
sagst. Sind wir Deiner Offenheit nicht wert?"
Jesus antwortet sanft: „Joram, Ich weiss um alles und kenne auch deine Gedanken.
Doch Ich will dir künden: Erst muss Ich bei Johannes gewesen sein, da der Geist
in Mir dieses als Bedingung stellt. (Johannes — in Entsprechung: unser
Verstandes-Leben, das als Herold — anerkennen und verkünden sollte, dass das
Göttliche Empfindungs-Leben der Liebe in uns — zu unserm Erlöser bestimmt ist)
Ich frage nicht warum und wozu, denn alles wird offenbar dem, der da gehorsam
und demütig ist gegen den göttlichen Willen! Wohl könnte Ich alles voraus sehen
und wissen wollen; doch dies tue Ich nicht (Dieser innere Gehorsam — wie
vorbildlich für uns!), da nur der ewige und wahre Gottes-Geist in Mir die
Führung hat."
„Jesus, wer gibt Dir den Beweis", fragt Hiram wieder, „dass es in Wahrheit der
ewige Gottes-Geist ist, der Dich in allen Dingen unterrichten und führen will?
Oder hast Du noch nicht bedacht, dass dies vielleicht auch Deine eigenen
Gedanken sein könnten? Es klingt wohl schön aus Deinem Munde, aber für uns,
Deine Zuhörer, ist es wichtig zu wissen: spricht aus Dir die reine, lautere
Wahrheit?"
„Mein Freund, und alle, die ihr hier beisammen seid", antwortet Jesus, „lasset
euch in Liebe ein Wort sagen und denket nicht, dass Ich an Selbstüberhebung
leide. Mir ist es nicht möglich, etwas anderes zu sagen als die lauterste
Wahrheit, da Ich selbst durch und durch Wahrheit bin. Solange Ich nur denken
kann, lebte immer in Mir das Prinzip: nur wahr und aufrichtig zu sein. Denn,
willst du im Leben Vieles und Grosses erreichen, fange nur bei dir erst an und
bemühe dich, so weit wenigstens dich selbst kennen zu lernen, um zu
unterscheiden, was wahr in dir und nicht wahr ist. (Dies ist ein wichtiger
Fingerzeig für jeden, der seine inneren Anlagen mehr und mehr entfalten möchte)
Festigst du aber immer mehr deinen Willen: alles Falsche und Unwahre aus dir
heraus zu drängen, — dann ergreift die Liebe zur Wahrheit dein Inneres, und ein
mächtiger Helfer steht dir bei im Kampf um die echte Wahrheit in dir. Je grösser
der Kampf, um so herrlicher der Sieg! Denn: wer da Wahrheit geworden ist, kann
auch Anderen die Fülle göttlicher Wahrheiten darstellen und offenbaren. Wer aber
noch fragt oder denkt, ob dies in ihm nun wahr ist, der steht seinem wahren
Innen-Leben noch fern und manche Enttäuschungen, manches Leid wird ihm unfrohe
Stunden machen. Da aber Gott, der Heilige und Ewige, auch durch und durch ewige
Wahrheit ist, kann diese Wahrheit auch nur bei der Wahrheit wohnen. Und so lebt
in Mir schon der herrliche und schönste Beweis: Ich bin in und mit Gott und mit
Seinem Leben Eins! Kein anderer Gedanke als Gott! Kein anderer Zug als nur mit
Gott, und kein anderes Leben als nur Gottes-Leben lebt in Mir. Dies ist Mein
Bekenntnis. Und darum tue Ich nur den Willen Meines Gottes und Meines Vaters im
Himmel!"
„Mein lieber, junger Freund", spricht Hiram erstaunt, „so redete aber noch kein
Mensch und meines Wissens auch kein Prophet! Dass in Dir Fähigkeiten liegen,
hast Du heute zur Genüge bewiesen; ob Du aber mit Gott, mit Jehova, vollständig
eins bist, kann ich nicht nachprüfen. Sprichst Du aber die reine und lauterste
Wahrheit, dann wirst Du auch Gottes-Werke verrichten können. Und so ist es schon
besser, sich mit Dir auf guten Fuss zu stellen, denn mit grossen Herren ist
nicht gut an einem Tische essen.“
„Mein lieber Hiram", antwortet Jesus sanft, „du redest menschlich, und darum tun
mir deine Worte nicht weh; könntest du aber im Geiste Mir wahrhaft folgen, dann
würdest du Mich besser verstehen. Bedenke, was Ich dir heute schon kündete, und
bedenke ferner: alles Tun aus dem Geiste der ewigen Gottes-Liebe geschieht nur
aus freien Entschliessungen! Wenn du dich aber, so du Meinen Gottes-Geist
erkennst, an Mich anlehnen willst, dann aus keinem anderen Grunde, als dem der
reinen Bruder-Liebe. (und nicht, um Vorteile davon zu haben!) Siehe, Ich nahm
deine Einladung ohne Bedenken an, nicht der kleinste Gedanke eines Vorteils
bewegte Mich. Nimm auch du Meine Liebe ebenso an, und dein Herz wird frei und
jubelt innerlich, denn es ist in eine Verbindung eingegangen, die eigentlich
schon seit Ewigkeiten, freilich dir unbewusst, bestand. Du grübeltest heute
Nachmittag über den Gedanken nach: ,Wo, wo war ich mit Jesus zusammen?' denn
Mein Name kam dir bekannt vor, und so sage Ich dir: Ewigkeiten trennten wir uns
nicht. Und als wir uns trennten, rief Ich dir zu: ,Im Erdenleben finden wir uns
wieder!'"
Hiram bittet: „O Jesus, Du geheimnisvoller Mensch, hör auf; denn immer
geheimnisvoller wird Dein Sein! Gewiss, mir ist es so! — Aber noch fehlt mir der
Glaube; und darum bitte ich Dich, verzeihe mir meines Unglaubens willen!"
Jesus spricht: „Hiram, Ich forderte von dir keinen Glauben, darum tatest du auch
kein Unrecht. Und Ich sage dir: nichts steht zwischen uns! In kurzer Zeit schon
wirst du Mich ganz erkennen, dann wird dir alles klar, was dir heute noch so
unverständlich ist."
Nun steht Joram auf, geht hin zu Jesus und spricht: „Du lieber Jesus! Hiram hat
recht, so er sagt: Du bist ein geheimnisvoller Mensch. Überlege ich mir aber
alle Deine Reden, so dämmert mir auch manches von Deinem Vater Joseph auf. Du
warst schon ein geheimnisvoller Knabe und warst unbelehrbar, so Du Dir etwas in
den Kopf setztest. Noch denke ich daran, als Du dreizehn Jahre alt warst, Deine
Eltern pilgerten nach dem Tempel, doch Du gingest nicht mit. Ein Jahr vorher
sagtest Du: ‚Wisset ihr nicht, dass Ich sein muss in der Stätte, die Meinem
Vater gehört?' (Lukas 2, V. 42), und ein Jahr später — hätte Dich am liebsten
Dein Vater Joseph gestraft, da Du den Mut hattest, zu sagen: ‚Wenn es euch so
nach dem Tempel zieht, warum ziehet ihr nicht ganz nach Jerusalem? — Du, Vater
Joseph, und du, Mutter Maria, ihr beide wisset, dass Gott nicht mehr im
Allerheiligsten des Tempels wohnt, und trotzdem ziehet es euch mit Gewalt
dorthin?' Deine Eltern schwiegen; ich aber dachte bei mir: den Jungen würde ich
schon ziehen! Nun bist Du erwachsen, aber ich glaube: eher gehet die Welt
zugrunde, ehe Du Deine Meinung änderst."
„Lieber Joram, da hast du Mich richtig erkannt", antwortete Jesus, „aber ,eine
Meinung’ habe Ich nicht! Denn solange du noch eine Meinung hast, so oft kannst
du auch anderer Meinung werden. Ich aber trage Leben, heiliges Leben aus der
Fülle alles Lebens in Mir. Und was Ich an ,Leben' besitze, ist Mein, für alle
Ewigkeiten Mein, da es im allerschwersten Kampfe errungen ist! Fraget heute
nicht weiter. Denn in aller Kürze wird auch euch der Geist alles Lebens in alle
Wahrheit leiten."
Die Tischgesellschaft staunte über diese inhaltsschweren Worte, und es wagte
niemand noch etwas zu sagen.
02. Der Schleier-Tanz *(als
entsprechende Darstellung der heiligen Gefühle des Bsalmasten, bei dieser
Prophezeiung auf den Messias!)
Da steht Thirza, des Hirams Tochter, auf, verbeugt sich vor Jesus und fängt an
zu singen und zu tanzen. Sie singt den Psalm (24): „Es ist der König! — Es ist
der König! Der König der Heerscharen! — Alle Welt jauchzt! — Alle Welt jauchzt,
denn es ist der König der Ehren! Dir alle Ehre! Dir alle Ehre, denn Du wirst uns
alle erlösen. Sela." Ihren Schleier bewegt sie kunstvollendet, und ihr biegsamer
Körper wird immer lebendiger — wird vollendete Kunst. (Br. M. S. schrieb hierzu:
„Aber der Tanz! Dies zu sehen, war wie ein Geschenk der ewigen Liebe für mich.")
Vor Jesus macht sie Halt, und ihren Schleier bewegt sie so über dem Kopf Jesu,
dass es aussieht, als trüge Er eine Krone.
Jesus spricht ernst: „Thirza, habe Dank! — Aber lasse das, was in dir keimt,
nicht zur Leidenschaft werden. Noch weiss die Welt nichts von Mir. Wenn Zeit und
Stunde gekommen ist, wirst auch du Mich erkennen!"
Hiram und alle schauen auf Jesus und auf das in Glut getauchte Mädchen. Jesus
aber sagt: „Meine Lieben! Was ihr Reifen und Erfahrenen noch nicht fassen und
begreifen könnt, ahnt dieses junge Menschenkind. Aber auch hier gilt dies Wort:
Keiner kann etwas geben, was er nicht zuvor empfangen hat! Nur der in ihr
wohnende Geist gab ihr dieses kund." —
„Dann wärest Du — der Ersehnte?", fragt Joram langsam, „der voller Sehnsucht von
uns Erwartete?"
„Nein, lieber Freund, der bin Ich nicht", antwortet Jesus, „und kann es nicht
sein, da ihr einen ganz Anderen erwartet. Aber ihr seid ja unbelehrbar, weil der
Gedanke des kommenden Königs mit euren eigenen Wünschen so verwurzelt ist.
Freunde über Freunde habet ihr geworben für eure Idee, doch alle werdet ihr
Enttäuschungen erleben. Denn Ich bin gekommen: um euch zu offenbaren ,Den Willen
Jehovas’. Und ,Sein Wille' wird in Mir zur Tat! Dringet nicht in Mich, sondern
ziehet mit nach den heiligen Wassern dort in der Wüste und erschauet und
erfahret dann: ,Den Willen Gottes!’"
03. Aufbruch nach Bethabara
Thomas und Esra reden zusammen und meinen, es wird kein Fehler sein, mit nach
Bethabara zu ziehen; und Hiram sagt zu Joram: „Warum sollen wir nicht auch noch
dieses Opfer bringen?"
Jesus aber spricht: „Freunde, von einem Opfer kann hier keine Rede sein. — Habt
ihr eurem kommenden König schon manches materielle Opfer gebracht, so wird euch
diese kleine Mühe recht grossen Segen bringen! Denn: so ihr von den falschen
Begriffen, die ihr dem Kommenden und Erwarteten entgegenbringt, geheilt seid,
wird euer Leben erst seinen wahren Inhalt erhalten. Doch alles Vergangene werdet
ihr als etwas Verlorenes betrachten. Der aber wahrhaft Kommende wird euer
inneres Leben erfüllen mit Kraft und Stärke. Und jedes Daseins Lebens-Zweck wird
vor euch in den schönsten Farben aufleuchten. Ich lasse euch jetzt allein, und
du, Hanna und Joram, führet Mich in die Mir zugedachte Kammer. Fordert Mich
nicht zum Bleiben auf, denn was Ich sagte — gilt! Und so wünsche Ich euch allen
eine gesegnete Ruhe."
Jesus legt sich zur Ruhe. Bei den Zurückbleibenden aber wird es immer lebhafter,
denn: „Wer ist Jesus?" ist die Haupt-Frage.
Hiram aber sagt nach einiger Zeit: „Lassen wir doch die Zukunft uns die rechte
Antwort geben! Denn Jesus kann doch nicht sagen: ,Ich bin der König! — Wollt ihr
Meine Vasallen sein?' Lassen wir Jesus gehen; Er wird schon wissen, was uns
nötig ist."
Nun wird es still, und alle geben sich der Ruhe hin. Aber Hanna ruht nicht,
sondern bäckt das Brot zur Reise; und als morgens alles lebendig wird, duftet es
im ganzen Hause nach frischem Brot.
In der grossen Stube setzen sich die Gäste zum Morgenmahle; nun erscheint auch
Jesus und grüsst herzlich die Anwesenden. Joram, als Wirt, will den Morgen-Segen
sprechen; da sagt Jesus: „Meine lieben Freunde! Auch hier, bei diesem eurem Tun,
schweiget mit dem Mund, redet aber um so mehr mit dem Herzen! Und segnet,
segnet, denn Segen tut not! Im Segen offenbaren sich die Kräfte eurer Liebe und
des ewigen Gottes-Lebens. (Wer bittet — ist noch nicht eins mit dem himmlischen
Vater. Wer aber segnet — wird bald eins mit Ihm! Segnen — ist göttliches
Tätigsein des inneren Lebens.) Ein jeder beginnende Tag, gesegnet — wird nicht
nur euch, sondern auch der Umwelt zum Segen. Darum schweigen wir, und dabei
segnet, was euch am Herzen liegt!"
Nach einer inneren Ruhe spricht Jesus weiter: „Hanna, du Mutter dieses Hauses!
Während wir schliefen, schuf deine Liebe dieses duftende Brot, um uns zu
beglücken. Wahrlich, Mein Vater wird dich zu lohnen wissen! Und deine Liebe
werde zu einem Lebens-Fundament, auf dem du noch manches Herrliche in dir finden
wirst!"
Schweigend nehmen alle das Frühmahl ein; dann nimmt Jesus Abschied, und die vier
Freunde begleiten Ihn auf dem Wege zu Johannes.
04. Jesu Taufe am Jordan
Der Tag war heiss. Joram und Hiram trugen die Lebensmittel, die ihre Frauen
Hanna und Mira in einer Tasche gut verpackt hatten. Es wurde auch öfter Rast
gemacht, jedoch gesprochen wurde nicht viel, da eine Scheu in den vier Männern
steckte, Jesus gegenüber. Erst am späten Nachmittag kamen sie nach dem Ort, wo
Johannes predigte. Von ferne schon sah man viel Volk, wie es sich lagerte um die
Furt; sogar einige Kamele waren da — ein Beweis, von wie weit her man den
Wüstenprediger aufsuchte.
Als Jesus mit Hiram, Joram, Thomas und Esra sich der Stelle näherten, wo
Johannes predigte, war ausserordentlich viel Volk um ihn. Und Johannes gewahrte
die Ankommenden.
Jesus setzt sich auf einen halben m hohen Stein und die Anderen ebenfalls, denn
viele Steine, grosse und kleine, lagen umher. In diesem Moment fällt ein
Lichtstrahl auf Jesus, dass Er kaum noch zu sehen ist, denn über Seinem Haupte
und um Ihn ist Licht, nur Licht! (Darum musste Johannes wohl extra erklären:
„Und ich kannte Ihn nicht.")
Hierdurch aber erkennt der innere Geist in Johannes den Erlöser, und er zeugt
laut: „Sehet, das ist Gottes Lamm!" (Joh. l, V. 31—33) „Sehet, dort kommt Der,
dem ich nicht wert bin, die Schuhriemen zu lösen! Dort ist Er, der das Volk
erlösen wird von allem Übel!" Jesus aber schweigt. Immer beredter wird Johannes
und seine Stimme wird zum Orkan, als er ruft: „Diesem müsset ihr folgen, denn Er
ist der Verheissene!"
