Heft 06. Jesus tritt sein Lehramt an
Inhaltsverzeichnis
Jesus tritt sein Lehramt an
(Übersicht)
01. Abschiedsfeier im Hause
Josephs
02. Hilarius
03. Jesus sein Bote Gabriel
04. Das Abendmahl
05. Erlebnisse auf einem Stern
06. Abschied von der Mutter
07. Abschied von den Brüdern
08. Jesus und Luzifer
09. Rast in der Herberge
10. Jesus geht durch den
Jahrmarkt-Trubel
11. Erste Begegnung mit Judas
12. Am Abend in der Herberge
Schluss Betrachtung
Jesus tritt
sein Lehramt an
In himmlischer Harmonie mit allen Seelen um Ihn nimmt Jesus nun Abschied von den
Seinen im Elternhause, als der innerlich Ausgereifte. Doch erleben wir zugleich,
wie viel Mühe und Geduld es Ihn noch kostet, die alteingewurzelten Erwartungen
der Juden von ihrem Messias zu berichtigen. Jedem einzelnen sucht Jesus
klarzumachen, dass die Ursache ihrer geknechteten Lage nicht bei den Römern,
sondern viel tiefer zu suchen sei, nämlich in dem alten Erbübel der
Lieblosigkeit gegen Gott und die Mitmenschen (siehe S. 46 u. 56), wodurch die
ganze Menschheit sich gegenseitig knechtet!
Darum will der seit Adam verheissene Erlöser nun alle Völker von diesem Erbübel
befreien, jedoch nicht durch irgendwelche Gewalt, sondern durch Seine
Offenbarungen über die selbstlose Liebetätigkeit, die Er durch Sein
eigenes Vorbild uns beweisen will. Ganz neue Wege zu den inneren Reichtümern
zeigt Er uns, damit jeder lerne von all den herrlichen Fähigkeiten im eigenen
Herzen den rechten Gebrauch zu machen.
Aber freiwillig nur darf unsere Seele Ihm in diese Geheimnisse nachfolgen
wollen! Dann will Er uns helfen, unsere selbstlose Liebe zum Nutzen anderer zu
betätigen, um auf den oft schwierigen Wegen der Selbstverleugnung irdischer
Wünsche empor zu steigen zum hohen Ziel der inneren Entfaltung, bis zu unserer
Gottähnlichkeit.
01. Abschiedsfeier im Hause
Josephs
Still gehen alle zurück ins Haus. Maria und Ada schauen schon nach den
Abwesenden aus und freuen sich, als sie wieder vereint am Tische sitzen. Die
kleine Lea ist munter und setzt sich zwischen Jesus und Maria. Da kommt noch der
kleine David und sucht seine Mutter, denn ihn trieb der Hunger, und er freut
sich aufs Essen. Und bei seiner Mutter wird ihm Platz gemacht.
Maria hat alles angerichtet. Joel dankt und segnet das Mahl, und fleissig wird
zugegriffen. Als das Mahl beendet ist, spricht Jesus: Mutter, bringe die Krüge
und die Becher; denn dies ist das Abschiedsmahl, welches wir feiern wollen mit
unseren Freunden!“
„Aber Jesus, mit Wasser doch nicht?“, fragt Maria, „und Wein haben wir nicht im
Hause.“
„Tue nur nach Meinen Worten, Maria; denn Mein Herz ist voller Freude, und Ich
möchte, dass alle, die heute im Hause Josephs weilen, sich freuen!“ Maria tat;
Jesus schenkte ein, und köstlicher Duft erfüllte das geräumige Zimmer.
Kommet, und trinket mit Mir!“, ruft Jesus froh, und empfanget den Gruss, den
euch die ewige Liebe schickt! In heiligem Ernst soll euch offenbar werden, dass
Gott als Mensch, als euer Mitbruder auf alle Herrlichkeiten verzichtet und sich
nun freuen und laben will, wo Seine Menschenkinder sich wahrhaft freuen. Dies
ist nun die letzte Stunde, da Ich als euer Bruder, als euer Diener und Knecht
unter euch weile. Und ist zugleich die erste, die langersehnte Stunde, wo Ich
auch noch als Bruder, aber jetzt als der Meister und als der Herr vor euch
sitze. Fürchtet euch nicht! Meine Liebe gehört euch und bleibet bei euch für
alle Zeiten. O selig, selig alle Engel! O selig alle, die im Lichte leben! Aber
noch seliger werden die sein, die Mich lieben, wie diese kleine Lea Mich liebt.
Lernet von den Kleinsten, denn sie fragen nicht. Und lernet von diesem
kindlichen Standpunkt aus, zu glauben und zu vertrauen! Diesen ersten Becher nun
weihe Ich allen denen, die Mich lieben und in und aus dieser Liebe Mir folgen
wollen! Sehet, so wie aus dem Wasser dieser köstliche Wein wurde, so soll aus
jedem Tun in dieser heiligen Liebe Kraft und neues Leben quellen! Ja, jede
Liebestat soll neue Schöpfungen und neue Segnungen hervorrufen! Dir, Mutter,
aber sage Ich in dieser weihevollen Stunde: „Jetzt ist die Verheissung erfüllt!“
Denn der Geist in Mir ist das Licht, das nun in jede, auch in die tiefste
Finsternis leuchtet. Wer diesem Lichte folgt, wird auch zu einem Licht und zu
einem Leuchter werden! Und so sei gesegnet dieser Trunk: Mir zur Freude, euch
allen aber zum ewigen Heile! Amen!“
Nun trinkt Jesus den Becher leer, und zögernd tun es auch die anderen! Auch die
kleine Lea möchte einen Schluck, aber die Mutter wehrt ab. Da fragt Jesus sanft:
„Lea, möchtest du mit Mir trinken, aus Meinem Becher?“ „Ach, mein lieber Jesus,
darf ich denn das tun? Mutter will es nicht, und Du willst mir zu trinken geben?
O bitte, lieber nicht, denn dann wird Mutter traurig.“
„Komm, kleine Lea, deine Mutter freut sich, so du mit Mir trinkst, denn für dich
habe Ich einen anderen Wein, der dir nicht schadet, und so trinke ruhig und
froh!“ Beherzt nimmt das kleine Mädchen den Becher aus den Händen Jesu, sieht
die Mutter an, kostet einige Schluck und sagt: „O Jesus, dies schmeckt aber gut;
davon muss auch Mutter und David trinken.“ Und schnell reicht sie der Mutter den
Becher hin. Diese aber schaut lächelnd auf Jesus, nimmt einen Schluck und gibt
ihn dem Kinde wieder. Nun darf auch David trinken; doch dieser trinkt alles aus!
Lea ist traurig, denn gar zu gerne hätte sie noch etwas davon getrunken. Mit
Tränen in den Augen gibt sie Jesus den Becher zurück und vergisst zu danken! Da
spricht Jesus: „Meine Brüder, und auch du Maria und Ada, habt ihr diesen Vorgang
bemerkt? Ebenso wird es einst vielen von euch und Meinen Nachfolgern ergehen:
Viel werdet ihr im gläubigen Vertrauen auf diese heilige Liebeskraft tun, und
wird euch doch manchmal schwere Enttäuschung bringen. Da, wo ihr glaubet, Liebe
sei am Platze, da werdet ihr ausgenutzt und mit kalter Berechnung übervorteilt
werden. Aber deswegen werdet nie traurig; denn jeder Liebesdienst ist im Buche
des Lebens für ewig aufgeschrieben. Und in der Folge kann nur Liebe und immer
wieder nur heilige ernste Liebe entlasten und entsühnen. Siehe, Nathan, reine
Liebe belebt dich und andere. Die Eigenliebe aber tötet alles Leben in der
Inneren Welt und macht den Boden hart und steinig! Diese selbstlose reine Liebe
ist das Himmelsgut, welches Ich der Erde wiederbringe! Durch Meine Liebe weicht
aller Fluch. Durch Meine Liebe wächst Mein Segen, den alle Menschen geniessen
dürfen, so sie in Mir die Liebe erkennen, die alle erlösen will von ihrer
Gottferne!“ Nathan dankt und spricht: „O Jesus, wenn ich Dich nur ganz verstehen
und mit Dir gehen könnte! Wie ist es schrecklich, so ich daran denke, gestern
noch dein Feind, doch heute Freund! Bruder nennst Du auch mich, wo Du bestimmt
weisst, was ich Dir und Deiner Mutter angetan habe! O ich möchte davonlaufen,
aber mein Herz hält mich fest!“ „Nathan“, spricht Jesus, „hinter uns liegt die
Vergangenheit, vor uns die Zukunft; hinter uns der Kampf, vor uns der Sieg;
hinter uns das Gesetz, vor uns das Leben! Sag, willst du rückwärts gehen und
sterben, oder willst du leben, für ewig leben?“
Nathan bittet: „O Jesus, vergib! Leben will ich, leben, um gutzumachen! Leben,
um Dir zu nützen! Denn nun wird mir Deine Mission erst klar: Nur Du kannst der langersehnte
Messias sein! Oh, wo waren meine Augen, wo waren meine Ohren? Jetzt sehe ich: Du
bist Der, von dem geschrieben steht: „Der uns erlösen und erretten will aus der
Hand der Feinde!“
„Lieber Nathan! Beruhige dich, denn nun bist du erwacht. Darum sage Ich dir nur:
Glaube an Mich! Dein Glaube macht dich erst wahrhaft sehend.“
02. Hilarius
In diesem Augenblick kommt ein befreundeter Grieche in die grosse Wohnstube. Er
ist sehr erstaunt, die ganze Familie Josephs und auch Nathan und die Nachbarin
mit ihren Kindern am Tisch zu sehen und spricht: „Grüss Gott! Die Werkstatt ist
leer und ihr alle sehet so froh aus, welches Fest wird denn hier gefeiert? So
viele Gäste habe ich bei euch lange nicht gesehen! Und er reicht jedem zum
Grusse die Hand.
Maria antwortet: „Lieber Hilarius, sei herzlich willkommen!“ Sie nötigt ihn an
ihren Platz und bringt ihm einen Teller Suppe.
Dann fragt Joel: „Nun, Freund Hilarius, du warst wohl nicht zufrieden mit der
Arbeit, die Jakob und Jesus leisteten?“
„Aber Joel, wie kannst du so etwas nur denken?“ antwortet Hilarius. „Die Arbeit
war gut und findet Anklang und Beifall! Hätte gern Jakob und Jesus gelobt; aber
Jesus will kein Lob. Schon früher, zu Josephs Lebzeiten, war ich immer
zufrieden, aber jetzt ist zufrieden zu wenig gesagt, denn die beiden
Schränke sind geradezu ein Kunstwerk!“
Jesus steht auf und spricht: „Hilarius, wir feiern ein Fest der Freude. Darum
lass dieses dein Lob, denn es wirkt niederdrückend; und du weisst, jedes Werk
lobt seinen Meister selbst! Gestehe aber offen, das Verlangen, etwas bei uns zu
verweilen, hat dich hierher geführt.“
Lächelnd fragt der Grieche: „Welches Fest feiert ihr denn, darf ich es nicht
erfahren?“
„Gewiss, lieber Hilarius, wir feiern Abschied, da morgen der letzte Tag ist, den
Ich im Elternhause verlebe!“
„Und da freut ihr euch, da seid ihr glücklich? Oh, was seid ihr für Menschen!
