Jakob Lorber
Bischof Martin
Die Entwicklung einer Seele im Jenseits.
( Text )
Durch das Innere Wort empfangen
von Jakob Lorber.
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 001 Des alten Bischof Martin irdisches Ende und seine Ankunft im
Jenseits.
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Kapitel 002 Bischof Martins Langeweile in seiner Vereinsamung und sein
Sinnen auf Abwechslung.
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Kapitel 003 Bischof Martin in Gesellschaft eines scheinbaren Kollegen. Die
guten Vorschläge des Führers.
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Kapitel 004 Bischof Martins Ärgernis an dem lutherischen Tempel und des
Engels Entgegnung. Martins Bereitschaft zum Dienst als Schafhirte.
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Kapitel 005 In der Hütte des Engels Petrus. Ein Lichtwort des Engels über
Luther. Martins Anstellung als Schafhirte im Jenseits.
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Kapitel 006 Bischof Martins angenehme, aber gefährliche Überraschung im neuen
Dienst. Die Schafherde – eine Menge schöner Mädchen!
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Kapitel 007 Bischof Martins Versuchung und seine Belehrung durch den Engel
Petrus.
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Kapitel 008 Bischof Martins kritisches Selbstgespräch und Sündenbekenntnis.
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Kapitel 009 Weitere Geduldsprobe Bischof Martins und sein Galgenhumor.
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Kapitel 010 Bischof Martin auf Abwegen. Winke des Herrn über geistige Zustände
und deren Entsprechungen.
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Kapitel 011 Die bedrängte Lage unseres Wanderers; sein weiteres Selbstgespräch
und ärgerliches Schimpfen.
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Kapitel 012 Bischof Martin auf dem toten Punkte. Aufnahme durch das ersehnte
Schiff. Martins Dankrede an den Schiffsmann, der der Herr selbst ist.
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Kapitel 013 Des göttlichen Schiffsmannes Worte über den Segen der Einsamkeit.
Ein Beichtspiegel zur Förderung der Selbsterkenntnis.
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Kapitel 014 Bischof Martins aufrichtiges Reuebekenntnis und sein guter Wille zur
Buße und Umkehr.
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Kapitel 015 Des göttlichen Schiffsmannes Bußpredigt an Bischof Martin.
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Kapitel 016 Bischof Martins Schuldbekenntnis. Martins Entschluß, bei dem Lotsen,
seinem Retter, zu bleiben. Der Engel Petrus als Dritter im Bunde.
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Kapitel 017 In der Hätte des Lotsen. Das gesegnete Morgenmahl und Martins Dank.
Die neue Arbeit Martins mit den Fischern.
- Kapitel 018 Auf der Fischjagd.
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Kapitel 019 Bischof Martins Bedenken über die vergebliche Arbeit – Petrus' gute
Erwiderung unter Hinweis auf die leeren, geistlosen Verrichtungen eines
römischen Bischofs.
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Kapitel 020 Die geistige Entsprechung der Fischjagd. Die Zusammensetzung der
Seele. Martins Entschuldigungen und des Herrn zurechtweisende Worte.
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Kapitel 021 Philosophisch dumme Ausrede Bischof Martins. Ein liebfreundlicher
und göttlichernster Gewissensspiegel.
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Kapitel 022 Bischof Martins demütige Selbsterkenntnis und seiner Liebe Erwachen.
Die verwandelte Gegend. Der Palast und sein schmutziges Inneres.
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Kapitel 023 Bischof Martins erstes gutes Werk der Barmherzigkeit an den armen
Neuhinübergekommenen.
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Kapitel 024 Neue Arbeit Bischof Martins: Brandlöschen und Lebenretten! Aufnahme
und Einkleidung der Abgebrannten.
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Kapitel 025 Unterschied des Denkens dies- und jenseits. Einführung in die
lebendige Entsprechungswissenschaft. Martins - Tathunger und Erkenntnismüdigkeit.
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Kapitel 026 Martins Bescheidenheit und Demut. Das gesegnete Liebesmahl am Tische
des Herrn.
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Kapitel 027 Martins merkwürdige Erfahrungen an den Aufgenommenen. Martin will
belehren und wird belehrt.
- Kapitel 028 Martin als blinder Rationalist in der Klemme.
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Kapitel 029 Der Herr gibt sich dem blinden Martin als Jesus zu erkennen.
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Kapitel 030 Zwiegespräch zwischen dem Rationalisten Martin und dem weisen
Lichtmanne über die Gottheit Jesu.
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Kapitel 031 Kritische Fragen Martins und die Antworten des Weisen.
- Kapitel 032 Fortsetzung des Gespräches über die Gottheit Jesu.
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Kapitel 033 Bischof Martin erkennt in Jesus den Herrn. Die Furcht des
Sünders. Martins Belehrung.
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Kapitel 034 Eine heilige Erlösungsszene: Martin an der Brust des Herrn.
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Kapitel 035 Martins erster Missionsgang und seine Erfahrungen. Eine scheinbare
Menagerie – „Ohne Mich vermöget ihr nichts!“
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Kapitel 036 Martins zweiter Besuch in der Menagerie unter Leitung des
himmlischen Meisters. Seine Bekehrungsrede. Die Rettung der Verirrten.
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Kapitel 037 Das himmlische Mahl. Segnung der Neuerlösten und ihr himmlisches
Heim.
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Kapitel 038 Bischof Martin in seinem himmlischen Heim. Die erste Überraschung.
Einrichtung des Heimes.
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Kapitel 039 Bischof Martin allein im Saale seines Hauses. Die Betrachtung des
Erdglobus und der übrigen Himmelskörper. Martins Langeweile.
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Kapitel 040 Die zwölf kleinen Kabinette mit den verdeckten, noch ungesegneten
geistigen Speisen. Die Herde der schönen Mädchen. Die schöne Merkurianerin. Die
formvollendeten nackten Venusmenschen. Wichtigkeit des Segens des Herrn.
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Kapitel 041 Die Herrlichkeiten des Mars. Martins geistige Ermattung und
törichter Wunsch. Des Herrn Rüge.
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Kapitel 042 Die Überraschungen hinter der fünften Tür. Die Wunderwelt des
Jupiter.
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Kapitel 043 Saturn als herrlichster aller Planeten. Die Erde als
Gotteskinderschule und Schauplatz der Menschwerdung des Herrn.
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Kapitel 044 Das siebente Kabinett. Vom Wesen und Zweck des Uran und seiner
Geister. Die Schöpfung im Menschen und außerhalb des Menschen in ihren
Wechselbeziehungen.
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Kapitel 045 Die Welt des Miron, das Geheimnis des achten Kabinetts. Das Geistige
als Urgrund und Träger aller Schöpfung.
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Kapitel 046 Das neunte Kabinett mit seinem traurigen Geheimnis. Die zertrümmerte
Welt der Asteroiden und ihre Geschichte.
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Kapitel 047 Das Geheimnis der zehnten Kammer: die Sonne mit ihrer Pracht. Vom
Wesen des Lichtes. Die Wunder der Sonnenwelt. Schönheit als Ausdruck innerer
Vollkommenheit.
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Kapitel 048 Bischof Martins weitere wunderbare Entdeckungen auf seiner Sonne.
Grund der Größenverschiedenheit der Sonnenvölker. Liebe und Weisheit als die
wahren Größen des Geistes. Martins Klage über die Erde und ihre Bewohner.
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Kapitel 049 Eine Mondschau durch die elfte Tür. Bischof Martin und der
Mondweise.
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Kapitel 050 Unterschied der Wirkung des Unterrichtes von außen und von innen.
Die Töpferwerkstatt.
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Kapitel 051 Ein Blick durch die zwölfte Tür auf das kleinste Sonnengebiet.
Martins Ahnung von der Größe und Gnade Gottes. Die Form des Menschen als
bleibende, überall gleiche Grundform. Jenseitige Gefahren für den noch nicht
völlig Wiedergeborenen.
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Kapitel 052 Segen des Lichtes Swedenborgs. Der alte Adam in Martin. Weise Lehre
des Weibes und scharfe Mahnung Borems.
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Kapitel 053 Der ärgerliche Bischof Martin. Borems scharfe Mahnung und Weggang.
Der einsame Martin.
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Kapitel 054 Martins Selbstgespräch. Eine Kritik der Kirchen. Die Entdeckung
einer Vesperecke.
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Kapitel 055 Vom Hunger und Durst unreifer Geister. Martin im angeheiterten
Zustand nach seinem Vespermahl. Die - ---- -Ernüchterung des unternehmungslustigen
Martin durch den erzürnten Jupitler.
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Kapitel 056 Martins vergeblicher Versuch zu schlafen. Überraschung durch eine
Schar Unglücklicher, deren sich Martin erbarmt.
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Kapitel 057 Die Erquickung der Elenden. Ihr Dank und ihre Klagen über das
Erlebte. Die Rede des Geretteten und Martins Antwort.
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Kapitel 058 Näheres über die neue Gesellschaft von männlichen und weiblichen
Dienern Roms. Ein römisch-chinesischer Missionar.
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Kapitel 059 Die Werkheiligkeit der römischen Klosterschwestern. Wie die Arbeit,
so der Lohn!
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Kapitel 060 Martin als Friedensstifter. Die werkheiligen Torheiten der
Schulschwestern und ihre jenseitigen Folgen. Martins Mahnung.
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Kapitel 061 Rede der Herz-Jesu-Damen. Deren körperliche Verirrungen und geistige
Torheit. Martins Belehrungsversuch und Moralpredigt.
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Kapitel 062 Zwiegespräch zwischen einem Jesuiten und Bischof Martin. Belehrung
einer höllenängstlichen Barmherzigen Schwester.
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Kapitel 063 Martins Zwiegespräch mit zwei andern Jesuiten und zwei Liguorianern.
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Kapitel 064 Ehrliches Bekenntnis des Minoriten. – Rom als Schuldträger. –
Beginnende Erkenntnis und Besserung bei den Minoriten.
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Kapitel 065 Bischof Martin macht die geistig-blinden Jesuiten sehend.
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Kapitel 066 Die Herz- und Hauserweiterung. Des Herrn Ruf an Martin.
- Kapitel 067 Veränderung des Gartens. Borem als Gärtner.
- Kapitel 068 Borems belehrende Worte über den Weg zur Seligkeit.
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Kapitel 069 Ein neues Wunder für Bischof Martin: Prüfungsszene der Minoriten und
Jesuiten.
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Kapitel 070 Zweite Szene der Jesuitenprüfung und ihre Erklärung durch Borem.
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Kapitel 071 Besserung und Umkehr des einen Jesuiten. Die Rache der 29 andern
Jesuitengeister.
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Kapitel 072 Ein Blick in die seelische Verfassung der Herz-Jesu-Damen.
Eindringlinge im Klostergarten. Angriff der rachegierigen Herz-Jesu-Damen.
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Kapitel 073 Martins Bemerkungen und Borems weise Winke über die Wege der ewigen
Liebe. Die brennenden Herz-Jesu-Damen.
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Kapitel 074 Martins Kritik über das Wesen des Bösen. Borems belehrende Rede über
die göttliche Lebensordnung. ,Gut‘ und ,Böse‘ als die beiden Gegenpole in Gott
und der Schöpfung.
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Kapitel 075 Martins weitere Beobachtungen an dem höllischen Zustand der
Herz-Jesu-Damen. Borems entsprechende Erklärungen.
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Kapitel 076 Herzloses Gebaren der Herz-Jesu-Damen gegen ihre Einlaß begehrenden
Eltern. Eingreifen der zwei weißgekleideten Männer.
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Kapitel 077 Posaunenstoß der zwei weißen Männer und Zusammensturz des Klosters.
Die Herz-Jesu-Damen als Riesenfrösche. Aufklärende Rede an die geängsteten
Eltern.
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Kapitel 078 Eine dunkle Jesuitengeschichte: Der um seine Tochter betrogene
Vater. Die geistige Beleuchtung der Geschichte.
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Kapitel 079 Des Alten Ärgernis an Rom und an der Langmut Gottes. Gleichnisse von
der Geduld des Herrn.
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Kapitel 080 Gleichnis von den Weizen- und Distelsorten. Erwachen der Liebe
Martins zum Herrn. Fortsetzung der Szene mit den Herz-Jesu-Damen.
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Kapitel 081 Verschwinden der Frösche im Meer und das Auf-dem-Meere-Wandern der
suchenden Eltern. Borems Erläuterungen.
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Kapitel 082 2. Akt des Schauspiels mit den Herz-Jesu-Damen. Der höllische Sturm
auf dem Meere. Einfangen des Sturmgeschmeißes in einen Sack. Borems Erläuterung.
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Kapitel 083 Martins Sehnsucht nach dem Herrn. Die Fische im Sack. Das Auslesen
der Fische. Der Kelch, das Gefäß der Gnade, und andere Entsprechungen Beginn von
Martins Geisteslöse.
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Kapitel 084 Beginn des 3. Aktes des himmlischen Dramas. Der Gnadenkelch mit dem
siedenden Wasser. Der höllische Wall.
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Kapitel 085 Das Nahen der Katastrophe. Die alte Schlange, die zwölf
Gerichtsengel und der Abgrund. Herrlicher Sieg und köstlicher Preis.
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Kapitel 086 Der ewig eine große Held. Die herrliche Löse. Gleichnis vom Säen,
Wachsen und Ernten. Die große Ernte.
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Kapitel 087 Martins Bescheidenheit, geregelt durch Borems Weisheit. Martin im
Festkleid. Die Erweiterung des Hauses Martins.
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Kapitel 088 Begrüßung Martins durch die glückliche Gesellschaft. Martins Hinweis
auf den Herrn als alleinigen Wohltäter. Das eine, was noch fehlt.
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Kapitel 089 Martin und der Botaniker im Garten. Neuer Zuwachs an Elenden. Der
ersehnte köstliche Lohn.
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Kapitel 090 Jesus als Herr, Vater und Bruder. Gleichnis vom Fürsten und den
Ministern. Ehrfurcht und Liebe.
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Kapitel 091 Martins Liebesdrang beim Herrn. Aufnahme der chinesischen Märtyrer
und ihre Erquickung.
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Kapitel 092 Heilbad der hundert Aussätzigen. Ihre Bekleidung und ihre Dankrede.
Vom Wesen Lamas. Die Frage nach Jesus und des Herrn Bescheid.
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Kapitel 093 Peinliche Wiedersehensszene unter den Chinesen. Die Geschichte der
Verräterin.
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Kapitel 094 Schöne, echte Versöhnung zwischen Chanchah und den hundert Chinesen.
Der Herr und Chanchah.
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Kapitel 095 Chanchahs Verlangen, das Wesen des Herrn zu erforschen. Des Herrn
Rezept. Chanchahs glühende Liebe zum Herrn.
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Kapitel 096 Des Herrn Wink zum vorsichtigen Handeln bei Unreifen. Chanchahs
Liebe zum Herrn im Konflikt mit Chanchahs Liebe zum Lama.
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Kapitel 097 Chanchahs eifriges Forschen nach dem Namen ihres geliebten Freundes.
Des Herrn Hinweis auf das beste Rezept. Unterschied zwischen Gastgeber und Gast.
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Kapitel 098 Des Herrn Worte über das Wesen und Wirken Lamas. Das Baumwunder.
Eine Mahnung zur Vorsicht.
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Kapitel 099 Martin in Verlegenheit durch Chanchahs wißbegierige Fragen.
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Kapitel 100 Des Herrn Rüge und Verhaltungswinke an Bischof Martin.
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Kapitel 101 Chanchahs erneute Frage nach dem großen Lama. Martins Verlegenheit
und leere Ausflüchte. Chanchahs Antwort: „O du armer Esel!“.
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Kapitel 102 Borems gute Winke über den inneren Verkehr mit dem Herrn und über
die Behandlung von stoischen Naturen.
- Kapitel 103 Die gesegnete Frucht der Demütigung Martins.
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Kapitel 104 Aussöhnung zwischen der Chinesin und Martin. Vom Beleidigen und
Vergeben im chinesischen Geiste.
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Kapitel 105 Das himmlische Gesetz der Liebe und seine beseligende Wirkung.
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Kapitel 106 Martin in der Klemme durch die weiteren Fragen Chanchahs.
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Kapitel 107 Des Herrn Belehrung an die fragelustige neue Himmelsbürgerin. Das
Gleichnis vom zugebundenen Sack. Martins Beruhigung.
- Kapitel 108 Gleichnis von der klugen Erziehung der Kinder.
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Kapitel 109 Der Chinesin Kernfrage und des Herrn sehr kritische Gegenfrage.
Geschichte der Morgen- und Abendblume.
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Kapitel 110 Zurüstungen zu einem himmlischen Fest. Martins erste Reise mit der
Himmelspost.
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Kapitel 111 Des Herrn Gegengleichnis: die zwei Menschenpflanzen im Garten der
Liebe Gottes. Gottes Menschwerdung.
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Kapitel 112 Satan als Ungeheuer im Saal. Das stärkende Mahl. Gella erkennt den
Herrn.
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Kapitel 113 Der vorlaute Martin in der Wäsche – „Wer der Erste sein will, der
sei aller Diener!“
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Kapitel 114 Vom formwechselnden Wesen Satans. Ein Wink über den Charakter
Martins. Der Neulinge Ahnung von der Nähe des Herrn. Chanchahs demütiges
Schuldbekenntnis.
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Kapitel 115 Ergreifende Versöhnung zwischen dem Jesuiten Chorel und Chanchah.
Des Herrn Freude über Chanchahs Liebe.
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Kapitel 116 Eine Szene mit Satan zur Belehrung der Gotteskinder. Martins
Wortgefecht mit Satan. Martin in der Enge. Des Herrn Rat.
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Kapitel 117 Martins Versuchung durch Satan in der verführerischen Gestalt der Satana.
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Kapitel 118 Aufrichtung und Belehrung des gefallenen Martin durch Borem. Des
Herrn Ermahnungen an Martin. Unzertrennlichkeit von Besitz und Besitzer im
Himmel.
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Kapitel 119 Des Herrn Zwiegespräch mit Satan. Satans böswilliger Trotz. Des
Herrn Gleichnis vom Erzgießer. Der gerettete Anhang Satans.
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Kapitel 120 Chanchahs Erwachen aus ihrem traumähnlichen Zustande. Des Herrn
Erklärungen über die großen Vorgänge und über Sich Selbst.
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Kapitel 121 Chanchahs übergroße Seligkeit und Liebe zum erkannten Lama. Liebe
und Weisheit. Der Herr als Vater und Bruder.
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Kapitel 122 Eine himmlische Liebeserklärung. Der Sieg der Liebe. Gellas Freude
über Chanchah.
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Kapitel 123 Geistiges Erwachen der andern Chinesen und der Mönche. Die
eifersüchtigen Nonnen und ihre Demütigung.
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Kapitel 124 Seelenheilwinke. Geistige Naturheilmethode. Krisen der
Chinesengeister. Vom Wesen der Eifersucht.
- Kapitel 125 Borem und die herzkranken Nonnen.
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Kapitel 126 Geläster des badenden Drachenanhanges. Des Herrn beruhigende und
belehrende Worte.
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Kapitel 127 An der verschlossenen Sonnentür. Verhältnis des Lichtes zur
Tätigkeit. Verhaltungswinke für die Sphäre der Weisheit.
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Kapitel 128 Auf der lichtquellenden Sonne. Der Herr als der Letzte. Martin als
Reiseführer.
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Kapitel 129 Martins Begegnung mit Petrus und Johannes. Vom Wesen der Liebe und
der Weisheit bei den Sonnenmenschen.
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Kapitel 130 Einige Prüfungsfragen des Johannes an Martin. Von der Fürbitte der
Heiligen und der Sorge um die Verwandten.
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Kapitel 131 Niederstieg in ein Sonnental. Das Schauen der Geister. Bedingungen
des schnellen oder langsamen Reisens im Geisterreiche.
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Kapitel 132 Vom Allgegenwärtig-Sein und vom Gleichzeitig-Wirken der vollkommenen
Himmelsbürger. Martins Einwände und ihre Widerlegung durch Johannes.
- Kapitel 133 Martins Gedanken über die Allgegenwart Gottes.
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Kapitel 134 Johannes Antwort auf Chorels Frage, ob die Bewohner der Himmel die
Erde und ihre fernere Geschichte betrachten können.
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Kapitel 135 Herrlichkeiten der Sonnenwelt und ihrer Bewohner. Martins Bangigkeit
vor der Weisheit der Sonnenmenschen und des Johannes Verhaltungswinke.
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Kapitel 136 Der verzückte Bischof Martin und die drei schönen Sonnenjungfrauen.
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Kapitel 137 Martin im Examenskampf mit den drei Sonnentöchtern. Zwischen
Weisheit und Liebe.
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Kapitel 138 Martins Begründung für die Ablehnung des Weisheitspreises. Der
Sonnentöchter weisheitstiefe Entgegnung.
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Kapitel 139 Martin in der Weisheitsklemme. Des Petrus ermutigender Zuspruch.
Martins gute Erwiderung.
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Kapitel 140 Bitte der drei Sonnentöchter an Martin, sie Gott lieben zu lehren.
Martins kritische Zentralfrage. Die liebeentbrannten Sonnentöchter an der Brust
Martins.
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Kapitel 141 Drohende Haltung der drei Sonnenmänner. Martins kräftige Entgegnung.
Gehorsam der drei Sonnenmänner auf Anraten ihrer Geister.
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Kapitel 142 Neugierde der zwanzig eitlen Nonnen. Heilsame Demütigung durch die
enthüllte Schönheit der drei Sonnentöchter.
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Kapitel 143 Mitleid der drei Sonnentöchter mit den ohnmächtig gewordenen Nonnen.
Deren Belebung durch den Herrn. Johannes' und Martins Gespräch mit den
Sonnentöchtern über den Herrn.
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Kapitel 144 Chanchahs und Gellas Staunen ob der Schönheit der drei
Sonnentöchter. Des Herrn Lob an Martin als Menschenfischer. Vom Zukommenlassen
und Ergreifen der Gnade.
- Kapitel 145 Der Herr und die drei liebereifen Sonnentöchter.
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Kapitel 146 Schwierige Bedingungen zur Erreichung der Gotteskindschaft auf der
Erde.
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Kapitel 147 Absprechende Kritik der drei Schönen über die entbehrungsreiche Gotteskindschaft auf der Erde.
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Kapitel 148 Fortsetzung der kritischen Weisheitsrede der drei Sonnentöchter.
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Kapitel 149 Niederschlagende Wirkung der Weisheit der drei Sonnentöchter auf
Martins Siegesgewißheit.
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Kapitel 150 Des Herrn liebweise Verhaltungsregeln an Martin. Winke über die
inneren Vorgänge bei den drei Schönen. Martins Ärger und des Herrn beruhigende
Worte.
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Kapitel 151 Frage der drei Schönen an den Herrn, warum Er und die Seinen nicht
in ihre Wohnungen gekommen sind. Des Herrn weise Antwort.
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Kapitel 152 Demütigende Wirkung der Körperschönheit der drei Sonnenmädchen auf
die andern Weiber. Martins Donnerrede und des Herrn Rat an die verärgerten
Weiber.
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Kapitel 153 Beruhigende Rede der drei Sonnenkinder. Martin in neuer Versuchung.
Die Erdenweiber mit den Sonnenweibern in Harmonie. Des Herrn Anordnung zum Zug
in die Wohnungen der Sonnentöchter.
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Kapitel 154 Von der wahren Weisheit und der Scheinweisheit der Sonnenweisen. Das
Gesetz der Blutschande unter den Sonnenbewohnern, ein Kunstgriff Satans! Vom
Zweck des Kommens des Herrn.
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Kapitel 155 Chanchahs weise Rede. Böse Gesetze und wahre Gesetze. Ohne Kampf
kein Sieg. Warum der Herr zu den Sonnentöchtern jetzt erst kommt.
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Kapitel 156 Der Sonnentöchter gute Ahnung vom Wesen des Herrn. Ankunft im Palast
der Sonnenbewohner. Chanchahs und Gellas bewundernde Worte.
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Kapitel 157 Chanchahs ernste Bedenken angesichts der Pracht. Von der liebe
flammenden Pracht des Herzens. Allerlei Widersprüche.
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Kapitel 158 Martins blinder Eifer gegen den Zeremoniendienst der Sonnenbewohner.
Des Herrn weise Toleranzrede. Martins Gespräch mit Petrus über die Rüttler vom
Herrn.
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Kapitel 159 Musikalisches von der Sonnenwelt. Petrus' ernste Mahnung an Martin,
seine Sinnlichkeit zu überwinden.
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Kapitel 160 Martins Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Des Petrus Zuspruch
und Mahnung.
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Kapitel 161 Martins leichter Sieg im Weisheitszwiegespräch mit dem dummstolzen Sonnentempelältesten.
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Kapitel 162 Vom wahren Glauben und von der Geistesfreiheit. Das geistige
Erwachen des Ältesten.
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Kapitel 163 Petrus' Auskunft über die angekommene Gesellschaft und ihren
Besuchszweck. Des Weisen Bedenken über die Sichtbarkeit Gottes.
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Kapitel 164 Logische Darlegungen des Petrus und Behebung der Zweifel des Sonnenältesten hinsichtlich des sichtbar anwesenden Herrn.
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Kapitel 165 Johannes im Zwiegespräch mit dem Sonnenweisen. Das Verhältnis
zwischen Schöpfer und Geschöpf.
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Kapitel 166 Einswerdung des Menschen mit Gott. Beispiel vom Meer und den
Wassertropfen. Schwerfälligkeit der Verstandesweisheit gegenüber der
Herzensweisheit.
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Kapitel 167 Der Herr und Uhron, der Sonnenweise. Uhrons Bekehrung und gute
Antwort. Martins anerkennende Worte über Uhrons Rede.
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Kapitel 168 Wirkung von Uhrons Bekehrung auf dessen Hausbewohner. Der Eintritt
ins Sonnenhaus.
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Kapitel 169 Uhrons gute Empfangsrede. Des Herrn gnadenreiche Kundgabe an Uhron.
Berufung der Sonnenmenschen zur Gotteskindschaft. Ein trauriges Zeugnis über die
Erdenmenschen.
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Kapitel 170 Zusammenströmen der Völker der Sonnengemeinde. Predigtauftrag an
Martin und seine ängstlichen Bedenken. Der herrliche Gesang und seine Wirkung
auf Martin.
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Kapitel 171 Der Herrn Verhaltungswinke an Martin. Von der Zornkur. Wie Satan zu
behandeln ist. Martins Vorsicht vor Beginn der Predigt. Des Feindes gewaltige
Drohungen. Martins beruhigende Worte an die geängstigte Menge. Des Herrn
tröstliche Worte.
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Kapitel 172 Martins Predigt an die Versammlung der Sonnenmenschen. Kreuzleben
auf Erden als Bedingung der Gotteskindschaft.
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Kapitel 173 Fortsetzung der Predigt Bischof Martins. Unterschied der
Lebensverhältnisse auf der Sonne und der Erde.
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Kapitel 174 Erregender Eindruck der Predigt Martins auf die Sonnenmenschen.
Zwiesprache zwischen Uhron und Martin.
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Kapitel 175 Schluß der Predigt Martins und ein Wink über deren Zweck. Die
Bedingungen zur Gotteskindschaft. Des Weisen Dank- und Anerkennungsrede.
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Kapitel 176 Die steigende feindliche Flut – Petrus' stärkende Worte an alle. –
Seine bedeutsame Frage an die Sonnenmenschen: „Wollet ihr Kinder Gottes werden
oder nicht?“. Uhrons Antwort.
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Kapitel 177 Nochmalige Klarstellung der Gotteskindschaftsfrage durch Petrus.
Seine Kritik betreffs der Blutschande der Sonnenmenschen.
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Kapitel 178 Petrus' Vorschlag zum Danken und Bitten. Uhrons bedeutsame Ablehnung
des Bittgebetes zu Gott.
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Kapitel 179 Petrus als Lehrer im Beten des Vaterunsers. Warum das Bitten über
dem Danken steht. Petrus' gewichtige Frage an Uhron im Auftrage des Herrn.
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Kapitel 180 Des Sonnenweisen bejahende Antwort an Petrus. Seine Kritik an den
Verheißungen des Herrn.
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Kapitel 181 Des Johannes Rede über die geistige Bedeutung der Verheißungen des
Herrn. Das prophetische Bild von dem neuen Haus und der neuen Stadt als neue
Verheißung des Herrn. Ablehnung durch Uhron als kopf- und herzlose Faselei.
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Kapitel 182 Erklärung des prophetischen Bildes durch Johannes. Erwachendes
Verständnis und Vertrauen des Sonnenweisen.
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Kapitel 183 Der Sonnenmenschen Empfangsgruß an den Herrn. Dessen Rede an die
Sonnenweisen. Demut, das Mittel zur Erlösung vom Geschöpflichen. Sanfte Last der
neuen Lebensregeln.
- Kapitel 184 Des Weisen gute Antwort.
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Kapitel 185 Des Weisen Freuden- und Dankrede. Die überschwemmten Fruchtgärten.
Vertreibung Satanas durch Petrus und Martin.
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Kapitel 186 Der Kinder reine Freude ist auch des Himmelsvaters Freude. Ein
heiliges Liebes- und Gottesgeheimnis. Von der kindlichen Einfalt.
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Kapitel 187 Liebesmahl des Herrn bei den Sonnenmenschen. Wo der rechte Platz des
Herrn ist.
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Kapitel 188 Vom ewigen Segen an des Herrn Tisch. Plötzliche geistleibliche
Verwandlung der drei Sonnentöchter. Wink über die Macht der Liebe und ihre
Wunder.
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Kapitel 189 Martins menschlicher Vorschlag zum Unschädlichmachen Satans. Des
Herrn Wink über die Zulassung der bösen Werke Satans. Martins Vollmacht, Satan
zu bannen.
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Kapitel 190 Martin mit seinen himmlischen Begleitern am Ort der Verwüstung. Der
von Martin gerichtete Satan. Martins Mitleid mit dem weinenden Satan und des
letzteren Befreiung.
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Kapitel 191 Berufung Satans durch Martin. – Satans Rechtfertigungsversuch.
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Kapitel 192 Martins kluge Gegenrede an Satan. Satans Größenwahnerwiderungen auf
Martins Vorschläge.
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Kapitel 193 Martins weitere gute Vorschläge zu Satans Heil. Dessen weitere
Einwände. Die Schöpfungsordnung vor und nach der Menschwerdung des Herrn.
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Kapitel 194 Martins nochmaliger Versuch, Satan das Verkehrte seines Starrsinns
klarzumachen.
- Kapitel 195 Satans Antwort an Martin, dem er Hoffart vorwirft.
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Kapitel 196 Martin, Johannes und Satan. Martins Ehrlichkeit und des Johannes
Weisheit und Entschiedenheit. Satans Widerspruchsgeist und Tadel an Johannes.
Des Johannes Antwort.
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Kapitel 197 Satans Wut. Martins Furcht und des Johannes Ruhe und Klarheit. Der
Kinder Gottes Unabhängigkeit von Satan.
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Kapitel 198 Wortkampf zwischen Johannes und Satan über Gottes Allgegenwart und
die Entstehung des Bösen. Satan in seiner Art ein Triumph des Schöpfers.
Johannes' Beweis der wirklichen Erlösung vom Übel.
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Kapitel 199 Johannes' Aufforderung an Satan, weitere Fragen zu stellen. Satans
Größenwahn und hochmütige Antwort. Johannes' Befehl an Satan, die Sonne zu
verlassen. Satans Bitte um Nachsicht.
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Kapitel 200 Satan in Widersprüche verwickelt. Satan, der Verderber und
Versucher. Neuer Friedenskontrakt zwischen Johannes und Satan.
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Kapitel 201 Selige Heimkehr ins Haus Shonels. Des Herrn lobende, besonders an
Martin gerichtete Empfangsrede. Seine große trostreiche Verheißung: Vom Gerichte
zum Heil!
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Kapitel 202 Der Überwinder Lohn. Himmlische Ehe als höchste Vollendung der
göttlichen Ordnung. Vom Wesen des Weibes. Martins gute Wahl und Hingabe in des
Herrn Willen. Ein Wink über die himmlische Ehe. Martins himmlische Mission als
Vollendeter.
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Kapitel 203 Martins, des neuen Schutzengels, Rede an seine Sonnengemeinde. Uhrons gute Erwiderung an Martin. Seine Bitte an den Herrn und dessen Amen.
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Kapitel 204 Heimkehr der himmlischen Gesellschaft. Ein Werk der Barmherzigkeit.
Besuch der Galerien des Hauses Martins. Der Weg zur Stadt Gottes. Herrliche
Begegnung und Begrüßung.
1. Kapitel – Des alten Bischof Martin irdisches Ende und seine Ankunft im
Jenseits.
[BM.01_001,01] Ein Bischof, der auf seine Würde große Stücke hielt und
ebensoviel auf seine Satzungen, ward zum letzten Male krank.
[BM.01_001,02] Er, der selbst noch als ein untergebener Priester des Himmels
Freuden mit den wunderlichsten Farben ausmalte – er, der sich gar oft völlig
erschöpfte in der Darstellung der Wonne und Seligkeit im Reiche der Engel,
daneben aber freilich auch die Hölle und das leidige Fegefeuer nicht vergaß,
hatte nun – als selbst schon beinahe achtzigjähriger Greis – noch immer keinen
Wunsch, von seinem oft gepriesenen Himmel Besitz zu nehmen; ihm wären noch
tausend Jahre Erdenleben lieber gewesen als ein zukünftiger Himmel mit allen
seinen Wonnen und Seligkeiten.
[BM.01_001,03] Daher denn unser erkrankter Bischof auch alles anwandte, um nur
wieder irdisch gesund zu werden. Die besten Ärzte mußten stets um ihn sein; in
allen Kirchen seiner Diözese mußten Kraftmessen gelesen werden; alle seine
Schafe wurden aufgefordert, für seine Erhaltung zu beten und für ihn fromme
Gelübde gegen Gewinnung eines vollkommenen Ablasses zu machen und auch zu
halten. In seinem Krankengemach ward ein Altar aufgerichtet, bei dem vormittags
drei Messen zur Wiedergewinnung der Gesundheit mußten gelesen werden;
nachmittags aber mußten bei stets ausgesetztem Sanktissimum die drei frömmsten
Mönche in einem fort das Breviarium beten.
[BM.01_001,04] Er selbst rief zu öfteren Malen aus: „O Herr, erbarme Dich
meiner! Heilige Maria, du liebe Mutter, hilf mir, erbarme dich meiner
fürstbischöflichen Würden und Gnaden, die ich trage zu deiner Ehre und zur Ehre
deines Sohnes! O verlasse deinen getreuesten Diener nicht, du alleinige Helferin
aus jeder Not, du einzige Stütze aller Leidenden!“
[BM.01_001,05] Aber es half alles nichts; unser Mann verfiel in einen recht
tiefen Schlaf, aus dem er diesseits nicht mehr erwachte.
[BM.01_001,06] Was auf Erden mit dem Leichnam eines Bischofs alles für
‚hochwichtige‘ Zeremonien geschehen, das wisset ihr, und wir brauchen uns dabei
nicht länger aufzuhalten; dafür wollen wir sogleich in der Geisterwelt uns
umsehen, was unser Mann dort beginnen wird!
[BM.01_001,07] Seht, da sind wir schon – und seht, da liegt auch noch unser Mann
auf seinem Lager; denn solange noch eine Wärme im Herzen ist, löst der Engel die
Seele nicht vom Leibe. Diese Wärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele
ganz aufgenommen werden muß, bis die volle Löse vorgenommen werden kann.
[BM.01_001,08] Aber nun hat dieses Mannes Seele schon völlig den Nervengeist in
sich aufgenommen, und der Engel löst sie soeben vom Leibe mit den Worten: „Epheta“,
d.h. „Tue dich auf, du Seele; du Staub aber sinke zurück in deine Verwesung zur
Löse durch das Reich der Würmer und des Moders. Amen.“
[BM.01_001,09] Nun seht, schon erhebt sich unser Bischof, ganz wie er gelebt
hatte, in seinem vollen Bischofsornate und öffnet die Augen. Er schaut erstaunt
um sich und sieht außer sich niemanden, auch den Engel nicht, der ihn geweckt
hat. Die Gegend ist nur in sehr mattem Lichte gleich einer ziemlich späten
Abenddämmerung, und der Boden gleicht dürrem Alpenmoose.
[BM.01_001,10] Unser Mann erstaunt nicht wenig über diese sonderbare Bescherung
und spricht nun zu sich: „Was ist denn das? Wo bin ich denn? Lebe ich noch oder
bin ich gestorben? Denn ich war wohl sehr krank und es kann leicht möglich sein,
daß ich mich nun schon unter den Abgeschiedenen befinde! – Ja, ja, um
Gotteswillen, es wird schon so sein! – O heilige Maria, heiliger Joseph, heilige
Anna, ihr meine drei mächtigsten Stützen: kommet und helft mir in das Reich der
Himmel!“
[BM.01_001,11] Er harrt eine Zeitlang, sorglich um sich spähend, von welcher
Seite die drei kommen würden; aber sie kommen nicht.
