Jakob Lorber
Jenseits der Schwelle - Sterbeszenen
( Text )
Durch das innere Wort des Geistes empfangen von Jakob Lorber.
Inhaltsverzeichnis
-
Einleitung – 27. Juli 1847
- Erste Szene Ein
Berühmter – 28. Juli 1847
- Zweite Szene Ein
Gelehrter – 2. August 1847
- Dritte Szene Ein
Reicher – 3. August 1847
- Vierte Szene Ein
Stutzer – 5. August 1847
- Fünfte Szene
Eine Modenärrin – 6. August 1847
- Sechste Szene
Ein Feldherr – 10. August 1847
- Siebte Szene Ein
Papst – 11. August 1847
- Achte Szene Ein
Minister – 12. August 1847
- Neunte Szene
Bischof Martin – 13. August 1847 ( Separates Buch )
- Zehnte Szene Der
Arme – 16. Oktober 1848
- Elfte Szene
Robert Blum – 27. November 1848 ( Separates Buch )
Anhang
- Das Wiedersehen
im großen Jenseits – 31. Mai 1852
- Ein Jenseitiger – 18.
Februar 1861
- 25. Februar 1861
- 4. März 1861
Einleitung. – 27. Juli 1847
[JS.01_47.07.27,01] Der Bruder A. H. W. möchte wissen, wie sich der Übertritt
aus dem materiellen ins geistige oder sogenannte jenseitige Leben gestaltet,
besonders bei den weltlich Großen.
[JS.01_47.07.27,02] Dieser Übertritt ist sehr leicht und ganz natürlich zu
beschreiben.
[JS.01_47.07.27,03] Siehe, welchen Unterschied macht wohl das Wasser, so
entweder ein großer oder ein armer, unbeachteter Mensch hineinfällt? Höre, beide
ertrinken auf die ganz gleiche Weise! Oder welchen Unterschied macht das Feuer?
Höre, es verzehrt den Kaiser so gut wie den Bettler!
[JS.01_47.07.27,04] Wenn ein Bettler und ein Minister oder Kaiser von einem
Turme fielen zur selben Zeit, so wird der eine so gut wie der andere seinen Tod
finden durch den jähen Fall.
[JS.01_47.07.27,05] Welchen Unterschied wohl macht das Grab zwischen groß und
klein, zwischen reich und arm, zwischen schön und häßlich oder jung und alt?
Siehe, gar keinen! Alles verwest und wird zum Unflate der Würmer und endlich zum
nichtigsten Staub.
[JS.01_47.07.27,06] Wie es aber dem Leib im Reiche der sogenannten Naturkräfte
ergeht, ebenso ergeht es auch der Seele im Reiche der Geister. Ob sie auf der
Welt Bettler oder Kaiser war, das ist im Geisterreich vollkommen gleich. Da wird
niemandem eine sogenannte Extrawurst gebraten, auf daß niemandes Eigendünkel
genährt werde und der Große nicht mehr von seiner Größe und der Arme nicht mehr
von dem Anspruch aufs Himmelreich – da er auf der Welt viel Not gelitten – und
der Fromme nicht mehr von seinem „Verdienst ums Himmelreich“ geblendet werde.
Wie aber schon öfter gesagt, drüben – wohlverstanden! – drüben gilt nichts als
nur die reine Liebe.
[JS.01_47.07.27,07] Alles andere aber ist wie ins Meer geworfene Steine, wo der
Diamant gleich dem gemeinsten Sandstein in den ewigen, stinkenden Schlamm
versinkt. In sich bleiben sie zwar wohl, was sie sind und was sie waren
außerhalb des Meeres, – aber das Los beider ist gleich, höchstens mit dem
Unterschied, daß der Sandstein eher aufgelöst wird als der Diamant.
[JS.01_47.07.27,08] Also ist es jenseits auch mit dem diesweltlichen Adel oder
mit der diesweltlichen Geringheit. Diese werden sich im Meeresschlamme der
unerbittlichen Ewigkeit wohl in ihrer Einbildung noch lange als das dünken, was
sie auf der Welt waren. Der Kaiser wird dort sich noch als Kaiser dünken und der
Bettler – mit dem Anspruch auf Vergeltung – als Bettler. Aber dessenungeachtet
werden in der großen Wirklichkeit dennoch beide miteinander im Meeresschlamme
der Ewigkeit ein gleiches Los teilen. Nur dürfte der Arme eher in die Gärung
kommen – und sein Wesen daher auch eher von den wahren, innersten Demutsbläschen
angefüllt werden, die ihn dann aus dem Schlamme ziehen und hinauftragen zum
ewigen Licht und Leben – als der Kaiser oder ein sonstiger Weltgroßer.
[JS.01_47.07.27,09] Nach diesem Muster oder nach dieser Kardinalregel könnt ihr
den Hintritt eines jeden Menschen genau beurteilen. Haltet euch daher an die
Liebe, auf daß ihr dereinst nicht des allgemeinen Loses teilhaftig werdet! Amen.
Amen. Amen.
Erste Szene: Ein
Berühmter. – 28. Juli 1847
[JS.01_001,01] Gehen wir an das Krankenlager eines großen, äußerst berühmten
Mannes der Welt – und zwar einige Stunden vor dem Hintritt in die Ewigkeit – und
betrachten da sein Benehmen diesseits und seinen Eintritt ins Jenseits und wie
sich da die zwei Welten begegnen und ineinander übergehen mit einem Blick, und
es wird sich euch sogleich sonnenhell zeigen, wie so ganz und gar voll Wahrheit
die vorhergehende Kardinalregel diese Sache darstellt.
[JS.01_001,02] Seht, dieses Menschen Taten und Handlungen in der Welt waren von
solcher Art und wurden auf einem solchen Boden ausgeführt – von dem zumeist das
resonierende Echo die ganze Erde durchschwirrt wie ein zischender Meteor –, daß
sie aller Menschen Augen auf sich zogen und wegen des starken Bodenwiderhalls an
allen Punkten der Erde vernommen und weidlichst pro und kontra besprochen und
beschrieben wurden, und zwar auf so viel Papier, daß man damit ganz Europa
überziehen könnte. Und nun liegt dieser große Mann, dieser Philanthrop, dieser
hitzige Scheinverfechter politischer und kirchlicher Interessen seiner Nation
hingestreckt auf seinem Lager voll Verzweiflung und Furcht ob der
herbeigekommenen letzten Stunde, der zu entgehen sich für ihn auch nicht die
leiseste Hoffnung mehr herausstellt.
[JS.01_001,03] In einer Art dumpfer, schmerzlichster Verwirrung sieht er – als
heimlicher Atheist – bald die ewige Vernichtung seines Daseins, bald fühlt er
wieder vermeintliche Schmerzen der Verwesung, darum er sich auch die
Einbalsamierung testamentarisch bedingt, – und daß er im Grabe nimmer erwache,
müssen Herz und Eingeweide von seinem Leibe getrennt werden, und damit diesen
getrennten Teilen die Zeit nicht zu entsetzlich lang werde, müssen sie an
solchen Orten beigesetzt werden, die nicht gar zu selten von Menschen besucht
werden.
[JS.01_001,04] Aber mitten unter solche vernichtende Gedanken mischt sich auch
der Katholizismus mit seinen scharfen Höllenandrohungen, über die der Mann bei
sich freilich gelacht hatte, solange er noch hundert Jahre zu leben wähnte. Aber
sie kehren nun wie leicht entflohene Furien zurück und peinigen das sich so
mancher großen Schuld bewußte Gemüt unseres Sterbenden ganz entsetzlich, und es
können sein Gemüt weder die Kommunion noch die Ölung, noch die ununterbrochenen
Gebete und vielen Messen und das starke Glockengeläut beschwichtigen. Nur stets
gräßlicher und stets ewiger sieht seine Seele die Flamme des Pfuhls
emporschlagen.
[JS.01_001,05] Da entflieht all seine frühere Manneskraft und all seine
Philosophie ist rein am Hunde, und sein brechendes Herz sinkt schon in die stets
dichter und dichter werdende Nacht des Todes. Und die Seele, von allen Seiten
von höchster Angst bedräut, sucht noch in den letzten Atemzugsperioden ein
Trostfünklein in den schon tot werdenden Furchen des Herzens, das einst soviel
irdischen Mut hatte. Aber da ist es überall leer und statt des Trostes starrt
ihr überall entweder die ewige Vernichtung oder die Hölle mit all ihren
Schrecken entgegen.
[JS.01_001,06] Also sieht es diesseits aus; nun aber machen wir auch einen Blick
ins Jenseits.
[JS.01_001,07] Siehe, da stehen drei verhüllte Engel am entsprechend gleich
aussehenden Lager unseres Sterbenden und betrachten unsern Mann mit unverwandtem
Blick.
[JS.01_001,08] Nun spricht A zu B: „Bruder, ich meine, für den ist es irdisch
vollbracht. Auf dieser Dornhecke werden irdisch wohl nimmer Trauben zum
Vorschein kommen. Sieh, wie sich seine Seele krümmt und windet und keinen Ausweg
findet und wie gar so verkümmert der arme Geist in ihr aussieht! Daher greife du
mit deiner Hand in die schon starren Eingeweide und entwinde diese gar
jämmerlich elende Seele aus ihrer Nacht, und ich werde sie in des Herrn Namen
anhauchen und sie erwecken für diese Welt. Und du, Bruder C, führe sie dann des
Herrn Wege ihrem Bestimmungsorte zu nach der Freiheit ihrer Liebe. – Es
geschehe!“
[JS.01_001,09] Nun greift der Engel B in die Eingeweide unseres Mannes und
spricht: „Im Namen des Herrn – erwache und werde frei, du Bruder, nach deiner
Liebe. Es sei!“
[JS.01_001,10] Nun sinkt diesseits die sterbliche Hülle in den Staub, jenseits
aber erhebt sich eine blinde Seele!
[JS.01_001,11] Aber der Engel A tritt hinzu und spricht: „Bruder, warum bist du
blind?“ Und der Neuerwachte spricht: „Ich bin blind. Macht mich sehend, so ihr
könnt, auf daß ich erfahre, was da mit mir vorgegangen ist, da mich nun auf
einmal all meine Schmerzen verlassen haben!“
[JS.01_001,12] Darauf behaucht A die Augen des Erwachten, und der Erwachte
öffnet sie und schaut ganz erstaunt um sich und sieht niemand außer den Engel C
und fragt ihn: „Wer bist du? Und wo bin ich? Und was ist mit mir vorgegangen?“
[JS.01_001,13] Antwortet der Engel: „Ich bin ein Bote Gottes, des Herrn Jesu
Christi, bestimmt, dich zu führen, so du willst, des Herrn Wege. Du aber bist
nun für ewig gestorben für die äußere, materielle Welt körperlich und befindest
dich nun in der Geisterwelt.
[JS.01_001,14] Hier stehen dir zwei Wege offen: der Weg zum Herrn in den Himmeln
oder der Weg zur Herrschaft der Hölle. Es kommt nun ganz auf dich an, wie du
wandeln wirst. Denn siehe, hier bist du vollkommen frei und kannst tun, was du
willst. Willst du dich leiten lassen von mir und mir folgen, so wirst du wohl
tun. Willst du aber lieber dich selbst bestimmen, so steht es dir auch frei.
Aber das wisse, daß es hier nur einen Gott, einen Herrn und einen Richter gibt –
und dieser ist Jesus, der in der Welt Gekreuzigte! Auf Diesen allein halte, so
wirst du zum wahren Licht und Leben gelangen. Alles andere aber wird sein Trug
und Schein deiner eigenen Phantasie, in der du nun lebst und von mir dieses
vernimmst!“
[JS.01_001,15] Darauf spricht der Erwachte: „Das ist ja eine neue Lehre und ist
wider die Lehre Roms, also eine Ketzerei! Und du, der du sie mir hier an
einsamem Orte aufdrängen willst, scheinst eher ein Abgesandter der Hölle als des
Himmels zu sein; daher entferne dich von mir und versuche mich fürder nicht!“
[JS.01_001,16] Und der Engel C spricht: „Gut, deine Freiheit enthebt mich in des
Herrn Jesu Namen meiner Sorge um dich. Daher werde dir dein Licht; es sei!“
[JS.01_001,17] Darauf entschwindet der Engel C, und der Neuerwachte tritt in
seine naturmäßige Sphäre und ist so wie unter seinen Bekannten in der Welt und
erinnert sich kaum mehr, was da mit ihm vorgefallen ist, und lebt nun – freilich
schimärenhaft – wie auf der Welt, tut fort, was er auf der Welt tat, und kümmert
sich wenig weder um den Himmel noch um die Hölle und noch weniger um Mich, den
Herrn. Denn das alles sind bei ihm drei vage Lächerlichkeiten gleich einem
Traumgebilde, und jeder ihn daran Erinnernde wird aus seiner Gesellschaft
gewiesen.
[JS.01_001,18] Sehet, aus diesem ersten Exempel könnt ihr nun schon entnehmen,
in welch ein „Wasser“ unser großer, berühmter Mann gefallen ist. Die ferneren
Beispiele werden diese Sache aber noch heller erleuchten.
Zweite Szene: Ein
Gelehrter. – 2. August 1847
[JS.01_002,01] Gehen wir an das Krankenlager eines Gelehrten, für dessen
irdische Lebenserhaltung – wie ihr zu sagen pflegt – kein Kräutlein mehr
gewachsen ist, und betrachten diesen zweiten berühmten Mann, wie er sich in den
letzten Stunden noch diesseits befindet – und wie er drüben erwacht und welche
Richtung ihm seine Liebe gibt.
[JS.01_002,02] Der Mann, den wir nun betrachten werden, war auf der Welt ein
Philosoph und zugleich ein Astronom „in optima forma“, wie ihr zu sagen pflegt.
[JS.01_002,03] Dieser Mann hat in seinem großen Eifer, die Sterne zu mustern und
zu berechnen, ein Alter von etlich siebzig Jahren erreicht, hat sich aber bei
einer anhaltenden Sternguckerei an einem sehr kalten Winterabend dergestalt
abgekühlt, daß man ihn bei seinem Tubus beinahe ganz erstarrt angetroffen hatte,
von wo er dann von seinem Freunde sogleich in seine erwärmte Wohnung gebracht
und augenblicklich mit der bestmöglichen ärztlichen Hilfe versehen ward, der
zufolge er auch in der Zeit von ein paar Stunden wieder soweit zurechtgebracht
wurde, daß er seinen sogenannten letzten Willen seinen Freunden kundgeben
konnte, welcher also lautete:
[JS.01_002,04] „Im Namen der unerforschlichen Gottheit! Da man nicht wissen
kann, wie lange das unerforschliche Geschick einem Menschen noch dies elende
Leben belassen wird, und man auch nicht weiß, welch ein Ersatz einem dafür
zuteil wird, so ist es mein Wille, daß ihr, meine lieben Freunde, zuerst meinen
Leichnam – so ich sterben sollte – durch Einbalsamierung vor der Verwesung
bewahret und ihn in einem wohlvermachten Kupfersarge in eine Gruft bringet,
darin schon mehrere meiner wertesten Kollegen ruhen und gewisserart meiner
harren. Das Eingeweide aber, das da zuerst in Fäulnis übergeht, tuet in eine
eigene Testinal-Urne unter Spiritus und setzet es in mein Museum an einen Ort,
der jedermann sogleich in die Augen fällt, auf daß ich wenigstens in der
Erinnerung der Menschen fortlebe, so schon an kein anderes Fortleben nach dem
Tode des Leibes zu denken ist.
[JS.01_002,05] Was mein Vermögen betrifft, so wisset ihr, meine Freunde, es
ohnehin, daß ein Gelehrter auf dieser Welt selten mehr besitzt, als er zu seinen
täglichen geistigen und physischen Auslagen benötigt, und so ist es denn auch
bei mir jetzt, wie es allezeit war. Ich habe kein Geldvermögen je gehabt und
kann daher auch keines hinterlassen. Veräußert aber bald nach meinem Hintritt
meine hinterlassenen Effekten und besorget damit das, was ich gleich anfangs
anbefohlen habe.
[JS.01_002,06] Meine drei noch lebenden Kinder, die alle gut versorgt sind,
benachrichtiget, wenn ich nicht mehr bin, und der älteste Sohn, mein Liebling,
der mein Fach gewählt hat, soll der Erbe meiner sämtlichen Bücher und Schriften
sein und soll ehestmöglich meine noch unedierten Schriften zum Drucke befördern.
[JS.01_002,07] Damit sei mein Wille beschlossen für diese schöne Sternenwelt,
die ich fürderhin nimmer schauen und berechnen werde!
[JS.01_002,08] Ach, was ist doch der Mensch für ein elend Wesen! Voll erhabener
Ideen, voll überirdischer Hoffnungen, solange er noch gesund auf der Erde
umherwandelt, – aber am Rande des Grabes schwinden sie alle dahin wie die Träume
und Luftschlösser eines Kindes und an ihre Stelle tritt die traurige
Wirklichkeit, der Tod als der letzte Moment unseres Daseins und mit ihm die
Vernichtung, die keine Schranken hat!
[JS.01_002,09] O Freunde! Es ist ein schwerer, schrecklicher Gedanke vom „Sein“
bis zum „Nichtsein“ für den, der – wie ich nun – am Rande des Grabes steht! Mein
Inneres ruft mir zu: ‚Du stirbst, du stirbst jetzt! Nur wenige Minuten noch und
über dein ganzes Wesen hat sich die schwarze Nacht der ewigen, schrankenlosen
Vernichtung gesenkt!‘ O Freunde, dieser Zuruf ist erschrecklich für den, der am
Grabesrande steht, mit dem einen Auge noch die lieben schönen Sterne beschaut
und mit dem andern die ewige tote Nacht, in der keine Idee die Moderasche
durchweht, kein Bewußtsein, keine Erinnerung!
[JS.01_002,10] Wohin, wohin wird dieser Staub in tausend Jahren verweht werden?
Welcher Orkan wird ihn aus dem Grabe entwirren, und welche Meereswoge wird ihn
dann wieder verschlingen oder welch anderes neues Grab?
[JS.01_002,11] O Freunde! Reicht mir einen Trank, denn ich bin ganz entsetzlich
durstig! Einen Trost gebt mir zur Linderung meiner großen Angst! Gebt mir den
besten Wein – und viel, damit ich mich noch einmal erquicke und berausche und
leichter den schrecklichen Tod erwarte!
[JS.01_002,12] O du furchtbarer Tod, du größte Schande für den erhabenen
Menschengeist, der so Herrliches erschaffen hat und Entdeckungen gemacht, die
ihm zur größten Ehre gereichen! Dieser Geist muß nun sterben, die größte Schande
ist sein Lohn: der Tod, die ewige Vernichtung!
[JS.01_002,13] O Fatum, o Gottheit, habt ihr ewige Sterne kreieren können, warum
nicht auch einen Menschen, der nicht stürbe?! O du Tollheit, wie groß mußt du
sein in der Gottheit, die ein Vergnügen daran hat, Erhabenstes zu erschaffen, um
es dann wieder zu zerstören auf ewig oder zu bilden aus Menschen schändlich
Gewürm oder Infusorien!
[JS.01_002,14] Muß ich denn sterben? Warum muß ich denn sterben? Was tat ich,
was taten Millionen, daß sie sterben müssen? Wahrlich, in einem Tollhause hätte
eine bessere Schöpfungsnorm statuiert werden können, als diese sterbliche da
ist, gestellt von einer höchst weise sein sollenden Gottheit!“
[JS.01_002,15] Hier ermahnten die umstehenden Freunde und Ärzte unseren
Astronomen zur Ruhe, die ihm not tue, so er wieder genesen wolle. Denn es stünde
ja noch nirgends geschrieben, daß er nun wegen dieser freilich wohl sehr starken
Verkühlung sterben müsse, wohl aber könnten ihm solche mächtigen
Gemütsaufregungen im Ernste das teure Leben kosten.
[JS.01_002,16] Diese Mahnung aber fruchtete bei unserem Astronomen sehr wenig,
denn er fuhr darauf nur desto ärger auf und sprach in einem höchst aufgeregten
Ton: „Weg, weg mit eurer Hilfe! Weg mit diesem elenden verfluchten Leben! Wenn
der Mensch nicht ewig leben kann, dann ist das Leben die größte und
schändlichste Prellerei und der Tod und das Nichtsein nur die Wahrheit! Schämen
muß sich der Weise eines solchen Scheußlebens, das nur von heute bis morgen
dauert! Ich will daher auch nicht mehr leben! Mich ekelt nun dieses miserabelste
Leben tausendmal mehr an als der elendeste Tod; daher gebt mir Gift, stärkstes
Gift gebt mir, auf daß ich ehestens dieses Scheußlebens loswerde! Verflucht sei
solch ein Leben, solch ein Mückenleben, und ewige Schande der Urkraft oder
Gottheit oder welch ein Kloakengeist sie sonst ist, die es nicht konnte oder
nicht wollte, dem erhabenen Menschen ein Leben zu geben, das sich mit den
Sternen auch der Dauer nach messen könnte! Daher weg mit diesem Leben, weg mit
dieser Gottheitsprellerei! Kann sie dem Menschen kein besseres Leben geben, so
soll ihr auch für das gepfiffen sein, das mag sie für sich behalten! Lebt wohl,
ihr meine lieben Freunde, ich sterbe, ich will sterben, ja ich muß sterben; denn
nun könnte ich als ein erhabenster Menschengeist nimmer die Schande dieses
Fopplebens ertragen!“
[JS.01_002,17] Hier ermahnen die Ärzte unseren Astronomen wieder zur Ruhe. Aber
er verstummt und gibt keinen Bescheid mehr. Die Ärzte reichen ihm Moschus, aber
er schleudert ihn von sich. Die Ärzte bitten ihn, daß er Medizin nehmen solle,
aber er wird stets stummer und fängt an zu röcheln. Man reibt ihn und sucht ihn
wieder aus dieser Lethargie zu retten, allein es ist vergeblich. Nach einer Zeit
von ein paar Stunden legt sich zwar das Röcheln, aber an seine Stelle tritt ein
grelles Delirium – in der Welt also erscheinlich –, in welchem der Astronom
folgendes mit einer hohlen Kreischstimme aussagt:
[JS.01_002,18] „Wo seid ihr denn, die ich so sehr liebte, ihr schönen Sterne?
Schämt ihr euch meiner denn, weil ihr euer holdes Antlitz vor mir verberget? O
schämt euch meiner nicht! Denn euer harret ja ein gleiches Los, das mich nun
getroffen. Ihr werdet auch sterben, wie ich nun gestorben bin! Aber grollet
darum dem schwachen Schöpfer nicht, wie ich ihm gegrollt habe. Denn seht, er
hatte sicher wohl den besten Willen, aber zu wenig Weisheit und Kraft, darum
alle seine Werke so hinfällig und vergänglich sind. Er hätte freilich wohl
besser getan, wenn er nie etwas erschaffen hätte, wodurch er sich bei uns,
seinen weisen Geschöpfen, nur blamiert hat; denn ein unvollkommenes Werk läßt
auf keinen vollkommenen Meister schließen! Daher nicht mehr gegrollt dem armen
Hascher von einem Schöpfer, der am Ende zu tun haben wird, sich selbst über die
schrankenlose Vergänglichkeit all seiner Werke hinaus zu erhalten.
[JS.01_002,19] O du armer Schöpfer du! Jetzt sehe ich es erst ein, daß du wohl
ein recht gutes Wesen bist und selbst die größte Freude hättest, so dir deine
Schöpfung besser gelungen wäre, aber: ‚Ultra posse nemo tenetur‘. Ein Schelm,
der's besser machen will, als er's kann. Du aber hast es nicht über dein
Vermögen besser gemacht, daher bist du auch kein Schelm!
[JS.01_002,20] O du armer guter Mensch Jesus, der du der Welt wohl die weiseste
Moral gegeben hast unter mehrfachen Scheinwundern! Du hast dich auch zu viel auf
deinen vermeintlichen Gott-Vater verlassen, der dich gerade dann ob seiner
evidenten Schwäche im Stiche ließ, als es gerade am meisten an der Zeit gewesen
wäre, dich am mächtigsten mit einer Allkraft zu unterstützen, mit der du deine
Feinde hättest wie Spreu verwehen können! Als du am Schandpfahle hingst, war es
freilich wohl zu spät auszurufen: ,Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen!?‘ Denn sieh, dein Gott hat dich schon lange verlassen müssen, weil
ihm für deine wie nun für meine Erhaltung die Kraft ausgegangen ist! Er tat
zwar, was er konnte, und hätte auch gern mehr getan, aber siehe, da gilt immer
das ‚ultra posse nemo tenetur‘! –
[JS.01_002,21] Ah, das ist aber doch lächerlich! Jetzt bin ich gestorben und
lebe aber dennoch – wie ein gefoppter Esel! Das Rarste bei der Sache ist, daß es
mir nun geradeso vorkommt, als wäre es die reinste Unmöglichkeit, je sterben zu
können! – Wo aber nur die Erde hingerutscht ist, und meine guten Freunde? Ich
sehe zwar nichts und höre auch nichts, außer mich allein nur, aber ich bin dabei
bei hellstem Bewußtsein, und meine Erinnerung erstreckt sich nun ganz klar bis
tief und weit über den Mutterleibesstand zurück. Es ist wahrlich sonderbar!