Andere weinen, so es an das Scheiden geht, und ihr freut euch?“
Jesus spricht: „Hilarius, gewiss hast du recht. Würdest du aber alles kennen und
verstehen, würdest auch du dich freuen.“
„Wo willst du hin, Jesus?“, fragt Hilarius, „willst Du Dein Handwerk allein
weiter betreiben?“
„Hilarius, weisst du noch, wie Ich dir beim letzten Abschied sagte: So wie Ich
dir in diesen Tagen diente, so wirst du dich einst sehnen Mir zu dienen! Und du
freutest dich über diese Worte, da du dieselben in deinem Sinne auslegtest. Lass
dir sagen, dass Meine Zeit jetzt gekommen ist, wo Ich nicht mehr mit Hobel, Säge
und Axt Meine Pflicht erfülle, sondern mit dem in Mir gefundenen Licht jetzt
versuchen will, allen Menschen den Weg zu ihrem wahren Glück zu zeigen!“
„Jesus, Du weisst, auch ich bin ein sogenannter Weiser, aber diese Deine
Weisheit findet keinesfalls meinen Beifall. Ein Handwerksmann wie Du bleibe beim
Handwerk. er suche Menschen zu befriedigen, und alle Not
wird ihm ferne bleiben!“
„Mein Hilarius“, spricht Jesus gütig „eben weil Ich weiss, dass das
heissersehnte Glück in äusseren Dingen auf die Dauer doch niemand restlos
befriedigen kann, will Ich den Menschen den Weg und die Mittel zeigen, wahrhaft
glücklich zu werden. Denn alle Not der Menschen hat ihre Ursache in der falschen
Voraussetzung, dass materielle Dinge glücklich machen können!“ „Liebster Jesus!
Dich habe ich als den besten Menschen bisher gefunden und fühle mich auch
besonders wohl in Deiner Nähe. Aber um mit Dir glücklich zu werden, oh, da
müssten ja alle eigenen Wünsche und Meinungen schweigen! Denn so oft Du einem
recht gibst, so viele „Aber* hast Du auch und verstehst auf Deine eigene Art
doch alles so zu beleben, dass nur Deine Meinung die richtige sein kann! Ich bin
Dir deswegen nicht böse; aber schwer ist es doch, als Weiser zugeben zu müssen,
dass Du tausendmal weiser bist! Die Zukunft möge mir auch dieses grosse Rätsel
lösen.“
Jesus spricht: „Mein lieber Freund! Siehe, du wirst einst ganz anders reden,
wenn du alles an Mir und von Mir verstehen wirst. Aber es ist ja für Mich das
grosse Leid, dass ihr alle, auch du, Maria, euch falschen Vorstellungen hingebt.
Nie werde Ich das werden und das sein, was ihr wünschet; denn Mein grosses Werk
ist ein reines Gotteswerk! Der Messias, den ihr in Mir erwartet, der würde euch
enttäuschen, denn langsam, ganz langsam müsste euch doch die Erkenntnis kommen,
dass diese Erlösung und Befreiung vom Fluch nicht nur dem auserwählten Volke
Gottes, sondern allen Völkern der Erde zugute kommen muss! Frei wollt ihr sein,
frei wollt ihr werden; dies ist eure Sehnsucht. Aber um frei zu werden ist mehr
nötig, als ein schwaches Wollen; da muss die Tatkraft immerwährend neu in euch
erstehen. Doch solange noch das alte, bequeme Übel genährt wird, werdet ihr
nie frei sein! Wohl könnte euch ein Messias von den Römern leicht befreien, aber
um so mehr würdet ihr vom alten übel geknechtet sein, und das wäre euer sicherer
Untergang. Ihr, Brüder, habt gehört, was Nathan in vergangener Nacht erlebte.
Ihr, Brüder, habt euren Vater Joseph in seiner Welt geschaut und könnt mit
Sicherheit nun sagen, wer von beiden der Glücklichere ist. Ihr sagt: „Unser
Vater“ und mit Recht! Denn er ist nun frei vom alten übel.“
Hilarius fragt: „Du Jesus, was ist nun eigentlich im tiefsten Grunde dieses alte
übel, welches uns nicht frei und froh werden lässt, welches uns so knechten
kann, dass nie ein Frohsinn möglich wird?! Sind denn die Gesetze Mosis nicht da,
um allen Übeln den Weg zu versperren?“
„Mein Freund“, antwortet Jesus, „du bist kein Jude, aber innerlich Jehova
getreu, den du erkannt hast. Du kennst die Geschicke unseres Volkes und nimmst
teil an allen seinen Freuden und Leiden. Joseph war dir ein gutes Vorbild, aber
das Übel wurzelte auch in Joseph noch tief und dies war: Die Liebe zum alten
Tempel und der eiserne Wille, eben das Gesetz zu erfüllen! Aber in der äusseren
strengen Erfüllung der Gottesgebote und all der Zeremonien wuchs der Geist der
Eigenliebe, jener Liebe, die freiwillig geopfert und sterben muss! Denn solange
noch Eigenliebe bestimmend ist im Sein der Menschen, kommen die weltlichen
Wünsche und Begierden nie in
Ruhe! Nur wer wunschlos sich in alles fügen kann, löst sich vom alten übel los
und macht den Geist in sich frei, der da ist: Kraft aus der Urkraft und Licht
aus dem Urlicht!“
Hilarius fragt erstaunt: Jesus, kannst Du sagen, dass Du frei bist von allem
Wünschen und Begehren? Kannst Du sagen, Du bist Kraft aus Deinem Innenleben und
lebst aus dieser neu erstandenen Kraft? So gib uns Beweise! Denn es ist wohl
schön, so Du mit Worten darstellen kannst, was Dich innerlich erfüllt, aber in
Wahrheit sieht es oft anders aus, wenn die Probe kommt!“ Ruhig antwortet Jesus:
Recht tust du, lieber Freund, wenn du das hier Gesagte prüfst. Aber Ich sage dir
und allen: so du Meinen Worten nicht
Glauben schenken willst, so glaube Mir wenigstens, da du weisst, dass Ich keiner
Lüge fähig bin. Es ist Mein grösstes Zeugnis, welches Ich verkünden werde; Ich
bin Wahrheit! Ich bin Leben aus Gottes Leben und lebe nur noch für die
Gottes-Wahrheit! Doch so du auf den Wegen wandelst, die Ich euch vorangegangen
bin, dann erst wirst du inne werden, dass diese Meine Worte wahre Gottes-Worte
sind! Doch nun stärke dich und fühle dich recht zu Hause unter uns.“
Es wurde ein schöner Tag. Niemand dachte ans Scheiden, bis die Kinder müde
wurden und Ada sich verabschiedete, mit inniger Liebe Jesus und Maria noch
einmal dankend.
Jesus spricht; „Gehe heim in Frieden! Der wahre Gottesfrieden ist allen denen
verheissen, die ihre Mitmenschen lieben. Was Ich dir tat, versuche du an anderen
auszuüben, dann dienst du wahrhaft Gott, Und so sei gesegnet aus dem Geiste der
ewigen Liebe!“
Bewegt will Ada die Stube verlassen, da drängt sich die kleine Lea hin zu Jesu
und hebt ihre Ärmchen zu Ihm auf. Jesus erschaut die Absicht, hebt sie hoch,
drückt sie an seine Brust und spricht: Lea, Meine kleine Tochter, denke immer
daran, dass Ich dich liebe, als wenn Ich dein Vater wäre', dann vergisst du Mich
nicht!“
„Du lieber Jesus, warum bist Du nicht mein Vater und ich Deine Lea? Warum musste
wohl mein Vater sterben und uns so allein lassen?“
Lea! Der gute Gott im Himmel weiss um alles, und dein Vater ist bei Ihm und hat
dich nicht vergessen. Und wenn Ich auch nicht mehr in Nazareth bin, bleibe auch
Ich dir gut, als wenn Ich dein Vater wäre. Nun gehet heim und tut eure Pflicht!“
Scheu guckt sich der kleine David um, und schnell ist er zur Tür hinaus. Da ruft
ihn die Mutter: „David, so geht man nicht auseinander. Du hast ein schlechtes
Gewissen, wo Jesus soviel Gutes an uns tat. Rasch, bitte Ihn um Verzeihung!“
Scheu kommt der Kleine zurück zu Jesus, doch er sagt kein Wort.
Da spricht Jesus ernst zu ihm: David! Gut, dass du noch ein Kind bist. Wenn du
aber die ganze grosse Wahrheit einst erfassen wirst und möchtest vor Reue und
Gram vergehen, dann denke an Jesus, der zu dir jetzt sagt:
Auch dich habe Ich lieb! Nun gehet, der Friede sei mit euch!“
Nun wollte auch Nathan aufbrechen, aber Jesus sagt: „Nathan, warum willst du
gehen? Dein Haus ist bestens bestellt, und wer weiss, wann wir uns wiedersehen,
da Ich Nazareth verlasse.“
„Liebster Jesus, soll Dein Erlösungswerk, wie Du es darstelltest, nicht auch den
Nazarenern zugute kommen? So fange doch hier im Orte an, ich hindere Dich nicht,
so Du in die Synagoge gehst.“
Jesus spricht: „Dein Wille ist gut, lieber Freund; aber Ich darf nicht bleiben,
da Mein ewiger Vater Mir für die nächsten Tage Meine Arbeit schon zeigte. Und
für die Nazarener würde es auch nicht zum Heile sein. Siehe an, wie lange bin
Ich unter euch, doch keiner dachte je daran, dass Ich der Verheissene sein
könnte. Manches von Mir ist durchgesickert, aber da sorgten dann schon wieder
andere, dass an dem Träumer nichts Gutes blieb. Hier wäre nun ein Arbeitsfeld
für dich, Nathan! Doch darf Ich auch zu dir nicht sagen: tue dies oder jenes, da
es dann kein Werk deiner freien Liebe, sondern ein Werk der Nötigung wäre. Ich
meine, du wirst Mich jetzt verstanden haben?“
Nathan fragt: „Ja, aber warum nötigst Du mich zum Hierbleiben, da das doch auch
eine Nötigung ist?“
Jesus antwortet: Ganz recht, da dies aber deinem Heil dienen soll! Denn was du
aus deiner inneren Liebe heraus tust, soll ja auch nicht dir, sondern deinen
Mitmenschen dienen! Und je mehr du ihren Seelen dienst, desto mehr dienst du
Gott!“
„O mein Jesus, midi erschauert vor solchen Tiefen, die ich jetzt in Dir erkenne.
Mir ahnt Grosses. Aber, lieber Jesus, verrate mir das eine: Warum lüftest Du
erst heute den Schleier, mit dem Du Dich so geheimnisvoll umgabst? Warum
erfahren wir erst jetzt Dein grosses Vorhaben?“
.Lieber Nathan, höre: Wer Mich liebte wie Meine Mutter und Meine Brüder, der war
unterrichtet. Frage Jakob, wie lange schon er Mich kennt, und alle im Hause
wussten von Meiner Sendung. Freilich war es für Mich oft
nicht leicht, Meinen Brüdern ihre Freiheit nicht zu nehmen. Frage ruhig einen
jeden, ob Ich ein einziges Mal einen Zwang ausübte, so werden sie antworten:
„Nein, dies tatest Du nicht!“ Frage Jakob, wie viele Tage wir oft
kein einziges Wort gesprochen haben, aber im Herzen waren und blieben wir
verbunden. Hätten die Nazarener' geglaubt wie Meine Brüder glaubten, wahrlich,
kein Himmel hätte herrlicher sein können! So aber werden sie
suchen müssen und Mich schwerlich finden.
03. Jesus und Sein Bote Gabriel
Niemand getraut sich, ein Wort zu erwidern; da wird es still und immer stiller.