[BM.01_001,12] Er wiederholt den Ruf kräftiger und harrt; aber es kommt immer
noch niemand!
[BM.01_001,13] Noch kräftiger wird derselbe Ruf zum drittenmal wiederholt, –
aber auch diesmal vergeblich!
[BM.01_001,14] Darob wird unserem Manne überaus bange. Er fängt an, etwas zu
verzweifeln und spricht in seiner stets verzweifelter werdenden Lage: „Oh, um
Gotteswillen, Herr, steh mir bei! (Das ist aber nur sein angewöhntes
Sprichwort.) – Was ist denn das? Dreimal habe ich gerufen, – und umsonst!
[BM.01_001,15] Bin ich denn verdammt? Das kann nicht sein, denn ich sehe kein
Feuer und keine Gottstehunsbei!
[BM.01_001,16] Hahahaaaaa (zitternd) – es ist wahrhaft schrecklich! – So allein!
O Gott, wenn jetzt so ein Gottstehunsbei herkäme, und ich – keinen Weihbrunn,
dreimal consekriert, kein Kruzifix, – was werde ich tun?!
[BM.01_001,17] Und auf einen Bischof soll der Gottstehunsbei eine ganz besondere
Passion haben! – Oh, oh, oh (bebend vor Angst), das ist ja eine ganz
verzweifelte Geschichte! Ich glaube gar, es stellt sich bei mir schon Heulen und
Zähneklappern ein?
[BM.01_001,18] Ich werde mein Bischofsgewand ablegen, da wird Gottstehunsbei
mich nicht erkennen! Aber damit hätte Gottstehunsbei vielleicht noch mehr Gewalt
über unsereinen?! – O weh, o weh, was ist der Tod doch für ein schreckliches
Ding!
[BM.01_001,19] Ja, wenn ich nur ganz tot wäre, da hätte ich auch keine Furcht;
aber eben dieses Lebendigsein nach dem Tode, das ist es! O Gott, steh mir bei!
[BM.01_001,20] Was etwa geschähe, so ich mich weiterbegäbe? Nein, nein, ich
bleibe! Denn was hier ist, das weiß ich nun aus der kurzen Erfahrung; welche
Folgen aber nur ein rätselhafter Tritt weiter vor- oder rückwärts hätte, das
wird allein Gott wissen! Daher will ich in Gottes Namen und im Namen der
seligsten Jungfrau Maria lieber bis auf den Jüngsten Tag hier verharren, als
mich nur um ein Haarbreit vor- oder rückwärts bewegen!“
2. Kapitel – Bischof Martins Langeweile in seiner Vereinsamung und sein Sinnen
auf Abwechslung.
[BM.01_002,01] Nachdem unser Mann die Zeit von einigen Stunden da mauerfest
gestanden war und sich dabei nichts ereignet und in seiner Nähe verändert hatte,
ihm aber entsprechend die Zeit (denn auch in der naturmäßigen Sphäre der
Geisterwelt gibt es eine Erscheinlichkeit gleich der irdischen Zeit) ganz
verzweifelt lang geworden war, fing er wieder an, mit sich zu phantasieren:
[BM.01_002,02] „Sonderbar, nun stehe ich da wenigstens eine halbe Ewigkeit auf
ein- und demselben Fleck, und es bleibt alles völlig beim alten! Nichts rührt
sich! kein Moos, kein Haar auf meinem Haupte, auch mein Gewand nicht! Was wird
da am Ende herauskommen?
[BM.01_002,03] Bin ich vielleicht gar dazu verdammt, ewig hier zu bleiben? –
Ewig? Nein, nein, das kann nicht sein, denn da wäre das schon eine Hölle! Und
wäre das hier der Fall, müßte ja auch schon die schreckliche Höllenuhr mit ihrem
allerschrecklichsten Pendel zu erschauen sein, der da bei jeder Schwingung den
Ruf tut: ,Immer!‘ – oh, erschrecklich! –, dann wieder: ,Nimmer!‘ – ooh, noch
erschrecklicher!
[BM.01_002,04] Gott sei Dank, daß ich nur dies Schreckenszeichen der Ewigkeit
nicht sehe! Oder wird das erst nach dem Jüngsten Tage ersichtlich! Wird etwa
schon bald das Zeichen des Menschensohnes am Firmamente zum Vorscheine kommen?
Wie viele Millionen Jahre stehe ich denn schon hier? Wie lange werde ich etwa
noch stehen müssen, bis der erschrecklichste Jüngste Tag kommen wird?!
[BM.01_002,05] Wahrlich kurios: Auf der Welt läßt sich nichts sehen, was da in
Bälde auf den Jüngsten Tag irgendeinen Bezug hätte; aber hier in der Geisterwelt
sieht es noch endlos stummer aus! Denn da werden tausend Jahre gleich einem
völlig stummen Augenblicke, und eine Million tut einen ebenso geringen Bescheid!
Wenn ich nicht so festen Glaubens wäre, möchte ich beinahe an dem einstigen
Eintreffen des Jüngsten Tages zu zweifeln anfangen, wie überhaupt an der
Echtheit des ganzen Evangeliums!
[BM.01_002,06] Denn es ist doch kurios, alle die Propheten, die darin vorkommen,
haben eine frappante Einstimmigkeit mit den delphischen Orakelsprüchen! Man kann
aus ihnen machen, was man will: sie lassen sich mit einigen exegetischen
Drehungen auf alles anwenden und niemand kann dabei klar sagen: ,Auf dies
alleinige Faktum beziehen sie sich!‘ Kurz, sie passen im Grunde alle für den
Steiß so gut wie fürs Gesicht! – Und der Heilige Geist, der im Evangelium soll
verborgen stecken, muß gar ein seltenster Vogel sein, weil er sich seit den
alten Apostelzeiten nimmer irgendwo hat blicken lassen, außer im albernen Gehirn
einiger protestantisch-ketzerischer Schwärmer à la Tausendundeine Nacht!
[BM.01_002,07] Ich habe zwar noch immer einen sehr festen Glauben, aber ob er
unter diesen Umständen noch länger fest bleiben wird, dafür könnte ich wahrlich
nicht gutstehen!
[BM.01_002,08] Auch mit der in meiner Kirche überaus vielgepriesenen Maria, wie
mit der ganzen Heiligen Litanei scheint es seine sonderbaren Wege zu haben! Wäre
irgend etwas an der Maria, so hätte sie mich doch schon lange erhören müssen;
denn von meinem Absterben bis zum gegenwärtigen Augenblicke sind nach meinem
peinlichen Gefühl etwa ein paar Millionen Erdjahre verstrichen; von der Mutter
Gottes, wie von ihrem Sohne, noch von irgendeinem andern Heiligen ist aber auch
nicht die leiseste Spur zu entdecken. Das sind wahrlich Helfer in der Not, wie
man sich keine besseren wünschen könnte! – Sage zwei Millionen Jahre komplett –
und von allen keine Spur!
[BM.01_002,09] Wenn ich nur keinen so festen Glauben hätte, da stünde ich schon
lange nicht mehr auf diesem überaus langweiligen Fleck; nur mein dümmster Glaube
hält mich! Aber lange wird er mich nicht mehr halten! Sollte ich etwa noch
einige Millionen Jahre länger hier hocken wie ein Buschklepper und nach Ablauf
solch einer schauderhaft langen Zeit ebensowenig erreichen wie bisher? Da wäre
ich ein Narr! Ist's denn nicht genug, daß ich auf der Erde einen Narren gespielt
habe für nichts und wieder nichts? Daher werde ich mit dieser fruchtlosen
Komödie hier bald ein Ende machen!
[BM.01_002,10] Auf der Welt wurde ich für die Dummheit doch ehrlich bezahlt und
es lohnte sich dort, einen Narren zu machen; aber da an der Sache, wie nun meine
millionenjährige Erfahrung es zeigt, nichts ist, werde ich mich sehr bald von
all der Narrheit ganz gehorsamst empfehlen!“ –
[BM.01_002,11] Seht, jetzt wird er bald diese Stelle verlassen, nachdem ihm der
Engel die etlichen Stunden seines Hierseins in ein Millionen Jahre dauerndes
Gefühl umgewandelt hatte. – Noch steht unser Mann mauerfest auf dem Punkte und
schaut etwas schüchtern umher, um sich gleichsam einen Weg auszusuchen, den er
fortwandeln möchte. Nun fixiert er gegen Abend einen Punkt, wo es ihm vorkommt,
als bewege sich dort etwas. Er wird darum auch sichtlich verlegen und spricht
wieder bei sich:
[BM.01_002,12] „Was sehe ich denn dort in einiger Ferne nun zum erstenmal seit
einigen Millionen Jahren meines entsetzlich langweiligen Hierseins? Die
Geschichte verursacht mir eine große Bangigkeit, denn es kommt mir vor, als wäre
das etwa doch irgendeine leise Vorbereitung zu einem Gerichte!
[BM.01_002,13] Soll ich's wagen, mich dahin zu begeben? Am Ende ist das mein
Untergang für ewig? Vielleicht aber doch auch eine endliche Erlösung?!
[BM.01_002,14] Nun ist schon alles ein Gottstehunsbei; denn wer wie ich
Millionen von Erdenjahren auf einen Punkt gebannt zugebracht hat, dem ist es
schon völlig einerlei, was da noch weiter mit ihm geschehen dürfte! Was Ärgeres
wohl kann einem ehrlichen Menschen noch obendarauf geschehen, als über alle
Bildsäulen hinaus dauernd Millionen Jahre – im echten Sinne des Wortes auf einen
Punkt gebannt – so ganz eigentlich verdammt zu sein?!
[BM.01_002,15] Daher, wie die Bergleute auf der Erde sagen, wenn sie in einen
Stollen fahren, sage ich nun auch: Glück auf! Hol's der Kuckuck; ich probier' es
einmal! Mehr als ewig tot werden kann ich nicht! Und wahrlich, das könnte mir
nur höchst erwünscht sein; denn so ein Leben fortleben, wie nun dies meinige –
Millionen Jahre auf einem Flecke! – kein Fixstern würde es aushalten! Da ist ein
ewiges Nichtsein ja ein endloser Gewinn dagegen!
[BM.01_002,16] Daher keinen Augenblick mehr gezaudert! Geht's wohin's will! Es
ist nun ein – nein, das sag' ich doch noch nicht gerade heraus; denn hier ist
noch eine starke Terra incognita für mich! Daher nur bescheiden, solange man
nicht weiß, worauf so ganz eigentlich die Füße stehen!
[BM.01_002,17] Die Geschichte dort rührt sich immer mehr; es ist wie ein
Bäumchen, das vom Winde beunruhigt wird! – Nur Mut, meine des Gehens freilich
schon überlange entwöhnten Füße! Wir wollen einmal sehen, ob es sich mit dem
Gehen noch tun wird!
[BM.01_002,18] Zwar hab' ich auf der Welt einmal gehört – soviel ich mich
entsinnen kann –, ein Geist dürfte eigentlich nur denken, so wäre er auch schon
dort, wo er sein wollte. Aber eben mit der Geisterschaft meiner Person scheint
es seine krummen Wege zu haben! Denn ich besitze Füße, Hände, Kopf, Augen, Nase,
Mund – kurz alles, was ich auf der Erde gehabt habe, – Magen auch; aber der hat
schon lange einen wahren Kardinalfasttag! Denn gäbe es um mich her nicht ein
reichliches Moos mit viel Tau darauf, wäre ich wohl schon lange zu einem Atom
eingeschrumpft! Vielleicht gibt es dort auch für den Magen irgend etwas
Besseres?!
[BM.01_002,19] Noch einmal: Glück auf! Eine Veränderung, wenn sonst nichts;
diese kann auf keinen Fall schlechter sein als mein jetziger Zustand. Denn wer
Millionen Jahre auf einem Flecke steht, der wird sich doch etwa mit einem wahren
Millionzustande rühmen können?! – Also, in Gott's Namen!“
3. Kapitel – Bischof Martin in Gesellschaft eines scheinbaren Kollegen. Die
guten Vorschläge des Führers.
[BM.01_003,01] Seht, nun setzt unser Mann seine Füße in Bewegung und geht
behutsam und prüfenden Schrittes seinem sich stets mehr bewegenden Gegenstande
zu!
[BM.01_003,02] Nach wenigen Schritten auch schon ganz wohlbehalten dort, staunt
er nicht wenig, unter dem Baume auch einen Mann seinesgleichen zu finden,
nämlich auch einen Bischof in optima forma, – freilich nur der Erscheinlichkeit
nach; denn in Wirklichkeit ist das der Engel, der stets unsichtbar unserem Manne
zur Seite war. Der Engel selbst aber ist der selige Geist Petri.
[BM.01_003,03] Höret nun, wie unser Mann seinen vermeintlichen Kollegen anredet
und sich weiterhin mit ihm bespricht! So beginnt er:
[BM.01_003,04] „Seh ich recht oder ist es bloß ein Augentrug? Ein Kollege, ein
Mitarbeiter im Weinberge des Herrn?! Welch eine endlose Freude, nach Millionen
Jahren endlich wieder einmal einen Menschen, und einen Kollegen noch dazu, in
dieser Wüste aller Wüsten zu finden!
[BM.01_003,05] Ich grüße dich, lieber Bruder! Sage, wie bist denn du hierher
gekommen? Hast du etwa auch schon mein Alter in dieser schönen Geisterwelt
erreicht? Weißt, so zirka fünf Millionen Jahre auf einem und demselben Flecke, –
fünf Millionen Jahre!“
[BM.01_003,06] Der Engel als vermeintlicher Bischofskollege spricht: „Ich bin
fürs erste dir ein Bruder im Herrn und natürlich auch ein alter Arbeiter in
Seinem Weinberge. Was aber mein Alter betrifft, da bin ich der Zeit und dem
Wirken nach älter, aber der Einbildung nach viel jünger als du.
[BM.01_003,07] Denn siehe, fünf Millionen Jahre der Erde sind ein ganz
respektabler Zeitraum für einen geschaffenen Geist, – obschon vor Gott kaum
etwas, indem Sein Sein weder durch die Zeitenfolge noch durch Raumesausdehnungen
bemessen wird, sondern in allem ewig und unendlich ist!
[BM.01_003,08] Du bist daher in einer großen Irre als Neuling in der endlosen
Welt der Geister. Denn wärest du fünf Millionen Jahre hier, dann hättest du
schon lange ein anderes Kleid, indem in dieser Zeit der Erde Berge schon lange
werden geebnet und ihre Täler ausgefüllt, ihre Meere, Seen, Flüsse und Moräste
ausgetrocknet sein. Und auf der Erde wird auch eine ganz neue Schöpfung
bestehen, von der nun noch nicht einmal der leiseste Keim in die Furchen gelegt
ist!
[BM.01_003,09] Auf daß du, lieber Bruder, es aber selbst merkst, daß dein
vermeintliches Alter bloß eine in dir selbst hervorgelockte Phantasie ist, als
Entwicklung zugelassen aus dir selbst entstammte nach deinen eigenen Begriffen
von Zeit und Raum, die bei dir stark mit der Hölle eingesalzen sind – so siehe
dich um und du wirst noch deinen erst vor drei Stunden abgeschiedenen Leichnam
entdecken!“
[BM.01_003,10] Seht, unser Mann kehrt sich nun schnell nach rückwärts und
entdeckt wirklich seinen Leichnam noch auf dem dazu in der Domkirche eigens
errichteten Paradebette, darum eine zahllose Menge Kerzen und eine noch größere
Menge müßiger und neugieriger Menschen, die dasselbe umstehen. – Als er solchen
Schauspiels ansichtig ward, da wurde er sehr ärgerlich und sprach:
[BM.01_003,11] (Der Bischof:) „Liebster Bruder, was soll ich da tun? Ach, welch
ein gräßlicher Unsinn! Mir werden vor der entsetzlichsten Langeweile Minuten zu
Ewigkeiten, und doch bin ich es ja, der diesen Leib bewohnt hat! Ich weiß mir
vor Hunger und Lichtmangel kaum zu helfen, und diese Narren vergöttern meinen
Fleischrock! Hätte ich nun als Geist denn nicht Kraft dazu, diesen Plunder klein
zu zerreißen und wie Spreu untereinander zu werfen? – O ihr dummen
Gottstehunsbei! Was wollt ihr denn hier dem stinkenden Dreck für eine Wohltat
erweisen?!“
[BM.01_003,12] Der Engel spricht: „Kehre dich wieder zu mir und ärgere dich
nicht; tatest du doch dasselbe, als du noch der äußeren Naturwelt angehörtest!
Lassen wir das Tote den Toten begraben; du aber wende dich von all dem ab und
folge mir, so wirst du zum Leben gelangen!“
[BM.01_003,13] Der Bischof fragt: „Wohin aber soll ich dir folgen? Bist du etwa
gar mein Namenspatron, der hl. Bonifazius, daß du dich nun so sehr um mein Heil
zu kümmern scheinst?“
[BM.01_003,14] Spricht der Engel: „Ich sage in des Herrn Jesu Namen: du sollst
mir zu Jesus folgen! Der ist der rechte Bonifazius aller Menschen; aber mit
deinem Bonifazius ist es nichts, und ich bin es schon ganz und gar nicht, wofür
du mich anzusehen scheinst, – sondern ein ganz anderer!
[BM.01_003,15] Folge mir aber, d.h. tue, was ich dir nun sagen werde, so wirst
du fürs erste alles fassen, was dir bis jetzt begegnet ist, und wie, durch was
und warum. Fürs zweite wirst du dich sogleich auf einem besseren Grunde
befinden; und endlich fürs dritte wirst du eben daselbst den Herrn quo-ad
personam kennenlernen, durch Ihn den Weg in die Himmel, und danebenher auch
mich, deinen Bruder!“
[BM.01_003,16] Spricht der Bischof: „Rede, rede, ich möchte schon lieber fliegen
als gehen von diesem langweiligsten Orte!“
[BM.01_003,17] Spricht der Engel: „So höre! Lege sogleich dein lächerliches
Gewand ab und ziehe da diesen gemeinen Bauernrock an!“
[BM.01_003,18] Spricht der Bischof: „Nur her damit; hier vertausche ich dies
langweilige Kleid gerne mit dem gemeinsten Fetzen!“
[BM.01_003,19] Spricht weiter der Engel: „Gut – sieh, schon bist du im
Bauernrocke; nun folge mir!“
4. Kapitel – Bischof Martins Ärgernis an dem lutherischen Tempel und des Engels
Entgegnung. Martins Bereitschaft zum Dienst als Schafhirte.
[BM.01_004,01] Sie gehen nun weiter, mehr gegen Mittag gewendet, und kommen zu
einem ganz gewöhnlichen Bauernhof, vor dem ein leicht erkennbarer kleiner
lutherischer Tempel steht. Als der Bischof dieses größten Dornes in seinen Augen
ansichtig wird, bleibt er stehen, um ein Kreuz ums andere über seine stark kahle
Stirne zu schlagen und sich an die Brust mit geballter Faust unter steter
Begleitung des Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa zu schlagen.
[BM.01_004,02] Der Engel aber fragt ihn: „Bruder, was hast du denn? Stört dich
etwas hier? Warum gehst du denn nicht weiter?“
[BM.01_004,03] Der Bischof spricht: „Siehst du denn den lutherischen Tempel
nicht, der des leibhaftigen Gottstehunsbei ist? Wie kann da ein Christ sich
einem so verfl... – oh, will's nicht sagen – Orte nahen?
[BM.01_004,04] Oder bist du etwa selbst der verkleidete Gottstehunsbei?! – –
Oooooh – wenn du das – bist, so ver – laß mich, o du abscheulichster –
Gottstehunsbei!“
[BM.01_004,05] Spricht der Engel: „Möchtest du noch einmal die Tour von deinen
5-10 Millionen Jahren auf einem noch finstereren und magereren Orte des
Geisterreichs zubringen? So dir solches lieber ist, sage es nur rund heraus;
sieh, hier ist dein altes Bischofsgewand schon in Bereitschaft! Diesmal aber
wirst du wohl zehnmal so lange zu harren haben, bis dir jemand zu Hilfe kommen
wird!
[BM.01_004,06] Siehst du mich denn nicht noch in deinem Bischofsgewande
einhergehen? Ihr aber habt ja eine Meinung und sagt: der Teufel könne sich wohl
bis zu einem Engel des Lichtes verstellen, aber die vom Heiligen Geiste
durchdrungene Gestalt eines Bischofs wäre ihm unmöglich nachzuahmen! Willst du
deine Meinung nicht selbst verdammen, wie magst du mich denn für einen Teufel
halten? (der Bischof sinkt fast zusammen, schlägt ein großes Kreuz und spricht:
,Gott steh uns bei!‘)
[BM.01_004,07] Verdammst du aber deine dogmatische Meinung, die aus der
Unüberwindbarkeit des Felsen Petri durch die Pforten der Hölle herrührt, da
hebst du damit ja ganz Rom auf. Und ich begreife dann nicht, wie dich als einen
offenbaren Gegner Roms dies Häuschen genieren kann, das du für einen
evangelischen Tempel hältst?! Siehst du denn nicht ein, daß da in deinem ganzen
nunmaligen Benehmen auch nicht die leiseste Spur einer moralischen und noch
weniger religiösen Konsequenz vorhanden ist?“
[BM.01_004,08] Spricht der Bischof: „Du hast freilich verzweifelt stark recht,
wenn man die Sache beim Lichte betrachtet. Aber so du wirklich ein Bischof bist,
so wird dir ja von Rom aus auch bekannt sein, daß da jeder Rechtgläubige allen
seinen Verstand unter den Gehorsam des blinden, unbedingten Glaubens
gefangennehmen muß! Wo aber der Verstand mit den schwersten Fesseln belegt ist,
wo wohl sollte da bei unsereinem eine Konsequenz im Denken und Handeln
herauswachsen?!
[BM.01_004,09] Bei uns heißt es: ,Der Mensch hüte sich vor allem, in den Geist
der Religion einzudringen; er wisse nichts, sondern glaube alles blind und fest!
Es ist dem Menschen heilsamer, als ein Dummkopf in den Himmel, denn als ein
Aufgeklärter in die Hölle zu kommen! Man fürchte Gott der Hölle und liebe Ihn
des Himmels wegen!‘ Wenn aber das der Grund unserer Lehre ist, wie willst du von
mir denn eine Konsequenz haben?“
[BM.01_004,10] Spricht der Engel: „Leider ist mir nur zu bekannt, wie es mit der
Lehre Babels steht, und wie sie dem Evangelium schnurstracks entgegen ist, allda
es ausdrücklich heißt: ,Verdammet nicht, auf daß ihr nicht verdammet werdet; und
richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!‘ Ihr aber verdammet und
richtet allzeit jedermann, der sich nicht unter euer Babelszepter schmiegt!
[BM.01_004,11] Sage: Seid ihr da wohl Christi, so ihr doch nicht im geringsten
Seiner allersanftesten Lehre seid? Ist in Christi Lehre nicht die größte,
allererhabenste Ordnung und Konsequenz wie in der ganzen Schöpfung? Weht nicht
die Fülle des Heiligen Geistes aus jeglichem Worte des Evangeliums? Seid ihr
aber im Wort und Werk nicht allzeit gegen den Heiligen Geist gewesen, da ihr
absichtlich allzeit der reinsten Lehre entgegengehandelt habt, die voll ist des
Heiligen Geistes, indem dieser erst die zuvor vom Herrn verkündigte Lehre für
ewig bleibend den Aposteln und Jüngern wiedergab?!
[BM.01_004,12] Du siehst daraus, auf welch verdammlichem Grunde du stehst, wie
ganz reif für die Hölle! Aber der Herr will dir Gnade für Recht ergehen lassen;
darum beschickt Er mich zu dir, auf daß ich dich erretten solle aus deiner alten
babylonischen Gefangenschaft!
[BM.01_004,13] Aus dem Grunde will es der Herr, daß du dich vor allem mit deinem
stärksten Augendorne vergleichen und aussöhnen sollst, so du je auf den Himmel
einen Gnadenanspruch nehmen willst. Möchtest du aber bei deiner Babelslehre
verharren, so wirst du dich selbst zur Hölle treiben, aus der dich schwerlich je
ein Freund Jesu des Herrn herausholen wird!“
[BM.01_004,14] Spricht der Bischof: „Ja, ja, liebster Freund, es fängt an, zum
erstenmal etwas von einer Konsequenz in mir emporzutauchen! Daher habe nur
Geduld mit mir; ich will ja in Gottesnamen schon tun, was du willst! Aber nur
von der schrecklichsten Hölle rede mir nichts mehr – und führe mich nur weiter!“
[BM.01_004,15] Spricht der Engel: „Wir sind vorderhand schon am Ziel. Siehe,
eben hier bei diesem lutherischen Landmann und Bischofe zugleich, der ich selbst
es bin, wirst du einen Dienst als Schafhirte bekommen; die treue Verwaltung
dieses Amtes wird dir Brot und ein allmähliches Emporkommen bewirken! Wirst du
aber dabei mürrisch und richterisch zu Werke gehen, so wirst du dir sehr schaden
und wirst dir schmälern Brot und Emporkommen! Willst du aber ein getreuer Diener
sein, so denke nicht mehr an dein irdisch Sein zurück, sondern vielmehr, daß du
hier wieder von unten an mußt zu dienen anfangen, so du es vorwärtsbringen
willst!
[BM.01_004,16] Aber das merke dir übergut: Vorwärtsgehen heißt hier zurück
treten und der Letzte und Geringste sein wollen. Denn niemand kommt eher zum
Herrn, als bis er sich unter seine kleinste Zehe durch und durch in allem und
jedem gedemütigt hat. – Nun weißt du für diese deine Lage alles; darum folge mir
in dies Haus guten Herzens! Dein Wille!“
[BM.01_004,17] Der Bischof folgt ihm nun ohne Einrede, denn er sieht, daß sein
Führer es mit ihm unmöglich übel meinen kann.
5. Kapitel – In der Hütte des Engels Petrus. Ein Lichtwort des Engels über
Luther. Martins Anstellung als Schafhirte im Jenseits.
[BM.01_005,01] Als beide in das Haus kamen, das sehr einfach und fürs Nötigste
eingerichtet war, erschaute unser Bischof auf einem kleinen dreieckigen Tisch
die lutherische Bibel des Alten und Neuen Testaments und ward darob sichtlich
verlegen.
[BM.01_005,02] Solches aber merkte sogleich der Engel Petrus und sprach zu ihm:
„Was wohl hat je Luther dir getan, daß du ob der großen Verachtung dieses Mannes
auch seine möglichst getreue Bibelübersetzung, in der nichts als das reine Wort
Gottes enthalten ist, mit verachtest?
[BM.01_005,03] Siehe, war Luther auch nicht in der Fülle ein Mann, von dem sich
mit vollstem Rechte sagen ließe: ,Er war ein Mann nach dem Herzen Gottes!‘, so
war er aber dennoch um überaus vieles besser als gar überaus viele aus deiner
Kirche, die wollen die allein rechten und allervollkommensten sein, sind im
Grunde aber dennoch die unvollkommensten und allerletzten! Er aber allein hatte
inmitten der krassesten Babelsnacht den löblichen Mut, der Menschheit das reine
Wort Gottes wiederzubringen und diese dadurch auf den rechten Weg des Herrn zu
führen!
[BM.01_005,04] Waren auf diesem Wege wohl auch einige Dunkelheiten anzutreffen –
was natürliche Folgen des noch zu nahen Babels (Rom) waren –, so war dennoch
seine Lehre nach dem reinen Worte des Herrn gegenüber der alten Irrlehre Roms
gleich einer Mittagssonne gegen ein allermattestes Sumpflicht in stockfinsterer
Nacht!
[BM.01_005,05] Wenn Luther aber solches im Namen des Herrn gewirkt hat, sage,
welchen Grund hast du dann wohl, diesen würdigen Mann so zu verschmähen und zu
verachten?“
[BM.01_005,06] Spricht der Bischof: „Ich verachte ihn gerade nicht; aber du
weißt es, so man lange der Sklave einer Partei war, hat man mit der Zeit einen
künstlichen Haß gegen den in sich herangebildet, den seine Partei bei tausend
Gelegenheiten verflucht und verdammt hat! Das ist denn auch bei mir der Fall.
Ich hoffe aber zu Gott und erwarte von Ihm, daß Er mir helfen wird, alle meine
von der Erde hierher gebrachten Torheiten von A bis Z abzulegen. Daher stoße
dich nicht an mir, es wird mit mir hoffentlich schon noch besser werden!“
[BM.01_005,07] Spricht der Engel Petrus: „O Bruder, ermahne nicht mich, sondern
nur dich zur Geduld! Denn du weißt es noch nicht, was dir alles begegnen wird;
ich aber weiß es und muß daher so mit dir handeln, daß du in der Wahrheit
gestärkt werdest, jenen Versuchungen kräftig zu begegnen, die dir tausendfach
auf dem Wege zum Herrn vorkommen werden.
[BM.01_005,08] Da siehe zum Fenster hinaus! Siehst du dort die vielen tausend
Schafe und Lämmer, wie sie mutig durcheinanderrennen und springen?
[BM.01_005,09] Hier aber ist ein Buch, in dem ihre Namen verzeichnet sind; nimm
es zu dir und rufe sie alle beim Namen daraus! So sie in deinem Rufe eines
rechten Hirten Stimme erkennen werden, werden sie eiligst zu dir kommen.
Erkennen sie aber in dir eines Mietlings Stimme, dann werden sie sich zerstreuen
und werden dich fliehen. Wenn aber solches geschieht, da murre nicht, sondern
erkenne, daß du ein Mietling bist; und es wird dann ein anderer Hirte zu dir
kommen und wird dich lehren, wie Schafe und Lämmer zu hüten und wie zu rufen
sind!
[BM.01_005,10] Nun aber nimm dies Verzeichnis; gehe hinaus und tue, wie ich
dir's nun geraten habe!“
6. Kapitel – Bischof Martins angenehme, aber gefährliche Überraschung im neuen
Dienst. Die Schafherde – eine Menge schöner Mädchen!
[BM.01_006,01] Unser Mann geht in seiner Bauernkleidung mit einem ziemlich
dicken Buche unter dem Arm hinaus, wo ihm die Herde gezeigt wurde, die sich in
der (geistigen) Entfernung der Erscheinlichkeit nach wirklich als Schafe und
Lämmer ausnahm. In der geistigen Nähe aber bestand sie aus lauter frommen und
sanftmütigen Menschen, zumeist aus weiblichen Seelen, die auf der Welt so recht
kreuzfromm gelebt hatten, aber dabei auf die römische Geistlichkeit doch bei
weitem größere Stücke hielten denn auf Mich, den Herrn, da sie Mich nicht
kannten und jetzt auch noch nicht erkennen – daher sie denn in einiger geistigen
Ferne sich noch jetzt als Tiere sanftester Art ausnehmen.
[BM.01_006,02] Als nun unser Mann hinauskam, so recht wohlgemut wie einer, der
nach langer Praxis zum erstenmal in ein besoldetes Amt eingesetzt wird, ließ er
sich auf einen bemoosten Stein nieder und sah umher, wo die Schafe und die
Lämmer wären. Aber er entdeckte nun nichts mehr von diesen nützlichen
Haustieren, sondern eine große Menge allerschönster und zartester Mädchen, die
auf einem weitgedehnten Wiesenteppiche munter umherhüpfend Blumen sammelten und
daraus die schönsten Kränze und Kränzchen flochten.
[BM.01_006,03] Als unser Mann solches merkte, da sagte er zu sich selbst: „Hm,
das ist sonderbar! Es ist doch derselbe Platz, dieselbe Wiese, auf der ich
ehedem eine beinahe zahllose Menge von Schafen und Lämmern entdeckte. Nun ist
die Herde wie weggeblasen und an ihrer Statt tausend der allerliebsten Mädchen,
von denen die eine schöner ist als die andere! Aufrichtig gesagt, wenn diese
ganze Geschichte nicht irgendeine verfängliche Lumperei ist, so wäre mir diese
Herde freilich wohl unglaublich lieber; aber man darf hier im Ernste seinen
Sinnen nicht trauen, denn – kehr' die Hand um, und es ist alles ganz anders!
[BM.01_006,04] O weh, o weh, jetzt kommen sie alle auf mich zu, ohne daß ich sie
verlesen habe! Na, ist auch recht; da werde ich diese lieben Kinder doch in der
Nähe so recht nach Herzenslust betrachten können, und – oh, oh! – vielleicht
kann ich hier etwa gar eine oder die andere umarmen? Da wäre es wahrlich gar
nicht so übel, in alle Ewigkeit hier ein Hirte einer so herrlich verwandelten
Schafherde zu sein! Wirklich nicht übel, nicht übel! –
[BM.01_006,05] Sie kommen näher; und je näher, desto herrlicher sehen sie aus!
Die eine dort in der Mitte voran – oh, oh, ist die aber schön! – O Kraft meiner
Moral, jetzt verlaß mich nicht, sonst bin ich verlesen! Es ist nur gut, daß hier
das dumme Zölibat keine Geltung mehr hat, sonst könnte unsereiner hier auf die
leichteste Art zu einem Todsünder werden!
[BM.01_006,06] Ich soll sie wohl aus dem Buche beim Namen rufen, aber das werde
ich nun fein bleiben lassen; denn dann würden sie offenbar davonrennen und sich
nimmer blicken lassen! Daher nur schön ruhig, du mein dickes Namensbüchlein; vor
dieser Herde sollst du so hübsch verschlossen bleiben!
[BM.01_006,07] Sie kommen näher und näher, und – nur stille jetzt, noch zehn
Schritte und sie sind da; ja, da ganz bei mir werden die lieben Engerln sein! –
O ihr lieben, lieblichen Engerln!“
[BM.01_006,08] Seht, nun sind die „lieben Engerln“ schon bei unserem Mann,
umringen ihn und fragen ihn, was er hier zu machen habe?
7. Kapitel – Bischof Martins Versuchung und seine Belehrung durch den Engel
Petrus.
[BM.01_007,01] Unser Mann, ganz weg vor lauter Anmut und Liebe, antwortet mit
bebender Stimme: „O ihr – himm–lischen Engerln, oh, oh, oh, ihr lieben, lieben
Engerln! – Oh, ohooooh, ihr allerliebsten Engerlein Gottes! – Ich – soll – euer
– Hirte sein; aber ihr aller-, allerliebsten Engerlein, ihr seht es ja, daß ich
dazu viel zu dumm bin!“
[BM.01_007,02] Die Schönste dieser Herde setzt sich recht kindlich zutraulich
knapp neben unserem Mann zuerst nieder und die andern folgen ihrem Beispiele.
Eben diese Allerschönste sagt darauf zu unserm Hirten: „O du lieber Mann, du
bist zu bescheiden; denn ich finde dich sehr schön, und wärst du zu bewegen, so
wäre ich überglücklich, ewig die Deine zu sein! Sieh mich an; gefalle ich dir
denn nicht?“
[BM.01_007,03] Unser Mann bringt aus lauter Verliebtheit nichts als sein nun
stark zitterndes und nimmer endenwollendes Ooooooooh heraus; denn der
überschöne, goldblond gelockte Kopf, die freundlichsten großen, blauen Augen,
der Rosenmund, der ätherisch wallende volle Busen, die schönsten, runden Hände,
wie die noch ätherischeren Füße bringen unsern Mann beinahe von Sinnen.
[BM.01_007,04] Das Engerl sieht des Hirten große Liebesaufregung, beugt sich
über ihn und gibt ihm einen Kuß auf die Stirne.
[BM.01_007,05] Bis dahin hatte sich unser Mann noch so ziemlich tapfer gehalten;
nun aber war es rein aus! Er wurde durch und durch erregt; umschlang diese
Schönste nach Kräften und brach endlich in einen Strom von Liebesbeteuerungen
aus.
[BM.01_007,06] Als er aber so in sein Dulcissimum kam, verwandelte sich
plötzlich die ganze Szene. Die lieben Engerln verschwanden und der Engel Petrus
stand bei unserm Manne und sprach:
[BM.01_007,07] „Aber Bruder, wie weidest denn du deine Schafe? Habe ich dir
solchen Rat erteilt? Ja, wenn du so mit den dir anvertrauten Schafen und Lämmern
umgehst, dann wirst du wohl überlange nicht zum ewigen Lebensziele gelangen!
Warum hast du denn das Buch nicht gebraucht?“
[BM.01_007,08] Spricht der Bischof: „Warum aber hast du mir auch nicht gesagt,
daß diese von deinem Hause aus gesehenen Schafe und Lämmer eigentlich nur die
allerschönsten und reizendsten Mädchen sind, bei denen nur ein Stein
gleichgültig bleiben könnte?! Du siehst, daß ich da eigentlich nur gefoppt war,
und so wirst du aus solcher Fopperei ja doch kein schrecklich Wesen machen?“
[BM.01_007,09] Spricht der Engel: „Wie sieht es denn nun mit deinem Zölibat aus?