Sollte die Gottheit mir etwa zeigen wollen, daß sie mehr vermag, als ich in
dieser meiner letzten Zeit von ihr erwartet habe? Oder lebt noch mein Leib im
allerletzten Vernichtungsmoment und mein nunmehriges Leben gleicht dem Nachglanz
jener Sonnen, die vor Trillionen Jahren erloschen sind und nur in der Emanation
ihres Lichtes durch den unendlichen Raum fortleben?
[JS.01_002,22] Aber für solch ein Scheinleben, das – mathematisch richtig – wohl
auch ewig dauern muß, weil der ausgehende Strahl nie an eine endliche Grenze
stoßen und somit nie völlig aufhören kann, bin ich mir meiner selbst nun zu klar
bewußt, ja tausendmal klarer als je irgendwann in meinem ganzen irdischen Leben.
Nur, wie gesagt, daß ich nichts höre und sehe außer mich allein. – Aha, aha,
still nun! Mir kommt es vor, als vernähme ich ein leises Gemurmel, ein
Geflüster! Auch will sich meiner wie ein leiser, sehr süßer Schlaf bemächtigen.
Und doch ist es kein Schlaf, – nein, nein, es ist nur, als ob ich von einem
Schlafe erwachen sollte!? – Doch nun stille, stille; ich höre Stimmen aus der
Ferne, bekannte Stimmen, sehr bekannte Stimmen! Stille, sie kommen, sie kommen
näher!“
[JS.01_002,23] Hier verstummte unser Astronom völlig und bewegte auch die Lippen
nicht mehr, woraus die ihn umstehenden Freunde und Ärzte schlossen, daß es nun
mit ihm völlig aus sein werde, da ohnehin die halbe Rede, die hier angeführt
ist, von den Umstehenden mehr als ein röchelndes Gekreische denn als ein
artikulierter Ausdruck vermeintlicher innerer Phantasie des starr werdenden
Organismus vernommen ward.
[JS.01_002,24] Die Ärzte schritten zwar wohl noch zu den extremsten
Wiederbelebungsmitteln – aber sie waren nun fruchtlos – und ließen dann den nach
ihrer Meinung in die tiefste Lethargie versunkenen Astronomen ruhen und warteten
ab, was die Natur von selbst zum Vorschein bringen werde. Aber sie warteten
vergeblich, denn die Natur brachte da weiter nichts zum Vorschein als den bald
wirklich erfolgte Leibestod.
[JS.01_002,25] Wo aber für der Ärzte Natur die „ultima linea rerum“ erfolgt ist,
da empfehlen sie sich. Und wir empfehlen uns auch, aber nicht wie die Ärzte,
sondern wie Geister, die dem für dieser Erde gestorbenen Manne auch ins Jenseits
folgen können und beobachten, was er da beginnen wird und wohin sich wenden.
[JS.01_002,26] Sehet, da ist er noch ganz wie auf der Welt auf seinem Lager –
und daneben niemand außer die drei euch schon bekannten Engel. Und dort hinter
den drei Boten noch Jemand!
[JS.01_002,27] Hört, noch redet er und spricht: „Siehe, nun höre ich wieder
nichts. Was waren denn das früher für akustische Täuschungen? Hm, hm, nun alles
mäuschenstill. Bin ich denn noch, oder ist es aus mit mir? Oh, aus ist es auf
keinen Fall, denn ich fühle mich ja, ich bin mir klarst bewußt ich denke, ich
erinnere mich an alles haarklein, was ich je verrichtet habe, – nur die Nacht,
Nacht, die verruchte Nacht, die will nicht weichen! Ich will einmal aus Spaß
doch zu rufen anfangen, und das so laut als möglich. Vielleicht wird mich per
Spaß doch jemand vernehmen?! – Heda! – Niemand in meiner Nähe, der mir aus
dieser Nacht hülfe?! Zu Hilfe, so da jemand sich zufällig irgend in meiner Nähe
befindet!“
[JS.01_002,28] Nun meldet sich der Bote A und spricht zu B: „Bruder, hebe ihn
aus seinem Grabe!“ Und der Bote B beugt sich über den Astronomen und spricht:
„Es geschehe dir, wie es der Herr allen Lebens und Seins ewig gleich will, –
erhebe dich aus deinem irdischen Grabe, du irdischer Bruder!“
[JS.01_002,29] Seht, nun erhebt sich im Augenblick der Astronom und sein Leib
fällt wie ein aufgelöster Dunst zurück! Aber der Astronom ruft: „Bruder, hast du
mich aus dem Grabe gezogen, so ziehe mich auch aus meiner Nacht!“ Und der Bote C
spricht: „Also ist es von Ewigkeit des Herrn Wille, daß alle Seine Geschöpfe,
und ganz besonders Seine Kinder, Licht haben und im Lichte wohlsehend wandeln
sollen. Sonach öffne deine unsterblichen Augen und sehe und schaue, was dir
wohlgefällt. Es sei!“
[JS.01_002,30] Nun öffnet der Astronom in der geistigen Welt zum ersten Mal
seine Augen und sieht klar seine Umgebung und hat eine rechte Freude, daß er –
nach seiner Idee – nun wieder Menschen sieht und einen Boden, auf dem er fußt.
Nun fragt er aber: „Liebe Freunde, wer seid ihr denn? Und wo bin ich? Denn mir
kommt es hier zum Teil sehr heimelig und zum Teil doch wieder sehr fremd vor.
Auch bin ich so leicht und ungewöhnlich gesund und begreife nicht so recht, wie
ich hierher gekommen bin und wie eurer Worte Kraft mich sehend gemacht hat. Denn
ich war im Ernste stockblind!“
[JS.01_002,31] Der Engel A spricht: „Du bist für die Welt dem Leibe nach
gestorben und bist nun – für ewig lebend deiner Seele und deinem Geiste nach –
hier in der eigentlichen wahren Welt des Lebens der Geister. Wir drei aber sind
Engel des Herrn, zu dir gesandt, dich zu erwecken und zu führen den rechten Weg
zum Herrn, deinem Gott und unserem Gott, zu deinem Vater voll Liebe, Geduld und
Erbarmung, Der auch unser Vater ist, heilig, überheilig, Den du in deiner
letzten Erdenstunde ,eine schwache Gottheit‘ nanntest, da du blind warst, Der
dir aber auch alles verzieh, darum, weil du blind und schwach warst! Nun weißt
du alles, tue nun danach und du wirst überselig sein gleich uns ewig!“
[JS.01_002,32] Der Astronom spricht: „Brüder, Freunde Gottes, führt mich, wohin
ihr wollt, ich folge euch! Aber wenn ich je der endlosen Gnade sollte teilhaftig
werden, zur Anschauung Gottes zu gelangen, da stärket mich gewaltigst! Denn zu
elend, schmachvoll und unwert fühle ich mich für ewig, diesen heiligsten Anblick
zu ertragen! – Aber dort sehe ich ja noch jemanden, der uns gar so freundlichst
anblickt! Wer ist denn dieser Herrliche? Sicher auch ein Bote der Himmel?“
[JS.01_002,33] Der Engel A spricht: „Ja, wohl ein Bote aller Himmel! Gehe hin zu
Ihm, der Weg ist kurz. Er Selbst wird es dir offenbaren.“
[JS.01_002,34] Der Astronom geht hin, und der gewisse Jemand geht ihm entgegen
und spricht: „Bruder, kennst du Mich denn nicht?“ Und der Astronom antwortet:
„Wie sollte ich dich kennen, sehe ich dich doch zum ersten Male?! Wer bist du
aber, du lieber, herrlicher Bruder?“
[JS.01_002,35] Der Freundlichste spricht: „Siehe an Meine Wundmale! Siehe, Ich
bin dein schwacher Jesus und komme dir entgegen, um mit Meiner Schwäche zu
helfen deiner Schwäche; denn käme Ich mit Meiner Kraft dir entgegen, so hättest
du kein Leben! Denn siehe, jedes beginnende Leben ist eine zarte Pflanze, die
ohne Luft nicht fortkommt, aber der Orkan tötet das Leben der Pflanze! Also bin
Ich nun auch nur ein zartes Lüftchen, dir entgegenkommend, um dich voll zu
beleben, und kein Orkan, dich zu zerstören. Liebe Mich, wie Ich dich liebe von
Ewigkeit, so wirst du das wahre ewige Leben haben!“
[JS.01_002,36] Spricht der Astronom: „O du mein allergeliebtester Jesus! Du also
bist es, – der die herrlichste Lehre den Bewohnern der Erde gegeben und sie dich
dafür gekreuzigt haben!? O lehre auch mich den rechten Weg, der zu Gott führt,
den du gelehrt hast; von mir sollst du dafür nie gekreuzigt werden! Aber, so es
dir möglich, lasse mich dabei auch die große Schöpfung in ihrer Klarheit
beschauen, die mich durch mein ganzes Leben so sehr beschäftigt hat!“
[JS.01_002,37] Spricht Jesus: „Dein Weg zu Gott wird nicht weit sein, so du ihn
sogleich betreten willst; willst du aber zuvor deine Sterne durchmustern, dann
wirst du einen langen Weg haben. Wähle nun, was du lieber willst!“
[JS.01_002,38] Spricht der Astronom: „Mein geliebtester Jesus, siehe, für Gott
bin ich noch lange nicht reif. Daher sei mir, so es dir möglich ist, behilflich,
daß ich in den Gestirnen reif werde.“
[JS.01_002,39] Spricht der Herr: „Es geschehe dir nach deiner Liebe! Aus diesen
drei Engeln wähle dir einen, der dich führen wird und dir am Ende deiner Reise
zeigen, Wer dein vermeintlicher Jesus ist, Den du als einen Menschen kennst, der
gekreuzigt ward!“ –
[JS.01_002,40] Sehet nun wieder, wie dieser Astronom sein „Wasser“ sucht und nur
im selben Mir zuschwimmen will, nicht beachtend, daß Ich schon bei ihm und er
bei Mir war! Daher hütet euch vor dem zu gelehrten Wasser der Sternkundigen und
Geologen, denn es hat seinen Zug nicht nach Mir, sondern nach der Liebe des
Gelehrtenfaches! – Zu diesem Zweck dies längere Exempel. – Amen.
Dritte Szene: Ein
Reicher. – 3. August 1847
[JS.01_003,01] Da sind wir schon wieder am Sterbebett eines Mannes, der sehr
reich war, seinen Reichtum rechtmäßig verwaltete, seine Kinder möglichst
wohlerzog und dabei die Armen stets bestens bedachte, – freilich mitunter auch
manchmal für ein sogenanntes vergnügtes Stündchen jene armen, aber jungen
Schwesterchen, die um einen Herzogspfennig (Dukaten) für allerlei lustige Dinge
zu haben sind. Daneben aber hielt er im Ernste große Stücke auf die Heilige
Schrift, las oft und fleißig darin und glaubte fest, daß Jesus der eigentliche
Jehova ist, denn er lernte solches aus Swedenborgs Werken, von denen er in
seinen Musestunden bis auf einige kleine Werkchen alle gelesen hatte.
[JS.01_003,02] Solche seine Belesenheit aber machte ihn auch sehr aufbrausend,
so er jemanden über Jesus gleichgültig oder gar schmählich reden hörte, und
befand sich irgend ein solcher „Antichrist“ in seiner Gesellschaft, so mußte
dieser sich beizeiten aus dem Staube machen, ansonst er wohl die übelsten und
sehr handgreiflichen Folgen zu befürchten hatte. Kurz und gut, unser Mann war
ein vollkommener strenger Held fürs reine Christentum.
[JS.01_003,03] Dieser Mann erkrankte in seinem bedeutend vorgerückten Alter, und
zwar infolge einer großen Festtafel, bei der er des Guten schon ohnehin zuviel
tat, und nach der Tafel besonders ob des – wegen des durch die vielen starken
Weine zu sehr aufgereizten Blutes – gepflogenen zweimaligen Beischlafes mit
einer jungen, fleischlich sehr üppigen Schwester.
[JS.01_003,04] Als unser Mann nach solcher Expedition nach Hause kam, empfand er
einen leichten Schwindel, den er für ein „Räuschel“ hielt. Aber er irrte sich.
Kaum war er im Begriff ins Bett zu steigen, als ihm schon die Füße den Dienst
versagten. Er stürzte für die Welt bewußtlos zusammen und war – wir ihr zu sagen
pflegt – auch schon mausetot.
[JS.01_003,05] Daß die Seinigen – zutiefst erschreckt – augenblicklich alles
aufboten, ihren Hausvater zu erwecken, versteht sich von selbst. Aber es war
vergebliche Mühe, – denn was einmal von den Engelsgeistern geholt wird, das
erwacht für diese Welt nimmer.
[JS.01_003,06] Es ist daher bei diesem Manne diesseits nicht viel mehr zu
beschauen und zu behorchen, darum wollen wir uns aber auch sogleich in die
Geisterwelt begeben und sehen, wie sich unser Mann dort ausnimmt, was er beginnt
und wohin er sich wendet.
[JS.01_003,07] Vor allem aber müßt ihr wissen, daß Menschen, die von einem
Totalschlag gerührt werden, durchaus nicht wissen und auch nicht im geringsten
merken, daß und wie sie gestorben sind. Sie finden keine Veränderung – weder
ihres Hauswesens, wie sie es auf der Erde hatten, noch in ihrem Befinden, außer
daß sie ganz gesund sind, was sie aber gewöhnlich auf der Welt auch waren.
Desgleichen sehen sie auch keine Engel, obschon diese nahe bei ihnen sich
befinden, und vernehmen auch nicht das Geringste aus der Geisterwelt, in der sie
sich doch vollkommen befinden. Kurz und gut, sie sind in allem und jedem wie
noch ganz auf der Welt. Sie essen und trinken, sie leben in ihrem wohlbekannten
Ort, in ihrem Hause und vollends in ihrem Familienkreis, da ihnen sozusagen kein
teures Haupt fehlt.
[JS.01_003,08] Also war und ist es auch mit unserem Manne der haargleiche Fall,
– seht, nun schon in der Geisterwelt! Er steigt ganz guter Dinge in sein Bett in
seinem wohlbekannten Schlafzimmer, das hier ganz auf ein Haar mit all dem
eingerichtet ist wie das auf der Erde. Seht, wie ganz gemächlich er sich im
Bette ausstreckt und den Schlaf sucht und erwartet! Aber dieser einzige Umstand
macht unseren Mann etwas stutzig, daß er diesmal zu keinem Schlafe kommt, – denn
der Schlaf ist den Geistern fremd. Sie haben wohl auch einen entsprechenden
Zustand, der dort Ruhe heißt, aber im wesentlichen nicht die leiseste
Ähnlichkeit mit dem irdischen Schlafe hat.
[JS.01_003,09] Behorchen wir nun aber unseren Mann selbst und sehen, wie er sich
in seinem neuen Zustande benimmt und wie er ihm vorkommt. Hört, was er nun im
Bette spricht: „Du, Lini, schläfst du?“ Die Lini (sein Weib) richtet sich auf
und fragt: „Was willst du, lieber Leopold, fehlt dir etwas?“ (NB. Weib und
Kinder und sonstige zum Hause Gehörige werden durch eigens dazu beorderte
Geister wie verdeckt dargestellt.) Spricht der Mann: „Nein, mir fehlt gerade
nichts, ich bin, Gott sei's gedankt, ganz kerngesund. Nur kein Schlaf, aber auch
nicht die leiseste Anmahnung zum Schlafe will sich meiner bemächtigen. Geh und
gib mir meine Schlafpillen, ich werde ein paar verschlucken, vielleicht wird
sich's nachher tun.“
[JS.01_003,10] Die Lini steht sogleich auf und erfüllt den Willen des Mannes.
Die Pillen sind nun „verschluckt“, aber der Schlaf bleibt noch immer aus.“
[JS.01_003,11] Der Mann spricht nach einer Weile: „Lini, geh, gib mir noch ein
paar, denn sieh, mir kommt noch kein Schlaf, ich werde nur stets munterer statt
schläfriger.“
[JS.01_003,12] Lini spricht: „Geh, laß die Pillen, könntest dir damit noch den
Magen verderben. Pflege dafür lieber mit mir einen Beischlaf, und du wirst
dadurch vielleicht eher zu einem Schlafe kommen, wenn du denn schon durchaus
schlafen willst.“
[JS.01_003,13] Spricht der Mann etwas betroffen: „Ja liebe Lini, mit dem Akte
wird's nun bei mir etwas hart hergehen; denn du weißt es ja schon aus langer
Erfahrung, daß ich nach einem großen Schmause dazu nie disponiert bin. Denn da
versagt mir die Natur allzeit den gewissen erforderlichen Dienst. Daher gib mir
doch lieber noch ein paar Pillen!“
[JS.01_003,14] Spricht das Weib: „Sonderbar, mein lieber Herr Gemahl! Man
spricht aber doch, daß sich der reiche, gottesfürchtige Leopold gewöhnlich nach
solchen Festtafeln zu einer gewissen Cilli begebe und dort seinen Mann derart
stellen soll, daß sich daran ein Jüngling ein Beispiel nehmen könnte. Aber so
nachher daheim die treue, freilich wohl schon etwas mehr bejahrte Lini merken
läßt, daß sie des Leopolds Weib ist und manchmal aus gewissen Gründen auch zu
keinem Schlafe kommen kann, da hat der Leopold dann allzeit tausend
theosophische, philosophische und Gott weiß was alles noch für Gründe, des
Weibes billiges und ohnehin sehr seltenes Verlangen zu beschwichtigen! Schau
Leopold, du Freund der Wahrheit, wie kommt es dir denn so geheim bei dir vor, so
du mich, dein allzeit getreuestes Weib, so schnöde und wahrhaft scheinheilig
anlügst? Wie oft hast du mir die Schändlichkeit des Ehebruchs mit den grellsten
Farben ausgemalt! Was sagst du aber nun zu dir selbst, so ich es dir sonnenklar
bezeigen kann, daß du selbst ein Ehebrecher bist?!“
[JS.01_003,15] Spricht der Mann ganz verdutzt: „Lini, liebes Weib, woher weißt
du denn solche Taten von mir? Wahrlich, so etwas könnte ich nur in einem
dicksten Rausche getan haben, – und habe ich's getan, so rechne ich darauf, daß
du mit einer menschlichen Schwäche an mir auch eine christliche Geduld haben
wirst und wirst davon weiter keinen unser ganzes Haus entehrenden Gebrauch
machen! Sei gescheit, liebes Weib, sei gescheit und rede nicht mehr davon; denn
sieh, deswegen habe ich dich dennoch überaus lieb! – Sei nur wieder gut, sei
gut, mein liebes Weiberl, ich werde so was in meinem ganzen Leben nimmer tun!“
[JS.01_003,16] Spricht die Lini: „Ich glaub's auch. Wenn man schon sein ganzes
hindurch so gelebt hat und sein treues Weib wenigstens alle vierzehn Tage einmal
betrogen und ein paarmal sich sogar eine abscheuliche Krankheit geholt hat, da
wird es freilich wohl an der Zeit sein, von derlei Verrichtungen abzustehen, von
denen in der Schrift geschrieben steht: ,Hurer und Ehebrecher werden in das
Himmelreich nicht eingehen!‘ Sage mir du, mein in aller Gottesgelehrtheit
wohlunterrichteter Mann! – was wohl würdest du nun tun, so dich der Herr
plötzlich abriefe? Wie sähe es da mit deiner Seligkeit aus? Oder hast du es vom
Herrn etwa schriftlich, daß Er dich so lange wird leben lassen, bis du dich
bessern wirst aus deines Lebens Fundament? – Ich möchte aber noch wegen der
gewissen Schwester Cilli nichts sagen; aber die unverkennbare sinnliche Neigung,
die du zu unserer eigenen ältesten Tochter, bevor sie heiratete, auf eine Weise
kundgetan hast, die dir einen unvergänglichen Schandfleck vor Gott und allen
Menschen, so sie es wüßten, auf deine gottesgelehrte Stirne gedrückt hat, –
sage, was soll ich denn dazu sagen?! Oder was wird Gott dazu sagen?!“
[JS.01_003,17] Spricht der Mann noch viel mehr verdutzt: „O Weib, du fängst an,
mich im Ernste zu quälen. Freilich, leider mit allem Recht, denn es wäre mehr
als läppisch von mir, so ich es dir negieren möchte. Aber weh tut es mir
dennoch, und ich begreife überhaupt gar nicht, wie du, meines Wissens, durch
unsere ganze Ehezeit nichts davon erwähntest und nun alle Schleusen auf einmal
öffnest und mich förmlich vernichten willst!?
[JS.01_003,18] Bedenke, daß wir Menschen alle schwach sind in unserem Fleische,
wenn wir auch den willigsten Geist haben, und du wirst mir alle meine Schwächen
leicht verzeihen! Bedenke, daß der Herr die Ehebrecherin nicht gerichtet hat, so
wird wohl auch ein reuiger Ehebrecher bei Ihm Erbarmung finden! Und also richte
auch du, liebes Weib, mich nicht; denn ich bekenne und bereue ja meine große
Schuld an dir samt dem leidigen Vergehen an unserer verheirateten Tochter! Der
Herr Jesus vergebe es mir, wie du es mir vergibst!“
[JS.01_003,19] Das Scheinweib spricht: „Gut denn, so sei dir alles Geschehene
vollends vergeben. Sieh aber zu, daß du in Zukunft von deiner vorgeschützten
Schwäche keinen Gebrauch mehr machst, sonst wirst du wenig Segen von dieser
meiner vollsten Nachsicht haben! Ich werde dich daher noch eine Zeit ertragen –
und sehen! – Aber schlafen wirst du nimmer, denn sieh und höre! Du bist nicht
mehr auf der Erde, sondern hier in der Geisterwelt! Und Ich, die du nun als dein
oft berücktes Weib ansahst, bin nicht dein Weib, sondern – siehe her! – Ich bin
dein Herr und dein Gott! Belasse dich aber, so du willst, wie du nun bist;
willst du aber weiter, so folge Mir hinaus aus diesem deinem alten
Schandgemach!“
[JS.01_003,20] Der Mann erkennt Mich und fällt wortlos vor Mir auf sein
Angesicht.
[JS.01_003,21] Ich aber sage zu ihm: „Richte dich empor; denn deine Liebe ist
größer denn deine Sünde, daher sei dir alles vergeben! Aber bei Mir kannst du
noch nicht Wohnung nehmen, solange dir noch Irdisches anhängt. Siehe aber, dort
stehen Engel in Bereitschaft, die werden dich führen die rechten Wege. Und wenn
dein irdisch Haus wird von diesen deinen Führern mit der Not und Armut
geschlagen sein, dann wirst du bei Mir ein neues Wohnhaus finden für ewig.
Amen!“
[JS.01_003,22] Seht, das ist wieder ein anderes „Wasser“. Manche verharren
länger in dem Naturzustand, wie da der war dieses unseres Exempel-Mannes; dieser
aber war nur darum sehr kurz, weil er auf der Welt viel Liebe-Gutes tat, und
weil er für sein Vergehen sogleich ernstliche Reue bezeigte.
Vierte Szene: Ein
Stutzer. – 5. August 1847
[JS.01_004,01] Hier die letzte Stunde und der frühe Tod eines Stutzers, der
außer Tabakrauchen, Spielen, Fressen, Saufen und Courmachen aller schöneren
weiblichen Welt und vortrefflich Tanzen nebst Walzerspielen auf einem Flügel –
eben dieser schönen Welt zuliebe – nicht viel kannte, obschon er fast seine
ganze Zeit auf den Kollegien und Universitäten zugebracht hatte. Unser
vorgeführtes Stück von einem Stutzer war der Sohn ziemlich reicher Eltern, die
diesen ihren hoffnungsvollen, über die Maßen verzärtelten Sohn natürlich nichts
anderes als studieren ließen, sobald er nur das ABC aus der Hand gelegt hatte.
[JS.01_004,02] Damit es aber dem zarten Knäbchen beim schweren Studieren der
lateinischen Sprache ja doch nicht gar zu schwer geschehen solle, so ward er
fürs erste in ein sehr gutes Kosthaus gegeben, damit er gehörig zu essen haben
und natürlich wachsen solle, aber freilich nicht an Weisheit und Gnade vor Gott
und den Menschen, sondern nur am Leibe. Und daß ihm das angestrengte Studieren
ja nicht etwa eine Abzehrung an den Hals zöge, so durfte er jedes Jahr
repetieren, falls er es nicht so weit bringen konnte – natürlich mit der
leichtesten Mühe –, eine Schule in einem Jahre durchzumachen. Zu dem Behufe
wurden auch die Professoren zu jeder Zeit, besonders in den unteren Schulen,
aufs gehörige gespickt und für jeden Gegenstand ein sanftmütigster Instruktor
aufgenommen.
[JS.01_004,03] Auf diese Weise rutschte unser Student wohl mit genauer Not durch
die unteren Schulen; nur in den Kopf ist ihm auf diese Art wenig oder nichts
hineingerutscht. Die Folge davon war, daß er in den höheren Schulen dann
fortwährend steckenblieb. Und da ihn gewöhnlich das Studieren anekelte, so
verlegte er sich danebst hauptsächlich auf die oben angeführten Freikünste,
nämlich aufs Tabakrauchen, Spielen, Fressen, Saufen etc.
[JS.01_004,04] Nach zurückgelegten Studien und überall mittelmäßig gemachten
Prüfungen versuchte er sich in den Kanzleien zwar, aber diese Papier- und
Tintenluft mundete ihm nicht; er bekam von seiner Mutter ja stets soviel Geld,
daß er sich auch ohne Kanzlei ganz kavaliermäßig durchbringen konnte. Dabei
machte er allen noblen Mädchen den Hof und einer nach der andern Heiratsanträge,
wodurch es denn auch geschah, daß aus lauter Hoffnungmacherei auf verheißene
Heiraten recht viele von ihm angebetete Holde in die wirkliche „Hoffnung“ ohne
Heirat kamen.