In der Stube entsteht ein goldener Glanz und plötzlich steht ein Engel vor dem
Herrn, sichtbar auch den anderen. Herr, Du Leben alles Lebens! Dein Auftrag ist
ausgeführt!' Alle Räume der Unendlichkeit sind erfüllt von der Erwartung: Du
wirst jetzt sichtbar und hörbar allen Deine Botschaft verkünden. Und jedem
Licht- und Dunkel-Wesen ist es nun gestattet, dieselbe zu hören. Nur den Grund
konnten viele nicht erschauen, warum Du, o Herr, dieses alles so wolltest.“
„Nun, so höre“, spricht Jesus, da ein anderer Grund für alle Zukunft gelegt
werden soll. Alles, was sich gross dünkt, soll erniedrigt werden! Was aber klein
und demütig ist, soll erhöhet werden! Ihr habt den Feind alles Lebens
beobachtet; auch er ist nicht müssig gewesen, und seine Scharen können den
Zeitpunkt fast nicht mehr erwarten, wo er Mir die grösste Niederlage bereiten
will. Aber es wird seine schwerste Enttäuschung werden, denn Meine Liebe zu
allen, allen Wesen gibt Kraft und immer wieder neue Kräfte. Und obwohl es noch
viel, sehr viel zu überwinden gibt, werde Ich dennoch einst ausrufen dürfen: „Es
ist vollbracht!' „Berichte dieses allen wahrhaft Fragenden in Meinem Sinne, und
nun sei noch eine Stunde unter Meinen Brüdern!“
Der Engel verneigt sich vor den Brüdern, vor Nathan und Hilarius und spricht:
„Freunde dieser Erdenwelt, ich grüsse euch und freue mich, endlich In der
Entsprechung: Die Verstandesmenschen jetzt einmal unter Erdenmenschen zu weilen,
da wir Engel wohl all euer Tun sehen und eure Gedanken und Worte vernehmen, ihr
aber uns nicht sehet. Oh, jetzt Mensch sein ist Gnade über Gnade! Wenn ihr
ahntet, welch ein Glück euch bevorsteht, ihr würdet die Erde und alles, was sich
darauf befindet, schmücken, so wunderbar schmücken, wie es nur reiner und wahrer
Liebe möglich ist.“
Jakob reicht dem Engel die Hand und spricht: „Herrlicher Diener unseres Herrn
und Gottes, wir sind arme Bürger und Pilger dieser Erde. Was für dich schön und
herrlich ist, scheint uns noch trübe und dunkel. Du schaust mit Augen der Liebe
und alle Dinge ringen dir ein Lob ab; wir aber sehen mehr mit Verstandesaugen
in diese Welt, und so ist es oft düster und dunkel um uns. Siehe, der Herr hat
sich uns oft schon wunderbar offenbart, doch heute haben wir die allergrösste
Offenbarung erlebt: Jesus ist der Herr, ist der Erlöser, der Heiss-Ersehnte!
Doch glaube mir armem Erdenpilger, grösser kann der Jubel in deinen dir
bekannten Welten auch nicht sein, als wie heute bei uns wenigen, die wir dieses
erleben durften: „Er ist der Herr! Er ist der Herr! Machet hoch die Tür und weit
das Tor, damit Er einziehe mit Kraft und Herrlichkeit“ (Psalm 24, 7). O wie bald
ist diese Stunde vorüber gerauscht aber Er bleibt unsere Sehnsucht und unsere
Liebe.“
Jetzt tritt Hilarius näher, betrachtet den Engel und fragt; darf auch ich mit
dir engelgleichem Wesen reden?“
„Gewiss, mein Freund und Erdenbruder, denn auch du liebst ja den Herrn, aber
noch auf deine Art. Oh, wenn du erst klarer sehen wirst, dann hast du in deiner
Brust nicht genügend Raum, dann wirst auch du zu einem Gärtner, der in alle
Menschenherzen dieses Glück verpflanzen will. Aber verrechnet euch nicht! Denn
es ist der Herr, der Herr Zebaoth, Er ist die Liebe und Sein ewiges Reich ist in
der ganzen Unendlichkeit. So wie der Herr auf keinen einzigen Menschen oder
Engel Rücksicht nahm um Seiner hohen Ziele willen, so wird Er auch in der Folge
nur Seinen eigenen Weg gehen! Und wohl dir, wenn auch du Ihm folgen willst, um
nach Seinem geoffenbarten Willen zu tun! Bedenke jeder: Sein Reich ist ein
ewiges und Seine Ziele sind auch ewige, und alles Irdische kann dabei nur Zugabe
sein. Doch ich sehe in euch noch einen Zweifel, da ihr dieses Grosse noch nicht
fassen könnt. Ihr hofft und hofft auf die Befreiung von irdischen Fesseln. Doch
seht, hier stehet nur ein schwacher Diener dieses Herrn, der aber so viel Kraft
hätte, alle eure irdischen Feinde im Augenblick zu vernichten. Wie viele Kräfte
aber stehen Dem zu Gebote, der einst alles ins Dasein rief und ist doch nur
bestrebt, allen den Weg zu zeigen, der zum Vollkommenen führt. Freunde, liebe
Erdenfreunde! Fasset, erfasset diese meine Worte! Sie kommen aus einem Herzen,
welches aus Liebe vor keinem Opfer zurückscheut.“
Alle hörten diese Worte und schauten nun hin zum Herrn, denn diese Worte waren
nicht nur Mahnung, sie bargen auch einen Vorwurf. Jesus aber fragt nun: „Meine
Brüder, und auch du, Maria, warum seid ihr auf einmal so stille? Wurde euch doch
nur dasselbe gesagt, was ihr schon so oft hörtet! Ich bin immer noch derselbe:
euer Jesus; aber in Mir ist Gott! Und mit diesem bin Ich verbunden auf ewig. Und
was Gott will, will auch Ich!“
„O Brüder, freuet euch doch mit Mir!“ ruft Jesus laut. „Durch alle Himmel geht
ein Rauschen, geht ein Jubel, da nun die seit Ewigkeiten genährte Hoffnung in
Erfüllung tritt, die Wiederverbindung mit dem Verlorenen. Einen neuen Lockruf
lässt die ewige Liebe ertönen: Kommt herzu! Alles ist bereit! Kommet, und höret
die Botschaft: Die Tore sind geöffnet!' Hinweggenommen ist der Engel mit dem
flammenden Schwert, und zwei Engel mit flammenden Herzen stehen jetzt davor.
Endlich ist die Zeit da, wo euch allen Erlösung winkt!' Was meint ihr, Meine
Brüder, wollet ihr nun nicht auch fröhlich sein?“
„Mein lieber Jesus“, spricht Joel, „mir ist es nicht möglich, diese grosse,
gewaltige göttliche Offenbarung ohne weiteres anzuerkennen, da Du, als unser
Bruder Jesus, doch noch derselbe bist. Seit 30 Jahren kenne ich Dich und seit
dieser Zeit bist Du Mensch wie ich! Dass Du einen Riesen-Geist in Dir trägst,
erfuhren wir schon, da Du noch ein Kind warst. Dass Dich der hohe Cyrenius und
andere Machthaber als einen Gott anerkannten, kümmerte mich wenig, da in mir der
Glaube an Jehova eingewurzelt ist! Mir geht es nicht in den Sinn: Du seiest
Jehova Selbst, mein lieber Bruder Jesus; mir ist der Gedanke schon eine
Entweihung! Dass Du Kräfte in Dir trägst, ist bewiesen; dass Du aber die ewige
Urkraft selber sein willst, Jesus, sei mir nicht böse, das kann ich nicht
fassen, denn zu oft gabst Du ein Bild des Jammers und des Elends. Wer Dich
gesehen, als Du nach tagelangem Fernbleiben wieder zurückkamst, verhungert und
mit zerrissenem Gewand, der wird Dir nicht glauben, dass Du am Ziele Deiner
Erfüllung bist. Die Schrift lehrt uns von Josua, von Elias; es haben diese und
andere auch Grosses getan, und so glaube ich wohl, dass Du der Verheissene bist,
aber Gott Selbst nein, dies glaube ich nicht!“
„Mein Bruder Joel, bleibe in deinem Glauben!“ antwortet Jesus. „Es wird noch
einmal die Zeit kommen, wo Ich ein noch grösseres Bild des Jammers und des
Elends gebe, dann wirst auch du erkennen, welch grosse Opfer nötig sind, um den
Weg der Erfüllung zu gehen.“
04. Das Abendmahl
„Doch nun lasset uns noch einmal zusammen das Abendmahl feiern! Der Gastgeber
ist jetzt der himmlische Vater in Mir, und dieser Mein Bote und Diener wird es
euch bereiten. Sehet, wie heute dieses Abendmahl der Abschluss Meiner Jugend-
und Jünglingszeit ist, so wird nach Beendigung Meiner Lehramts-Zeit ein anderes
Abendmahl gefeiert werden. Doch jetzt ist Mein Herz erfüllt von Freude. Seid
auch ihr es! Es seil“
Ohne dass die Anwesenden etwas merkten war schon der Tisch gedeckt mit Brot und
Wein. Der Engel lud ein zum Platznehmen an dem grossen Tisch, und schweigend
wurde das einfache, aber doch köstlichhimmlische Mahl eingenommen. Noch nie
hatten Hilarius und Nathan etwas so Gutes genossen; die Brüder aber dachten an
Ägypten, wo ihnen schon ähnliches zuteil wurde. Auch der Engel nahm an dem Mahl
teil, was Hilarius und Nathan höchst verwunderte.
Jesus nimmt Seinen Becher, geht um den Tisch, trinkt mit einem jeden einen
Schluck aus Seinem Becher und schaut jedem eine Minute tief in die Augen. Als Er
diese Liebe beendete und Seinen Platz wieder einnahm, leuchteten Seine Augen
wunderbar; dann spricht Er: „Brüder, denket immer an diese Stunde! Lasset nie
diese Erinnerung verblassen, denn ein Stück Himmel wurde Mir und euch zuteil!
Ihr wisst nun alles soweit, doch die Zukunft wird euch noch vieles dazu lehren;
darum seid stille, und lernet Schweigen! Im Schweigen sammeln sich die Kräfte
und machen innerlich stark und froh. Nun neigt sich der Tag, und so gehen wir
zur nahen Anhöhe und vertiefen uns im Schweigen der Andacht mit den Seligen und
Frohen, die bei uns und um uns sind.“
05. Erlebnisse auf einem Stern
Und so geschah es auch! Doch als die Anhöhe erreicht war und alle bequeme
Ruheplätze gefunden hatten, fehlte der Engel; und Hilarius sprach: „Merkwürdig,
nicht einmal Abschied nahm er von uns.“
Jesus spricht: „Hilarius, du irrst, er ist nicht von uns gegangen. Er und noch
viele sind um uns und freuen sich dieser Stunde. Es ist ja der Menschen grosses
Unglück, dass ihnen die Möglichkeit verlorengegangen ist', alle die zu schauen,
die von uns gegangen sind.“
Hilarius fragt erstaunt: „Kannst Du sie schauen, liebster Jesus?“
„O ja, nicht nur schauen, sondern bin verbunden mit ihnen, wie Ich mit euch
verbunden bin. Nicht nur, dass Ich sie höre und ihr Tun beschaue, nein, Ich lebe
mit ihnen und erschaue ihre tiefsten Gedanken, so wie Ich die deinen erschaue.“
„Aber dies muss ja schrecklich sein; alles um Dich zu sehen, ihre Freuden, aber
auch wohl ihren Zorn und alle Schlechtigkeiten. Da ist es mir schon lieber, es
bleibe so, wie es ist.“
„Hilarius, Mein Freund“, antwortet Jesus, „du, ein Erdensohn, kannst dieses
Schauen noch nicht in dem Sinne erfassen, was es eigentlich im Grunde sein soll.
Denn bedenke, du als Mensch bist begrenzt, und deine Begriffe von allem
Geistigen sind ebenso eng begrenzt. Siehe, über uns das unendliche Himmelszelt
gibt dir des Nachts doch Kunde von unzähligen Sternenwelten! Sag einmal, warum
siehst du am Tage keinen Stern?“ Du sagst: „Das macht die Sonne mit ihrem Licht,
nur so es finster ist, kommen die Sterne zum Vorschein! Ganz recht! Nun merke
auf: Ich will, dass du Einsicht nimmst in das Wesen dieser Sterne, und da werde
einmal recht, recht ruhig und schweigend.“
Hilarius und die ändern wurden nun ganz still und blieben still, in innerlicher
Andacht und Versunkenheit, Es wird Abend; die Sterne fangen an zu leuchten da
löst sich eine Sternschnuppe und durcheilt ein Stück des Alls. Dadurch werden
die Anwesenden etwas aufgeschreckt und so schauen sie auf und werden nun erst
die Sternbilder gewahr. Hilarius aber sieht, wie ein Stern auf ihn zukommt, der
immer grösser, grösser und heller wird, und plötzlich befindet er sich in einem
riesengrossen Garten. Dort weilen auch Menschen; sie sprechen kein Wort, aber
Hilarius weiss von dem, was sie sich durch Gedanken übermitteln. Er sieht ihre
Einrichtungen, ohne einen Schritt zu gehen; sieht, was sie in ihren Häusern tun,
was sie essen und trinken, und auch er wird gesehen.