Hast du nun dieses nicht gebrochen und das Gelübde der ewigen Keuschheit?“
[BM.01_007,10] Spricht der Bischof: „Ach, was Zölibat, was Gelübde! Bin ich doch
jetzt ganz mit Haut und Haar auf lutherischem Boden; der hebt beides auf! Und
überhaupt: einem solchen Engel, wie dies Mädchen da war, hätte ich auch auf der
Welt mit dem ganzen Zölibate ein Opfer gebracht und wäre ihr zuliebe
augenblicklich ein Lutheraner geworden! Aber wohin sind denn nun diese
herrlichen Mädchen verschwunden, besonders die eine? Oh, wenn ich nur diese noch
einmal sehen könnte!“
[BM.01_007,11] Spricht der Engel: „Freund, du wirst sie nun recht bald
wiedersehen, samt ihrer Begleitung; aber dann darfst du sie nicht sprechen und
noch weniger dich ihr nahen! Wenn sie dir aber nachsetzen will, dann hebe deine
Hand auf und sage: ,Kehre im Namen des Herrn zurück zur rechten Ordnung und
versuche mich nicht, sondern folge der Stimme der Ordnung!‘
[BM.01_007,12] Sollte sich die Herde nicht daran kehren, da schlage das Buch auf
und lies die Namen, die darinnen stehen, so wird die Herde sich entweder
plötzlich zerstreuen oder – so sie in dir einen Ton gewahren wird, der aus des
Herrn Kraft in dir entstammt – so wird sie dir folgen. Du aber wirst sie dann
führen auf jenen Berg dort gegen Mittag, wo ich dir schon wieder entgegenkommen
werde!
[BM.01_007,13] Was aber jetzt geschah, das opfere in deinem Herzen dem Herrn
Jesus auf; denn Er ließ es zu, daß du fielst und im Falle dein hartnäckiges
Zölibat von dir warfst!
[BM.01_007,14] Nun aber falle nicht mehr; denn ein wiederholter ähnlicher Fall
würde dich in einen solchen Schaden versetzen, daran du im Ernste Hunderte von
Erdenjahren zu nagen hättest, bis du ihn von dir brächtest! Daher sei nun
vorsichtig und klug! Denn wirst du einmal lauter sein, dann werden zahllose und
noch endlos größere Schönheiten im Reiche Gottes dir entgegenkommen; aber vorher
mußt du alle deine irdischen Torheiten ablegen aus der Wurzel!
[BM.01_007,15] Nun verharre hier und tue nach diesem meinem Rate, so wirst du
für die Folge einen angenehmen Weg haben im Namen des Herrn!“
[BM.01_007,16] Nach diesen Worten verschwindet der Engel Petrus plötzlich, damit
der Bischof nun keine Gelegenheit haben solle, noch irgend einige burleske
Bemerkungen zu machen und in manchem dem Engel zu widersprechen!
8. Kapitel – Bischof Martins kritisches Selbstgespräch und Sündenbekenntnis.
[BM.01_008,01] Ganz allein nun wieder auf der Wiese, fängt er nach einer Weile
mit sich selbst folgenden Monolog zu führen an:
[BM.01_008,02] (Bischof Martin:) „Wo ist er denn jetzt hin, mein Führer? Ein
sauberer Führer das; wenn man ihn am nötigsten brauchte, verschwindet er und ist
nun Gott weiß wo! – Nur wenn man irgend gefehlt hätte, da ist er im Nu da – eine
Eigenschaft, die ich am allerwenigsten leiden kann! Entweder bei einem bleiben
und ihn führen auf solch unsicheren Wegen, wie diese geisterweltischen da sind,
oder – er soll sich packen für ewig von mir, so er nur dann zu mir kommt, wenn
ich schon irgend gesündigt hätte! O solche Narren gäbe es mehrere!
[BM.01_008,03] Will er mich der Seligkeit zuführen, so bleibe er sichtbar bei
mir, sonst ist seine Führerschaft überhaupt nichts wert! Na warte, du
lutherischer Versteckpatron von einem Führer, – du sollst an mir einen Knochen
zu nagen bekommen, daß dir alle deine Geduld vergeht! Was kann mir denn noch
mehr geschehen? Lutheraner bin ich, nach der Lehre Roms vollkommen zur Hölle
reif – vielleicht, ohne daß ich's merke, schon darinnen?!
[BM.01_008,04] Daher laß die schönen Lämmer nur noch einmal zu mir kommen! Ich
werde ihnen zwar kein Wolf im Schafskleide sein, aber ein Liebhaber voll Feuer,
wie es keinen zweiten auf der Erde je gegeben hat! – Meine Hand werde ich nimmer
gegen sie erheben und sie auch aus diesem Buche nicht verlesen, auf daß sie
nicht mehr fliehen sollen von mir. Ich will mich zwar auch nicht mehr so weit
vergessen mit einer oder der andern; aber von der Handaufhebung und vom Verlesen
soll an mir keine Spur zu entdecken sein! Und kommt er dann etwa wie aus einem
Schlupfwinkel zum Vorscheine, da soll er sehen, wie ein Bischof von der Erde
reden kann, so er es will! –
[BM.01_008,05] Wo etwa nur die lieben Engerln so lange bleiben? Bis jetzt ist
noch keine Spur von ihnen irgendwo zu entdecken. Ich merke aber nun auch an mir,
daß ich nun viel mutiger und kecker geworden bin! Daher nur her mit euch, ihr
lieben Engerln, ihr sollet an mir nun schon den rechten Mann finden – keinen
Feigling mehr, sondern einen Helden, und was für einen Helden!
[BM.01_008,06] Aber noch immer weilen sie irgendwo! Es ist doch schon eine
geraume Zeit, seit mein Führer mich verließ, und noch immer keine Seele irgendwo
zu entdecken! Was soll denn das sein? Hat mich etwa gar mein sauberer Führer so
hübsch angesetzt für alle ewige Zeiten? Die Geschichte riecht hübsch stark
darnach! Mir kommt schon wieder vor, als wenn so einige Dutzend Jahre
verstrichen wären, seit er mich verließ. Es werden etwa gar wieder Millionen
herauswachsen?
[BM.01_008,07] Es ist dies Geisterweltleben schon ein wahres Sauleben! Man steht
da wirklich wie ein Ochse am Berge: Alles ist so dunstig; kein rechtes Licht!
Alles ist das nicht, als was es sich zeigt! Der Stein, auf dem ich nun schon
eine geraume Zeit der Schafe und Lämmer harre, ist sicher auch etwas ganz
anderes, als er zu sein scheint! Auch die lieben Engerln: Gott weiß, wo und was
sie so ganz eigentlich sind? Wahrscheinlich – nichts! Denn wären sie etwas, so
müßten sie schon da sein! Ja, ja, es ist alles nichts, was da ist! Mein Führer
auch; sonst könnte er doch unmöglich so schnell ins reinste Nichts verschwinden!
[BM.01_008,08] Am meisten finde ich dieses Leben dem Traumleben ähnlich. Da hat
es mir auch oft von allerlei dummen Dingen geträumt, von allerlei Verwandlungen.
Was waren sie aber? Nichts als Bilder, ausgeprägt von der phantastischen
Einbildungskraft der Seele! Ebenso ist nun auch dieses Leben nichts als ein
eitler, leerer, höchstwahrscheinlich ewiger Traum! Bloß diese meine Erwägungen
scheinen wirklich von Gehalt zu sein; alles andere aber ist nichts als ein
elendes Phantasiestück der Seele! Nun warte ich schon sicher bei 200 Jahre hier
auf die Lämmer und Schafe, aber es ist keine Spur von ihnen zu entdecken!
[BM.01_008,09] Was mich aber dennoch wundert: daß in dieser Phantasiewelt dies
Buch, diese meine Bauernkleidung, auch diese Gegend samt dem lutherischen Haus
und Tempel so ganz unverändert ihre Gestalt behalten? Diese Geschichte ist
allerdings etwas spaßig. Etwas scheint an der Sache doch zu sein, aber wieviel,
das ist eine andere Frage!
[BM.01_008,10] Oder sollte etwa doch nicht recht sein, daß ich gleich anfangs
nicht gewillt war, seiner Lehre fest Folge zu leisten?! So er aber ein rechter
Führer ist, hätte er mir's denn nicht gleich verweisen können, anstatt sich
sogleich mir und dir nichts aus dem Staube zu machen! Hat er denn nicht gesagt,
daß ich, so ich noch einmal fiele, dann in einen großen Schaden käme, an dem ich
im Ernste mehrere Hunderte von Erdenjahren werde zu lecken haben? Bin ich denn
aber wirklich schon gefallen? Mit dem Gedanken und bloßen Willen freilich wohl,
aber im Werke unmöglich, weil die gewissen Engerln gar nicht zum Vorschein
gekommen sind!
[BM.01_008,11] Vielleicht aber sind diese darum nicht erschienen, weil ich
solche Gedanken und solchen Willen hatte? Das könnte sehr leicht sein! Wenn ich
aber nur solche Gedanken loswerden könnte! Warum mußten sie auch gar so
entsetzlich schön und reizend sein? Da habe ich mich einmal ordentlich
eingetunkt! Jetzt heißt's denn warten, bis sich meine dummen Gedanken legen
werden – und der Wille mit ihnen!
[BM.01_008,12] Das seh ich aber schon ein nun: Wenn das eine Prüfung meiner
Hauptschwäche ist, so wird es mit mir einen ganz verzweifelten Haken haben; denn
in diesem Punkte war ich auf der Welt insgeheim ein Vieh in optima forma! Ja,
wenn ich da so eine recht üppige Dirne sah, so ging's mir – – – taceas! Wie
viele habe ich – – taceas de rebus praeteritis! – schöne junge Nonnen! Oh, das
waren selige Zeiten, – aber nun taceas!
[BM.01_008,13] Wie strenge war ich im Beichtstuhle gegen die Beichtkinder, und
wie lau gegen mich! Leider, leider, es war nicht recht; aber wer außer Gott hat
Kraft, der Macht der Natur zu widerstehen?
[BM.01_008,14] Wenn das saudumme Zölibat nicht wäre und ein Bischof der Mann
eines ordentlichen Weibes wäre, wie es meines Wissens Paulus auch ausdrücklich
verlangte, da hätte man mit dem Fleische doch sicher einen leichteren Kampf.
Aber da lebt so ein Bischof stets wie ein Adam vor der Segnung des
Erkenntnisbaumes mit der verführerischen Eva in einem gewissen – Paradiese und
kann sich an dem dargereichten Apfel nimmer satt fressen!
[BM.01_008,15] O große Lumperei! Es ist nun einmal so, wer kann's ändern? Der
Schöpfer allein, so Er es will; ohne Ihn aber bleibt der Mensch – besonders aus
meinem Gelichter! – schon allzeit und ewig ein Vieh, und das ein recht
abscheulichstes Vieh!
[BM.01_008,16] Herr, sei mir gnädig und barmherzig! Ich sehe schon, so Du an
mich nicht Deine Hand legen wirst, wird's mit mir schwer weitergehen; denn ich
bin ein Vieh – und mein Führer ein eigensinniger Tropf, vielleicht gar Luthers
Geist! Da wird es nicht gehen! Geduld, verlaß mich nicht; schon wieder tausend
Jahre auf einem Fleck!“
[BM.01_008,17] Nun verstummt er endlich und harrt der Schafe und Lämmer.
9. Kapitel – Weitere Geduldsprobe Bischof Martins und sein Galgenhumor.
[BM.01_009,01] Er sieht sich nach allen Seiten um und wartet und wartet; aber
noch immer keine Spur von Schafen und Lämmern. Er steht nun von seinem Steine
auf, besteigt ihn und schaut von diesem erhöhten Punkte nach den Schafen; aber
auch von da ist nichts zu erschauen.
[BM.01_009,02] Er fängt nun zu rufen an, doch meldet sich nichts und kommt auch
nichts zum Vorschein. Er setzt sich abermals nieder und harrt. Aber vergeblich,
denn es läßt sich von keiner Seite her etwas erschauen. Er wartet noch eine
Weile, und da durchaus nichts mehr kommen will, steht er nun ganz ungeduldig
auf, nimmt sein Buch und begibt sich mit folgenden Worten weiter:
[BM.01_009,03] (Bischof Martin:) „Jetzt habe ich aber diese Geschichte satt! Es
werden jetzt schon wieder bei einer Million Jahre verflossen sein, wenigstens
nach meinem Gefühle, und noch keine Änderung meines Zustandes! Jetzt aber werde
ich dir, du mein sauberer Führer, keinen Narren mehr machen; als ein ehrlicher
Kerl werde ich dir dein dummes Buch in dein lutherisches Haus stellen und mich
dann auf den Weg machen – geh's, wohin es wolle! Es wird diese Welt ja doch auch
irgendwo einmal so ganz echt mit Brettern vernagelt sein, wo man dann wird sagen
können: Huc usque et non plus ultra!
[BM.01_009,04] Und wenn ich dann in Gottes Namen auf einem solchen Punkte werde
etwa eine Trillion oder gar Dezillion Jahre hocken müssen, bis etwa die
Geisterweltbretter dann auch morsch werden, so werde ich doch wissen, warum!
Aber hier für nichts und wieder nichts einen Narren machen, das werde ich fortan
bleiben lassen. Denn was man sich selber zufügt, erträgt man leichter, als was
einem so ein bornierter Gimpel von einem Führer zufügt! Ich bin schon so toll
auf diesen lutherischen Lumpen, daß ich mich an ihm gerade vergreifen könnte, so
er mir jetzt unterkäme!
[BM.01_009,05] Kann es denn wohl etwas Langweiligeres und auch Peinlicheres
geben, als etwas bestimmt Verheißenes erwarten, und dieses kommt nimmer zum
Vorscheine? Nein, das ist zu arg! Welch eine schaudervoll lange Zeit harre ich
nun schon hier; ob der Wirklichkeit, oder bloß dem Gefühle nach, das ist nun
schon ein – Gott steh' uns bei! – und ganz ohne Grund und mir begreiflichen
Zweck! Denn wegen der gewissen Schafe und Lämmer, – das ist nun schon lange
nicht mehr wahr, wie es auch nie wahr gewesen ist!
[BM.01_009,06] Träfe ich aber hier nur einen mit mir gleichgesinnten Menschen, o
wie herrlich wäre das! Wie schön würden wir über diese schundigste Geisterwelt
losziehen, daß es eine helle Freude wäre; so aber muß ich diese Freude schon mit
mir selbst teilen! Aber nun auf! Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, will ich
auf diesem Steine nicht selbst zu Stein werden!
[BM.01_009,07] Wo ist denn nun das verzweifelte Buch? Hat es sich vielleicht
selbst nach Hause getragen, um mir den Weg zu ersparen? Ist auch recht! Aber es
geniert mich heimlich doch ein wenig; es ist doch gerade noch dagelegen und ich
wollte es in die Hand nehmen – und sieh, es verschwand!
[BM.01_009,08] Nein, wie diese Geisterwelt dumm bestellt ist, das liegt über dem
Horizont aller menschlichen Vorstellung! Ein Buch empfiehlt sich von selbst, so
man es verdientermaßen ein wenig kritisiert hat! Die Sache ist nicht übel!
[BM.01_009,09] Ich werde schon noch müssen diesen Stein auch um Vergebung
bitten, daß ich so lange mein unwürdiges Wesen habe auf ihm ruhen lassen – sonst
empfiehlt er sich auch noch! Und so ich mich nun auf einen Marsch durch diese
herrlichen Nebelgefilde und Moosfluren bei doppelter Sonnenwendkäferbeleuchtung
machen werde, da werde ich wohl etwa auch das Moos vorher um die Erlaubnis
bitten müssen, mir gnädigst zu gestatten, meinen Fuß zwecks meiner
Weiterbeförderung darauf setzen zu dürfen!
[BM.01_009,10] O das ist schon ganz ver-, halt, nur nicht fluchen! Das ist schon
überaus saudumm! Da seht: auch – Gott sei Dank! – das lutherische Haus samt dem
Tempel ist Gott weiß wohin spazierengegangen! Nur zu, zuletzt geht schon alles
zum Plunder! Nur der Stein ist noch da, wenn's wahr ist?! Das Aussehen hätte es
wohl, als wäre der Stein noch da; aber ich muß schon genauer sondieren! –
Richtig, richtig, auch der Herr von Stein hat sich empfohlen!
[BM.01_009,11] Na, jetzt wird es vielleicht auch für mich an der Zeit sein, sich
zu empfehlen? Aber wohin? Da ist hier wahrlich nicht viel zu wählen! Nur
schnurgerade der Nase nach – vorausgesetzt, daß ich noch eine Nase habe; denn
wer wie ich nun schon zum zweiten Male einige Millionen Jahre bloß bei der Nase
herumgeführt wurde, der müßte sich doch im Ernste fragen, wie es noch mit dem
Besitze dieses Gliedes steht? Aber Gott sei Dank, ich habe es noch; daher nun
nur vorwärts diesem einzigen Wegweiser nach in dieser wirklich schönen
Geisterwelt!“
[BM.01_009,12] Seht, nun fängt er an zu gehen, und der Engel Petrus folgt ihm
unsichtbar. ,Gehen‘ in der Geisterwelt aber heißt ,andern Sinnes werden‘, und
wie sich dieser ändert, so ändert sich auch scheinbar der Ort. – Wir werden nun
bald sehen, wohin sich unser Mann wenden wird. –
10. Kapitel – Bischof Martin auf Abwegen. Winke des Herrn über geistige Zustände
und deren Entsprechungen.
[BM.01_010,01] Wer von euch am Kompaß des Geistes sich auskennt, wird bald
merken, daß unser Mann nun statt gegen Mittag schnurgerade gegen Abend seine
Richtung eingeschlagen hat. Er geht nun ganz mutig und behende vorwärts; aber er
entdeckt nichts außer sich als einen mit spärlichem Moose bewachsenen ebenen
Boden und eine sehr matte, graulichte Beleuchtung des scheinbaren Firmaments,
das, je mehr und je tiefer gen Abend, stets dunkler wird.
[BM.01_010,02] Diese sichtlich zunehmende Dunkelheit macht ihn etwas stutzen;
aber es hält ihn nicht ab, seinen Gang einzuhalten, wovon der Grund ist, weil
seine Erkenntnis und sein Glaube so gut wie gar nichts sind. Was aber noch da,
das ist falsche Begründung wider das reine Wort des Evangeliums, somit barstes
Antichristentum und ein im verborgenen Hintergrunde in humoreske Maske
verhüllter Sektenhaß.
[BM.01_010,03] Daher dieses Bischofs Gang gegen den stets dunkler werdenden
Abend; daher der mit spärlichem Moose bewachsene Boden, welcher die Trockenheit
und die magerste Geringheit Meines Wortes in dieses Mannes Gemüte bezeichnet.
Daher auch das stets zunehmende Dunkel, weil das zu gering und gar nicht
geachtete und noch weniger beachtete Wort Gottes (vor dem sich derlei Bischöfe
nur pro forma in roten und goldenen Gewändern beugen) in ihm nie zu jener
Lebenswärme gedieh, aus der dann das herrliche Licht des ewigen Morgens für den
Geist hätte hervorgehen können.
[BM.01_010,04] Solche Menschen müssen in der Geisterwelt in die größte
scheinbare Verlassenheit kommen und in die vollste Nacht; dann erst ist es
möglich, sie umzukehren. Wie schwer es aber hier auf der Welt ginge, einen
solchen Bischof auf den wahren Apostelweg zu bringen, ebenso und noch bei weitem
schwerer geht es dort, weil er dort von außen her als Geist natürlich rein
unzugänglich ist, in ihm aber nichts ist als Irrtümliches, falsch Begründetes
und im Grunde Herrschsüchtiges.
[BM.01_010,05] Meiner Gnade aber sind freilich wohl viele Dinge möglich, die dem
gewöhnlichen Ordnungsgange unmöglich wären! Daher wollet ihr eben bei diesem
Manne praktisch beschauen, wohin er kommen kann mit dem, was da in ihm ist, und
was am Ende, wenn sozusagen alle Stricke reißen, noch Meine Gnade bewirken kann,
ohne in die Freiheit des Geistes einzugreifen. Solche Gnade wird diesem Manne
auch zuteil, weil er einmal gebeten hatte, daß Ich ihn mit Meiner Hand ergreifen
möchte! Aber eher kann ihn die ausschließliche Kraft Meiner Gnade dennoch nicht
ergreifen, als bis er all den eigenen Plunder von allerlei Falschem und
verborgen Bösem aus sich hinausgeschafft hat, was sich durch den Zustand der
dichtesten Finsternis, die ihn umgeben wird, kundtun wird.
[BM.01_010,06] Nun aber richten wir unsere Augen wieder auf unsern Wanderer! –
Langsam und behutsamen Schrittes schreitet er wieder vorwärts, bei jedem
Schritte den Boden prüfend, ob er wohl fest genug wäre, ihn zu tragen. Denn der
Boden wird nun hie und da sumpfig und moorig, was ein entsprechendes Zeichen
ist, daß alle seine falsch begründeten Erkenntnisse bald in ein unergründliches
Geheimnismeer münden werden. Daher stoßen sie schon jetzt auf unterschiedliche
kleine Geheimnissümpfe in stets dichter werdender Dunkelheit – ein Zustand, der
sich schon auf der Welt bei vielen Menschen dadurch kundgibt, daß sie, so ein
Weiserer mit ihnen etwas vom Geistes- und Seelenleben nach dem Tode zu reden
beginnt, sogleich mit dem Bedeuten davon abzulenken suchen: so etwas mache sie
ganz verwirrt, verstimmt und traurig, und der Mensch würde, so er viel über
derlei nachgrübeln möchte, am ersten zu einem Narren.
[BM.01_010,07] Diese Scheu ist nichts anderes als ein Auftritt des Geistes auf
einen solchen Boden, der schon sehr sumpfig ist, und wo niemand mehr den Mut
hat, die unbestimmten Tiefen solcher Sümpfe mit seinem überaus kurzen
Erkenntnismaßstabe zu bemessen aus Furcht, dabei etwa ins Grundlose
hinabzusinken.
[BM.01_010,08] Seht, der Boden, der unsern Mann trägt, fängt an, stets
gedehntere förmliche kleine Seen zu entwickeln, zwischen denen sich nur noch
kleine und schmale, scheinbare Erdzungen durchschlängeln. Dies entspricht den
hirngespinstischen Faseleien eines solchen erkenntnislosen Gottbekenners mit dem
Munde, dessen Herz aber dennoch der purste Atheist ist.
[BM.01_010,09] Auf solchem Boden also wandert nun unser Mann den Weg, den viele
Millionen wandeln! Immer schmäler werden diese Erdzungen zwischen den stets
bodenloser werdenden Seen, voll verzweifelter Unergründlichkeit für seine
Erkenntnis. Er wankt schon stark, wie jemand, der über einen schmalen Steg geht,
unter dem ein reißender Bach dahinstürzt. Aber dennoch bleibt er nicht stehen,
sondern wankt aus einer Art falscher Wißbegierde fort, um irgendein
vermeintliches Ende der Geisterwelt zu finden; zum Teil aber auch, um heimlich
die schönen Schafe und Lämmer zu suchen, denn diese gehen ihm noch nicht aus dem
Sinn!
[BM.01_010,10] Wohl ist ihm alles genommen worden, was ihn daran erinnern
könnte: das Buch, die Wiese, der Stein (des Anstoßes) samt den Schafen und
Lämmern, die ihm einmal auf der Welt sehr viel bezaubernd Reizendes und überaus
erheiternd Angenehmes bedeuteten. Darum führte sie ihm der Engel Petrus auch
hauptsächlich vor, um seine Schwächen in ihm zu enthüllen und ihn auch dadurch
mehr abzuöden.
[BM.01_010,11] Nun sehen wir auch, was unseren Mann also treibt, bis er ans
grenzenlose Meer kommen wird, wo es dann heißen wird: „Bis hierher und nicht
weiter reicht alle deine Blindheit, Dummheit und übergroße Narrheit!“
[BM.01_010,12] Lassen wir ihn daher nur fortwanken bis an die äußerste
Erdzungenspitze seiner Faseleien, der er nun nicht mehr ferne ist. Dort wollen
wir ihn dann nach Muße behorchen, was alles für Narrheiten er in das Meer seiner
Geistesnacht hinausspeien wird!
[BM.01_010,13] Ein jeder von euch aber erforsche seine geheimen dummen
Weltneigungen genau, auf daß er über kurz oder lang nicht auf den sehr traurigen
Weg dieses Wanderers kommen wird!
11. Kapitel – Die bedrängte Lage unseres Wanderers; sein weiteres Selbstgespräch
und ärgerliches Schimpfen.
[BM.01_011,01] Nun sehet hin: unser Mann hat bereits das Meer erreicht; kein
Zünglein teilt irgend mehr das endlose Gewässer dieses Meeres, was eben aus dem
grenzenlosen Unverstande dieses Mannes entspringt und selben in entsprechender
Form darstellt. Auch bezeichnet es jenen Zustand des Menschen, in dem er fast zu
gar keiner Vorstellung von was immer gelangen kann und förmlich begrifflos wird
gleich einem kompletten Narren, bei dem alle seine Begriffe chaotisch in ein
Meer von Unsinn zusammenfließen.
[BM.01_011,02] Mürrisch und voll Unwillen steht er nun am letzten Rande, das
ist: am letzten Begriffe, nämlich bei sich selbst! Sich allein noch erkennt er;
alles andere ist zu einem finsteren Meere geworden, in dem nichts als allerlei
unförmliche, finstere Ungeheuer dumpf und blind und stumm herumschwimmen und
unseren Mann umreihen, als wollten sie ihn verschlingen. Groß ist die Dunkelheit
und feucht und kalt der Ort; unser Mann erkennt nur aus der Wellen mattestem
Schimmer und dem grauenerregenden dumpfen Geplätscher der Wogen, daß er sich nun
am Rande eines unermeßlichen Meeres befindet.
[BM.01_011,03] Höret nun aber wieder ihn selbst, was er nun für sonderliches
Zeug zusammenfaselt, damit ihr erkennen möget, wie es nicht nur diesem Manne,
sondern noch einer zahllosen Menge von Menschen ergeht, die alles im Kopfe, in
ihrer dümmsten Einbildung, aber wenig oder nichts in ihrem Herzen besaßen und
noch besitzen! Horchet nun, er beginnt zu sprechen:
[BM.01_011,04] (Bischof Martin:) „So, so, so, – jetzt ist es recht! O du
verfluchtes Sauleben! Wenigstens zehn Millionen Erdenjahre mußte ich als arme
Seele in dieser Nacht und barsten Finsternis herumirren, um statt eines
erwünschten guten Zieles an ein Meer zu gelangen, das mich ohne weiteres für die
gesamte Ewigkeit verschlingen wird!
[BM.01_011,05] Das wär' mir ein schönes „Requiescant in pace, et lux perpetua
luceat eis!“! Auf der Welt werden sie diese herrliche Hymne mir sicher oft genug
nachgesungen haben. Ich ruhe nun wohl für die Welt ewig, und meine Asche wird
noch irgend von einer Sonne beschienen oder von einem phosphorischen
Moderschimmer einer Totengruft; aber ich, ich, der eigentliche Ich – was ist aus
mir geworden?
[BM.01_011,06] Ich bin wohl noch ganz derselbe, der ich war; aber wo, wo bin
ich, wo bin ich hingekommen? Hier steh' ich an der lockeren Spitze einer
schmalsten Erdzunge, wenn man diesen Boden auch Erde nennen kann, und rings um
mich her ist die dickste Nacht und ein ewiges, unergründliches Meer!
[BM.01_011,07] O Menschen, die ihr auf der Erde noch die große Gnade habt, das
Leben des Leibes zu besitzen – vorausgesetzt, daß die Erde noch besteht –, wie
endlos glücklich seid ihr und wie enorm reich gegen mir alle, die ihr dort in
den dürftigsten Lumpen gute Menschen um einen Zehrpfennig anflehet! Leider
erwartet euch hier mein oder vielleicht noch ein viel ärgeres Los!
[BM.01_011,08] Daher rette sich dort, wer sich nur immer retten kann: entweder
durch feste Haltung der Gesetze Gottes, oder er werde mit Leib und Seele ein
Stoiker, was vorzuziehen ist; alles andere taugt für nichts! Hätte ich das eine
oder das andere getan, so wäre ich nun glücklicher; so aber stehe ich als ein
ewiger Ochse und Esel zugleich – nicht vor einem Berge, sondern vor einem Meere,
das da sicher ewig fortdauert, mich wahrscheinlich für ewig verschlingen wird,
aber unmöglich töten kann, weil ich schon einmal unsterblich sein muß!
[BM.01_011,09] Denn könnte hier in dieser endlos dümmsten Geisterwelt mir etwas
den Tod geben, so wäre es doch unfehlbar am ersten der furchtbare Hunger, der
mich nun schon so viele Millionen von Erdenjahren auf das entsetzlichste plagt!
Wäre ich nicht selbst eine höchstwahrscheinlich sehr luftige Seele, so hätte ich
mich schon lange gleich einem Werwolf bis aufs letzte Zehenspitzel aufgefressen;
aber so ist auch das nichts und wieder nichts!
[BM.01_011,10] Wenn mich aber dies Meer nun höchstwahrscheinlich ehestens
verschlingen wird, wie wird es mir dann in dieser endlosen Fischwelt ergehen?
Wie viele Haifische werden mich darin verschlingen, und wie viele andere
Ungeheuer werden sich an mir mit ihren Zähnen versuchen und werden mich fressen
und mir dadurch die größten Schmerzen verursachen, dabei mich aber dennoch ewig
nicht zu töten imstande sein?! – O der herrlichsten Aussicht für die ewige
Zukunft!
[BM.01_011,11] Vielleicht waren jene Schafe und Lämmer so eine Art geistiger
Sirenen und haben mich unsichtbar hierher gezogen, um mich hier zu zerreißen und
aufzufressen? Es ist schon freilich beinahe endlos nicht mehr wahr, daß ich sie
einmal vor Millionen Jahren der Erde gesehen habe; aber dennoch wäre so etwas
gerade nichts Unmögliches in dieser unbegreiflich dümmsten Geisterwelt, wo man
die Jahrtausende verlebt, ohne außer sich etwas zu erschauen, zu beurteilen und
zu erkennen, ohne etwas zu tun, außer dann und wann mit sich einige tausend
Jahre lang wert- und fruchtlose Gespräche zu führen gleich einem barsten Narren
auf der Welt der Leibesmenschen!
[BM.01_011,12] Ich begreife nur das einzige nicht, daß ich nun keine größere
Furcht habe in dieser meiner sicher verzweifeltsten Lage? Ich bin im Grunde mehr
zornig als furchtsam; aber da ich niemanden habe, an dem ich meinen gerechten
Zorn auslassen könnte, so muß ich ihn wie einen abgestandenen Essig verbeißen.
[BM.01_011,13] Dennoch aber kommt es mir vor, daß wenn selbst Gott nun, so Er
irgend Einer ist, zu mir käme, so würde mein abgestandener Essig von einem Zorne
wieder ganz frisch. Ich könnte mich weidlich vergreifen an einem solchen
Scheingott, so er irgend Einer ist, weil Er die vergängliche Welt mit zahllosen
Herrlichkeiten ausschmückte, diese unvergängliche aber schlechter bedachte als
der barbarischste Tyrann von einem Stiefvater seine ihm verhaßtesten
Stiefkinder, die ohne ihr Verschulden das Dasein erhielten und leider, leider
seine Stiefkinder geworden sind!
[BM.01_011,14] O wie herrlich wäre es, an einem solchen Gott seinen Zorn
auszulassen, wenn Er irgend Einer wäre! Aber leider, es gibt keinen Gott und
kann nie einen gegeben haben! Denn wäre irgendein gottartiges höheres Wesen, so
müßte es doch notwendig weiser sein als wir, seine Geschöpfe; so aber ist von
einer Weisheit aber auch nirgends nur eine leiseste Spur zu entdecken!
[BM.01_011,15] Denn das muß doch ein Blinder einsehen, daß jedes Sein und
Geschehen irgendeinen Zweck haben muß; ich aber bin doch auch ein Sein und ein
unverschuldetes Geschehen! Ich lebe, ich denke, ich fühle, ich empfinde, ich
rieche, ich schmecke, ich sehe, ich höre, ich habe Hände zur Arbeit und Füße zum
Gehen, einen Mund, mit Zunge und Zähnen versehen, und – einen leersten Magen;
aber dieser Gott sage mir: wozu? Wozu Millionen von Erdenjahren solche
Besitztümer, die man doch nie gebraucht?
[BM.01_011,16] Also heraus mit einem so höchst unweisen Gott! Er stehe mir zur
Rede – wenn Er irgend Einer ist –, auf daß Er von mir Weisheit lerne! Aber ich
könnte Ihn Ewigkeiten lang herausfordern, so wird Er dennoch nicht erscheinen!
Warum? Weil Er nicht und keiner ist!“
12. Kapitel – Bischof Martin auf dem toten Punkte. Aufnahme durch das ersehnte
Schiff. Martins Dankrede an den Schiffsmann, der der Herr selbst ist.
[BM.01_012,01] Nach einer langen Pause, in der er doch etwas furchtsam die so
kühn beschimpfte und sogar herausgeforderte Gottheit erwartete, beginnt er
wieder folgendes, etwas dumpfere Gespräch mit sich selbst:
[BM.01_012,02] (Bischof Martin:) „Nichts, nichts und abermals nichts! Ich kann
herausfordern, wen ich will; schmähen, wen ich will; gröblichst beschimpfen, wen
ich nur immer will; hier gibt es niemanden, hier hört mich niemand, ich bin wie
ein alleiniges, sich selbst bewußtes Leben in der ganzen Unendlichkeit!
[BM.01_012,03] Aber ich kann ja doch nicht allein sein! Die vielen tausendmal
tausend Millionen von Menschen auf der Erde, die so wie ich geboren wurden,
gelebt haben und wieder gestorben sind, wo sollen denn diese hingekommen sein?
Haben sie etwa gänzlich aufgehört zu sein, oder haben sie in all den zahllosen
Punkten der ganzen Unendlichkeit, voneinander endlos weit entfernt, etwa mit mir
ein gleiches Eselslos? – Das scheint mir wohl das Allerwahrscheinlichste zu
sein! Denn mein einstiger Führer und darauf die schönen Schäflein und Lämmerlein
waren doch ein sicherer Beweis, daß es in dieser rein endlosen Welt wohl noch
irgend Menschen gibt! Aber wo, wo, wo? Das ist eine andere Frage!
[BM.01_012,04] Da hinaus über dies endlose Meer wird es wohl sehr wenig
Lebendiges mehr geben – aber höchstwahrscheinlich endlos weit hinter meinem
Rücken! Wenn ich nur zurück könnte, so möchte ich auch diesen Versuch machen und
würde sie aufsuchen! Aber leider bin ich hier mit Wasser ringsum so sehr
verrammelt, daß eine Umkehr beinahe unausführbar erscheint.
[BM.01_012,05] Hier unter meinen Füßen ist's zwar noch trocken, und ich stehe
noch auf einem, wennschon sehr lockeren, aber mich dennoch mit genauer Not
tragenden Boden. So ich aber den Fuß weitersetzen würde, entweder rück- oder
vorwärts, wie würde es mir dann ergehen? Sicher würde ich in den bodenlosesten
Abgrund hinabsinken, in dies endlos große Wassergrab! Darum muß ich hier schon
hocken bleiben in alle Ewigkeit, was auf jeden Fall eine herrliche Unterhaltung
für mich abgeben wird!
[BM.01_012,06] Ach, wenn es hier doch so ein kleines, aber sicheres Schiff gäbe,
in das ich so ganz frei einsteigen könnte, und das ich lenken könnte, wohin
ich's wollte: welch eine Seligkeit wäre das doch für mich nun wahrhaftig
allerärmsten Teu – – oho, nicht heraus; dieser Name soll nie über meine Lippen
kommen! Es wird zwar an dem Teu –, nein „Gottstehunsbei“ ebensowenig daran sein
wie an der Gottheit selbst; aber der Begriff an sich ist so häßlich, daß man ihn
ehrlichermaßen nicht leicht ohne gewissen heimlichen Schauder aussprechen kann!
[BM.01_012,07] Was sehe ich aber dort auf dem Wasserspiegel, nicht ferne von
hier? Ist es etwa ein Ungeheuer – oder etwa gar ein Schiff? Siehe, du mein
dürstend Auge, es kommt näher und näher! Bei Gott, es ist im Ernste ein Schiff,
ein recht nettes Schiff mit Segel und Ruder! Nein, wenn das herkäme, so müßte
ich von neuem an einen Gott zu glauben anfangen; denn so was wäre ein zu
auffallender Beweis gegen alles, was ich bisher geplaudert habe! Richtig, es
kommt stets näher und näher! Vielleicht hat es gar jemanden an Bord? Ich werde
um Hilfe schreien: vielleicht hört mich jemand?!