[JS.01_004,05] Nebst diesen mit blinden und dadurch, wie bemerkt, sehr oft mit
freilich unangenehmen, dafür aber lebendigen „Hoffnungen“ dotierten Holden
verlegte sich unser „Staatsmann“ aber auch auf andere weibliche Wesen, die er,
ohne ihnen zuvor das Heiraten zu versprechen und Hoffnung zu machen, allzeit um
einen leichten Sold haben konnte und nicht zu fürchten hatte, daß diese Grazien
von ihm dadurch in eine gewisse andere „Hoffnung“ gesetzt werden könnten.
[JS.01_004,06] Aber dabei geschah es denn auch nicht selten, daß er mit der
Syphilis in allen Graden zu tun bekam und am Ende so stark, daß selbst die
erfahrensten Ärzte auf diesem Felde ihm weder Rat noch Hilfe schaffen konnten.
Allgemeine Vertrocknung der natürlichen Lebenssäfte war die Folge solch
„schöner“ stutzerischer Lebensweise, für welches Übel Ich, der Herr, bei der
Welterschaffung leider rein „vergessen“ habe, ein „heilend Kräutlein“ zu
erschaffen. Daher sich denn auch unser Stutzerchen nolens volens zum Sterben
bereitmachen mußte. Freilich wohl eine sehr unangenehme Erscheinung für einen
die Welt mit ihren süßen Venusfreuden überaus liebgewonnenen Fashionablen. Aber
es ist schon einmal also, daß da alles den Weg des Fleisches wandeln muß. Und so
mußte am Ende auch dieser Stutzer, der am Fleische seine größte irdische
Seligkeit hatte, ja um so mehr den so ganz eigentlichen „Weg des Fleisches“
wandeln.
[JS.01_004,07] Seht aber nun hin auf sein stinkend Lager, wie er sich krümmt und
bäumt und nach Luft und Wasser lechzt; aber er bringt keines mehr in den Magen,
da alle seine Schlundsehnen ausgetrocknet sind und nicht mehr vermögen, auch nur
einen Wassertropfen in den Magen hinabzuziehen! Sein Atem ist kurz und sehr
schmerzlich, da die Lunge schon nahe ganz vertrocknet ist. Also ist auch seine
Stimme ganz gebrochen; nur kurze, gelähmte Halbworte kann er noch unter großen
Schmerzen ausstoßen, und da gleicht der Ton dem eines schlechten Fagotts in den
Händen eines Schülers. Er möchte wohl noch stutzerisch fluchen und möchte am
Ende wohl gar auch noch einige gelehrte Phrasen aus Voltaire oder Sir Walter
Scott herstammeln; aber die allgemeine Trocknis läßt so etwas nicht ausführen,
und die starken Schmerzen in allen Lebenswinkeln lassen ihm auch nicht Zeit,
seine Gedanken dazu noch einmal wie auf einen Punkt zusammenzubringen. Daher
liegt er stumm röchelnd da, nur manchmal stößt er einen gellend schnarrenden
Fagott-Ton aus seiner ganz vertrockneten Kehle.
[JS.01_004,08] Seht, so gestaltet sich häufig das Ende solcher Wüstlinge
diesseits! Da wir aber bei diesem Stutzer diesseits auch nichts mehr zu
betrachten haben, da ihm, wie ihr zu sagen pflegt, der Tod schon für die nächste
Minute auf der Zunge sitzt, so wollen wir uns sogleich nach jenseits wenden und
sehen, wie da unser „Mann“ einrücken wird.
[JS.01_004,09] Sehet, da ist sein Lager gleichwie das auf der Welt! Noch liegt
er gleichgestaltig auf demselben. Aber zugleich ersehet ihr an seinem Lager nur
einen Engel mit einer Brandfackel in der Hand, um mit deren geistiger Flamme des
Stutzers letzte Lebenssafttropfen zu vernichten!
[JS.01_004,10] Bei solchen Menschen erscheint darum nur ein Engel, weil in ihnen
Seele und Geist völlig wie tot sind. Nur der Würgengel, der über das Fleisch und
über den Nervengeist gesetzt ist, hat hier das zu tun, daß er nämlich das
Fleisch und den Nervengeist möglichst stark peinige und brenne, auf daß er
dadurch die zerfetzten Seelenreste und in diesen den ebenso zersplitterten Geist
in den Nervengeist zurücktreibe – und auf diese Art den also sterbenden Menschen
vor dem ewigen Tod verwahre!
[JS.01_004,11] Er (der Engel) wird bei diesem Menschen auch nichts reden,
sondern wird ihn lediglich mit seiner Fackel aus der naturmäßigen in diese
Geisterwelt herüberbrennen, was gewöhnlich mit solchen Menschen zu geschehen
pflegt und auch geschehen muß, weil sie ohne solche letzte Gnadenmanipulation um
das ganze Dasein kämen.
[JS.01_004,12] Dieser Akt ist gleich dem entstellten heidnischen in der Sage des
Prometheus. Denn die geistigeren Urmenschen sahen derlei Verrichtungen in der
Geisterwelt, die damals aber freilich unaussprechlich viel seltener vorkamen als
in dieser weit über Sodom und Gomorra sinnlichen Zeit. So erhielten sich davon
denn auch noch Sagen, aber nach ein paar tausend Jahren über die Maßen
entstellt.
[JS.01_004,13] Hier aber stellt sich auch wieder derselbe Prometheus vor – in
seinem eigentlichen, unentstellten Wirken. – Aber sehet, nun hat der einsame
Engel sein Werk gut beendet; das Fleisch unseres Stutzers ist hier ersichtlich
durch und durch zu Asche verbrannt, und seht, aus der Asche erhebt sich ganz
langsam und träge – nicht etwa ein herrlicher, verjüngter Vogel Phönix, o nein,
sondern – seht – nur ein dummer Affe, aussehend wie ein alter, dekrepiter
Pavian! Er ist ganz stumm, nur etwas sehen kann er.
[JS.01_004,14] Die Tiergestalt hat darin ihren Grund, weil solche Menschen ihr
wüstes Leben hindurch die feineren Menschenseelen-Spezifikalpartikel völlig
vergeuden durch ihre Wollust und nur die gröberen tierischen in resto behalten.
– Bei diesem ist doch noch wenigstens die Affenseele geblieben. Aber da gibt es
andere, die bis zu den scheußlichsten Amphibien sich ganz verpfuschen!
[JS.01_004,15] Bei diesem Menschen läßt sich nun das „Wasser seines Lebens“ auch
noch nicht bestimmen; denn der muß jetzt, wie ihr zu sagen pflegt, auf die Halt
und wird Geistern übergeben, die über solche entartete Tierseelen gesetzt sind.
Vielleicht bewirken sie mit allem Fleiße in hundert Jahren, daß diese Seele
wieder zur menschlichen Gestalt kommt.
[JS.01_004,16] Mehr läßt sich nun von dieser Seele nicht beschreiben; daher
nächstens ein anderes Exempel.
Fünfte Szene: Eine
Modenärrin. – 6. August 1847
[JS.01_005,01] Hier folgt noch ein früher Tod, der einer jungen Modeheldin, die
sich bei einem Ball zu sehr dem Tanze hingab, um sich irgend einen jungen und
reichen Bräutigam zu ertanzen, sich statt dessen aber nur den frühen Tod ertanzt
hat.
[JS.01_005,02] Ein junges, dem Leibe nach überaus gefällig gestaltetes Mädchen
von neunzehn Jahren wurde auf einen noblen Gesellschaftsball geladen, welche
Einladung sie natürlich mit Einwilligung ihrer Eltern bereitwilligst annahm.
Alsogleich wurden die Modekaufläden durchmustert, die zum Glück unter tausend
Artikeln doch einen besaßen, der da unserer geladenen Holden anständig war. Nun
ging's zum ersten Modeschneider und zwar mit dem Bedeuten, das Kleid nicht nur
nach der letzten Pariser oder Londoner, sondern womöglich nach der letzten
Madrider oder New Yorker Mode zu verfertigen, damit man auf einem so glänzenden
Ball doch mit etwas Außerordentlichem erscheinen könne, um dadurch das größte
Aufsehen zu erregen und auch als eine außerordentliche Erscheinung betrachtet zu
werden!
[JS.01_005,03] Der Schneider hatte keine kleine Angst ob solchen Auftrags, indem
er seine Kundschaft schon kannte, mit wieviel Dutzend Kapricen sie bei solchen
Gelegenheiten gesalbt war. Er nahm sich daher kreuzmöglichst zusammen und
verfertigte wirklich ein Meisterstück von einem Ballkleid zur vollen
Zufriedenheit seiner Kundschaft; denn das Kleid konnte ohne Schnürmieder
angezogen werden und ob der vielen feinsten elastischen Bänder aber den Leib
dennoch so eng zusammenziehen, daß unsere Heldin um die Leibesmitte dünner war
als um ihren runden Hals.
[JS.01_005,04] Dieses New Yorker Modekleid aber war auch so ganz eigentlich die
Ursache ihres frühen und nahe plötzlichen Todes; denn da sie auf dem Ball die
Königin der Schönheit und Grazie war, so tanzte sie auch mit einem jungen,
reichen Affen, der ihr sehr bedeutend in die Augen stach, so wütend viel, daß
sie sich dadurch in der zu sehr gepreßten Lunge ein großes Blutgefäß sprengte
und ob des dadurch gar starken Blutverlustes in wenigen Minuten eine Leiche war.
[JS.01_005,05] Als sie auf dem Tanzboden zusammenbrach und aus ihrem Rosenmund
ein Blutstrom sich ergoß – zum Schauder aller zahlreich eben auch nicht zu
locker geschnürten Mädchen und Damen –, da stürzten freilich wohl ihre Eltern,
Verwandte und Ärzte herbei, rissen ihr die Kleider vom Leib und begossen sie mit
eiskaltem Wasser und gaben ihr Medikamente, die sie aber, als schon vollkommen
tot, natürlich nicht mehr einnehmen konnte.
[JS.01_005,06] Alles weinte und klagte laut. Die Eltern und der ritterliche Affe
von einem Liebhaber rissen sich aus Verzweiflung die Haare vom Kopfe. Andere
fluchten solch einem Geschick, wieder andere bedauerten die Unglückliche. Viele
verließen den Tanzsaal und trugen ein Notabene mit nach Hause, aber natürlich um
nicht viel besser als die Sperlinge, die ein Schuß vom Dache vertrieb.
[JS.01_005,07] Hier, bei diesem Falle, werden wir in der Geisterwelt eben nicht
viel von Belang zu sehen bekommen; aber dessenungeachtet sollt ihr es sehen, wie
sich derlei Übersiedlungen in der Geisterwelt ausnehmen.
[JS.01_005,08] Sehet, da liegt unsere Heldin noch zusammengekauert am mit
ersichtlichem Blute besudelten Boden, und dort in einiger Ferne erseht ihr einen
Engelsgeist mit über Kreuz geschlagenen Armen stehen! Sein Antlitz verrät
Trübsinn, d.i. eine Art Wehmut, die ein solcher Schutzgeist bei solchen Fällen
der krassesten Narrheit der Menschen empfindet, so er ihnen mit all seiner Sorge
nicht zu helfen vermag.
[JS.01_005,09] Was aber wird nun dieser trauernde Engel hier tun? Seht, er naht
sich dem auch in der Geisterwelt als Leiche ersichtlichen Mädchen! Nun ist er
bei ihr und spricht: „O du unsinniges Wesen! Was soll ich nun erwecken bei dir,
da alles tot ist an dir, dahin ich nur mein Auge wende?! O Herr, sieh gnädig
herab! Hier langt die Kraft nicht aus, die Du mir verliehen; daher strecke Du
Deine allmächtige Hand aus und tue mit dieser Törin nach Deinem Wohlgefallen!“
[JS.01_005,10] Nun seht, dort kommt schon ein anderer, ganz feuriger Engel! Nun
ist er da, und seht, sein Feuer ergreift die Tote und verzehrt sie im Augenblick
zu Asche. (In der Naturwelt kann das nicht bemerkt werden, weil dieser Akt nur
den seelischen Leib betrifft.) Nun fängt in der Asche sich etwas zu rühren an.
Der Engel betet über diese Asche. Seines Gebetes letzte Worte sind: „Herr, Dein
Wille geschehe!“
[JS.01_005,11] Darauf verläßt der zweite Engel die sich stets mehr rührende
Asche; aber der erste Engel bleibt. Dieses Rühren aber ist nichts anderes als
ein neues Zusammenordnen der ganz zerstörten, zerstreuten und höchst zerrütteten
Seelenspezifikalpartikel, was nun unmittelbar durch Meine Kraft geschieht. Nun
aber wird sich auch sogleich zeigen, wieviel und was von dieser Mädchenseele
noch übriggeblieben ist! –
[JS.01_005,12] Seht, nun erhebt sich ein dunkelgraues Wölkchen! Das Wölkchen
prägt sich stets mehr aus. – Und nun seht, da haben wir schon eine Gestalt! Ihr
könnt sie wohl mit nichts Ähnlichem auf der Erde vergleichen! Der Kopf gleich
dem einer Fledermaus, der Leib gleich dem einer Riesenheuschrecke, die Hände wie
Gänsefüße, und die Füße gleich denen eines Storches! – Wie gefällt euch diese
Mode nun als die Frucht jener weltlichen? – An der Mode aber läge so viel
Außerordentliches nicht; aber daß diese Törin, als quasi Selbstmörderin,
schwerlich je des Himmels Lichtgefilde betreten wird, das ist etwas anderes! –
[JS.01_005,13] Es werden wohl einige hundert Jahre vergehen, bis diese zur
menschlichen Gestalt kommen wird, und das nur auf sehr schmerzliche Art! Nachher
aber wird sie im Geisterreiche sein, was die Albinos auf der Erde sind, nämlich
lichtscheu. –
[JS.01_005,14] Weiter ist bei dieser nichts mehr zu sehen und zu lernen, darum
nächstens ein anderes Exempel.
Sechste Szene: Ein
Feldherr. – 10. August 1847
[JS.01_006,01] Seht, wir befinden uns in einem königlichen Prachtgemach. Hier
strotzt alles von Gold und Silber und von den kostbarsten Edelsteinen und – für
die Welt – von den wertvollsten Gemälden. Der Boden des Gemachs ist mit den
feinsten asiatischen Teppichen belegt, und die großen Spiegelglasfenster sind
mit Gardinen behangen, von denen eine soviel kostet, daß davon tausend Arme
einen ganzen Monat zu essen hätten. Kästen, Tische, Sofas, Stühle und noch eine
Menge königlicher Einrichtungsstücke von großem Wert zieren es und allerlei
Wohlgerüche durchduften das Krankengemach, und die berühmtesten Ärzte umgeben
das reich mit Gold verzierte Bett, in welchem der irdisch hohe Kranke vergeblich
der Genesung harrt.
[JS.01_006,02] Es wird ein Konsilium über das andere gehalten, und die
Medikamente werden alle Stunde gewechselt. Im angrenzenden Gemach beten aus
lateinischen, rot und schwarz gedruckten Büchern abwechselnd in einem fort zwei
Mönche und wo nur ein Bethaus oder irgend eine Kapelle steht, wird für die
Wiedergenesung unseres großen Feldherrn eine feierliche Messe gehalten. Aber das
nützt alles nichts. Denn für diese Feldherrnkrankheit gibt es weder in der
Apotheke noch im Breviarium und ebensowenig im Meßbuche irgendeine Hilfe mehr,
sondern da heißt es einmal: „Komm und laß sehen, wie deine Werke beschaffen
sind!“.
[JS.01_006,03] Seht nun den Kranken an, wie tapfer er sich hält! Aber diese
Tapferkeit ist nur ein Schein, denn innerlich möchte unser Held vergehen vor
Angst und Verzweiflung und verflucht dabei die stark schmerzende Krankheit wie
ein Husar sein Pferd, das ihm keinen Gehorsam leisten will. – Die Geschichte
geht hübsch zusammen: Dort beten die Mönche – freilich wohl mit einer Andacht,
die ihresgleichen sucht, mit der heimlich auch noch ein ganz entgegengesetzter
Wunsch vereinigt ist propter certum quoniam –, aber rar ist das immer, so der,
für den wenigstens „aufs Aug“ gebetet wird, flucht, daß es eine barste Schande
ist!
[JS.01_006,04] Nun aber wird sein Schmerz stets ärger, ja beinahe unerträglich,
und unser Patient, darob vor Grimm entbrannt, fährt nun zum Erstaunen seiner
Umgebung ganz wütend auf und schreit aus vollem Halse: „O du verfluchtes
Hurenleben! Kannst du, Schöpfer, so du irgend einer bist, es mir denn nicht auf
eine schmerzlosere Art nehmen?! Auf ein solches Hurenleben sollen alle Teufel,
so sie irgend sind, scheißen; und ich möchte es selbst, so ich's nur vermöchte!
He, ihr dümmsten Viecher von Ärzten, die ihr alle zusammen keinen Schuß Pulver
wert seid, gebt mir eine scharf geladene Pistole her, auf daß ich selbst für
dies Hunde- und Hurenleben mir eine Medizin durchs Hirn verschreibe, die
dasselbe auf einen Knall von jeder fernem Marter sicher befreien solle!“
[JS.01_006,05] Ein Protomedikus naht sich dem Krankenbett und will den Puls
fühlen und bittet den Patienten um Ruhe. Aber der hohe Patient richtet sich auf
und spricht: „Komm nur her, du Luder, du schlechter Hund von einem Arzte, damit
ich an dir meine gerechte Wut kühlen kann! Fahr zu allen Teufeln, du dummes
Luder! Möchtest mich nicht wieder mit Opium martern?! Schau, – wie gescheit
diese Kanaillen sind; so sie nichts mehr wissen, da kommen sie sogleich mit
Opium, auf daß der Kranke dann einschlafe und sie sich dadurch mehrere Stunden
des gerechten Vorwurfs, den sie überaus wohl verdienen, entledigen und sich
dabei brav ins Fäustchen lachen und schon Rechnung machen, wieviel da nach
meinem Tode ein jeder für sich in der dritten Vergleichungsstufe wird verlangen
können! Hahaha, gelt, ich durchschaue eure Pläne! Weg daher mit euch, ihr bösen
Hunde, sonst bringe ich euch noch mit diesen meinen letzten Kräften um euer
scheußliches Luderleben! – He, was sehe ich denn dort im Nebengemache für zwei
schwarze Kanaillen?! Was tun denn diese Luder? – Ich glaube gar, sie beten für
meine Seele? Wer hat sie denn dazu berufen?! – Hinaus mit ihnen, sonst stehe ich
auf und schieße sie wie Hunde zusammen!“ –
[JS.01_006,06] Seht, auf diese gewaltige oberfeldherrliche Detonation machen
sich die Mönche recht behende aus dem Staube; die Ärzte zucken stets greller mit
den Achseln, und der Patient verstummt und fängt unter den horrendesten
Verzerrungen des Gesichts zu röcheln an. Wir aber begeben uns nun, da es hier an
dem Patienten nichts mehr zu beobachten gibt, sogleich in die Geisterwelt und
werden ganz kurz unsere Beobachtung machen, wie unser Held in die Geisterwelt
eintreten wird. –
[JS.01_006,07] Seht, wir sind schon da, und dort auf gleichem Lager liegt der
Patient in einem ganz gleich aussehenden Gemach. Noch röchelt er, wie ihr es
leicht merken könnt, unter ganz entsetzlich schweren Atemzügen und zerbeißt sich
die Zunge vor heimlicher Wut seiner ergrimmten Seele.
[JS.01_006,08] Dort aber, seht, ist schon der alleinige Würgengel in der
Bereitschaft, die ergrimmte Seele unseres Helden von ihrem überstolzen und
hochmütigsten Aristokratenfleische loszumachen. Mit einem flammenden Schwert ist
der Engel bewaffnet – zum Zeichen seiner großen, ihm von Mir verliehenen Kraft
und zum Zeichen seines Mutes und seiner gänzlichen Furchtlosigkeit vor solchen
Großhelden der Erde wie vor der ganzen Hölle.
[JS.01_006,09] Sehet, nun ist in der Zeiturne das letzte Sandkörnchen für diesen
Helden gefallen, und der Engel rührt ihn mit seinem Flammenschwerte an und
spricht: „Erhebe dich, du matte Seele, und du, stolzer Staub, falle in das Meer
deiner bodenlosen Nichtigkeit zurück!“
[JS.01_006,10] Seht, nun verschwindet der Leib, und nicht mehr zu sehen ist das
Lager und das Gemach voll irdischer Pracht. Dafür erhebt sich eine, wie ihr es
leicht merken könnt, ganz dunkelaschgraue, schmählichst verkümmerte Seele,
stehend auf lockerem Sande, der sie zu verschlingen droht. Zornig, wirr und
scheu blickt sie um sich – und erschaut nichts als sich selbst. Aber sie sieht
sich ganz anders, als wir sie sehen, – sie ersieht sich noch als einen Feldherrn
mit all ihren Orden und mit einem Degen geziert.
[JS.01_006,11] „Wo bin ich denn?“ spricht nun der Held. „Welcher Teufel hat mich
denn hierher gebracht? Nichts, und abermals nichts! Wohin ich schaue, ist
überall nichts. Da seht, auch unter mir ist nichts!
[JS.01_006,12] Bin ich denn ein Nachtwandler – oder träume ich? – oder sollte
ich denn wirklich gestorben sein? Ah, das ist ja doch ein verflucht dummer
Zustand! Ich bin zwar recht gesund nun und fühle keinen Schmerz, erinnere mich
an jede Kleinigkeit meines ganzen Lebens, – ich war ja höchst krank; ich habe
die dummen Ärzte gemustert, die zwei Heuchler zum Teufel verscheucht und habe
auch, natürlich ob des zu starken, unerträglichen Schmerzes, dem Schöpfer einige
derbe Grobheiten in meiner Aufwallung ins Gesicht gesagt, – alles dessen
erinnere ich mich sehr wohl! Auch weiß ich, daß ich sehr zornig war und hätte
alles zerreißen können vor Wut. Aber nun ist mir alles vergangen. Es wäre alles
recht, wenn ich nur wüßte, wo ich so ganz eigentlich bin und was da mit mir
vorgegangen ist?!
[JS.01_006,13] Es ist wohl etwas licht um mich; aber je weiter hinaus ich meine
Blicke richte, desto finsterer wird es, und ich sehe nichts, nichts, nichts und
abermals nichts! Das ist doch verflucht! Wahrlich, wer da nicht des Teufels
wird, der wird es in Ewigkeit nimmer!
[JS.01_006,14] Sonderbar, sonderbar, ich werde stets munterer, stets lebendiger,
– aber auch stets leerer wird es um mich. Ich muß mich sicher in so einer Art
Lethargie befinden? Aber die, so davon befallen, sollen alles hören und sehen,
was um sie geschieht, – ich aber höre und sehe nichts außer mich, also kann das
keine Lethargie sein.
[JS.01_006,15] Es ist hier weder kalt noch warm, noch völlig finster, obschon
einen das Licht wahrlich nicht blendet! Ich bin, was mir unbegreiflich ist, in
diesem Solozustand dazu noch sehr heiter und aufgeräumt, daß ich darob einen
Bajazzo abgeben könnte, – und doch, wie Figura zeigt, bin ich sicher im
Mutterleibe nicht gesellschaftsloser gewesen als hier! Wahrlich, wenn ich hier
ein Dingsda, eh, so ein Dings – nun, so ein Dings – ja, ja, so recht – so ich so
ein ,Menschchen‘ bei mir hätte, wahrhaftig, ich könnte mich sogar vergessen, daß
ich – doch hol's der Kuckuck, den Feldherrn samt seinen fünf Dutzend Großahnen!
Wahrlich, für ein ,Menschchen‘ gemeinsten Standes wäre mir nun schon alles feil!
[JS.01_006,16] Wenn ich aber nur erfahren könnte, wo ich denn so ganz eigentlich
bin?! Wenn die Sache noch lange dauern sollte, da dürfte einem dieser Zustand so
hübsch verdammt langweilig werden! Hab' ja einmal von einem Gott etwas gehört, –
will mich doch einmal ernstlich an ihn wenden. Hab' freilich ehedem mich etwas
barsch benommen gegen ihn; aber er wird mir das, so er irgend einer ist, ja
nicht so übel anrechnen. – Heda, mein Gott, mein Herr! So du irgend bist, hilf
mir aus dieser sonderbar fatalen Lage!“
[JS.01_006,17] Nun seht, sogleich kommt ein Engel herbei und spricht: „Freund,
in dieser Lage wirst du so lange verbleiben, bis der letzte Tropfen deines
Hochmutes aus dir hinausgeschafft sein wird und dadurch bezahlt der letzte
Blutstropfen von dem Blute, das du an vielen Tausenden deiner Brüder vergossen
hast! Wirf all deine feldherrlichen Insignien von dir, und du wirst dann Boden
und mehr Licht und auch Gesellschaft finden, – aber hüte dich vor
deinesgleichen, sonst bist du verloren! Vor allem aber wende dich an den Herrn,
so wird dein Weg kurz und leicht sein, amen.“ –
[JS.01_006,18] Seht, diesen Rat befolgt aber unser Held jetzt noch nicht. Daher
verläßt ihn der Engel, und er wird noch einige hundert Jahre in solcher Schwebe
verbleiben. –
[JS.01_006,19] Daraus könnt ihr schon sein „Wasser“ merken, darum nichts weiter
nun von ihm.