Jesus geht nun langsam auf Johannes zu und spricht: „Bruder! Im Geiste der Liebe
komme Ich zu dir, und der Friede sei mit dir! Zu dir drängt es Mich, um zu
erfüllen den Willen des Herrn; und in deiner Höhle mit dir und dem Herrn
verbunden — erwarten wir den Morgen des neuen Tages!“ (Als tiefe Entsprechung:
So möchte Jesus in der Nacht mit unserm Verstandes-Leben (dem Johannes) einmal
reden in der Höhle, in der innersten dunklen Kammer unseres Innenlebens als das
„Wort" Gottes bis zum Morgen eines aufgehenden neuen Geistes-Tages in uns! Wir
aber? — Ziehen auch wir uns lieber zurück — vor solcher ehrlich offenen,
heiligen Aussprache mit Ihm?)
„O Jesus! Ich bin nicht wert, dass Du in meine armselige Höhle kommst!"
entgegnet Johannes ernst. „Denn Du bist der Verheissene!" —
„Johannes! Hast du vergessen, dass wir Brüder sind, dass uns ,ein Geist' eint,
der Geist des Dienens?! Siehe, im Dienen sind wir gleich!"
Johannes bittet noch ernster: „Herr, gehe von mir, denn Du bist heilig; ich aber
trage noch zuviel des Erdenstaubes in mir!"
„So geschehe dein Wille!" antwortet Jesus entsagend. „Doch, mein Bruder
Johannes, morgen komme Ich wieder! Dann will Ich dir den Beweis geben: dass Ich
dich heiss und innig liebe und deines Erdenstaubes nicht gedenke. — Der Frieden
sei mit Dir!"
Jesus entfernte sich und ging zu den Freunden; diese aber konnten sich diese
Szene nicht erklären. „Wartet auf morgen", spricht Jesus — „dann wird alles
offenbar!"
Weit gingen die vier mit Jesus. In einer Felsenhöhle machten sie Rast und
wollten essen; Jesus aber nahm keinerlei Speisen und Trank zu sich. Die Anderen
wunderten sich. Joram jedoch sprach: „Jesus, so ist es nicht gemeint. — Wir
essen und Du fastest? — Da wollen auch wir fasten, um mit Dir ganz verbunden zu
sein." —
„Meine Freunde", spricht Jesus traurig — „Kummer und Weh erfüllt Mein Herz. Mit
einer grossen Hoffnung kam Ich hierher und finde Johannes so, wie Ich ihn nicht
finden wollte. Wohl kündet ihm der Geist, dass Ich der Erwartete bin. Aber er
schuf eine Kluft, die ihn von Mir trennt. Johannes fühlt sich voller Schuld und
Erdenstaub — und will sich selbst reinigen durch Kasteien und äusserste
Pflichterfüllung. Und dieses, Freunde, ist das uns Trennende!" (Diese göttliche
Liebe, die in Jesus zu allen Menschen kommt, als überirdische Hilfe, um uns von
den Fesseln unseres Erdenstaubes zu erlösen durch Gnade und Erbarnmng, will
Johannes (wie auch unser Verstandesleben) nicht annehmen!)
„Können wir da nicht helfen und Johannes auf seinen Irrtum aufmerksam machen?"
fragt Thomas. „Denn auch mir ist das Leben nicht fremd; doch mit Jehovas Hilfe
kann ja vieles erreicht werden."
„Lasst es gut sein, liebe Freunde!" — antwortet Jesus ernst. „Verzehret euer
Mahl, es ist gesegnet. Ich aber gehe noch in die Einsamkeit." —
„Dann gehe ich mit", spricht Hiram entschlossen, „denn die Gegend hier ist nicht
ganz sicher."
„Bleibet! — Und wenn Ich müde genug bin, komme Ich zu eurer Lagerstätte." So
ging Jesus allein aus der Höhle, die anderen aber beratschlagten, wie sie Ihm
helfen könnten.
Thomas sagte: „Brüder! Er ist doch der Erwartete — freilich nicht nach unserem
Sinne! Jar wir haben umsonst gehofft, dass wir über unsere Feinde triumphieren
würden. — Dieser aber kommt als Erlöser zu den Armen und Geknechteten; doch
Seine Mission wird eine dornenreiche sein."
„Ich kann es nicht glauben und fassen!" spricht Joram. „Es ist besser, wir
fragen Johannes. Wozu nützt denn all unser Hoffen und Sehnen? Es kann doch nicht
im Willen Jehovas liegen, dass wir für immer geknechtet seien; denn wir sind
Sein Volk."
„Ja, du magst recht haben", antwortet Hiram; — „aber wird die Sendung des
Johannes und Jesus nicht Grösseres auslösen wollen? Warum sollen wir alle Busse
tun, wie Johannes predigt, da der Erwartete schon unter uns lebt? Wenn wir im
rechten Lichte dieses erkennen, verstehen wir erst Jesus. Denn in Ihm kommt das
Licht, welches bei uns erloschen ist. Johannes bezeugte: „Er ist das Licht; ich
aber zeuge vom Lichte! Morgen gehe ich Johannes darum an, mir zu bezeugen: Wer
ist eigentlich Jesus — und was haben wir nun zu tun?"
Joram spricht: „Recht so, Bruder! Aber nun wollen wir das Nachtmahl einnehmen."
Und so redeten sie hin und her und es schmeckte ihnen ausgezeichnet. Es wurde
schnell Nacht — doch Jesus war nicht zu sehen; ihr Rufen blieb unbeantwortet,
und so legten sie sich zur Ruhe nieder. Mitten in der Nacht erst trat Jesus ein,
segnete die Schlafenden und legte sich auch zum Schlummer nieder.
Der neue Tag bricht an. Kühlende Winde kommen vom Jordan, und die vier erwachen.
Aber Jesus schläft noch, und Joram spricht leise: „Kommt, Brüder, lasset Jesus
weiterschlafen; wer weiss, wie lange Jesus diese Nacht gewacht hat. Die Tasche
mit den Lebensmitteln lassen wir ihm hier. Wir suchen jetzt Johannes auf, kommen
dann in diese Höhle zurück und halten mit Ihm das Morgenmahl." So entfernen sie
sich und gehen in Richtung nach dem Jordan.
Stunden vergingen. — An der Furt, wo Johannes predigte, war schon viel Volk,
auch Templer und Schriftgelehrte. Unsere vier Freunde trafen viele Bekannte und
dann erschien Johannes mit seinen Jüngern. Rasch war er umringt, und nun fing
ein Fragen an nach dem Verheissenen und dem Erlöser: „Wer und was ist der
Verheissene? — Wer bist du?" —
Johannes aber spricht: „Ich bin nur ein Rufer, ein Prediger in der Wüste! (Joh.
l, V. 23) Bereitet dem Herrn den Weg — und machet Seine Steige richtig!" wie im
Jesaias geschrieben steht. (Jesaias 40; 3) Ich taufe euch mit Wasser. — Der aber
nach mir kommen wird, der wird mit Feuer taufen!" (Matthäus 3; 11)
„Dann ist deine Taufe nutzlos, so ein Anderer und Stärkerer kommt!" — entgegnete
man ihm.
Aber Johannes spricht: „Ehe denn ich war — war ER! In Seiner Hand ist die
Wurfschaufel. Er wird Seine Tenne fegen. Alles Brauchbare wird Er sammeln, alles
Unbrauchbare aber dem Feuer übergeben!" (Matthäus 3; 12) und gewaltig wirkt
seine Predigt weiter und viele bekehren sich und lassen sich taufen.
„Was sagst du nun?", spricht Thomas zu Joram; „sollen wir noch weiter fragen? —
Hier hast du genug gehört, denn nach Johannes wird Jesus nie und nimmer ein
König. Denn ein König, wie wir ihn ersehnen, müsste einen anderen Herold, einen
anderen Wegbereiter haben!
Und so, wie ich Johannes und Jesus nun kenne, werden beide jede Gewalt gegen
unsere Bedrücker ablehnen!" —
Joram antwortet: „Thomas, wie denkst du dir das Neue Reich, so Jesus nun die
Herrschaft übernehmen wird?"
Auf einmal spricht laut, auf Jesum zeigend, Johannes: „Sehet! Das ist das Lamm
Gottes, welches der Welt Sünden trägt!" Alle Blicke richten sich dorthin, wo
Johannes hinzeigt — und langsamen Schrittes, im einfach-weissen langen Gewand —
(zwischen all den bunten Farben der Anderen), kommt Jesus hin zu des Volkes
Menge. Ernst ist Sein Blick; — Seine blonden Locken werden vom Winde hin und her
bewegt, und nochmals ruft Johannes: „Sehet, das ist Gottes Lamm!" —
Ehrfurchtsvoll macht man Ihm Platz; — alles schweigt.
„Friede sei mit dir und mit euch allen!" spricht nun Jesus, und segnend geht
Seine Hand langsam von links nach rechts. „Und nun, Mein Johannes, vollziehe
nach dem Willen Gottes an Mir die Taufe!"
„Nie kann ich Dich taufen", ruft Johannes; „eher müsste ich mich von Dir taufen
lassen!" Jesus aber antwortet sanft: „Lass es gut sein! Denn also gebühret es
uns: alle Gerechtigkeit zu erfüllen!" — (Matth. 3; 14—15)
Nun tauft Johannes — Jesum! Und als Jesus getauft war und aus dem Wasser stieg,
umstrahlte eine Herrlichkeit den ganzen Himmel. Und aus diesem herrlichen Sein
ertönte eine wunderbar wohltönende Stimme: „Dies ist Mein lieber Sohn, — an dem
Ich Wohlgefallen habe!" (Markus 1; 11)
Erstaunt sehen sich die Freunde an — und nun spricht Thomas: „Brüder, wollt ihr
noch andere Beweise? Hier ist Christus, und Er wird auch uns erlösen!"
Mit Seinen leuchtenden blauen Augen schaute Jesus alles Volk an, und eine feine
Bewegung ging durch alle Herzen, denn zu wunderbar war der ganze Vorgang. — Dann
lenkte Er seine Schritte hin zu den vieren und spricht: „Freunde, ziehet nun
wieder heim! — Ich aber bleibe noch einige Tage hier in dieser Gegend, doch eure
Tasche müsst ihr mitnehmen, denn Ich bedarf ihrer nicht. Vergesset nicht das
hier Gehörte und Erlebte, wie Ich auch euch nicht vergesse. Mein ewiger Vater in
Mir zeigt Mir Meinen Weg, den Ich nun zu gehen habe. — Und meine Liebe zieht
Mich stets dorthin, wo Ich helfen, heilen und beglücken kann. Habet ihr aber
Sehnsucht nach Mir, so suchet Mich in euren Herzen, und dort werdet ihr Mich
finden, und dann werdet ihr frohlocken! Denn die Ich liebe, die beglücke Ich! —
Wer aber Mich liebt, den wird Mein heiliger Vater beglücken mit wahrer
himmlischer Freude!"
Die Freunde bestürmen Jesus, doch wieder mit zurückzukommen; aber Jesus lehnt ab
und spricht: „Nicht Mein, sondern der Wille Gottes, Meines Vaters, geschehe
jetzt und allezeit! — Und so ziehet hin in Frieden, begleitet von Meinem Segen,
durchdrungen von der Wahrheit, die ihr aus den Himmeln hörtet!"
Nun endlich verabschieden sich die Freunde von Jesus, und nun erkennen sie in
Ihm: den Heiland und Erlöser! — Jesus aber ging einsam in die Wüste, und keiner
folgte Ihm.
Noch einmal wollte das Leid Sein Herz erdrücken; — da spricht Er, sich
aufrichtend: „Vater! — Dein bin Ich, und aus Deiner Hand nehme Ich, was Mir und
allen Menschen frommt! Nur Dich will Ich verherrlichen! Kein Leid soll Mich mehr
niederdrücken. Nur Liebe soll Dich beglücken und alle Menschen dieser Erde!"
05. Jesus in der Wüste
Es ist Nacht. — Am klaren Sternenhimmel grüssen die wunderbaren Sternenbilder
und verkünden Frieden, den Frieden Gottes. Eine heilige Stille umgibt den in
sich lauschenden und in sich schauenden Jesus, welcher auf einem Felsen sitzt
inmitten der Wüste. Nichts ist zu erkennen, denn die Nacht hat alles mit ihren
Schatten zugedeckt; aber um Jesus leuchtet es in wunderbarem Licht. Ein leises
Rieseln des Sandes ist zu vernehmen, da ein leichter Wind von Morgen her zu
wehen anfängt; da hebt Jesus Seinen Kopf, und Seine leuchtenden Augen werden
nicht müde, diesem Spiel des Sandes zuzuschauen. Von weitem ertönen Schreie
umherirrender und nach Futter suchender Tiere, denn ihre Witterung verrät ihnen
die Nähe eines Menschen. Kaum, dass Jesus nach der Richtung blickt, woher die
Tiere brüllen — denn Er ist unbesorgt; Er fühlt sich sicher und froh. Seine
Hände umfassen ein Knie, und nun spricht Er:
„Vater, Mein Vater! — Ich fühle Mich ganz in Dir, und Mein Glück ist grenzenlos!
Meine Aufgaben erschaue Ich lichtvoll und klar und schaue auch das Gelingen. —
Denn Du bist in Mir! Kein anderes Leben als das Deine und kein anderes Verlangen
trage Ich in Mir, als Du in Dir trägst. O Mein Vater! Du bist Mein Ich, und Ich
bin Du! — Nichts vermag Uns zu trennen, denn Meine Seele ist ganz durchdrungen
vom Geiste der Erfüllung, vom Geiste Deines ewigen Ur-Wesens." —
„So soll es auch bleiben", — erklingt es in Ihm, „bis alles ist vollendet!" —
„Amen!" spricht Jesus; „Amen!" erklingt es in Ihm; und volle Zufriedenheit und
reines Glück ist in Ihm.
Ein Engel steht vor Jesus, neigt sich voll Ehrfurcht vor Ihm und spricht: „Herr!
Meine Brüder haben mich gebeten, Dich zu bitten, Dir dienen zu dürfen, da auf
ihre Gebete hin ihnen keine Zustimmung wurde. Es ist für sie demütigend, in
Glanz und Überfluss zu leben, während Du, o Herr, in Armut und in Niedrigkeit
weiterhin leben willst. Es ist für uns alle unverständlich, dass Du, o Herr,
sogar noch einsam bleiben willst." —
„Mein treuer Raphael", — spricht Jesus, „du kennst ja alle diese Bedingungen.
Also weisst du auch, dass Mir, als dem Menschen-Sohne, nur die Erreichung des
gesteckten Zieles am Herzen liegt! Sage allen deinen Brüdern: dass Ich keinen
Zoll von diesem Wege abweiche, dass Ich keinen einzigen falschen Zug mehr in Mir
tragen darf, um mit dem ewigen heiligen Vater voll und ganz eins zu sein. Was
Ich tue und tun werde, tue Ich aus dem Leben und aus der Kraft des ewigen
Vaters. Mein Vater weiss um alles! Und Ich weiss alles aus dem Vater; denn Ich
bin mit Ihm eins! Bald, bald werden Tage und Stunden kommen, wo auch euer
Verlangen gestillt wird: Mir zu dienen! Doch jetzt muss Ich noch allein sein —
um Meinet-, um euret- und um der ganzen Menschheit willen!"
„O Herr! — Nur Dein Wille geschehe!" — und Jesus ist wieder allein. Noch einmal
geht Sein Blick nach innen, und vor Seinen geistigen Augen lebt nochmals Seine
heilige und hohe Aufgabe auf. Völker sieht Er ringen, sieht er kommen und gehen
(Die Volks-Seelen in ihren Typen; die alle auch in unserer Innenwelt leben,
deren Dasein wir aber erst bemerken, wenn man erfahren muss: wie wenig unser
Wille über solche Völker zu herrschen vermag!), und nur Schatten von ihnen
bleiben zurück; — schattenhafte Wesen: lebende Ideen, die in ihren falschen
Begriffen vom Leben und in ihrer verkehrten Liebe zwar Daseinsberechtigung
erhielten, aber in sich ohne jeden festen Lebensgrund waren. Und Er sieht das
Verlangen nach Leben — oder Vergehen — in ihnen.