[BM.01_012,08] (laut:) He da! He da! Zu Hilfe! Hier harrt schon eine endlose
Zeitendauer ein unglücklicher Bischof, der einst auf der Welt einen sehr großen
Herrn gespielt hat, nun aber in dieser Geisterwelt in größte Armseligkeit
versunken ist und sich nimmer zu helfen und zu raten weiß! O Gott, o Du mein
großer, allmächtiger Gott, so Du irgend Einer bist, hilf mir, hilf mir!“
[BM.01_012,09] Nun seht, das Schiff nähert sich behende dem Ufer, wo unser Mann
sich befindet! An Bord ersehet ihr auch einen gewandten Schiffer, der Ich Selbst
bin, und hinter unserem Mann den Engel Petrus, der nun, da das Schiff ans Ufer
stößt, samt unserem Bischof behende das Schiff besteigt.
[BM.01_012,10] Der Bischof aber ersieht bloß Mich als den Schiffsmann, den Engel
Petrus erblickt er noch immer nicht, weil dieser stets hinter ihm wandelt. Er
geht nun überaus freundlichen Angesichts schnurgerade auf Mich zu und spricht:
[BM.01_012,11] „Welch ein Gott oder sonst ein anderer guter Geist machte es
denn, daß du mit deinem Schifflein auf diesem endlos großen Meere dich gerade in
diese Gegend verirrtest oder gar geflissentlich hieher lenktest, wo ich eine
undenklich lange Zeit der Erlösung harrte? Bist du etwa gar ein Lotse in dieser
Geisterwelt oder sonst ein Rettungsmann? Menschen deinesgleichen müssen hier
unglaublich selten sein, indem ich jetzt seit einer undenklichen Zeitdauer aber
auch nicht die allerleiseste Spur von irgendeinem Menschen entdeckt habe!
[BM.01_012,12] O du holdseligster, liebster Freund! Du scheinst mir viel
besserer Natur zu sein als einer, der vor undenklich langer Zeit sich mir als
ein Führer in dieser Welt von selbst aufdrang, um mich auf einen rechten Weg zu
bringen! Aber das war dir ein Führer non plus ultra! Gott der Herr mag es ihm
verzeihen; denn er führte mich nur eine kurze Zeit hindurch, und da zu lauter
Schlechtem!
[BM.01_012,13] Einmal mußte ich mein Bischofskleid, das ich Gott weiß wie von
der Welt mit herübernahm, ablegen und dafür diese gegenwärtige Bauernkleidung
anziehen, die muß wohl aus einem allerbesten Stoffe verfertigt sein, ansonst sie
selbst bei meinem ruhigsten Verhalten unmöglich Millionen von Erdenjahren
gedauert hätte!
[BM.01_012,14] Mit dieser Bescherung aber wäre ich noch so leidlich zufrieden
gewesen, natürlich mit der Hoffnung auf ein besseres Schicksal. Allein, was tat
da dieser Held von einem Führer? Er selbst dingte unter manchen moralischen
Sentenzen mich zu einem Hirten seiner Schafe und Lämmer!
[BM.01_012,15] Ich nahm den Dienst bereitwilligst an – obschon auf einem
lutherischen Boden –, ging mit einem dicken Namenbuche seiner Herde hinaus und
wollte tun, wie er mir angezeigt hatte; allein siehe da, aus der Herde der
Schafe und Lämmer wurden lauter bildschöne Mädchen! Von Schafen und Lämmern war
keine Spur mehr!
[BM.01_012,16] Ich hätte ihre Namen aus dem Buch verlesen sollen, aber es kamen
keine solchen Tiere in der ganzen Gegend vor, die ich vorher deutlich aus dem
Hause dieses lutherischen Führers gesehen hatte!
[BM.01_012,17] Wohl aber kamen, ohne sich aus dem Buche rufen zu lassen, diese
schönsten Mädchen haufenweise zu mir und scherzten um mich her und küßten mich
sogar. Und eine, die allerschönste, hat sich gar über mich mit beiden Armen
ausgebreitet und mich mit einer so bezaubernden Anmut an ihre überzarte Brust
gedrückt, daß ich darob in einen solchen Gefühlsdusel kam, wie ich etwas
Ähnliches auf der Welt wohl nie empfunden habe.
[BM.01_012,18] Die ganze Geschichte war im Grunde sicher nicht schlecht,
besonders für einen Neuling in dieser Welt; denn wußte ich vorher, daß ich statt
der Schafe und Lämmer solche Mädchen würde in meine Obhut bekommen?
[BM.01_012,19] Aber da war, wie von einem Blitze herbeigeführt, auch schon mein
schöner Führer bei der Hand und machte mir darob eine Predigt, die dem Martin
Luther keine Schande gemacht hätte. Er gab mir unter manchen Androhungen neue,
aber noch dümmere und luftigere Vorschriften, die ich auf das strengste hätte
befolgen sollen und die sämtlichen Schafe und Lämmer am Ende auf einen
angezeigten Berg bringen!
[BM.01_012,20] Allein ich, mit diesem etwas sonderlichen Auftrag eben nicht sehr
zufrieden, bekam darauf weder den Führer noch die Herde zu Gesichte, wartete
Gott weiß wie viele Millionen Jahre, – allein umsonst; wollte endlich das Buch
meinem saubern Dienstgeber ins Haus zurückstellen. Allein das Buch,
wahrscheinlich eine Art geistiger Automat, empfahl sich von selbst, nebst der
ganzen Gegend; und ich empfahl mich endlich auch und ging. Ich kam hierher und
konnte nicht mehr weiter, schimpfte eine Zeitlang, was ich nur konnte und
verzweifelte endlich völlig, da sich durch eine so lange Dauer von keiner Seite
her eine Spur irgendeiner Rettung zeigte.
[BM.01_012,21] Endlich kamst du als ein wahrhaftiger göttlicher Rettungsengel
hierher und hast mich in dein sicheres Fahrzeug aufgenommen! Nimm meinen
möglichst größten Dank dafür hin! Hätte ich etwas, womit ich es dir vergelten
könnte, wie süß wäre das meinem dir ewig dankbarsten Herzen! Aber du siehst, daß
ich hier ärmer bin als alles, das der Mensch nur immer als arm bezeichnen kann,
und außer mir nichts besitze. Daher begnüge dich für deine große Freundschaft
mit meinem Danke und mit mir selbst, so du mich zu irgendeinem Dienste
gebrauchen kannst!
[BM.01_012,22] O Gott, o Gott, wie ruhig und wie sicher und wie schnell schwimmt
dein Fahrzeug über den brausenden Wogen dieses endlosen Meeres, und welch ein
angenehmes Gefühl! O du lieber, göttlicher Freund, jetzt sollte mein einstiger
sehr bornierter Führer da sein! Da möchte es sich denn doch der Mühe lohnen,
dich ihm vorzustellen und zu zeigen, was ein rechter Führer und Rettet für ein
Gefühl haben müsse, so er ein Führer sein will! Ich war wohl auf der Welt selbst
einmal ein Führer, aber – da schweige ich! – O Dank dir! Dank! Wie herrlich geht
das Schifflein!“
13. Kapitel – Des göttlichen Schiffsmannes Worte über den Segen der Einsamkeit.
Ein Beichtspiegel zur Förderung der Selbsterkenntnis.
[BM.01_013,01] Darauf spreche Ich als der freundliche Schiffsmann: „Es mag wohl
recht mißlich sein, sich lange dauernd allein zu befinden; aber ein solch länger
andauerndes Alleinsein hat doch wieder sehr viel Gutes! Denn man gewinnt da
Zeit, über so manche Torheiten nachzudenken, sie zu verabscheuen und ganz
abzulegen und aus sich hinauszubannen. Und siehe, das ist mehr wert als die
zahlreichste und glänzendste Gesellschaft, in der allzeit mehr Dummes und
Schlechtes vorkommt als Weises und Gutes!
[BM.01_013,02] Noch mißlicher aber ist die Lage, wenn das Alleinsein mit einer
Lebensgefahr bedroht ist, wenn auch oft nur zum Schein; aber dessenungeachtet
ist ein solches Alleinsein auch noch um tausendmal besser als die anmutigste und
schönste Gesellschaft! Denn in solchem Alleinsein bedroht einen nur ein
scheinbarer Untergang, für den es noch eine Rettung gäbe, so er auch wirklich
erfolgt wäre. In der bezeichneten anmutigen und schönen Gesellschaft aber
bedrohen einen Menschen nicht selten tausend wirkliche Gefahren, jede vollkommen
tauglich, Seele und Geist ganz zu verderben und in die Hölle zu bringen, von der
es nahezu keinen Ausweg mehr gibt! Daher war dein gegenwärtiger Zustand für dein
Gefühl wohl ein sehr mißlicher, aber für dein Wesen keineswegs ein
unglücklicher.
[BM.01_013,03] Denn siehe, der Herr aller Wesen sorgte dennoch für dich,
sättigte dich nach Maß und Ziel und hatte mit dir eine große Geduld! Denn du
warst auf der Welt ein römischer Bischof, was ich wohl weiß, und verrichtetest
dein heidnisches Götzenamt zwar dem Buchstaben nach wohl sehr strenge, obschon
du innerlich nichts darauf hieltest; aber so etwas kann doch deiner eigenen
Beurteilung nach bei Gott, der allein auf das Herz und dessen Werke sieht,
unmöglich einen Wert haben! Zudem warst du sehr stolz und herrschsüchtig und
liebtest trotz deines geschworenen Zölibates das Fleisch der Weiber über die
Maßen! Meinst du wohl, dies könnten gottwohlgefällige Werke sein?
[BM.01_013,04] Du machtest dir auch mit den Klöstern viel zu schaffen und
besuchtest am liebsten die weiblichen, in denen es recht viele und schöne
Novizinnen gab. Du hattest dann ein großes Wohlgefallen, so sie sich vor dir wie
vor einem Gott niederwarfen und dir deine Füße umklammerten und du sie dann auf
allerlei moralische Proben stelltest, von denen einige um nichts besser sind als
eine komplette Hurerei! Meinst du wohl, daß solch ein moralischer Eifer von
deiner Seite Gott dem Herrn wohlgefällig war?
[BM.01_013,05] Was hast du auf der Welt gegen das Gebot Christi, der den
Aposteln gebot, keine Säcke, somit kein Geld, keinen Rock, keine Schuhe – außer
im Winter – und nie zwei Röcke zu haben und zu tragen, für große Reichtümer
besessen! Welch ausgesuchte Speisen trug dein Tisch, welch glänzendes Fuhrwerk,
welche reichsten Bischofsinsignien zierten deine Herrschsucht!
[BM.01_013,06] Wie oft hast du als sein wollender Verkünder des Wortes Gottes
auf der Rednertribüne falsch geschworen und hast dich selber verflucht, so dies
oder jenes nicht wahr wäre, was du bei dir selbst doch in deinem ganzen Leben
nie geglaubt hast!
[BM.01_013,07] Wie oftmals hast du dich selbst befleckt – und warst im
Beichtstuhle, solange du dich noch im selben herumtriebst, unerbittlich strenge
gegen die armen Kleinen und ließest die Großen so leicht durch, als wie leicht
da springt ein Floh durch ein Stadttor!
[BM.01_013,08] Meinst du wohl, daß der Herr daran ein Wohlgefallen haben konnte,
dem doch das ganze römische Babylon ein Greuel ist in seiner besten Art?
[BM.01_013,09] Hast du je gesagt in deinem Herzen: ,Lasset die Kleinen zu mir
kommen!‘? – O siehe, nur die Großen hatten bei dir einen Wert!
[BM.01_013,10] Oder hast du je ein armes Kind in Meinem Namen aufgenommen und
hast es bekleidet, gespeist und getränkt? Wieviel Nackte hast du wohl bekleidet,
wieviel Hungrige gesättigt, wieviel Gefangene frei gemacht? – O sieh, Ich kenne
niemanden davon; wohl aber hast du Tausende in ihrem Geiste zu harten Gefangenen
gemacht und hast der Armut nicht selten durch dein Verfluchen und Verdammen die
tiefsten Wunden geschlagen, während du den Großen und Reichen Dispense über
Dispense erteiltest – natürlich für Geld, nur manchmal bei sehr großen
Weltherren aus einer Art großimponierender Weltfreundschaft umsonst! Meinst du
wohl im Ernste, daß Gott derlei Werke angenehm und wohlgefällig sein könnten und
du darum sogleich nach deines Leibes Tode hättest sollen von Mund auf in den
Himmel aufgenommen werden?
[BM.01_013,11] Ich, dein Rettmann, sage dir das aber nicht, um dich zu richten,
sondern darum nur, um dir zu zeigen, daß der Herr an dir kein Unrecht tat, so Er
dich hier scheinbar ein wenig im Stiche ließ; und daß Er dir sehr gnädig war,
darum Er nicht zuließ, daß du sogleich nach deinem Absterben vor Gott
wohlverdientermaßen zur Hölle hinabgefahren wärest!
[BM.01_013,12] Bedenke das und schmähe nicht mehr deinen Führer, sondern denke
in aller Demut, daß du von Gott aus nicht der geringsten Gnade wert bist, so
kannst du sie wieder finden! Denn so sich die getreuesten Knechte als schlecht
und unnütz betrachten sollen, um wieviel mehr du, der du noch nie etwas dem
Willen Gottes Gemäßes getan hast!“
14. Kapitel – Bischof Martins aufrichtiges Reuebekenntnis und sein guter Wille
zur Buße und Umkehr.
[BM.01_014,01] Spricht darauf der Bischof: „O du mein hochgeehrtester und alles
Dankes würdigster Retter! Ich kann dir auf diese deine Enthüllung leider nichts
anderes sagen als: Das ist alles Mea culpa, mea quam maxima culpa! Denn es ist
alles buchstäblich wahr. Aber was läßt sich nun tun?
[BM.01_014,02] Ich fühle nun sicher die tiefste Reue über all das Begangene;
aber mit aller meiner Reue läßt sich das Geschehene nimmer ungeschehen machen,
und somit bleibt auch die Schuld und die Sünde unverrückbar, die da ist der Same
und die Wurzel des Todes. Wie aber läßt sich in der Sünde des Herrn Gnade
finden? – Siehe, das scheint mir ein völlig unmöglich Ding zu sein.
[BM.01_014,03] Darum meine ich also, indem ich nun vollkommen einsehe, daß ich
sogestaltig ganz für die Hölle reif bin: die Sache läßt sich auf keine andere
Weise ändern, außer ich würde durch eine allmächtige Zulassung Gottes mit meinem
gegenwärtigen Gefühl nun noch einmal auf die Erde gesetzt, um daselbst so viel
als möglich meine Fehler wieder gutzumachen. Oder – da ich vor der Hölle denn
doch eine zu entsetzliche Furcht habe – der Herr möchte mich für die ganze
Ewigkeit als ein allergeringstes Wesen in irgendeinen Winkel stecken, wo ich als
ein allergeringster Landmann mir auf einem mageren Boden den nötigsten Unterhalt
mit meiner Hände Arbeit erwerben könnte. Dabei leistete ich ja von ganzem Herzen
gerne Verzicht auf irgendeine höhere Beseligung, indem ich mich selbst für den
allergeringsten Grad des Himmels bei weitem zu unwert halte.
[BM.01_014,04] Das ist so mein Gefühl; denn meine Meinung kann ich's darum nicht
nennen, weil ich's empfinde, daß das nun der innerste Anspruch meines Lebens
ist. Es ist auf der über Hals und Kopf vernagelten Welt wohl auch nichts mehr zu
machen; denn der allgemeine Zug des Stromes ist nun durch und durch schlecht, so
daß es beinahe zur Unmöglichkeit wird, gut zu sein als ein Schwimmer wider den
Strom.
[BM.01_014,05] Die Regierungen tun, was sie wollen, und die Religion gebraucht
man nur noch als ein politisches Opium fürs gemeine Volk, um es leichter im
Zaume und zu allem Möglichen dienstbar zu erhalten! Da sollte der Papst selbst
versuchen, der Religion eine andere, bloß geistige Bedeutung zu geben, so wird
man gegen seine deklarierte Unfehlbarkeit sogleich von allen Seiten her mit
Waffen und klingendem Spiel zu Felde ziehen. Aus dem aber geht klar hervor, wie
schwer es nun ist, besonders als ein Bischof die rechten Wege des Wortes Gottes
zu gehen, indem er auf allen seinen Wegen und Stegen von einer Legion geheimer
Aufseher beschnüffelt wird.
[BM.01_014,06] Alles das benimmt zwar weder einem Bischof noch irgendeinem
andern Menschen den freien Willen; aber wie sehr wird dadurch das Handeln
erschwert, ja in tausend Fällen sogar unmöglich gemacht – was dem Herrn sicher
auch nicht unbekannt sein wird.
[BM.01_014,07] Es wäre freilich recht und billig und in dieser Zeit beinahe
notwendig, des Wortes Gottes wegen ein Märtyrer zu sein; aber was würde damit
geholfen sein? Nur ein Wort losgelassen, was mit der heiligsten Religion nun für
ein barster Mißbrauch getrieben wird, und man steckt im Loch mit dem Auftrage
des ewigen Schweigens, oder man wird so ganz heimlich aus der Welt geschafft.
[BM.01_014,08] Frage: was würde da jemand nützen können, so er strikte gegen den
Strom schwimmen wollte, so er die reinste Wahrheit verkünden und sich opfern
wollte für die geblendete arme Menschheit?
[BM.01_014,09] So man aber das aus der Erfahrung ersieht, daß sich da rein
nichts tun läßt in einer Welt, die vom Fuß bis zum Kopf im dicksten Ärger
steckt, und ihr nicht zu helfen ist, da wird es am Ende sogar wie verzeihlich,
so man bei sich selbst ausruft: ,Mundus vult decipi, – ergo decipiatur!‘
[BM.01_014,10] Ich meine aber nun auch: der Herr sucht sicher jeden Menschen zu
beseligen; aber so der Mensch schon durchaus die Hölle dem Himmel vorzieht, so
vermag Er, der Allmächtige, ihn am Ende selbst nicht zu behindern, daß er nicht
hinabfahre in den ewigen Pfuhl – bei welcher Gelegenheit dann sicher auch der
Allweiseste nichts anderes als ,Si vis decipi, ergo fiat!‘ sagen würde.
[BM.01_014,11] Damit will ich auch nicht im geringsten mich vor dir etwa
beschönigen und meine Schuld geringer machen, als sie ist, sondern dir nur
sagen, daß man nun auf der Welt mehr ein genötigter als ein freiwilliger Sünder
ist, worauf der Herr doch sicher auch eine gnädige Rücksicht nehmen wird.
[BM.01_014,12] Ich meine nicht, als sollte Er mir meine große Schuld darum für
geringer ansetzen, als sie in Wirklichkeit ist, sondern eine Berücksichtigung
möchte ich darum, weil die Welt wirklich Welt ist, mit der selbst beim besten
Willen nichts zu machen ist; und weil man am Ende auch den guten Willen
verlieren muß, ihr zu helfen, da man zu klar einsieht, daß man ihr gar nicht
helfen kann.
[BM.01_014,13] Mein geliebtester Retter, sei mir darob nicht gram; denn ich
redete nun, wie ich's bisher verstand und einsah. Du wirst es sicher besser
verstehen und wirst mich darüber belehren; denn ich habe aus deinen Worten
entnommen, daß du voll wahrer, göttlicher Weisheit bist und mir eine rechte
Auskunft geben wirst, was ich zu machen habe, um wenigstens nur der Hölle zu
entgehen.
[BM.01_014,14] Dazu gebe ich dir auch noch die Versicherung, daß ich deinem
Wunsche nach meinem früheren Führer von ganzem Herzen vergebe! Denn ich war ja
auch nur darum ärgerlich auf ihn, da ich bis jetzt noch nicht innewerden kann,
was er mit mir für einen eigentlichen Plan hatte! Er ließ es zwar wohl sehr
unbestimmt durchleuchten, was er mit mir vorhaben könnte; aber dieses überlange
Verlassen meiner Person von seiner Seite mußte mich am Ende über ihn doch
ärgerlich machen! Aber nun ist alles vorbei, und so er jetzt herkäme, würde ich
ihm deinetwegen augenblicklich um den Hals fallen und ihn abküssen wie ein Sohn
seinen lange nicht gesehenen Vater!“
15. Kapitel – Des göttlichen Schiffsmannes Bußpredigt an Bischof Martin.
[BM.01_015,01] Nun rede wieder Ich als der Schiffsmann: „Höre mich nun an und
merke genau, was Ich dir sagen werde!
[BM.01_015,02] Siehe, wohl weiß Ich, wie die Welt beschaffen ist, weil Ich es
auch weiß, wie sie zu allen Zeiten beschaffen war. Denn wäre die Welt nicht arg
oder wenigstens nur manchmal besser als ein anderes Mal, so hätte sie den Herrn
der Herrlichkeit nicht gekreuzigt! Da ihr großböser Mutwille aber schon solches
tat am grünen Holze, um wieviel weniger wird er des dürren Reisigs schonen!
Daher gilt für die Welt ein für alle Male das, was aus dem Munde des Herrn im
Evangelium geschrieben steht und lautet:
[BM.01_015,03] In diesen Tagen – d.h. in der Zeit der Welt – braucht das
Himmelreich Gewalt; nur die werden es besitzen, die es mit Gewalt an sich
reißen! Eine solche moralische Gewalt aber, Freund, hast du dem Himmelreiche
wohl nie angetan. Darum darfst du die Welt eben auch nicht zu sehr anklagen,
indem Meines höchst klaren Wissens du es zu allen Zeiten bei weitem lieber mit
der Welt als irgend mit dem Geiste gehalten hast! Denn in diesem Punkte warst du
eben einer der Hauptgegner aller geistigen Aufklärung, ein Feind der
Protestanten und verfolgtest sie ob der vermeintlichen Ketzerei mit Haß und
bitterstem Ingrimm!
[BM.01_015,04] Bei dir hieß es wirklich nie: Si mundus vult decipi!, sondern
ohne Gnade und Pardon: Mundus decipi debet! – und das sine exceptione! Ich aber
sage dir, daß die Welt nirgends schlechter ist als gerade in deiner und zumeist
in deinesgleichen Sphäre! Ihr seid zu allen Zeiten die größten Feinde des
Lichtes gewesen, und es gab Zeiten, wo ihr jedem nur um ein Haar heller
Denkenden und Sehenden Scheiterhaufen errichtet habt!
[BM.01_015,05] Nicht die Fürsten der Welt suchten die Finsternis bei ihren
Völkern auszubreiten, sondern ihr waret es, die ihr die Fürsten selbst in den
Bannfluch legtet, so sie es wagten, etwas heller zu denken, als es eurer
finstersten, hierarchischen, tyrannischesten Despotie genehm war! Wenn nun
Fürsten selber finster sind hie und da, so sind sie sogestaltig euer Werk; aber
ihr waret nie ein Werk der Fürsten, sondern jetzt wie zu allen Zeiten euer
eigenes!
[BM.01_015,06] Daß es nun etwas schwerer ginge in manchem Lande, das vom Lichte
von A bis Z keine Ahnung mehr hat, das reine Licht Gottes einzuführen, das weiß
Ich; aber wer trägt daran die Schuld? Siehe, niemand sonst als ihr selbst!
[BM.01_015,07] Wer hieß euch je Götzentempel und barste Götzenaltäre errichten?
Wer hat euren lateinischen sogenannten Gottesdienst angeordnet? Wer hat die
Ablässe erfunden, wer die Schrift Gottes verbannt und an deren Statt die
absurdesten und lügenhaften Legenden der sogenannten Heiligen eingeführt, wer
die Reliquien, wer die Millionen von allerlei heiligen Bildern und
Schnitzwerken? – Siehe, niemand anderer, kein Kaiser und kein Fürst, sondern
ihr! Ihr allein waret zu allen Zeiten die Werkmeister der allerdicksten
Finsternis, um darinnen allerlei, groß und klein, zu fangen für euer Zepter!
[BM.01_015,08] Die Fürsten sind zumeist voll frommen Glaubens und gehorsam eurer
Lehre; sage mir, was hattest aber du, der du doch in der Schrift bewandert
warst, für einen Glauben? Und wem gehorchtest du wohl? Wieviel hast du wohl
gebetet, ohne dafür bezahlt zu sein?
[BM.01_015,09] Sage, kannst du wohl bei Gott nach all dem irgendeine
Berücksichtigung erwarten, indem die Welt nicht dich, sondern nur du die Welt in
deinem Bezirke um vieles schlechter gemacht hast, als sie ehedem war?
[BM.01_015,10] Ich sage dir aber: Was das Märtyrertum betrifft, das du angeführt
hast, so hättest du dich tausendmal eher aus herrschsüchtiger Liebe zur Nacht
ans Kreuz schlagen lassen, als nur einmal fürs reine Gotteslicht! So hättest du
auch von den Fürsten wenig zu besorgen gehabt, wenn du das Licht hättest
verkündigen lassen, und noch weniger von ihren Aufsehern. Denn Ich weiß es nur
zu gut, wie du den Fürsten widerstandest, so sie sich gegen deine unsinnigsten,
allen Menschen- und Bruderwert verachtenden und verdammenden Forderungen
sträubten!
[BM.01_015,11] Siehe, so sind Mir auch wenig Beispiele bekannt, daß Fürsten
wahrhaft helle Priester, die der Gotteslehre rein oblagen, ins Loch steckten
oder gar – was von dir eine grobe Anschuldigung ist – in die Geisterwelt
expedierten. Wohl aber sind mir eine ungeheure Zahl Beispiele bekannt, daß nur
ihr das an jenen tatet, die es gewagt haben, reiner nach dem Worte Gottes zu
leben!
[BM.01_015,12] Wer da klug ist wie eine Schlange und dabei sanft wie eine Taube
und wandelt also des Herrn Wege: meinst du wohl, daß der alte Gott schwächer
geworden ist, als Er zu den Zeiten der Apostel war, und somit jenem nicht mehr
zu helfen vermöchte, wenn er von der Welt bedräut wird?
[BM.01_015,13] O sieh, Ich könnte dir nebst Luther noch eine große Menge Brüder
anführen, die in einer allerfinstersten Zeit es dennoch gewagt haben, das reine
Gotteswort vor aller Welt zu bekennen. Und siehe, die Fürsten der Welt haben
keinem den Kopf vom Leibe getrennt; wohl aber ging's nur dem schlecht, der
reineren Geistes in eure Hände geriet!
[BM.01_015,14] Du wirst nun hoffentlich einsehen, daß hier, wo nichts als die
reinste Wahrheit, mit der ewigen Liebe geeint, nur gilt, mit all deinen
Entschuldigungen nichts erreicht wird – außer mit der alleinigen Mea quam maxima
culpa! Das ist allein recht, alles andere gilt vor dem Herrn nichts! Denn das
wirst du wohl zugeben, daß Gott die Welt in ihren kleinsten Fibern besser kennt
von Ewigkeit her, als du sie je erkennen wirst. Darum wäre es auch der größte
Unsinn, so du Gott dem Herrn zu deiner Entschuldigung beschreiben wolltest, wie
sie ist; obschon du sagst, daß du das nicht zu deiner Entschuldigung sagst,
sondern nur, daß der Herr mit dir eine Rücksicht nehmen solle – ohne dabei im
geringsten zu bedenken, daß du selbst ein Hauptweltschlechtermacher warst!
[BM.01_015,15] Inwieweit du als ein Weltgefangener Rücksicht verdienst, wird sie
dir nicht um ein Haar entzogen werden; aber in allem dem, was du ihr nun
anwirfst, nicht die allergeringste! Was die Welt dir schuldet vor Gott, das wird
mit einer kleinen Rechnung abgetan sein. Aber deine Schuld wird so kurz nicht
ablaufen, außer du bekennst sie selbst reumütigst und bekennst auch, daß nie du
– der du allzeit schlecht bist und warst –, sondern allein nur der Herr alles
wieder gutmachen und dir vergeben kann deine Schuld.
[BM.01_015,16] Du hast wohl eine große Furcht vor der Hölle, weil du dich in
deinem Gewissen ihrer wert fühlst und meinst, Gott werde dich da hineinwerfen
wie einen Stein in einen Abgrund. Du bedenkst aber nicht, daß du nur deine
eingebildete Hölle fürchtest, aber an der wirklichen ein großes Wohlgefallen
hast und nicht heraus willst in der Fülle!
[BM.01_015,17] Siehe, alles, was du bisher noch gedacht hast, war mehr oder
weniger Hölle im eigentlichsten Sinn! Denn wo nur noch ein Fünklein Selbstsucht
herausschaut und Eigendünkel und Beschuldigung anderer, da ist Hölle; wo der
fleischliche Sinn noch nicht freiwillig verbannt wurde, da ist noch Hölle! Bei
dir aber haftet das alles noch; somit bist du noch sehr stark in der Hölle! –
Siehe, wie eitel da deine Furcht ist!
[BM.01_015,18] Der Herr aber, der Sich aller Wesen erbarmt, will dich daraus
erretten – und nicht nach deiner römischen Maxime noch tiefer hineinverdammen!
Daher sage fürder auch nicht vom Herrn, daß Er den durchaus in die Hölle
Fahrenwollenden sage: ,So du denn durchaus zur Hölle willst, so sei's!‘
[BM.01_015,19] Siehe, das ist eine sehr frevelnde Behauptung von dir! Du bist
eben einer, der schon gar lange der Hölle nicht entsagen will; wann aber hast du
von seiten des Herrn ein solches Gericht über dich vernommen?
[BM.01_015,20] Bedenke diese Meine Worte wohl und kehre dich danach in dir, so
will Ich dies Schifflein also lenken, daß es dich aus deiner Hölle in das Reich
des Lebens bringen soll. Es sei!“
16. Kapitel – Bischof Martins Schuldbekenntnis. Martins Entschluß, bei dem
Lotsen, seinem Retter, zu bleiben. Der Engel Petrus als Dritter im Bunde.
[BM.01_016,01] Spricht nun unser Mann: „O lieber Freund, ich muß es dir leider
offen gestehen, daß es mit mir gerade so steht, wie du es mir nun ohne
Vorenthalt meiner Sünden kundgetan hast. Und ich sehe es ein, daß ich dagegen
auch nicht die geringste Entschuldigung vorbringen kann; denn alles trifft mich
rein ganz allein! Aber nur das möchte ich noch von dir erfahren, wohin du mich
nun bringen wirst, und was wird mein ewiges Los sein?“
[BM.01_016,02] Spricht der Schiffsmann: „Frage dein Herz, deine Liebe! Was sagt
diese? Was ist ihre Sehnsucht? Hat dir diese aus deinem Leben heraus ganz
bestimmt geantwortet, so hast du dann schon in dir selbst dein Los entschieden:
denn jeder wird von seiner eigenen Liebe gerichtet!“
[BM.01_016,03] Spricht der Bischof: „O Freund, so ich nach meiner Liebe
gerichtet würde, da käme ich Gott weiß wohin! Denn in mir geht es noch gerade so
zu wie im Gemüte eines modesüchtigen Weibes, das da in einem irdischen
Modeverkaufsgewölbe vor sich hundert Modestoffe hin und her mustert und am Ende
nicht weiß, was es nehmen soll!
[BM.01_016,04] Meinem innersten Gefühle nach möchte ich bei Gott, meinem
Schöpfer sein. Aber da treten mir meine vielen und großen Sünden in den Weg, und
ich sehe dann die Realisierung solches meines Wunsches für rein unmöglich an!
[BM.01_016,05] Darauf denke ich wieder an jene schon diesweltlichen
abenteuerlichen Schafe und Lämmer; mit einem solchen Schafe wäre es gerade auch
nicht unangenehm in Ewigkeit zu leben! Aber da sagt mir wieder ein innerer
Mensch: ,So etwas wird dich Gott ewig nie näherbringen, sondern dich stets mehr
nur von Ihm entfernen!‘, – und damit sinkt auch dieser mein Lieblingsgedanke ins
Grundlose dieses Meeres!
[BM.01_016,06] Wieder kommt mir der Gedanke, irgendwo in einem Winkel dieser
ewigen Geisterwelt als ein schlichtester Landmann zu leben und nur wenigstens
einmal die Gnade zu besitzen, Jesus zu sehen, wenn auch nur auf einige wenige
Augenblicke! Aber da ermahnt mich wieder mein loses Gewissen und spricht:
,Dessen bist du ewig nicht wert!‘, – und ich sinke wieder zurück in mein mit
allen Sünden behaftetes Nichts vor Ihm, dem Allerheiligsten!
[BM.01_016,07] Nur ein Gedanke kommt mir am wenigsten schwer und unmöglich zu
realisieren vor, und ich muß gestehen, daß das nun meine Lieblingsidee ist:
nämlich bei dir, wo du auch sein magst, die ganze Ewigkeit zu sein und
zuzubringen! Obschon ich auf der Welt diejenigen am wenigsten leiden konnte, die
es wagten, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, so habe ich aber dich eben
dadurch nun über alles liebgewonnen, weil du mir die Wahrheit wie ein
allerweisester, aber auch wie ein allersanftester Richter offen ins Gesicht
gesagt hast. Bei dieser Lieblingsidee aber werde ich auch verbleiben in
Ewigkeit!“
[BM.01_016,08] Spreche Ich: „Nun gut, wenn das deine Hauptliebe ist, von der du
dich in der Folge aber noch tiefer überzeugen mußt, so kann sie sogleich
ausgeführt werden! Siehe, wir sind nun nicht mehr fern von einem Ufer und
ebensowenig ferne von Meiner Wohnhütte. Mein Geschäft kennst du nun schon, daß
ich ein Lotse bin im vollsten Sinne des Worts?! Du wirst nun dies Geschäft mit
Mir teilen; den Lohn für unsere Bemühungen wird uns unser Grundstückchen
bringen, das wir in geschäftsfreien Augenblicken nach Möglichkeit emsig
bearbeiten wollen. Und sieh dich um, neben dir wirst du noch jemanden finden,
der da getreu mit uns halten wird!“
[BM.01_016,09] Der Bischof sieht sich auf dieser Seefahrt zum erstenmal um und
erkennt sogleich den Engel Petrus; er fällt ihm um den Hals und bittet ihn um
Vergebung ob der angetanen Schmähungen.
[BM.01_016,10] Petrus erwidert die gleiche Liebe und preist den Bischof
glücklich, daß sein Herz diese Wahl getroffen hat aus seinem innersten
Herzengrunde.
[BM.01_016,11] Das Schiffchen stößt nun ans Ufer, wo es an einem Stock befestigt
wird, und wir alle drei gehen in die Hütte.
17. Kapitel – In der Hätte des Lotsen. Das gesegnete Morgenmahl und Martins
Dank. Die neue Arbeit Martins mit den Fischern.
[BM.01_017,01] Bisher aber war es gleich stets mehr dunkel als hell. In der
Hütte fing die Dunkelheit jedoch mehr und mehr an sich zu verlieren, und eine
wohltuende Dämmerung verscheuchte nach und nach stets mehr die frühere Nacht –
natürlich vor den Augen des Bischofs nur, denn vor Meinen (des Herrn) und des
Engels Petrus Augen war es stets der allerhellste, ewige, unvergängliche und
unveränderliche Tag!
[BM.01_017,02] Daß es aber nun auch vor den Augen des Bischofs zu dämmern
anfing, geschah aus dem Grunde, weil in seinem Innersten die Liebe aufzutauchen
begann, nachdem durch Meine Gnade der Bischof eine große Menge irdischen
Unflates freiwillig aus sich hinausgeschafft hatte und noch fortschafft.
[BM.01_017,03] „Was geschieht aber nun in der Hütte?“, werdet ihr fragen. – Nur
Geduld, sogleich wird nun von Mir die Dienstordnung vorgetragen werden, die der
Bischof von nun an zu befolgen haben wird, nachdem er zuvor sich ein wenig mit
Meinem Lebensbrote wird gestärkt haben. Denn ihr sehet leicht ein, daß der Mann
sicher sehr hungrig sein muß, indem er durch sein ganzes Leben auf der Welt, wie
auch in der sehr kurzen Periode von sieben natürlichen Tagen (wennschon
anscheinend eine undenklich lange Dauer) noch nie an diesem wahrsten Nährtische
gegessen hat und nie verkostet das Brot des Lebens. Daher müssen wir ihn nun
schon, wie ihr zu sagen pflegt, ein bißchen dreinhauen lassen, d.h. so recht den
ersten Heißhunger stillen lassen.
[BM.01_017,04] Seht, wie er ein Stück Brot ums andere verzehrt, und wie er dabei
ganz zu Tränen gerührt ist und nun spricht:
[BM.01_017,05] (Bischof Martin:) „O du mein allerbester Freund und nunmaliger
Dienstherr für ewig, wie überaus gut ist es bei dir sein! Nimm vorerst meinen
inbrünstigen Dank hin, und trage selben in deinem reinen Herzen auch Gott dem
Herrn vor. Denn meine Zunge ist ewig nicht wert, dem Herrn ein Dankgebet
vorzutragen, indem ich doch ein viel zu großer und zu grober Sünder vor Ihm bin!