Siebte Szene: Ein Papst.
– 11. August 1847
[JS.01_007,01] Bei diesem Exempel wollen wir sogleich beim Jenseits beginnen und
einen Mann betrachten, der in der Welt eine sehr große Rolle gespielt hat und am
Ende der Meinung war, die Welt sei bloß seinetwegen da und er könne mit ihr
machen, was er wolle, da er sich die förmliche Stellvertreterschaft Gottes
anmaßte, mehr noch als so mancher andere seines Gelichters. Aber er mußte
dessenungeachtet dennoch „ins Gras beißen“, und es schützte ihn davor weder
seine angemaßte Großmacht noch die Welt und ebenso wenig die
Gottesstellvertreterschaft.
[JS.01_007,02] Dort, seht hin, stark gegen Mitternacht wandelt langsamen
Schrittes eine überaus hagere Mannesgestalt von sehr dunkler Farbe, blickt
forschend um sich und späht bald dahin und bald wieder dorthin!
[JS.01_007,03] In seiner Gesellschaft seht ihr ein Männlein, gleich einem
kohlschwarzen Affen, das sich um unsern Mann sehr geschäftig herumtummelt und
tut, als hätte es mit diesem Manne gar überaus wichtige Sachen abzumachen. –
Treten wir aber nur näher, damit ihr vernehmen könnt, was dieser Mann, der
seinen Gesellschafter sowenig wie uns sieht, mit sich für sonderbare Gespräche
führt.
[JS.01_007,04] Da sind wir schon in rechter Nähe; nun horcht, er spricht: „Alles
Lüge, alles Trug, und der Betrogenste ist der Glücklichste; aber unglücklich der
Betrüger, so er wissentlich ein Betrüger ist! Ist er aber unwissentlich ein
Betrüger und lügt und betrügt, ohne zu wissen, daß er lügt und betrügt, da ist
ihm zu gratulieren; denn da zieht ein Esel den andern, und beide sind mit dem
schlechtesten Futter zufrieden. – Aber ich, was bin denn ich? – Ich war ein
Oberhaupt, alle mußten glauben und tun, was ich anordnete; ich aber tat, was ich
wollte, da ich die Schlüssel der Macht in meinen Händen hatte als einer, der sie
nimmt ohne zu fragen, ob er sie wohl zu nehmen berechtigt ist. Ich wußte alles;
ich wußte, daß da alles nur Lüge und Trug ist, und dennoch drang ich Lüge und
Trug jedermann bei strenger Ahndung auf, der es nicht annehme und glaube, daß da
alles, was von mir ausgeht, ob geschrieben oder nicht, als volle Wahrheit
anzunehmen ist.
[JS.01_007,05] Ich meinte aber auf der Welt: Des Leibes Tod ist das Ultimatum
allen Seins. Das war mein heimlicher, fester Glaube, und alle Weisheit der Welt
hätte mir keinen andern Glauben geben können! Dies einzige hielt ich für
Wahrheit, und sieh, auch das ist Lüge; denn ich lebe fort, obschon ich gestorben
bin dem Leibe nach.
[JS.01_007,06] Himmel, Fegfeuer und Hölle ließ ich predigen auf vielen tausend
Kanzeln, erteilte Ablässe und sprach eine Menge Verstorbener heilig und gebot
Fasten, Gebet, Beichte und Kommunion, – und nun stehe ich selbst da und weiß
nicht, wo aus und wo ein! Gäbe es ein Gericht, dann wäre ich schon gerichtet.
Gäbe es einen Himmel, da hätte ich doch das erste Anrecht darauf, denn fürs
erste mußte ich doch durch den Willen Gottes Statthalter der Kirche Christi
werden; und was ich dann als solcher tat, war sicher auch nur ein allerhöchstes
oberstes Wollen, denn ohne ein solches kann laut der Schrift ja kein Haar am
Kopfe gekrümmt werden und kein Sperling vom Dache fliegen.
[JS.01_007,07] Also beichtete und kommunizierte ich auch nach der alten
Vorschrift, obschon ich mich davon gar leicht hätte exemtieren können, indem ich
die Macht hatte, die Beichte samt der strengen Kommunion für jedermann auf ewige
Zeiten aufzuheben, was ich aber dennoch aus politischen Rücksichten nicht tun
konnte und wollte. – Gäbe es eine Hölle, so wäre auch Grund genug vorhanden,
mich darinnen zu befinden; denn vor Gott ist ein jeder Mensch ein Totschläger! –
Wenigstens sollte ich mich im Fegefeuer befinden; denn das soll doch jedermann
wenigstens auf drei Tage zuteil werden! Aber weder das eine noch das andere wird
mir zuteil, – darum ist Gott, Christus, Maria, Himmel, Fegfeuer und Hölle nichts
als Lug und Trug! Der Mensch aber lebt nur aus den Kräften der Natur und denkt
und fühlt nur nach der eigenen Konzentration der verschiedenen Naturkräfte in
ihm, die sich da wahrscheinlich zu einem ewig unzerstörbaren Eins verbinden und
verknüpfen. Meine Aufgabe wird daher nun sein, diese Kräfte näher zu erforschen
und mir dann mittels der genauesten Bekanntschaft mit ihnen einen Himmel zu
gründen.
[JS.01_007,08] Aber ich merke fortwährend ein gewisses Zupfen an meiner Toga
pontificalis! Was sollte denn das sein, ist denn etwa doch irgend ein
unsichtbarer Geist in meiner Nähe, oder tut so etwas etwa irgend ein Wind? Es
ist im Ernste sonderbar in dieser unendlichen Wüste, denn man kann schon gehen,
wohin man will, so bleibt man aber dennoch ewig ganz allein. Man kann rufen,
schreien, schimpfen, schelten und fluchen – oder beten, zu wem man will, so
rührt sich dennoch nichts und man bleibt vor- wie nachher ganz allein! Es mögen
doch schon einige Jahre sein, da ich auf der Erde gestorben bin, und das auf
eine sehr schmerzliche, höchst fatale Weise, – und ich bin dito allein, nichts
als die ganz kahle Wüste unter den Füßen! Platz habe ich da wohl, das ist wieder
eine Wahrheit, aber wo ich bin, was für die Zukunft aus mir werden soll – werde
ich also ewig fortleben oder doch etwa einmal ganz vergehen –, das ist ein
unauflösliches Rätsel.
[JS.01_007,09] Also nur frisch an die Erforschung der Naturkräfte in mir, und es
soll sich durch ihre nähere Bekanntschaft bald entwickeln, was da aus mir werden
soll!“
[JS.01_007,10] Habt ihr ihn nun gehört, wie er räsoniert, er, der Stellvertreter
Gottes auf Erden? Oh, er wird noch lange also solo räsonieren, wie es ihm sein
unsichtbarer Begleiter einhaucht; denn solcher auf Erden höchstgestellter
Menschen Los ist stets das gleiche, nämlich das Alleinsein, indem sie sich auf
der Erde auch über alles hinaus isoliert haben.
[JS.01_007,11] Diese Isolierung ist aber dennoch eine große Gnade für sie; denn
nur dadurch ist es möglich, sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Aber es
geht das sehr lange; sie müssen in sich alle Grade der Nacht und Finsternis, der
Not, auch des Schmerzes, wie er in der Hölle zu Hause ist, durchmachen.
[JS.01_007,12] Hat ein solcher Zelot diese Solo-Tour durchgemacht – etwa in
fünfhundert bis tausend, auch zehntausend Jahren –, dann erst kommt er in die
Gesellschaft von strengen Geistern. Folgt er diesen nicht, so wird er wieder
verlassen und ganz allein gestellt, wo ihm dann aber alle Greueltaten vorgeführt
werden, die entweder unter ihm oder unter seinen Vorgängern verübt worden sind,
bei welcher Gelegenheit er aber auch alle Schmerzen verkosten muß, die alle
Verfolgten unter ihm oder unter seinen Vorgängern verkostet haben. Bringt ihn
diese Kur noch nicht zurecht, so wird er belassen, wie er ist; bloß der Hunger
wird ihm zur Begleitung gegeben und der Durst, welche zwei Hofmeister mit
seltenster Ausnahme fast jeden mit der Zeit zurechtbringen. –
[JS.01_007,13] Da habt ihr nun wieder ein Bild, aus dem ihr das Jenseits näher
kennenlernen möget – und das „Wasser“, das ein solcher Häuptling zu
durchschwimmen hat, bis er ans Ufer der Demut, Wahrheit und Liebe gelangt. Daher
nun nichts mehr weiter von diesem Manne.
Achte Szene: Ein
Minister. – 12. August 1847
[JS.01_008,01] Da denn auch die großen Herren der Welt sterben müssen, gegen
welche für sie höchst fatale Lebenseigentümlichkeit sie noch immer keinen
Assekuranz-Verein haben aufstellen können, da sie es mit all ihrer Politik und
Diplomatie noch nicht soweit gebracht haben, so mußte denn auch unser Minister
sich endlich einmal anschicken, das Zeitliche mit dem Ewigen zu vertauschen.
[JS.01_008,02] Das Sterben ist für solche Menschen freilich wohl die
unangenehmste Erscheinung von der Welt, aber das kümmert den Würgengel wenig.
Bei dem er das wohlzimentierte Maß voll findet, den nimmt er ohne Gnade und
Pardon!
[JS.01_008,03] Unser Minister, ein Mann, dem alle Welt huldigte ob seiner
Weltklugheit, wurde in seinem bedeutenden Alter von einem gichtischen
Katarrhfieber aufs Krankenlager geworfen, das ihn einen halben Monat folterte,
und das desto ärger, je mehr Arzneien er zur Behebung dieses Übels einnahm.
Gegen das Ende hin ward er voll Unwillen und drohte den Ärzten mit dem Arrest,
so sie ihn nicht bald wiederherstellen möchten oder könnten.
[JS.01_008,04] Aber statt seine Drohung auszuführen, versank er am sechzehnten
Tage seiner Krankheit in eine Betäubung, aus der er auf dieser Welt nicht mehr
erwachte, außer auf eine Stunde knapp vor seinem Ende, in welcher Stunde er noch
ein kurzes Vermächtnis machte, was da mit seiner mächtigen Habe geschehen solle,
wobei aber der Armen, wie meistens bei solchen Menschen, nur sehr spärlich
Bedacht genommen ward; denn was sind wohl ein paar tausend Gulden gegen mehrere
hinterlassene Millionen?!
[JS.01_008,05] Also ward der Kirche pro forma auch mit einer Stiftung gedacht,
aber nicht aus irgendeinem blinden Glauben – denn Glauben hat so ein Mensch
entweder nur selten oder gar keinen, und alles, was er tut, ist reine Politik –,
sondern nur, wie gesagt, weil so etwas der politische Gebrauch erfordert.
[JS.01_008,06] Nach dieser letzten Willenskundgabe sank er auf sein Lager zurück
und war tot, ohne zuvor gebeichtet und kommuniziert zu haben, auf welchen Akt er
– bei sich zwar – ohnehin nichts hielt. Damit war's mit ihm für diese Welt aber
auch für ewig abgeschlossen; darum wollen auch wir nicht länger bei seiner
Leiche verharren, sondern uns sogleich nach „drüben“ begeben und sehen, was
unser überstolzer aristokratischer Mann dort für ein Gesicht macht. –
[JS.01_008,07] Seht, da sind wir schon, und unser Mann steht schon in seinem
kompletten Staatskleide vor uns und vor vier verhüllten Engelsgeistern, wobei er
aber nur die letzteren sieht. Der Ort stellt genau sein Staatskabinett vor, in
welchem er noch Wichtiges zu besorgen und zurechtzubringen sich vorgenommen
hatte.
[JS.01_008,08] Er ersieht nun genau die vier in seinem Geheimkabinett und kann
sich vor Ärger kaum fassen über die entsetzliche Keckheit dieser vier „Gauner“
nach seiner Ansicht. Er springt auf und ergreift die Klingel und will läuten,
aber die Klingel gibt keinen Ton.
[JS.01_008,09] „Verrat! Hochverrat!“ Schreit er aus vollem Halse. „Wie kamt ihr
elenden Wichte in dies nur mir allein zugängliche Gemach, in welchem des Staates
geheimste und heiligste Mysterien bearbeitet und aufbewahrt sind?! Wißt ihr, daß
auf solch einen Hochverrat der Tod gesetzt ist?! Wer von euch hat diese Klingel
entschwengelt, daß sie nun in diesem entscheidendsten Moment keinen Schall von
sich geben kann? Bekennet es, ihr Verruchten, wer von euch war der
Rädelsführer?!“
[JS.01_008,10] Der erste Engel spricht: „Höre in Geduld tiefst aufmerksam, was
ich dir nun künden werde! Wohl weiß ich die gute Ordnung, derzufolge auf der
Welt kein Mensch, außer dem König nur, in dies Gemach treten darf. Wärest du
noch auf der Welt, da hättest du uns auch nicht an dieser Stelle erblickt. Aber
siehe, du bist nun dem Leibe nach gestorben und bist jetzt in der Geisterwelt,
wo es nur einen Herrn gibt, während alle andern Geister Brüder sind, gute und
schlechte, je nachdem sie auf der Erde gehandelt haben entweder gut oder böse.
Also haben wir auch vom Herrn das stets liebepflichtige Recht, jedermann zu
besuchen und ihm unsere Dienste anzubieten, wenn er, wie du, für uns noch
zugänglich ist.
[JS.01_008,11] Darin aber besteht eben auch des einigen Herrn Auftrag an dich
durch uns, daß wir dir eben solches künden sollen und auch eröffnen, daß hier in
dieser ewigen Welt für dich alle weltliche Ehre und Stellung aufgehört hat samt
aller Politik; und dies Gemach, dein Kleid und alle diese deine vermeintlichen
wichtigsten Staatspapiere sind nur Trug und Ausgeburt deiner noch überstark an
der Welt hängenden Phantasie und werden verschwinden, sobald du uns folgen
wirst. – Wirst du uns folgen, da wirst du einen leichten Weg in das wahre, ewige
Lebensreich haben, alldort es Seligkeiten gibt ohne Maß und Zahl; wirst du uns
aber nicht folgen, da wirst du einen überharten Stand haben, zum
Gottes-Lebensreiche zu gelangen! Denn siehe, du warst auf der Welt wohl mit
Gottes Zulassung ein großer Mann und hattest eine große Macht; durch diese Macht
ist aber bei dir auch gar mächtigst die Herrschliebe erwacht, die dich zu
manchem geführt hat, das da nicht gegründet war in der göttlichen Ordnung. Auch
hat dir diese Weltgewalt als Herrschlust auch den Glauben an den Herrn und
vielfach die Liebe zum Nächsten genommen und hat dich fürs Reich Gottes völlig
untauglich gemacht.
[JS.01_008,12] Aber siehe, der Herr weiß es, welch schwere Bürde du zu tragen
hattest, und hat große Erbarmung mit dir. Darum sandte Er uns zu dir, auf daß du
gerettet werden sollest und erhoben und nicht untergehen durch deine noch mit
herübergebrachte große Weltbürde. Denke hier nicht an ein Gericht; denn im
Reiche der Freiheit des Geistes gibt es kein Gericht und keinen Richter, außer
den eigenen freien Willen jedes Menschen! Denke auch nicht an die Hölle. Diese
ist nirgends, außer in jedem Menschen selbst, so er diese in sich durch sein
Böses – eben in sich – erst erschafft. Also denke aber auch an keinen Himmel als
verheißenen Lohn für gute Werke; sondern des Herrn Jesu Wort sei dein Wille,
durch dieses suche Ihn allein! Hast du Ihn, dann hast du alle Himmel und eine
ganz andere Macht aus der Liebe, als du sie gehabt hast auf der Welt aus deiner
Weltklugheit und hohen Stellung. Nun weißt du alles; tue, was dir dein freier
Wille zuläßt im Namen des Herrn Jesus. Amen.“
[JS.01_008,13] Der Minister spricht: „Wahrlich, eure Rede ist weise und bürgt
mir, daß da alles so ist, wie ihr es mir nun gekündet habt. Auch bin ich nun
völlig klar, daß ich leiblich gestorben bin. Aber daß da der gewisse Jude Jesus
der alleinige Gott und Herr sein soll, das fasse ich nicht! Was ist dann der
„Vater“ und der „Heilige Geist“? Seht, das stimmt mit der eigenen Lehre Jesu
nicht zusammen, der doch der erste war, der eine göttliche Dreiheit allenthalben
lehrte! Darum verzeiht mir, daß ich euch darum schon nicht so schnell folgen
kann, wie ihr es wünscht, – außer ihr überzeugt mich dessen schnell!“
[JS.01_008,14] Spricht der Engel: „Bruder, das geht so geschwind nicht, wie du
meinst. Lege vorerst dein Staatskleid ab und ziehe ein anderes der Demut und
völligen Selbstverleugnung an, dann wirst du alsbald die vollste Überzeugung
davon bekommen, das dir jetzt noch als unfaßlich erscheint.“
[JS.01_008,15] Der Minister antwortet: „Wohl denn, so übernehmet mich und bringt
mich zurecht, und schabet sorglich alles Weltliche von meiner Seele, dann wird
es sich zeigen, wie es mit eurer Aussage aussieht.“
[JS.01_008,16] Nun treten die drei anderen Engel hinzu, ziehen dem Manne die
Staatskleider aus und ziehen ihm dafür aschgraue, sehr zerlumpte und ziemlich
schmutzige an. Und der zweite Engel spricht nun zu ihm: „Nun bist du mit dem
Kleide der Demut angetan. Aber das allein genügt noch nicht, sondern du mußt
auch in der Tat demütig sein. Darum folge uns!“
[JS.01_008,17] Der Mann folgt, und seht, sie kommen bei einem Bauernhofe an und
sagen zu ihm: „Siehe, hier wohnt ein schroffer Mann und hat große
Schweineherden. Bei diesem sollst du dienen und mit allem zufrieden sein, was er
dir zum Lohne geben dürfte; und wird er hart und ungerecht sein gegen dich, so
sollst du alles mit Geduld ertragen und dir bloß in des Herrn Gnade und
Erbarmung Recht schaffen.
[JS.01_008,18] Wird er dich schlagen, da schlage nicht zurück; sondern wie ein
Sklave halte ihm den Rücken dar, so wie du auf der Erde – zufolge der
militärischen Subordination – es oft gesehen hast, wie sich ein armer Soldat
ganz willenlos auf die Bank legen mußte und aushalten die harte, oft höchst
ungerechte Strafe! Wirst du das alles in rechter Geduld ertragen, dann soll dir
ein besseres Los zuteil werden!“
[JS.01_008,19] Darauf spricht der Mann: „Ich bedanke mich gehorsamst für diese
Führung! Gebt mir nur mein Staatskleid wieder, ihr Betrüger; ich werde schon
selbst mir die Wege bahnen! Da schaut's die Lumpen an; aus unsereinem, der
wenigstens zwanzig Ahnen zählt, wollen sie so mir nichts, dir nichts einen
Sauhalter machen! O wäre ich noch auf der Welt, ich wollte euch dafür zahlen,
daß ihr es euch merken solltet! Diese Vagabunden geben sich noch für Gottes
Boten aus! Nein wartet, diese Gottesbotenschaft soll euch noch teuer zu stehen
kommen!“
[JS.01_008,20] Sehet, die Engel geben ihm sein Staatskleid wieder und sagen:
„Wie du willst. Da ist dein irdisch Kleid! Willst du die Wege des Lebens nicht
wandeln, so wandle deine eigenen; unser Dienst bei dir aber ist zu Ende.“
[JS.01_008,21] Nun sehet, in welch ein „Wasser“ unser Mann sich begibt; da wird
er lange zu schwimmen haben, bis er auf des verlorenen Sohnes Rückweg zum Vater
gelangen wird.
[JS.01_008,22] Hüte sich darum ein jeder vor der Herrschlust; denn diese hat
stets die gleichen Folgen. – Nächstens ein anderes Exempel.
Neunte Szene:
Bischof Martin. – 13. August 1847
Zehnte Szene: Der Arme.
– 16. Oktober 1848
[JS.01_010,01] Hier folgt als weitere kurzgefaßte Szene aus dem Geisterreich der
Tod oder eigentlich Austritt aus diesem irdischen Prüfungsleben in das wahre
ewige Geistesleben eines armen Tagwerkers, desgleichen Menschen die Großen der
Welt nun „Luder“, „Kanaille“ und „elendes Lumpengesindel“ nennen.
[JS.01_010,02] Da gehet mit Mir in ein ärmstes Stübchen, das mehr dem Loch eines
Bären als einem für Menschen bewohnbaren Zimmer gleicht. Kaum zwei Kubikklafter
beträgt der innere Raum. Eine stark schadhafte Tür führt in dieses Loch, das
über der Tür eine zwei Spannen lange und eine Spanne hohe Öffnung hat, durch die
ein von einer schmutzigen Stallmauer eines nachbarlichen Reichen sehr
gebrochenes und geschwächtes Licht fällt und des Loches innere Räumlichkeit
gerade soviel erleuchtet, daß sich dessen sieben Bewohner nicht die Augen
gegenseitig verletzen mögen. Dieses Prachtstück von einem Wohnzimmer hat weder
Ofen noch Herd; des letzteren Stelle vertritt in einem Winkel ein schmutzigster,
unbehauener, kaum ein Fuß hoher Kalkstein, auf dem die armen Bewohner dieses
wahren „Bärengrabes“ sich ein spärliches Mahl kochen, so sie so glücklich sind,
sich dazu durch Arbeit und Betteln das nötige Material zu verschaffen.
[JS.01_010,03] Notabene: Für diese „herrliche“ Wohnung müssen diese Armen einem
reichen Hausherrn monatlich 1 fl. 30 kr. Miete bezahlen und sind damit sogar
noch sehr zufrieden, weil ihr Hausherr sie wenigstens nicht zu sehr betreibt, so
sie den Mietzins nicht sogleich am Ersten des Monats bezahlen können, sondern
ihnen oft sogar vierzehn Tage zuwartet. Ja ihr Hausherr ist sogar „so gut“, daß
er ihnen wegen der Erkrankung ihres armen, siebzig Jahre alten Vaters 30 Pfund
schimmeliges Roggenstroh um 20 Kreuzer hat zukommen lassen und hat auf die
Bezahlung ebenfalls zehn volle Tage gewartet! Wahrlich, so ein „herzensguter“
und „geduldiger“ Hausherr wird doch einst auch bei Mir, dem Herrn, auf Erbarmung
und Geduld Anspruch erheben können!? –
[JS.01_010,04] Nun sehet, dort in dieses Loches finsterstem Winkel liegt auf dem
„frischen“ 20-Kreuzer-Stroh eben unser armer Tagwerksmann. Bei einer schweren
Bauarbeit fiel er vor einigen Jahren von einem schlechten Gerüst und brach sich
zwei Rippen und einen Arm. Er wurde wohl in ein Armenspital gebracht, dort aber
ärztlich ein halbes Jahr tyrannisiert und darauf, höchst schlecht geheilt, unter
ärztlichem Parere als Genesener entlassen.
[JS.01_010,05] Von da an siech, schwach und somit zu keiner schweren Arbeit mehr
fähig, behalf er sich mit seinem ebenfalls kranken und schwachen Weibe und mit
fünf weiblichen Kindern, darunter das älteste vierzehn Jahre zählt, durch
allerlei kleine Arbeiten, die seinen Kräften angemessen waren, und manchmal wohl
auch durch irgendeine milde Spende, die entweder sein Weib oder seine Kinder
dann und wann von einem seltenen weicheren Herzen erbettelten. Alter, Schwäche,
Kälte und schlechteste Kost, wie eine zurückgebliebene krebsartige Rippenwunde
warfen ihn nun auf dieses elendeste Krankenlager, auf dem wir ihn besuchend nun
ersehen.
[JS.01_010,06] Abgemagert wie eine ägyptische Mumie aus der Zeit der Pharaonen,
voller Schmerzen am ganzen Leibe, dessen Hüfte, Steißbein und wenigstens um
einen Zoll hervorragendes Rückgrat ganz wund sind von dem harten Lager, dazu
noch mit dem leersten, aller Speise entblödeten Magen, – so voll brennenden
Hungers spricht er mit sehr gebrochener Stimme zu seinem Weibe: „Mutterchen,
hast du gar nichts mehr? Kein Stückchen Brot? Keine warme Brühe? Keine gekochten
Erdäpfel? – O Gott, o Gott! Wie bin ich doch gar so entsetzlich hungrig! Vor
Schmerzen kann ich mich nimmer rühren, und dazu noch solch ein Hunger! O mein
Gott, mein Gott! Erlöse mich doch endlich einmal von dieser Qual!“
[JS.01_010,07] Spricht das Weib, das vor Mattigkeit und Hunger auch kaum mehr zu
stehen vermag: „O du mein armer, liebster Mann! Schon um sechs Uhr heute morgen
sind die drei ältesten Kinder ausgegangen, bei guten, mitleidigen Menschen etwas
zu erbitten, und nun ist's schon drei Uhr nachmittags und noch kommt keines
zurück! Ich zittere am ganzen Leibe vor Furcht und Angst, daß ihnen etwas Übles
begegnet ist. O Jesus und Maria! Wenn sie vielleicht gar ins Wasser oder in die
unbarmherzigen Hände der Polizei geraten sind!? Ich zittre an Händen und Füßen!