Weiter sieht Er: wie nach und nach Persönlichkeiten erstehen, Männer und Seher,
die, vom inneren Geist getrieben, die Völker unterweisen, je nach dem in ihnen
gereiften Gottes-Leben. Diese erkennen schon in Jesus das gewaltigste
Gottes-Leben. Sie möchten auf Ihn hinweisen und sagen: „Dort ist unser aller
Helfer und Erretter! (und für diese will dann Jesus der wahrhaftige Erlöser aus
allem Irrtum werden.), können es aber noch nicht zum Ausdruck bringen, da ihnen
für Sein grosses Erlösungs-Werk der rechte Begriff noch fehlt.
Segnend hebt Jesus Seine Rechte: „Auch euch wird ein Morgen, wenn vollendet ist
Mein begonnenes Werk!"
Ein neues Bild erscheint in Klarheit vor Seinen Augen: Er erschaut die Erde als
Diesseits, als das unvollkommene — und den Himmel als Jenseits, als das
vollkommene Leben.
Eine lange, aber ganz, ganz schwache Brücke verbindet beide Welten, dazwischen
aber ist ein Strom gewaltiger Fluten; und diese Fluten wiederum sind belebt von
gierigen und hässlichen Tieren.
Und Jesus sieht: wie hier im Diesseits das Ringen so schwer ist — und das
herrliche Ziel fast unerreichbar. Und er sieht die letzte scharfe Prüfung, wo
diesseits der Brücke zwei Engel mit einer Waage und dem Schwert stehen und so
oft: „Gewogen — und zu leicht befunden" — erklären müssen.“ Am anderen Ufer aber
stehen erwartend Scharen weissgekleideter Wesen mit Palmenzweigen in den Händen.
Segnend hebt auch hier Jesus Seine Hände nach ihnen und spricht: „Auch ihr
werdet euch mit Mir freuen, wenn eine neue Brücke gebaut ist aus dem Werke
Meiner Liebe! Und keiner soll mehr geprüft werden, ob er tauge für die Himmel!
Denn Mein Leben wird in Zukunft für alle zum ,Wegweiser' in das rechte Leben;
doch ohne dieses Mein Innen-Leben findet niemand den Eingang zu den inneren
Himmeln!"
Nun entsteht noch ein drittes Bild: Vor Jesus treten alle Patriarchen, alle
Propheten und zeigen Ihm in der einen Hand das Buch der Bücher, in der anderen
Hand die Gesetzestafeln (als Offenbarungen ihres Gottes und Seiner Verheissungen
eines Erlösers) — und verneigen sich tief vor Ihm. Jesus segnet sie mit beiden
Händen und spricht: „Ziehet heim in Frieden! Bald ist auch eure Sehnsucht
gestillt, denn Ich bin die Erfüllung!" —
Jesus schliesst die Augen; Er ruht im Geiste an der Brust Seines Vaters und
lächelt glücklich.
05. II. Die Wirklichkeit kommt!
Heller und heller wird es; glutrot geht die Sonne auf und färbt weithin den
Himmel mit ihrem Schein. Jesus ist nun wieder ganz Mensch und erwartet den
anbrechenden Tag: „O komme, du Tag, und gesegnet sei dein Licht, damit Ich
wirken kann nach dem Willen des heiligen Vaters. Du aber, du Erde samt deinen
Bewohnern, sei gesegnet aus der höchsten Fülle reinen Gottes-Lebens!" —
Jesus stieg herab vom Felsen und begab sich hin zum seicht rieselnden Wasser,
welches seinen Lauf nach dem Jordan zu nahm. Er wusch sich Hände und Gesicht und
labte sich am reinen frischen Trunk. Sein Blick suchte in der Gegend, aber
niemand war zu sehen; ist es doch eine halbe Tagesreise von dem Ort entfernt, wo
Johannes lehrte und taufte.
Nun besah er sich die Gegend: Um Ihn waren hohe Felsengruppen, hier und da
standen verkrüppelte Bäume und viel, viel hohes Gestrüpp mit starken Wurzeln.
Aus den wenigen Bäumen tropfte der Honig und die Bienen waren emsig dabei tätig.
Jesus fing an, einige Baum-Äste, welche leicht abzubrechen waren,
zusammenzutragen; und als die Sonne den Höhepunkt erreicht hatte, konnte Er sich
im Schatten seiner selbst gebauten Hütte lagern. Etwas Hunger stellte sich ein,
und so waren Honig und weiche Wurzeln Seine einzige Nahrung.
Zufrieden sitzt Er vor Seiner Hütte — und lauscht auf den Wind. Es sind Frage-
und Klage-Töne, die Ihm zugetragen werden von Wesen, die da hörten, dass „das
Lamm, welches der Welt Sünde trägt", — sich in der Nähe befände. Noch sehen sie
Jesus nicht, aber Jesus spricht zu ihnen: „Auch euch bringe Ich Brot des Lebens
und zeige euch den Weg zum inneren Leben! Doch in dieses wahre Leben werdet ihr
erst gelangen, wenn Ich vollendet habe. Bis dahin übet Geduld und Liebe!"
Nun schauen sie Ihn. Zaghaft treten sie näher, doch ist es für sie ein Rätsel:
dort der Mensch — Er sei ,Das Lamm'? — Ein Mensch, und dieser sieht uns? — So
nimmt sich einer den Mut und spricht: „In Frieden nahen wir uns Dir, da
Gottes-Boten uns verkündigten: Du seiest auch unser Erlöser! Und so Du uns
hörest, so bitten wir Dich um eine Antwort."
„Eure Bitte habe Ich vernommen", antwortet Jesus, „und der Bote, von Gott zu
euch gesandt, hat recht gesagt. Doch ‚Erlöser' kann Ich nur denen sein, die an
Mich und Meine Sendung glauben — und dann die Werke tun, die Ich tue in
selbstloser Liebetätigkeit. Alles aber, was Ich tue, hat zuvor Mein Vater Mich
geheissen."
„Wer ist Dein Vater, und wo bist Du gezeugt?" fragt der Geist „Gerne wollen wir
Dir glauben, so Du uns erlösen kannst aus dieser Eintönigkeit unseres Seins."
„Höre, der du ein schlechter Priester und ein noch schlechterer Gottesdiener
warst", antwortet Jesus ernst, „so viel hättest du dir in deinem langen
Erdenleben zu eigen machen müssen, dass du wüsstest, wer Der ist, von dem die
Väter und Propheten redeten! Und dass keiner das Reich Gottes ererben kann, —
der nicht zuvor ,Erbe' geworden ist! (Der rechte Erbe kann nur das Kind sein!)
Wohl beherrschtest du die Bücher Mosis und mancher Propheten. Als du aber deinen
Leib ablegen musstest, da war fast alles vergessen; und gehörte dir nicht die
Liebe und Anhänglichkeit mancher aus deiner Synagoge, so ständest du jetzt ganz
allein. Für das Anrecht: auch als ,Erbe' zu gelten, hast du aber nicht das
geringste getan, denn der Zehnte war dir wichtiger als das leichteste Gebot
durch Moses."
„Du redest wie ein Herr", spricht der Geist des Priesters, „und Deine Worte sind
schärfer als ein scharfes Schwert. — Aber Du bist noch Mensch und legst einen
Massstab an, als wären wir auch noch Menschen. Friedlich nahten wir uns Dir,
doch Deine Worte rauben uns jede Hoffnung auf Erlösung."
„Gemach, Mein Freund", spricht Jesus, „eben weil Ich auch Geist bin wie du und
ihr alle, — nur mit dem Unterschied, dass Ich Meinen Fleischleib noch trage,
kann Ich reden mit euch wie mit Meinesgleichen. Und so sage Ich dir: Keinen
Schritt kommst du vorwärts, so du und deine mit dir Gehenden euch nicht bemühet,
zurückzuzahlen alles zu Unrecht Empfangene. Du schüttelst verständnislos den
Kopf und denkst: Wie das — und hast dich doch niemals gefragt, wem wohl das
Opfer gehörte, welches das Volk dem Herrn darbrachte? Wohl sollet ihr vom Opfer
leben, denn ein jeder Dienst ist seines Lohnes wert. Alles andere aber gehöre
den Armen; und so habt ihr euch des Diebstahls schuldig gemacht an den Armen.
Meinest du, Gott kann vergeben, so du einfach bittest, dich und die anderen zu
erlösen? — Ich sage dir: Nach Ewigkeiten wirst du noch auf diesem Boden stehen,
der dir nichts geben kann, wohl aber das Letzte, ,die Hoffnung', dir noch rauben
wird. Darum bemühe dich, von Mir Entsagung, Hingabe und Erkenntnis zu lernen.
Ich heisse dich nicht fortgehen, und solange Ich hier in dieser Einsamkeit
weile, dürft ihr Zeuge und Zuhörer Meines geistigen Lebens hier sein." (Wie wir
wissen aus den Offenbarungen Lorbers und Swedenborgs, dass in der geistigen Welt
sich alles aussen um uns her sichtbar darstellt, was wir im Innersten denken und
empfinden)
Der Priester zog sich zurück; ihm war aller Mut vergangen, noch ein Wort zu
sagen; doch er berichtete den Anderen treu und wahr, wie es ihm ums Herz war.
Jesus aber segnete diese Blinden. — Und abermals wurde es still um Ihn, wie es
schon zuvor still in Ihm war. Im Geiste eilte Er in die Tiefen Seiner eigenen
Seele — und im prüfenden Suchen übte Er Kritik an Regungen, die sich noch
störend einstellen könnten zwischen Ihm und dem Ewigen Vater. (Und wenn wir Ihm
nachfolgen wollen und anfangen würden, auch an unsern Regungen so Kritik zu
üben? Auch wir würden rascher zu unserer Vollendung gelangen)
Nun senkte Er Gedanken der Liebe, der Erbarmung und Barmherzigkeit in Seine Ihm
offene Seele. Er wurde erfüllt von höchster Wonne und innigster Verbundenheit,
und so rief Er aus: „Kommet alle und empfanget die Liebe und Gnade des Herrn!
Denn Seine Güte und Liebe ist ewiglich, und Seine Erbarmung reicht bis in den
tiefsten Abgrund!" — Laut klangen diese von grösster Liebe durchdrungenen Worte,
und ein Echo tönte zurück: „Darum lasset Uns wie Eins sein — und Du sei zu allen
Menschen ,Bruder'!" —
„Vater, Du Herrlicher!" antwortete Jesus, „wie danke Ich Dir! Ich darf allen ein
Bruder sein durch Deinen in Mir geheiligten Willen. Nun bin Ich nicht mehr
einsam! — So weit Ich denken kann, so weit Meine Sehnsucht reicht, so weit will
Ich alles beglücken und beseligen! Denn Deine Liebe, o Vater, zeigt Mir auch den
als Bruder, der sogar Dein Feind und Widersacher ist und Dein heiliges
Gottes-Leben für nichts erachtet. So will Ich Dir danken, indem Ich nur Deinem
Willen lebe! Dein Wille geschehe! Amen."
Die Sonne neigte sich zum Untergang. Jesus sass vor Seiner Hütte und schaute
still in den farbig-roten Abendhimmel; der friedliche Zug in Seinem Gesicht ward
nahezu feierlich, denn in leuchtender Klarheit ging Ihm in Seiner Innenwelt eine
neue Lebens-Sonne auf.
Und Er sah einen zweiten Jesus in sich, der, bestrahlt von der in Ihm
aufgegangenen Sonne, in hellem Lichte stand. Von diesem Jesus sah Er, wie aus
den Augen, von dem Mund und den beiden Händen Strahlen ausgingen. Und das Licht
dieser Strahlen drang hinaus aus Seiner inneren Welt und wurde zu einer
Botschaft für die ganze Erde. Auch die Ihn umstehenden Geisterscharen schauten
diese wunderbare Lichterscheinung gleich einem Sternen-Regen.
Als nun die Sonne vollends untergegangen war und die Finsternis rasch zunahm,
war doch die Hütte und der Platz um Jesus erhellt. Und so nahte sich demütig ein
anderer aus der Schar der Geister und fragte: „Herr, sollen wir Dich anbeten?
Denn Du bist nicht Mensch und nicht Geist. Wäre Dein Gesicht nicht so feierlich
friedlich, so müsste ich mich fürchten, aber so zieht es mich zu Dir hin, und
ich bitte Dich, Dir dienen zu dürfen." —
Jesus antwortete: „Du irrst, so du annimmst, Ich sei weder Mensch noch Geist, da
Ich beides bin. Deines Dienstes bedarf Ich heute noch nicht, aber diene du
deinen Brüdern, und in deinem Innern wirst auch du dann die Freude erleben,
welche in Mir lebt. So wie Ich Mich freue, verbunden zu sein mit dem ewigen
Gottes-Leben, so wirst auch du dich dann freuen, im Geiste der Liebe verbunden
zu sein mit all deinen Brüdern."
„Herr, wo nehme ich die Mittel her zum Dienen?" fragte der Geist. „Hier ist
nichts als Einöde; wärest Du nicht, wer weiss, wohin wir gezogen wären." Jesus
sprach: „Bist du überzeugt, ein so Armer zu sein? Was habe Ich in diese Wüste
mitgebracht? Siehe, nur ein Herz voll Liebe, ein Herz voll Sehnsucht, allen,
allen zu helfen, und das Bewusstsein: Ich bin mit Gott verbunden! Sag, könntest
du dieses nicht auch haben? Siehe, so du noch von Vorgängen ausserhalb deiner
Innenwelt aufmerksam gemacht wirst, wollen sie dir sagen, dass du sie dir
aneignen sollst. Und so du dies tust, wirst du erkennen Den, der dir solches
angeraten. So gehe hin in Frieden, und gesegnet sei dein Wollen und Tun! Amen."
„Amen!" — sprach der Glückliche, denn in seinem Herzen glimmte ein Funken aus
Jesu sonniger Liebe auf.
Jesus ruhte nun in der Hütte. Andachtsvoll lagerten sich die hier weilenden
Geister ringsum; und Engel ohne Zahl waren glücklich, Den zu behüten, der ihr
ganzes Glück und Leben ist. Scharfe Wacht hielten sie, denn sie wussten: auch
der Feind war auf der Lauer.
05. III.
Bei Beginn des neuen Tages wird Jesus wach. Er stattet seinen Dank allen Helfern
ab und betet: „Heiliger Vater! Ein neuer Tag und eine neue Aufgabe liegt vor
Mir! (So wollen auch wir jeden neuen Tag begrüssen, wodurch wir Ihm auch hierin
nachfolgen.) Eine reine, grosse und heilige Liebe regt sich in Mir, um sich ganz
einzutauchen in Dein Ich, in Dein Leben, welches jeden emporheben will, wer es
auch sei, so sich nur die Hände bittend heben. O Du Mein Vater, auch dieser Tag
soll ganz Dir gehören, und Ich will Mich wahrhaft Deiner freuen!“ (Und auch wir
wollen uns wahrhaft freuen an dem Gottes-Leben in uns, auch wenn wir zeitweilig
in einer Wüste leben.)
Jesus segnet, und Strahlen von Licht und Leben dringen hinaus ins All — und dann
braucht Er eine Weile Stille, um sich wieder zurechtzufinden in das Irdische um
Ihn. Nachdem Er sich erfrischt und wiederum gesättigt hat wie tags zuvor, macht
Er sich auf und geht nach dem Jordan, welcher in ungefähr 3 Stunden zu
erreichen war. An Felsen, grossen und kleinen verkrüppelten Bäumen und spärlich
wachsenden Sträuchern geht Sein Weg vorüber; aber Jesus achtet nicht darauf,
denn ein Drängen ist in Ihm, nach dem Jordan zu gelangen, und nach einigen
Stunden Wandern im Sand, auf pfadlosem Wege, erreicht Er Sein Ziel.