[BM.01_017,06] So, so; ach, das war gut! O der undenklichen Zeit meines Hungers,
meines Durstes und meiner ununterbrochenen Nacht! O Dank, Dank dir, größter Dank
Gott, dem Herrn, da Er es zugelassen hat, daß du mich rettetest und nun auch
sättigtest, daß mir nun so wohl ist, als wäre ich frisch geboren! – Und siehe,
siehe, es wird auch ganz hell wie an einem Frühlingsmorgen, so sich die Sonne
dem Aufgange naht! O wie herrlich ist es nun hier!
[BM.01_017,07] O liebster Freund und auch du, mein alter und erster Führer, da
ich nun gesättigt bin zur Übergenüge, so lasset mich nun an irgendeine Arbeit,
auf daß ich euch – wennschon in einem höchst verjüngten Maße gegen eure
übergroße Wohltat an mir – durch meiner Hände Fleiß meine große Liebe zu euch an
den Tag legen kann!“
[BM.01_017,08] Nun rede Ich: „Komme nur mit uns aus der Hütte, und wir werden
sogleich Arbeit in schwerer Menge bekommen! Sieh, wir sind nun schon wieder im
Freien und am Ufer des Meeres! Dort sind die Fischernetze: gehe mit dem Bruder
hin, und bringe sie hierher in das Schiff; denn das Meer ist heute ruhig, und
wir werden einen guten Fang tun!“
[BM.01_017,09] Die beiden bringen eiligst drei gute Tauchbären herbei und ein
Schleppnetz, schaffen es sogleich ins Schiff, worauf der Bischof voll Freuden
spricht: „Ach, das ist wohl eine lustige Arbeit! So gefällt mir das Meer; aber
als ich dabei an dessen lockerstem Ufer meines Untergangs harrte, da sah es ganz
schrecklich anders aus!
[BM.01_017,10] Aber gibt es denn hier im Geisterreiche auch Fische? – Wahrlich,
davon hatte mir auf der Welt nie etwas geträumt!“
[BM.01_017,11] Spreche Ich: „Und was für Fische! Es wird dir bei der Arbeit noch
ganz sonderlich zumute werden, besonders da es hier unsere Aufgabe ist, dieses
Meer voll auszufischen. Doch darum darfst du deinen Mut nicht sinken lassen, es
wird alles gehen. Aber, wie gesagt, es gehört Geduld und Mut und große männliche
Festigkeit dazu!
[BM.01_017,12] Es werden dabei recht viele Gefahren vorkommen, und du wirst dich
nicht selten für verloren halten. Dann aber sieh auf Mich, und tue, was Ich tue,
so wird alles gut und zu unserm großen Vorteil ablaufen! – Denn jedes gute Ding
braucht Mühe, Geduld und feste Arbeit! – Löset nun das Schiff vom Stock, und wir
wollen sogleich in die hohe See hinausstoßen!“
[BM.01_017,13] Die beiden lösen das Schiff ab und ein von Morgen her wehender
Wind treibt es pfeilschnell in die hohe See hinaus.
[BM.01_017,14] Im Verlaufe der Fahrt spricht wieder der Bischof: „O tausend,
tausend! Aber Freunde, da muß es schon ganz entsetzlich tief sein, denn das
Wasser sieht ja vor lauter Tiefe nahezu kohlschwarz aus! Wenn da das Schiff
scheitern möchte, wie erginge es uns dann?!“
18. Kapitel – Auf der Fischjagd.
[BM.01_018,01] Spreche Ich: „Freund, nur keine Furcht, denn wir sind guter Dinge
wegen auf dem Wasser, und da mag es tief sein, wie es wolle, so haben wir nichts
zu befürchten! Nun, aufgepaßt, das Schleppnetz hinausgeworfen! Dort, wo das
Wasser stark wogt, ist ein ungeheurer Fisch! Nur behende, daß er uns nicht
entgeht!“
[BM.01_018,02] Die beiden werfen das Netz hinaus, und kaum hat es sich im Wasser
ausgebreitet, fährt auch schon ein sichtliches Ungeheuer von einem Fisch hinein.
Und da es das starke Netz nicht durchbrechen kann, so reißt es das Schiff
pfeilschnell mit sich fort auf der Oberfläche und macht keine Rast, sondern
wütender und wütender schleppt es das Schiff mit sich fort.
[BM.01_018,03] Der Bischof, darob voll Entsetzen, ruft: „O um Gottes willen, was
jetzt?! Nun sind wir offenbar verloren! Das Ungeheuer füllt das Netz gerade kaum
mit seinem halben Kopfe aus! Der Leib reicht Gott weiß wie weit noch ins Wasser
hinein; es ist sicher dreimal so groß als unser Schiff! Wenn wir's auch erlegen
könnten, wohin möchten wir dann damit?! – Oh, oh, immer wütender und schneller
rennt es mit unserm Fahrzeuge zum ... O-Gott-steh-uns-bei!“
[BM.01_018,04] Nun redet Petrus: „Sei nur nicht kindisch! Laß rennen den Fisch,
wohin und wie lange es ihn freut! Solange er den Kopf im Netze hat, geht er
nicht unter, daß weiß ich als ein alter Fischer. Und wenn er sich wird zur
Genüge ausgerannt haben, da wird er schon ruhiger werden, und wir werden dann
ein leichtes haben, uns seiner zu bemächtigen und ihn ans Ufer schleppen! Denn
siehe dorthin – der Fisch rennt gerade einem Ufer zu; da wird es dann schon
wohlfeiler gehen mit seinem Davonrennen!
[BM.01_018,05] Und hast du denn vergessen, was da unser aller hochgeliebter
Meister geredet hat? – Siehe, Er ist ruhig, daher seien es auch wir! Wenn es
aber heißen wird: ,Nun Mir nach, die Hände ans Werk!‘, dann erst heißt es sich
rühren, wie Er es anordnet. Denn über Ihn gibt es keinen Meister in der
Fischerkunst! Jetzt aber heißt es: Aufgepaßt, der Moment unserer Tätigkeit wird
sogleich eintreten!“
[BM.01_018,06] Nun rede Ich: „Petrus, nimm du den großen Haken und stoße ihn
kräftig hinter die Kiefer! Und du, Freund Martin, springe nun behende ans Ufer,
ergreife kräftigst das Schiffstau und ziehe es ans Ufer! Befestige es schnell an
den vorhandenen Stock, springe dann wieder ins Schiff herein, nimm den zweiten
Haken und tue, was Petrus tat! Denn siehe, das Ungeheuer hat die rechte
Mattigkeit erlangt, und wir werden seiner nun leicht Meister! Also nur behende!“
[BM.01_018,07] Der Bischof Martin tut eiligst, wie ihm geboten wurde. Das Schiff
ist befestigt, und unser Martin ist schnell wieder im Schiff. Er ergreift den
Haken und stößt ihn scharf und stark hinter die andere Kieferlappe, und so ist
das Ungeheuer nun wohl befestigt.
[BM.01_018,08] Und nun befiehlt der Herr: „Gehet hinaus ans Ufer, bringt das
große Tau, an dem ein schwerer und scharfer Wurfhaken befestigt ist; dort nahe
an der Hütte ist es schon in Bereitschaft! Ich werde unterdessen mit den beiden
Hakenstangen den Fisch näher ans Ufer hin bringen, wo ihr dann äußerst schnell
den Wurfhaken auf den Kopf des Tieres schleudern müßt. Und du, Freund Martin,
darfst nicht erschrecken, so der Fisch dabei einige mächtige Bewegungen machen
wird, die dir freilich ganz grauenerregend vorkommen werden. Aber nur Mut und
Beharrlichkeit – dann geht alles! Also nun Mir die beiden Stangen in die Hände
gegeben und ihr eilet an euer Werk!“
[BM.01_018,09] Alles geschieht pünktlich. Aber als dem Fisch der schwere und
scharfe Wurfhaken ins Lebendige dringt, fängt er an, ganz schrecklich (für den
Bischof Martin) sich zu winden und zu bäumen. Er treibt dadurch mächtige Fluten
ans Ufer, so daß manchmal unser neuer Fischer Martin ganz vom Wasser zugedeckt
wird, was ihn um so mehr geniert, weil manchmal der tausendzähnige Rachen des
Fisches ihm beim Halten des Taues sehr nahe kommt und zugleich stark nach ihm
schnappt. Er ist in großer Angst, aber nun mehr um Mich als um sich, indem er
sieht, wie der Fisch mit seinem mächtigen Schwanze das Schiff schon einige Male
ganz übers Wasser emporhob und dann wieder niederschleuderte.
[BM.01_018,10] Petrus aber spricht zu ihm: „Halte nur fest, Bruder! Nimm alle
deine Kräfte zusammen, sonst reißt uns das furchtbare Ungeheuer in die
Meerestiefe hinein, wo es uns eben nicht am besten erginge!“
[BM.01_018,11] Spricht der Bischof Martin: „O Bruder, wenn ich nur hinter dir
wäre! Die Bestie schnappt fortwährend nach mir, und unser Meister schiebt es
noch dazu völlig mir unter die Nase, wo dies schrecklichste Untier gerade vor
meinem Kopfe in einem fort seinen schrecklichen Rachen drei gute Klafter weit
aufreißt und dann wieder so gewaltig zusperrt, daß es mir dadurch wenigstens
hundert Eimer Wasser ins Gesicht speit!
[BM.01_018,12] Ah, das ist eine verzweifelt schwere und sehr gefahrvolle Arbeit!
Diese Arbeit wäre ja für Galeerensklaven zu schlecht! – Oh oh, m-m-m – brrr,
brrr, – ah – ah, – schon wieder eine volle Ladung Wasser im Gesicht! Ich werde
noch ersaufen, so mich die Bestie noch einige Male anspeien wird! Eh – eh, der
Rachen geht schon wieder auf! Nein, ich halte es nimmer aus! Das Wasser ist so
entsetzlich kalt, daß mich nun schon so friert, als wenn ich mutternackt auf dem
Eise läge! Jetzt wird er gleich wieder zuschnappen!“
[BM.01_018,13] Spricht Petrus: „Da nimm die Spreize und spreize ihm den Rachen
auf, so wird er nimmer zuschnappen können!“
[BM.01_018,14] Spricht Bischof Martin: „Nur her damit! – Ist schon gehörig
darinnen! – Oho, du gewaltiges Vieh, jetzt wird dein Schnappen wohl einmal ein
Ende haben? Das war wirklich ein guter Gedanke von dir; nur hättest du ihn um
ein paar Dutzend Schnapper früher fassen sollen, da wäre ich nicht so jämmerlich
durchnäßt worden! Aber so ist es nun auch gut.“
[BM.01_018,15] Nun rede Ich vom Schiffe: „Gut so; befestigt nun auch das
Hakentau an einem Stock und kommt dann schnell wieder ins Schiff! Das ist schon
unser Fisch, der geht uns nimmer durch! Wir aber wollen unser Schiff sogleich
wieder flott machen und in die hohe See hinausstoßen, vielleicht machen wir in
kurzer Fristung noch einen ansehnlicheren Fang?“
[BM.01_018,16] Die beiden tun schnell, was ihnen befohlen wird. Bischof Martin
kratzt sich hinter den Ohren zwar – denn er hätte gewisserart für einmal schon
genug; dessenungeachtet aber tut er dennoch schnell, was von Mir geboten wurde.
[BM.01_018,17] Nun sind schon wieder beide im Schiffe, das jetzt wieder
pfeilschnell davoneilt.
[BM.01_018,18] Ich aber mache zu Bischof Martin unterwegs die Bemerkung:
„Freund, du mußt dir hier schon angewöhnen, stets unverdrossen zu sein. Denn wer
etwas mürrisch an die Arbeit geht, dem glückt selten ein Werk! Daher Geduld, Mut
und Ausharrung; die Freude kommt erst nach vollbrachter Arbeit!
[BM.01_018,19] Ja, mein lieber Freund, hier im Geisterreiche ist es nichts mit
deinem oft auf der Welt herabgeplärrten: Requiescant in pace!, sondern:
Arbeitet, dieweil es noch Tag ist! Genug, so man in der Nacht ruht, in der
niemand arbeiten kann! Als du Nacht hattest, warst du auch arbeitslos; da aber
nun auch dir der Tag angebrochen ist, so mußt du auch arbeiten – denn das
Gottesreich ist ein Arbeitsreich und kein Faulenzer- und Brevierbeterreich!
Daher nur frischen Mutes!
[BM.01_018,20] Seht dorthin gegen Mitternacht, wo noch eine starke Dämmerung auf
dem Gewässer rastet! Dort wogt das Meer stark, doch ist kein Wind weder hier
noch dort; sonach kann der Grund solch einer wogenden Bewegung kein anderer sein
als irgendein mächtig großer Fisch! Daher hurtig hingesteuert und alle Hände ans
Werk gelegt; dieser Fisch soll hauptsächlich unsere Mühe lohnen!“
[BM.01_018,21] Bischof Martin spricht: „O Freund, der wird uns wohl etwa mit der
Hilfe des Gott-steh-uns-bei den Garaus machen. Aber wozu braucht man denn hier
im Geisterreiche so viele und so närrisch große Fische? Gibt es denn auch hier
Fasten, wo man nur Fischfleisch essen darf? Oder wird das Fleisch und das Fett
solcher Fische etwa auch hier weiterhin versendet und verhandelt?“
[BM.01_018,22] Rede Ich: „Jetzt nur schnell jeder von euch ein Schwert in die
Hand; denn das ist eine zehnköpfige Hydra! Das Ungeheuer hat uns gesehen und
schießt schnurstracks auf uns zu. Du, Petrus, weißt schon, wie derlei Fische
gefangen werden; du, Bischof Martin, aber tue, was der Bruder tun wird! Wie
diese zehnköpfige Hydra ihre Schlangenköpfe über Bord hereinbeugen wird, dann
nur hurtig gemäht, bis alle zehn Köpfe von dem langen Schlangenleibe getrennt
sind; das andere werde dann schon Ich machen! Das Untier ist hier, also nun nur
zugehauen!“
[BM.01_018,23] Seht, Petrus putzt mit seinem scharfen Schwerte der dem Bischof
Martin entsetzliches Grauen erregenden Hydra einen Kopf um den andern von ihrem
schwarzen, panzerartigen Schuppenleibe, oder vielmehr vom Halse, da vom Leibe
auch zehn Hälse ausgehen, auf deren jedem ein Kopf gewachsen ist. Aber unser
Bischof Martin weiß nicht recht, wo er hinhauen soll, um einen Kopf zu treffen,
da er vor lauter Angst beinahe nichts sieht und die Augen mehr zu als offen
hält.
[BM.01_018,24] Nun aber hat Petrus gerade den zehnten Kopf von eben auch dem
zehnten Halse getrennt! Ströme von Blut entstürzen dem Ungeheuer. Das Meer ist
weit herum mit Blut gefärbt und wogt für den Bischof überaus stark ob des
gewaltigen Wütens des nun völlig enthaupteten Untieres, das fürs Auge unseres
Bischof Martin eine Länge von 111 Klaftern mißt und ebensoviel im Umfange.
[BM.01_018,25] Nun rede Ich wieder zu den zweien: „Petrus, lege nun das Schwert
wieder an seinen Ort und reiche Mir den großen Stanghaken, damit Ich ihn in den
Bauch des Ungeheuers stoße und dasselbe herziehe! Du, Martin, aber ergreife das
Steuerruder und stecke es in den siebenten Grad des Aufgangs, und wir werden mit
diesem ausgezeichneten Fange bald wieder am Ufer sein!“
[BM.01_018,26] Alles geschieht nach der größten Ordnung, und das Schiff, die
Beute mit sich herziehend, eilt auch schon wieder mit Wurfschnelle dem bekannten
Ufer zu.
[BM.01_018,27] Da aber nun das Schiff dem Ufer schon sehr nahe ist, späht
Bischof Martin sorglichst, was etwa der frühere große Fisch noch macht. Aber er
erstaunt nicht wenig, als er vom ganzen Fische keine Spur mehr findet, und
spricht sogleich:
[BM.01_018,28] „Aber, aber, aber, – was ist denn das?! Da haben wir's – jetzt
hat uns dieses zweite Ungeheuer beinahe alle Lebenskräfte entrissen, bis wir's
erlegt und gefangengenommen haben und hierher geschleppt; während solcher wahren
Millionmühe aber ist der erste Fang zum Plunder gegangen! Mir ist es wohl
vorgekommen, als hätten wir es ein wenig zu locker befestigt!
[BM.01_018,29] Ei, ei, das ist doch fatal! Soviel Mühe hat uns die Bestie
gemacht, und jetzt haben wir erst nichts für alle unsere Gefahr und Mühe! Liebe
Freunde, diese Beute müssen wir schon etwas mehr befestigen, sonst geht sie uns
auch zum Plunder, so wir etwa wieder auf einen neuen Fang ausgehen werden!“
[BM.01_018,30] Spricht Petrus: „Sorge dich um nichts – der erste Fisch ist schon
versorgt! Denn hier gibt es noch mehr Arbeiter, die schon wissen, was sie zu tun
haben, so wir ihnen einen Fang ans Ufer stellen! Nun aber, da wir uns bereits am
Ufer befinden, springe schnell hinaus und mache das Schiff fest. Ich und der
Herr Meister aber werden die große Beute ans Ufer ziehen!“
[BM.01_018,31] Bischof Martin, etwas verblüfft, tut sogleich, was ihm Petrus
sagt; wir aber tun vor seinen Augen, was ihm Petrus sagte.
[BM.01_018,32] Die zweite Beute ist nun auch befestigt, und Ich spreche: „Da
dieser Fang so gelungen ist, so haben wir damit eine Hauptarbeit beendet; daher
laßt uns nun hier am Ufer mit den Tauchbären die kleineren Fische aus dem Wasser
heben und ans Ufer werfen! Denn die zwei größten Ungeheuer haben wir erlegt, und
es wird dergleichen nicht mehr geben in diesem Gewässer; darum gehen wir nun
unverdrossen an diese leichtere Arbeit! Treten wir nur wieder ins Schiff und
versuchen, wie es mit dem Kleinfischfang gehen wird!“
[BM.01_018,33] So geschieht, wie Ich angeordnet habe. Die beiden stoßen die
Tauchbären ins Wasser und Ich leite das Schiff. Die Arbeit geht gut vonstatten:
jeder Zug füllt die Tauchbären mit allerlei Fischen, die die beiden behende ans
Ufer hinausschleudern; die Fische aber, so sie das Ufer berühren, werden alsbald
zunichte. –
19. Kapitel – Bischof Martins Bedenken über die vergebliche Arbeit – Petrus'
gute Erwiderung unter Hinweis auf die leeren, geistlosen Verrichtungen eines
römischen Bischofs.
[BM.01_019,01] Dieses Zunichtewerden der Fische fängt, je länger es dauert,
desto mehr den Bischof Martin zu genieren an, so daß er nun schon ärgerlich wird
und bei sich zu murmeln anfängt: „Ist aber das eine blitzdumme närrische Arbeit!
Ich bin schon beinahe ganz hin vor lauter Fischeherausheben und
Hin-ans-Ufer-Schleudern, und das alles für nichts und wieder nichts! Denn es
bleibt ja keiner: ein jeder vergeht wie die Butter an der Sonne! Das wird etwa
doch merkwürdig dumm sein? Nein, ist aber das eine extraordinär blitzdumme
Arbeit!
[BM.01_019,02] Ich muß doch einmal genauer nachsehen, wohin denn diese Fische so
schnell kommen! – Hm, hm, kann nichts bemerken! – Wieder ein Wurf von meinem
Kollegen, und nichts bleibt in diesem Reiche der Unvergänglichkeit! Eine schöne
Unvergänglichkeit – das! Auf der Erde bleibt von dem Dagewesenen wenigstens
nicht viel übrig; aber von gar nichts ist da keine Rede so wie hier, denn hier
bleibt von dem einmal Daseienden gar nichts zurück!
[BM.01_019,03] Ich habe mich schon so etwa auf einen heißen abgesottenen Lachs,
Stör oder sonst einen Fisch gefreut. Aber bei der alles verzehrenden Schärfe
dieser Geisterweltluft, die für die Fische sehr eingenommen zu sein scheint,
wird damit enorm wenig herausschauen! Ich habe zwar freilich noch eigentlich
keinen Hunger; aber ein ziemlich fühlbares Appetitchen wandelt mich dennoch an,
und der Gedanke an einen heiß abgesottenen Lachs macht mir den ganzen Mund
wässrig!
[BM.01_019,04] Es ist zwar hier um eine ganze Million besser, als da war mein
früherer Stand; aber diese luftige Fischerarbeit wird sich für die ganze
Ewigkeit auch nicht übel machen! Es ist auch merkwürdig, wie es hier schon lange
morgendämmert; aber von einer Sonne, die da aufgehen soll, kommt nichts zum
Vorschein!
[BM.01_019,05] Sonderbare Welt, sonderbares Sein! Man kann's nehmen und
betrachten, wie man's will, so ist's und bleibt's dumm! Diese meine einzigen
Freunde sind zwar sehr weise in ihren Worten, aber dafür desto dümmer im
Handeln! Man nehme nur diese ganz zwecklose Fischerei an! Was ist das doch für
eine läppisch-tolle Arbeit, und doch betreiben sie diese zwei, als wenn das Heil
der Ewigkeit davon abhinge! Aber was will ich machen? Was Besseres habe ich
nicht zu erwarten, und so muß es in Gott's Namen gut sein! Daher nur lustig
diese Luftfische herausgefischt; vielleicht wird nachher doch wieder etwas
anderes zum Vorscheine kommen!
[BM.01_019,06] Petrus fragt den Bischof Martin: „Was murmelst du denn so in dich
hinein? Bist etwa schon müde?“
[BM.01_019,07] Spricht Bischof Martin: „Müde, Freund, bin ich gerade nicht. Aber
ich muß dir offen gestehen, daß mir diese Arbeit denn doch ein bißchen spaßig
vorkommt, trotzdem ich mehr als überzeugt bin, daß du und besonders unser
Meister sehr weise Männer seid!
[BM.01_019,08] Schau, schau, – nun arbeiten wir schon eine ziemlich geraume Zeit
bloß für die Luft, oder noch besser für nichts! Der erste große Fisch ist beim
Plunder, und der zweite zehnköpfige? Ich seh' nichts mehr von ihm! Diese
Kleinfische werden von der Luft schon eher verzehrt, als sie noch den Boden
berühren! Frage: wozu ist solch eine leere Arbeit wohl gut?
[BM.01_019,09] Ich erkenne euch wohl als sehr weise Männer, und es wird diese
Arbeit wohl auch einen sehr weisen Zweck haben. Aber laßt mich doch auch ein
bißchen erfahren, warum wir diese anscheinend höchst leere Arbeit verrichten,
wozu das eigentlich gut ist oder sein wird!“
[BM.01_019,10] Spricht Petrus: „Schau, schau, lieber Freund und Bruder! Als du
auf der Welt ein Bischof warst, sage: wie viel noch leerere Arbeiten hast du
verrichtet? Hätte dich aber wohl jemand fragen dürfen, wozu sie in Wahrheit gut
wären und ob an ihnen wohl in Wirklichkeit etwas gelegen wäre – z.B. an der
Glockentaufe, Orgelweihe, an den verschiedenartigen sogenannten priesterlichen
Gewändern?
[BM.01_019,11] Welche Bedeutung und Kraft hätte die Impfel, der Mantel, der
Chorrock, die Stole, das Meßgewand, das Predigerhemd, das Quadratel und tausend
derlei Dinge mehr? Welche Kraft liegt etwa in den verschiedenartigsten
Mönchskutten? Warum ist ein und derselben Mariä Bild wundertätiger als das
andere? Warum ist der Florian fürs Feuer und warum Johann Nepomuk fürs Wasser,
da doch beide ins Wasser geworfen wurden: der eine in Oberösterreich bei Linz in
die Donau, der andere in Böhmen zu Prag in die Moldau?
[BM.01_019,12] Warum ist unter den vierzehn Nothelfern Jesus nicht auch
vorfindlich? Und warum wird in der heiligen Bitt-für-uns-Litanei von den
Menschen zuerst Gottes Barmherzigkeit angerufen, da sich nachher die Betenden
dennoch an die Heiligen um Fürbitte wenden? Warum wenden sie sich zuerst an Gott
und nachher erst an die Heiligen? Wollen sie etwa Gott bewegen, die Heiligen
anzuhören? Können sie aber gleich anfangs Gott bewegen, wozu rufen sie dann die
Heiligen an?
[BM.01_019,13] Warum wird im sogenannten Rosenkranze Maria zehnmal und Gott nur
einmal mit des Herrn Gebet angerufen? Warum sind in einer Kirche große, kleine,
hölzerne und metallene Kruzifixe im Überfluß vorhanden, und warum wenigstens
noch einmal soviel Marias in allen möglichen Formen?
[BM.01_019,14] Was ist zwischen einem feierlichen Amte und zwischen einer
gemeinen stillen Messe für den Geist für ein Unterschied? Wann hat Christus,
Petrus oder Paulus dieses, im Geldpreise verschieden hochstehende sogenannte
unblutige Opfer eingesetzt? Wie muß das Herz Gottes beschaffen sein, daß es ein
höchstes Wohlgefallen haben kann, Seinen Sohn täglich millionenmal abschlachten
zu sehen?
[BM.01_019,15] Schau, schau, du mein lieber Freund, eine Unzahl so ganz leerer
und vollkommen geistloser Verrichtungen vollführtest du in der Welt, ohne selbst
nur im geringsten daran zu glauben! Und doch ist dir bei solch leerer Fischerei
nie eingefallen, wenigstens dich selbst zu fragen: ,Wozu solch leere Arbeit?‘
Sie ist dir bezahlt worden, wirst du sagen! Gut, auch hier brauchst du nicht
umsonst arbeiten! Was willst du denn da noch mehr?
[BM.01_019,16] Ich aber sage dir, diese Arbeit ist bei weitem nicht so
gehaltlos, wie da war deine irdische! Darum murmle künftig nicht mehr in dich
hinein, sondern rede offen, was dich drückt, da werden wir mit unserer
Leerfischerei bald zu Ende sein! Aber so du noch lange so einen römischen
Geheimniskrämer machen wirst, werden wir auch noch lange zu fischen haben; und
der Fang wird noch lange so zunichte werden gleich unserer Belehrung in deinem
Herzen! – Verstehe das! Nun nimm wieder deinen Tauchbären zur Hand und arbeite
fortan unverdrossen!“
20. Kapitel – Die geistige Entsprechung der Fischjagd. Die Zusammensetzung der
Seele. Martins Entschuldigungen und des Herrn zurechtweisende Worte.
[BM.01_020,01] Der Bischof tut, wie ihm geraten ward, und spricht: „So, jetzt
ist mir schon wieder leichter, wenn ich nun ein bißchen weiß, warum ich etwas
tue und wozu so ein leerscheinendes Tun am Ende doch noch gut ist!
[BM.01_020,02] Soviel ich aus deinen Worten habe entziffern können, stellen
diese Fische meine Dummheiten vor: die großen meine Kardinal- und die kleineren
die Unzahl meiner geringeren Torheiten. Aber wie diese meine
verschiedenartigsten Lumpereien zu großen und kleinen Fischen dieses Meeres
geworden sind, das bringe ich nicht heraus!
[BM.01_020,03] Dieses Meer wird sicher von der Sündflut herstammen, deren
Gewässer auch die schwere Menge der menschlichen Todsünden in sich aufgenommen
hat, worunter sich auch die meinigen anticipando befunden haben? Auf diese Art
kann ich mir die Sache wohl ein wenig versinnlichen, aber anders geht es
durchaus nicht!
[BM.01_020,04] Warum sich die Sünden aber hier in diesem barsten Sündflutwasser
gerade als allerlei Fische reproduzieren, das natürlich geht über den äußerst
beschränkten Horizont meiner Erkenntnisse! Der Allmächtige aber, der dieses alte
Sündflutgewässer in diesem ewig endlosen Becken für die Geisterwelt aufbewahrt
hat, wird davon den Grund sicher klarst einsehen!
[BM.01_020,05] Daher will ich nun nicht mehr weiter forschen, sondern bloß
fleißig fischen, auf daß mein Sündenanteil ehest möglich aus diesem Gewässer
möchte gehoben werden!“
[BM.01_020,06] Nun rede Ich: „Recht also, sei nur fleißig, Freund! Siehe, auf
einen Hieb fällt kein Baum, aber mit Geduld läßt sich am Ende alles überwinden!
Es ist zwar hier nicht Noahs Gewässer, und noch weniger sind die Fische, die wir
hier herausheben, als deine Anticipationssünden in der Noachischen Sündflut zu
betrachten. Aber eine Sündflut ist dies Gewässer wohl, doch nicht aus deinen
anticipierten, sondern aus all deinen wirklich auf der Welt begangenen Sünden
hervorgehend!
[BM.01_020,07] Daß sich aber deine Sünden in allerlei Fischgestalten ausnehmen
und in Gestalt anderer seeischer Ungeheuer großer und kleiner Art, hat darin
seinen Grund, weil jede Sünde eine Untüchtigkeit der Seele hervorruft. Und diese
zerteilt in ihr die endlos vielen zerrissenen Vorbestände, die im Wasser den
Anfang nehmen und im Feuer der Liebe Gottes im Menschenherzen vollendet werden
zu einem vollkommen gottähnlichen Ebenmaße.
[BM.01_020,08] Es war aber physisch deine Seele wohl komplett in deinem Leibe
zur Menschengestaltung dir gegeben auf der Welt in deinen Kinderjahren. Da du
aber nicht nach der Ordnung Gottes lebtest, sondern nach der tierischen nur, aus
der die Seele ursprünglich zusammengesetzt ist, so verlorst du denn auch sehr
viel von und an deiner Seele. Und siehe, dieses Verlorene müssen wir nun wieder
aus den Fluten deiner Sünden herausheben und damit deine Seele einmal plastisch
ganz machen! Ist dies geschehen, dann erst werden wir können für deinen Geist
und für dessen Einung mit dir Sorge tragen! Darum sei nun fleißig und geduldig,
so wirst du bald einsehen, was hier ein rechter Lotse zu tun hat!
[BM.01_020,09] Da diese Seetiere aber hier deine Taten vorstellen, die pur
Sünden waren, so vergehen sie auch, so sie heraus ans Gotteslicht gehoben
werden. Und es kommt zur Erscheinung, wie geschrieben steht:
[BM.01_020,10] ,Das Reich Gottes ist zu vergleichen einem Fischer, der viele
Fische in sein Netz fing. Da er aber das Netz aus der Flut zog, da behielt er
die guten; die schlechten aber ließ er wieder ins Meer zurückwerfen zum
Verderben.‘
[BM.01_020,11] Wir aber haben nun schon sehr viele deiner Taten als Fische aller
Art hervorgehoben, und siehe, sie haben keinen Bestand im Gotteslichte! Was ist
das aber? – Weil du sie verzehrst ob deiner zerstörten Seele, auf daß diese
wieder zu ihrer Vollgestalt gelange!
[BM.01_020,12] Wann aber wird es in deinem Gewässer wohl auch bleibende Taten
geben? Suche, daß dein Herz voll werde, und erwache in der Liebe! Solange du
nicht Liebe zu Gott in dir verspüren wirst, wird es noch sehr viel leere Arbeit
geben für deine Hände!
[BM.01_020,13] Dies merke dir nun und wisse, wo es am Ende hinaus muß. So wirst
du in rechter Reue und Demut und Geduld arbeiten, um zu einem wirklichen Ziele
zu gelangen und dadurch zum klaren Schauen und zum eigenen wahren Gerichte – und
aus dem zur Gnade. Es sei!“
[BM.01_020,14] Bischof Martin denkt über diese Worte nach und arbeitet dabei
fort. Nach einer Weile aber wendet er sich wieder an Mich und spricht: „Höre, du
lieber Meister, der du mein irdisch Leben zu durchblicken vermagst wie der
Goldschmied einen Diamanten, du kommst mir zwar deinem Charakter nach sehr
liebreich vor; aber in der gerechten Rüge bist du schonungsloser als die
nackteste Wahrheit selbst!
[BM.01_020,15] Freilich ist nur zu wahr, daß all mein Tun und Lassen vor Gott
dem Herrn schon darum ein Greuel sein muß, weil ich durch mein ganzes irdisches
Leben mich nur in lauter Falschem bewegt habe und zum Teil auch bewegen habe
müssen. Somit konnten auch alle meine Handlungen unmöglich anders als schlecht
sein, was ich nun klar einsehe! Aber das – und so du selbst ein Engel wärest –
mußt du mir denn doch zugeben: daß der Mensch, als durchaus nicht sein eigenes
Werk mit den seltensten Neigungen begabt, doch unmöglich an all seinen Mängeln
und Gebrechen die Schuld tragen kann; man sollte ihm sonach auch nicht absolut
alles zur Last legen!
[BM.01_020,16] Hätte ich mich selbst erschaffen und darauf selbst erzogen, da
wäre ich der eigentliche Grund jeder von mir verübten Handlung und könnte dafür
zur vollsten Genugtuung angehalten und mit allem Rechte verurteilt werden. Aber
so geradeweg jede meiner Taten darum verdammen und ihnen den Todsündenstempel
aufdrücken, weil ich sie beging – das kommt mir, wennschon gerade nicht
ungerecht, aber doch etwas zu hart vor!
[BM.01_020,17] Wenn der Sohn eines Räubers wieder ein Räuber wird, weil er nie
etwas anderes gesehen, gehört und gelernt hat als rauben und morden – Frage:
Kann ihm allein, streng genommen, seine an sich freilich greuelhafteste
Handlungsweise zur Sünde gerechnet werden?
[BM.01_020,18] Oder kann der Tiger verdammt werden, weil er so grausam und
blutdürstig ist? Wer gab der Viper und der Ringelnatter das tötende Gift?
[BM.01_020,19] Was kann der Buschklepper des heißen Afrika dafür, daß er
Menschen ißt, so er welche erjagen kann? Warum steigt kein Engel, auch kein
anderer guter Geist, aus den Himmeln und belehrt ihn eines Besseren? Oder soll
Gott im Ernste einige Billionen Menschen lediglich für die Verdammnis erschaffen
haben – was doch sicher die endloseste Tyrannei wäre?
[BM.01_020,20] Ich meine daher: Jedem das Seinige, aber nicht auch das Fremde,
an dem er unmöglich je die Schuld tragen kann!“
[BM.01_020,21] Rede wieder Ich: „Freund, du tust mit deiner Gegenrede Mir groß
Unrecht! Siehst du denn nicht, daß wir diese Arbeit dich eben darum nicht allein
verrichten lassen, weil Ich in dir schon lange deine stoischen Rechtsgrundsätze
kenne?
[BM.01_020,22] Siehe, was deiner vermeintlich vernachlässigten Erziehung zur
Last fällt, das hat nun Bruder Petrus auf sich genommen. Und was dem Schöpfer du
zur Last legst, das habe Ich auf Meine Schulter genommen!
[BM.01_020,23] Glaubst du aber für deinen Teil wirklich ganz schuldlos zu sein?
Kannst du solches behaupten? Hast du nicht Gottes Gebote kennengelernt, wie auch
ganz bestimmt die irdischen Gesetze für bürgerliche Ordnung? Warst du nicht da
und da und wußtest, daß du eine Sünde vorhast?!
[BM.01_020,24] Als dich das Gewissen mahnte, so ließest du aber dennoch nicht
ab, sondern tatest wider dein lautes Gewissen Böses! Frage: War daran auch die
Erziehung und der Schöpfer schuld?
[BM.01_020,25] So du hartherzig gegen Arme warst, da doch deine irdischen Eltern
wahre Muster der Freigebigkeit waren, sage: war daran die Erziehung der
Schuldträger?
[BM.01_020,26] So du über einen Aar herrschsüchtig geworden bist, während deine
Eltern von ganzem Herzen demütig waren, wie es das Wort Gottes verlangt, sage:
war auch daran die Erziehung oder gar der Schöpfer schuld?
[BM.01_020,27] Siehe, wie unrecht du dem Schöpfer tust! Erkenne das, und sei
demütig; denn mit aller deiner Entschuldigung wirst du bei Gott ewig nicht
auslangen, da alle Haare gewogen sind! Liebe Gott über alles und deine Brüder,
so wirst du die rechte Gerechtigkeit finden! Es sei!“
21. Kapitel – Philosophisch dumme Ausrede Bischof Martins. Ein liebfreundlicher
und göttlichernster Gewissensspiegel.
[BM.01_021,01] Spricht Bischof Martin: „Gott lieben über alles und den Nächsten
wie sich selbst, wäre schon recht, wenn man nur wüßte, wie man das anstellen
soll! Denn Gott sollte man mit der reinsten Liebe lieben, desgleichen womöglich
auch den Nächsten; aber woher sollte unsereiner eine solche Liebe nehmen,
wodurch sie in sich erwecken?