In einem Tempel ist Gottesdienst; es zieht ihn dahin und wie mit raschen
Schritten ist er schon da! Nun fängt der Älteste an zu reden; seine Worte
klingen wie Orgeltöne und dringen tief in sein Herz! Es ist eine Mahnung: doch
in der geheiligten Ordnung zu verbleiben, da die Erde die jetzt den
allerhöchsten Geist beherbergt, durch Widerordnung auf ihr so unendlich viel
Leid gesehen hat. Ihr wisset“, spricht er weiter, ein Gast ist unter uns, ein
Bewohner dieser tief zu beklagenden Erde. Und so ihr alle ihr meine Kinder und
Kindeskinder, in diesem schönen Sein und Zustand hier verbleiben wollt, so
haltet Ordnung, Ordnung, beachtet die Gottesordnung! Doch ist dieser dunklen
Erde jetzt grosses Heil widerfahren! Der Grosse Geist wird der alten Schlange
den Kopf zertreten und mit Seinem eigenen Blute alle Schmach und Schande hinwegtun;
und somit alles wieder verbinden mit dem All-Geist.“
Hilarius geht noch einige Schritte näher, und nun spricht der Älteste zu ihm:
„Sei herzlich willkommen! Der Grosse, Gütige Geist unterrichtete mich von deinem
Kommen; doch freuen würden sich meine Kinder und Kindeskinder, so du uns von
deiner Erde, deiner Heimat erzähltest.“
Hilarius fühlt ein Drängen in sich und mit einem tiefen Atemzug fängt er an:
„Liebe Bewohner dieser eurer herrlich paradiesischen Welt! Durch die unendliche
Gnade Gottes, welcher ist der Grosse Geist, durfte ich eure Welt beschauen und
ihre Einrichtungen betrachten und muss euch alle selig preisen! Wir auf unserer
Erde sind nicht so gut daran; denn unsere Erde ist keine bleibende Stätte für
uns, und es ist nicht einer, der daselbst bleiben könnte. Wenn die Zeit erfüllt
ist, die unser Gott und Schöpfer uns gegeben hat, dann kommt der bittere Tod.
Vor keiner Tür, vor keiner Bitte macht er halt; er nimmt mit kalter Hand, was
ihm verfallen! Doch keiner weiss, was eigentlich der Tod ist, nur glauben können
wir, was weise Männer uns überliefert haben. Geboren werden wir hilflos, und
jedes Geschöpf ist besser gestellt als ein Mensch; denn nach wenigen Stunden
oder Tagen kann es sich fast selbst erhalten, während bei uns Jahre nötig sind,
bis wir richtig denken und urteilen lernen. Alle Geschöpfe nehmen, was die Erde
von selbst hervorbringt, als Nahrung zu sich und gedeihen wunderbar. Wir
Menschen aber müssen schwer arbeiten und mit Schweiss den Boden der Erde düngen,
damit er uns die Früchte gibt, die zu unserer Erhaltung nötig sind. Von dem
Grossen Geist, der, wie euer Vater sagte, auf unserer Erde weilt, kann ich nur
sagen, dass Er genau wie wir ein Mensch ist, und alle Bedingungen erfüllen muss,
die die Erde auch an Ihn stellt. Aber ein anderes Zeugen ist in Ihm! Denn Sein
Wesen ist Liebe, die selbstloseste Liebe. Vor grossen Aufgaben steht der längst
Verheissene und Erwartete. Und nun weiss auch ich: Er wird Seine Sendung
erfüllen und wird nicht nur uns, sondern auch euch das grösste Glück noch
bringen! Es ist das grosse Gottes-Kinder-Glück: Wir dürfen Seine Kinder werden,
und Er will unser Vater sein auf ewig! Den grausamen Tod wird Er vernichten! Er
wird Sein ewiges Reich der Liebe aufrichten, nicht nur auf unserer Erde, sondern
auch bei euch! Du gebotest: Haltet Ordnung! Ordnung! Ordnung!' Jener aber, Jesus
ist Sein Name, bittet: Haltet euch an die Liebe, an diese Liebe, und liebet!
Denn Liebe ist das neue Leben, und Leben ist Entfaltung! Und Er selbst ist die
ewige Liebe und die ewige Entfaltung! Darum bitte auch ich euch alle: „Liebet,
liebet euch! Und Er wird auch zu euch Seine Engel und Boten senden, die euch
noch mehr davon bekunden können, nach dem Willen des ewigen Gottes!“
Ehrfurchtsvoll lauschen die Zuhörer, ihre Zahl war Tausende. Dann spricht der
Älteste: „Habe Dank! und nimm als bleibende Erinnerung die Zusage mit auf deine
Erde: Wir wollen uns bemühen zu lieben und wollen Ihm wahrhaft danken für diese
frohe Botschaft. Macht uns unser Leben hier wenig Mühe, so wird die angeratene
Liebe uns nur Freude machen, und so wollen wir danken, danken, danken!“ Und
wortlos neigen sich alle mit ihrem Angesicht bis auf den Erdboden und vertiefen
sich mit ihren Herzen zum Danken! Nach einer kleinen Weile ist für Hilarius
diese Offenbarung verschwunden, und so fragt er nun den Herrn: „Liebster Jesus,
was war denn dieses?“
Jesus antwortet: „Mein Freund! Was du erlebtest, erschauten auch die anderen; es
kann also nicht Sinnestäuschung sein. Durch Meinen Willen wurdest du in jene
weit entfernte Welt versetzt und war dieses Erlebnis Mein Geschenk an dich und
an Nathan. Behaltet es für euch zur bleibenden Erinnerung. Denn es wird euch die
Gewissheit geben, dass Mein Reich ein ewiges und unvergängliches ist. Und nun
lasset uns zur Ruhe gehen;
denn ehe morgen der helle Tag anbricht, werde Ich weit fort sein! Nun lebe Ich
nicht mehr Mir selber, sondern für Meinen Vater. Mein nächstes Ziel ist, den zu
besuchen, der Mein Herold, Mein Wegbereiter ist“ Und nun lebet wohl, und lebet
recht, dann sind wir verbunden allezeit! Amen!“
Und mit einem Segensgruss verabschiedete Er seine Brüder und Nathan und
Hilarius; „Wir aber, liebe Mutter, bleiben noch wach.“ Tränenden Auges schied
Hilarius, und auch Nathan, und feierlich gelobten sie: Wir bleiben eingedenk
Deiner Worte und Deiner Liebe! Oh, dass wir dies alles früher erkannt hätten!“
„Ziehet hin in Frieden! Gott ist mit euch!“ lauteten die Worte des Meisters und
dann trennten sie sich.
Jesus spricht noch: „Brüder, suchet die Ruhe auf! Viel, viel habt ihr wieder
erlebt, und wir können uns ja nie mehr trennen! Seid dankbar, so wie auch Ich
euch dankbar bin, und haltet eurem Jesus die Treue!“ Tief ergriffen erfassen die
Brüder die Hände ihres Jesus, wünschen gute Nacht und erbitten noch den Segen.
Und Jesus segnet sie und stumm gehen sie ins Haus.
06. Abschied von der Mutter
Nun ist Jesus mit Maria allein. Leise fasst Er ihre Hände und spricht: „Maria,
du Meine liebe Mutter, dieser Tag brachte dir viel Mühe, aber auch grossen Lohn.
Ich möchte dich jetzt an einen Vorgang erinnern kurz vor Meiner Geburt. Kannst
du dich erinnern des Augenblickes, wo dich Vater Joseph fragte: „Warum weinst du
und bist dann gleich wieder fröhlich?“
Maria spricht: „Ja, mein Jesus! Ich sah ein Volk weinen, und da weinte ich mit.
Dann sah ich ein Volk so fröhlich, und da war ich mit fröhlich; aber erklären
kann ich es mir jetzt nicht so genau. Warum erinnerst Du mich daran?“ „O Meine
gute Mutter! Eben weil jene beiden Völker jetzt wieder vor uns stehen; aber
nicht mehr weinend oder jubelnd, sondern fragend. Denn auch ihnen kommt zum
Bewusstsein, was jetzt auf dem Spiele steht. Und so sei versichert: Noch nie
standen die Schicksale aller Menschen und Wesen so auf Messerschneide wie jetzt!
So oft ihr Mich fragtet: Wann beginnst Du Dein Amt? so oft fragten auch ganze
Völker: Wann kommt der Erlöser und Erretter? Siehe, Maria, nun gehe Ich von
euch, aber Meine Liebe
bleibt hier. Kannst du dich nicht frei machen von dem Gedanken, Ich sei nur euer
Messias, nur Erretter des Juden-Volkes? Wieviel froher würde Ich dann Meine
Schritte lenken in die Wüste Bethabara.“
Maria antwortet: Mein Jesus, was Du sagst, ist so wichtig und doch, schaue mich
an, es gibt vielleicht keine Mutter, die grössere Sorgen und Kämpfe ertragen
musste als ich. Und nun sprichst Du: Endlich am Ziele! Und brichst mir dennoch
diese grosse, starke Hoffnung? Siehe, nur ein freies Volk kann verwurzeln in
seinem ewigen Gott und erfüllt froh und frei Seinen heiligen Willen! Aber ein
gedrücktes und geknechtetes Volk verliert auch noch den letzten Rest seines
Gottesglaubens! Darum, mein lieber Jesus, hoffte und hoffte ich immer nur auf
Dich!“
Jesus bittet: „Maria! Diese letzte Stunde sollte uns doch mehr Verstehen und
innere Verbundenheit bringen. Darum bedenke dies eine: Ein Volk, welches in
seiner ganzen Seelentiefe mit Gott verwurzelt ist, hat keine Bedrücker und
Feinde. Denn da ist diese innerliche Einheit und Verbundenheit eine Kraft, die
auch andere Völker respektieren! Nichts mehr! Darum bin Ich glücklich, endlich
Meinem Volke wahrhaft dienen zu können und kann allen zeigen: Wahrheit und
Liebe! Maria, werde eins, voll und ganz eins mit Mir! Dann bist du die Erste,
die den fragenden Völkern die Antwort geben kann: Hier ist unser Erlöser, der
uns Wahrheit und Liebe bringt! Hier ist das Herz, welches bereit ist, für alle
auch das grösste Opfer noch zu bringen. Auf Diesen schaut, denn Er wird unser
Erlöser sein!“' Siehe, Maria, wenn du täglich wenn du Menschen die befürchteten,
der längst Erwartete würde sie von dem Heil ausschliessen. Das andere Volk
stellte die Juden dar, das jubelte ob der nahen Ankunft ihres Messias, der sie
wieder zum Herrn der Erde machen würde. Jene beiden Völker waren immer Zeuge bei
der inneren Entwicklung des Knaben, und später des Jünglings Jesu, der nun
gereift war in sich bis zur Vollendung und Sein Inneres Licht nach Aussen zu
stellen beginnt! Durch dieses Licht der Wahrheit ahnen die Heiden göttliche
Erleuchtungen, während die Juden schon befürchten, auch andere Volker noch neben
sich dulden zu müssen! So stehen jetzt beide Völker als Zeugen dieser Wendezeit
fragend da die Mich in Meinem Werke unterstützen. Aber dazu ist Grundbedingung:
Frei von allem Zweifel zu sein! Siehe die Vögel unter dem Himmel, sie sind frei
und immer fröhlich, weil sie die Welt und ihre Umwelt sehen, wie sie ist. Die
Menschen aber möchten die Welt und ihre Bewohner sehen, wie sie es wünschen, und
darum diese Gegensätze zwischen ihnen. Nur innere Fröhlichkeit gibt uns die
freie Kraft, alles so zu nehmen, wie es in Wirklichkeit ist. Hilf Mir in Meinem
Werke indem du wahrhaft an Mich glaubst, und alle Wesen jubeln dir ihre
grenzenlose Freude zu. Und nun komme, auch wir wollen zur Ruhe gehen!“
Bewegt spricht Maria: „Mein Jesus, nur noch eine Frage; So Du wahrhaft Der bist,
von dem geschrieben steht warum gehst Du so viel und allein beten? Ich weiss,
auch gestern kamst Du nicht zur Ruhe. So Du wahrhaft mit Gott, dem Ewigen, eins
bist, ist da notwendig, noch im Gebet Trost, Frieden und Kraft zu suchen?“
Jesus entgegnet: „Meine Maria! Siehe, alles, was in Mir ist, musste Ich Mir als
Mein menschliches Eigentum erst erringen!' Nichts durfte Ich geschenkt erhalten,
damit nicht Feinde des Lebens eine Waffe haben, um zu rechten mit Mir! Hätte Ich
dich oder die Brüder gebeten, Mich zu unterstützen beim Gebet, beim
Stillerwerden, so hätte Ich Angriffsblössen gegeben. Aber nun, wo Ich alle
Hemmungen überwunden habe, ohne jede menschliche Hilfe und ohne jeden Beistand,
ist auch alles Menschliche in Mir vergeistigt und kann nur noch Göttlichem
dienen! Gott in Seinem ewigen Ur-Sein ist Kraft und Liebe! Diese Kraft und
Liebe ist jetzt Mein inneres Leben. Dadurch bin Ich eins mit Gott und kann
nichts tun ohne dieses Sein Leben.“ Maria nickt mit dem Kopfe und drückt die
Hände ihres Jesu; und Jesus bittet nochmals: „Komm, gehen wir zur Ruhe! Im
Schweigen erst wird jede Frage gelöst.“
07. Abschied von den Brüdern
Rasch ist die Nacht vergangen; die Brüder sind schon auf und warten
auf die Mutter und auf Jesus. Flüsternd unterhalten sie sich und nun kommen
Maria und Jesus in die Stube. Kurz ist die Begrüssung. Maria hantiert am Herd,
und endlich bringt sie die Morgensuppe. Maria fordert auf zum Essen. Joel dankt
und segnet das Mahl, und schweigend geniessen alle das Bereitete. Maria deckt
ab, und nun endlich löst Jesus das Schweigen; „Maria! und ihr, liebe Brüder,
bleibet in eurem Eigenen, wie auch Ich in Meinem Eigenen bleibe! Und sorget,
dass in euren Herzen sich kein falscher Gedanke, kein falscher Zug einniste, der
Meiner hohen, erlösenden Sendung zuwider läuft! Ihr hälfet mit bauen am grossen
Gotteswerke. Und wie Ich nun weiter daran arbeite, so arbeitet auch ihr weiter,
denn es gilt Werke zu schaffen, die der Ewigkeit angehören. Nun lasst uns froh
auseinandergehen! Das wieder Zusammenkommen liegt beim ewigen Vater. Mein Joel!