Weit und breit kein Mensch, trotzdem an den Ufern des Jordans schon grössere
Vegetation zu sehen ist. Wildes Getier und einige zahme Rehe sahen schon von
weitem den Wanderer kommen, zeigten aber keine Furcht, sondern suchten sogar die
Nähe des kommenden Menschen, als wäre er ihr Freund. In den Augen Jesu leuchtete
es auf, denn Er fühlte in sich die Macht, auch diesen Tieren liebend zu
begegnen. „O könnte Ich auch euch alle Furcht, allen Schrecken nehmen, wie
glücklich würde es Meinen Vater machen! — Aber dieses bedarf noch endloser
Zeitenläufe" — spricht Jesus und segnet den Erdkreis.
Von weitem kommt an den Ufern entlang eine Karawane gezogen. Jesus verbirgt sich
hinter Pflanzenstauden und lässt dieselbe vorüberziehen. Die Karawane war
begleitet von dunklen, gewinnsüchtigen Geistern, und diese erschauen das von
Jesus ausgehende innere Licht! Sofort eilen sie hin, umzingeln Ihn und
beratschlagen, was dieses bedeute? Sie wussten: dies ist ein Mensch! Aber das
geheimnisvolle Leuchten in Seinem Körper versetzte sie alle in die grösste
Neugierde.
Jesus sah alle, sagte aber nichts. Und so fragte einer den andern: „Was wollen
wir eigentlich hier, denn dies ist doch noch ein Mensch?" Ein anderer spricht:
„Ja, aber was für einer! — Ich komme nicht los, denn diese Strahlen sind für
mich ein Magnet, dem ich mich nicht entziehen kann." Ein anderer wiederum sagt:
„Mir geht es ebenso, — aber was kann es uns nützen? Der ist doch noch ein
Mensch!"
Einer aber, mit schlauem Gesichtsausdruck und brutalen Zügen, ruft: „Was schert
uns dieser Mensch, von dem ist doch nichts zu holen; denn nicht einmal einen
Beutel hat er bei sich! Mag er sich von seinem Licht ernähren, wir aber ziehen
mit denen da vorne weiter!" Die anderen wehren sich und sagen: „Wir bleiben
hier! Denn so etwas Wohltuendes und Beruhigendes haben wir lange nicht gefühlt.
— Du aber kannst ruhig deines Weges ziehen."
„Ja, aber mit euch, denn ihr habt mir zu gehorchen!" versetzte der Angesprochene,
„und so fordere ich euch auf: Kommt, ziehet mit mir weiter!"
„Nein, wir bleiben, und wir werden sehen, wer stärker ist, du oder wir."
Zähneknirschend muss der Anführer seine Ohnmacht erkennen, und so sprich er in
einem anderen Ton: „Aber Freunde — keinen Streit! Wenn ihr bleiben wollt, bleibe
ich selbstverständlich auch, aber uns entgeht ein grosser Gewinn!"
„Du hast immer den Gewinn im Auge, aber gegeben hast du noch keinem einzigen
etwas; und wir konnten schimpfen, klagen und streiten — immer mussten wir nur
zusehen, wie die Menschen sich untereinander betrogen, und das war auch unsere
einzige Freude dabei. Aber dieser da sieht nicht aus wie ein Krämer und Betrüger
— und so bleibe ich vorläufig hier."
„Ich auch", rufen fast alle — und so blieb der finstere Geselle allein.
„Horeb! Wie kommt es, dass du auf einmal allein bist?" fragt Jesus. —
Erschrocken sieht der Angesprochene auf Jesus und spricht: „O du kennst mich? —
Du siehst uns? — Wer bist Du — und was hast Du vor?"
„Horeb! — Ich bin dir nicht Rechenschaft schuldig", spricht Jesus; „und wer Ich
bin — ist dir für den Augenblick doch nichts nütze, da du ja Meine an dich
gerichtete Frage noch nicht beantwortet hast. Aber du tätest klüger, dich nach
deinen Kameraden zu richten, da sie doch bei weitem das Bessere wählten."
„Ich verstehe Dich nicht", versetzte Horeb, „wie kannst Du wissen, dass diese
klüger sind denn ich? Sie alle sind ja noch Neulinge hier im Geisterreich. Und
wie Du dazu kommst, mir gute Ratschläge zu geben, ist mir ein Wunder."
Jesus antwortet: „Hast du doch als Mensch an Wunder geglaubt, warum sollen im
Geister-Reiche keine geschehen?" —
„So kommen wir hier nicht weiter", sagt Horeb, „aber ohne Dich auch nicht, da
diese an Dir so viel Gefallen finden. Vielleicht ratest Du meinen Genossen, doch
ihre Wege zu gehen."
Jesus entgegnet: „Ich sehe nicht ein, dass Ich etwas tun soll, was deine
Begleiter weiter unglücklich machen würde. Unsere beiderlei gesteckten Ziele
gehen weit auseinander; — und so frage Ich dich, im Beisein deiner Kameraden:
Was ist eigentlich dein Ziel?"
Horeb spricht höhnisch: „Lächerlich diese Frage! — Wozu brauchen wir ein Ziel?
Die Hauptsache ist, dass wir Befriedigung finden und uns nicht langweilen."
„Und glaubst du, dass es immer so bleiben könnte?" fragt Jesus. „Wie würdest du
dich stellen, so dich doch deine Kameraden verliessen, und du bliebest allein?
Denn dir scheint noch nicht zum Bewusstsein gekommen zu sein, dass du dich auf
völlig fremdem Boden bewegst und nur Mitbewohner einer fremden Welt geworden
bist, die freilich deiner Innenwelt entspricht. Würden diese Menschen, in deren
Sphären du jetzt lebst, anderer Anschauung und anderer Erkenntnis werden, was
würdest du dann tun? Denn du wärest sofort heimatlos und allein!"
Horeb spricht: „Ich kann Deine Rede nicht fassen und habe kein Verständnis
dafür!"
Jesus: „Nun, dann schweige — und Ich werde mit den anderen reden! Und so komme
du, Achim, und beantworte Mir die Frage: Was fühltest du, als du Mich sähest?"
Achim fragt: „Wie soll ich Dich anreden, da ich Dich nicht kenne? Was ich aber
fühlte, als ich Dich sah, kann ich nicht in Worte kleiden, denn weder in meinem
Erdenleben noch hier im Geister-Reich habe ich jemals dieses Gefühl erlebt. Aber
es muss etwas sehr, sehr Schönes sein, was von Dir ausging, denn von Deinem
Anblick konnte ich mich nicht trennen."
Jesus: „Gut, Achim, deine Antwort hat Mich zufriedengestellt. Und so will Ich
dir Meinen Namen nennen: Ich heisse Jesus und stamme aus Nazareth! Was aber in
Mir lebt, ist Mitleid und Erbarmung für euch. Ich möchte euch helfen und
verhelfen zu einem dauernden Glück."
Achim: „Jesus? — O Jesus! — Dein Name ist selten! Wenn Du uns aber zu einem
dauernden Glück verhelfen kannst, sind wir bestimmt nicht dagegen, doch unter
welchen Bedingungen?"
Jesus: „Achim, wenn du dich schon beglückt fühltest, als du in Meine Nähe kamst,
warum fragst du nach Bedingungen? Kannst du nicht glauben, dass, so Ich für euch
Erbarmung fühle, Ich euch auch helfen möchte, ohne dass für Mich ein Gewinn
herausschaut? Siehe Mich an! Nichts Irdisches nenne Ich Mein eigen; nur was Ich
Mir im Kampfe mit Mir selbst errungen, ist Mein, und dies ist die Liebe Meines
ewigen Vaters. Und diese Liebe reicht euch Herz und beide Hände zum Helfen!"
„O Jesus! — Jetzt verstehe ich Dich! Jetzt ist mir vieles klar, und so bitte ich
Dich: Ja, hilf uns! Und dankbar wollen wir alles tun, was auch Dich beglücken
wird. Denn nun schaue ich nicht nur in Deine Augen, sondern auch in Dein Herz. O
Jesus! Du Freund der Verirrten, du Freund der Armen und Verlassenen, du hast uns
in Deinem Herzen eine Heimat errichtet, wo wir glücklich leben können! O bleibe
bei uns — und auch wir wollen immer bei Dir bleiben!"
Jesus antwortet: „Lieber Achim! Glücklich bist du über dein Geschautes; aber
noch glücklicher wirst du sein, so du dir Mein Leben aneignen wirst! Denn Mein
Leben — ist die Liebe. Und was du in Mir erschautest, sollen alle deine Brüder
in dir erschauen. Dann werden wir Brüder, und alles noch Trennende wird
überwunden werden von unserm Leben aus der grossen göttlichen Liebe."
„Höre auf, du lieber, lieber Jesus!" bittet Achim. „Noch sind wir zu sehr
verbunden mit dem vergangenen irdischen Leben und sind noch lange nicht wert,
Deine Brüder zu werden! Und dann habe ich ja vergessen: wir sind Geister, Du
aber bist noch Mensch!"
Jesus erklärt ihm: „Lieber Achim! Bei dem Gesagten wird es schon verbleiben
müssen, da Ich auch deine innere Welt erschauen kann und ersehe in dir einen
guten Willen, der sich gerne dem Göttlichen beugen will. — Ob du aber wert bist,
Mein Bruder zu werden, liegt in Meiner Liebe, und diese hat dich schon zum
Bruder erhoben. An dir liegt es nun, ob du es werden willst, und zwar aus deinem
eigenen inneren Zuge zu Mir. Denn wahre und rechte Bruder-Liebe kann nur aus der
tiefinnersten Zuneigung des Herzens kommen. Dass Ich noch ein Mensch bin, hat
für dich und euch alle nichts zu sagen, da Ich auch ein Bewohner der
Geister-Welt bin."
„Lieber, lieber Jesus", bittet Achim nun, „verlange, was Du willst, alles tue
ich für Dich, denn Du bist Liebe! O Jesus, hier bin ich — voll Neid, Habsucht
und Schaden-Freude. Mache mit mir, was Du willst, denn Deine Liebe hat mich
überwunden!"
Jesus spricht: „So sei Mir willkommen — als Mein Bruder, und mache dich würdig
dieser Meiner Liebe! Handle an allen deinen Brüdern so, wie Ich an dir handle,
und dann soll ein neues Leben beginnen: Ein Leben der Freude und des freien
Dienens, aus dem heiligen Leben höchster Gottes-Liebe. Und nun schaue neben
dich; ein neuer Bruder hat sich zu dir gesellt, um euch allen zu dienen!"
Achim sieht sich um. Ein herrlicher Engel grüsst ihn und spricht: „Bruder im
Herrn! — Es ist der Wille Gottes, dass ich dich und deine Brüder führe in das
für euch bestimmte Heim. Dort erwartet euch alle eine besondere Gnade, denn
Gottes Liebe und Erbarmung ist grenzenlos. Und so bitte ich dich, dass du und
alle deine Brüder mir folgen."
„O du herrlicher Bote und Engel des Herrn", antwortet Achim, „nur so es Jesus
von Nazareth wünscht, folge ich dir; sonst bleibe ich lieber hier. — Denn seit
meinem Sein im Geisterreich ist mir noch nicht die Gnade und Wonne geworden,
wahrhaft glücklich zu sein. Hier bei Jesus aber ist Glück und Wonne zugleich,
darum bliebe ich lieber hier." —
Jesus spricht: „Bruder Achim, folge ihm! — Denn nur im Folgen und Befolgen
Meines Rates an dich liegt die Wurzel alles inneren Glücks und alles Lebens! Sei
versichert, wir trennen uns nur äusserlich! Bleibe nur in Meiner Liebe, und wir
bleiben verbunden für alle Ewigkeiten."
„Wenn so — lieber, guter Jesus", spricht Achim, „dann folge ich gerne! Was muss
aber in Deiner Liebe für eine Macht liegen, dass sogar Engel Dir dienen! Und so
danke ich Dir und werde mit allen Kräften zu verwirklichen suchen, was Du, o
herrlicher und wunderbarer Jesus, uns sagen wirst. Du aber, du lieber Freund und
Bote des Herrn, lasse mich noch mit meinen Brüdern sprechen, damit auch sie
gerne mitkommen."
Der Engel spricht: „Tue nach deiner Liebe, und Gottes Segen mit dir!" Achim ist
ganz beglückt und plötzlich ganz anders; aus seinen Augen leuchtet es von Glück
durchsonnt, und so spricht er: „Meine Brüder — denn anders kann ich euch nun
nicht mehr nennen — ihr habt gehört, was der Herrliche uns sagte, Er will in
Wirklichkeit unser aller Glück und Wohlergehen; und so bitte ich euch, keine
Bedenken zu erheben, denn viel lieber bliebe auch ich hier bei Jesus. Aber Sein
Wille ist, dass wir dem Engel folgen, und so frage ich euch: Seid ihr alle
einverstanden?" —
„Ja, ja" rufen alle; aber einer brüllt: „Nichts da! Zu mir gehört ihr und nicht
zu den Wortmachern! Denn was habt ihr hier bekommen? Nur schöne Worte, aber
keine Tat. Immer noch seid ihr die Alten, und der Mensch Jesus? — Der ist ja nur
Mensch! Und dieser Engel? Nun, wir haben ihn zuvor noch nicht gesehen!"
„Horeb! Deine Herrschaft über uns ist zu Ende!" spricht Achim. „Eine andere
Macht hat uns ergriffen — die Macht der Liebe! Hättest du uns geliebt, so wäre
nichts Trennendes gekommen. Du aber hast uns zu Sklaven deines Willens gemacht
und legtest uns Zwang über Zwang an, dir zu folgen. Jetzt verlangst du, Glück
und Leben beiseite zu lassen und dem alten unruhevollen Sein weiter anzugehören.
Nein, mein Bruder Horeb, dies kommt nicht mehr für uns in Frage!"
„Nenne mich nicht Bruder!", ruft Horeb erregt, „denn bis jetzt war ich euer
Führer! Ihr habt mir Treue geschworen, und ich verlange von euch Gehorsam."
Achim spricht: „Horeb, hast du vergessen, dass dir der wunderbare Mensch sagte,
dass du bald allein stehen könntest. Dieser Umstand tritt jetzt ein; denn wir
folgen dem Engel, bitten dich aber: ändere deinen Sinn und komme mit!"
Horeb: „Nie und nimmer! Geht nur, ich finde auch andere Genossen."
„Bruder! Wir folgen der Bitte des Engels", spricht Achim noch. Der Engel
verneigt sich vor Jesus, winkt allen, und so rufen die Willigen: „Habe Dank, du
Freund, für Deine Liebe!" — Jesus aber segnet sie still.
Horeb sieht dieses und möchte sich am liebsten mit Jesus unterhalten, sieht aber
auch hin zu den Enteilenden, wie sie leicht durch den Jordan gehen und staunt;
denn die am anderen Ufer Ankommenden werden herzlich begrüsst von lichten Wesen.
Eine lange Tafel mit Sitzgelegenheiten ist da, alle werden mit Brot und Wein
bewirtet und lauter Jubel tönt herüber.
Horeb aber verfinstert sein Gesicht und noch mehr sein Herz, und so wendet er
sich nordwärts. (Als Entsprechung in einen völlig Haltlosen, kalten Zustand.)
Finstere Gedanken erfüllen sein ganzes Sein, dann wird es Nacht um ihn, und
alles verschwindet aus seinem Gesichtskreis.
Jesus aber fühlt Mitleid, denn von Seinen Lippen erklingt: „Und doch kommt noch
die Zeit, wo auch du, Verblendeter, erkennen wirst Meine Liebe zu dir!" Nun
segnet Er mit beiden Händen Horeb und dann die an der Tafel Sitzenden.
05. IV.
Jesus ist nun wieder allein am Jordan und ruht im Schatten einiger Sträucher.
Die Sonne meint es wahrlich gut; Hunger und Durst stellen sich ein, aber Jesus
hat nichts, womit Er Seinen Hunger stillen kann; so geht Er an das Ufer und
kühlt sich ab, das Wasser aber war zu warm zum Trinken.