[BM.01_021,02] Ich kenne wohl das Gefühl der Freundschaft und kenne auch die
Liebe zum weiblichen Geschlechte; auch kenne ich die interessierte Kinderliebe
zu ihren Eltern; nur die Liebe der Eltern zu ihren Kindern kenne ich nicht! Kann
aber die Gottliebe einer von diesen erwähnten Liebesarten gleichen, die alle auf
den unlautersten Füßen basiert sind, indem sie nur auf Geschöpfe gerichtet sind?
[BM.01_021,03] Ich behaupte sogar: der Mensch als ein Geschöpf kann Gott als
seinen Schöpfer ebensowenig lieben wie ein Uhrwerk seinen Urheber! Denn dazu
gehörte die vollkommenste göttliche Freiheit, der sich höchstens die freiesten
Erzengel rühmen können, um Gott Seiner Heiligkeit wegen würdig lieben zu können!
Wo aber ist der auf der untersten, unheiligsten Stufe stehende Mensch und wo die
vollste göttliche Freiheit?
[BM.01_021,04] Es müßte nur Gott gefallen, Sich von Seinen Geschöpfen so lieben
zu lassen, wie sie sich untereinander lieben: wie die Kinder ihre Eltern, oder
wie ein Jüngling seine schöne Maid, oder wie ein rechter Bruder den anderen,
oder auch wie ein armer Mensch seinen höchst uninteressierten Wohltäter, oder
wie ein Regent seinen Thron, oder wie ein jeder Mensch sich selbst!
[BM.01_021,05] Dazu aber fehlt das sichtbare Objekt, ja sogar die Fähigkeit,
sich dies erhabenste Objekt auf irgendeine Art vorstellen zu können! – Wie sieht
Gott aus? Wer von den Menschen hat Gott je gesehen? Wer Ihn gesprochen? Wie aber
kann man ein Wesen lieben, von dem man sich aber auch nicht den allerleisesten
Begriff machen kann! Ein Wesen, das da nicht einmal historisch, sondern
lediglich nur mythisch existiert unter allerlei mystisch poetischen
Ausschmückungen, welche mit einer altjüdischen scharfen Moral allenthalben
unterspickt sind!“
[BM.01_021,06] Nun rede Ich: „Freund, Ich sage dir, mit diesem unsinnigen
Gewäsch könntest du wohl nie auch nur einen Faden deines schmutzigsten Gewandes
reinwaschen! Du hattest auf der Welt Objekte genug! Da waren Arme die Menge,
Witwen, Waisen, eine Menge anderer Notleidender! Warum liebtest du sie nicht –
und hattest doch Liebe genug, dich selbst über alles zu lieben?!
[BM.01_021,07] Deine eigenen Eltern liebtest du nur der Gaben wegen; gaben sie
dir aber zu wenig, so wünschtest du ihnen nichts sehnlicher als den Tod, um sie
dann zu beerben!
[BM.01_021,08] Deine untergeordneten Pfarrer liebtest du, so sie dir fleißig
reichliche Opfer einsandten; blieben diese aus, da warst du bald ihr
unerbittlichster Tyrann!
[BM.01_021,09] Die reichen und viel opfernden Schafe segnetest du; die armen
aber, die daher nur wenig oder nichts opfern konnten, wurden von dir mit der
Hölle abgespeist!
[BM.01_021,10] Die Witwen liebtest du wohl, so sie noch jung, schön und reich
waren und sich zu allem herbeiließen, was dir angenehm war, ebenso üppige,
honette weibliche Waisen von 16 bis 20 Jahren!
[BM.01_021,11] Siehe, bei der Liebe so gestalteter Objekte ist es freilich
unmöglich, sich zur geistigen Anschauung und Liebe des allerhöchsten und aller
Liebe würdigsten Objektes zu erheben!
[BM.01_021,12] Hattest du doch das Evangelium, die erhabenste Lehre Jesu, des
Christus, als die Hauptlebensschule – warum versuchtest du nicht wenigstens
einmal in deinem Leben, nur einen Text praktisch anzuwenden, auf daß du dann
erfahren hättest, von wem diese Lehre ist?
[BM.01_021,13] Heißt es nicht darinnen: ,Wer Mein Wort hört und danach lebt, der
ist es, der Mich liebt; zu dem werde Ich kommen und werde Mich Ihm Selbst
offenbaren!‘
[BM.01_021,14] Siehe, hättest du je nur einen Text an dir praktisch versucht, so
würdest du dich wohl überzeugt haben, daß fürs erste die Lehre von Gott ist. Und
fürs zweite wäre dir auch dadurch die Objektivität Gottes beschaulich geworden
wie vielen Tausenden, die viel geringere Menschen waren als du!
[BM.01_021,15] So steht auch geschrieben: ,Suchet, so werdet ihr's finden;
bittet, so wird euch's gegeben, und klopfet an, so wird's euch aufgetan!‘ –
Tatest du je etwas davon?
[BM.01_021,16] Siehe, weil du von alledem nie etwas getan hast, so konntest du
über Gott auch nie zu einer geistigen Anschauung gelangen. Es ist daher höchst
widersinnig von dir, so du darum für Gott keine Liebe findest, weil Er dir nie
zu einem Objekte geworden ist – da Er dir doch zum Objekte hätte werden müssen,
so du nur im geringsten für diesen Zweck etwas getan hättest!
[BM.01_021,17] Ich frage dich aber auch, unter welchem Bilde hättest du Gott
wohl mit deiner schmutzigsten Liebe ergreifen können, das deinem steinernen
Herzen einige Funken hätte zu entlocken vermögen zur Belebung eben solchen
Gottesbildes in dir? Siehe, du schweigst; Ich aber will es dir zeigen!
[BM.01_021,18] Höre: Gott müßte entweder des schönsten weiblichen Geschlechtes
sein, dir die größte Macht und den größten Glanz verleihen und daneben dir noch
gestatten, die schönsten Mädchen mit nie schwächer werdender Manneskraft zu
beschlafen; und dir überhaupt alles gönnen, was dir deine Einbildungskraft als
angenehm darstellete, ja womöglich dir am Ende sogar die Gottwesenheit rein
abtreten, auf daß du dann mit der ganzen unendlichen Schöpfung nach deinem
Belieben sozusagen ,Schindluder treiben‘ könntest!
[BM.01_021,19] Siehe, nur unter solcher Objektivität wäre dir die Gottheit
liebenswert. Aber unter dem Bilde des armen gekreuzigten Jesus war dir der
Begriff ,Gottheit‘ unerträglich, widerlich, ja verächtlich sogar!
[BM.01_021,20] Unter solchen Umständen mußt du nun freilich fragen, wie man Gott
lieben solle, und zwar mit reinster Gottes würdiger Liebe! Der Grund davon ist –
wie gezeigt – kein anderer denn der: du wolltest Gott nie erkennen und also auch
nie lieben! Darum tatest du auch nichts, aus Furcht, es möchte ein besserer
Geist in dich fahren, der dich zur Demut, zur Nächstenliebe und daraus zur
wahren Erkenntnis und Liebe Gottes geleitet hätte!
[BM.01_021,21] Siehe, das ist der eigentliche Grund, demzufolge du nun fragst,
wie man Gott lieben solle und könne! So du aber schon deine Brüder nicht liebst,
die du siehst und trotzdem nicht lieben magst, wie solltest du Gott lieben, den
du noch nicht siehst, weil du Ihn nicht sehen willst!
[BM.01_021,22] Siehe, wir beide sind dir nun die größten Freunde und Brüder, und
du verachtest uns fortwährend in deinem Herzen, obgleich wir dir helfen wollen
und dich durchschauen auf ein Haar! Darum wende dein Herz! Fange an, uns als
deine Wohltäter zu lieben, so wirst du auch ohne deine dümmste Philosophie den
Weg zum Herzen Gottes finden, wie es recht ist und sich geziemt! Es sei!“
[BM.01_021,23] Spricht wieder Bischof Martin: „Ja, ja, mein Gott ja, du hast
schon recht, ich liebe euch und schätze euch überaus ob eurer Weisheit und ob
der damit vereinten Kraft, Liebe, Geduld und Ausharrung! Möchtest du, mein
liebster Freund, mit mir aber dennoch nur so reden, daß ich aus deiner Rede
nicht allzeit meine Fluchwürdigkeit in aller Fülle und Schwere erschauete, so
wäre ich ohnehin schon lange förmlich verliebt in dich! Aber eben deine
durchdringlichste Wortschärfe erfüllt mich eher mit einer Art geheimer Furcht
als mit Liebe zu dir und deinem Freunde Petrus! Rede sonach schonender mit mir,
und ich werde dich dann aus allen meinen Kräften lieben!“
[BM.01_021,24] Rede Ich: „Freund, was verlangst du von Mir, daß ich dir's nicht
angedeihen ließe im höchsten Vollmaße, ohne von dir dazu aufgefordert zu
werden?! Meinst du denn, daß nur ein Schmeichelredner ein wahrer Freund ist oder
einer, der sich aus lauter Ehrfurcht nicht getraut, die Wahrheit jemandem unters
Gesicht zu bringen? Oh, da bist du in großer Irre!
[BM.01_021,25] Du bist einer, an dem kein gutes Härchen irgendwo steht! Kein
edles Werk der Liebe ziert dich! Hast du je etwas getan, das vor der Welt wie
liebedel schien, so war es aber dennoch eitel Böses. Denn all dein Tun war
nichts als eine arge Politik, hinter der irgendein geheimer herrschsüchtiger
Plan verborgen lag!
[BM.01_021,26] Gabst du irgend jemandem ein karges Almosen, so mußte davon
nahezu der ganze Erdkreis Notiz nehmen. Sage, war das evangelisch, wo die Rechte
nicht wissen soll, was die Linke tut?
[BM.01_021,27] Gabst du jemandem einen sogenannten kirchlichen guten Rat, so war
auch der allzeit so gestellt, daß am Ende dessen Wasser dennoch auf deine Mühle
laufen mußte!
[BM.01_021,28] Zeigtest du dich herablassend, so geschah es nur, um den unten
Stehenden so recht anschaulich deine Höhe einzuprägen!
[BM.01_021,29] War sanft der Ton deiner Rede, so wolltest du damit das
erreichen, was da zu erreichen suchen die Sirenen mit ihrem Gesang und die
Hyänen mit ihrer Weinerei hinter einem Busche! Du warst fortwährend ein
gierigstes Raubtier!
[BM.01_021,30] Kurz und gut, wie schon gesagt, an dir war auch nicht ein gutes
Haar, und du befandest dich schon Hals über Kopf vollkommen in der Hölle! Gott
der Herr aber erbarmte sich deiner, ergriff dich und will dich frei machen von
all den Höllenbanden! Meinst du wohl, daß solches möglich sein könne, ohne dir
zu zeigen, wie du beschaffen bist?!
[BM.01_021,31] Oder hast du auf der Erde nie gesehen, was die Uhrmacher mit
einer verdorbenen Uhr machen, wenn diese wieder gut und brauchbar werden soll?
Siehe, sie zerlegen sie in die kleinsten Teile, aus denen sie zusammengesetzt
ist, untersuchen da jedes Stückchen sorgfältigst und reinigen es, machen das
Krumme gerade, feilen das Rauhe hinweg und ergänzen, wo irgend etwas fehlt, und
setzen am Ende das Werk wieder zusammen, auf daß es wieder wirkend entspräche
seiner Bestimmung! Meinst du wohl, daß solch eine ganz verdorbene Uhr zum Gehen
käme, so der Uhrmacher bloß ihr Äußeres recht blank putzte, das Innere aber
beließe, wie es ist?
[BM.01_021,32] Ebenso aber bist auch du ein Uhrwerk, in dem auch nicht eines
Rades Zahn in der Ordnung ist! Sollst du gebessert werden, so mußt du auch
zerlegt werden in allem deinem verdorbenen Wesen! Es muß alles heraus ans Licht
der ewigen unbestechlichsten Wahrheit, auf daß du dich selbst beschauen kannst
und sehen, was alles in und an dir völlig verdorben ist!
[BM.01_021,33] Hast du erst alle deine Gebrechen erkannt, dann erst kann die
Raspel, die Feile, die Zange und endlich auch eine Putz- und Polierbürste
angelegt werden, um aus dir wieder einen Menschen in der Ordnung Gottes zu
gestalten. Und zwar einen ganz neuen Menschen; denn dein jetziger Mensch, wie du
selbst es nun bist, ist dazu völlig unbrauchbar!
[BM.01_021,34] So Ich nun aber all das an dir tue, sage: verdiene Ich da nicht
deine Liebe?“
22. Kapitel – Bischof Martins demütige Selbsterkenntnis und seiner Liebe
Erwachen. Die verwandelte Gegend. Der Palast und sein schmutziges Inneres.
[BM.01_022,01] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, du hast völlig recht, teuerster
Freund! Nun gehen mir erst die Augen so ganz eigentlich ein wenig auf. Auch
empfinde ich nun rechte Liebe in mir, – ja ich liebe dich nun von ganzem Herzen!
O laß dich an mein Herz drücken, denn ich sehe nun, wie arg und dumm ich war und
noch bin, und wie wahrhaft gut du es mit mir meinst! O du herrlichster Freund,
und du auch, mein erster Führer, vergib mir meine große, roheste Blindheit! –
[BM.01_022,02] Aber, aber, was ist denn das?! Wo ist denn nun das Meer
hingekommen, wohin unser Schiff? Es ist hier ja alles trocken, das schönste
Land! Ach, diese herrlichen Fluren, dieser wunderschöne Garten, und dort, wo
ehedem die Hütte stand, steht nun ein Palast von mir nie geschauter Pracht! – Ja
wie, wie ist denn das geschehen?“
[BM.01_022,03] Rede Ich: „Siehe, Bruder, das gebar schon ein kleinster Funke
rechter Liebe zu uns, deinen Brüdern und Freunden! Das Meer deiner Sünden
trocknete er aus samt all den bösen Wirkungen, und den Schlamm deines Herzens
verwandelte er in ein fruchtbares Land. Die ärmliche Hütte deiner Erkenntnis
verwandelte dieser Liebesfunke in einen Palast.
[BM.01_022,04] Aber, wie herrlich dies auch alles schon aussieht, so ist dennoch
nirgends noch von einer reifen, genießbaren Frucht etwas zu entdecken. Alles
gleicht noch stark dem Feigenbaume, der keine Frucht hatte zur Zeit, da es den
Herrn hungerte nach des Feigenbaumes Frucht.
[BM.01_022,05] Darum heißt es nun vollauf tätig sein und die einmal erwachte
Liebe frei walten lassen, wodurch dann diese Bäume ehestens Frucht tragen
werden. Denn siehe, wie auf der Welt alles im Lichte und in der Wärme der Sonne
wächst und reift, ebenso wächst und reift hier alles im Lichte und in der Liebe
des Herzens des Menschen! Des Menschen Herz ist die Sonne dieser Welt für ewig!
[BM.01_022,06] Bald werden sich dir nun in dieser neuen, besseren Periode eine
Menge Gelegenheiten zeigen, dein Herz zu beschäftigen, seine Kraft zu erweitern
und zu stärken. Je mehr du es in der Liebe wirst walten lassen, desto mehr des
Segens wirst du in dieser Gegend auftauchen sehen!
[BM.01_022,07] Komm aber nun mit uns in diesen Palast, darinnen werden wir erst
das Nähere deines neuen Zustandes besprechen. Du wirst von da aus auch bald eine
Menge Gelegenheiten entdecken, die alle dein Herz in vollsten Anspruch nehmen
werden. Komm also, Bruder, und folge uns beiden! Es sei!“
[BM.01_022,08] Wir sind nun schon im Palaste, dessen Inneres bei weitem nicht so
herrlich aussieht wie sein Äußeres. Bischof Martin ist auch etwas frappiert, daß
er sich darob nicht enthalten kann, folgende satirische Bemerkung zu machen:
[BM.01_022,09] „Nein, aber das heißt mir doch etwas fürs Gesicht herstellen! Von
außen Königspracht, und von innen Bettlertracht! Wer dies gemacht, hat schlecht
gedacht! Da sieht es ja gerade so aus, als so das Gebäude von innen noch gar
nicht ausgebaut wäre, sondern bloß nur von außen fürs Auge verputzt!
[BM.01_022,10] Liebe Freunde, da muß ich euch offen gestehen: die frühere Hütte
wäre mir um eine ganze Million lieber! Ah, was es da noch Mist darinnen gibt!
Hört, in diesem Miste kann ich's, der ich die größte Reinlichkeit liebe, ja
beinahe gar nicht aushalten!
[BM.01_022,11] Freunde, liebe Freunde, ich bitte euch, gehen wir sogleich wieder
in das herrliche Freie! Denn in diesen Mistgemächern wäre ich auch nicht eines
guten Gedankens fähig und könnte eher schlechter als besser werden; denn vor dem
Zimmermiste habe ich einen ganz absonderlichen Widerwillen!“
[BM.01_022,12] Nun rede wieder Ich: „Höre, du lieber Bruder und Freund, wohl
sehe Ich, daß dir das Innere dieses Palastes nicht gefallen kann. Aber du wirst
auch einsehen, daß das Innere deines Herzens, das genau diesem Palaste
entspricht, Gott dem Herrn ebensowenig gefallen kann, wie deinen Augen diese
unreinsten Gemächer!
[BM.01_022,13] Du hast sicher auf der Welt unter den heidnischen Fabeln auch von
des Herkules zwölf schweren Arbeiten gehört, welche dieser Held verrichten mußte,
um in die Zahl der fabelhaften Götter aufgenommen zu werden? Unter diesen
Arbeiten befand sich auch die bekannte Stallreinigung!
[BM.01_022,14] Was tat der fabelhafte Held Herkules? Siehe, er leitete einen
ganzen Fluß durch den großen Stall, und dieser hob alsbald allen Mist in
wunderkürzester Zeit aus dem Stalle!
[BM.01_022,15] Ich aber sage dir: leite du auf gleiche Weise einen ganzen Strom
der Liebe durch den alten Sündenstall deines Herzens, so wird solch ein Strom
auch am geschwindesten mit diesem deinem Herzensmiste fertig werden!
[BM.01_022,16] Als wir uns noch auf dem Meere befanden, das da aus deiner
eigenen Sündflut entstanden ist, da genügte ein Fünklein oder ein Tropfen der
echten Liebe und das Meer vertrocknete, und der Schlamm wurde in fruchtbares
Erdreich verkehrt!
[BM.01_022,17] Dies Fünklein, da es bei dir nur durch Meine Rede erzeugt wurde,
also wie durch ein äußeres Mittel, konnte daher auch nur das Äußere deines
Herzens berühren und es dadurch rein machen. Aber das Innere deines Herzens
blieb noch, wie es war: ein wahrer Augiasstall, der nur durch dich selbst
gereinigt werden kann. Und das, wie oben gesagt, durch einen ganzen Strom von
rechter Liebe zu uns, deinen Brüdern und größten Freunden, und auch zu denen,
die dir bald hie und da vors Gesicht treten werden und in Anspruch nehmen dein
Herz!
[BM.01_022,18] Da siehe zu diesem Fenster hinaus! Was siehst du dort in einiger
Ferne von hier gegen Mitternacht hin?“
23. Kapitel – Bischof Martins erstes gutes Werk der Barmherzigkeit an den armen
Neuhinübergekommenen.
[BM.01_023,01] Spricht Bischof Martin: „Ich sehe mehrere überaus zerlumpte
Menschen entsetzlich langsamen, hinkenden Schrittes wandeln. Sie scheinen kein
Obdach zu haben. Wahrscheinlich werden sie auch im Magen eine sehr bedeutende
Leere haben und ihr Herz dürfte gerade auch nicht von der heitersten Stimmung
sein.
[BM.01_023,02] Freund, mich erbarmen diese armseligsten Wanderer. Laß es mir zu,
daß ich hingehe und sie hierher führe, sie hier aufnehme und soviel als möglich
gut versorge! Sind diese Zimmer auch schmutzig, so werden sie ihnen dennoch
sicher dienlicher sein als jene frostigen und trüb aussehenden holprigen Pfade
nach jener mir wohlbekannten Richtung, bei deren Verfolg es immer schlechter
wird!“
[BM.01_023,03] Rede Ich: „Gut, recht gut, gehe und tue, was dir dein Herz
gebietet. Aber das muß dich nicht abschrecken, so du finden wirst, daß jene
Wandler nicht deiner, sondern lutherischer Konfession sind!“
[BM.01_023,04] Spricht Bischof Martin: „Das ist mir freilich wohl ein wenig
zuwider. Aber nun ist schon alles eins, ob Luther, Mohammed, Jude oder Chinese!
Kurz, was Mensch ist, dem soll Hilfe werden!“
[BM.01_023,05] Bischof Martin, noch in der gemeinen Landmannskleidung, empfiehlt
sich nun und eilt den Wandlern nach und ruft und schreit, daß sie seiner doch
harren sollen. Worauf die Wandler stehenbleiben und auf unsern Bischof Martin
warten, um zu erfahren, was er mit ihnen wolle. Denn diese sind auch erst von
der Erde in der Geisterwelt angelangt und wissen nun auch nicht, wo aus, wo ein.
[BM.01_023,06] Nun hat unser Bischof Martin eben diese traurige Gesellschaft
erreicht und spricht zu ihr in einem sehr freundlichen Tone: „Liebe Freunde,
wohin wollet ihr euch denn da begeben? Ich bitte euch um Gottes willen, kehret
um und folget mir nach, sonst geht ihr alle zugrunde! Denn die Richtung, die ihr
verfolget, führt schnurgerade zu einem Abgrunde, der euch alle für ewig
verschlingen wird!
[BM.01_023,07] Ich aber bin hier mit noch zwei gar lieben Freunden ansässig,
eine geraume Zeit schon, und weiß, wie diese Gegend hier beschaffen ist, daher
ich euch warnen kann.
[BM.01_023,08] Sehet aber dorthin gegen Mittag! Daselbst werdet ihr einen Palast
erschauen, der freilich von außen schöner als von innen aussieht, aber das macht
vorderhand nichts! Ein Obdach und auch ein Stückchen Brot werden wir darinnen
dennoch finden, was doch auf jeden Fall besser sein wird, als diesen ins sichere
Verderben führenden Weg fortwandeln! Besinnet euch daher nicht lange, sondern
kehret sogleich um und folget mir; bei Gott, es soll das euer Schade nicht
sein!“
[BM.01_023,09] Einer von den Wandlern spricht: „Gut, wir wollen dir folgen. Aber
das merke dir im voraus, daß du uns in kein katholisches Haus bringst! Denn da
wäre für uns keines Bleibens, indem wir gegen nichts einen so starken
Widerwillen haben als gegen den über alle Pest stinkenden römischen
Katholizismus, namentlich gegen den Papst, gegen seine Bischöfe und gegen das
über alles schlechte Mönchstum der römischen Hure!“
[BM.01_023,10] Spricht der Bischof Martin: „Was Papst, was Bischof, was Mönch,
was Luther, was Calvin, was Mohammed, was Moses, was Brahma, was Zoroaster?! Das
gilt nur auf der dummen Welt etwas; hier im Reiche der Seelen und Geister hören
alle diese irdischen dummen Unterschiede so gut wie ganz auf! Hier gibt es nur
eine Losung, und diese heißt Liebe! Mit dieser allein kommt man hier weiter;
alles andere zählt soviel wie nichts!
[BM.01_023,11] Als ich auf der Welt war, war ich ein römischer Bischof und
bildete mir was Ungeheures darauf ein. Aber hier angelangt, lernte ich bald
kennen, wie ganz und gar nichts daran gelegen ist, was man auf der Welt war,
sondern alles liegt daran, was man auf der Welt getan hat und wie und unter
welchen Bedingungen!
[BM.01_023,12] Daher laßt auch ihr euch weder durch Luther, noch durch Calvin
beirren, sondern folget mir! Wahrlich, ihr sollet es nicht bereuen! Wird es euch
bei mir aber nicht behagen, so steht euch dieser Weg noch immer offen!“
[BM.01_023,13] Spricht der Anführer dieser Gesellschaft: „Nun gut, du scheinst
mir ein ziemlich gescheiter Mann zu sein; daher wollen wir dir denn folgen in
deine Behausung! Aber das bitten wir uns schon im voraus aus, daß da unter uns
ja nie von der Religion etwas gesprochen wird; denn uns ekelt alles, was
Religion heißt, auf das allerwidrigste an!“
[BM.01_023,14] Spricht der Bischof Martin: „Na, ist ja auch gut! Redet, wovon
ihr reden wollt. Nach und nach werden wir uns wohl hoffentlich noch besser
kennenlernen, und ihr werdet an mir durchaus nie etwas entdecken, was euch nur
irgend im allergeringsten beleidigen soll. Daher nur muntern und heitern Geistes
aufgebrochen, und in meiner und besonders meiner Freunde und Brüder Behausung
Platz genommen!“
[BM.01_023,15] Nun geht Bischof Martin voraus, und die ganze Karawane von 30
Köpfen folgt ihm, und er führt sie geraden Weges dem Palaste zu und nun in
denselben und da sogleich zu Mir und Petrus. Als er da anlangt, spricht er voll
Freude zu Mir:
[BM.01_023,16] (Bischof Martin:) „Siehe, mein geliebter Freund und Bruder in
Gott dem Herrn, hier habe ich sie glücklich sämtlich hierher gebracht. Nun sei
du von der Güte und zeige mir an, in welchen Gemächern wir sie unterbringen
werden. Dann werde ich dich auch bitten um ein wenig Brot, auf daß sie sich
stärken, denn sie werden sicher schon sehr hungrig sein.“
[BM.01_023,17] Rede Ich: „Dort, die Tür gegen Abend, da ist ein großes Zimmer
gut eingerichtet! Da werden sie schon alles finden, was ihnen irgend gebricht.
Du aber komme dann zurück, auf daß wir schnell an eine wichtige Arbeit gehen,
die keinen Aufschub leidet!“
[BM.01_023,18] Bischof Martin tut, wie Ich es ihm anzeigte, und die Gesellschaft
freut sich sehr, als sie in das wohleingerichtete Zimmer tritt, das ihr Bischof
Martin anweist. Nach der Einlogierung aber kommt er schnell wieder und fragt, wo
die neue Arbeit wäre.
24. Kapitel – Neue Arbeit Bischof Martins: Brandlöschen und Lebenretten!
Aufnahme und Einkleidung der Abgebrannten.
[BM.01_024,01] Und Ich sage: „Siehst du dort gen Norden einen Brand? Dorthin
müssen wir eilen und dem Feuer Einhalt tun, sonst leidet diese ganze Gegend.
Denn das geistig böse Feuer ist viel um sich greifender denn das naturmäßig
irdische. Darum nur schnell auf die Füße!“
[BM.01_024,02] Wir eilen nun dem Brande zu und haben ihn auch schon erreicht.
Man sieht hier ein höchst ärmliches Dorf, das ganz in Flammen steht, sowie eine
Menge ärmlichster, ganz nackter Menschen, die sich aus ihren brennenden Hütten
auf die Flucht machten. Aber inmitten des Dorfes steht ein etwas besseres
Häuschen mit einem Söller, auf dem sich fünf Menschen befinden und jämmerlich um
Hilfe rufen, indem die Flammen schon zu ihnen emporschlagen und sie im nächsten
Augenblick zu verschlingen drohen.
[BM.01_024,03] Unser Bischof Martin ersieht das und schreit: „Freunde, um Gottes
willen, wo ist denn hier etwas wie eine Leiter, daß ich hinansteige zu diesen
Ärmsten und sie möglicherweise mit euerm Beistande noch rette?“
[BM.01_024,04] Rede Ich: „Siehe, hier gerade zu unseren Füßen liegt so etwas!
Nimm es und mache damit deinem Herzen Luft!“
[BM.01_024,05] Bischof Martin packt schnell die Leiter und läuft damit an das
Häuschen mit dem Söller, das schon ganz von Flammen umringt ist. Er lehnt sie an
den Söller, steigt mutig durch die Flammen hinauf und ladet da zwei schon
zusammengesunkene Menschen auf seine Schultern und trägt sie eilends hinab,
während die drei kräftigeren ihm jählings folgen. In einer Minute hat er
wirklich fünf das Seelenleben gerettet.
[BM.01_024,06] Als er nun mit dieser Arbeit fertig ist, kommt er schnellstens
wieder zu Mir und spricht (Bischof Martin:) „O Gott sei Dank, daß mir diese
Rettung gelungen ist! Schon glaubte ich, daß mir diesmal mein Eifer ganz übel
bekommen wird; aber dennoch – Gott sei's gedankt! – hat es sich noch mit
genauester Not getan.
[BM.01_024,07] Ah, Freunde! Das war aber eine Hitze, Tausend, Tausend! Meine
Haare müssen so hübsch verkürzt worden sein? Aber das macht nichts, wenn nur
diese Armen gerettet sind! Die zwei haben freilich schon nahezu den Tod
bekommen, und es war wirklich die höchste Zeit, sie den Flammen zu entreißen.
Aber sie leben nun wieder frisch auf, und das, meine liebsten Freunde und
Brüder, ist mir lieber, als so ich jetzt wirklich in die Seligkeiten aller drei
oder sieben Himmel eingegangen wäre.
[BM.01_024,08] Gelt, Brüder und Freunde! Diese armen von mir Geretteten und die
vielen nun Obdachlosen, die hier draußen an den Zäunen nackt herumkauern und
wehklagen, nehmen wir alle in unsern Palast auf! O liebe Brüder, wohl, wohl;
gönnet mir diese Freude!“
[BM.01_024,09] Rede Ich: „Ja, freilich wohl, darum sind wir ja hauptsächlich
hierher gekommen. Aber nun müssen wir auch das Feuer ersticken. Ist dies
geschehen, dann wollen wir ganz fröhlich mit diesen Armen nach Hause ziehen.
Darum legen wir nur gleich die Hände ans Werk, daß das Feuer nicht noch mehr um
sich greift!“
[BM.01_024,10] Spricht Bischof Martin: „Wäre schon alles recht, wenn wir nun nur
gleich so einen kleinen Ozean bei der Hand hätten! Aber ich entdecke hier auch
nicht einen Tropfen Wasser. Ich meine, diese Geschichte wird etwas hart gehen
ohne Wasser?“
[BM.01_024,11] Rede Ich: „Siehe, dort am Boden liegt ein Stab, ähnlich dem, den
einst Moses trug. Hebe ihn auf und stoße ihn gläubig in den Boden, und wir
werden sogleich Wasser in schwerer Menge haben; denn diese Gegend ist sehr
sumpfig! Also tue!“
[BM.01_024,12] Bischof Martin tut sogleich das Geratene und sofort springt ein
starker Quell aus dem Boden. Bischof Martin spricht: „So, so, wohl so – jetzt
ist es schon recht! Nun nur Gefäße her!“
[BM.01_024,13] Rede Ich: „Freund, es ist genug! Das Wasser wird nun schon von
selbst das Rechte tun; denn dieser mächtige Quell wird dem Feuer bald über den
Kopf wachsen und es gehörig versorgen. Daher können wir uns mit unseren armen
Geretteten schon nach Hause begeben und dort ein wenig ausruhen und uns stärken
zu einem andern Geschäfte. Gehe nun und bringe sie alle zu Mir!“
[BM.01_024,14] Bischof Martin geht heitersten Mutes und bringt alle die Armen
herbei. Wir begeben uns nach unserm Palaste, wo angelangt die Armen sogleich in
ein anderes, geräumiges Gemach untergebracht werden.
[BM.01_024,15] Als sie nun im Zimmer sind, noch ganz nackt, zieht Bischof Martin
gleich seinen Bauernrock aus und hängt ihn um die Schultern desjenigen, der ihm
am ärmsten und schwächsten vorkommt. Und sein Leibchen gibt er einem andern, der
ihn auch sehr dauert, darob loben ihn alle.
[BM.01_024,16] Er aber macht nun einen rechten Mann und spricht: „Meine lieben
armen Freunde und Brüder, nicht mich, sondern Gott und diese beiden Freunde
preiset! Denn ich bin selbst erst vor kurzem von ihnen hier aufgenommen worden
und habe von ihnen die größten Wohltaten empfangen. Ich selbst bin nur ein
schlechtester Knecht dieser Freunde der unglücklichen Menschen. Ich aber habe
die größte Freude an eurer Rettung, und diese Freude ist nun mein größter Lohn
in mir selbst!“
[BM.01_024,17] Rede Ich: „So ist es recht, Mein geliebter Bruder! So bist du aus
einem Saulus ein Paulus geworden. Fahre so fort, so wirst du Mir und Meinem
Freunde und Bruder bald würdig zur Seite stehen! Nun aber gehen wir in unser
Gemach!“
25. Kapitel – Unterschied des Denkens dies- und jenseits. Einführung in die
lebendige Entsprechungswissenschaft. Martins Tathunger und Erkenntnismüdigkeit.
[BM.01_025,01] Wir kommen nun in unser Gemach, das zwar nicht im reichsten
Glanze prunkt, dessenungeachtet aber überaus geschmackvoll eingerichtet ist.
[BM.01_025,02] Als Bischof Martin dieses Gemach betritt, erstaunt er sehr über
die unerwartete einfache Pracht desselben und spricht: „Aber liebste Freunde und
Brüder, wer hat denn während der kurzen Zeit unseres Ausbleibens dieses Gemach
gereinigt und so überaus zierlich hergestellt? Denn es war früher ja ordinärer
als die gemeinste Bauernstube. Auch die Fenster kommen mir viel größer vor und
Tische und Stühle so rein und geschmackvoll! O sagt mir doch, wie das zugegangen
ist!“
[BM.01_025,03] Rede Ich: „Lieber Bruder, das ging ganz einfach und natürlich
vor. Siehe, so jemand auf der Welt seine Wohnung ausschmücken will, faßt er
einen Plan aus seinem Verstande und läßt allerlei Handwerker und Künstler
kommen, die nach seinem Plane die Wohnung schmücken müssen.
[BM.01_025,04] Diese Ausschmückung geht auf der Erde aber darum länger her, weil
dort die Trägheit der Materie, die erst bearbeitet werden muß, ein überaus
hemmendes Medium ist. Hier aber fällt dieses Hemmnis weg, und so wird der Plan
des Verstandes auch sogleich als ein vollbrachtes Werk dargestellt. Denn was
hier ein vollkommener Geist denkt und das Gedachte zugleich will, ist auch schon
vollendet so da, wie es gedacht wurde.
[BM.01_025,05] Freilich ist hier in der ewigen Geisterwelt das Denken ein ganz
anderes als auf der Welt. Auf der Welt besteht das Denken aus Ideen und Bildern,
welche den Dingen der Welt und ihren Bewegungen und Veränderungen entnommen
sind. Hier aber besteht das Denken aus den Fähigkeiten des Geistes, die aus Gott
in ihn gelegt sind, so sie durch die Werktätigkeit der Liebe zu Gott und zum
Nächsten geweckt und mit dem Lichte aus Gott erleuchtet werden.
[BM.01_025,06] Siehe, dieses Gemach besteht nun lediglich aus deiner nun schon
frei werktätigen Liebe zum Nächsten. Aber es ist noch ganz einfach zierlich,
weil in dir das Gotteslicht noch nicht Wurzel gefaßt und tief in dein Leben
getrieben hat. Wird bei dir auch das der Fall sein, dann wirst du dir dessen
voll bewußt sein und dir über alles selbst die genügendste Rechenschaft geben
können. Aber dazu gehört die rechte Erkenntnis Gottes, die dir noch mangelt, die
du aber bald erreichen wirst, so du in der Liebe stets mehr wachsen wirst. Nun
aber setzen wir uns an den Tisch, an dem schon eine gemessene Stärkung unser
harrt. Es sei!“
[BM.01_025,07] Bischof Martin spricht: „Ja, ja, so ist es! Es ist zwar hier
alles wunderbar, ein wahres zauberisches ,Tischlein-deck-dich‘. Aber man muß
sich hier an die Wunder ebenso gewöhnen wie auf der Erde an die Naturwunder, die
zwar auch noch heute kein Mensch völlig begreift und einsieht, aber man macht
sich daraus nichts, weil man sich an all solches unbegreifliche Zeug gewöhnt
hat. Also wird es auch hier gehen.
[BM.01_025,08] Ich bin überhaupt aufs volle Einsehen der Wunder Gottes eben
nicht allzu versessen. Und so ist es schon zum Aushalten, wenn man auch nicht
alles, was da zum Vorscheine kommt, auf den Grund des Grundes einsieht. Wenn ich
nur fortwährend etwas zu tun bekomme und dazu manchmal so ein kleine Rast und
Stärkung, wie sie eben jetzt vor uns auf dem schönen Tische in Bereitschaft
liegt, und habe euch um mich, dann verlange ich mir für die ganze Ewigkeit
nichts Besseres!