Du der Älteste, sei immer besorgt um die Erhaltung unseres Heimes! Doch sei
bemüht, in Liebe auch das Geistige zu befestigen, was du dem Hause deines Vaters
Joseph schuldig bist! Du Joses, sei das Licht, das sich immer strahlend zeigt;
denn du bist erfüllt vom Geiste aus Gott! Und du, Samuel! Kein anderer Wille sei
in dir, als der, den Ich dir zeigte als dein Bruder! Simon aber, du bleibe in
der wahren Ordnung! Mag kommen, was da will und mag, in Ordnung bleibe Tag für
Tag! Dazu Mein Jakob! In Geduld ertrage, was die anderen noch nicht tragen
können! Und nun Mutter! Du wirke weiter in Sanftmut und Barmherzigkeit! Dann
vermisst niemand Mich im Hause Josephs. Keine Träne soll glänzen in euren Augen,
und kein Weh soll erfüllen euer Herz, weil Ich, als Jesus euer Bruder, doch nun
als Meister folge Meinem Vater', der Mich ruft zur lebendigen Tat. In Kürze
sehen wir uns wieder und fühlen uns aufs neue eins. Drum, Brüder, bleibet treu,
und schreitet gleich Mir zur Tat! Amen!“
08. Jesus und Luzifer
Glutrot geht die Sonne unter und beleuchtet im rötlichen Schein die am
Himmelsfirmament dahinziehenden Wolken. Der Tag war heiss und eine grosse Stille
verbreitete sich in der Natur; kein Mensch, kein Tier war zu sehen; es war, als
ob von allen erst die Kühle des Abends und der Nacht herbeigesehnt würde.
Lichte Nebelschwaden senkten sich auf die Kuppe des Berges Tabor, um sich dann
immer mehr nach der Tiefe hin zu verbreiten. Es dunkelte bereits, kühlender Wind
setzte ein. Einsam und allein strebte ein Wanderer nach der höchsten Stelle des
Berges. Es ist Jesus. Seine Locken werden spielend vom Winde bewegt, aus Seinen
Augen blickt Zufriedenheit, leuchtet Frieden. Leicht ist Sein Gang, und ohne
Beschwerden erreicht Er die Höhe. Leuchtend grüssen die Sterne; 6er aufgehende
Mond verbreitet einen Kreis von Licht um sich, aber dunkel ist es um Ihn. Jesus
sucht sich einen Platz und ruht nun; doch Sein Blick wandert zu den Sternen und
in die Ferne. „Wäret ihr alle so froh und frei wie Ich und könntet ihr das Glück
ermessen, an nichts mehr gebunden zu sein um wieviel herrlicher noch würdet ihr
leuchten und glänzen!“ spricht Jesus zu den Sternen und schaut und freut sich
dieser leuchtenden Schönheiten.
Dann schliesst Jesus die Augen und in Stille überschaut Er Seine innere Welt.
Immer bewegter werden Seine Atemzüge, und nun wird es lebendig in Ihm: Sein
ganzes Leben zieht an Ihm vorüber! Um Ihn rauscht es wie herrliche
Sphären-Musik. Es sammeln sich um Ihn wunderbar schöne Wesen und bringen Ihm
ihre Huldigung dar.
Aber Jesus wehrt ab und spricht: Meine treuen und vom Gotteswillen erfüllten
Diener und Boten! Eurer Bitte komme Ich entgegen und freue Mich über eure Freude
und Liebe. Aber nichts ist rein, auch diese Freude nicht, da noch zu viele im
tiefsten, tiefsten Elend schmachten! Ihr freut euch, da Ich diese Zeit Meiner
Gebundenheit überwunden habe', und freuet euch auf das, was Ich nun wirken werde
als der Herr, als Meister, als wahrhaft Ungebundener. Aber noch viel mehr würdet
ihr Freude und Herrlichkeiten erleben, so auch ihr beitragen würdet* die Not der
Gebundenen, der wahrhaft Armen und Verirrten zu lindern. Ihr kennet Meine
Aufgabe, als Mensch das Allergewaltigste zu vollbringen, welches ist: nicht mehr
sich selbst, sondern nur Gott und den Menschen zu dienen. Darum bringt Mir euren
verirrten Bruder und zeiget ihm euer Glück!“
Stumm verneigen sich die Engel und in der nächsten Minute schon steht Luzifer in
der Gestalt eines älteren erfahrenen Mannes vor Jesus. Da du nicht freiwillig
kamst, befahl Ich Meinen Boten dich zu holen, um dir Gelegenheit zu geben, vor
diesen Meinen Dienern und Boten auch deinen Willen zu offenbaren! Du konntest
Mein Vorhaben nicht hindern. Du konntest nicht hindern, nicht unterbinden, dass
Ich jede Fessel', auch die geringste welche noch verbindend wirkte zwischen
Meinem und deinem Wesen von Meinem menschlichen Wesen, Meinem Ich trennte!
Nichts kann Mich noch aufhalten! Nichts ist imstande Mich zu hindern, nur zu
leben und zu wirken für Gott und Sein ewiges Reich! Darum frage Ich dich,
Luzifer, du Sammelpunkt alles Lichts und aller Herrlichkeiten Gottes: Sehnest du
dich nicht zurück in jene fernen, fernen Zeiten, wo du als Gekrönter erfülltest Gottes Willen. Denn wo dich vor Ewigkeiten Licht um Licht, Leben um Leben
umgab, stehest du jetzt fast allein mit deinen dir noch getreu Verbliebenen. Was
ist dir noch geblieben? Nichts als das Bewusstsein, du bist der grosse Gegner
Gottes!“
„Du magst recht haben“, entgegnet Luzifer kühl, aber noch ist nicht entschieden,
ob nicht doch ich der Grössere und Stärkere bleibe! Du kannst mich nicht
hindern, meinen Willen auszuführen, wie ich Dich nicht hindern konnte. Doch, so
viele Widerstände, wie Du mir bereitest, bereite auch ich Dir und werde es
weiterhin tun! Zeige doch Deine Allmacht' und vernichte mich! Ich will Dir mit
dem letzten Pulsschlag danken, so ich aufhören kann zu sein! Aber eben hier ist
Deine schwache Seite, denn Du musst alles Bestehende bestehen lassen und sollte
es ins Chaos übergehen! Niemand kann mich hindern, Dein Gegner zu bleiben, und
keine Herrlichkeit könnte mich locken, Dir zu dienen! Was hast Du zu meiner
Sehnsucht, zu meinem Begehren gesagt, als ich Dich sehen und mit Dir verkehren
wollte? Nichts! Du liessest Dich suchen und doch nicht finden; und für meine
Bitten hattest Du taube Ohren! Wohl drang eine Stimme dann und wann in mir
durch: aber dies konnten auch meine eigenen Gedanken sein. Nun ich Dich sehe,
Dich höre sage ich Dir vor diesen tausend Zeugen: Ich habe jedes Verlangen
verloren, Dich als meinen Herrn und Gebieter anzuerkennen! Ich will und werde
selbst Herr sein!“
Jesus spricht ernst: „Luzifer! Herr ist, wer Sieger bleibt! Du weisst, dass Ich
Mich dir gleichstellte. Ich ward genau so arm wie du! Und wenn Ich jetzt über
Kräfte und Reichtümer verfüge, die in Mir leben, so hast auch du die Möglichkeit
in dir, diese zu erschliessen und zu deinem Besten zu verwerten!“
Luzifer spricht erregt: „Nein, das glaube ich Dir nicht! Deine Worte gehen nur
dahin, alle meine Macht, allen meinen Willen in Deine Hände zu legen.“
Herb antwortet Jesus: „Luzifer!, sage nicht, du glaubst es nicht! sage frei; du
willst nicht! Und so wirst du erleben müssen, dass dir doch letzten Endes alles,
alles, auch das geringste, genommen wird! Ich gehe nun hinaus in die Welt und
werbe und werde gleich einer Fackel in die finstere Nacht hineinleuchten! Aber
zwingen werde Ich niemand, werde aber auch wiederum ein wachsames Auge auf dich
haben. Denn, Luzifer, jetzt geht es ums Ganze! Eben um das Chaos zu verhüten,
ist Meine Sendung doppelt wichtig! Die Liebe zu Meinen Menschenkindern zeigt Mir
Meinen Weg und gibt Mir Kraft zum Vollbringen!“
.Du hast gut reden!“, entgegnet Luzifer, „auf einen Wink von Dir stehen Dir
Legionen zu Gebote, und niemand kann Dich hindern, denn Du bist ihr Herr! ich
aber stehe verlassen und als Einsamer hier und kann zusehen, wie Du mein
Eigentum zerstörst. Komme ich aber und will mich dagegen wehren, so sind Deine
Engel rasch bei der Hand und möchten mich vernichten.“ Ruhig antwortet Jesus:
„Mitnichten, Luzifer! Alle Engel respektieren Meinen Willen, und dieser sichert
auch dir die grösste Freiheit deines Wollens. So du aber gewalttätig und
zerstörend auftrittst, so müssen dir Schranken auferlegt werden. Siehe, Luzifer!