– Jesus stärke dich unterdessen; ich will mit Gottes Hilfe alle meine Kräfte
zusammenraffen und gerade zur Polizei gehen und da nachfragen, ob sie dort nicht
wissen, wohin etwa doch unsere armen Kinder gekommen sind!“
[JS.01_010,08] Spricht der Kranke: „Ja, ja, liebe Mutter, gehe, gehe, – mir ist
auch schon über alle Maßen angst und bange! Aber bleibe ja nicht lange aus, und
bringe mir etwas zu Essen mit, sonst sterbe ich vor Hunger! Bedenke, – schon
zwei volle Tage sind es, wo wir alle nichts gegessen haben. Wenn die drei armen
Mädel nur etwa nicht vor Mattigkeit irgendwo liegengeblieben sind!? – O mein
Gott, o mein Gott, so muß doch alles Elend über mich kommen!“
[JS.01_010,09] Das Weib geht fort, und wie sie kaum auf die Gasse kommt, da
ersieht sie auch schon einen Amtsschergen, der die drei Kinder vor sich
hertreibt. Die Mutter, solches ersehend, macht einen Schrei des Entsetzens und
spricht, die Hände übers Haupt erhebend: „Gerechter Gott! O Jesus! Das sind ja
meine armen Kinder!“
[JS.01_010,10] Die Kinder keuchen der Mutter ganz verweint zu: „O Mutter,
Mutter! Dieser wilde Mensch hat uns in einer Gasse, wo wir einen Menschen um ein
Almosen für unsern sterbenskranken Vater anbettelten, abgefangen, hat uns dann
in ein finsteres Zimmer eingesperrt, und weil er uns schon öfter betteln gesehen
habe, so kam er dann mit einem noch abscheulicheren Menschen, der wie ein Herr
ausschaute; der ließ uns dann, trotzdem wir ihn auf Knien baten, so mit Ruten
hauen, daß wir am Hinterleibe ganz blutig sind! Darauf fragte er uns hart, wo
wir wohnten, und als wir ihm vor Schmerz kaum unsere Wohnung angeben konnten, da
gebot er dann diesem wilden Menschen, der uns so schrecklich geschlagen hat, daß
er uns nach Hause bringen solle. – O Mutter, Mutter, das tut erschrecklich weh!“
[JS.01_010,11] Die Mutter, kaum der Sprache mächtig, seufzt tief zu Mir auf,
sagend: „O Herr, Du gerechtester Gott! Wenn Du lebst, wie kannst Du solche
Greuel ansehen und sie ungestraft geschehen lassen? O mein Gott, mein Gott, wie
kannst Du solch ein Elend über uns kommen lassen!?“ Darauf weint sie bitterlich.
Der Polizeimann aber verweist der Mutter, also auf der Gasse zu räsonieren, um
die Vorübergehenden auf sich aufmerksam zu machen, und gebietet ihr, sich
sogleich in ihre Wohnung zurückzuziehen.
[JS.01_010,12] Die Mutter entschuldigt sich als Mutter und spricht weinend: „O
Herr, kann ich wohl anders als weinen? Mein siebzigjähriger, auf den Tod kranker
Mann liegt überhungrig auf purem Stroh; wir alle haben zwei Tage nichts
gegessen. Diese Spätherbstzeit ist naß und schon sehr kalt, und wir haben kein
Spänchen Holz, um uns unsere feuchte und kalte Wohnung zu erwärmen. Ich selbst
bin schwach und krank. Diese drei Mädchen waren unsere einzige Stütze, und diese
habt ihr uns zu Krüppeln geschlagen! O Gott! Wie sollte ich dazu schweigen
können? Wie könnt ihr mir das gerechte Weinen verbieten? Seid ihr denn kein
Mensch, kein Christ?!“
[JS.01_010,13] Hier will der Polizeimann sie zurückschieben; aber hinter einer
Ecke springt ein herzhafter Mann hervor und schreit zum Polizeimann: „Halt
Freund! Bis hierher und nicht um ein Haar mehr weiter! – Hier hast du arme
Mutter 30 fl.; verpflege dich damit so gut als du magst. Du gefühllosester
Henkersknecht aber entferne dich sogleich von dannen, sonst treibe ich ein paar
Kugeln durch deinen Tigerschädel!“
[JS.01_010,14] Der Polizeimann will den Wohltäter für diese Drohung arretieren;
aber der Fremde zieht sogleich eine scharf geladene Pistole aus der Brusttasche
seines Rockes und hält sie dem Schergen entgegen, der es nun freilich für
rätlicher hält, sich schleunigst zu entfernen, als sich von diesem nun ganz
entsetzlich ernst aussehenden Manne etwas vorschießen zu lassen.
[JS.01_010,15] Nachdem der Polizeischerge aus dem Gesichte ist, geht auch dieser
Mann ganz still und gelassen seinen Weg weiter. Die Mutter und die drei Kinder
werfen ihm noch weit ihre Dankesküsse nach. Und die Mutter, von ihren drei
geschlagenen Töchtern, die ihren Schmerz ob dieses Wohltäters völlig vergessen
haben, unterstützt, eilt sogleich in die nächste Schenke und kauft Brot, etwas
Wein und Fleisch. Der Kellner macht freilich eine etwas bedenkliche Miene, als
er von diesem armen Gesindel eine 10 fl.-Banknote zu wechseln bekommt. Aber er
denkt sich: Geld ist Geld, ob gestohlen oder auf eine ehrliche Art erworben,
wechselt der Armen die Banknote und verabreicht ihr das Verlangte.
[JS.01_010,16] Damit nach Hause eilend, finden sie den armen Mann weinend vor
Schmerz und Hunger. Die Mutter gibt ihm sogleich etwas Brot und Wein, und die
älteste Tochter springt zu einem nächsten Kreisler und kauft um ein paar
Groschen Holz, Feuerzeug und auch ein halbes Pfund Kerzen.
[JS.01_010,17] Als sie damit nach Hause kommt, findet sie zu ihrem Entsetzen
zwei Polizeischergen vor der Tür des Armen, die nun eiligst zurückgekehrt sind,
den wohltätigen Mann entweder noch hier zu treffen oder, im entgegengesetzten
Falle, sich bei dem armen Weibe möglicherweise von dem Stande und der Wohnung
dieses Mannes in Kenntnis zu setzen. Und würde das Weib nicht Rede und Antwort
geben, so solle sie arretiert werden.
[JS.01_010,18] Mit diesem „löblichen“ Vorhaben, vom Polizeiamt dahin beordert,
treten sie mit dem armen Mädchen in die finstere Stube, sogleich ein Licht
verlangend und das Weib bedrohend, über jenen Mann volle Auskunft zu geben,
widrigenfalls sie mit ihnen auf das Polizeiamt gehen müsse. Das arme Weib,
solches vernehmend, sinkt vor Angst zusammen. Die älteste Tochter, auch bebend
vor Angst, macht das verlangte Licht, und die zwei Schergen, den Kranken auf dem
Boden nahezu nackt, nur mit dürftigsten Lumpen teilweise bedeckt ersehend,
schaudern anfangs wohl etwas zurück, ermannen sich aber bald und fragen das
halbtote Weib um des bewußten Mannes Stand und Wohnort.
[JS.01_010,19] Das Weib bebt und ist keiner Antwort fähig. Die beiden Schergen
halten diesen Zustand für Tücke, reißen das Weib vom Boden und wollen es
sogleich einführen. Der kranke Mann und die fünf Kinder bitten um Gnade und
Erbarmen, aber die beiden handeln stumm ihr „schönes“ Amt.
[JS.01_010,20] Aber im Augenblick, als die zwei Schergen das Weib schon an der
Türschwelle halten, kommt unser Mann mit noch drei kräftigen Gehilfen. Sie
entwinden zuerst das vor Angst halbtote Weib den Händen dieser zwei Schergen und
hauen diese dann ganz weich durch, so daß sie kaum gehen können, und bedrohen
sie, wie ihr ganzes Amt darauf, sagend: „Im Namen Gottes! So ihr elenden Bestien
es noch einmal waget, diese heilige Stätte zu betreten, in der Gottes Engel
wohnen, da erwartet von uns die fürchterlichste Rache! Wir sind nicht Menschen
und Wesen dieser Welt, sondern wir sind Schutzgeister dieser Engel, die hier die
Probe des Fleisches durchmachen!“
[JS.01_010,21] Darauf verschwinden die vier Helfer. Die zwei Schergen aber
ziehen auch, nun ganz nüchtern, von dannen, um nicht wiederzukommen.
[JS.01_010,22] Das Weib erholt sich darauf bald und sorgt nun – Mir für diese
Rettung dankend –, daß der dem Ende sehr nahe Mann eine warme Suppe bekomme. Die
Suppe ist bald fertig und wird dem alten Manne unter tausend Segnungen
dargereicht, der sie, Mir und den Seinen dankend, mit großem Appetit verzehrt.
[JS.01_010,23] Dadurch etwas gestärkt, spricht er zum Weibe und zu seinen
Kindern: „Du, mein teures Weib, und ihr, meine geliebtesten Kinder, habt nun
meinetwegen viel ausgestanden. Aber ihr habt euch dabei auch sichtbar überzeugt,
daß des Herrn Hand für euch stritt und eure Feinde wie einen schlechten
Spukgeist von dannen trieb. Vertrauet also fortan auf den Herrn; Er wird euch
dann am nächsten sein, wenn eure Not am höchsten sein wird! – Vergebet allen,
die gegen uns und besonders gegen euch hart waren; sie sind maschinenmäßige
Werkzeuge einer blinden, herrschsüchtigen Polizeiamtsherrschaft und tun, ohne zu
forschen und zu wissen, was sie tun. Der Herr allein soll ihr Richter sein!
[JS.01_010,24] Ertraget euer Kreuz mit Geduld und sucht nie ein Glück dieser
Welt; denn Glückskinder dieser Welt sind keine Gotteskinder. Was da herrlich ist
in dieser Welt, das ist vor Gott ein Greuel! Fürchtet euch vor nichts so sehr
wie vor dem Weltglücke, denn dieses ist das größte Unglück für den Geist.
[JS.01_010,25] Sehet, was hätte oder was möchte es mir nun genützt haben, so ich
einer der reichsten Erdenbürger wäre? Nun am Rande meiner irdischen Laufbahn
hätte ich nichts als den sicheren ewigen Tod vor mir. – Aber wie ganz anders
steht es nun mit mir! Der Tod hat seine Schrecken vollends ausgezogen; für mich
gibt es keinen Tod mehr! Schon bin ich erlöst von allen meinen irdischen Leiden,
und vor mir steht schon weit geöffnet die herrliche Pforte in das Reich Gottes!
[JS.01_010,26] Sehet, mein Leib, dieser abgenützte Sattel der Seele zur Tragung
des Gotteskreuzes, liegt nun schon kalt und tot auf dem harten Strohlager. Aber
ich, Seele und Geist, der ich diesen nun toten, von mir abgefallenen Leib
siebzig Jahre lang bewohnte, bin nun frei, lebe schon ein ewiges Leben und habe
des Leibes Tod weder gesehen noch gefühlt; denn in einem mir kaum bewußten
wunderbaren Augenblick bin ich von meiner beschwerlichen Last freigemacht
worden. Befühlet den Leib und überzeugt euch, daß er schon völlig tot ist. (Das
Weib und die Kinder befühlen den Leib und finden ihn kalt und hart und tot.) Und
seht, ich lebe dennoch und rede mit euch nun viel vollkommener, als ich je
geredet habe!
[JS.01_010,27] Der Grund von dem aber ist, daß ich stets an Jesus, den
Gekreuzigten, geglaubt und soviel es mir möglich war, nach Seinen Geboten
gehandelt habe. Wie Er aber gelehrt hat im Tempel – nämlich, daß die den Tod
nicht sehen und schmecken werden, die Sein Wort annehmen und danach leben, so
hat sich das an mir nun auch als ewig wahr bestätigt, denn ich habe den Leib
abgelegt, ohne gefühlt zu haben, wie und wann.
[JS.01_010,28] Kein Vermögen hinterließ ich euch, meine große irdische Armut ist
euer aller Erbe! Aber freuet euch darob; wüßten die blinden Reichen der Erde,
welch ein Reichtum für den Geist die irdische Armut ist, sie flöhen ihre
Geldsäcke wie die Pest! Aber ihre große Blindheit hält das für einen Gewinn, was
sie für ewig tötet. So lassen wir sie denn auch wandeln den Weg des Verderbens.
Wollt ihr aber am Ende eurer irdischen Reise auch so glücklich sein, wie ich es
nun bin, so fliehet das Weltglück und suchet es nimmer!
[JS.01_010,29] Glaubet es mir, der ich nun schon vom Jenseits herüber mit euch
rede: Je größer jemandes Kreuz ist und je schwerer zu tragen, desto leichter und
unfühlbarer wird sein Übertritt von dieser Welt der Materie in die des Geistes
sein. Denn alles, was Christus nachfolgt, muß den Weg des Fleisches wandeln.
Alles muß in Christus gekreuzigt werden und in Ihm sterben, ansonst es in Ihm
und durch Ihn ewig zu keiner Erweckung und Auferstehung gelangen kann!
[JS.01_010,30] Durch Armut, Not und andere Lebensbeschwernisse aber wird das
Fleisch schon in Christus gekreuzigt und getötet; daher wird denn auch ein
jeder, der so lebt, wie wir gelebt haben und ihr noch lebet, da, wo die Reichen
am Ende ihres Erdenglücks ganz eigentlich sterben, – erweckt und wird am
scheinbaren Sterbelager die schon volle Auferstehung zum ewigen Leben ernten!
Denn der in den Willen des Herrn ergebene Arme stirbt beständig, und wenn sein
Ziel vollendet ist, da ist er auch schon mit allem Tode fertig und kann daher
nicht mehr sterben, sondern nur auferstehen in Christus. – Aber ganz anders ist
es bei jenem Menschen, der in einem fort seinen Gelüsten gelebt hat. Solch ein
Mensch stirbt am Ziele seines Fleisches wirklich und vollkommen und kann
jenseits nur schwer – auch wohl gar nicht und nimmer – erweckt werden.
[JS.01_010,31] Das alles behaltet in euren Herzen und seid voll Freude, so euch
die Welt verachtet und euch mit schimpflichen Namen belegt und euch verfolgt mit
allerlei Waffen ihres argen, harten Herzens. Denn der Herr beobachtet die „Arge“
allzeit und kennt ihre Pläne! Ich sage euch: Wenn ihr erstehen werdet, da wird
sie zugrunde gehen. Darum suchet vor allem nur das Reich Gottes und seine
Gerechtigkeit; alles andere wird euch umsonst hinzugegeben werden.
[JS.01_010,32] Freuet euch daher nie über die Reichen dieser Welt, sondern
bedauert sie vielmehr; denn sie alle sind überarm im Geiste. Aber desto mehr
freuet euch derjenigen, die wie ihr in allerlei Kreuz und Nöten sich befinden!
Denn solche sterben täglich Christus, um dann am Ende nicht mehr zu sterben,
sondern aufzuerstehen zum ewigen Leben in Christus.
[JS.01_010,33] Diese meine letzten Worte auf dieser Welt seien euer großer
Reichtum, den ich euch hinterlasse; von diesem Erbe werdet ihr keine Steuern zu
entrichten haben! – Diesen meinen Leib aber schaffet bald aus dem Zimmer; denn
er ist vollkommen tot. Machet aber ja keine Zeremonien dabei, denn alle solche
Zeremonien sind vor Gott ein Greuel. Also dürft ihr auch keine Messe zahlen;
denn Gott den Herrn ekelt es vor einem bezahlten Gebet. Alles aber, was ihr tut,
das sei ein lebendiges Lob dem Herrn, darum Er mir eine so große Gnade hat
erweisen wollen. Ihm allein sei alle Ehre, alles Lob und alle unsere Liebe ewig.
Amen.“
[JS.01_010,34] Mit diesen Worten verstummt er für diese Welt und ist schon
früher dem Leibe nach vollkommen tot. –
[JS.01_010,35] Alsogleich ersieht er neben sich drei überaus freundliche Männer
in weißer Faltenkleidung stehen, die ihn gar lieblich begrüßen und ihm die Hände
zum ewigen Bruderbunde reichen. Gern und selig und aller irdischen Leiden
vergessend reicht er ihnen auch die seinigen hin, sich noch über seinem
irdischen Leibe wie aufrecht sitzend befindend und sagend: „O ihr lieben, mir
noch völlig unbekannten Freunde des Herrn Jesu Christi, was ihr sicher seid!
Volle sieben Dezennien, die ich auf der harten Erde verlebte, habe ich wohl –
irdisch genommen – wenig gute, aber dafür desto mehr kummervolle Tage erlebt,
und die letzten waren wohl die bittersten. Denn in diesen regnete es nur so von
Schmerzen und tiefster Not über meine arme sündige Haut. Aber dem Herrn sei
alles aufgeopfert und Ihm allein alles Lob und alle meine Liebe ewig dafür! Denn
obschon ich wahrlich viel gelitten habe, so hat es aber dennoch nie an
zeitweiligen Tröstungen gemangelt, die mich wieder im Herzen ganz aufgerichtet
und all die körperlich tödlich-bittersten, gräßlichen Schmerzen und Wunden des
Leibes im Namen des Herrn verachten gelehrt haben. Und nun habe ich mit der
großen Gnade, Hilfe und Erbarmung Gottes, des Herrn Jesus Christus, alles
überstanden und erwarte eben in der Geduld, die mir auf Erden so oft alle Leiden
milderte, was des Herrn heiligster Wille über mich verfügen wird. Ihm allein sei
alle meine Liebe, all mein Lob und meine Anbetung gereicht, – Sein allein
heiliger Wille geschehe!“
[JS.01_010,36] Spricht einer der drei weißgekleideten Männer: „Lieber Freund,
was würdest du aber tun, so dich der Herr um Seiner großen Heiligkeit willen und
deiner läßlichen Sünden wegen – und das nach deinem Glaubensbekenntnis – ins
Fegefeuer so auf etwa eine unbestimmte Zeit beheißen würde, wo du übergroße
Schmerzen leiden müßtest? Könntest du da auch unter den größten Feuerschmerzen
den Herrn noch loben und preisen? Und könntest du Ihn noch lieben?“
[JS.01_010,37] Spricht der Arme: „O du lieber Freund! Des Herrn endlose
Heiligkeit fordert wohl die größte Reinheit jener Seele, die Seiner Anschauung
würdig werden sollte; aber Seine ebenso unendliche Weisheit und Güte weiß es ja
auch, wieviel Schmerz eine arme Seele ertragen kann, und wird sie daher nicht
überbürden! – Fordert aber Seine Gerechtigkeit Seiner unendlichen Heiligkeit
wegen solches von mir, so geschehe auch da Sein heiliger Wille! Denn ich ersehe
auch darin noch Seine große Liebe, die nur darum solche Reinigung der Seele
verordnet, damit diese würdig werden möchte, zur Anschauung Gottes aufgenommen
zu werden!
[JS.01_010,38] Ich sage, der Herr ist allzeit die reinste Liebe, somit endlos
gut, und alles, was Er tut, ist gut. Daher geschehe nur ganz allein Sein
allerheiligster Wille! Denn so ich auch um Schonung und Erbarmung flehen würde,
so wäre das sicher nie so gut für mich, als was des Herrn höchste Weisheit und
Liebe über mich verordnet und bestimmt. Darum sage ich ein für alle ewigen Male:
Gelobt sei der Herr Jesus Christus, der da als einiger Herr-Gott mit dem Vater
und Heiligen Geiste herrschet und regieret von Ewigkeit zu Ewigkeit! Sein
allerheiligster Name werde gepriesen, und Sein allein heiliger Wille geschehe!“
[JS.01_010,39] Spricht der Weißgekleidete: „Da hast du nun vollkommen recht und
wahr gesprochen. Aber bedenke, daß du ohne Beichte und Kommunion gestorben bist;
könnte es nicht leicht sein, daß, so du nun vor Christi Richterstuhl hintreten
müßtest, eine Todsünde an dir gefunden würde und du im Stande der Ungnade – nach
der Lehre deiner Kirche – in die Hölle auf ewig fahren müßtest? Wie würdest du
da den Herrn loben und preisen?“
[JS.01_010,40] Spricht der Arme: „Freunde, was ich tun konnte, das habe ich
sicher getan. Daß ich am Ende nicht beichten konnte, war ja nicht meine Schuld.
Und vor drei Wochen habe ich ohnehin gebeichtet, wo mir der Beichtvater
versicherte, daß ich nun lange nicht mehr der Beichte bedürfe. – O Freunde, so
ich aber dennoch irgend eine mir unbewußte Todsünde an mir haben sollte, da wohl
bittet den Herrn für mich armen Sünder, daß Er mir gnädig und barmherzig sein
möge! Denn in die Hölle zu kommen auf ein leidenvolles irdisches Leben, wäre
wohl das Allerschrecklichste! O Herr, Dein Wille wohl geschehe, aber sei mir
armen sündigen Seele dennoch gnädig und barmherzig!“
[JS.01_010,41] Spricht der weiße Mann wieder: „Ja – lieber Freund, mit unserer
Fürbitte, im Falle du eine Todsünde an dir hättest, würde sich's vielleicht doch
nicht tun. Denn du weißt es ja aus der Lehre deiner Kirche, daß bei Gott nach
dem Tode keine Erbarmung stattfinden kann wegen Seiner allervollkommenst
strengsten und unwandelbarsten Gerechtigkeit. Zudem hast du auf der Welt ja
ohnehin nie auf die Fürbitte der Heiligen und auf das Meßopfer stets wenig und
am Ende sozusagen gar nichts mehr gehalten, wodurch du gegen deine Kirche ohne
alle Widerrede als Ketzer dich benommen hast und in ihrem Angesichte zu einem
größten Sünder wurdest. Wenn wir da nun auch bei Gott für dich bitten würden,
meinst du wohl, daß dir unsere Fürbitte etwas nützen möchte? – Warum hast du
denn auf die Litaneien der Kirche und auf ihre Seelenmessen – deinem eigenen
letzten Bekenntnisse nach – nichts gehalten, da du deinen Hinterlassenen die
Lehre gabst, daß bezahlte Gebete vor Gott ein Greuel sind, darum sie für dich ja
keine Messe zahlen sollen? Da sich aber dies alles bei dir doch also verhält,
wie sollen wir für dich bei Gott bitten? Was meinst du nun in dieser Hinsicht?
Wird oder kann dir das wohl etwas nützen bei Gott?“
[JS.01_010,42] Spricht der Arme voll Geist und voll tiefer Fassung: „Freunde,
wer ihr auch sein möget, das ist mir gleich; mehr als Gottes Geschöpfe seid ihr
nicht, und das – Gott dem Herrn ewig Dank und Liebe! – bin ich auch und glaube,
mit euch ebenso frei reden zu dürfen, wie ihr mit mir redet.
[JS.01_010,43] Ich war auf der Welt wohl sehr arm und elend; aber ich konnte
lesen, etwas schreiben und ziemlich gut rechnen. Sonn- und Feiertage habe ich
meistens mit dem aufmerksamsten Lesen und Betrachten der Heiligen Schrift
zugebracht. Je mehr ich mich darin zurechtfand, desto klarer wurde es mir, daß
die römisch-katholische Kirche gerade das schroffste Gegenteil von all dem tut
und getan haben will, was Christus und die Apostel laut den vier Evangelien und
den Briefen der Apostel gelehrt und selbst getan haben. – In einem Brief des
Apostels Paulus fand ich sogar die Donnerstelle: ,Und so ein Engel aus den
Himmeln käme und lehrete euch ein anderes Evangelium, als das ich euch künde,
nämlich von Jesus dem Gekreuzigten, der sei verflucht!‘ (Gal.1,8)
[JS.01_010,44] Diese Sentenz fuhr mir wie tausend Blitze durch die ganze Seele,
und ich dachte und fragte mich: Wie steht es denn bei sogestalteten Worten des
Apostels mit der Lehre Roms, die das Wort Gottes nicht nur nicht lehrt und es
allen Laien verbietet zu lesen, sondern lehrt ganz andere Dinge, die ganz dem
finstersten Heidentume gleichen? Wem soll ich nun glauben?
[JS.01_010,45] Eine innerste Stimme sprach nahe ganz laut zu mir: ,Glaube dem
Worte Gottes!‘ Und ich tat, wie die innerste Stimme gesprochen hatte.
[JS.01_010,46] Mir wurde von Tag zu Tag klarer, daß ich recht tat. Denn ich
begriff es im Herzen und war im Geiste und in der Wahrheit von allem überzeugt,
was ich treu glaubte und tat, – daß die Lehre Christi reines und allein wahrstes
Wort Gottes ist, in der allein alles Heil und das ewige Leben zu suchen und zu
finden ist!
[JS.01_010,47] Gott ist unveränderlich. Wie Er war, so wird Er auch bleiben der
eine endlos vollkommenste ewige Geist der reinsten Liebe. Wie könnte Er die
Kirche in Rom gegründet haben, die nichts als Haß und Verfolgung, Verderben, Tod
und Hölle predigt? ,Nein, ewig nein!‘, sprach es in mir, ,wer da richtet und
verdammt seine Brüder, der ist selbst gerichtet und verdammt! – Richte und
verdamme aber auch du niemanden in deinem Herzen, so wirst auch du nicht
gerichtet werden!‘ – So vernahm ich's, und so handelte ich auch. Wohl sah ich
stets heller, wie Roms Pfaffen mit dem Herrn im Geiste es noch tausendmal ärger
trieben als jene, die Ihn einst wirklich dem Leibe nach kreuzigten; aber ich
richtete sie dennoch nie, sondern sprach allzeit in meinem Herzen: Herr, vergib
ihnen, denn sie alle sind stockblind und wissen nicht, was sie tun!