[BM.01_025,09] Gott erkenne ich nun so weit, daß Er richtig Einer ist in
irgendeinem ewig unzugänglichen Lichte, darin Er ist heilig, überheilig,
allmächtig und endlos weise. Mehr von Ihm, dem Unendlichen, zu wissen und zu
kennen, würde ich sogar für eine Todsünde halten. Daher lassen wir das, was für
uns endlos unerreichbar ist und begnügen uns dankbarst mit dem, was uns Seine
Güte allergnädigst zukommen läßt!“
[BM.01_025,10] Rede Ich: „Gut, gut, mein lieber Bruder, setzen wir uns zum
Brote, und du, Petrus, hole dort aus der Kammer auch den mit Wein gefüllten
Becher!“
26. Kapitel – Martins Bescheidenheit und Demut. Das gesegnete Liebesmahl am
Tische des Herrn.
[BM.01_026,01] Wir setzen uns nun zum Tische, und Petrus bringt den Wein nebst
einer Toga für Bischof Martin und sagt: „Da, Bruder, weil du deinen Rock und
dein Hemd den Armen gabst, so ziehe dafür diesen etwas bessern Rock an, und
verzehre in diesem Kleide das vorgesetzte Mahl!“
[BM.01_026,02] Bischof Martin betrachtet den schönen lichtblauen Rock mit
purpurner Verbrämung und spricht: „Ah, ah, das ist für unsereinen ja viel zu
schön und herrlich! Was fällt dir denn da ein? Ich – ein armer Sünder vom Kopfe
bis zum Zehenspitzel – und so ein Rock, wie ihn der Heiland Jesus auf der Welt
getragen, der Würdigste der Menschen! Das wäre ja eine Verspottung ohnegleichen!
[BM.01_026,03] Nein, nein, das tue ich nicht! War Jesus auch gerade kein Gott,
wozu ihn die dummen Menschen machten, so war er dennoch der weiseste und beste
aller Menschen, die je die Erde bewohnt haben. Er war ein vollkommenster Mensch
ohne Sünde, an dem Gott sicher Sein höchstes Wohlgefallen haben konnte. Ich aber
bin und war der unvollkommenste Mensch voller Sünden. Daher kann ich seinen Rock
nimmer anziehen!
[BM.01_026,04] Wahrlich, Freunde, da wollte ich lieber keinen Bissen Brot und
keinen Tropfen dieses Weines verkosten, als so unwürdigster Weise diesen
wahrhaftigen Jesusrock anziehen. Gebt mir sonst irgendeinen für mich taugenden
Fetzen her! Es ist genug, daß ich auf der Welt Melchisedeks Kleider trug und
hier diese Torheit teuer genug habe büßen müssen: für die ewige Zukunft werde
ich mit Gottes Hilfe wohl klüger sein!“
[BM.01_026,05] Rede Ich: „Auch gut; wie du's willst! Hier gibt es durchaus
keinen Zwang. Daher iß und trink nun ohne Rock. Es sei!“
[BM.01_026,06] Spricht wieder Bischof Martin: „Das freut mich, nur keinen Luxus
für unsereinen! Aber, liebe Brüder, nun komme ich euch mit einer andern Bitte;
höret! Ich bin zwar schon recht hungrig und durstig, aber unsere armen
Schützlinge werden sicher noch hungriger und durstiger sein. Gönnt mir daher die
Freude, daß ich den mir beschiedenen Teil diesen Armen überlasse und ihn selbst
hintrage. Die Freude, diese Armen gesättigt zu haben, soll diesmal eine
Hauptsättigung meines Herzens sein!“
[BM.01_026,07] Rede Ich: „Liebster Bruder, solch ein Wunsch aus deinem Herzen
macht auch Mir die größte Freude! Aber diesmal soll's bei deinem Wunsche
verbleiben, denn für deine Armen ist schon bestens gesorgt. Daher setze dich nur
zu Mir her und iß und trink nach Herzenslust! Nach der Mahlzeit werden wir dann
die Armen besuchen und sehen, ihnen irgendeine angemessene Beschäftigung zu
geben. Also sei es!“
[BM.01_026,08] Petrus spricht: „Herr und Meister, teile Du das Brot und auch den
Wein aus; denn mir schmeckt alles besser, so Du es austeilst, als wenn ich mir's
selbst nehme! Ich bitte Dich darum, liebster Herr und Meister!“
[BM.01_026,09] Rede Ich: „Ja, ja, mein geliebter Bruder, das tue Ich dir von
ganzem Herzen gerne, wenn es nur unsern lieben Freund und Bruder nicht geniert!“
[BM.01_026,10] Spricht Bischof Martin: „Oh, nicht im geringsten, liebste Freunde
und Brüder! Ich kenne wohl die Sekte der sogenannten Brotbrecher – ihr werdet
weltlich wahrscheinlich ihr angehört haben? Allein das ist hier in der
Geisterwelt ohnehin gehauen wie gestochen. Wem hier derlei menschliche fromme
Rückerinnerungen aufheiternd dünken, der tue, was ihm gut dünkt. Mir aber ist
nun alles, was da irgend nach einer Zeremonie riecht, sehr leicht entbehrlich.
Denn ich habe mir auf der Welt an aller Zeremonie einen allerbarsten Ekel
angefressen.
[BM.01_026,11] Daher möget ihr hier das Brot auseinanderbrechen, -schneiden oder
-sägen, das ist mir eines; wenn's zur rechten Zeit nur was zum Beißen gibt! Mit
dem aber bin ich einverstanden, daß da der Herr des Hauses das Brot an seine
zwei Knechte austeilen soll: man ißt ein gegebenes Stück Brot ungenierter als
eines, das man selbst genommen hat!“
[BM.01_026,12] Rede Ich: „Nun gut, gut, so es dich nicht geniert, so will Ich
das Brot brechen und segnen und es euch dann austeilen!“
[BM.01_026,13] Ich breche nun das Brot und segne es und gebe es dann den zweien.
[BM.01_026,14] Petrus weint beinahe vor Freude, Bischof Martin aber lächelt
freundlichst, umarmt Petrus und spricht: „Bist aber du auch ein seelenguter
Mensch! Die Brotbrechung hat dich gewiß an die sehr erhabene, entweder
wirkliche, oder wahrscheinlich fromm erdichtete Szene der zwei nach Emmaus
wandelnden Jünger erinnert? Ich muß es auch aufrichtig gestehen, daß sie mich
selbst schon oft zu Tränen gerührt hat.
[BM.01_026,15] Denn es liegt darinnen fürs erste wirklich eine schöne, hohe
Bedeutung zugrunde. Und fürs zweite fühlt man die Sehnsucht und den Wunsch, daß
sich diese Szene wirklich hätte ereignen mögen. Der schwache, kurzsichtige
Mensch hört und träumt nichts lieber als von Wundern, besonders wenn seine
Phantasie das allerhöchste Gottwesen so inkognito persönlich mitwirkend
darstellen kann bei irgendeiner urzeitlichen Gelegenheit. Bei einer
gleichzeitigen würde die Sache freilich ein bei weitem unglaublicheres Gesicht
bekommen.
[BM.01_026,16] Also brich du, liebster Herr, Meister und Freund, nur allzeit das
Brot; denn auch mir gefällt diese fromme Art!
[BM.01_026,17] Hörst du, lieber Freund, ist aber das ein herrliches Brot! Und
der Wein – non plus ultra! Hab' wahrlich auf der Erde wohl nie etwas
Vorzüglicheres verkostet! Ist das etwa auch so ein Gedankenwein, also überaus
geistiger Natur? Das macht aber nichts! Mag er wachsen, wo er will, wenn er nur
gut schmeckt. Gott sei gelobt und gepriesen für ewig für dies herrlichste Mahl!
Jetzt wird sich's schon wieder tun bei der möglich kommenden schwersten Arbeit!“
[BM.01_026,18] Rede Ich: „Nun, Mich freut es auch, so es euch beiden
wohlgeschmeckt hat; es sei euch gesegnet! Nun aber gehen wir schnell zu unseren
Armen und wollen sehen, wie sie sich befinden!“
27. Kapitel – Martins merkwürdige Erfahrungen an den Aufgenommenen. Martin will
belehren und wird belehrt.
[BM.01_027,01] Wir gehen nun zu den dreißig ersten, die Bischof Martin allein
hierher gebracht hat. Als wir eintreten, liegen sie auf den Gesichtern und
rufen: „O Herr, o Herr, Du großer, erhabener Gott in Jesu Christo, komme nicht
zu uns! Denn wir sind zu große Sünder und sind nicht der geringsten Gnade wert!
Zu überaus heilig und für uns zu unerträglich ist Deine Nähe!“
[BM.01_027,02] Bischof Martin schaut um sich her nach allen Seiten, um zu sehen,
wo denn die dreißig Jesus erschauten. Aber er sieht noch immer nichts und fragt
Mich: „Lieber Freund, was haben denn diese Armen? Sind sie von Sinnen, oder sind
sie etwa eingeschlafen ob des sicher auch genossenen Weines und haben nun
entweder ein lutherisches oder römisches Traumgesicht?“
[BM.01_027,03] Rede Ich: „Nein, nein, sicher nichts dergleichen; sie halten in
ihrem Sinne Mich dafür und darum schreien sie so.“
[BM.01_027,04] Spricht Bischof Martin: „Na, also doch eine Art Geistesschwäche,
nur ein wenig anders motiviert, als ich's mir gedacht habe. Übrigens haben sie
nach meiner Ansicht recht, dich als nun ihren größten Wohltäter unter dem
Begriffe des höchsten Wesens anzupreisen. Denn ich meine, ein jeder Wohltäter
deiner Art trägt eine große Portion der echten Gottheit in sich, und so er
geehrt wird, so wird auch die Gottheit in ihm geehrt. – Was wird aber nun mit
diesen Armen zu machen sein?“
[BM.01_027,05] Rede Ich: „Diese werden wir gerade bei ihrer Meinung ihrem
Wunsche nach belassen und werden uns zu den andern begeben. Denn wenn sie
vorderhand Meine Nähe nicht zu ertragen der Meinung sind, wollen wir sie auch
nicht weiter quälen; mit der Zeit wird sich's schon machen!“
[BM.01_027,06] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, so ist's recht! Übers Knie läßt
sich nichts Starkes brechen; daher gehen wir nur geschwind zu den andern, aus
dem Feuer Geretteten. Ich freue mich schon sehr auf sie!“
[BM.01_027,07] Wir gehen nun schnell zu den andern. Als wir an die Tür kommen,
sage Ich zu Bischof Martin: „Bruder, gehe du zuerst hinein und melde Mich und
den Petrus an! So sie es wünschen werden, werde Ich zu ihnen hineingehen.
Wünschen sie Mich aber nicht – was du aus ihren Worten leicht entnehmen wirst –,
da komme nur schnell wieder, daß wir uns dann an ein anderes Geschäft wenden
können!“
[BM.01_027,08] Bischof Martin tut gleich, was Ich ihn geheißen habe. Als er zu
diesen aus den Flammen Geretteten kommt, macht er ein ganz pathetisches Gesicht
gleich einer Amtsmiene und spricht: „Liebe Freunde, der Herr und der Meister
dieses Hauses will euch besuchen, so es euch genehm ist. Ist euch aber für
diesmal sein Besuch nicht willkommen, so äußert euch darüber und ihr sollt von
seinem Besuche verschont bleiben. Meine, eures Freundes Meinung aber wäre diese:
Da der Herr und Meister dieses Hauses ein gar überaus guter und sanfter Herr
ist, so soll euer aller Wunsch dahin gehen, daß er zu euch käme! Aber ihr seid
frei und könnt tun, was ihr wollt. Also äußert euch!“
[BM.01_027,09] Die Geretteten aber fragen den Bischof Martin: „Weißt du wohl,
wer dieses Hauses Herr und Meister ist?“
[BM.01_027,10] Bischof Martin spricht: „Das gerade weiß ich genau selbst nicht,
was aber hier in der Geisterwelt gar nicht so sehr vonnöten ist. Es ist genug,
daß ich aus der Erfahrung weiß, daß er ein überaus guter und weiser Mann ist.
Mehr wissen zu wollen, wäre sogar aberwitzig. Daher begnüget vorderhand auch ihr
euch mit dem, was ich euch auf ein gutes Gewissen von ihm ausgesagt habe. Und
gebt mir Bescheid, was ihr laut meinem Auftrage an euch wollt.“
[BM.01_027,11] Spricht einer aus der Gesellschaft der Geretteten: „Aber Freund,
warum bist du gegen uns so hinterhältig und willst uns das Heiligste und
Allerhöchste vorenthalten?
[BM.01_027,12] Siehe, der Herr und Meister dieses Hauses ist ja auch der
alleinige Herr, Schöpfer und ewige Meister des Himmels und aller Sonnen und
Erden in der ganzen Unendlichkeit, wie aller Menschen und Engel in Jesus
Christus!
[BM.01_027,13] Wie kannst du da sagen, du kennst Ihn nicht näher! Bist du denn
blind und hast noch nie beschaut Seine durchbohrten Hände und Füße, die wir doch
alle auf den ersten Blick entdeckt haben?
[BM.01_027,14] Betrachte nur Seinen mildesten Ernst, Seine große Liebe und
Weisheit, und lege deine Hände auf Seine durchbohrte Seite gleich einem Thomas;
du wirst dann sicher noch klarer als wir ärmsten Teufel ersehen, was da hinter
diesem deinem Herrn und Meister alles steckt!
[BM.01_027,15] Siehe, nicht als ob wir nicht wünschten in unserm Herzen, daß Er,
der Allererhabenste, der ewig Allerheiligste zu uns käme in dies Gemach Seiner
Erbarmung. Aber wir alle sind zu große und grobe Sünder und sind solch eines
Besuches nicht im geringsten wert, wo Gott käme zu Seinen allerletzten und
niedrigsten Geschöpfen, die Seine Liebe und Geduld auf der Erde so oft gar
schmählichst mißbraucht haben!
[BM.01_027,16] Daher vermelde du glücklichster Freund deines Gottes und Herrn,
den du nicht kennst oder nicht kennen willst: Unser Herz sehnt und sehnte sich
allzeit nach Ihm; aber unsere Sünden haben uns zu häßlich, schmutzig, nackt und
stinkend gemacht, als daß wir wünschen könnten, daß Er zu uns käme!
[BM.01_027,17] Wir vergehen beinahe vor Schande und Schmach, hier in diesem
Hause uns zu befinden, wo Er nun hauptsächlich der Sünder wegen zu wohnen
pflegt, um ihnen Seine Erbarmung angedeihen zu lassen. Was erst würde mit uns
geschehen, wohin würden wir uns verkriechen, so Er nun vollends zu uns käme?
[BM.01_027,18] Daher bitte Ihn, du Glücklichster, daß Er uns Nichtswürdigste
verschonen möchte; jedoch nicht unser, sondern Sein heiligster Wille geschehe!“
28. Kapitel – Martin als blinder Rationalist in der Klemme.
[BM.01_028,01] Bischof Martin spricht: „Oh, oh, oho, was fällt euch ein! Gott,
das allerhöchste, unendliche Wesen, das im ewig unzugänglichen Lichte wohnt und
mit Seiner Allkraft die ganze ewige Unendlichkeit erfüllt, wird Sich je in der
Gestalt eines Menschen zeigen und mit Händen arbeiten gleich uns?!
[BM.01_028,02] Gott erfüllt wohl solche Menschen und Geister mit Seinem
Gnadenlichte – manche mehr, manche weniger. Aber darum bleibt zwischen Gott und
Mensch noch immer eine unendliche Kluft.
[BM.01_028,03] Jesus war wohl unter allen Menschen ein von Gottes Kraft am
meisten erfüllter Mensch, aber darum doch ebensowenig wie wir ein Gott. – Kein
denkender Mensch und Geist kann das annehmen, indem man da auch glauben müßte,
der kleine Planet Erde wäre das Hauptzentrum aller Schöpfung, über welche
Annahme die Sonnen doch sicher ein wenig protestieren möchten!
[BM.01_028,04] Daher nur hübsch gescheit hier im ewigen Reiche der Geister! Es
ist genug, daß wir auf der Welt so dumm durcheinandergelebt haben und hielten
Brot, Wein und nicht selten geschnitzte Bilder für Gottheiten, während wir an
der Sonne das herrlichste Abbild der Gottheit hatten.
[BM.01_028,05] Betrachtet mich und meine beiden liebsten und besten Freunde als
das, was wir sind, so werdet ihr nie von einer so dummen Furcht heimgesucht
sein!
[BM.01_028,06] Ich weiß wohl, daß dieses Hauses Herr und Meister mächtiger ist
und weiser als wir alle zusammen. Und er kann auch vielleicht recht wohl jener
Jesus sein, der uns die weiseste Lehre gab. Aber für Gott müßt ihr ihn nicht
halten, sondern als das nur, was er ist, nämlich – wie ich schon früher bemerkt
habe – der beste, weiseste und somit mit Gotteskraft erfüllteste Mensch der
Erde!
[BM.01_028,07] Ihr wisset doch, wie er auf der Welt ist getötet worden von den
elendsten Menschen! Könnet ihr es annehmen, daß sich Gott als Urgrund alles
Seins und Lebens im Ernste von den elenden Menschen könnte töten lassen?
[BM.01_028,08] Was geschähe wohl mit einem Hause, so man dessen Grundfesten
zerstörte? Seht, es würde bald zusammenstürzen!
[BM.01_028,09] Was wohl wäre mit der ganzen Schöpfung, die da ist das
eigentliche Gotteshaus, im Moment geschehen, so man eben Gott Selbst vernichtet
hätte? Wer wohl hätte ohne Gott leben können? Hätte ein Gottestod nicht schon
lange zuvor alles Leben und Sein vernichtet?! Daher, meine liebsten Freunde, nur
schön gescheit hier in der Geisterwelt!“
[BM.01_028,10] Spricht wieder einer aus der Gesellschaft: „Freund, du hast zwar
sehr weise scheinend gesprochen, um uns zu trösten. Allein, du bist vom Ziele
ferner als wir, obschon du dich im fortwährenden Umgange mit dem Herrn
befindest, während wir armen Sünder uns vor Ihm gebührend tief scheuen und
fürchten müssen!
[BM.01_028,11] Ich aber sage dir als ein Sünder: du hast in der wahren Weisheit
noch nicht das Einmaleins begonnen – und willst über Gottes innere Weisheit
urteilen? So du Gott nur nach dem Volumen schätzest, wird dir Jesus freilich
noch lange zu klein-winzig vorkommen. Willst du aber bedenken, daß Gott nicht
nur pur Sonnen und Erden, sondern auch die Mücken gemacht hat, da wird es dir
vielleicht doch einleuchten, daß sich Gott auch mit kleinsten Dingen ebensogut
abgibt wie mit dem größten. Und daß es Ihm auch möglich sein kann, sich den
Menschen als Mensch zu zeigen, sie zu lehren und zu führen die rechten Wege! Die
Sonnen aber wird Er sicher auch als Sonne aller Sonnen leiten!
[BM.01_028,12] Wir Menschen aber verstehen nur wieder einen Menschen und so auch
Gott nur im Menschen Jesus. Die Sonnen aber verstehen wir nicht, sonach wären
sie für uns ohne Jesus auch eine vergebliche Gottheit!
[BM.01_028,13] Siehe, das ist mein Verstand! Geh und lerne deinen und unseren
Hausherrn besser erkennen, dann komme wieder und sage uns allen, ob ich unrecht
hatte!“
[BM.01_028,14] Bischof Martin verläßt nun die Gesellschaft und kehrt ganz
verblüfft zu uns zurück.
29. Kapitel – Der Herr gibt sich dem blinden Martin als Jesus zu erkennen.
[BM.01_029,01] Als Bischof Martin nun zu Mir kommt, spricht er sogleich: „Aber,
du mein allerliebster Herr, Meister, Freund und Bruder, das war eine schöne
Geschäftsbescherung von deiner Seite an meine angeborene Dummheit! Nun weiß ich
wirklich nicht: bin ich ein Narr – oder sind es die da drinnen, die nun die Türe
von uns scheidet.
[BM.01_029,02] Die haben im Grunde eine noch größere Furcht vor dir als die
früheren und halten dich im Ernste nicht nur für den einstigen Religionsstifter
Jesus, sondern auch für das allerhöchste Gottwesen selbst, und das mit einer Art
philosophischer Konsequenz, der man gerade keine Berge von Gegenbeweisen
entgegenstellen kann.
[BM.01_029,03] Sage mir auch du, liebster Freund, was an der Sache so ganz
eigentlich gelegen ist? Woher mag es doch kommen, daß diese armen Seelen oder
Geister von dir einen so sonderlichen Begriff haben? Ich sehe nun auch wirklich
die bekannten Wundmale an deinen Händen und Füßen und bin beinahe außer Zweifel,
daß du der einstige Heiland Jesus bist; aber Gott? Jesus und Gott zugleich? Das
– erlaube mir – ist etwas zu viel!
[BM.01_029,04] Und doch behaupten die da drinnen das keck weg! Woher also haben
denn diese einen solchen Begriff von dir eingesogen? Sollten sie etwa am Ende
doch noch recht haben? Das wäre mehr als zuviel für eine arme Seele, wie da die
meinige ist! Freund, wenn das im Ernste, mir freilich wohl unbegreiflichst der
Fall wäre, da wüßte ich selbst vor Angst und Schrecken mir nicht zu helfen! O
Freund, nun noch immer Freund – gib mir doch darüber einen beruhigenden
Aufschluß!
[BM.01_029,05] Rede Ich: „Freund und Bruder, du warst doch selbst Bischof auf
der Welt und hast Jesus, den Gekreuzigten, gepredigt und seine Gottheit sogar in
den kleinsten Hostienpartikeln bewiesen! Siehe, alle diese hier nun in unserm
Gewahrsam Befindlichen, die wir aus den Flammen gerettet haben, sind Schafe
deines Sprengels und Jünger deiner Lehre!
[BM.01_029,06] Warum hast du sie auf der Welt denn so gelehrt, wenn dir nun das
als Unsinn vorkommt, was sie als Schüler deiner Schule behaupten? Reden sie
Unsinn – Frage: ,Wessen ist er?‘ Reden sie aber weise – Frage: ,Was bleibt dann
ihrem einstigen Lehrer für Ruhm, so er nun seine eigene Lehre in seinen Schülern
bekämpfen will und auch wirklich bekämpft?‘ Ich meine, bei dieser Gelegenheit
würde für ihn auch der Unsinn offenbar!
[BM.01_029,07] Siehe, Ich bin wirklich Jesus, der Gekreuzigte! Und in diesem
Bruder habe Ich die Ehre, dir den wirklichen alten Petrus vorzustellen, auf
dessen angenommenem Stuhle die Bischöfe Roms sitzen und herrschen: freilich
nicht in der Ordnung dieses wirklichen Petrus, sondern in der Ordnung jenes
Petrus, den sie sich selbst erdichtet haben, wie sie ihn zu ihren materiellsten
Zwecken am besten brauchen konnten. Nun weißt du, wer Ich und dein erster Führer
sind; das Weitere werden dir deine eigenen Jünger zeigen!
[BM.01_029,08] Ich sagte aber einst, daß die Kinder der Welt klüger sind denn
die des Lichts. So du dich aber schon für einen Sohn des Lichtes gleich einem
Herrscher Chinas hältst, so gehe hin zu deinen Schülern, die da reine Weltkinder
sind, und lerne von ihnen Klugheit wenigstens, so dir ihre Weisheit schon
durchaus nicht munden will und mag!“
[BM.01_029,09] Spricht Bischof Martin : „O Freund, du bist wohl der Jesus, der
sich als Sohn des Allerhöchsten verkündete und verkünden ließ – wo aber ist der
Allerhöchste? Wo ist der allmächtige, ewige Vater? Wo dann der aus beiden
hervorgehende Heilige Geist, so wir schon auf das Dogmatische zurückgehen wollen
und beseitigen das Licht der reinen Vernunft?“
[BM.01_029,10] Rede Ich: „Was steht im Evangelium geschrieben? Siehe, da heißt
es: ,Ich und der Vater sind eins; wer Mich sieht, der sieht auch den Vater!‘
Wenn du glaubst, was fragst du da weiter, so du Mich siehst? Glaubst du aber
nicht, was fragst du? Bleibe, wie du bist, und Ich auch, wie Ich bin, und Ich
meine, wir werden einander doch nicht in die Augen fahren?
[BM.01_029,11] Da drinnen aber sind deine Schüler. Gehe hinein zu ihnen und
lerne von ihnen Meine Lehre von neuem. Dann komme wieder, auf daß Ich sie dir
hernach erkläre!
[BM.01_029,12] Denn Ich, der wirkliche Heiland Jesus, sage dir hier in Meinem
ewigen Reiche, daß du ein unsinniger Geist bist und erkennst nicht Meine
übergroße Liebe, die Ich zu dir habe. Ich trage dich auf den Händen, und du bist
noch immer taub und blind! Ich gebe dir das Brot des Lebens, und du verzehrst es
wie ein Polyp, ohne auf die innere Wirkung zu achten, die es doch bei diesen
Sündern plötzlich hervorgebracht hat!
[BM.01_029,13] Du bist wohl einer, der mit offenen Augen und Ohren nichts sieht
und hört. Welche wunderbarsten Begebnisse habe Ich um dich her geschehen lassen,
und du fragtest nicht: ,Wer ist Der, dem Meere und Winde gehorchen?‘
[BM.01_029,14] Darum gehe noch einmal zu diesen deinen Jüngern und lerne von
ihnen Den erkennen, den du bis jetzt noch stets dir gleich gehalten hast! Es
sei!“
30. Kapitel – Zwiegespräch zwischen dem Rationalisten Martin und dem weisen
Lichtmanne über die Gottheit Jesu.
[BM.01_030,01] Bischof Martin macht ein noch verblüffteres Gesicht, tut aber
dennoch sogleich, was Ich ihm nun notwendig etwas ernster angeraten habe.
[BM.01_030,02] Als er wieder zu den Geretteten kommt, erstaunt er, daß er sie
nun schon ganz verändert antrifft. Ihre Züge sind verjüngt und veredelt, und
ihre früher beinahe nackten Leiber sind mit blauen Kleidern angetan, die um die
Lenden mit einem purpurroten Gürtel an den Leib in vielen reichen Falten
angeschmiegt sind. Unter der Gesellschaft entdeckt er eine erhabenere
Mannsgestalt mit einem glänzend weißen Hut auf dem Haupte, unter dem reiche,
goldblonde Locken herumwallen bis über den halben Rücken.
[BM.01_030,03] Dieser schöne Mann geht sogleich auf unseren Bischof Martin los
und fragt ihn: „Freund, du bist schnell wieder zu uns zurückgekehrt! Hast du an
dem allererhabensten Meister und Herrn dieses Hauses das gefunden, auf das wir
alle dich aufmerksam gemacht haben? Ist Er das? Ist Er Jesus, der Herr Himmels
und der Erde natürlich und geistlich, zeitlich und ewig?“
[BM.01_030,04] Spricht Bischof Martin: „Jesus, – ja, ja, das ist er wohl. Aber
mit der Gottheit – da scheint die Sache noch nicht ganz im Reinen zu sein. Ich
meine, mit der Annahme, daß Jesus auch wirklich Gott ist, sollte man doch etwas
behutsamer zu Werke gehen. Denn wenn er es am Ende doch nicht wäre und dem
allerhöchsten Wesen mißfiele solch eine Annahme? – könnte sein, daß Es uns dann
verdamme, zu seiner Zeit, wie Es dies schon mit vielen Völkern der Urzeit getan
hat, die gewagt haben, neben Ihm an mehrere Götter zu glauben. Was täten wir
dann samt unserm guten Herrn Jesus?!
[BM.01_030,05] Denn bei Moses heißt es ein für allemal: ,Du sollst nur an einen
Gott glauben und sollst dir weder ein geschnitztes Bild machen und es anbeten,
noch sollst du wem andern als allein Mir die Ehre geben. Denn Ich bin der
alleinige Herr und Gott, der Himmel und Erde gegründet hat und alles, was darauf
und darinnen ist, lebt und atmet!‘
[BM.01_030,06] Moses spricht wohl sehr dunkel von einem Erlöser, der die Völker
vom harten Joch der alten Knechtschaft befreien würde. Aber daß Jehova selbst in
diesem Erlöser zur Erde herabsteigen würde, davon steht im ganzen Moses keine
Silbe. Daher ist diese eure Annahme etwas zu schnell; da heißt's alles genau
prüfen und wohl erwägen, was man tut.
[BM.01_030,07] Haltet Moses und Jesus gegeneinander, so werdet ihr es selbst
finden, wie schwer, ja wie beinahe ganz unmöglich sich die Gottheit Mosis mit
der Gottheit in Jesus vereinigen läßt. Dieses schärfsten mosaischen
Gottesgesetzes wegen hat ja schon Moses selbst auf Gottes Geheiß die Todesstrafe
gesetzt: so jemand dadurch Gott lästern möchte, daß er entweder einem Götzen
opferte, oder einen Zauberer, einen Propheten oder irgendeinen andern Helden für
die Gottheit hielte! Ein Grund, der auch Jesus an das Kreuz brachte, obschon er
über seine vorgeblich göttliche Sendung im Angesichte der Schriftgelehrten sich
stets nur in dunklen Bildern auszudrücken pflegte.
[BM.01_030,08] Es ist auch sehr schwer einzusehen, warum die Gottheit durch
Moses mit solchem Himmelspompe eine Kirche gegründet hätte für oft
ausgesprochene ewige Zeiten – wenn diese Kirche dann mit Jesus als derselben
Gottheit gegen ihre oftmalige Verheißung einen vollen Garaus bekäme!
[BM.01_030,09] Darum, liebe Freunde, ist eure vorschnelle Annahme der
Jesusgottheit etwas sehr Kitzliges und Delikates hier in der Geisterwelt.
[BM.01_030,10] Ich sehe wohl, daß euch wahrscheinlich diese eure Annahme in
diesem Jesushause schnell in einen bessern Zustand versetzt hat durch ein
kleines Hauswunderchen. Aber daß ich euch darob bis jetzt noch nicht im
geringsten beneide, dessen könnet ihr völlig versichert sein. Denn ich bleibe
immer bei dem Grundsatze: ,Wer zuletzt lacht, der lacht am besten!‘“
[BM.01_030,11] Spricht der große Mann mit dem strahlenden Hute: „Freund, alles,
was du hier geredet hast, kenne ich so gut wie du. Und dennoch bedaure ich dich
ob deiner Blindheit und befürchte sehr, daß du nach deiner Meinung je zuletzt
lachen wirst. Ich und diese ganze Gesellschaft aber denken also:
[BM.01_030,12] Jesus, dessen Ankunft alle Propheten gleich vorausgesagt haben,
von dem David singt: ,Also spricht der Herr zu meinem Herrn!‘ oder: ,Also
spricht Gott der Herr zu Sich Selbst: Setze dich zu Meiner Rechten, bis Ich alle
Feinde lege zum Schemel deiner Füße!‘, und: ,Machet die Tore weit und die
Pforten hoch, auf daß der Herr der Herrlichkeit, auf daß Jehova einziehe in
unsere Stadt, in die heilige Stadt Gottes, in Seine Stadt!‘; –
[BM.01_030,13] Jesus, dessen Geburt nach der einstimmigen Erzählung der
Evangelisten voll Wunder war, ja dessen ganzes Leben eigentlich sich als ein
ununterbrochenes Wunder darstellte; –
[BM.01_030,14] Jesus, der in Seiner Lehre nur zu oft klar zeigte, wer Er war in
Seinem innersten Wesen, und der einen der zehn Gereinigten fragte, als dieser
zurückkam und Ihm die Ehre gab: ,Wo sind denn die andern neun, daß sie auch
herkämen und Gott die Ehre gäben?‘; –
[BM.01_030,15] Jesus, der aus eigener Macht am dritten Tage aus dem Grabe
erstand und hernach noch bei 40 Tage auf der Erde umherging und sie, Seine
Schüler, unterrichtete, darauf vor tausend gläubigen Augen in die Himmel
aufstieg und bald darauf den Geist der ewigen Kraft, Macht, Liebe und Weisheit
aus den Himmeln auf die Seinen niederwehen ließ; –
[BM.01_030,16] Jesus, von dem Johannes das erhabenste Zeugnis gibt, sowohl in
seinem Evangelium wie auch in seiner hohen Offenbarung:
[BM.01_030,17] Sage, Freund, ist es dir wohl noch möglich, diesen Menschen aller
Menschen für nicht mehr als bloß nur für einen ganz gewöhnlichen Weltweisen zu
betrachten? –
[BM.01_030,18] Schau, Freund, ich will dir etwas recht Dummes sagen. Aber es
scheint mir doch weiser zu sein, als was du sagst: Ich meine, wenn Gott der Herr
nicht das Menschliche angenommen hätte, um auch von uns Menschen, Seinen
Geschöpfen, gesehen zu werden, wozu wohl hätte Er uns erschaffen? Für sich
nicht! Denn was hätte Er davon, so wir Ihn nie zu Gesicht bekämen und vollauf
liebten? Und wozu wäre uns ein Leben ohne einen erschaulichen Gott? Denke
darüber nach, vielleicht wird's dir dann doch etwas heller in deinem Verstande
werden!“
[BM.01_030,19] Bischof Martin spricht: „Laßt mich nun ein wenig in Ruhe; ich
werde deine ziemlich hellen Worte ein wenig tiefer beherzigen!“
[BM.01_030,20] Nach einer ziemlich langen Pause fängt Bischof Martin wieder zu
reden an und spricht: „Freund, ich habe nun deine Worte nach allen mir
denklichen Seiten erwogen und sehe nur stets mehr das Gegenteil von dem, was du
ehedem behauptet hast. Dessenungeachtet aber bin ich nicht hartnäckig und will
aus ganzem Herzen gerne deiner Meinung beipflichten, so du mir einige meiner
Fragen zu meiner Zufriedenheit beantwortest.“
31. Kapitel – Kritische Fragen Martins und die Antworten des Weisen.
[BM.01_031,01] Spricht der Weise aus der Gesellschaft: „Frage, und ich will dir
antworten; ob zu deiner dich selbst überzeugenden Zufriedenheit oder nicht, wird
wenigstens mir ganz einerlei sein.“
[BM.01_031,02] Bischof Martin fragt: „Warum hat die Erde nur einen höchsten
Berg? Und liegt darum die Gottheit in ihm oder über ihm ganz in ihrer Fülle,
weil er der einzige höchste Berg der Erde ist?“
[BM.01_031,03] Spricht der Weise: „Wohl hat die Erde einen Berg, der da höher
ist als jeder andere bekannte Berg, der die Erde mit seinem mächtigen Fuße
drückt. Allein, darum ist er nicht der Berge Gott, sondern Gott wußte und weiß
es, warum Er auf diesen Planeten einen höchsten Berg gesetzt hat.
Wahrscheinlich, um damit den Winden einen allgemeinen Teilungs- und
Abteilungspunkt zu geben. Darum auch zumeist zunächst dem Äquator in den
tropischen Ländern die höchsten Berge vorkommen, weil eben in diesen nahe dem
Hauptgürtel gelegenen Ländern die Winde zufolge der Erdrotation am heftigsten
sein müßten. Und weil da die Zentrifugalkraft am heftigsten wirken muß, weshalb
die Umschwungkreise vom Mittelpunkt oder der Achse am weitesten abstehen.
[BM.01_031,04] Wären demnach in diesen Gegenden nicht solche höchsten
Windregulatoren vom Herrn aufgerichtet, da wären sie wohl für ewig unbewohnbar.
In der Richtung – und zwar in den größten Kontinenten, besonders in Asien –, wo
die Luft in einem Hauptstrome sich eint, sind demnach auch die höchsten Berge.
Und in Asien, als dem größten Kontinent, ist auch ein allerhöchster Berg der
Erde notwendig. – Bist du mit dieser Antwort zufrieden?“
[BM.01_031,05] Spricht Bischof Martin: „Vollkommen in seiner Art! – Aber nun
eine Frage weiter: Warum ist in Amerika der Amazonenstrom sicher der größte auf
der ganzen Erde? Ist etwa darum die Fülle der Gottheit in ihm?“
[BM.01_031,06] Spricht der Weise: „Freund, ich weiß wohl, wo du am Ende
hinauswillst. Aber dessenungeachtet will ich auch diese sehr alberne Frage so
gründlich als tunlich beantworten.
[BM.01_031,07] Siehe, Amerika ist ein viel jüngerer Kontinent und hat in den
Kordilleren ein höchst ausgedehntes Gebirge, sowie auch in den Anden.
[BM.01_031,08] Die Gebirge stehen einerseits sehr nahe an dem größten Weltmeere
und haben daher in ihren unterirdischen Fundamenten eine übergroße Menge Wasser,
das da fortwährend aufsteigt durch die zahllosen Poren und durch die vielen
größeren Adern und Kanäle. Andererseits aber hat besonders Südamerika, als ein
jüngstes, erst kaum einige 1000 Jahre über den Meeresspiegel erhobenes Land,
überaus große und sehr wenig über den Meeresspiegel emporgehobene Flächen und
Ebenen von meistens sehr lockerem Sandgehalte.