Jetzt beginnt der Endkampf zwischen Mir und dir! Ich werde alles ausschalten,
was deine Getreuen als wahrhaft göttlich' an Mir erschauen. Ich werde Mensch'
sein und als Mensch zum Menschen und als Geist zu den Geistern gehen und
daselbst bezeugen aas durch Kampf mit dem Scheinleben errungene Gottesleben im
eigenen Innern. Hüte dich vor Gewaltmassnahmen, denn sie hätten für dich bittere
Folgen! Nur wer freiwillig mit Mir geht, wird bei Mir angenommen. Und wer dir
folgen will, soll es auch freiwillig tun. Hier in deiner Gegenwart bekunde Ich
nochmals: Ferne sei jede Gewalt! Darum wirst du gehindert, gewalttätig zu sein,
wo du es dennoch versuchen willst.“ „So soll ich wieder geschlagen werden“,
klagt Luzifer, nur damit Du an Dein Ziel gelangst? Du hast Mitleid mit den
Menschen und den Bewohnern der Geisterwelt, aber mein Leid lässt dich kalt.
Allen Wesen gegenüber bist Du Liebe, aber mir gegenüber bist Du hart. Was frage
ich nach Deinem Kampf, den Du selbst gewollt! Was gehen mich Deine Ziele an!
Lasse mir mein Recht, das Recht des Stärkeren!“„Luzifer, du Armer,
Verblendeter“, spricht Jesus, um deinetwillen geschieht ja dies alles! Um
deinetwillen ging Ich in dies niedere Sein! Doch in Zukunft soll wer der
Schwächste, der Kleinste und Demütigste sein will, mit der Kraft aus Mir erfüllt
werden, um dir zu widerstehen! Denn für alle, alle Zeiten sollst du nicht nötig
haben zu klagen, man habe dir etwas genommen! Darum sei nochmals gesagt: Keinem
Menschen, keinem Wesen werde Ich aus Meiner ewigen Allmacht etwas reichen! Kein
Mensch und kein einziges Wesen soll eine Nötigung erhalten. Nur wer Mich will,
dem komme Ich auf halbem Wege entgegen, wie Ich auch dir auf halbem Wege
entgegenkomme! Siehe, du trugst das Vollkommene in dir und hast nicht geglaubt,
es je verlieren zu können. Da du aber Mich, Deinen Gott und Schöpfer,
missachtest, da hast du Mich aus deiner Lebensmitte gedrängt. Nun siehe an diese
Schaden; einzeln möchte dir jeder sagen: „Komm, und sieh: Wie gut ist unser
Gott, und wie herrlich lässt es sich in Seinem Reiche leben!“ Siehe, nur einen
Wunsch trage Ich unerfüllt in Meinem Herzen und dieser ist: Komme du wieder
zurück, zurück in die Arme der ewigen Gottesliebe. Luzifer!
Mein armer, verblendeter Sohn! In dieser allzu ernsten und heiligen Stunde
reiche Ich dir erneut die Hand und bitte dich: Komme zurück aus deiner
Verblendung; und alle Schöpfungen sollen im früheren Glänze erstehen! Und was du
bisher an Unheil vollbracht hast, will Ich auf Meine Schultern nehmen! Ich werde
dir nie mehr so nahe sein wie jetzt als Mensch zu Mensch. Es ist das letzte Mal,
dass Ich dich bitte! Es ist der letzte Ruf aus Meinem Munde. So du aber bleibst,
wie du bist, kannst du nie mehr so leicht Mein Leben und Meine Liebe erfassen,
sondern musst den Weg der Lebensordnung gehen, statt den Weg der Gnade, den Ich
Meinen Kindern jetzt zeige!“
„Herr willst Du sein und bittest mich?“ Dies steht aber schlecht zu Deiner
Allmacht! Und so sage ich Dir; Dieses ist eine grosse Genugtuung für mich und
gibt mir neue Hoffnung, doch noch an mein Ziel zu gelangen. Dir aber will ich
jedes Hindernis in den Weg legen und will mir einen Menschen suchen, der Deine
Liebe auf die höchste Probe stellen soll! Ha, denke ja nicht, Du hast schon Dein
Vorhaben vollbracht und bilde Dir ja nicht ein, dass Du mit aller Sehnsucht
erwartet wirst! Denn dazu haben Deine lieben Menschenkinder doch etwas zuviel
von mir Deinem grössten Widersacher erhalten! Auf der Erde bin ich, der Herr'
und ihr Fürst'. Und mit meinem Wesen will ich erneut die Menschen erfüllen,
nur damit es Dich reut, in mein Reich eingedrungen zu sein. Mit neuem Eifer will
ich unter Deinen Anhängern Zwietracht säen, dass Du von selbst die Pforten
Deiner Himmel schliessen wirst.“ Ruhig antwortet Jesus: „So gehe denn alles
seinen Lauf. Ich hindere dich nicht mehr. Aber mit doppelter Liebe und Hingabe
gehe Ich an Mein Werk. Doch wehe, wehe, wehe dir, alles Leid, alle Tränen werden
zu einer Last, die dich erdrücken wird! Verlassen wirst du werden und sein und
wirst dich mit Abscheu einst von deinen eigenen Kindern trennen! Und dann denke
an diese Stunde, die dir und aller Welt das grösste Leid ersparen
wollte! Luzifer, so gross wie deine Schuld ist, so tief wird sie Mich
niederdrücken! Aber, wenn du Mich siehst im grössten Kampfe und härtesten Leid,
und ein Jubel des Triumphes will durch dein Herz dringen, dann hast du dich
selbst gerichtet, und eine Stimme wird dir zurufen: „Dieses stehet auch dir
bevor.“ Doch nun trennen sich erneut unsere Wege!“
Mit Hohn auf den Lippen entfernt sich Luzifer und traurig schauen alle Engel ihm
nach; da spricht Jesus: „Nun gehet auch ihr und tuet weiter eure Pflicht! So wie
Ich verdopple Meine Liebe, so geht auch ihr mit doppeltem Eifer an eure
Pflichten, denn ihr habt aufs neue des Lebensfeindes Absichten erkannt.“
Still verneigen sich die herrlichstrahlenden Gestalten. Mit Wohlgefallen ruht
der Blick des Herrn auf ihnen; dann senkt sich ein leichter Schleier hernieder,
und Jesus ist wieder allein. Allein, aber doch nicht einsam, denn zurück geht
Sein Blick ins Elternhaus und: „Meine Liebe und Mein Segen erfülle euch!“
sprechen leise Seine Lippen. „Und nun erwarte Ich hier den Morgen.“
Jesus sucht sich einen Ruheplatz und legt sich zum Schlummer nieder. Als
Kopfkissen sucht Er einen Stein1; aber es war keiner zu finden, da es noch nicht
hell genug war, und so legte Er Seinen Kopf auf beide Arme und schlief ein. Beim
ersten Anbruch des Lichtes erwacht Jesus, und kniend segnet Er die Erde mit
ihren Bewohnern. Und mit den Worten: „So sei auch dieser Tag der wahren Liebe
geweiht!“ steht Jesus auf und steigt von Tabors Höhen wieder herab in die
Niederung.
09. Rast in der Herberge
Es ist Mittagszeit. In einem grösseren Flecken zwischen Tabor und Naim ist
Jahrmarkt, und in der Herberge geht es laut zu. Da tritt ein Wanderer ein, sucht
einen leeren Tisch, aber alles ist besetzt. Der Wirt ist stark beschäftigt und
hat den neuen Gast nicht bemerkt, und so grüsst Er, als an einem Tische Ihm
Platz angeboten wird, den Er dankend annimmt. Es ist Jesus. Am Tische sitzen
fünf Männer und zwei Frauen, und verzehren lebhaft redend ihr einfaches Mahl.
Jesus wünscht guten Appetit; da fragt die eine Frau Ihn: „Nun, hast du nichts zu
essen bei dir und magst dir nichts bestellen? Oder willst du dieses Brot von mir
annehmen? Ich habe genug, und für ein weiteres wird Gott und meine Mutter
sorgen.“
Jesus antwortet lächelnd: Thirza, deine Liebe hat Mich satt gemacht; Ich bedarf
keines Brotes mehr; nur Durst habe Ich, und der Wirt bringt schon einen Wein, da
er Mich jetzt gesehen hat. Dir aber sage Ich: „habe innig Dank!“ Der Wirt bringt
einen Becher Wein und fragt nach seinem weiteren Begehr. Da spricht Jesus: „Kann
Ich für die Nacht eine Kammer bekommen, denn Ich möchte morgen bei Tagesanbruch
weiter. Aber, Wirt, Ich sage dir: Ich habe kein Geld und keine Mittel bei Mir.“
Der Wirt spricht freundlich: „Bleib nur hier; und mein Weib will ich anweisen,
dich zu versorgen! Es kommt heute so mancher, der keinen Heller bei sich hat.“
So wird dich Gott dafür segnen!“ antwortet Jesus. Der Wirt hat viel zu tun und
geht dann in die Küche. Jesus aber trinkt schweigend Seinen Wein!
Das Mädchen Thirza schaut Ihn immer wieder an und denkt: „Welch sanfte Stimme!
Welch schöne Augen und doch wie ernst! Fürchten möchte man sich vor seinem Ernst
und doch scheint er keinen Kummer zu haben. Wie kommt es, dass er meinen Namen
weiss? Jesus trank Seinen Becher leer und machte Anstalten aufzustehen.
Die Männer, die inzwischen auch mit dem Essen fertig wurden, bestellten laut
nochmals Wein und der Wirt brachte einen Krug voll und füllte ihre Becher. Einer
von ihnen, Hiram, spricht: „Aber Wirt, warum vergisst du unsern Tischgast? Du
musst mich doch kennen, dass ich dies nicht anders tue.“ „Hast recht“, erwidert
der Wirt, in der Eile habe ich nicht daran gedacht. Doch nun, junger Freund,
trinke und sei mir deswegen nicht böse!“ „O nein“, entgegnet Jesus, böse kann
Ich dir deswegen nicht sein, aber Hiram hätte sich gefreut, so du es gleich
getan hättest; nun ist es keine besondere Freude mehr für ihn.“ Kennst du denn
meinen Freund Hiram?“ fragt der Wirt erstaunt. Jesus antwortet: „Kennen ist wohl
zu wenig gesagt da es in Meiner Eigenart liegt, jeden Menschen durch und durch
zu schauen. Siehe, du lächelst und denkst: „Der kann aber viel erzählen, ehe ich
ein Wort davon glaube. Auch ein Schwärmer!' ist es nicht so?“
Der Wirt erschrickt und spricht: „Mann Gottes, wie kannst du meine Gedanken
wissen? Doch du hast recht, ich dachte so.“ „Erschrecke deswegen nicht“,
beruhigte ihn Jesus, „denn eine so ehrliche Natur wie du braucht sich nicht zu
fürchten. Nur darum kehrte Ich bei dir ein, da Ich dich schon lange so kenne,
denn du bist ja öfter im Hause Meines Nährvaters aus- und eingegangen; doch auf
Mich kannst du dich nicht besinnen, da Joseph ungern von Mir sprach. „So bist du
wohl Jesus, der jüngste Sohn? Sei mir herzlich willkommen und fühle dich hier zu
Hause! Heute Abend sprechen wir weiter, da ich jetzt viel zu tun habe. Wie wird
sich mein Weib freuen!“ und fort war er. Die Gäste am Tisch! lauschten gespannt
den Reden, und Hiram fragt: „Du junger Mann, wo bist denn du zu Hause und wohin
geht denn dein Weg? Du hast ja nicht das geringste Gepäck bei dir.“ Jesus
antwortet freundlich: „Wozu braucht ein einzelner Wanderer Gepäck, so er in
seinem Herzen die felsenfeste Zuversicht trägt: mir wird es an nichts mangeln!