Jesus ist ganz in sich gekehrt; es steigen in Ihm die Gedanken auf: „Ich habe
doch gar nicht nötig, dieses abgestandene Wasser zu trinken, denn so Ich wollte,
wäre das Wasser — Wein!" (Aber Jesus wollte nicht äusserlich sich stärken,
sondern auch sein Körper sollte von innen her gespeist werden.)
Da rauschte es in Ihm, als wenn Wasserfälle sich ergiessen, und das Rauschen
wird zum Ton. Und nun klingt es wie Äolsharfen, und Durst und Hunger sind Ihm
vergangen.
Jesus dankt: „Vater! Du Herrlicher! Du hast Brot und Wasser in Überfülle! Du
bist besorgt um Mich, Deinen Sohn, und hast gewusst um das Kommende; darum
öffnetest Du Dein Herz und liessest erklingen in Mir den Ruf Deiner väterlichen
Liebe. — Stärke Mich weiterhin! Denn nur Du bist Kraft, Du bist die
Lebens-Quelle! Und nun erschaue Ich Dich wieder in Mir!" Gestärkt ist Jesus;
doch Er erkennt: wie auch in Ihm noch ,Menschliches' lebt. Und so spricht Er zu
sich: „Es kostet viel, zu herrschen wie ein rechter Sachwalter in der inneren
Welt. Noch immer bestehen starke Fesseln, die das Innen-Leben Mir beengen. Aber
Du, Vater alles Lebens, weisst darum! Und so erkenne Ich Deinen Willen: dass Ich
Mich auch in diesen Prüfungen ganz als Dein Sohn bewähre und zum Zeugnis werde
allen Finsterlingen!"
Ruhend verbringt Er den Tag; erst als die Sonne sich neigt, tritt Er den Rückweg
an, und als es Nacht geworden, hat Er Seine Hütte wieder erreicht. Neue Scharen
von Geistern, angelockt von anderen, beobachten Seinen Schlaf. Sie ahnen
Grosses, wissen aber nicht, dass auch Scharen herrlichster Engel diesen Platz
bewachen! —
Jesus erwacht. Sein Körper ist ermattet durch das ungewohnte Fasten, und so
verbleibt Er bis zum Mittag in der Hütte. Ein leichter Schlummer lässt Ihn
Hunger und Durst vergessen. Als aber die Sonne ihren Höhepunkt erreicht, sucht
sich Jesus doch Nahrung; es wollte Ihm aber nicht recht schmecken. Und wieder,
aber stärker kommt der Gedanke: „Warum hungere Ich jetzt?" —
Da erschaut Er die vielen Ihn umlagernden Geister, und diese haben Hunger,
gewaltigen Hunger! Jesus winkt einem. Rasch kommt derselbe hin und spricht:
„Herr! Deinen Ruf, zu Dir zu kommen, erfülle ich mit einem Herzen voll
Sehnsucht, und nun bin ich hier. Aber wir sehen, dass auch Du von Hunger geplagt
bist — doch können wir Dir nichts geben, da wir selber nichts haben."
Jesus spricht: „Deswegen winkte Ich dir nicht, um von euch etwas zu erbitten.
Aber den Hunger, den Ich in Meinem Leibe verspüre, ersah Ich auch in euch. — Und
darum will Ich euch helfen, und will euch allen zeigen: den Weg zur geistigen
Sättigung!"
Der Geist fragt erstaunt: „Herr, Du willst uns helfen? — und bist doch selber
arm! Möchtest uns sättigen, und hast selber Hunger? O Herr, wie willst Du das
tun?" —
Jesus antwortet: „Indem Ich euch allen aus der Kraft Meiner Liebe zu euch einen
Blick gestatte in Meine Innenwelt. Und so sage Ich zu euch: „Schauet, was alles
der Liebe möglich ist!" — — Vor den Augen der vielen Geister erstehen
Landschaften und Gehöfte; es werden Anlagen von Pracht und Schönheit sichtbar,
und lichte Gestalten eilen im raschen Laufe vorüber und winken und grüssen.
Die armselige Hütte vor Jesus ist wie zu einem Tempel geworden. In der Mitte
befindet sich ein Altar, und vor diesen Altar tritt nun Jesus, erfasst das Brot
und segnet es. Ein Engel kommt, nimmt es aus der Hand Jesu und reicht einem
jeden zum Abbrechen davon. Nun ergreift Jesus den Kelch, welcher auch auf dem
Altar stand. Ein anderer Engel nimmt diesen in Empfang und lässt jedes sich
daran erquicken. Auf dem Altar steht noch ein leeres Gefäss; Jesus haucht
hinein, eine Flamme lodert auf und verbreitet feinen Wohlgeruch.
Die Zuschauer, gesättigt und gestärkt, stehen im Banne des Erlebten und sind
still, ganz still. — Jesus segnet sie und ruft: „Ziehet hin in Frieden! Bald
schlägt auch eure Erlösungs-Stunde; doch bis dahin dienet euch untereinander,
wie Ich euch gedient habe! Dann dient ihr Gott, und traget bei zum Gelingen des
grossen Erlösungs-Werkes!"
Vergangen ist das Bild; — lächelnd steht Jesus vor den vor Staunen stumm
Gewordenen und spricht zu einem: „Andreas, glaubst du nun noch, dass Ich so arm
bin, oder meinst du, dass es ein Gaukelbild nur war? Siehe, in deiner Hand hast
du ja noch Brot, welches du vor lauter Schauen vergessen hast zu verspeisen."
„Herr, wie ist mir?" fragt Andreas. „Was haben wir erlebt? Schauen wolltest Du
uns lassen in Deine Innenwelt, nun aber war sie wie ein Himmel so schön. Oh, in
dieser Welt zu leben müsste wahre Seligkeit sein!"
Jesus antwortet: „Andreas! Auch in dir liegt solche Schönheit verborgen;
freilich für dich und euch alle noch unbewusst. (So trägt ja jeder eine schöne
Innen-Welt in sich, ohne etwas davon zu ahnen.) So du aber dich bemühst, nicht
nur fromm zu sein, sondern lebendig in der Liebe zu werden, wird auch dir alles
dieses bewusst."
„Wer bist Du, o Herr?" fragt Andreas, „dass Du dieses uns sagst und uns zeigen
kannst? Wohl sprachen die anderen, du seiest das Lamm, das der Welt Sünde trägt
und seiest der Erlöser! Jedoch, Du siehst aus wie ein gewöhnlicher Mensch, doch
durchsonnt von gütigem Wesen."
Jesus spricht: „Dein demütiges und frommes Herz, lieber Andreas, hat es
ermöglicht, dass du diese Gnaden-Stunde erlebtest. Und hättest du Liebe statt
Strenge walten lassen, so hättet ihr schon lange Brot und Nahrung in Überfülle
gehabt. Ich bin Jesus, der von vielen Tausenden erwartet wird, um zu helfen, um
zu gründen: Ein Neues Reich! Und dieses Mein Reich beginnt in Meinem Innen-Land,
und reicht so weit wie Meine Liebe reicht. Aber erfassbar und schaubar wird es
nur denen, die an Mich und Meine Sendung glauben. Die Segnungen Meines Reiches
aber wird jeder, auch der von Gott Entfernte, verspüren können. Kannst du dieses
verstehen?" —
Andreas staunt: „Du bist Jesus? Du, den ich aus den Augen verlor; doch nun ich
im Geiste lebe, schenkst Du mir wiederum Deine Liebe? O Jesus! Warum konnte ich
Dich nicht früher verstehen? Ich glaube, es wäre mir vieles im Leben erspart
geblieben!"
„Sei deswegen nicht traurig", antwortet ihm Jesus, „sondern werde nun endlich
wach und lebendig und führe deine Brüder ein in das geistige Leben, welches ihr
erschauen durftet in Mir. Du kennst Mich nun; doch jetzt liebe Mich und werde
deinen Brüdern ein rechter Diener aus dem Geiste der ewigen Liebe!"
„Jesus! Jesus!" ruft Andreas, „gerne, so es meine Kräfte erlauben; aber warum
reichst Du gerade mir Deine Liebe?"
Jesus spricht: „Andreas! Du hast Mich doch schon geliebt, freilich auf deine
Art, wie du noch lebtest als Mensch. Und gerade Mir ist es eigen, jede Liebe
tausendfältig zurückzuzahlen. Willst du aber wahrhaft glücklich werden, dann
liebe und diene deinen Brüdern! Schaue dir diesen Engel an, der wird euch führen
in ein neues und besseres Sein. Willst du aber mit Mir verbunden bleiben, dann
vergiss nicht: dass Ich, Jesus, dich und deine Brüder innig liebe! Ziehet hin in
Frieden, und gesegnet sei euer Wille und euer Tun! Amen."
Andreas ergreift die Hand des Engels, die ihm zum Grusse entgegengereicht wird,
und sogleich sind alle entrückt. Jesus aber segnet sie, denn Er weiss, wohin sie
ziehen.
05. V.
Den Nachmittag verbringt Er ruhend in Seiner Hütte, Ehe die Sonne ganz
untergegangen ist, sättigt Er sich wiederum an Wurzeln und Honig; im Herzen regt
sich der Dank für diese Gnadengabe, und nun erst wird Ihm die Speise zur Labung.
So ruft Er: „Vater, Du Liebe! — Vater, Du Leben alles Lebens! Nur Dein heiliger
Wille geschehe und eine sich immer mehr noch in Mir, damit auch das Letzte zum
Ersten und das Erste zum Letzten in Mir werde. Amen!"
Die taukühle Nacht verbringt Jesus nun vor Seiner Hütte sitzend. Da kommt der
finstere Horeb zurück mit noch einem finsteren Geist, und fluchend und polternd
umtoben sie den ruhig Dasitzenden. Jesus aber tut, als sähe Er sie nicht, und so
werden sie verwirrt und wissen nicht, ob sie gesehen und gehört werden.
Endlich sagt der eine, Pius, zum Horeb: „Freund, du hast mich angelogen, da du
mir sagtest, dieser Mensch hier sähe uns und verfüge über grosse Kräfte. Es
scheint doch nicht so zu sein, sonst hätte Er uns doch wenigstens Bescheid
gegeben."
„Warte nur ab", antwortet Horeb, „was ich dir sagte, ist Wahrheit, denn meine
Genossen haben sich alle Seinem Willen gern gebeugt und mich verlassen."
„Gut, warten wir noch eine Weile, denn wir versäumen nichts", spricht Pius,
„mich wundert es aber, warum du gerade mich zu diesem Menschen führst, Er sieht
nicht unrecht aus; aber nützen wird Er uns auch nichts." —
„Es kommt darauf an", bemerkt Horeb, „ich traue Ihm nicht über den Weg." Pius
lacht: „Gehe Ihm doch aus dem Weg, so du dich fürchtest! Vor diesem Menschen
hast du Angst, und mich, den alle meiden, suchst du auf?" —
„Bilde dir ja nichts ein deswegen", entgegnete Horeb kühl, „denn auch du findest
deinen Meister! Nie hätte ich gedacht, dass ich alleinstehen müsste, und nun ist
es doch so gekommen, wie dieser da es mir sagte. Wenn man allein ist, und es ist
überall dunkel, da kommen allerhand Gedanken. Das Gefährliche aber ist, dass ich
gerade diesen Jesus nicht vergessen kann, und bei dem Gedanken, Ihn wieder zu
treffen, wurde es sogar etwas lichter um mich, so dass ich wenigstens dich
finden konnte. Aber mit Jesus bin ich noch nicht im Reinen."
Pius wollte etwas erwidern — da fragt Jesus laut: „Horeb! Wen bringst du hierher
in Meine Nähe? Bist du willens, deinen Sinn zu ändern?"
„Um mich zu ändern, kam ich nicht wieder zurück", spricht Horeb, „da ich in
Wirklichkeit daran noch nicht dachte. Aber dieser Pius, der ein Anführer grosser
Karawanen war, will nicht glauben, dass Du über Kräfte verfügst, denen nicht
leicht zu widerstehen ist."
Jesus spricht freundlich: „Nun, Pius, willst du dich mit Mir messen, oder wie
denkst du darüber?" —
„Du siehst und hörst uns?" fragt Pius erstaunt, „und bist doch Mensch? folglich
bist Du nicht zu verachten! Aber es ist für mich noch lange nicht erwiesen, dass
Du solch ein ausserordentlicher Mensch sein sollst, da Du doch deine
Gesellschaft meidest. Bist du Der, den Horeb schilderte, dann will ich Deine
Fähigkeiten anerkennen, aber — ob Du mir je nützen oder schaden kannst,
bezweifle ich sehr."
Jesus spricht: „Pius, Ich sage dir, Ich kann dir sehr viel nützen! Lassest du
aber Mich beiseite liegen, dann schadest du dir selbst, und Trauer würde Mein
Herz erfüllen."
„Wieso?" fragt Pius, „was geht Dich mein Geschick an? Du bist noch Mensch, ich
aber nicht mehr."
Jesus antwortet ihm: „Ob Ich noch Mensch oder nicht Mensch bin, ist
nebensächlich. Die Hauptsache ist, ob du für möglich hältst, dass etwas in Mir
lebt, was allen, auch dir, überlegen ist."
Pius meint: „Ich müsste erst wissen, was dieses ist, das in Dir lebt, dann will
ich Dir Bescheid geben. Glaube aber ja nicht, dass ich zu allem ja sage, denn
auch ich habe viele Erfahrungen gesammelt." —
„Nun, so höre!" antwortet Jesus, „du, als Mensch, trugst in dir ‚deinen Gott',
der dich führen und leiten sollte bis zur höchsten Vollkommenheit, stehst aber
jetzt als Geist vor Mir, armselig und verlassen. Wo ist nun dieser dein Gott,
und was war und ist Er dir noch?"
Pius sagt: „Dies ist doch keine Antwort auf das, was ich wissen will. Dass ich
Gott in mir tragen soll, ist mir neu! Kenne überhaupt keinen Gott, da Er sich
noch nie sehen liess, und ich glaube auch nicht, dass es einen Gott gibt."
Jesus erklärt ihm ernst: „Pius, dein Inneres ist voller Groll und Grausamkeit,
da dir nichts glückte im Erdenleben. Du hast aber nie geglaubt, dass es gerade
Gott war, der dein selbstsüchtiges Beginnen immer durchkreuzte. Siehe, wie kommt
es aber, dass Ich Mich immer mit Gott verbunden fühle und Seinen heiligen Willen
genau kenne. Du denkst: der Schwärmer! Aber ich will dir einen Beweis geben für
die Wahrheit Meiner Worte — und so verlange etwas, was Gott dir tun soll. Ich
bin bereit, es auszuführen!"
Pius spricht erstaunt: „Ist das Dein Ernst? Wehe Dir, so Du Dir mit mir einen
Scherz erlaubst, ich würde Dich zerstören!"
„Pius, warum glaubst du nicht?" fragt Jesus, „verlange etwas, wie Ich dir sagte,
und dann erst rede!"
Ungläubig spricht Pius: „So lasse es einmal Tag werden jetzt, und die ganze
Gegend soll aussehen wie die Stätte, wo ich geboren und als Kind gelebt habe!"
Jesus lächelt: „So halte deine Hände vor die Augen, damit das Licht dich nicht
blende! Und so geschehe es!" —
Pius hält seine Augen zu. Langsam zieht er seine Hände wieder weg — und
erschrickt; denn vor ihm steht der Hof, in dem er geboren, noch genau dieselben
Bäume, und so schreit er laut auf. Dann geht er ins Haus. Dort sitzt seine
Mutter an dem alten Tisch. Freudig blickt sie ihn an und spricht zu ihm: „Kind!
Findest du dich endlich heim? Und hast du den Frieden gefunden, der dich wieder
zum frohen Wesen macht?"
Pius stammelt: „Mutter! — Mutter! — Nicht ich bin heimgekommen, sondern ein
Mensch, namens Jesus, hat mich hierher gebracht. Vor Augenblicken lebte ich noch
im Lande der Juden — und jetzt bin ich hier — in Arabien?"
„Kind! Was sagst du?" fragt die Mutter, „wo ist der Mensch? Ist es dieser — oder
jener? Nein! Dieser ist es! Ich sehe Seine Augen so gütig auf mich gerichtet.