[JS.01_010,48] Ich sah und begriff des Herrn endlose Liebe stets mehr und mehr.
Daher wuchs aber auch meine Liebe zu Ihm so mächtig in mir, daß alle meine
irdischen Leiden sie nicht im geringsten zu schmälern vermochten, sondern
stärkten sie nur stets mehr und mehr! Und so sage ich euch nun auch ganz frei
und unverhohlen: Christus ist meine Liebe und mein Leben – auch in der Hölle,
wenn ich schon von euch aus dahin verdammt sein soll; auch die Hölle wird Ihn
mir nimmer rauben!
[JS.01_010,49] Wohl weiß ich, daß ich vor Gott als ein unwürdigster Sünder
dastehe, und bin nicht würdig, meine Augen dahin zu erheben, wo Er, der
Allerheiligste, wohnt! Aber saget es mir, wo wohl in der weiten Unendlichkeit
Gottes wohnt ein Engel oder ein Mensch, der da sagen könnte gleich dem Herrn:
,Wer aus euch kann mich einer Sünde zeihen?‘ – Wahrlich, es ist mir seliger zu
sagen: ,Herr, ich bin der Allerunwürdigste!‘ als: ,Ich bin Deiner Gnade der
Würdigste!‘ Ich wie auch sicher ihr können nur sagen – und so wir auch alles
getan hätten, was Er zu tun uns geboten hat –: ,Herr, wir alle sind Deine
unnützesten Knechte gewesen und haben uns durch nichts Deiner Gnade würdig
gemacht. O Herr, o Vater! Sei uns daher – Deiner alleinigen endlosen Verdienste
um uns Unwürdigste wegen – gnädig und barmherzig!‘
[JS.01_010,50] Dies zu sagen und zu bitten haben wir allein nur das Recht; alles
aber, was darüber ist, halte ich für eine eigentlichste Todsünde, zeitlich wie
ewig! Nun werdet ihr hoffentlich begreifen, warum ich auf die Litanei und auf
die bezahlten Gebete nichts gehalten habe. Aber für eine wahre Fürbitte nach der
Wahrheit und Liebe des Herzens von seiten eines Bruders für den andern war ich
allzeit eingenommen und bat also aus dem Grunde auch euch darum. Ihr aber könnt
tun, was ihr wollt. In allem aber geschehe des Herrn allerheiligster Wille
ewig!“
[JS.01_010,51] Spricht der Weißgekleidete wieder, innerlich ganz entzückt über
diesen neuen herrlichen Bruder: „Lieber Bruder, wir sehen deinen wahren Ernst,
Mut und Eifer um den Herrn, der wahrlich wie ein Fels dasteht. Aber frage dein
Herz, ob du dich auch vor dem Angesichte des Herrn also zu reden getrauen
würdest?“
[JS.01_010,52] Spricht der Arme: „Da könnte nur meine übergroße Liebe zu Ihm mir
wohl die Zunge, aber nie meinen Mut lähmen. Und wahrlich, es gehört gar nicht
viel Mut dazu, vor Gott Selbst zu bekennen, daß man sich vor Ihm allerwahrst als
ein nutzlosester und somit Seiner Gnade und Erbarmung bedürftigster Knecht
anpreiset. – O ich habe Christus noch nie im eigentlichsten Sinne gefürchtet;
denn ich liebte Ihn zu sehr, als daß ich mich vor Ihm hätte fürchten können. –
Nur saget mir, ob ich noch lange hier verbleiben werde oder nicht. Ich möchte
wohl schon recht sehr bestimmt wissen, wohin ich mich werde zu begeben haben!
[JS.01_010,53] Spricht der weißgekleidete Mann: „Nur noch eine kleine Geduld,
wir müssen noch jemanden deinetwegen erwarten. Sowie der ankommen wird, vom
Herrn dein Urteil überbringend, wirst du sogleich dieser Stelle enthoben werden
und wirst dahin ziehen, wohin es der Wille Gottes bestimmen wird. – Siehe, dort
vom Morgen her gehet er schon; bald wird er hier sein! – Hast du keine Furcht
vor ihm, der da kommt im Namen des Herrn?“
[JS.01_010,54] Spricht der Arme: „O nein! So ich den Herrn Selbst über alles
liebe, wie sollte ich den fürchten, den Er zu mir sendet?“
[JS.01_010,55] Spricht der weißgekleidete Mann: „Weißt du, lieber Bruder, aber,
daß selbst der Gerechteste des Tages siebenmal sündigt, ohne zu wissen, daß er
sündigt? Wenn du nun alle Tage zusammenzählst, von deinen zurechnungsfähigen
Jahren angefangen, und sie mit sieben vervielfältigst, da dürfte doch eine ganz
bedeutende Menge von Todsünden zusammenkommen, besonders angenommen, daß – nach
Ignatius von Loyola – vier kleine auch eine große ausmachen! Und wenn der Bote
mit einer solchen Rechnung zu Wege käme, würdest du dich auch dann nicht
fürchten vor dem Boten des Herrn?“
[JS.01_010,56] Spricht der arme Mann: „Nein, und noch einmal gesagt: durchaus
nein! Ich muß euch, meine lieben Freunde, offen gestehen, daß es mich geradewegs
freuen würde, als ein recht großer Sünder befunden zu werden! Denn die Sünde
erhebt mich nicht, sondern sie demütigt mich, und das ist gut und recht. Ich
habe das gar oft auf der Erde empfunden, so ich eine freilich kurze Zeit mir
öfter keiner Sünde bewußt war, was bei mir besonders nach einer Beichte der Fall
war, – in solch einem Zustande war ich bei mir selbst ganz hochmütig aus
vermeintlicher purer sittlicher Unbescholtenheit und sagte auch heimlich bei
mir, so ich irgend so einem rechten Lumpen von einem Menschen begegnete:
Gottlob, daß ich nicht so bin wie dieser, Gottes und jedes Menschenrechtes
vergessende Kerl!
[JS.01_010,57] Aber wenn ich bald darauf selbst wieder in irgendeine Sünde
verfiel, da dachte ich dann in aller Zerknirschung meines Herzens, so mir ein
anderer Sünder unterkam: Schau, dieser, den du für einen schlechten Kerl hältst,
ist vielleicht vor Gott bei weitem reiner als du. Daher sei Du, o Gott, mir
armem Sünder gnädig und barmherzig! Denn ich fühle mich nun nicht einmal würdig,
meine Augen zu Deinen Himmeln zu erheben! – Und das, Freunde, war sicher besser
gedacht und eines allzeitigen Sünders würdiger, als zu denken und bei sich zu
sagen: Herr! Ich bin ein Reiner und habe alle Gesetze beachtet von Kindheit an,
daher ich denn nun auch mit vollem Rechte von Dir die verheißene Belohnung
erwarte! –
[JS.01_010,58] Freunde, ich weiß aber, daß ich vor Gott ein sündiger Mensch bin.
Daher bin ich auch nur demütig und erhoffe von Ihm nichts nach irgend einem
Verdienste, sondern alles von Seiner alleinigen Gnade und Erbarmung.
[JS.01_010,59] Ich weiß auch wirklich nicht, was sich Geschöpfe vor dem
allmächtigen Gott, der allein alles vermag und unserer Hilfe noch nie benötigt
hat, für zu belohnende Verdienste hätten sammeln können?! Haben sie etwa Gott,
dem Herrn, Himmel und Erden erschaffen geholfen – oder die Erlösung vollbringen?
Oder hat etwa jemand dadurch Gott, dem allein Heiligen, etwas genützt, so er zu
seinem eigenen Besten die vom Herrn gegebenen Gesetze mehr oder weniger beachtet
hat? Ich meine, Gott wäre ohne uns ebenso vollkommen Gott, wie Er es nun ist, da
wir doch nur bestimmt sind, in uns aufzunehmen Seine endlose Gnade, Erbarmung
und Liebe, und nicht, Ihm etwa sonstige, ewig unbenötigte Dienste zu leisten.
[JS.01_010,60] Sehet, so habe ich allzeit gedacht, denke nun auch so und werde
auch ewig also denken, vorausgesetzt, daß mir ein ewiges Dasein fortan zuteil
wird! Aus diesem Grunde sehe ich denn auch nicht ein, warum ich mich nun vor dem
Boten des Herrn fürchten sollte, weil ich doch keinen Grund finden kann, mich
vor dem Herrn Selbst zu fürchten. Ja, ich fürchte wohl auch den Herrn, aber
nicht wie ein Verbrecher, sondern als ein Liebender, der sich viel zu sündig und
unwürdig fühlt, den Herrn mit seinem unreinen Herzen zu lieben nach all seiner
Lebenskraft! Was meint ihr lieben Freunde nun, habe ich recht oder nicht?“
[JS.01_010,61] Spricht der Weißgekleidete: „Wir sehen es nun ganz klar ein, daß
du dich von uns nimmer wirst bekehren lassen; deshalb wollen wir dir auch keine
weiteren Ungelegenheiten mehr machen, und überlassen alles dem hierher
Kommenden. Siehe, er ist schon da!“
[JS.01_010,62] Der Bote tritt sogleich überfreundlichen Angesichts zum armen
Manne hin, reicht ihm freundlichst die Hand und spricht: „Erhebe dich, lieber
Bruder, über deine sterblichen Reste und erstehe zum ewigen Leben in deinem Gott
und Herrn, den du in Jesus Christus stets so innig geliebt hast!“
[JS.01_010,63] Der Arme erhebt sich nun sogleich wie vollkommen frei und erfüllt
mit großer Kraft und Stärke und spricht zum Boten, der sehr einfach und schlicht
aussieht: „Erhabener Gesandter des allmächtigen großen Gottes! Ein
unbegreifliches Wonnegefühl durchzuckte mein ganzes Wesen, als du mir die Hand
reichtest; das gilt mir auch als ein sicherster Beweis, daß du wahrhaft ein Bote
vom Allerhöchsten an mich armen Sünder gesandt bist. Da du das nicht nur nach
der Vorsage dieser drei Brüder, die mir eine große Angst und Furcht vor dir
eintreiben wollten, sondern nach meinem nunmaligen eigenen untrüglichen Gefühl
wahrhaft bist, o so sage es mir nun gütigst, was ich von dem allergerechtesten
Richterstuhle Gottes zu erwarten habe!? Verdienste wohl habe ich keine, wie ich
auch ewig keine haben werde; aber da ich es fühle, daß ich vor Gott ein sicher
grober und großer Sünder bin, da sage es mir, ob ich auf Gnade und Erbarmung
hoffen darf?“
[JS.01_010,64] Spricht der Bote: „Lieber Bruder, wie kannst du um solches
fragen? Dein Herz ist voll von Liebe zum Herrn, – das ist ja schon der Herr
Jesus, der allein Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, in dir! Wer aber Jesus im
Herzen hat, wie sollte der danach fragen, ob er Gnade und Erbarmung von Ihm
erhoffen darf?! Ich sage dir: Du bist nun schon selig und wirst ewig von keinem
Gericht etwas an dir zu gewahren haben! – Komme nun mit mir vor deinen Gott, vor
deinen liebevollsten heiligen Vater und empfange dort, was allen jenen in aller
Fülle bereitet ist, die Ihn wie du in aller Wahrheit über alles lieben!“
[JS.01_010,65] Spricht der Arme: „O erhabener Bote Gottes! Vergib es mir, dahin
kann ich dir nicht folgen! Denn solcher Gnade bin ich ewig nicht wert! Bringe
mich aber so wohin, an ein ruhiges Örtchen, wo so meinesgleichen verdienstlose,
allergeringste Selige wohnen mit der Hoffnung, den Herrn Jesus alle irdischen
hundert Jahre einmal von ferne zu Gesichte zu bekommen, und ich werde da so
selig sein wie die allerreinsten und vollkommensten Engel! Auch könnte ich es ja
gar nicht aushalten, so der Herr Jesus mir zu nahe käme; denn meine zu große und
mächtige Liebe zu Ihm würde mich ja ganz zerreißen, so ich zu Ihm käme! Daher
tue mir das, um was ich dich aus der gegründetsten Zerknirschung meines Herzens
gebeten habe.“
[JS.01_010,66] Spricht der Bote: „Mein teuerster Bruder, das kann nicht sein;
siehe, der Herr will es also! Wenn ich es aber stets in der allernächsten Nähe
des Herrn aushalten kann, da wirst du es schon auch können. Daher komme nur mit
mir und scheue dich nicht im geringsten! Ich sage dir, wir beide werden uns vor
dem Herrn schon zurechtfinden.“
[JS.01_010,67] Spricht der Arme: „Ja nun, in Gottes Namen, wenn du es also
meinst, da will ich es freilich wagen! – Aber sage mir, warum sehen diese drei
weißgekleideten Brüder uns beide nun gar so wie in ihr Innerstes ergriffen und
entzückt an? Sehen die schon irgendwo den Herrn?“
[JS.01_010,68] Spricht der Bote: „Kann wohl sein; aber sie haben heimlich auch
eine übergroße Freude über dich, wie über jeden, der mit solcher Liebe wie du
hierher kommt. Siehe dort gen Morgen, wo sich ein sanftes Gebirge erhebt, über
das ein herrlichstes Morgenrot leuchtet, – dort hinüber geht unser Weg, den wir
gar leicht und recht bald werden zurückgelegt haben! Von jener Höhe wirst du
dann sogleich das neue heilige Jerusalem, die ewige Stadt Gottes, vor dir
erschauen, in der du wohnen wirst ewiglich!“
[JS.01_010,69] Spricht der Arme: „Ach Bruder, wie herrlich, wie rein göttlich
strahlt doch dies herrliche Morgenlicht, welch herrliches Gewölk! Und nur die
herrlichen Matten und Bäumchen! O du, du unbegreiflich schöne Himmelswelt! Was
sind dagegen alle Herrlichkeiten der Erde? – Aber ich sehe nun ja auch große
Scharen uns entgegenziehen und vernehme auch überhimmlisch herrliche Lieder! O
welch eine Harmonie! Wer kann ihren unermeßlichen Wohlklang ermessen!? – Wie
mächtig doch glänzen sie, die uns entgegenziehen! Wie werde ich mich in dieser
meiner noch sehr irdisch aussehenden Kleidung unter ihnen ausnehmen?!
[JS.01_010,70] O Gott, o Gott! Es ist wahrlich kaum mehr auszuhalten! Siehe, sie
kommen uns schon ganz nahe, und nun, nun – was ist denn das? Sie fallen ja wie
vor uns auf ihre Knie und Angesichter und scheinen ganz zerknirscht zu sein!?
Vielleicht kommt schon etwa gar der Herr Selbst irgendwo von rückwärts her zu
dieser Schar? Oh, sage mir doch, was das zu bedeuten hat!“
[JS.01_010,71] Spricht der Bote: „Es wird wohl so etwas sein. Wir werden es
sogleich selbst sehen, was da ist. Nur noch eine kleine Geduld, in wenigen
Schritten sind wir oben und werden sehen, was es da gibt.“
[JS.01_010,72] Spricht der Arme: „O du mein erhabenster Freund, mir wird nun
ganz absonderlich zumute! Denke nur, wie es unsereinem gehen kann und wie zumute
sein, – den Herrn Himmels und der Erde, den Herrn über alles Leben und über
allen Tod zum erstenmal zu sehen! O Freund, ich bebe vor Furcht und vor
Sehnsucht und vor freudig banger Erwartung der Dinge, die da nun uns
entgegenkommen werden. Wahrlich, nur wenige Schritte mehr und die Höhe ist
erreicht! Ach, ach, was werde ich alles schauen?!
[JS.01_010,73] O Freund, fürchtest du dich denn nicht vor Gott, wenn Er
vielleicht öfter dir irgend so entgegenkommt bei ähnlichen Gelegenheiten? Ist
dir denn das schon so zur Gewohnheit geworden, daß du dir daraus eben nicht viel
machst, so dir solche Dinge vorkommen? Und doch merke ich es an diesen Scharen,
wie auch an den drei uns nachfolgenden Brüdern, daß sie nicht minder als ich
ergriffen sind. Nur du bist so ganz gleichgültig und hast eine Miene, als wenn
all das, was hier vorgeht, etwas ganz Unbedeutendes wäre. O sage mir, wie denn
das zu fassen ist und wie zu nehmen? Soll ich, was mir rein unmöglich wäre, mich
etwa auch so wie du verhalten?“
[JS.01_010,74] Spricht der Bote: „Mein liebster Bruder, du wirst es bald
einsehen, warum ich mich vor Gott nicht fürchte, und warum ich nicht also tue
wie unsere drei Begleiter, nicht wie du und auch nicht wie diese Scharen. Es ist
aber auch besser, so du dich nun so benimmst, wie ich mich benehme; denn du
wirst dich bald selbst überzeugen, daß deine Furcht rein eitel ist. Denn ich
sage dir, der Herr verlangt das alles nicht; aber so die Kinder vor dem Vater
also ihre innigste Liebe und Demut bezeigen, so fehlen sie freilich gerade auch
nicht.
[JS.01_010,75] Aber ich weiß es, daß du ehedem gegenüber den dreien, die dich
zuerst begrüßten, ganz furchtlos und unerschrocken warst, was mir sehr gefiel, –
obschon sie sehr bemüht waren, dir einige Furcht einzujagen. Wie ist es denn,
daß du nun so furchtsam wirst?“
[JS.01_010,76] Spricht der Arme: „Ja, – da hatte ich noch keine Ahnung von solch
endlosester Erhabenheit Gottes und Seiner heiligen Himmel; aber nun habe ich vor
Augen, was ich mir ehedem kaum zu denken getraute. Da ist es nun aber auch ganz
anders! Wie doch muß Gott aussehen, daß diese gar so sehr niederschaudern,
sicher vor übergroßer heiliger Ehrfurcht vor Gott, dem Unendlichen, vor Gott,
dem Allmächtigen! Wird mein noch sehr blödes und lichtungewohntes Auge Gottes
Angesicht wohl zu schauen imstande sein?!“
[JS.01_010,77] Spricht der Bote: „Nun, nun, liebster Bruder, es wird sich alles
machen. Bist du bis hierher nicht blind geworden, so wird es sich fürderhin
schon auch machen. Sei nur ruhig; siehe, wir sind schon auf der Höhe nun, und
dort wie am Horizont, über dem du jene Sonne Gottes erschaust, deren Licht alle
Himmel und aller Menschen und Engel Herzen erleuchtet, ersiehst du auch schon
die heilige Stadt Gottes, in der du, und zwar bei Mir, ewig wohnen wirst! Gehen
wir nun nur recht hurtig darauf los, und wir werden bald dort sein!“
[JS.01_010,78] Der arme Mann macht nun große Augen und weiß sich vor lauter
Verwunderung kaum zu helfen; nur begreift er noch nicht, warum er hier noch
keinen Grund erschaut, aus dem die Scharen gar so zerknirscht sich erheben und
uns nun nebst den dreien nachfolgen und in einem fort die herrlichsten Psalmen
zur Ehre Gottes in der allerwohlklingendsten Weise singen.
[JS.01_010,79] Nach einer Weile stummer, seligster Betrachtung dieser
Himmelsgegend, die mit nichts Irdischem zu vergleichen ist, fragt er wieder,
sagend: „O liebster Freund und Bruder! Sage mir doch, wo sehen denn die uns
Nachfolgenden Gott den Herrn, da sie doch geradeso singen, als wäre Er mitten
unter ihnen? Ich schaue links und rechts und vor- und rückwärts, aber ich kann
nichts erschauen, das mich an Gott gemahnen möchte. Sind denn meine Augen noch
zu blöde oder noch zu unwürdig, das allerheiligste Antlitz Gottes zu schauen? –
Wahrscheinlich wird wohl für ewig letzteres der Fall sein? Im Grunde ist's mir
aber auch lieber, aufrichtig gesagt; denn ich fühle, und Gott wird es am besten
wissen und sehen, daß ich Sein heiligstes Angesicht nicht ertragen würde. O ich
bin schon überselig, daß ich all das Himmlische nun an deiner Seite schaue, und
daß Gott mich sieht. Freilich, weißt du, so einmal aber möchte ich doch Ihn
sehen, Ihn, den ich so mächtigst liebe; aber freilich nur hauptsächlich, in der
Wahrheit gesprochen, in der Person des Herrn Jesus Christus. O wenn ich nur
einmal den lieben, den liebsten, ja den allerliebsten Herrn Jesus sehen könnte,
da wäre ich schon der allerseligste und allerglücklichste Mensch aller Himmel!“
[JS.01_010,80] Spricht der Bote: „Ich sage dir, sei nur ruhig; du wirst dich
bald überzeugen, daß du Jesus eher sehen wirst, als du es dir denkst. Ja, Ich
sage es dir, du siehst Ihn eigentlich schon, nur erkennst du Ihn noch nicht!
Darum sei nur ruhig.“
[JS.01_010,81] Der arme Mann sieht sich nun wieder fleißig nach allen Seiten um,
wo er Jesus zu sehen bekäme; aber er ersieht noch niemanden, den er für Jesus
halten könnte. Er wendet sich daher wieder an den Boten und spricht: „Es ist
doch merkwürdig! Du sagtest, ich sähe Ihn schon, nur erkennete ich Ihn noch
nicht. Ich habe jetzt doch fleißig mit meinen Augen alle durchmustert, die uns
nachfolgen; aber unter ihnen kann Er nicht sein, denn sie scheinen alle bis in
ihr Innerstes zerknirscht zu sein und ergriffen von tiefster Ehrfurcht, und alle
loben und preisen wie mit einem Munde Jesus, den Herrn von Ewigkeit. Die drei
weißgekleideten Männer tun desgleichen, und so ist nach meinen Gedanken wohl
schwer anzunehmen, daß sich der Herr Jesus Jehova unter ihnen sichtlich befände.
Und doch sagtest du, daß ich Ihn sähe! Oh, ich bitte dich, sage es mir doch, wie
und wo ich Ihn denn so ganz eigentlich sehe?!“
[JS.01_010,82] Spricht der Bote: „Siehe hin zur Gottesstadt, der wir nun schon
sehr nahe sind; in der wird dir alles klar werden. Wir wandeln jetzt schon gegen
die äußeren Wallmauern und werden sonach bald in der heiligen Stadt selbst sein,
und es werden dir darinnen erst die Augen vollends aufgehen – und das ungefähr
auf die Art wie den zwei nach Emmaus wandelnden Jüngern. Daher sei nur ruhig,
denn das muß hier alles so sein und geschehen, auf daß niemandes Heil und Leben
und Freiheit irgend einen Schaden erleide. – Wie gefällt dir aber diese Stadt
nun, in die wir soeben einziehen?“
[JS.01_010,83] Spricht der Arme: „O Freund, wo nähme ich Worte her, um die
endlose Pracht und Majestät dieser Stadt zu beschreiben! Welche zahllose Menge
der allergrößten und herrlichsten Paläste, und alle scheinen voll bewohnt zu
sein! O Gott, dieser Glanz, diese Pracht, o diese unendliche Majestät! Die
Schönheit ist wohl unaussprechlich; das faßt und begreift wohl keines Menschen
Sinn! Aber nur frage ich, da wir nun einmal in der Stadt sind: Wo ist nun Emmaus,
und wo der Sich vor meinen Augen noch immer nicht zeigen wollende Herr Jesus?!“
[JS.01_010,84] Spricht der Bote: „Siehe hier das große Haus, vor dem wir nun
stehen, aus dessen strahlenden Fenstern und äußeren Galerien uns zahllose Brüder
und Schwestern begrüßen, das ist das wahre ewige Emmaus! In diesem wirst du von
nun an wohnen ewiglich! Und – da wir nun schon vor Emmaus stehen, das du nun gar
wohl siehst, so wende dich nun auch zu Mir und betrachte Mich, da wirst du auch
Den erkennen, nach Dem du eine gar so große Sehnsucht und Liebe in deinem Herzen
trägst!“
[JS.01_010,85] Der Arme sieht nun den Boten, der Ich Selbst es bin, recht fest
an und erkennt nun augenblicklich Mich Selbst im Boten. Und er fällt sogleich
jählings auf seine Knie nieder und spricht: „O Du mein Herr und mein Gott! Also
Du Selbst warst der Bote?! O Du endloseste ewige Liebe! Wie, wie, wie – hast Du
Selbst Dich denn so tief herabwürdigen können, mir, einem ärmsten Sünder, solch
eine Gnade zu erweisen?!“
[JS.01_010,86] Nach diesen Worten verstummt er vor seligster Entzückung und wird
also in Meines Hauses Wohnung eingeführt.
[JS.01_010,87] Das weitere seligste Verhältnis dieses Mannes könnt ihr leicht
von selbst denken sowie dessen ewige liebtätige Bestimmung. Daher wollen wir
damit diese Szene auch beenden und zu einer anderen übergehen. Amen.
Elfte Szene: Robert
Blum. – 27. November 1848
Die letzte in dem Themenkreis „Geisterszenen“ (Sterbeszenen) erfolgte
Niederschrift schildert in zwei umfangreichen Bänden die jenseitige Entwicklung
eines hervorragenden Mannes der politischen Zeitgeschichte: des im Jahre 1848 in
Wien als Revolutionär auf Befehl von Fürst Windischgrätz erschossenen Robert
Blum. – Wir erleben sein geistiges Erwachen im Jenseits und sind Zeugen, wie
sich diesem an sich liebereichen Menschen in seiner geistigen Phantasiewelt der
Herr Selbst naht, um ihn aus seinen weltlichen Irrtümern zu lösen und den
Geläuterten zum Läuterer vieler anderer Seelen zu machen, die schon im irdischen
Leben seiner Wirkungssphäre nahegekommen waren.