Ich komme von Nazareth und Mein Ziel ist: einen Jugendfreund, welcher in der
Nähe von Bethabara sich befindet, aufzusuchen, um, wenn möglich, nicht mehr
voneinander zu geben.“
„Da hast du noch einen weiten Weg“, spricht Hiram. „Nun ruft uns unsere Pflicht;
aber heute Abend kommen wir hier wieder zusammen und dann können wir mehr
erzählen.“ Hiram steht vom Tische auf, reicht Jesus die Hand zum Abschied, winkt
seinen Genossen und den beiden Frauen zu und verlässt grüssend das Zimmer.
„Komme, wenn du magst, doch zum Markt flüstert Thirza Jesus zu, dort findest du
uns wieder.“ Jesus lächelt, spricht aber kein Wort, und so ist der Tisch leer.
Der biedere Wirt kommt nach einer Weile und ladet Jesus zum Essen ein, da es
seine Frau so wünscht. Jesus nickt und folgt dem Wirte. In der Küche war der
Tisch für Jesus gedeckt und die Frau spricht: „Komme, du Sohn Josephs, und fühle
dich wie zu Hause! Leider ist heute viel zu tun, da viel Fremde anwesend sind,
aber ein paar Minuten werden wir schon Zeit finden.“
Jesus dankt und spricht: „Selten ist solche Liebe, die ihr Mir, einem euch doch
völlig Fremden, antut; doch Gott im Himmel wird es euch lohnen! Leider ist unter
den Menschen vieles untergegangen, was zur Beglückung aller dienen könnte, aber
deshalb höret nicht auf, zu hoffen auf Gott, denn Er kennt die Seinen und
verlässt keinen, der an Ihn glaubt.“
Nun isst Jesus und die beiden Wirtsleute freuen sich, dass es ihrem Gaste
schmeckt. Inzwischen bedient der Wirt seine übrigen Gäste noch, und so ist Jesus
mit der Wirtin allein; die anderen Hausleute aber waren noch auf dem Felde. Die
Wirtin, Hanna mit Namen, fragt: „Nun, wohin geht denn der Weg?“ Und Jesus
spricht: „Weib, deine Frage zu beantworten ist schwer, da du Mich nicht
verstehen wirst, denn einen bestimmten Weg habe Ich überhaupt nicht. Ich habe
nur ein Ziel, und zum Ziele führen viele Wege. Siehe, Mein Ziel ist: Erlösung
und Befreiung zu bringen Meinem gebundenen und geknechteten Volke. Und allen
denen, die Mir glauben und Mir vertrauen, wird diese seltene Gnade zuteil.“
Hanna fragt ungläubig: „Wie gedenkst du schwacher und kleiner Mensch, uns
Erlösung und Befreiung zu bringen? Bedenke, die mächtigen Römer beherrschen
alles; und wer sich widersetzt, wandert ins Gefängnis“. Jesus antwortet: „Höre,
wären die Römer das grösste übel, so wäre es den Gläubigen ein Leichtes sich zu
befreien! Aber, das Übel liegt leider viel, viel tiefer, und davon ist nun jeder
befallen. Es ist die Lieblosigkeit! Es ist der Hass und der Neid, die
unersättliche Geldgier und das Jagen von Genuss zu Genuss. Leider, leider glaubt
niemand, dass diese übel alle beherrschen, und die seinwollenden Gottesdiener
sind die Allerschlimmsten.“
„Du junger Mann“, spricht Hanna leise, lass dies keinen Templer hören, denn dann
wird es dir gehen wie Johannes, dem Wüsten-Prediger. Sie sinnen schon, wie sie
ihn beseitigen können; und wäre es nicht bekannt, dass Herodes ihm gut gesinnt
ist, wer weiss, was schon geschehen wäre!“
Jesus spricht: „O Weib, bedenke: Ich bin nicht Johannes, sondern Der, der Ich
bin aus Mir! Mir kann niemand widerstehen, da Gott in Mir lebt und Ich gewillt
bin, nur Seinen Willen zu tun.“
Inzwischen kommt der Wirt herein, hört noch die letzten Worte, und so spricht er
zu Jesus: „Junger Freund! Dein Vater Joseph war das Bild echter Glaubenstreue,
und Demut lebte in seinem Herzen. Du aber scheinst doch anders geartet zu sein,
denn deine Worte klingen wie Überhebung, wie Hochmut.“
„Mein lieber Joram, da irrst du gewaltig!“ entgegnet Jesus. „Was dir als Hochmut
an Mir erscheint, ist Selbständigkeit und ist Erhabenheit über alles Böse! Und
eben, weil Ich diesen hohen Abstand besitze, kenne Ich das Übel von seiner
Grundwurzel her, und niemand ist imstande, Mich darin anderen Sinnes zu machen.
Der Wirt spricht: „Du mein lieber, junger Jesus! Höre auf meinen guten Rat:
„Auch ich kenne die Menschen und liebe wen ich lieben kann. Aber noch keinem bin
ich begegnet, der allen Ernstes bezeugen konnte: Ich bin der Sieger über alles
Schlechte und Böse! Und auch Johannes scheint schon manche Erfahrung darin
gemacht zu haben, denn seine Predigt lautet immer und immer: „Tuet Busse, und
lasset euch taufen!“ Gewiss, es ist eine furchtbare, ernste Zeit und, das Sinnen
und Trachten der Menschen ist böse von Jugend auf!' Bedenke aber doch, es ist
noch keinem gelungen, Herr alles Bösen und aller Schlechtigkeit zu werden. Mache
dir nicht unnütz Feinde, denn wer weiss, wann der Messias kommt und uns ruft zum
Beistand!“
„Joram, du meinst es wirklich gut mit Mir“, antwortet Jesus, aber wie kommst du
zu der Ansicht, dass der Messias auf dem Wege ist, zu uns zu kommen?“
Der Wirt will Ihn belehren: „Mein lieber, junger Freund! Bei deinem Besuch am
Jordan, wo Johannes tauft, kannst du es hören wie Johannes lehrt: „Ich bin nur
ein Herold, ein Rufer! Doch bald wird einer kommen, der eher war denn ich; und
ich bereite dem Herrn nur die Wege!“ Nimm dazu noch die Verheissung der
Propheten und auch du kommst zu der Überzeugung: Der Messias kommt!“
Jesus fragt: „Joram, wie stellst du dir den kommenden Messias, den grossen
Erlöser und Befreier eigentlich vor? Und was glaubst du, das Er tun wird?“ Der
Wirt antwortet sinnend: „Lieber Jesus, über diese Fragen ist schon viel geredet
worden, aber wer gibt uns den rechten Aufschluss? Siehe an den Tempel, dort ist
Lug und Trug. Alles übrige Volk hofft und glaubt; doch nur der Eingeweihte
könnte es wissen. Nimm deinen Vater Joseph an, welche Hoffnung setzte er auf
dich, aber die Zeit und die Erfahrung nahmen ihm die Hoffnung, du könntest der
Erwartete sein. Nun ist er bei den Vätern; und wie lange wird es dauern, bin ich
es auch. Aber erleben möchte ich die Zeit dennoch und Den schauen, der unser
Volk erlösen wird! Wenn ich daran denke, dass auch ich mit Ihm sprechen, an
einem Tische mit Ihm sitzen könnte oh, da wird mir wohl! Da vergeht alle Trauer,
die in mir lebt um meines Volkes willen.“
Jesus fragt weiter: „Joram, liebst du nur deine Stammesgenossen? Hast du noch
nicht darüber nachgedacht, dass die Heiden und alle übrigen Völker auch von
unserem Ur-Stammvater Adam abstammen? Was kann ein Römer dafür, so seine Eltern
Römer waren? Oder was hast du beigetragen, dass dein Vater ein Jude und deine
Mutter eine Jüdin war? Ich meine, so du von dieser Anschauung ausgehen würdest,
müsste auch das Bild, die Vorstellung von der Sendung des zu erwartenden Messias
bei dir anders werden. Wenn Ich dir nun sage, Er wird allen verkünden: Mein
Reich ist nicht von dieser Welt!' Und alles, was sich auf und in dieser Welt
befindet, soll nur Mittel sein, um uns Sein ewiges geistiges Reich zu erringen.“
„Dies kann ich nicht fassen und verstehen“, antwortet der Wirt, darum ist es
richtiger, wir sprechen nicht mehr davon; die Zukunft wird uns den Beweis
erbringen. Doch nun will ich zu den anderen Gästen gehen.“
„Tue deine Pflicht“, antwortet ihm Jesus; auch Ich will Mir einmal all die
Menschen auf dem Markt ansehen, doch gegen Abend bin Ich wieder hier.“
10. Jesus geht durch den
Jahrmarkt-Trubel
Auf dem Marktplatz geht es recht lärmend zu im Gedränge der vielen, vielen
Menschen. Jesus steht abseits und beobachtet all die Menschen in ihrem Denken
und Tun. Hiram bemerkt nun Jesus, kommt eilig auf Ihn zu, zieht Ihn hin zu
seinem Wagen, auf dem Stoffe in allen Mustern und Farben liegen und wo Mira, des
Händlers Weib, mit den Kauflustigen zu tun hat. „Wo hast du denn deine Söhne und
deine Tochter?“ fragt Jesus, weilen sie nicht bei euch?“ Hiram antwortet: „Die
sind auf der anderen Seite; dort haben sie eine Bude, in der meine Tochter
Thirza tanzt. Ich bin lieber hier bei meinem Weibe, aber dich will ich doch
hinführen.“ Jesus lehnt ab: „Bleibe du ruhig hier; Ich will sie nur von weitem
sehen, denn Mich gelüstet nicht nach Tanz.“
„Hast du ein Leid, mein junger Freund?“, fragt Hiram teilnehmend, so lass es
mich wissen; denn merke dir; Hiram hilft gerne, wo er helfen kann. Freilich gibt
es auch Leiden, an denen nichts zu ändern ist.“
„Hiram, höre, was ich dir jetzt sagen will“, antwortet Jesus ernst, „es gibt ein
Leid, ein grosses und mächtiges; und es gibt auch Leiden! Jedes Leiden ist
heilbar, jedoch nicht jeder Leidende! Das Leid aber, welches Ich tief in
Meiner Seele trage, kann Mir niemand abnehmen, da es hervorgegangen ist aus
Meiner Liebe zu allen Menschen! Was würdest du fühlen, so du deinen Bruder am
Abgrund taumeln siehst, und er will deinen Warnungsruf nicht hören; dich aber
trennt eine ungeheure Kluft von ihm und du kannst deshalb nicht zu ihm eilen.“
Hiram spricht: „Ich würde selbstverständlich ungeheuren Schmerz empfinden aber
sonst wüsste ich nicht, was ich tun könnte.“ Jesus spricht weiter: „Siehe,
Hiram, diesen Schmerz trage Ich in Mir! Denn der Abgrund ist die Welt, in der
jede Menschenseele zugrunde gehen muss, so nicht Hilfe und Befreiung kommt. Die
Kluft aber zwischen dem Sehenden und dem Verirrten muss erst überbrückt werden;
und diese Brücke ist unsere wahre, reine Nächstenliebe! Eine Liebe, die nichts
sucht als nur zu dienen, um der verirrten Seele wahrhaft zu helfen.“ „Mein
junger Freund“, spricht Hiram erstaunt „wenn dich somit all dieser
Jahrmarktstrubel innerlich betrübt, warum kommst du denn hierher? Es wäre doch
besser, so du fern geblieben wärest.“ Jesus antwortet: „Lieber Hiram! Ob hier
oder da, das ist gleich. Verbunden bin Ich doch mit allen! Und was Mein Auge
nicht sieht, offenbart Mir der Geist, der in Mir lebt, der Mich alles, auch das
Geheimste fühlen und schauen lässt. Ob du es glauben magst oder nicht, Mir
bleibt nichts verborgen!“ Hiram bittet ernst: Höre auf, junger Mann, mit diesen
Reden, sonst müsste ich mich von dir trennen! Denn ich fürchte, du sprichst
nicht die lautere Wahrheit.“ „Hiram, deine Wahrheitsliebe ist bekannt“,
antwortet Jesus. „Eher gehst du selbst zugrunde, ehe du nur eine einzige Lüge
sprichst. Aber eins muss Ich dir sagen: Dein ganzes Leben ist dennoch eine
einzige grosse Lüge!“ „Wie? Was? Mein Leben eine Lüge?“ fragt Hiram erregt.