Und so danke ich Dir, Jesus, dass Du mir mein Kind heimgebracht hast. Wie wird
sich der Vater freuen!"
„O Weib!" spricht Jesus gütig, „um deines Sohnes willen erfüllte Ich ihm seinen
Wunsch, da du so oft Gott gebeten hast, doch auch ihm gnädig zu sein. Deine
Bitte ist nun erhört, aber hier bleiben kann er nicht, da er sich selbst
heimfinden muss. Darum geniesset diese Stunde als ein Geschenk des Himmels und
lernet Gott lieben und verstehen!"
„O Mann! Wie redest Du!" spricht die Mutter, „Du bist doch ein Mensch! Wir aber
sind Bewohner einer anderen Welt, die uns allen zuerst sehr fremd und unbekannt
war; aber dank der grossen Güte Gottes lebten wir uns ein und können vieles
jetzt anders machen, wie wir als Mensch getan hätten. Wir wussten, dass unser
Sohn Pius auch schon in der grossen Welt der Geister lebt, und so beteten wir
oft zu Gott, uns eine Stunde des Wiedersehens erleben zu lassen. Aber wer bist
Du? — Und aus welcher Kraft konntest Du dies bewirken?"
„Weib — und Mutter", — antwortet Jesus gütig, „wer Ich bin, sagte dir schon dein
Sohn. Und was Ich wirke, wirke Ich aus der Kraft der Liebe, die da Gott von
Ewigkeit zu Ewigkeit ist! So wie deine Liebe zu deinem Sohn Pius ein Ableger aus
Gott in dir ist, so ist in Mir Meine Liebe dasselbe Leben, wie in dir. Aber mit
dem Unterschied, das Leben der Liebe in dir wurde beengt durch deine eigenen
engen Begriffe, während in Mir dieses Leben in das grosse Gottes-Leben
hineinwuchs und Mich eins machte mit Gott. Ich kenne Gott, und Gott kennt Mich!
Keinen Augenblick bin Ich ohne Gott, und jederzeit kenne Ich Seinen heiligen
Willen!"
Pius' Mutter spricht: „Oh, was musst Du für ein glücklicher Mensch sein, dass Du
diese seltene Gnade besitzest, mit Gott verbunden zu sein! Da könntest Du wohl
auch, ohne etwas zu verlieren, es sicher dahin bringen, dass mein Sohn Pius hier
bleiben darf? Da Gott Dir meine Bitte für mein Kind mitteilte, so bitte ich auch
Dich, lasse mir meinen Pius hier, damit er sich wiederfindet und ein froher
Mensch oder Geist wird."
„Arabella", spricht Jesus gütig, „es gibt Bitten, die noch nicht erfüllt werden
können, da das Heil der Seelen davon abhängt. Wie du selbst schon erfahren hast
in deinem Hiersein, ist diese geistige Welt genau so aufgebaut wie die irdische,
wo Ordnung die Grundlage ist und jeder Aufbau nach Gesetzen sich regeln muss.
Siehe, lange hielte es Pius, dein Sohn, hier nicht aus, da in ihm noch ein
Drängen lebt, etwas Grosses zu werden. Und ehe diese falschen und verkehrten
Triebe und Neigungen nicht in die lebensbedingenden Gesetze ewiger
Gottes-Ordnung eingeordnet sind, wirken sie trennend und hindernd. Aber du, als
Mutter, kannst deinen ganzen Einfluss auf ihn wirken lassen. Vielleicht nimmt er
deine guten Ratschläge an — und wird demütig!"
Arabella bittet sogleich: „Pius, mein Kind! Hast du gehört, was der kluge Mensch
Jesus sagte? Hast du dir den ganzen Sinn Seiner Worte vor Augen gehalten? Gnade
ist es, dass du hier bist und hast dafür Gott zu danken und diesem Menschen
Jesus! — Oh, wenn du doch hier bleiben könntest, hier in deinem Vaterhause, wo
dich liebende Mutterarme pflegen und Vaterliebe dir das geben will, was du
brauchst, um wieder froh und gut zu werden! O Pius, die Wahl kann ja nicht
schwer sein: hier Elternhaus und Liebe — und draussen heimatlos und allein!"
„Mutter, Mutter, höre auf!" ruft Pius schmerzlich, „wie gerne möchte ich
hierbleiben, doch in mir lebt etwas, was stärker ist, denn du und deine Liebe.
Wie oft habe ich schon damit gerungen und gekämpft, aber es hilft nichts. Mein
Innenleben ist mein Verhängnis, da fremde Kräfte mich halten und mich zwingen:
böse und gewalttätig zu sein! Noch keinen habe ich gefunden, der diesen Kräften
überlegen war. Nun werde ich zu einem Menschen geführt, und schon ist meine
innere Welt am Zerbrechen; denn Diesem da — bin ich nicht gewachsen!" —
„Was tut es, wenn du nicht mehr der Alte bist", tröstet die Mutter, „denn deine
Kraft und Erhabenheit über andere hat dich das Elternhaus nicht finden lassen.
Doch dieser Jesus, dieser von Gott erfüllte Mensch, bringt dich einfach hierher
und macht mich zum glücklichsten Wesen; denn nun habe ich dich wieder wie einst,
um dich an mein Herz drücken zu können. Mein Inneres sagt mir schon, dass du
einst wieder restlos heimkehren wirst, so du auch jetzt wieder hinaus ins
Uferlose getrieben wirst. Ja, mein Kind, gehe wieder, ehe der Vater kommt!
Ersparen wir ihm den Kummer, da du doch verloren bist, solange du dich nicht
selbst heimfindest. O Jesus! Ich fühle es, wir müssen an das Scheiden denken.
Doch um eines bitte ich Dich, Du edler Mensch: behalte meinen Sohn in Deinem
Gedächtnis! Weit reicht Deine Kraft. Aber lasse Deine Liebe weiter reichen, als
menschlich begreiflich ist, und ich weiss, Du wirst ihn erlösen von den Banden
falscher Mächte."
„O Weib und Mutter Arabella!" spricht Jesus, „alles, um was du bittest, weiss
schon der ewige Gott und Vater und gibt dir die Versicherung: so es möglich ist,
wird alles auch geschehen nach deinem Bitten! Aber zuvor muss eine Umkehr
stattfinden bei deinem Sohne. Halte fest am Bitten und berühre im Geiste sein
Herz; denn nur Liebe und Verzeihung kann diese Umkehr möglich machen. Hier in
eurer Welt herrscht vollste Willensfreiheit, und nur dem freien Willen öffnen
sich die Tore zum Himmelreich. Darum kann von einem Zwang oder von einem
Überreden zur Umkehr auch bei deinem Sohn keine Rede sein. Gedenke auch du
Meiner und bitte Gott, dass auch deine innere Welt erfüllt werde von dem Geiste,
der Mich erfüllt. Dann wirst du in dir Kraft und neues Leben empfinden, welches
dir den vollen Ausgleich gibt für alles, was du verlassen hast. Du aber, Pius,
nimm Abschied, denn die Frist ist abgelaufen, die dir Gottes Liebe hier
einräumte!"
Noch einmal umarmt Arabella ihren Sohn und spricht: „Kind! Halte dich an Jesus!
Bei Ihm findest auch du den Ausgleich, von dem Er zu mir sprach, und dann kehre
wieder, deine Mutter wartet auf dich!"
Ein Kuss — und — Jesus, Pius und Horeb sind wieder vor der Hütte in der Wüste.
Ganz erstaunt stehen beide da; — endlich fragt Pius: „Jesus! War das
Wirklichkeit oder nur ein Trugbild? Es ist mir unmöglich, zu glauben: dies war
Wirklichkeit!"
„Pius", spricht Jesus, „hältst du Mich für einen Menschen, der dir etwas
vorgaukelt oder sich einen Scherz erlaubt? O Pius — beweisen wollte Ich dir,
dass alle deine Kräfte nichts sind gegen die Meinen. Es sind aber wiederum nicht
Meine eigenen, sondern Kräfte Gottes; und du wolltest doch Beweise vom Dasein
Gottes erhalten. Ihr beide brauchet Hilfe, die euch aber erst werden kann, so
ihr allen Stolz und Hochmut aus euch verbannet und genau so willig werdet wie
die, die von euch gegangen sind! Ich könnte euch zeigen, wie sie danken für das
Glück, von ihrem alten verkehrten Wahn erlöst zu sein, denn die Zukunft liegt
golden vor ihnen, während die eure trostlos ist. Bei euch, hilft nicht viel
reden, da ihr immer selbst klug wäret und hieltet euch für Herren. Während Ich
‚Herr’ sein könnte, aber in Mir ist Mein ewiger Gott und Vater der HERR, und Ich
bleibe Sein Sohn und Diener!" —
Pius bittet: „Jesus, sage kein Wort mehr, mich verlangt nach Ruhe. Diese Kur war
zu anstrengend, und mein Zustand ist alles, nur nicht schön. Und du, Horeb,
wirst wohl allein bleiben müssen, denn mit dir zu gehen, ist mir jetzt
unmöglich, da ich meinen Meister gefunden habe!"
Doch Horeb fragt: „So — und ich? Was soll nun werden mit dem Zwiespalt in mir?
Meinst du, es hat mich gefreut, wie du auf einmal mit mir und Jesus bei dir zu
Hause warst? Du hast ja gar nicht daran gedacht, dass auch ich mit anwesend war
und alles gehört und gesehen habe!"
Pius spricht: „Mag Jesus nun Gottes Sohn sein oder nicht. Er hat mir meinen
Wunsch erfüllt, und darum will ich Ihm dienen!"
„Pius, so du Mir dienen willst, bist du Mir herzlich willkommen“, spricht Jesus,
— „aber nur im Geiste der göttlichen Liebe! Nie habe Ich nötig, dass Ich Mir
dienen lasse, da Ich selbst nur ,zum Dienen' zur Erde gegangen bin. Willst du
aber Mein Diener sein, so diene mit Mir deinen Brüdern. Und an Horeb kannst du
gleich deinen Dienst beginnen. Wer Mir dient, dient Gott, und dieser wird dich
belohnen. Ich aber will dich dafür segnen!"
Pius fragt erstaunt: „Sage mir, Du geheimnisvoller Mensch, warum hast Du mich
finsteres, hasserfülltes Wesen auserlesen, dass ich Dir dienen darf? Warum
wendest Du Dich in Deiner Reinheit nicht von uns ab? Wir könnten Dir doch
unsagbaren Schaden an Leib und Seele zufügen, wie wir schon Tausende vergiftet
haben mit unserem Wesen.
„Weil Ich euch liebe!" antwortet Jesus, „weil eure Welt voll Finsternis, voll
Hass und Lug und Trug ja nicht bestehen kann vor Meiner allumfassenden Liebe.
Nur einen einzigen Lichtstrahl aus Meiner Welt voll Licht und Leben in eure Welt
gesandt, macht euch zum allerunglücklichsten Wesen. Denn vor diesem Licht muss
alles Dunkle weichen, da es Licht aus Gott und Leben aus der ewigen Gottes-Liebe
ist. Darum reiche Ich euch Meine Liebe und Erbarmung, um euch vor der Hölle zu
schützen, die in euch schon zu wachsen anfängt. Erfasset dieses nun, denn es
könnte für euch undenkbar lange Zeit dauern, bis wiederum der Ruf an euch
ertönt: Wachet auf, und bekehret euch." —
Lange ist es still. Keiner mochte ein Wort sagen, und Jesus schwieg auch. Aber
durch der Engel Reihen ging ein Jubel und ein Jauchzen. Denn bei dem Ausspruch
Jesu: „Weil ich euch liebe", flammte Sein Herz in wunderbarem Licht. Und diese
Offenbarung war für sie ein Blick in Jesu Innen-Welt, welcher die Engel in
höchste Freude versetzte.
Jesus grüsste sie mit der Hand, und gleich einem Rauschen eilte es durch den
Äther, denn die Engel sangen: „Gelobet seist Du, Herr — Gott — Zebaoth, und
gepriesen sei Deine Liebe! Inmitten der Wüste hast Du Dir einen Thron errichtet,
und von da aus verkündest Du allen finsteren Geistern: .Auch für euch trage Ich
in Mir Liebe!1 Halleluja! — Halleluja! — Amen!"
Jesus dankt und spricht: „Ziehet hin in Friede; und Geduld sei euch beschieden,
bis alles ist vollbracht!"
Pius beobachtet Jesus und hört auch die leise gesprochenen Worte, und so fragt
er: „Jesus! Sind noch andere Wesen hier ausser uns beiden, denn ich sah Dich
grüssen und hörte Dich sprechen?"
„Ja, du hast recht gesehen und gehört", antwortet Jesus, „es waren Diener Gottes
hier, welche die Sehnsucht trieb, Mich zu sehen. Und so dankte Ich ihnen für
ihre Liebe. Aber nicht nur, um Mich zu sehen, weilen sie hier, sondern weil alle
Herrlichkeiten ihrer Heimat ohne Mich — ihnen nichts sind. Du staunst ob solcher
Worte und hast kein Verstehen dafür; aber da du Mein Diener werden willst, so
vernimm auch diese Kunde und trage sie tief in dir: Auch Ich besitze ein Reich!
Es ist unsichtbar allen denen, die Mich nicht kennen. Denen aber, die Mich
erkennen, ist Mein Reich etwas so Grosses und Herrliches, dass sie immer darin
leben möchten. Und dieses Reiches ,Diener' kannst auch du werden, so du
erfüllest die Bedingungen, welche lauten: Dienen, dienen und opfern!“ (Ja,
freiwillig vom Besten seines Besitzes opfern, um Anderen damit ihr geistiges
Fortschreiten zu ermöglichen) —
Pius erschauert bei diesen Worten. Wie Hammerschläge dringen sie in sein Herz,
dann spricht er: „O du geheimnisvoller Mensch! Was gehet von Dir aus, und
welches Glück musst Du allen Wesen bereiten können? Oh, nur einen Blick gönne
mir in Dein Reich, und danken will ich Dir ewig, denn Du hast mich überwunden!"
„Pius, gerne würde Ich dir auch diesen Wunsch erfüllen", spricht Jesus, „doch
damit würde Ich Mir dienen, aber nicht dir. (Wenn wir Menschen doch aus diesem
wichtigen Unterschied lernten!) Denn dann wärest du gezwungen, etwas
anzuerkennen, was du doch aus dir selbst finden musst. Ich möchte dir nur
,Jesus' sein und bleiben und dich in deinen Entschliessungen nicht beeinflussen,
da ich noch Mensch bin und somit auch alle Gesetze zu erfüllen habe, bis Ich im
Geiste vollendet bin!“ (wo dann volle Freiheit der göttlichen Liebe (ohne
Gesetze) herrscht)
„O Jesus, Du zürnst mir?" fragt Pius — „da ich in meiner Verwegenheit zuviel
verlangt habe; o verzeihe mir meinen Fehler!"
„Pius! Ziehe in Frieden deine Strasse", entgegnet ihm Jesus, „nicht einen
Augenblick hast du Mich erzürnt. Und hättest du der Sünden noch so viele und
wäre dein Gewissen belastet bergehoch, so würde Ich dennoch dir sagen: Ziehe in
Frieden deine Strasse, und suche den rechten Weg, wo du die finden kannst, denen
du Unrecht zugefügt hast. Sollte es dir aber schwer fallen, dein begangenes
Unrecht gutzumachen, dann denke an Mich und an diese Stunde, die Gott in Seiner
unendlichen Liebe dich erleben liess. Hier kannst du nun nicht länger bleiben,
da deine Welt eine andere ist denn die Meine! So du aber ernstlich willst, was
du dir vorgenommen, dann suche Mich — aber in dir, und du wirst Mich finden. Der
Weg dahin heisst Liebe!"
„O Jesus, wie froh macht mich Dein Wort", spricht Pius, „und wie gerne bliebe
ich hier bei Dir! Doch ich sehe ein, dass ich bei Dir oder anderen Menschen
nicht sein kann; aber ich bitte Dich, wohin soll ich nun gehen? Du sagtest:
Ziehe deine Strasse! Aber solange ich im Geisterreich bin, habe ich noch keinen
Weg, geschweige eine Strasse gesehen."