Das in diesem Werk dargestellte äußere Geschehen vermittelt eine Fülle großer
Eindrücke und Anregungen. Zeitbilder, Charakterschilderungen, tiefe
Seeleneinblicke und viele geistvolle Auseinandersetzungen vermitteln ein
umfassendes Bild der jenseitigen Welt, zumal der Aufbau des Werkes sich vom Bild
der einsam erwachenden Seele bis zum weitgedehnten Menschheits- und
Schöpfungspanorarma weitet.
Anhang
Das Wiedersehen
im großen Jenseits. – 31. Mai 1852
[JS.01_52.05.31,01] Bei gar sehr vielen Menschen, die sonst Kopf und Herz am
rechten Flecke haben, besteht, so sie eben nicht gar so glaubensstark sind, noch
gleichfort die verhängnisvolle Frage: ob es nach diesem kurzen irdischen Leben
noch ein und „wie“ gestaltetes Leben gibt, und ob der Mensch sich als das, was
er hier war, erkennen wird? Ferner, ob ihm das hiesige Bewußtsein und die volle
Rückerinnerung an all seine irdischen Zustände bleiben oder ob das Bewußtsein
samt der Rückerinnerung vielmehr dem im Traume gleichen wird, wo der träumende
Mensch sich wohl als derselbe, wie und was er im wachen Erdenleben ist, erkennt
und sich seiner Subjektivität, nur unter immer ganz neuen Lebensverhältnissen,
klar bewußt ist, wo aber alle objektiven diesseitigen Lebensverhältnisse bis auf
weniges tief im Gemüt Haftendes – wie etwa die nächsten Verwandten und sehr oft
gesehene, lebhaft besprochene und als heimatlich bewohnte Orte, und selbst diese
nahe allzeit unter fremden Verhältnissen und Gestaltungen – nahe alles Dasein
verlieren. Und gibt es dort im großen Jenseits unter solchen etwa einem hellen
Traume sehr ähnlichen geistigen Lebensverhältnissen ein sich gegenseitig wohl
erkennendes Wiedersehen?
[JS.01_52.05.31,02] Und Ich, der Herr, sage und antworte auf diese umfassende
Frage mit: Ja, so und so! Je nachdem der Mensch dies irdische Probeleben mehr
oder weniger vollkommen nach Meiner allen Menschen geoffenbarten Ordnung
durchlebt hat.
[JS.01_52.05.31,03] Wer es hier schon, was jedem leicht möglich ist, zur wahren
und vollen Wiedergeburt seines Geistes gebracht hat und als ein
Vollwiedergeborener hier also lebt, daß ihm die Geisterwelt mit all ihren
Verhältnissen und auch in ihrer einfließend entsprechenden Wirkung auf die
materielle Welt so wie die materielle Welt völlig klar erschaulich ist, bei dem
kann die Ablegung seines ohnehin keines lebendigen Bewußtseins und irgendeiner
Erinnerung fähigen Leibes unmöglich irgendeine Veränderung in seinem Denken,
Wollen, Erinnern und lebendigsten subjektiven und objektiven Bewußtsein
bewerkstelligen.
[JS.01_52.05.31,04] Denn so das Leben und alle seine Ein- und Auswirkungen schon
diesseits ganz in den ewig gleichfort im höchsten und reinsten Selbstbewußtsein
sich befindenden Geist übergegangen ist, der über alle Materie ewig erhaben ist
und diese nur als ein auf eine bestimmte Zeit fixierter Gedanke oder als
festgehaltene Idee in ein wie nach außen hin erscheinliches Sein tritt, so meine
Ich, dürfte es wohl für jeden nur etwas heller Denkenden mit Händen zu greifen
sein – zumal ihm dafür noch tausend Beweise aus dem Leben der Somnambulen und
vieler Seher und Propheten zur Einsicht zu Gebote stehen –, daß das rein
geistige Leben jenseits ein viel helleres, sich seiner selbst und aller andern
subjektiven und objektiven Vorgänge, Zustände und Verhältnisse des Lebens ein um
ebensoviel reiner bewußteres sein muß, als um wie viel der Geist über alle
Materie – die, wie gezeigt, nichts als ein fixierter Ausdruck seiner Gedanken
und Ideen ist – für ewig steht als selbst Licht, Leben, Kraft und vollstes
Bewußtsein in sich.
[JS.01_52.05.31,05] Weil aber nicht nur ein, sondern alle nach Meiner Ordnung
lebenden Menschen in ein gleiches allervollkommenstes Leben übergehen, so ist
die Frage ob des einstigen Wiedersehens eine eitle. Denn so die Menschen in
diesem unvollkommenen Puppenleben schon die Fähigkeit des sich Wiedererkennens
und natürlichen Wiedersehens besitzen, die sie doch nicht abstreiten oder
bezweifeln können, so werden sie diese Fähigkeit wohl um so mehr im
vollkommensten, rein geistigen Leben besitzen, wo ihr ganzes Wesen der
unvergängliche Ausdruck und das Grundprinzip alles Lebens und aller Verhältnisse
und Vorkommnisse desselben ist! Auf dieser Welt erkennt ja auch durch den Leib
hindurch die Seele durch den Geist in ihr die ihr bekannten und verwandten
Menschen, kann sich andern befreundet und vollends verwandt machen und erkennt
sie dann als solche der Gestalt und dem Charakter nach allzeit wieder. So aber
solches die Seele und der Geist vermag durch all die tausend Kerkerwände des in
sich selbst toten Leibes, um wieviel mehr wird sie solches in ihrem völlig
freien Zustande vermögen, wie solches schon an sehr vielen Somnambulen nur zu
oft beobachtet worden ist, die mit festverschlossenen Augen nicht nur ihre
Umgebung oft bis auf den innersten Lebensgrund, sondern auch die in fernen
Landen sich irgendwo befindenden Menschen, um die sie befragt wurden, mit allen
ihren Zuständen und Verhältnissen geschwind und überaus wohl erkannten! Und doch
ist die Seele einer noch so hellen Somnambule noch bei weitem nicht in dem
freien Zustande, wie eine sogar noch mehr unvollkommene Seele nach dem Abfalle
ihres Leibes!
[JS.01_52.05.31,06] Daß unvollkommene Seelen sich nach ihrem Freiwerden vom
Leibe nur zu bald mehr und mehr verfinstern, das liegt in ihrem bösen Willen.
Solche Seelen sehen dann freilich von der Welt nichts mehr, was sehr notwendig
ist, da sie in einem sehenden Zustande der Welt und namentlich denen, die sie zu
ihren Feinden rechneten, einen zu bedeutenden Schaden zufügen würden. Solche
Seelen und respektive Geister sehen dann nur das, was sich aus ihrer Phantasie
gleich einer niedersten Traumwelt entwickelt. In solcher Phantasiewelt verharren
solche Seelen dann oft Hunderte von Jahren, sehen die stets neu ankommenden
Seelen, wenn sie auch auf der Erde ihre nächsten Verwandten waren und diese sie
sogleich ersehen, nicht. Sie sehen nur ihre lang andauernde Phantasiewelt und
sind daher nur den Engeln durch pure Entsprechungen, die die Engel in die
Phantasiewelt solcher blinden Seelen hineinzuschieben imstande sind, zur
Belehrung zugänglich.
[JS.01_52.05.31,07] Wenn sie Belehrung und dadurch eine Besserung ihres Willens
annehmen, so verschwindet nach und nach ihre Phantasiewelt, und sie kommen dann
stets mehr und mehr zum wahren Licht und zur Anschauung all des Daseienden und
somit zum Wiedersehen ihrer Verwandten und Freunde. Sie erkennen sie dann als
solche auch gar bald wieder und haben eine rechte Freude an ihnen.
[JS.01_52.05.31,08] Bessern sie sich aber nicht, so bleiben sie in ihrer stets
ärger werdenden Traumwelt lange Zeiten der Zeiten. Und da ist dann vom
erfreulichen Wiedersehen und Wiedererkennen keine Rede. Sowenig irgend ein
materieller Mensch in einem sehr materievollen Traume sich irgend seiner
Außenverhältnisse und Lebenszustände erinnern kann, sondern nur das schaut, was
ihm seine Phantasie als plastisch vorgaukelt, ebensowenig und eigentlich noch
bei weitem weniger kann eine finstere Seele sich jenseits irgend an etwas
erinnern oder etwas erkennen in ihrem Traumkreise, in dem sie sich nie tätig,
sondern allzeit nur leidend befindet und sich daher aus sich selbst auch eine
nahe ewig andauernde Zeit, nach dem Maße dieser Erde genommen, nimmer frei
machen kann!
[JS.01_52.05.31,09] Wer hier nicht wenigstens zur Hälfte im Geiste wiedergeboren
wird, kommt jenseits mehr oder weniger in den oben bezeichneten Zustand und kann
sich selbst darin ebensowenig helfen wie der Embryo im Mutterleibe, dessen Regen
und Bewegen von dem notwendigen äußeren Zustande der Mutter abhängt. Aber es
waltet dennoch eine ganz eigene Bewandtnis bei solchen Seelen ob, was da mit dem
Zustande des Embryo im Mutterleibe etwas Unterschiedliches hat. Und das besteht,
um für den Verstand der Menschen vernehmlich zu reden, darin, daß der Embryo im
Mutterleibe als sich neubildende Kreatur durchaus leidend ist, während die
finstere Seele ganz aus sich tätig und leidend zugleich ist und, weil sie nicht
will, nicht untätig werden kann, auf daß sie dadurch möchte unleidend werden.
[JS.01_52.05.31,10] Wie kommt aber das?
[JS.01_52.05.31,11] So ein Mensch auf dieser Welt entweder nur sehr wenig oder
zumeist wohl auch gar nichts zur Belebung und Bildung dessen, was seine Seele in
ihrem Herzen verborgen trägt, getan hat, sondern alles nur auf den äußeren
Verstand verwendete und diesen dann dazu benutzte, wohlberechnete Wege
einzuschlagen, um auf diesen sich weltliche Schätze – welcher Art und welchen
Namens sie auch immer sein mögen – zu verschaffen, um sich durch sie die
möglichst feinsten und in jeder Hinsicht wohlschmeckendsten Genüsse und
Lustreize zu bereiten, so ist, wenn dann solch eines Menschen Seele jenseits
ankommt, ihre göttliche Lichtkammer dicht verrammt und verschlossen. Das
irdische Verstandeslicht aber, das eigentlich bloß eine Kombination der äußeren,
materiellen Lichtbilder ist, die an den vielen Millionen Flächen der
Gehirntäfelchen für die Seele ersichtlich sind, und aus denen die Seele allzeit,
nach Art der dummen Astrologen, ihre Berechnungen macht und dann wie von der
Macht des dicksten Aberglaubens sich danach zu handeln genötigt fühlt, bleibt
ohnehin so wie die Bildergalerie eines Bilderliebhabers, wenn er stirbt, in der
Welt zurück. Die Folge ist, daß solch eine Seele dann notwendig total finster in
der Geisterwelt anlangen muß und nichts behält als das Bewußtsein oder den
Ausdruck des Lebens und nur insoweit die Erinnerung an ihre irdischen Zustände
und Verhältnisse, inwieweit solche in der (dem leiblichen Gehirn) entsprechenden
Gehirnkammer der Seele in entsprechenden Typen aufgezeichnet sind, welche die
immerhin höchst sensible Seele fühlt und ihrer gewahr wird, wenn sie dieselben
zufolge ihrer Finsternis auch nicht klar beschauen kann.
[JS.01_52.05.31,12] Daß ein solcher Zustand einer an alle Lustreize des Lebens
gewöhnten Seele nur zu bald unerträglich wird, läßt sich hoffentlich leicht
begreifen und sogar lebendig fühlen. Solch eine Seele gerät dann bald in eine
große Furcht, Angst und am Ende in einen großen Ärger und Zorn, wodurch sich in
ihr dann eine Art Glutschimmer entwickelt.
[JS.01_52.05.31,13] Denn wo immer jemand schon in der gerichteten Materiewelt
irgendeine starke Tätigkeit ersieht – wie etwa einen heftigen Sturm, eine starke
Meeresbrandung, eine starke Reibung zweier Gegenstände gleicher oder ungleicher
Art, einen mächtigen Druck zweier harter Körper aufeinander und derartiges mehr,
– da wird er dabei, besonders zur Nachtzeit, auch eine Feuer- und Licht- oder
wenigstens eine Schimmerentwicklung bemerken, welche von den Naturgelehrten mit
dem allgemeinen, aber eben nicht immer tauglichen Namen Elektrizität bezeichnet
wird, – im Grunde aber und ganz eigentlich der vollen Wahrheit gemäß nichts als
eine Erregtheit der in aller Materie mehr oder weniger hart gefangenen
Naturgeister ist, die stets desto eher und leichter erregt werden können, je
härter sie gefangen sind. Sind sie aber leichter gehalten, wie etwa in der Luft,
im Wasser, im Lehm und in allerart anderen flüssigen und weichen Körpern, so
gehört auch im Verhältnis eine heftigere Bewegung (Tätigkeit, s.o.) dazu, damit
die ihr nicht so schnell ausweichen könnenden Naturgeister erregt und durch ihre
höchst schnell vibrierende Bewegung innerhalb ihrer sie gefangen haltenden
leichten und höchst durchsichtigen Hülse als ein Licht oder als ein Glühen
ersichtlich werden.
[JS.01_52.05.31,14] Daß diese Erregung der Naturgeister aber in der Vibration
besteht, kann ein jeder Mensch von nur einigem Beobachtungsgeiste beseelt leicht
aus tausendfachen Erscheinungen in der Naturwelt ersehen und erkennen. Wenn
irgend ein Mensch oder sogar auch ein Tier durch was immer in seinem Gemüt sehr
erregt wird, so wird an ihm ein Beben bemerkt, welches von nichts anderem als
lediglich von der Erregtheit der im Fleisch und Blut gefangenen Naturgeister
herrührt. Eine Saite auf einem Toninstrument vibriert, wenn sie einen Stoß oder
Schlag bekommt, weil die in der Materie der Saite gefangenen Geister durch den
Schlag oder Stoß erregt werden. Die Flamme jeden Lichtes, die nichts als ein Akt
der Freiwerdung der in der Materie gefangenen Naturgeister ist, besteht in stets
sichtbarer Vibration, die durch die Tätigkeit der frei werdenden Naturgeister
entsteht. Und dergleichen Erscheinungen gibt es noch Tausende und abermals
Tausende, an denen derselbe Akt beobachtet werden kann. – – –
[JS.01_52.05.31,15] Es ist gesagt worden, daß die Seele durch den Verlust ihres
Weltlichtes und aller aus demselben hervorgehenden Lustbarkeiten zuerst in eine
große Furcht und Angst und am Ende in einen großen Ärger und Zorn gerät, wodurch
in ihr eine Art Glutschimmer erzeugt wird. Dieser Glutschimmer entsteht im Wesen
der Seele entsprechend auf die ganz gleiche Weise wie in der Naturwelt.
[JS.01_52.05.31,16] Die Furcht ist die erste Erregung der in jeder einzelnen
Seele vorhandenen endlos vielen seelisch-geistigen Spezifikalpotenzen. Wenn alle
Potenzen in ein immer heftigeres Beben geraten, so wird der ihnen gegebene
Formraum bald zu eng. Da aber die äußere Form, innerhalb der alle die zahllosen
Potenzen zu einem Leben vereinigt sind, bald zu eng wird – weil sie nicht so
leicht erweitert werden kann und darf –, so ist die Folge davon dann notwendig
ein immer heftigeres Drängen und Drücken nach allen Seiten hin, wodurch in dem
konkreten Gesamt oder besser gesagt Ein-Leben das Gefühl der Angst zum Vorschein
kommt.
[JS.01_52.05.31,17] Wenn das Drängen und Drücken stets heftiger werdend
andauert, so entsteht daraus eine geistige Gärung, die man Ärger nennt. Wie aber
schon in der Natur das Resultat einer stets heftiger werdenden Gärung eine volle
Entzündung ist, ebenso ist das Endresultat der großen Gärung der seelischen
Spezifikalpotenzen eine volle Entzündung, und diese heißt Zorn. Und von solchem
Zorn rührt dann auch die Erscheinlichkeit des Glutschimmers her, der, so er
heftiger und heftiger wird, endlich in einen vollen Brand übergeht, der als
böseste Erscheinung des Lebens Wut und im eigentlichsten Sinne Hölle heißt und
ist.
[JS.01_52.05.31,18] Wenn nun eine abgeschiedene Seele sogestaltig in den
besprochenen Glutschimmer gerät, so fängt sie dadurch an, die in ihrem Gehirne
vorhandenen geistigen Stigmata sehr matt zu erschauen und erkennt bald viel
eitel Böses und wenig Gutes in ihrem Wesen. Sie sieht in solchem Zwielicht auch
nicht selten die Mücke für einen Elefanten und umgekehrt den Elefanten für eine
Mücke an. Aus solchen Anschauungen entwickeln sich dann in der Seele allerlei
ganz luftige und durchsichtige, man könnte sagen formlose Formen gleich den
Luftschlössern eines verliebten Jünglings auf der Welt, die bei einer sehr
heftigen Phantasie nicht selten auf Augenblicke in eine förmlich ersichtliche
Erscheinlichkeit treten, aber bei der geringsten Gemütsstörung in ein Nichts
verschwimmen.
[JS.01_52.05.31,19] Weil aber die Seele auf die gezeigte Weise nichts zu einer
bleibenden Realität bringen kann und durch die momentan auftauchenden, mehr
Zerr- als wohlgeordneten Bilder nur stets mehr gereizt und erregt wird, wodurch
am Ende sogar das Innerste „Herzensstöße“ zu bekommen anfängt, so kommt dadurch
dieses Innerste dann auch in eine, aber ganz entgegengesetzte Tätigkeit.
[JS.01_52.05.31,20] Durch diese Tätigkeit (ihres Urgeistes aus Gott) wird die
wilde Tätigkeit der Seele beruhigt, so daß am Ende die Seele in sich selbst in
einen förmlichen Schlaf gerät, also ruht, und in dieser Ruhe als mehr vereinigt
mit ihrem Urgeiste aus Mir in einen förmlichen Traum kommt und, weil sie sich in
solchem Zustande ganz behaglich fühlt, darin auch verbleibt, – ein Zustand, den
die alten Seelen- und Lebensforscher den Seelenschlaf nannten.
[JS.01_52.05.31,21] Der im Herzen der Seele nun gegen die Gelüste der Seele
tätige Urgeist schafft nun für die Seele stets mehr und mehr solche Bilder, die
einesteils stets das enthalten, was der Seele selbstliebigem und herrsch- und
genußsüchtigem Sinne zusagt. Aber sowie sie solches in ihrem Traume, den sie
natürlich für Wirklichkeit hält, vollgierig ergreifen will, so wird es entweder
zunichte oder es weicht zurück und flieht von dannen. Andernteils aber wird der
Seele auch solches produziert, was ihr frommt, und so sie es ergreift und zu
ihrem wahren Besten verwendet, so bleibt es, und es fängt also aus dem Traume
eine feste und bleibende Welt (für die Seele) sich zu entwickeln an.
[JS.01_52.05.31,22] Je mehr die Seele das ergreift, was ihr von ihrem Urgeiste
geboten wird, desto mehr einigt sie sich mit ihm und geht so unvermerkt in ihren
Urgeist ein und mit demselben zum Urlichte und aller Wahrheit aus ihm. Und sie
erkennt da bald sich vollends wieder und alle ihre Bekannten und Verwandten und
wird gewöhnlich durch sie dann zu Mir Selbst hingeleitet, wo ihr dann auch nach
dem Maße ihrer Vollendung und Einswerdung mit ihrem Geiste stets mehr Licht und
Weisheit gegeben wird und das volle Vermögen, in die Naturwelten schauen und
ersprießlich tätig werden zu können. Daß in diesem Falle ein vielseitiges
Wiedersehen eine ganz natürliche Folge ihrer geistigen Vollendung ist, bedarf
wohl keines weiteren Beweises mehr.
[JS.01_52.05.31,23] Aber was geschieht denn hernach mit jenen Seelen, denen in
ihrem jenseitigen Traumleben die vorgespiegelten Bilder und Erscheinlichkeiten,
nach denen ihr selbst- und genußsüchtiger Sinn giert, durch die guten
Erscheinlichkeiten nicht aus dem Begehrsinne getrieben werden können? Was
geschieht, frage Ich, mit solch einer Seele, die darum stets mehr in Wut gerät,
weil sie die Gegenstände ihrer Lust, die ihr vorgezaubert werden, nicht
erreichen und festhalten kann? Gibt es in diesem Falle auch ein Wiedersehen?
Nein, sage Ich, da gibt es kein Wiedersehen!
[JS.01_52.05.31,24] Solch einer Seele wird dann ihr eigener Geist zum
unerbittlichsten Richter. Er läßt sie am Ende die vorgespiegelten Dinge und
Objekte erreichen und sich nach ihrem argen Sinn an ihnen erlustigen; aber
solche Erlustigung bereitet der Seele allzeit den größten und brennendsten
Schmerz und macht sie auf eine lange Zeit wieder ganz finster.
[JS.01_52.05.31,25] Der Geist läßt dann zu, daß eine also finster gewordene
Seele in ihrer größten Wut, die sie durchglüht und ihr also ein böses Licht
gibt, um ihresgleichen außer sich wahrzunehmen, nun wirklich mit Seelen ihrer
Art zusammenkommt.
[JS.01_52.05.31,26] Da geschehen dann sogleich Verbindungen und
Zusammenrottungen von solchen, die sich ihre Wut gegenseitig mitzuteilen
beginnen. Sie verschanzen sich gegen die Feinde, mit denen sie in ihrem
Traumleben, das solche Seelen aber für Wirklichkeit halten, in eine für sie
widrigste Berührung kommen und fassen die racheglühendsten Beschlüsse, sich eher
selbst nach aller Möglichkeit zu töten, als sich irgendeine noch so geringe
göttliche Anordnung mehr gefallen zu lassen.
[JS.01_52.05.31,27] In einer solchen Verschanzung, zu der sie das Material aus
ihrer Einbildung nehmen – insoweit sie irgendeiner Einbildung in ihrem
Wutglühlichte fähig sind –, verharren sie oft sehr geraume Zeiten und werden
darob nur von neuem ärgerlicher, zorniger und wütender, durchbrechen dann selbst
ihre Verschanzung und gehen hordenweise den Feind suchen, weil keiner in ihre
Verschanzung eindringen wollte, daß sie an ihm ihre Rache hätten kühlen können.
Aber ihr Suchen ist ein vergebliches. Sie kommen nur mit anderen ihresgleichen
den Feind suchenden Horden zusammen und machen mit ihnen bald gemeinsame Sache,
suchen dann so gemeinsam mit aller Hast den Feind, finden aber natürlich nie
einen.
[JS.01_52.05.31,28] Wenn solch elender Seelen einmal mehrere Tausend beisammen
sind – deren Haufen sich in der Geisterwelt für das Auge der reinen Geister
ungefähr also ausnimmt, wie auf dieser Erde allenfalls das Glühen der Luft durch
ein in der Tiefe irgendwo brennendes Haus –, so erwählen sie den Glühendsten
unter ihnen, den sie für den Mutigsten und Weisesten halten, als Anführer, der
sie dann über einen Boden führt, der gewöhnlich auch der Einbildung solcher
Seelen entspricht – entweder in der Form einer finsteren Sandsteppe oder einer
unabsehbaren Ebene, auf der nichts als trockenes Moos zum Vorschein kommt. Auf
solchen Böden finden sie nach langem Umherziehen und unter großem Hunger und
Durst auch gewöhnlich nichts als etwa wieder eine ähnlich herumziehende Horde
unter einem stark glühenden Anführer. Und da geschieht es entweder, daß sie
einander anfallen aus schon zu großer Rachewut, sich zerreißen und verstümmeln,
oder sie vereinigen sich unter zwei Anführern, was aber schon gleichfort zu
Reibungen Anlaß gibt, weil da ein jeder der beiden Anführer der Erste sein will,
was in kurzer Weile dennoch einen Krieg der beiden Horden zuwege bringt.
[JS.01_52.05.31,29] Wenn sich bei solchen Kriegen solche höchst unglückselige
Seelen nahezu ganz zu kleinen Stücken zerrissen haben – natürlich alles nur
scheinbar –, so kommen sie wieder zu einer gewissen Ruhe und ihr Geist zeigt
ihnen dann wieder wie in einem helleren Traume, wie nichtig, fruchtlos und eitel
ihr töricht-blindestes Bemühen war, und zeigt ihnen den besseren Weg zur Umkehr.
[JS.01_52.05.31,30] Manchmal nehmen einige solche Weisung an und bekehren sich.
Aber zumeist werden sie nach einem solchen Gesicht erst ganz toll und treten in
ihren geistlosen puren Seelenzustand zurück, der dann bei weitem schlechter
wird, als da war der erste. Und solche Zustände sind dann schon Hölle, aus der
ein Ausweg schwer zu finden ist! Wer da nicht geht den schmalen Pfad durch sein
eigenes Herz, der kommt nimmer zurecht und kann Trillionen und Dezillionen von
Erdjahreszeitlängen in solcher Hölle verharren. –
[JS.01_52.05.31,31] Es ist nun also gezeigt worden, wie das Seelenleben jenseits
in zwei einander schroffst entgegengesetzten Hauptzügen und Beschaffenheiten
zuständlich geartet ist: entweder nach oben oder nach unten. Aber es soll mit
dem allem dennoch nicht jede Erscheinlichkeit in der Geisterwelt dargestellt
sein, sondern wie gesagt nur die beiden allgemeinen Hauptzüge, also das
schroffste Pro und Kontra.