Jesus antwortet ihm: „Hiram, du erschrickst über dieses Wort; aber Ich will dir
beweisen, wie wahr Mein Wort an dich ist. Du bist ein Jude, dein Weib und deine
Kinder nicht minder, du besuchst Synagogen, den Tempel und hältst alle
Vorschriften, die dir zu deinem Heile dienen sollen. Aber dennoch bist du
unbefriedigt im Innern, denn dein Herz sehnt sich nach anderem! Dein Verlangen
geht dahin, die Wahrheit zu wissen: Wer und wo ist Gott, der Schöpfer aller
Dinge und: wie erhalte ich die einzig wahre Antwort darüber? Du warst bei
Johannes am Jordan, dein Herz blieb unbefriedigt. Dem Sinne nach gabst du ihm
wohl recht, dein Herz aber blieb hungrig und verlangend. Von deinem Weibe und
deinen Kindern verlangst du Frömmigkeit und forderst Glauben an Jehova! In dir
aber ist Widerspruch und Verlangen nach etwas, was du nicht mit Worten sagen
kannst. Nach aussen bist du ein Jude, aber nach innen ein Verwirrter. Und vom
Verwirren zum Verirren ist nur ein kleiner Schritt.“
Hiram fragt hoch verwundert: „O Herr, wer bist Du? Wie kannst Du das
Allerinnerste in mir, welches ich mit allen Kräften hütete, wissen? Du bist mehr
denn ein Mensch! Du musst ein Prophet sein, und in Dir hat Jehova Sein Volk
heimgesucht!“
„Hiram, wer Ich bin, ist nicht die Hauptsache“, antwortet Jesus, „was Ich dir
sein könnte, ist wichtiger! Denn so Ich allen helfen und dienen möchte, auch
dir, so musst du dir sagen: „Dieser ist innerlich reicher mit Seinen dreissig
Jahren, denn ich mit meinen sechzig!“ Doch der Verstand lässt ja dein Herz nicht
zu seinem Rechte kommen. Siehe, Tausende gehen befriedigt aus dem Hause Jehovas
und fühlen den Strom himmlischer Verbindung dort! Wie viele, welche Johannes
hörten, schlugen sich an die Brust und taten Busse! Dein Herz aber blieb
unberührt! Siehst du nun die Wahrheit ein, so Ich dir sage: Dein frommes Leben
ist dennoch eine Lüge!“
Du hast recht“, antwortet Hiram erschüttert „aber furchtbar ist diese Enthüllung
für mich!“
Jesus spricht weiter: „Hiram, furchtbar nennst du diese Erkenntnis, die dir
jetzt geworden ist? Warum aber greifst du nicht mit beiden Händen nach den
Meinen, die Ich dir in Liebe entgegenhalte? Weil du Furcht hast und dein Herz
verschliessest gegen den Strom von Liebe, die dich befreien will vom falschen
und verkehrten Wahn. Ich lasse dich jetzt allein; aber so du Verlangen hast nach
Mir, so rufe Mich! Ich heisse Jesus.“
Jesus lässt den Händler stehen und geht weiter. Dieser aber spricht zu sich;
Jesus? Jesus? ja, wo habe ich den Namen schon einmal gehört? Mit Jesus muss ich
schon einmal zusammen gewesen sein. Jesus? Jesus? Du bist mir bekannt und doch
so fremd! Du musst mir einmal eine grosse Wohltat erwiesen haben, aber wann und
wo?“ Sinnend und in Gedanken bei und um Jesus geht der Händler zu seinem Weibe
zurück.
Jesus aber geht weiter, schaut sich das Getriebe an und nun kommt Er an die Bude
der Tänzerin. Mit lauten Zurufen werden die Leute angelockt. In bunter Tracht
zeigt sich die Tänzerin und viele umdrängen die Tanzbude; aber niemand hat Lust
hineinzugehen, da der Abend noch fern ist.
Jetzt bemerken auch ihre Brüder unter den Leuten Jesu-; und der eine, Jose mit
Namen, spricht: „Thirza, dort ist unser Tischnachbar, lass Ihn umsonst
eintreten, vielleicht folgen andere nach.“
Thirza schaut hin, sieht Jesus, winkt Ihm und spricht: „Komme, du Freund, und
siehe dir unsere Künste an, für dich ist schon ein Platz bereit gehalten.“ Aber
Jesus schüttelt verneinend das Haupt und spricht: „Danke! Mir ist nicht nach
Belustigung zumute, Ich trage ein anderes Verlangen in Mir.“
„Aber Freund, willst du uns unsere Liebe abschlagen? gerade auf dich habe ich
mich gefreut.“ „Thirza, denke: Ich sei bei euch“, antwortet Jesus, aber
eintreten kann Ich nicht, denn es wartet zuviel anderes auf Mich; doch ehe Ich
von hier weiterziehe, sprechen wir uns noch einmall“
Und so geht Jesus langsam weiter. Jose fragt seine Schwester: „Was sagte Er zu
dir?“ Thirza aber spricht ernst: „Jose, dieser Mensch ist etwas Besonderes!
Entweder Er ist ein ganz Unglücklicher und verbirgt seinen Zustand, oder er ist
ein ganz Grosser, der der freie Herr seiner Entschliessungen ist. Warten wir ab;
noch einmal treffen wir uns, und dann wird sich wohl alles offenbaren.“
11. Erste Begegnung mit Judas
Jesus geht weiter, und jetzt kommt Er an einen Stand mit Töpferwaren. Der
Besitzer der Töpfe aber versteht kluge Worte zu reden und macht kein schlechtes
Geschäft dabei. Und nun sieht Judas auch Jesus und bietet Ihm einige seiner
Töpfe an. Jesus aber verneint und spricht: „Nicht um zu kaufen bin Ich
hergekommen, sondern um zu sehen, wieweit noch Wahrheit und rechtlicher Sinn
unter den Händlern herrscht! Deine Töpfe aber könnten billiger sein, und du
hättest schon mehr verkauft.“ „Dann müsste ich mit meiner Familie trocken Brot
essen“, entgegnet Judas, „und dies erhöht nicht die Lebensfreude.“ Jesus
spricht: „Lieber trocken Brot, aber ehrlich und getreu errungen. Dieses
Bewusstsein schafft nicht nur Lebensfreude, sondern ist es schon.
Doch hättest du diese Töpfe und noch dreimal soviel verkauft, so wärest du doch
nicht zufrieden! Denn dein Herz ist voll von dem Gedanken: Waren doch alle die
Waren mein, dann könnte ich allein auch ihren Preis bestimmen.“
Judas fragt erstaunt: „Und wäre denn etwas Schlimmeres dabei?“ “Judas! das
Allerschlimmste!“, antwortet Jesus, denn du gehörtest nicht mehr dir, sondern
deinen Töpfen und bedenkst nicht, wie zerbrechlich doch diese Waren sind; denn
liegen sie in Scherben zu deinen Füssen, sag, was dann?“ Judas schaut auf Jesus.
Dieser aber spricht weiter: „Alles was du in deinen Händen hältst, wie leicht
kann es vergehen. Was aber im Herzen lebt, bleibt auch bis über den Tod hinaus
bestehen!“ Dann lenkt Jesus Seine Schritte nach einem nahen Wäldchen, wo kein
Lärm und keine Ablenkung um Ihn ist, und ruht äusserlich und innerlich.
12. Am Abend in der Herberge
Mit dem Dunkelwerden begibt Jesus sich wieder in die Herberge. Joram, der Wirt,
ist erfreut, seinen Gast wieder zu begrüssen und ladet Ihn zum Nachtmahl ein.
Jesus aber dankt und spricht: Joram, ein anderer hat Mich in seinem Herzen schon
dazu eingeladen; es ist der Händler Hiram. Mache das Essen in deiner anderen
Stube fertig, damit wir ungestört beisammen bleiben können.
„Jesus!“, ruft der Wirt erstaunt aus, Du behauptest wieder etwas, was auch
anders sein könnte! Doch um deinetwillen geschehe es wie du willst.“
Jesus antwortet ernst: „Joram, dies geschieht nicht um Meinet-, sondern um
euretwillen! Freilich, ihr kennt Mich und Meine Sendung noch nicht. Aber in
kurzer Zeit wird der Stern auch über ganz Judäa und Samaria leuchten, der zu
Meiner Geburt nur über Bethlehem leuchtete. Gibt dir die grosse Sehnsucht, die
in dir und in allen deinen Stammesgenossen lebt, nicht zu denken? Siehe, dein
Los ist nicht das schlechteste; deine Kinder lieben dich, und du hast recht
getan, sie in Gottesfurcht zu erziehen; aber auch deine Sehnsucht hast du in
ihre jungen Gemüter gepflanzt, auch sie ersehnen einen Befreier, einen Retter
aus der Not ihres Volkes, die in Wirklichkeit eine Not ist. Doch bald wird auch
in dir Licht, und du wirst die grosse Gnade erkennen, dass Gott immer mit Seinem
Volke war. Dann merke dir: Gott kann sich nie von Seinen Kindern trennen; wohl
aber kann das Kind sich trennen von seinem Gott!“
Der Wirt fragt erstaunt: „Jesus! Jesus! Wer bist du? Was sprichst du für eine
Sprache? Wie kommst du in deinen jungen Jahren zu solcher Erkenntnis?“
Jesus antwortet: „Joram! Nur auf dem Wege der Selbsterkenntnis und Demut. Auch
du und alle Menschen müssen diesen Weg gehen! Dann wird das Wort aus Moses wahr:
Siehe, Ich sende einen Engel! vor dir her, dich zu behüten auf deinem Wege und
dich zu bringen an den Ort, den Ich dir bereitet habe! Hüte dich vor Ihm, und
gehorche Seiner Stimme, und sei nicht widerspenstig gegen Ihn; denn Er wird eure
Übertretungen nicht ertragen; denn Mein Name ist in Ihm! (2. Mose 23, Vers
20,21). Siehe, diesen Ort und dieses Ziel habe Ich erreicht und ist nun Mein
Eigen! Darum rede Ich nicht Meine Sprache, sondern die Meines Gottes und ewigen
Vaters!“
(Siehe auch Evg. Joh. 7. V. 16.)
Schluss-Betrachtung
(Aus einem Vater-Briefe vom 13. März 1881)
„Alle diese natürlichen Meinungen und Zweifel über Mich sind notwendige
Geisteswege für Meine Nachfolger, um sie in ihrem Innern von Meiner Göttlichkeit
zu überzeugen, dass von aussen her weder Einsprache noch Macht mehr im Stande
sind, sie von Mir zu trennen.
Diesen Entwicklungsgang des Glaubens haben alle Seelen durchzumachen; die Mich
finden wollen. Sie müssen Mich erst suchen und zwar: durch Befolgung Meines
Wortes.
Denn es gilt, um eine feste Überzeugung für Mein Wesen und Meine Worte zu
gewinnen, erst selber durch die Tat zu prüfen, ob Meine Worte euch beglücken und
eine Wonne in euch erzeugen. Das ist aber erst der Fall wenn ihr euch ernstlich
bemüht, die ewige Wahrheit zu erkennen. Dadurch wird der göttliche Funke in euch
zur Tätigkeit aufgefordert, und es wird ihm das Recht eingeräumt, euch mehr zu
leiten als bisher, aber auch: euch zu richten in all eurem irdischen Tun!
So wird das gottselige Geheimnis dem kindlichen Sinne, der sich der
Beeinflussung des inneren Geistes unterwirft, viel fassbarer sein als
demjenigen, welcher seinen Willen durch sich selbst oder durch seinen Verstand
ordnen will, der doch stets mehr durch die äusseren Sinne beeindruckt wird!“
Göttliches in uns kann nur durch göttliches Wollen erfasst werden!