Jesus: „Mein Freund, vor dir liegt eine Strasse, die du begehen kannst, so du
nur willst, und diese heisst: ‚Dienst an allen meinen Brüdern!' In dem Moment,
wo du ihnen dienen willst aus freier Liebe, flammt aus dir ein Licht und erhellt
deinen Umkreis, und du wirst nach einigen Prüfungen und Schwierigkeiten auch an
dein Ziel gelangen. Die Kraft dazu erhältst du aus Mir, wenn du Mich liebend in
deinem Herzen trägst. So ziehe nun hin in Frieden! — Mein Segen begleite dich!"
—
05. VI.
Jesus ist allein. Denn Pius und Horeb waren durch den Willen Jesu aus Seiner
Sphäre entrückt. Jesus schaut wieder in sich und dankt: „O Vater, Du heiliges
Leben in Mir! Geheiligt sei Dein Name und verherrlicht Deine Liebe! Wie
Brandfackeln erleuchtet Deiner Liebe Licht alles Innen-Leben, und gleich
Feuergarben erhellst Du alle Finsternis. Dienend, und nur Dir folgend, trage Ich
Dein Leben in Mir, und das ist höchste Erfüllung!"
Ruhe, heilige Stille ist um Ihn, gleichend dem Frieden in Seinem Innern. Nun
legt Jesus sich zur Ruhe und verfällt in einen tiefen Schlaf, aus dem Er erst
erwacht, als die Sonne am höchsten stand. Das leise rieselnde Wasser löschte
zwar Seinen Durst, aber das Bedürfnis nach gewohnter Nahrung stellte sich wieder
ein. Und nun galt es, auch dieses irdische Verlangen völlig zu überwinden! Wohl
schweiften Seine Gedanken nach Nazareth ins Haus der Mutter, aber damit wurde
das Verlangen nach Brot nicht geringer; und so legte Er sich in Seine Hütte,
schaltete alles Denken aus und liess nur dem einen Gedanken Raum: „Vater, Du
bist Meine Erhaltung, und Deinen Willen zu erfüllen, sei Meine Speise!" —
Und das heilige Leben in Ihm kündete, sanft fliessend: „Alles Opfern schafft
neues Leben!" (Alle irdischen Opfer zeitigen ein höheres, geistiges Leben!) Vor
dem Menschen Jesus offenbarte sich jetzt die ganze Schöpfung als ein
Opfer-Altar. — Und wiederum kündete es in Ihm: „Einer lasset sein Dasein, damit
das andere lebe!" So schaute Er in allem Vergehen neues Entstehen. Und aus dem
Neuerstehenden entstanden Wesen, die sich verneigten vor Ihm und einer sprach:
„Dein Opfer-Geist rief uns ins Sein, o schenke Du uns auch von Deinem Leben,
damit wir unsere Pflicht erfüllen und unser Sein ausfüllen nach Deinem
Opfer-Willen!"
In Jesus leuchtete es auf, und das Licht aus Ihm war ihnen Erfüllung. — In Ihm
erklang es: „Wenn das grösste Opfer gebracht ist, ist der Weg geebnet für alles
Leben!" Jesus erhob sich nun und segnete sie: „Ziehet hin in Frieden, euer Wille
möge eins werden mit eurer Tat!" Ein Engel kommt und nimmt die Schar in seine
Obhut; sie verneigen sich und ziehen nach Osten.
05. VII.
Jesus sucht sich etwas Nahrung und verbringt betend die Nacht. Innerlich
gestärkt und froh verlässt Er am Morgen seinen Platz und eilt mit schnellen
Schritten dem Jordan zu, in die Nähe von Bethabara. Er sieht weder rechts noch
links und folgt nur dem Drängen des Geistes in Ihm.
Nach stundenlangem Wandern kommt Er in die Nähe des Jordan und trifft zwei
Fischer, die ihre Beute nach der Gegend bringen wollen, wo Johannes weilt, da
sich dort stets Besucher finden, die Fische kaufen; denn der Zuzug von Fremden
ist immer noch gross. Beide Fischer sehen Jesus von weitem kommen und erwarten
Ihn, da sie glaubten, Er wolle auch zu Johannes. Jesus grüsst: „Der Friede des
Herrn sei mit euch!" und sie danken: „Bis in alle Ewigkeit!"
Der eine, namens Tobias, fragt: „Bruder im Herrn, wo kommst Du her? — Hier ist
doch weit und breit keine Wohnstätte oder Herberge; wie leicht hättest Du Dich
in der Wüste verirren können."
Jesus antwortet: „Seid unbesorgt! Ich bin hier gut bekannt und bedarf keines
Führers, da Ich selbst Führer sein könnte durch diese ganze Wüstengegend.
Herberge ist überall, denn überall ist die Erde Gottes. Lasten habe Ich nicht zu
tragen — auch nicht auf dem Herzen; und im übrigen ist Gott mit Mir!" „Du bist
ein merkwürdiger Mensch", spricht Tobias, „Du kommst aus der Wüste und bist doch
noch froh! Hast Du nicht Angst, dass Raubtiere, die doch in grosser Zahl hier
sind, Dich angreifen? Denn nicht einmal einen Stecken hast Du bei Dir; dies
nenne ich leichtsinnig."
Jesus: „Mitnichten, denn ein Stecken könnte dich auch nicht schützen; aber Mein
Vertrauen auf Gottes Schutz behütet Mich."
„Bist Du überzeugt, dass Dein Glaube und Vertrauen standhält einer solchen
Gefahr?" fragt Tobias, „wir wissen doch: man soll Gott nicht versuchen. Und
Vorsicht üben, heisst weise sein."
Tobias, Ich kenne dich und sehe in dein Herz", spricht Jesus, „und sehe viel
Gutes, da auch du des Glaubens bist: Jehova ist mein Schöpfer und Erhalter!
Dankbar bist du für jede kleine Gabe; aber dann bist auch du der Meinung, du
hast Gott gegenüber deine Pflicht getan. Ich aber bin anderen Sinnes; Ich denke,
es gibt so viele Menschen, die danken, wohl auch bitten um den Bedarf fürs
tägliche Leben. Aber es gibt wenige, die denken: ist denn Gott nur zum Geben da?
Müsste es nicht Gott erfreuen, so einer oder der andere Ihm etwas bringen will?
— So habe Ich Mir vorgenommen, Gott in dieser Weise zu dienen und Mein Herz zu
einem Opfer-Altar zu gestalten, auf dem immer und jederzeit die Flamme Meiner
Liebe brennt. Liebe aber, ohne Vertrauen, ist undenkbar; und so lebt in Mir
volles Vertrauen auf den Schutz der Liebe Gottes."
„Höre, junger Mann, Du hast nicht so unrecht", antwortet Tobias, „aber ich bin
alt und grau geworden im Glauben meiner Väter. Ihr Jungen fasst es anders auf,
wie auch Johannes der Täufer es beweist; aber ob es Gott so recht ist, weiss ich
nicht."
„Tobias! Sei versichert, dass Ich nicht an deinem Glauben rüttele oder verlange,
etwas gegen dein Gewissen zu tun", antwortet Jesus, „aber ernstlich prüfen
kannst du ja Meine Worte. Wer gibt dir den Beweis, dass deine Väter recht
geglaubt haben? Niemand, so dir dein Herz, dein ganzes inneres Sein, nicht den
Beweis geben kann. Siehe, Ich weiss immer, was Gott recht und nicht recht ist,
da Ich Gott in Mir fühle!"
„Junger Mann, vergehe Dich nicht!" mahnt Tobias. „Denn Gott lässt nicht
ungestraft die Bäume des Besserwissens in den Himmel wachsen. Es mag stimmen,
was Du sagst, aber Dein Aussehen offenbart etwas anderes. Und dass Du keine
guten Tage hinter Dir hast, sieht man von weitem; denn Du bist nicht der erste,
den wir aus der Wüste kommen sehen. Dein Frohsinn, den wir an Dir bemerken, kann
auch Täuschung sein."
„Lieber, alter Freund, jetzt irrst du aber gewaltig", antwortet Jesus, „denn
merke dir: Ich weiss was Ich tue und tun muss! Und dass Ich nicht ohne Zweck in
die Wüste ging, kannst du sicher glauben. Wenn du aber denkst, der verhungerte
Mensch sieht zum Erbarmen aus, da täuschest du dich. Denn auch Hunger lässt sich
durch Vertrauen stillen. Du siehst Mich ungläubig an und denkst jetzt bei dir:
Wann wird er denn um Brot bitten, welches ich doch bei mir trage? Ich aber sage
dir: Ich bedarf deines Brotes nicht, da Mir Gott den Beweis gegeben hat, Mich
auch ohne Brot und Früchte zu erhalten."
Tobias spricht: „Fürchtest Du Dich nicht, junger Mann, etwas zu behaupten, was
direkt widersinnig ist: Hunger durch Vertrauen zu stillen? — Oh, wenn Dich nun
Jehova prüfen würde, da möchte ich Dich nach ein paar Tagen sehen, wie Du
händeringend klagen würdest ob Deiner allzugrossen Torheit!"
„Mein lieber Tobias und du, Simon", spricht Jesus, „glaubet Meinen Worten, so
Ich euch sage, dass Ich seit 7 Tagen kein Brot gesehen noch gegessen habe.
Gewiss war auch Verlangen nach anderer Speise als Wurzeln und wildem Honig in
Mir, aber Ich weiss, warum der himmlische Vater Mir, dem Menschen-Sohne, diese
Prüfung auferlegt. Und es ist Mir eine viel grössere Befriedigung, zu wissen:
Ich habe restlos Gottes Willen erfüllt, als mit Wohlbehagen euer Brot zu
geniessen. Ihr habt von Johannes gehört: ‚Nach mir wird einer kommen, dessen ich
nicht würdig bin.' Habt ihr noch nicht nachgedacht, dass derselbe bald kommen
kann? Und was wird wohl dieser lehren? Ich kann euch nur sagen, dass euer
Geschäft dann anders aussehen wird denn heute! Müsset ihr denn den neugierigen
Fremden in der Wüste die Fische nachtragen, nur um grösseren Gewinn zu erzielen,
da ihr euch saget: ,Dort, wo nichts weiter zu haben ist, werden bessere Preise
bezahlt!' Dies ist doch eines gläubigen Juden unwürdig! Euer Herz erschrecke
nicht ob dieser Meiner Worte; aber gerade um euretwillen sandte Mich Gott zu
euch, um euch zuzurufen: ‚Glaubet und vertrauet dem ewigen Gott, dann wird es
euch an nichts mangeln!’ — Und es ist auch noch keiner zugrunde gegangen, der
Ihm wahrhaft glaubte."
Simon spricht: „Wer Du auch sein magst, Deine Worte erschüttern mich! Und Du
hast recht; es war nicht nur Sorge ums tägliche Brot, sondern Gewinnsucht. Aber
was sollen wir nun tun? Wir können doch die gefangenen Fische nicht tagelang mit
uns herumschleppen, bis wir wieder heimkommen. Zu Hause rechnen sie mit dem
Verdienst, denn das Leben legt uns gerade heute grosse Lasten auf."
„Traget die Fische ruhig hin zu den Fremden", antwortet Jesus, „aber nur um den
Preis, den ihr bei euren alten Kunden erhaltet. Gott wird euch dieses lohnen.
Sollte euch freiwillig mehr gegeben werden, so seid ihr doch frei von
Gewinnsucht, und euer Gewissen wird euch nicht belasten."
„Es wird geschehen nach Deinem Willen!" spricht Simon fest. „Aber nun möchte ich
gerne wissen: Wer bist Du, und welches ist Dein Ziel? Denn, dass Du ein
bedeutendes Ziel haben musst, verrät mir mein Herz; und umsonst geht keiner in
die Einöde dieser Wüste. Bist Du einer von denen, die Johannes ausschickt, um
die Ankunft des Himmelreiches zu lehren? Dann kann ich Dich verstehen, da ja
Fasten und Beten ein Hauptteil der Lehre des Johannes ist."
„Höret ihr beide", antwortet Jesus, „Ich bin genau dasselbe, wie ihr, — Fischer!
Aber Meine Fische sind andere denn die euren. Und die heutigen Fische seid ihr!
Alle unverkauften Fische verwahrt ihr in Fischkästen und wartet auf die
Gelegenheit, bis sie euch Lohn und somit Brot bringen. Ich aber bewahre Meine
Fische in Meinem Herzen auf und liebe sie als Meine Brüder, und dieses ist der
grosse Gewinn für Meine Innenwelt. Alle aber, die Ich in Mir trage, liebt auch
Mein himmlischer Vater. Und so segnet Er gerne Mich und alle, die Ich liebend in
Mir trage."
„Was Du uns jetzt sagtest, klingt wie ein Ton aus den Himmeln. Aber fremd ist
uns noch dieser Klang", antwortete Simon, da muss uns erst für Deine Liebe
volles Verstehen kommen. Oh, müsste diese Erde schön sein, so wir alle solche
Menschen wären! Dann brauchten wir nicht mehr zu hoffen und zu warten auf unsern
Retter und Erlöser!"
„Gewiss, Meine Brüder, denn so nenne Ich euch jetzt, habt Ihr recht! Aber so nun
der kommende Erlöser diesen euren Erwartungen nicht entspricht, was dann?" fragt
Jesus. „Wenn schon Johannes predigt: ‚Tuet Busse!', was soll dann nach eurer
Meinung der Kommende lehren? Es liegt Mir viel daran, eure Meinung zu hören, —
denn ihr habt auch gehört von Johannes: ,Er sei schon da!'"
„Lieber Freund und auch Bruder", spricht Simon, „auf diese Frage ist eine
Antwort von uns nicht möglich, da ich noch nicht darüber nachdachte, welche
Lehre der mit heisser Sehnsucht Erwartete uns bringen wird. Auf der einen Seite
der Tempel — auf der anderen Seite die Römer; von beiden werden wir hart
bedrückt, da wird die Aufgabe des Kommenden eine schwere sein! Von dem ,Er sei
schon da' haben wir noch nichts bemerkt; aber so ich Ihn nur einmal sprechen
könnte, wäre meine Sehnsucht gestillt, und alles, was ich mein nenne, würde ich
Ihm anvertrauen!"
Jesus fragt: „Simon, bist du nicht etwas leichtfertig in deiner Sehnsucht? Wenn
nun einer käme und spräche: ,Ich bin Der, der da kommen soll!' — wie und an was
würdest du Ihn erkennen? Denn auch ein Betrüger kann sagen: ,Ich bin es, auf den
schon die Väter hofften!'"
„Du machst meinem Herzen bange", antwortet Simon, „denn auch daran habe ich noch
nicht gedacht. Da wir aber schon davon sprechen, sage Du mir, hast Du schon an
den Erlöser gedacht? Und wie müsste Er sein, dass Du sofort die Gewissheit
erhältst: „Dieser ist es — und kein anderer!'"
„Bruder Simon", antwortet Jesus, „hat dir der Schöpfer nicht ein Herz gegeben,
welches fühlen und empfinden kann? Muss denn alles mit dem Verstände gemessen
werden? Wahrlich, Ich sage dir, es stünde um alle Menschen besser, wenn das, was
sich im Herzen regt und bewegt, mehr im äusseren Tun betätigt würde. Ihr beide
seid alt und betagt, habt Kinder und Enkel auf euren Armen getragen, und euer
Herz war erfüllt von Freude. Und Hoffnungen zogen wie ein heilig Ahnen durch
euer Inneres. Kindesliebe eroberte euer Herz, und der Verstand sprach nicht mit,
da es sich hier um Liebe handelte. Alle Menschen sind vor Gott gleich Kindern,
und Gottes Liebe kann nur gleich einem Vater oder einer Mutter das Rechte für
sie wollen. Sehet, alles Volk steht oder taumelt am Abgrund, da sie ihren Gott
und Schöpfer nur noch dem Namen nach kennen. So aber nun Gott einen, der sich da
würdig dieser Sendung machte, erwählt und als den Hüter heiliger Gottesrechte
und Seiner Liebe in diese Erdenwelt sendet, gibt es da noch einen Zweifel, wie
dieser so heiss Ersehnte und Erwartete sein soll? Doch nur so, dass man sagen
muss: ,Dieser ist der rechte Sohn von unserem grossen Gott, von unserm
himmlischen Vater!' Dieser Sohn aber wird nur wollen, was der Vater will. Und es
werden Vater und Sohn ,Eins' sein, wie Feuer und Licht eins sind. Ihr aber
wisset fast nichts mehr von eurem ‚Vater', darum ist diese Meine Sprache euren
Ohren so fremd. Aber öffnet eure Herzen und fühlet und empfindet, was euch
bewegt; und dasselbe werdet ihr fühlen und empfinden, so euch der Ersehnte
gegenüber tritt."