[JS.01_52.05.31,32] In der Mitte dieser zwei Hauptzustände gibt es noch eine
zahllose Menge von Erscheinlichkeiten, die hier nicht dargestellt zu sein
brauchen, da sie in den Werken: „Die geistige Sonne“, „Erde und Mond“ und in den
„Szenen der Geisterwelt“ zur Übergenüge gezeigt worden sind, so wie teilweise in
den mannigfachen anderen Mitteilungen und Naturzeugnissen. Aber alle die darin
geschilderten wie immer gearteten Erscheinlichkeiten fußen auf der nun gezeigten
Hauptnorm, und die Grundwege entweder nach oben oder nach unten sind in sich die
gleichen.
[JS.01_52.05.31,33] Das eigentliche wahre Wiedersehen kommt erst im Gottesreich,
das ist im Himmel vor, welcher die ganze Unendlichkeit dem Raume nach erfüllt
und sonach allenthalben gegenwärtig ist, in den aber jeder Mensch nur durch sein
Herz gelangen kann. –
[JS.01_52.05.31,34] Da es aber doch viele in der Welt nun gibt, die so materiell
sind, daß sie von den geistigen Verhältnissen der Dinge keine Spur und keine
Ahnung haben, hier aber von den „Naturgeistern“ lesen und nicht verstehen, was
diese sind und worin sie bestehen, so soll dahin hier noch eine ganz kurze
Naturläuterung folgen.
[JS.01_52.05.31,35] Die ganze materielle wie auch die rein geistige Schöpfung
ist nichts als eine durch der Gottheit allmächtigen Willen festgehaltene Idee
aus dem Herzen oder Leben der Gottheit Selbst und – weil aus Gott – im Grunde
des Grundes geistig. Würde nun alle die sogenannte materielle Schöpfung, was
Gott gar leicht möglich wäre, der gleichfort andauernden Festhaltung ledig, so
würde sie wieder als ein nur der Gottheit sichtbarer großer Gedanke ganz geistig
im Gemüte Gottes Platz fassen und mit der Realisierung der freien
Selbständigkeit von zahllosen Wesen wäre es zu Ende!
[JS.01_52.05.31,36] Aber Gott will es ewig gleichfort, daß Seine großen Gedanken
und Ideen ewigfort zur freiesten Selbständigkeit sollen realisiert werden. Und
so hatte Gott darum für die einzig dadurch mögliche Realisierung, daß all die
göttlichen Gedanken und Ideen als unwandelbar gefestet dastehen müssen Seiner
Pläne und Zwecke willen, diesen allein wirksamen Weg eingeschlagen:
[JS.01_52.05.31,37] Die zahllosen Gedanken und Ideen müssen gewisserart nur in
allerartig kleinsten geistigen Teilchen sukzessive freier und freier gemacht
werden, aber dabei dennoch lange von irgend einer Hauptidee Gottes, die da
erscheinlich als ein Weltkörper im endlosen Gedanken- und Ideenraume als
gefestet schwebt, angezogen und gehalten werden, bis sie nach und nach ihrer
Gleichartigkeit nach sich mehr und mehr zusammenfinden und so in eine immer
größere Wesenheit bis zum Menschen hin übergehen.
[JS.01_52.05.31,38] Solche von der totalen Hauptidee (dem Weltkörper) freier und
freier gelassenen Teilchen sowie die noch nicht frei gelassenen, sondern in der
Hauptidee noch festgehaltenen Teile heißen bis zum Menschen hinan „Naturgeister“
Diese freieren Naturgeister – oder Naturkräfte, wie es die Weltgelehrten nennen
– befinden sich als schon selbsttätig entweder in der Luft, im Wasser oder im
weicheren Erdreiche und locken da die noch hart gefangenen Geister in die
Freiheit heraus, vereinigen sich mit ihnen und bilden dadurch, daß sie sich mit
den noch unfreieren Geistern umhüllen, allerlei Lebensformen: zuerst Pflanzen,
aus diesen Tierchen und Tiere größerer und größter Art – bis zum Menschen hin,
wo sie als Seele und auch – dem unfreieren, noch groben Teile nach – als dessen
Leib dann erst durch Gottes Urwesen Selbst, nun schon zur Genüge zur vollfreien
Selbständigkeit reif, wieder ergriffen und förmlich – aber anfangs noch immer
wie von außen her – für den folgenden reingeistigen, ewig dauernden Zustand
durchgeschult und geübt werden.
[JS.01_52.05.31,39] Die dann ein solches Durchschulen sich gefallen lassen und
also freiwillig in die Ordnung eingehen, in der ihr ewig selbständiger,
freiester Lebenszustand allein möglich ist, – diese kommen dann auch zum großen
Wiedersehen Dessen, aus dem sie hervorgegangen sind. Sie werden sehen, wie und
woher und durch Wessen Macht und Weisheit und unwandelbare Beharrlichkeit sie
vom eigentlichen Nichtsein ins vollste, freieste und selbständige Sein und
Erkennen gekommen sind.
[JS.01_52.05.31,40] Zugleich aber, weil mit ihrem Urgrunde ein und dieselbe
Wesenheit, werden sie auch selbst auf die gleiche Weise zu ihrer großen
Beseligung aus ihrer nun höchsteigenen, aber der göttlichen völlig gleichen
Weisheit neue Schöpfungen ins Werk setzen und sonach ganz in Meiner Ordnung
Schöpfer ihrer höchsteigenen Himmel sein, wodurch sie dann zum realisierten
Wiedersehen aller ihrer Gedanken und Ideen gelangen werden.
[JS.01_52.05.31,41] Und das alles wird dann ein großes, ewig dauerndes
realisiertes Wiedersehen sein in der endlosen Fülle alles dessen, was ein
göttlicher Geist ewig unerschöpflich in sich birgt. Und das ist dann erst das
vollkommene, große Wiedersehen!
[JS.01_52.05.31,42] Ich meine nun, wer da Augen hat zum Sehen und Ohren zum
Hören, der wird daraus zu seinem ewigen Vorteil unbeschreibbar vieles schöpfen
können zur vollen Erkenntnis des geistigen Lebens.
[JS.01_52.05.31,43] Wer es aber nur lesen wird aus einer Art Neugierde und wird
daran legen die Feile seines Weltverstandes, dem wird es einst gerade also
ergehen, wie es in dieser Beschreibung zu lesen ist. Denn Mein Erbarmen kann und
darf sich nicht und nie über die Schranken Meiner nun aus dem Fundamente
gezeigten unwandelbaren Ordnung erstrecken. Denn diese Ordnung ist an und für
sich schon Meine ewige Erbarmung.
[JS.01_52.05.31,44] Wer aber über die Schranken dieser Ordnung tritt, der wird
nur sich selbst einen überaus langen, unglückseligsten Zustand jenseits
zuzuschreiben haben. Denn es muß ein jeder sich selbst gestalten, so er sein
will das, was er sein soll. Will jemand sich diese Mühe nicht nehmen, so muß er
dann auch so lange im ewig notwendigen Gerichte verharren, bis er sich selbst zu
umstalten anfangen wird, was die Seele einen harten Kampf kosten würde!
[JS.01_52.05.31,45] Hüte sich daher ein jeder von euch vor (eigensüchtigem
Trachten nach) irdischen Gütern, Reichtum, Glanz und Ansehen, sei aber nach
seinen Kräften reichlich mildtätig gegen seine ärmeren Brüder und Schwestern, so
wird ihm der Kampf mit der Finsternis ein leichter sein. Amen.
[JS.01_52.05.31,46] Das sagt der Herr allen Lebens zu euch allen. Amen. Amen.
Amen.
Ein Jenseitiger. – 18. Februar
1861
[JS.01_61.02.18,00] Ein Jenseitiger, der zu seiner Lebenszeit Lorber gekannt
hatte, durfte sich direkt an Jakob Lorber wenden und ihm von seinem Hinübergehen
in die jenseitige Welt und seinem ersten Aufenthalt in der Sphäre der Geistigen
Erde, die unsere naturmäßige Erde umgibt, erstmals am 18. Februar 1861
berichten:
[JS.01_61.02.18,01] B: „Gott zum Gruße, lieber Freund! – Ich habe in meiner noch
immer etwas leidigen Abgeschiedenheit an dich und an alle andern Freunde wohl
gedacht und mir auch oft jene Stunden in Erinnerung gerufen, in denen wir uns
über geistige Dinge gar tröstlich besprochen haben. Aber des Herrn allmächtiger
Wille hat mich von der Welt abberufen – und ich bin hier angelangt unter
wahrlich nicht sehr erfreulichen Umständen, an denen freilich nur ich selbst
schuldete. Ich wollte alles in meinem Erdenleben Zerrüttete wieder in ein
möglichst gutes Gleichgewicht bringen und gab mir deshalb auch viele – aber
vergebliche Mühe, und ich konnte mir deshalb – um nach irdischer Weise zu reden
– gar keine Zeit nehmen, jemandem von euch zu erscheinen, obschon ich wußte, daß
ich dir oder auch jemand anderm hätte erscheinen können, so ich es gewollt
hätte. –
[JS.01_61.02.18,02] Aber nun bin ich freier, dem Herrn alles Lob, und so habe
ich endlich in mir selbst inne zu werden angefangen, daß hier alle meine nach
irdischer Norm geartete Mühe und Arbeit nichts anderes als eine wahre Mühe und
Arbeit in einem Traume war, und ich ließ davon ab. Denn sieh, für mich war das
Sterben des Leibes nichts anderes als ein ganz süßes Einschlafen eines
arbeitsmüden Tagewerkers, und ich befand mich wie in einem hellen Traum sogleich
in einer ganz anmutigen Gegend und kam auch gleich mit mehreren guten alten
Freunden, zumeist Triestinern, zusammen, die mir recht freundlich und artig
entgegenkamen und sich mit mir – aber zumeist nur über ganz gleichgültige Dinge
– besprachen. – Ich ahnte nicht, daß dies ein Traum sei, was ich in meinen
Erdenlebenszeiten oft in einem Traume wie ahnend wahrnahm.
[JS.01_61.02.18,03] Nur einer dieser meiner Triestiner Freunde, von dem ich
gleich wußte, daß er an ein und demselben Tage mit meiner Gattin an der Cholera
verstorben war und mit dem ich oft in seiner schön gelegenen Campagna bei einem
Gläschen Triestiner viel über geistige Dinge mich besprach, fiel mir auf, und
ich fragte ihn, wie denn er hierhergekommen sei. ,Denn‘, sagte ich, ,Freund, ich
weiß es ja nur zu bestimmt, daß du mit meiner D. an einem Tage an der bösen
Epidemie verstorben und auch unter meinen weinenden Augen beerdigt worden bist,
– und du lebst nun so, wie ich lebe – und hoffentlich nicht träume?!‘
[JS.01_61.02.18,04] Da sah mich der alte gute Freund gar sehr ernst, aber doch
freundlich an und sagte: ,Freund! – seien wir von Herzen froh, daß wir's
überstanden und die Welt mit allen ihren Übeln hinter uns haben, denn sieh, auch
du hast das leidige Irdisch-Zeitliche für alle Ewigkeiten gesegnet, und deine
morsch gewordene Hülle wird morgen der Erde übergeben, wofür wahrlich nicht
schade ist!‘ – Als ich dies vernahm, da wurde es mir denn doch ein wenig bange
zumute und ich sagte: ,Nun, in Gottes Namen denn, wenn es im Ernste also sein
soll! Aber meine Kinder, und meine Sachen – ich habe ja lange noch nicht alles
in bester Art geordnet?!‘ – Sagte der Freund: ,Ei, kümmere dich darum nicht, das
werden schon die tun, die noch auf eine kurze Zeit zurückgeblieben sind!‘
[JS.01_61.02.18,05] Damit war ich auch bald einverstanden, und ich befand mich
wie durch einen Zauber geführt auf einmal so natürlich in der Campagna meines
Freundes und besah mir ganz entzückt das Meer mit seinen Wundern, daß ich sagte:
,Freund, aber das ist ja doch alles ganz handgreifliche Natur, und wir sollen
nur pure Geister sein?!‘ – Da sagte er zu mir: ,Freund! – als wir noch unser
schlechtes Fleisch bewohnt haben, da sahen wir ja auch nur als lebendige Seelen
die handgreifliche Natur, und nicht unser toter Leib! Wenn so damals, wo uns des
Leibes Bürde und finstere Dichte ein großes Hindernis war, warum denn jetzt in
unserem freieren Lebenszustande nicht?‘ –
[JS.01_61.02.18,06] Ich war damit ganz einverstanden und fing an zu fühlen, daß
ich des Leibes bar geworden bin; aber doch nicht, wie und auf welche Art. – Aber
ich fing da an, mich zu kümmern, wo ich meine Gattin fände, und ob ich meine
verlassene Buchhandlung wieder aufrichten könnte, – und das hatte mir viel
Kummer und Sorge gemacht. – Aber Gott alles Lob! nun ist auch das hinter mir,
und ich habe angefangen, mich nun ausschließlich mit höheren Dingen zu befassen,
– und ich werde dich nun zu öfteren Malen besuchen und dir noch so manches aus
meinen jetzigen Erlebnissen und Erfahrungen für die Gläubigen auf eurer Welt zum
Nutzen mitteilen. – Lebe nun wohl in Gott dem Herrn.“ – – –
25. Februar 1861
[JS.01_61.02.25,07] B: „Guten Morgen, guten Morgen – lieber Freund! Meine
herzlichsten Grüße auch an alle die andern guten Freunde! Ich habe hier nicht
nötig zu fragen, wie sie sich befinden; denn das weiß man hier ganz gut, wie es
dem einen oder andern lieben Freunde noch auf der stereotypen Erde geht, da wir
alles dessen aus eines jeden seelischer Außenlebenssphäre genauest innewerden
können, wenn wir das wollen. Aber ich habe dennoch stets eine große Freude, so
ich hier auf der geistigen und somit bessern Erde inne werde, daß ein jeder –
bis auf weniges – im Lichte des Herrn aus den Himmeln fortschreitet; denn die
der Herr liebhat, die sucht Er ja stets mit allerlei Kreuzlein heim. Diese
Kreuzlein sind wahre Beförderungsmittel zur Einung des Geistes des Herrn mit der
für sich immer leidigen Seele, die für sich ohne eine Stütze ein sehr armseliges
Wesen ist, aus welchem Grunde sich auch die meisten Seelen auf ihr morsches und
hinfälliges Fleisch stützen und mit diesem sich auch alle Leiden gefallen lassen
müssen, weil sie die festeste und ewige Stütze des Geistes aus Gott nicht ahnen,
geschweige irgend erkennen! – Und eben darum sind die gewissen Ordenskreuzlein
aus der Hand des Herrn gar so gut und nützlich fürs wahre und ewige Wohl der
Seele, weil sie dadurch genötigt wird, sich vom fleischlichen Stützpunkte
abzuwenden und sich im Glauben an den des Geistes zu wenden. –
[JS.01_61.02.25,08] Hat eine Seele einmal nur als anfänglich diesen günstigen
Umschwung gemacht, so wird sie vom Herrn aus so lange mit allerlei Kreuzlein
versehen, als sie sich nicht völlig mit dem Geiste zu einen angefangen hat. Ist
das aber einmal da und auch nicht mehr zu befürchten, daß eine Seele wieder zum
Fleische behaglich zurückkehren könnte oder möchte, nun, so hören dann auch alle
die Kreuzlein auf und der ganze Mensch kann dann schon auf der Welt in eine
wahre Glückseligkeit übergehen. –
[JS.01_61.02.25,09] Ich selbst habe im Erdenleben das wohl auch bei weitem nicht
so eingesehen, wie ich's jetzt in diesem reinen und völlig schmerzlosen und
eigentlich wahren Leben einsehe. Und das war auch der Grund, daß ich gleichfort
in einem Wanken zwischen dem morschen und vergänglichen Stützpunkte des
Seelenlebens und jenem ewig dauernden, wahren und kräftigsten des Geistes mich
befand und dabei aber auch in einem fort bald dies und bald jenes stets leidend
zum Erdulden bekam, – aber es war das dennoch gar liebevoll vom Herrn also
angeordnet, und ich fühle erst jetzt mehr und mehr die große Wohltat aller der
von mir ausgestandenen, oft recht bitter schmeckenden Prüfungen. Denn wo und was
wäre ich nun hier ohne sie?!
[JS.01_61.02.25,10] Ach, lieber Freund, wenn man hier wie ich nun die
Gelegenheit hat, das Elend und die große Not der gewissen Weltmenschen-Seelen zu
sehen und zu erkennen, so kann man dem Herrn ewig nie irgend zur Genüge dankbar
sein, daß Er einem stets solche Hüter und Wächter gesandt hat, durch die man
verhindert wurde, ein ganz vollendeter Weltmensch zu werden. – Ertragt daher
alles aus Liebe zum Herrn in aller Ihm dankbaren Geduld, – denn das wahre
Lebenskalifornien werdet ihr für ewig nur hier finden. Denn jeder treue Arbeiter
im großen Lebensweinberge des Herrn wird hier seinen glänzendsten Lohn für ewig
finden!
[JS.01_61.02.25,11] Das aber ist ja aus dem Munde des Herrn Selbst bekannt, daß
Seine Bekenner auf der Erde in Ihm, d.i. in Seinem Geiste gewisserart mit Ihm
gekreuzigt werden, um also auch mit und in Ihm zum ewigen Leben aufzuerstehen.
[JS.01_61.02.25,12] Sehr lieber Freund, ich weiß es wohl, daß dir das nicht
unbekannt ist, aber ich sage dir und auch den andern lieben Freunden das nur
darum, weil das Wort eines Selbsterfahrenen denn doch ein größeres und
wirksameres Gewicht hat als das eines Propheten, der doch noch ein Einwohner des
Fleisches ist. –
[JS.01_61.02.25,13] Du möchtest wohl von mir so manche geistigen Seins- und
Bestandsverhältnisse erfahren, und ich teile es dir auch wahrlich gerne mit,
soweit es mir in meinem gegenwärtigen Zustande nur immer möglich ist. – Sieh,
ich befinde mich noch immer auf dieser Erde und zwar zumeist in den
Küstengegenden um Triest, bin aber auch zu öfteren Malen hier in Graz, und ich
sehe diese Erde auch um vieles besser, als sie je ein Mensch, der noch im
Fleische wandelt, zu sehen imstande ist. Und ich sehe auch die Menschen, die
hier noch leben und kann für mich auch ganz gut mit ihnen verkehren. Denn meine
Worte werden in ihnen wie unvermutete und plötzlich entstandene Gedanken; und
ihre eigenen darüber entstandenen Gedanken geben mir plastisch die Antwort. Aber
doch ist die Erde, die ich gar klar schaue, nicht die eigentliche materielle
Erde selbst, sondern nur gewisserart die geistige, ohne die die materielle gar
nicht bestehen könnte, weil alles Materielle an und für sich nichts als nur ein
gerichtetes oder fixiertes Geistiges ist.
[JS.01_61.02.25,14] Aber es ist das doch etwas Sonderbares, daß bei uns die
,geistige Erde‘ gewisserart aus der Seele durch die allbelebende und
allschaffende Macht ihres Geistes aus Gott hervorgeht, so wie ein völlig
ausgewachsener Baum aus dem Keimhülschengeiste im unansehnlichen Samenkorn
hervorgegangen ist, nur geschieht das fertiger als die Entwicklung des Baumes
aus dem Samenkorn. Nun würdest du freilich denken und sagen: Ja, wenn also, da
gibt es dann im Geisterreiche ebensoviele geistige Erden, wie es Geister gibt.
Aber das ist eben nicht der Fall, und es ist wundersam, wie zwar wohl richtig
ein jeder Geist ,seine‘ geistige Erde in sich ins Jenseits bringt; aber sowie
sie sich aus ihm entwickelt, vereint sie sich augenblicklich auch mit aller
Geister geistigen Erde, und es besteht darum nur eine geistige Erde, in allem
der materiellen völlig ähnlich, – nur um vieles edler, ausgeprägter und
vollendeter als die materielle für das Auge des Fleisches, das die großen Wunder
im Bau der Atome nicht erschauen kann. Und darum ist die ,geistige Erde‘ für uns
auch ein ganz anderer Anblick, als für euch die materielle.
[JS.01_61.02.25,15] Unser Hin- und Herwandern ist natürlich auch ein anderes als
bei euch, denn wir haben mit der materiellen Zeit und ihren Räumlichkeiten
nichts zu tun. Wie bei uns aber das vor sich geht, das werde ich dir nächstens
näher zeigen, und zwar auf eine leicht begreifliche Art. – Und so lebe nun wohl
im Herrn.“ –
4. März 1861
[JS.01_61.03.04,16] B: „Guten Morgen, und Gott zum Gruße!
[JS.01_61.03.04,17] Nun fängt auf dieser Erde wieder das Frühjahr an, und es
wird sicher ein recht gutes werden; denn wir merken das wohl an der besonderen
Tätigkeit der Naturgeister, die sich nun gar bunt durcheinander zu tummeln
anfangen. Es ist doch wahrlich sonderbar, in welchen Formen von der höchsten
Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit sie sich auf einmal wie durch einen
Zauberschlag in unserer Ätherluft entwickeln, sich gruppieren und dann gleich
tätig werden. Die höchste Verschiedenheit der zusammengemengten Formen und
Gruppierungen stellen eine neue Form als ein neues Ganzes dar. Man sieht nun die
neue Form, aber man sieht in ihr auch die einzelnen Spezialformen in ihrer
wunderbar geordneten Verbindung, und das übertrifft weit alles, was man auf der
Erde auch durch die vollendetsten Mikroskope sehen und entdecken kann. Denn was
man mit den fleischlichen Augen sehen kann, das sind schon gefestete Formen,
mindestens auf der zehnten Potenz der fortschreitenden Formen- und
Wesenverbindung stehend. Es ist das gewisserart schon ein umhäutetes und
eingepupptes Geistiges, das erst aus solch einer Puppe dann in der materiellen
Welt in die entsprechende Erscheinlichkeit tritt. Aber welch eine Riesenmenge
der seltensten Vorformungen und Zusammengruppierungen gehen in der geistigen
Naturwelt einer obbenannten Einpuppung voran!
[JS.01_61.03.04,18] Diese Tätigkeit der speziellen Naturgeister vor ihrer
Einpuppung ist eigentlich das Wunderbarste, was wir Geister hier beobachten
können, so wir dazu Lust und Liebe haben. Aber es geht hier bei uns zumeist auch
so zu, wie auf der materiellen Erde unter den Menschen: wer nicht den schon für
etwas Höheres geweckten Sinn mit herübergebracht hat, der hat auch hier keinen
andern, als er ihn auf der Erde hatte. Der Gold- und Geldmensch bleibt auch hier
ein Makler und Spekulant, so der Kaufmann, der Handwerker, der Landmann und so
fort – ein jeder in seiner Art; und da heißt es wahrlich: Viele sind berufen,
aber nur wenige auserwählt!
[JS.01_61.03.04,19] Ich weiß das von mir selbst, wie auch ich mich am Anfang
meines Hierseins wieder hinein, d.h. in das Welthandeln zu drängen begann. Nur
guten und hier schon wohlerfahrenen Freunden habe ich es zu danken, daß ich
davon abkam und den eigentlichen und wahren Zweck meines Hierseins noch früh
genug erkannte und mich nun auf einer höheren Stufe des reineren Erkennens und
Schauens befinde. – Oh, es ist hier noch schwerer, sich von der falschen Materie
loszuwinden, als auf der wirklichen materiellen Welt, und das Atheistentum ist
hier noch ums Tausendfache mehr vertreten als auf der materiellen Welt, – und
wer einmal darin steckt, der ist nach meiner bisherigen Erfahrung schwer oder,
nach meinem Dafürhalten, schon gar nicht herauszubringen. – Ich habe mit derlei
Geistern über, wie man sagt, transzendentale Dinge bei Gelegenheit zu reden
angefangen, bekam aber gleich zur Antwort: ,Sollen wir etwa auch hier noch den
Pfaffen und Herrschern Narren abgeben? Seien wir froh, daß wir uns endlich
einmal in einer solchen Welt befinden, in der ein jeder ein völlig freier Herr
seines Platzes ist!‘ – Einen davon habe ich erst jüngst gefragt, ob er nicht
dann und wann denke, daß der große Lehrer aus Nazareth etwa doch der Herr und
Schöpfer aller Geister- und Sinnenwelt sein könnte. Nun, da habe ich bald
einpacken können, er machte Miene, roh und grob zu werden, und machte derartige
Äußerungen über den Herrn, die ich hier nicht wiederholen möchte. Es ist mit
solchen Geistern nichts zu machen, das Beste ist, ihnen nach Möglichkeit
auszuweichen.
[JS.01_61.03.04,20] Ich habe den Herrn schon ein paarmal, aber nur von einer
gewissen Ferne, zu Gesichte bekommen und hatte eine große Sehnsucht, Ihn zu
sprechen. Aber es hat sich das bis jetzt noch nicht gefügt. Mein Freund sagte
mir, daß Er ehest wieder kommen werde; – vielleicht fügt es sich dann?“ – – –