„Dir gegenüber muss man schweigen", spricht Tobias, „denn zu allgewaltig ist
Deine Sprache, die uns mit einemmal alle unsere Irrtümer offenbart! Und darum
sage ich Dir gerade und offen: Dich halte ich für Den, der da kommen soll, denn
keiner kann es so beleuchten wie Du! — Aber du, mein Volk, du Israel! Welche
Enttäuschung steht dir bevor! Denn Du wirst uns nicht vom Druck und von all den
Fesseln befreien, die wir uns in unserer Lau- und Blindheit angelegt haben. Nun
verstehe ich Dich! — Ein heiliges Wehen, ein Ahnen geht durch mein Herz: wir
müssen Kinder und Brüder werden, und das, was wir an Opfergaben Gott und dem
Tempel geben, zuerst selbst opfern in unsrem Herzen. Dann lernen wir erst wieder
unsern Gott kennen und durch Gott— Seinen Gesalbten!"
„Bruder Tobias!" ruft Jesus erfreut, „nicht dein Verstand, sondern dein Herz hat
dir dieses kundgegeben! Und so freue dich! Denn so du Mich erkennst und
anerkennst als ,Den Erwarteten' — so hast du auch Gott erkannt und aufgenommen!
Du aber, Simon, was sagst du nun zu deinem Bruder Tobias?"
„Dass wir grosse Toren waren", antwortet Simon, „denn unser Herz pochte laut;
doch unser Verstand wollte es nicht zugeben. Aber nun stehen wir vor Dir und
bitten Dich: Vergib uns, dass wir Dich nicht gleich erkennen wollten!" —
„Brüder nannte Ich euch", spricht Jesus, „und Brüder bleiben wir! — Aber noch
eine Weile schweiget vor der Welt, bis Ich Mich selbst der Welt offenbare. Noch
bleibe Ich allein, bis alle Bedingungen eingelöst sind. Und darum kehre Ich
zurück in das Alleinsein, in die Wüste. Banget nicht um Mich, denn alles in Mir
muss gut vorbereitet sein, da auch alle Mächte der Finsternis gegen Mich stehen.
Gewiss, keinem bringe Ich Freiheit und Erlösung, der nicht an Mich und Meine
Sendung glaubt. Was Ich aber euch allen bringen will, sind die Mittel, um euch
von dem Druck der Sünde und von den Ketten und Banden, die euch unfrei machen,
zu lösen. Nehmet sie an! Sie liegen in einem jeden von euch, und in eurem Herzen
werden euch diese Mittel klar offenbart. Darum habet noch Geduld, aber volles
Vertrauen!" —
„Herr!" bittet Simon, „so Du uns würdig erachtet hast und gabst uns so viel und
legtest eine Gewissheit in uns, dass wir sagen können: ,Ja, Du bist es! Sage uns
Deinen Namen!' Denn wenn Du uns auch Schweigen gebotest, so wird unser Herz Dich
doch gern benennen wollen."
„Brüder", spricht Jesus: „Ich bin Jesus von Nazareth, Sohn des Zimmermanns
Joseph. Mein inneres Leben aber heisst: Immanuel = Gott von Ewigkeit zu
Ewigkeit! So ihr an Mich denket, so müsset ihr auch an Gott denken. Und so ihr
betet zu Gott, da gedenket liebend Meiner. Denn nur was sich liebt — kann sich
einen und vereinen. Nun setzet euch und geniesset euer Brot, damit Ich euch und
euer Mahl segne!"
Beide sehen auf Jesus — und dieser nickt; da setzen sie sich in den Sand und
befreien ihr Brot von der Umhüllung. Simon teilt es in drei Teile und spricht:
„Herr, nicht nur segne, sondern geniesse mit uns, was Du gesegnet hast! O
erfülle uns diese Bitte!"
„Brüder", spricht Jesus, „gesegnet sei eure Liebe und das Brot; und euer Herz
werde erfüllt von dem Bewusstsein, Gott gedient zu haben. Aber heute geniesset
allein, denn eure Liebe war schon Sättigung für Meine Seele. Es ist aber der
Wille Meines Vaters, dass Ich wieder zurückkehre nach Meiner Hütte. Der Geist
des Friedens und der Kraft erfülle euch weiterhin und lasse euch weise werden!
Amen."
Ehe sich die beiden besannen, eilte Jesus schnellen Schrittes zurück; denn das
Brot machte ein starkes Verlangen in Ihm bemerkbar, so dass Er ausrief: „Vater,
lass Mich ganz durchdrungen sein von Deinem heiligen Willen! Denn nur Du bist
es, der uns erhalten kann!" —
Ruhe, tiefe Ruhe zog ein; und so schritt Er weiter, Seiner Hütte zu. Aber je
länger Er wanderte, desto mehr wurde Er bedrängt vom Hunger, zu dem sich nun
auch der Durst gesellte. Doch weit und breit nichts als Sand — nur ganz
vereinzelt verkrüppelte Bäume, die wie warnend ihre Äste gen Himmel halten. Aber
weiter, nur weiter! — mahnte es in Ihm, denn Seine Schritte wurden belauert von
finsteren Wesen, die in der Wüste umherschweiften und Opfer suchten für ihren
unauslöschlichen Hass.
Langsamer wurden Seine Schritte — und endlich konnte Er Seinen Durst stillen,
denn Er kam in die Nähe der Felsengruppe, wo Seine Hütte errichtet war — nun war
Er daheim! Daheim in einer allerarmseligsten Hütte!
Und in Nazareth sagte Maria: „Wo mag wohl Jesus sein? — Wie schön war es doch,
als Er noch daheim war!" —
Alles Elend verging. — Seine Hütte ward mit einem so hellen Licht umgeben, dass
Er selber erstaunte, und eine Stimme rief: „Mein Sohn! — Ein neuer Himmel ist
erbaut und neuer Glanz und neues Leben ist die Frucht Deiner Opferwilligkeit!
Darum bitte Ich Dich: Harre aus, damit Ich und Du Eins bleiben!"
Wie Harfentöne klangen diese Worte, hörbar auch allen Engeln und Geistern, und
ein Echo kam zurück: „Damit Ich und Du — Eins bleiben!" Jesus macht es sich
bequem vor der Hütte und antwortet: „Vater! Du Ewiger! Du Leben alles Lebens und
Seins! Du bittest Mich, den Menschensohn? — Du trägst Sorge um Meinetwillen und
um das Gelingen Meines schweren Werkes! Und doch bist Du selbst es, der da
wirket und vollendet. Denn Du bist in Mir — und Ich — in Dir! Wie lebendig wird
nun alles um Mich! Alles sehe Ich voller Leben und Bewegung. Alles Leben, es ist
ein einziges Zeugnis aus Dir und von Dir und wird Mir sichtbar als Licht als
strahlende Herrlichkeit! Aber diese Deine Himmel und alle Herrlichkeiten darin
achtest Du für nichts; Du willst Dich sonnen in dem Himmel, den Dir Dein Kind
errichten und erbauen will in seinem innersten Herzens-Land. O darum lasse Mich
in Meiner ganzen innersten Herzens-Liebe nur Dir dienen, Dir leben und Dein
sein, damit es nichts gebe in der ganzen Unendlichkeit, was uns je trennen
könnte! Dein Wille sei der Meine und geschehe allezeit! Amen."
05. VIII.
Nun lebte Jesus in stiller Ergebenheit und Ruhe, verbunden mit dem allerhöchsten
Gottes-Leben; und Seine Seele entrückte immer mehr dem Irdischen und
Materiellen. Kein Wunsch, kein Begehren wurde mehr in Ihm wach, und die ewige
Liebe kündete sich wiederum in Ihm und sprach: „Mein Kind, Dein Opfer-Sinn ist
belohnt! Was noch keinem Menschen geschah, durftest Du geniessen und empfangen.
Alles, was Du nun empfangen, war aus Mir, der ewigen Liebe. Und doch war es nur
das, was Du in freiester Liebe Mir geopfert hast. Reich gesegnet gab Ich es Dir
zurück, damit es keime und wachse in Dir zu neuem Leben. — Aber noch ist nicht
beendet Deine Aufgabe, da noch Grösseres geoffenbart werden muss. Doch so Ich in
Dir und Du in Mir bist, ist alles Grosse klein und alles Kleine gross. (Vor
Seinen Augen erschaut Er, dass Gott schon im Allerkleinsten herrlich,
überherrlich ist, und darum gibt es für Jesus weder ein kleines, noch ein
grosses Opfer, denn Er ist erfüllt von diesem heiligen Leben aus Gott) Mein
einziges Sehnen gilt jetzt Dir. Väterlich schütze Ich Dein Wirken und rufe Dir
zu: Mein Sohn! Du Menschen-Kind! Vollende Dein Werk und bringe Mir ,den
Menschen' wieder!" —
Jesus aber ward sich bewusst: Die ewige Liebe stellt Mich vor neue Aufgaben, und
Er freut sich innerlich. — Nun dankt Er nochmals, lehnt sich im Geiste an Seinen
Vater; und in Ihm ist es, als wenn Er aufgehört habe, zu leben, doch das Leben
des Vaters habe wiederum alles erneuert. — Alles ist in Ihm wie neu, doch nicht
fremd. War früher ein Sehnen und Verlangen, so war jetzt in Ihm Befriedigung und
Erfüllung. Und so ward Er innerlich ein Anderer und doch Derselbe. „Vater!",
ruft er selig, „was hast Du aus Mir gemacht! Es kann ja fast nicht möglich sein,
in diesem herrlichen Leben zu leben!"
„Mein Sohn!" — tönt es aus Ihm zurück, „nur das bist Du, was Du aus Mir gemacht
hast — in Dir! Denn nun trägst Du in Dir Meine Seele und Mein Leben! Und wer
Mich je suchen wird, kann Mich nur in Dir finden. Amen!"
Wiederum durchwandert Jesus im Geiste Sein Innenland, und hochbefriedigt ruft
Er: „Vater! — Alles, was Ich in Mir gefunden und erschaut habe, ist Dein Werk
und ist durchdrungen von Deinem Geiste! Nun hat nichts in dieser irdischen Welt
noch ein Anrecht an Mein Inneres. O lasse auch Mein Fleisch und Blut ganz Dir
gehören, damit es tauglich bleibe bis zur vollkommenen Erfüllung!"
05. IX.
So vergeht ein Tag nach dem anderen. — Jesus merkt es fast nicht, wenn Er Honig
und Wurzeln zur Stillung Seines Hungers sucht, dass Er auch noch andere
Bedürfnisse hat — bis nun wieder Pius und Horeb zu Ihm kommen und einen ganz
tief gesunkenen Geist mitbringen.
„Herr!", spricht Pius, „in dem Bewusstsein, Dir einen Dienst zu erweisen, bringe
ich mit Horeb diesen verirrten und verlorenen Bruder. Er behauptet, Dich zu
kennen und lacht über unsere Torheit, da wir nach Deinen Worten uns bemühen,
Anderen nützlich zu sein. Dieser behauptet, Du seiest wohl der Ersehnte, aber Du
hättest verspielt, da Du Luzifer nicht überwunden hast!" —
Jesus antwortet: „Pius! Ich sage dir: die Toren behaupten, sie hätten immer
recht! Aber es kommt nicht darauf an, was Ich behaupte, sondern was Ich tue!
Denn eine jede Behauptung ist ja nur eine Meinung, aber noch kein wahres Leben.
Mein Innen-Leben ist gekennzeichnet durch Mein Tun und ist nur abhängig von
Meinem ewigen Vater. Was dieser will, das tue Ich und werde es auch weiterhin so
halten!"
„So habe ich doch recht behauptet", spricht Pius — „doch dieser da will sich mit
Dir messen. Jede Belehrung meinerseits ist erfolglos geblieben."
„Mein lieber Pius", spricht Jesus, „überlasse auch dieses Mir. Hast du dich
nicht auch mit Mir messen wollen, und wir sind doch gute Freunde geworden."
„Ja, mein lieber Jesus", antwortet Pius, „doch bange ich um Dich! Denn nicht in
Deiner Kraft und Deinem Wissen will Dich dieser prüfen, sondern in Deiner
Geduld, in Deiner Liebe und in Deinem Gottvertrauen." —
„Mein Bruder", spricht Jesus sanft, „solange du noch Sorge um Mich trägst,
solange kennst du Mich nicht, und dadurch ermunterst du Meine Gegner. Du
schadest Mir dabei nicht, aber um so mehr dir! Denn was noch Sorge ist in dir,
soll und muss zur Gewissheit werden: Wer Ich bin und was Ich dir bin! — Dann
erst ist der feste Grund in dir gelegt. Und auf dieser Feste (Diese Feste s. 1.
Mose 1; 6—8) baue und gründe dir dein Lebens-Werk; wobei Ich dich stärken und
unterstützen werde!
„O Herr! Du machst mich zum ewigen Schuldner!" ruft Pius. — „O vergib mir, dass
ich nicht mehr für Dich tat!"
„So gehe hin und hole das Versäumte nach", spricht Jesus, „und Gott wird es dir
lohnen! Diesen armen, vom Satan ganz Beeinflussten aber wollen wir nicht von uns
weisen. Und so könnt ihr ganz ruhig in Meiner Nähe verbleiben, und es wird euch
offenbar werden (und auch uns): Der Geist der Liebe und der Geduld."
Pius und Horeb ziehen sich zurück von dem höhnisch Lächelnden und wundern sich
über seine Frechheit, wie er lauernd Jesus beobachtet.
Jesus aber erkennt: „Dieser wird Mir zur Probe gestellt!* (Wenn auch wir so
denken lernten im Umgang mit schwierigen Menschen!) Und in Seinem Herzen erwacht
Bejahung für den Hunger, für den Durst und für alles Seelen-Leid der geistigen
Finsternis, das sich von aussen an Ihn herandrängen will. Neue Kräfte machen
sich in Ihm bemerkbar, Ihm zum Beweis: Die Ewige Liebe stellt Mich vor neue
Aufgaben, und freudig ruft Er: „Vater! Ich bin bereit!" — Weit streckt Er Seine
Arme aus; im Geiste umfasst Er alle Menschen und alle Geister, und betend segnet
Er die Erde mit ihren Bewohnern.
05. X.
Nun folgt die Versuchung, wie sie beschrieben ist durch die von Gott berufenen
Männer — Lukas 4 l—13. Und dann, endlich — ist bezahlt der Tribut an die Erde!
Keine Macht der Erde, keine Macht der Finsternis kann es mehr wagen, sich mit
Dem zu messen, der ein Meister geworden ist. Ein Meister alles Lebens. Weil Er
in sich alles meisterte, was sich dem Leben aus Gott entgegen stellte. Nun gab
es für Ihn keinen Feind mehr, da Er alles Irdische überwunden und Sein ganzes
Innere geweiht war: Dem Leben der Liebe!
Durch alle Himmel ging ein Jauchzen und ein Jubel! Denn ,der Stern von
Bethlehem' leuchtete allen, allen Wesen verkündend: Nur in diesem Licht und
Leben kann euch der wahre Frieden werden! Amen.
Ende.
Dieser Frieden mit Gott, nach dem sich alle sehnen, den uns die Welt nicht geben
kann, verkündeten deshalb die Engel allen aufhorchenden Seelen als frohe
Botschaft aus den Himmeln schon bei Jesu Geburt!
Lukas 2, 14.