[BM.01_031,09] Wo aber ausgedehnte Gebirge viel Wasser ausbeuten und sich diese
dann in den größten ebenen Flächen ansammeln, ohne Widerstand ausbreiten können
und nur sehr langsam dem Meere zuströmen, da muß es auch notwendig und leicht
den größten und breitesten Strom geben. Ohne daß darob mehr von der Gottheit
darinnen enthalten zu sein braucht als in einem Regentropfen! – Sage, bist du
mit dieser Antwort zufrieden?“
[BM.01_031,10] Spricht Bischof Martin: „Vollkommen in seiner Art. Die Antwort
läßt nichts zu wünschen übrig. Aber darum nur weiter!
[BM.01_031,11] Sage mir: Warum ist der Diamant der härteste und durchsichtigste
Edelstein und warum Gold das edelste Metall?“
[BM.01_031,12] Spricht der Weise: „Weil es die Menschen dazu gemacht haben nach
ihrem eitlen Gutachten. Und das taten sie, weil diese Mineralien seltener
vorkommen als andere. Lassen wir aber die Diamanten so häufig vorkommen wie
Kiesel, und Gold so wie das Eisen – und man wird mit Diamanten die Straßen
beschottern und die Wagenräder mit Gold beschlagen.
[BM.01_031,13] Warum aber gerade diese zwei Mineralien seltener vorkommen als
andere, das wird der Herr am besten wissen. Wahrscheinlich, weil sie für den
Geist des Menschen einen zu großen Giftgehalt aus der Hölle beigemischt haben,
woraus sich mit großer Konsequenz schließen läßt, daß in diesen für die
Weltmenschen edelsten Mineralien eben nicht eine zu große Portion von der
Gottheit stecken wird. Bist du auch mit dieser Antwort zufrieden?“
[BM.01_031,14] Spricht Bischof Martin: „Ich kann dir nichts einwenden – daher
muß ich mich zufriedenstellen in seiner Art. Aber das, was ich von dir
erwartete, fand ich in keiner dieser deiner Antworten: nämlich einen natürlichen
Beweis für die Gottheit Jesu!
[BM.01_031,15] Siehe, auf der Erde, wie sicher auf jedem Planeten, gibt es in
jeder Art der Dinge, der Wesen und so auch der Menschen gewisse höchste Punkte,
so einzig und alleinig in ihrer Art, daß sie nie übertroffen werden können. So
gibt es sicher irgendeine größte Sonne, einen größten Planeten, auf dem Planeten
selbst wieder allererste Vorzüglichkeiten, die unübertrefflich sind in ihrer
Art. Kann ein Weiser aber darum von solchen Vorzüglichkeiten behaupten, sie
seien darum Gottheiten, weil sie in ihrer Art alles in einem beispiellos
höchsten Grade übertreffen? – Also taten es wohl die Heiden, die alles nach
ihrer Einsicht unübertrefflich Vollkommenste vergötterten, aber auf diesem Wege
am Ende in die schändlichste Vielgötterei kamen.
[BM.01_031,16] Es gab sicher irgend einmal einen gelehrigsten Affen, Hund, Esel
gleich dem des Bileam, ein schönstes und mutigstes Pferd, wie der Buzephalus des
Cäsar, sicher ein schönstes Weib gleich der Mediceischen Venus, also auch einen
Apollo, eine weise Heldin Minerva, eine eifersüchtigste Juno.
[BM.01_031,17] Die Heiden haben diese Eminenzen samt und sämtlich vergöttert,
was kein Mensch leugnen kann. So aber die Bewohner eines Planeten schon mit
außerordentlichen Vorzüglichkeiten aus allen Reichen der Natur das taten, was
Wunder, so die gleichen Menschen den weisesten Lehrer und größten Magier zur
ersten Gottheit erhoben, ihm Altäre errichteten und ihn bis zur Stunde noch
anbeten; ein Teil aus wirklicher, freilich stockblinder Frömmigkeit, der größte
Teil aber aus Politik wegen der Erhaltung der Blindheit der andern.
[BM.01_031,18] Weil aber nur die Menschen aus ihrem weisesten Mitmenschen das
machten – Frage: Ist das wohl ein hinreichender Grund zu seiner vollsten
Vergötterung?! Oder sind je von uns gesehene und gesprochene höhere Wesen zur
Erde gekommen und haben die Gottheit Jesu vollends gezeigt und bestätigt?
[BM.01_031,19] Man erzählt sich wohl Wunderdinge von seiner Geburt, auch, wie da
höhere Geister zur Erde sichtbar niedergestiegen sind und hätten die Menschheit
von seiner Göttlichkeit unterrichtet. Ich frage aber mit gleichem
Menschenrechte: Haben auch wir davon je etwas gesehen? Ich wenigstens nie!
Vielleicht du?
[BM.01_031,20] Ja, in einem langweiligen und eigennützigen Mönchs- oder
Nonnentraum haben sich wohl ähnliche Lügen lassen zusammendichten können. Fragen
wir aber nach der Wahrheit, so kommt nichts als Mensch und wieder Mensch zum
Vorschein, von denen jeder mehr und wunderbar mehr wissen will als sein
Nächster, aber jeder bei sich selbst sagen muß: ,Herr, ich bin blind; mein
ganzes Wissen ist bloß ein angewohnter, stumpfer Glaube und sonst nichts!‘
[BM.01_031,21] Von einer Überzeugung kann da nie die Rede sein, wo ein Mensch
auf die Autorität des andern baut und sonst nichts als eben diese Autorität als
höchstes Beweismittel annimmt. Und annehmen muß, weil er sich unmöglich von
irgendwoher lebendigere Beweise verschaffen kann als eben nur von Menschen, wo
man dann freilich wohl sagen muß: ,Vox populi, vox dei‘, weil man vom
eigentlichen Deus außer auf rein menschlichem Wege noch nie etwas vernommen hat.
[BM.01_031,22] Eine Offenbarung ist demnach auch nur ein Menschenwerk und kann
nichts anderes sein, indem wir bei unsern Lebzeiten nie eine andere zu Gesichte
bekommen haben als eine solche nur, an der Menschenhände und menschliche
Phantasien nur zu sehr erkennbar sind.
[BM.01_031,23] Also, mein liebster Freund, prüfe ich nun wohl alles, bevor ich
es annehme, und bin nicht unüberzeugbar. Aber deine Beweise sind mir wahrlich
nicht genügend. Ein Mensch kann wohl für Gotteserkenntnis den größten Trieb
haben; diesen aber kann kein Mensch, sondern nur Gott selbst befriedigen. Ich
meine aber: Bevor wir zu dieser Befriedigung gelangen werden, werden wir noch
ungeheuer viel in allen Seinen Schöpfungsräumen durchmachen müssen, bevor wir
für eine wahre göttliche Offenbarung werden fähig sein!
[BM.01_031,24] Alles aber, was uns bis jetzt begegnet ist, ist nichts als nur
eine erste Elementarschule für den einstigen großen, heiligen Unterricht. –
Kannst du mir aber auf diese meine klaren Argumente etwas Besseres, Reineres,
Wahreres und somit Göttlicheres erwidern, so bin ich in aller Geduld bereit,
dich mit aufmerksamstem Gemüte anzuhören.“
32. Kapitel – Fortsetzung des Gespräches über die Gottheit Jesu.
[BM.01_032,01] Spricht der Weise: „Freund, fürwahr, ich muß offen gestehen, daß
ich dir nicht gewachsen bin, obschon du mit allen deinen triftigsten Beweisen
von der einzigen Gottheit Jesu, des Herrn, auch nicht ein Atom weggenommen hast.
Im Gegenteil nur vielfach mehr bestärkt, weil ich daraus noch klarer ersah, daß
Gott auch ein Mensch, aber freilich der allerhöchste und allervollkommenste
Mensch ist und sein muß. Sonst wären wir unmöglich das, was wir sind, nämlich
Menschen, und könnten Gott auch nicht lieben, so Er nicht ein Mensch aller
Menschen wäre.
[BM.01_032,02] Die Liebe aber ist unser höchstes Gut, unser Leben, unsere
Seligkeit! Wozu wohl wäre sie, so wir Gott nicht lieben könnten, da Er kein
Mensch wäre?
[BM.01_032,03] Tue nun, was du willst – aber von mir erwarte ja keine höhere
Weisheit; ich gab dir hiermit alles, was ich hatte!“
[BM.01_032,04] Der Bischof Martin denkt über das vom Weisen der Gesellschaft
Gesagte nach und spricht nach einer Weile, mehr zu sich als zum Weisen: „Du hast
im Grunde recht; denn wenn der Pentateuch des Moses die Wahrheit spricht, mußte
Gott freilich wohl ein Mensch sein, ansonst Er den Adam nicht nach Seinem
Ebenmaße erschaffen hätte, so Er selbst nicht die gleiche Gestalt hätte!
Dieselbe Gestalt aber setzt freilich auch dieselbe Wesenheit voraus!
[BM.01_032,05] Ein Uhrmacher braucht freilich wohl selbst keine Uhr zu sein, um
eine Uhr zu machen; aber die Idee der Uhr muß er doch aus sich nehmen, ansonst
er keine Uhr zuwege brächte!
[BM.01_032,06] Aber da ist schon wieder ein Haken: So ein Mensch eine Idee
fassen kann, die ihm nicht gleicht, also ein ganz anderes Bild ist, sollte das
Gott nicht vermögen? O sicher, das wird Er gar wohl vermögen!
[BM.01_032,07] Demnach könnte der Text aus dem Pentateuch etwa so zu verstehen
sein: ,Gott schuf den Menschen nach Seinem Ebenmaße‘ heißt: ,Gott schuf den
Menschen nach dem Maße Seiner Idee, d.h. Seiner Idee vollkommen entsprechend!‘
[BM.01_032,08] Wenn der Text so zu verstehen ist – was sehr viel
Wahrscheinliches hat –, wäre dann freilich noch lange keine Folge, daß Gott den
Menschen gerade nach Seiner Gestalt geschaffen hätte. Oder daß Gott überhaupt
eine begrenzte Gestalt haben müßte, um einen Menschen gestalten zu können. Ist
ja doch jede Idee als Begriff an sich gestaltlos, so kann auch Gott an und für
sich als die Totalgrundidee aller Ideen auch gestaltlos sein.
[BM.01_032,09] Müßte man annehmen, daß Gott, um Menschen zu gestalten, auch
notwendig eine Menschengestalt haben müsse, so müßte Er, um einen Bären oder
einen Haifisch und so fort alle zahllosen Dinge zu gestalten, entweder Sich in
alle diese Gestalten verwandeln können, oder Er müßte gewisserart geteilt in
allen diesen Gestalten für ewig unveränderlich vorhanden sein, damit an Ihm alle
Dinge und Wesen ein sie allzeit richtendes und nach Ihm formendes Muster hätten.
[BM.01_032,10] Das anzunehmen wäre doch wohl die barste alte scholastische
Faselei! Daher braucht Gott auch keine Gestalt, um Menschen als Menschen zu
gestalten. Und am allerwenigsten braucht Er darum selbst ein Mensch zu sein –
welche Annahme auch dem Begriffe der vollkommensten göttlichen Freiheit
schnurgerade in die Quere springt. Denn wie ist eine vollste Freiheit unter dem
Begriffe einer gestaltlichen Einschränkung denkbar?
[BM.01_032,11] Daher muß auch die vollste Freiheit gestaltlos sein, was auch mit
dem Texte des Pentateuch zusammengeht, wo Jehova dem Moses streng verbietet, Ihn
sich irgend unter einem Bilde vorzustellen.
[BM.01_032,12] Ja, ja, du mein geliebter Freund, nach der reinen Vernunft werde
wohl ich recht haben, du aber wirst nach Paulus ,deines Glaubens leben‘! Ist
freilich auch ein Leben, aber ein Leben ohne Einsicht und ohne Rechnung. Ich
will es dir nicht nehmen und will aus dir auch keinen Proselyten machen. Aber
zeigen muß ich dir doch, daß ein einstiger Bischof auf der Erde nicht um ein
leichtes Geld gleich einem Hasenbalge umzuwenden ist, besonders von jenen schon
gar nicht, die auf der Erde seine Schafe waren!“
[BM.01_032,13] Spricht der Weise „Ah – ja so, nun weiß ich freilich, von welcher
Seite her der Wind weht! Ja, so du derjenige Bischof bist, der erst vor einigen
Wochen dies ewige Sein mit dem zeitlichen vertauschte, dann ist es wohl
begreiflich, warum dir die Gottheit Jesu nicht eingeht! Ex trunco non fit
Mercurius!
[BM.01_032,14] Ich aber bin der Buchhändler in derselben Stadt, wo du Bischof
warst. Ich weiß es nur zu gut, wie du beschaffen warst! Äußerlich ein Zelot
ohnegleichen, bei dir selbst aber ein barster Atheist! Wer las fleißiger den
Kant, den Hegel und vollends mit dem größten Enthusiasmus den Strauß? Voltaire,
Rousseau und Helvetius lagen statt der Vulgata stets auf deinem Lesepulte, –
lauter Geister, die du auf der Kanzel und in deinen Hirtenbriefen tausendmal zur
Hölle sandtest, aber bei dir im Herzen bei weitem über Jesus erhobst!
[BM.01_032,15] Siehe, das weiß ich am besten, weil ich dir alle diese Werke
liefern mußte und dein Vertrauter war. Aber ich folgte dir dennoch nicht,
sondern ging meinen geheimen Weg fort, den ich in Swedenborg fand, von dem du
aber nie etwas wissen wolltest, weil er nicht für deine römische Zwickmühle
taugte! Gut, daß ich das nun weiß! Wir werden darum schon einige Wörtlein
miteinander zu wechseln bekommen!“
[BM.01_032,16] Spricht der Bischof Martin ganz verblüfft: „Nun, jetzt geht es
gut! Zu allen Übeln auch noch das! Muß aber dich der – Gottstehunsbei auch
gerade hierher gebracht haben!
[BM.01_032,17] (Bei sich:) Der Kerl von einem Buchhändler weiß auch noch eine
Menge anderer Stückeln von mir! Na, das wird eine schöne Wäsche hier in der
Geisterwelt absetzen!
[BM.01_032,18] Wenn nur der Hausherr Jesus, der es ganz sicher ist, nicht etwa
hereinkäme! Das wäre ja eine verzweifelte Geschichte! Denn ich habe von ihm
schon so einige Leviten bekommen, und er hat mir schon einige meiner irdischen
Lumpereien aufgedeckt!
[BM.01_032,19] Aber wenn dieser Glanzhütler anfängt, über mich loszuziehen und
aufzudecken meine geheimen Hauptlumpereien, da wird es mir sicher nicht am
besten ergehen. Vielleicht komme ich wieder so auf irgendein angenehmes Wasser
oder auf sonst ein Uferl hin – sicher auf einige Millionen von kurzweiligen
Jahren! Oh, oh, ohoh! Das wird wieder löblich sein! –
[BM.01_032,20] Was tue ich denn nun, um dieser Kalamität auszuweichen, wenn hier
überhaupt ein Ausweichen möglich ist? Hm – aha, ja, da hab ich's schon, so
geht's! Und geht es nicht, so gehe ich denn wieder an irgendein Meeresuferchen,
die Ewigkeit auf selbem fischen! In Gott's Nam', ist mir nun schon alles eins!
Nein, gerade mit diesem Kerl mußte ich hier zusammenkommen! Aber die Sache läßt
sich nicht mehr ändern; daher nur einen rechten Entschluß gefaßt und ausgeführt!
Was tue ich also nun?“
[BM.01_032,21] Fällt ihm unaufgefordert der Buchhändler ins Wort und sagt:
„Glaube, was ich wohlbegründet glaube, so wirst du aller deiner vermeintlichen
Kalamität entgehen. Halte mich aber weiter für keinen Verratspitzel mehr,
sondern für deinen Freund, dem du aus dem Feuer seines blinden Eifers halfst und
hast ihn bekleidet, da er nackt war!
[BM.01_032,22] Glaube mir: Jesus, der Herr, wird an uns ewig keine Spione und
Verräter brauchen. Denn Ihm sind unsere innersten Gedanken schon eher bekannt,
als wir sie noch in unserer Seele empfunden haben – daher wir uns füglich die
Mühe, einander anzuschwärzen, völlig ersparen können!
[BM.01_032,23] Schau, schau, Bruder, warum sollte denn Jesus nicht der Herr
Himmels und aller Welten sein können, warum nicht Gott der Ewige, der endlos
Mächtige? Sollte denn Ihm gerade das Leichteste meines Erachtens – wenn für Gott
überhaupt Schwereres oder Leichteres denkbar ist – weniger möglich sein als
etwas, das ich für viel schwerer erachten möchte?
[BM.01_032,24] Sollte es Dem, von dem jedes durch Zeit und Raum begrenzte Wesen
hervorging, wohl unmöglich sein, ohne Verlust Seiner göttlichen Allmacht, aus
Liebe zu uns, Seinen Geschöpfen, Seinen Kindern, Sich selbst in Zeit und Raum
einzuschränken, da doch Zeit wie Raum aus Ihm hervorgehen?
[BM.01_032,25] Oder: Sollte ein Maler oder Bildner, der tausend Gestalten in
Farben oder in geformter Materie wiedergab, nicht auch sich selbst zu malen oder
zu meißeln imstande sein? Wenn das schon einem Menschen möglich ist – wennschon
in unvollkommenstem Sinn –, wie sollen wir uns von Gott da etwas Unmögliches
denken können?
[BM.01_032,26] Oder: Wäre Gott wohl das höchst freieste Wesen, so Er irgend
etwas aus Sich selbst nicht zu bewirken imstande wäre? Du beschränkst Ihn ja
durch deine Hegelianischen Grundsätze völlig, und machst aus Ihm einen
Unendlichkeitsarrestanten, der höchstens Zentralsonnen erschaffen kann mit
Erden, Menschen, Tieren. Aber mit Infusorien vollends – die doch auch Leben
haben und einen kunstvoll konstruierten Organismus, durch den sich eben das
Leben kundgibt –, als endlos großes Allwesen unmöglich etwas zu tun haben
könnte, und sich daher um uns Menschen auch nicht kümmern möchte und könnte
eher, als bis wir etwa die Zentralsonnengröße möchten erreicht haben? Wie aber
das? Darüber werden auch Hegel und Strauß geschwiegen haben! –
[BM.01_032,27] Ich, dein Freund, meine nun, du wirst zur Einsicht kommen und
wirst keinen Anstand mehr finden, Jesus die Ehre zu gönnen und zu geben, die Ihm
für alle Ewigkeiten der Ewigkeiten gebührt, um so mehr, da Er dir schon so große
Gnaden von neuem erzeigt hat!“
[BM.01_032,28] Spricht der Bischof Martin: „Bruder, Freund! Ich habe dich aus
der Flamme gezogen. Du aber hast mir dafür nun eine andere Flamme mächtigsten
Lichtes gegeben! Ich danke Ihm, ich danke dir! Aber nun laß mich sammeln, laß
mich fassen! Zu groß, zu unendlich ist der Gedanke, den ich jetzt denken muß!
Daher gönne mir einige Ruhe! – Ich erwache, ich erwache!! –“
33. Kapitel – Bischof Martin erkennt in Jesus den Herrn. Die Furcht des Sünders.
Martins Belehrung.
[BM.01_033,01] Nach einiger Zeit begann Bischof Martin wieder zu reden: „Ja, ja,
liebster Bruder, ich kann nun denken, wie ich will, so halten deine jetzigen
Grundsätze allenthalben Stich. Unser Hausherr und Meister ist und bleibt auch
der Hausherr und der Meister der Unendlichkeit und aller Ewigkeit! Er ist
unstreitbar der ,Sohn‘ des allerhöchsten Wesens, das da sicher ist der schon gar
oft bezeichnete ,Vater‘! Aber wo ist nun der ,Heilige Geist‘ als gewisserart die
dritte göttliche Person?
[BM.01_033,02] Spricht der weise Buchhändler: „Freund, da mußt du ganz dem
Evangelium folgen! Siehe, hier ist eine Bibel, und darin das Neue Testament. Da
lies den Johannes, den ich dir schon einmal angezogen habe! Sieh, dieser
spricht: ,Im Anfange war das Wort, das Wort war bei Gott, Gott war das Wort;
dies Wort ist zu Fleische geworden und hat in (Jesus Christus) unter uns
gewohnt!‘ usf.
[BM.01_033,03] Wieder heißt es in einer andern Stelle: ,In Jesus Christus wohnt
die Fülle der Gottheit körperlich!‘ Und wieder: ,Wer Mich sieht, der sieht auch
den Vater; denn Ich und der Vater sind Eins, – der Vater ist in Mir, und Ich im
Vater!‘ – und dergleichen Stellen noch eine schwere Menge!
[BM.01_033,04] Siehe, so man derlei Stellen, wie überhaupt das ganze Alte und
das Neue Testament wohl überdenkt, so stellt sich immer mehr heraus, daß Jesus
der alleinige Herr und Schöpfer Himmels und aller Erde ist!
[BM.01_033,05] Als die Apostel Ihn angingen, daß Er ihnen denn doch auch einmal
so à la Verklärung auf dem Berge Tabor den Vater zeigen solle, indem Er ihnen
schon so viel von Ihm erzählt hatte, da verwunderte Sich Jesus förmlich über die
Blindheit Seiner Schüler und sprach: ,Was sagt ihr (Blinden): ,Zeige uns den
Vater!‘, und doch bin Ich schon so eine geraume Zeit unter euch?! Wisset ihr
denn noch nicht, daß, wer da Mich sieht, auch den Vater sieht? Denn Ich und der
Vater sind ein und dasselbe!‘ usw. – wie ich die Stelle schon gezeigt habe!
[BM.01_033,06] Ich aber meine, du fragst hier gerade so, wie dereinst die
Apostel und Jünger ihren Herrn und Meister gefragt haben, als ihnen auch noch
die dreifache Mosisdecke vor den Augen hing!“
[BM.01_033,07] Spricht wieder Bischof Martin: „Ja, du hast recht, ein vollstes
Recht hast du – ich bin nun vollkommen im klaren! Er ist es, Er ist es! Er ist
der einige Herr, Gott, Schöpfer und Vater Himmels und aller zahllosen Myriaden
von Engeln, Sonnen, Erden und Menschen. Daß Er aber gerade die Erde so
ausgezeichnet hat, wird wohl auch seinen allertriftigsten Grund haben, der mir
mit der Zeit wohl auch noch hoffentlich klarer wird!
[BM.01_033,08] Nun aber kommt ein anderer Artikel! Siehe, Bruder, je mehr ich
nun diese unaussprechliche, allerheiligste Sache betrachte, je ungezweifelter
dieser unser Hausherr Jesus als das allerhöchste Gottwesen heraustritt, desto
mehr konzentriert sich die Furcht in meinem Herzen. Es wäre schrecklichst, nun
vor Ihm erscheinen zu müssen!
[BM.01_033,09] Denn daß ich als ein Sünder nun dastehe, der seinesgleichen
sucht, wie du es weißt – und der allmächtige Gott daneben! Oh, das wird bald die
respektabelste ewige Verdammnis absetzen! Bisher konnte diese vielleicht darum
nicht in der Fülle erfolgen, weil ich den so nahen allergerechtesten Richter
nicht erkannt habe. Nun aber, da ich Ihn, den Erschrecklichen, unwiderlegbar
erkannt habe, wird der höllische Tanz mit mir schon sicher bald angehen!
[BM.01_033,10] Denn schau, Bruder, wir haben Ihn nun wohl erkannt und müssen nun
zu Ihm ,Herr! Herr!‘ sagen! Er aber hat es Selbst auf der Erde gelehrt und
gesagt: ,Es werden nicht, die zu Mir Herr! Herr! sagen, in das Reich der Himmel
eingehen, sondern jene nur, die des Vaters Willen tun!‘ Sage, Freund, haben wir
je diesen Willen beachtet und danach getan? Vom Himmel kann daher für uns nie
eine Rede sein!
[BM.01_033,11] Was gibt es aber außer dem Himmel? – Siehe, nichts als die Hölle!
Ohoho, nichts als die nackte Hölle! Ich sehe nun schon ordentlich die Flammen
über meinem Kopfe zusammenschlagen. Auch kommt's mir schon vor, als wenn die
Teufel – ohohoh – Gottstehunsbei – –! Bruder, lieber Bruder, ich kann es dir gar
nicht sagen, was für eine unendliche Angst sich nun meiner bemächtigt hat!
[BM.01_033,12] Was werden wir sagen, so Er nun als der allmächtige Gott und als
der gerechteste, gestrengste, ja unerbittlichste Richter zu uns kommen wird, und
wird uns so mir und dir nichts in die Hölle hinein zu verdammen anfangen und
wird sagen: ,Hin–weg – von Mir – ihr – Ver–fluch–ten! – – In – das e–wige –
Feuer, das allen Teu –Gottstehunsbei bereitet ist!‘?
[BM.01_033,13] Ohohohoh! Erschrecklich, erschrecklich! Ich hör' schon ordentlich
den Donner dieses erschrecklichsten Richtspruchs. – Ohohoh, das wird ein Leben
sein, ein erschrecklichstes Leben, und eine Empfindung, wenn ich vielleicht ganz
hinab zu allen Teufeln fahren werde – Gottstehunsbei, hätte ich beinahe schon zu
sagen vergessen vor lauter Angst, Furcht und Schrecken! Ich begreife nur nicht,
wie du dabei so gleichgültig sein kannst, wo ich vor Furcht vergehe und schon
beinahe ganz verschmachte!“
[BM.01_033,14] Spricht der weise Buchhändler: „Fasse dich nur, Bruder, und sei
versichert, der Herr ist besser, als Roms Päpste und Mönche Ihn darstellen!
Solange wir Ihn aber so närrisch fürchten, wird Er wohl verziehen und wird erst
kommen, so wir unsere Furcht werden in Liebe umgestaltet haben!
[BM.01_033,15] Schau, schau, was wohl hättest du denn für ein Vergnügen, so du
dich an einer Milbe, die dich beleidigt hätte, rächtest? Wäre eine solche Rache
nicht der barste Unsinn eines verrückten Narren? Wie kannst du demnach so etwas
der allerhöchsten göttlichen Weisheit unterbreiten! Was sind wir gegen Gott?
Sind wir gegen Ihn wohl das, was eine Milbe gegen uns?!
[BM.01_033,16] Siehe, wir sind ja ganz und gar nichts gegen Ihn, und Er sollte
an uns solche Rache nehmen? – Wohin, Freundchen, wohin? Fasse dich; ich bin der
besten Hoffnung, daß da am Ende noch alles um ein Haar besser ablaufen wird, als
wir es uns vorstellen! – – Stille! Mir scheint, Er kommt herein! Richtig, Er
kommt!“
34. Kapitel – Eine heilige Erlösungsszene: Martin an der Brust des Herrn.
[BM.01_034,01] Als Ich mit Petrus eintrete, sinkt Bischof Martin wie in eine
Ohnmacht zusammen, und die ganze Gesellschaft mit Ausnahme des Buchhändlers
ruft: „Wehe uns!“
[BM.01_034,02] Nur der Buchhändler fällt bei klarer Besinnung auf die Knie
nieder und spricht: „Herr, Vater – geheiligt werde Dein allerheiligster Name,
Dein Wille geschehe! Siehe, wir sind alle große und grobe Sünder und sind wohl
nicht der geringsten Deiner Gnaden wert. Aber wir alle lieben Dich in aller
Fülle unseres Gemütes! Daher, so es Dein Wille ist, laß Deine Erbarmung statt
Deiner Gerechtigkeit über uns ergehen! Was sollen wir ohne Deine Gnade, ohne
Deine Liebe, ohne Deine Barmherzigkeit!
[BM.01_034,03] Du bist ewig, Du bist endlos weise, und Deine Allmacht hat keine
Grenzen! Nimmer könnten wir uns vor Dir entschuldigen! Oder könnte sich wohl
irgend jemand in der ganzen Unendlichkeit auflehnen gegen Deine Macht? Denn noch
ehe er diesen Gedanken faßte, könntest Du ihn schon vernichten so, als wäre er
nie im Dasein vorhanden gewesen.
[BM.01_034,04] Ich und wir alle erkennen und bekennen, daß du der alleinige Herr
Himmels und aller Welten bist. Wir alle aber sind nichts gegen Dich und Deine
endlose Macht. Tue daher mit uns allen, was Dein heiliger Wille ist; aber sei
eingedenk unserer Schwäche, und Deine Erbarmung bleibe uns nicht ferne!“
[BM.01_034,05] Rede Ich: „Stehet auf, und jammert hier nicht wie Delinquenten
auf der Welt! Denn so Ich zu euch komme, seid ihr ja schon selig. Denn die
unseligen Geister fliehen Mich und wollen ewig nicht, daß Ich zu ihnen käme und
sie erlöste und selig machte. Daher ist eure Furcht vor Mir eitel und schwach
das Licht eures Verstandes.
[BM.01_034,06] Leget ab all das, was da nicht taugt in Meinem Hause, in Meinem
Reiche. Denn wo Ich bin, da ist auch Mein Reich, und dieses Reich ist der Himmel
innerster und höchster! Dieser Himmel aber ist nicht ein Himmel des Müßiggangs
und der ewigen Trägheit, sondern ein Himmel der vollsten Tätigkeit, in die ihr
alle von nun an stets tiefer und tiefer werdet eingeführt werden: jeder von euch
in dem, wozu er schon auf der Erde talentierte Vorübungen machte. Also sei es!
[BM.01_034,07] Alle erheben sich in der freudigsten Stimmung und danken Mir laut
für solche endlose Gnade und Erbarmung. Nur der Bischof Martin liegt noch in
seiner Ohnmacht und hört und sieht vor lauter Angst nichts, was da vorgeht.
[BM.01_034,08] Da geht Petrus auf Meinen Wink hin zu ihm, rüttelt ihn auf und
spricht: „Aber Martin, was tust du denn hier? Wir haben schon die längste Zeit
draußen auf dich gewartet und du kamst nicht wieder zum Vorscheine! Was
plaudertest du denn hier so lange und ließest uns warten wie eine zimperliche
Braut ihren Bräutigam, die sich gar zu eitel zum Hochzeitsfeste schmückt! Weißt
du denn nicht, daß wir wichtige und diesmal sehr dringende Geschäfte vorhaben?“
[BM.01_034,09] Spricht endlich nach einer Pause wieder Bischof Martin: „O, ja –
gut – ja, ja! Richtig, du bist es! Ja sieh, ich ging diesmal wie auf große und
überwichtige Entdeckungsreisen aus, und von großen Reisen kommt man nicht so
bald zurück. Hab' freilich wohl Allerhöchstes entdeckt, aber nicht zu meiner
Freude, sondern zu meinem größten Schrecken nur!
[BM.01_034,10] Ach, Freund, ich habe nun unwiderlegbar die Entdeckung gemacht,
daß unser Hausherr und Meister Gott, der Herr der Unendlichkeit ist! Das ist nun
klarer als auf der Erde die Mittagssonne am reinsten Tag. Nun aber denke dir
mich als einen Sünder non plus ultra – und Gott, den Allmächtigen, den
Allerweisesten, den Gerechtesten, den Allwissendsten, den Heiligsten, der einen
verdammen muß wegen Seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit! – Ohohoh, Freund, das
ist eine ganz entsetzliche Entdeckung!
[BM.01_034,11] Mein Freund da mit dem Glanzhute hat mich zwar wohl trösten und
beruhigen wollen. Aber solange man nicht von Dem die Beruhigung hat, der
unsereinen plötzlich in die Hölle hinein auf ewig verstoßen kann, so lange nützt
kein fremder Trost etwas!“
[BM.01_034,12] Spricht Petrus: „Stehe nur auf, und sei nicht dumm! Siehe, der
Herr Jesus, den du so unbändig fürchtest, harrt mit offenen Armen deiner! Sieht
Er wohl so aus, als säße Ihm schon dein Verdammungsurteil auf der Zunge?“
[BM.01_034,13] Bischof Martin wirft einen flüchtigen Blick nach Mir und ersieht
Meine große Freundlichkeit. Dies macht ihm Mut, daß er sich sogleich vom Boden
etwas mehr erhebt und mit Tränen in den Augen spricht: „Nein, nein, aus dieser
Milde sieht ewig kein Verdammungsurteil heraus! O Herr, o Vater, wie gut mußt Du
sein, daß Du einen Sünder, wie ich es bin, so endlos mild und gnädig ansehen
kannst!
[BM.01_034,14] O Jesus, jetzt aber halte ich es nimmer aus! Mein Herz brennt wie
eine Zentralsonne vor plötzlich erwachter Liebe zu Dir – Sünde hin, Sünde her:
ich muß wenigstens Deine Füße umklammern und an ihnen meiner zu großen Liebe
Luft machen! Herr, tue mit mir, was Du willst; aber nur diesmal laß meiner Liebe
ihren Lauf!“
[BM.01_034,15] Rede Ich: „Komm her; du Mein hartnäckiger Bruder; deine Sünden
sind dir vergeben! Und nicht da zu Meinen Füßen, sondern hier an Meiner Brust
mache deiner Liebe Luft!“
[BM.01_034,16] Auf diese Anrede stürzt der Martin hin zum Herrn und verdrückt
und vergräbt sich völlig in Den, den er so lange nicht erkennen wollte.
[BM.01_034,17] Als er sich so recht an Meiner Brust vor Liebe ausgeweint hat, da
frage Ich ihn: „Nun, Mein liebster Bruder und Mein Sohn, sage Mir: Wie gefällt
dir diese Höllenfahrt? Bin Ich wohl der ewige Tyrann, wie Ihr Mich ausgeschrien
habt?“
[BM.01_034,18] Spricht der Bischof Martin: „O Herr, ich bin jetzt stumm und zu
wortarm, um Dir vor allen diesen lieben Brüdern zu bekennen, wie klar ich nun
alle meine Fehler und größten Irrtümer einsehe. Aber laß mich in dieser neuen
Größe des endlosesten Glückes erst so ein wenig zurechtfinden, dann erst will
ich Dir, o Du mein süßester, gütigster, barmherzigster Herr Jesus, ein rechtes
Bekenntnis ablegen!
[BM.01_034,19] O Herr, o Jesus, o Du heiligster aller Heiligkeit, Du Liebe aller
Liebe, Du endlose Geduld aller Geduld, ich kann jetzt nichts anderes als Dich
lieben, lieben, lieben, Dich über alles lieben!“
[BM.01_034,20] Rede Ich: „Nun gut, gut; dieser deiner Liebe wegen, die Ich in
dir sah, hatte Ich aber auch diese große Geduld mit dir und habe Selbst Hand an
dich gelegt! Nun bist du seligst, da du nun fortan da sein wirst, wo Ich Selbst
bin. Aber in der Müßigkeit suche du ja nicht den Grund der Seligkeit, sondern in
der größten Tätigkeit, die sich hier in größter Fülle ewig vorfinden wird!
[BM.01_034,21] Nun aber gehen wir zu den dreißig im andern Gemache, die du
gebracht hast. Gehe du zuerst hinein, und versuche sie zu Mir zu bringen! Ist
dir diese erste Arbeit deines seligen Zustands gelungen, dann werden wir auch
sie gleich ihrer ewigen Bestimmung zuführen! Also gehen wir dahin, und du allein
zu ihnen ins Gemach. Es sei!“
35. Kapitel – Martins erster Missionsgang und seine Erfahrungen. Eine scheinbare
Menagerie – „Ohne Mich vermöget ihr nichts!“
[BM.01_035,01] Bischof Martin begibt sich sogleich freudigst dahin in Meiner,
des Petrus und des weisen Buchhändlers Gesellschaft, welch letzterer mit
unendlicher Ehrfurcht hinter uns einhergeht. Zur Türe des Gemaches kommend,
verläßt uns Bischof Martin und begibt sich nach Meinem Geheiße sogleich zu den
dreißig im obbezeichneten Gemach.
[BM.01_035,02] Nun aber ist zu bemerken, daß sich unser Bischof Martin nicht
mehr in seinem eigenen, sondern in Meinem reinsten Himmelslichte befindet, das
er aber freilich aus weisen Gründen noch nicht so ganz in der Fülle seines
wahrnehmenden Bewußtseins empfindet. In diesem Lichte aber erscheinen alle Dinge
anders als im eigenen Naturlichte, also auch die Seelen, d.h. die abgeschiedenen
Menschen.
[BM.01_035,03] NB. ,Abgeschieden‘ darf hier nicht mit ,Sterben‘ verwechselt
werden, was natürlich ein Unsinn wäre. ,Abgeschieden‘ bezeichnet hier den aus
sich selbst durch allerlei Sünden (Seelengebrechen) gerichteten Zustand nach der
Ablegung des Fleisches.
[BM.01_035,04] Dieser Ordnung zufolge fand denn auch Bischof Martin, als er ins
Gemach trat, statt Menschen meistens Tiergestalten, freilich wohl keine
bösartigen, sondern mehr furchtsame und dumme. Nur wenige darunter hatten ein
kretinartiges, schrolles und mit allerlei Auswüchsen behaftetes Aussehen. Die
meisten andern sahen aus wie gehetzte Hasen, verhungerte Esel und Ochsen, auch
ein paar sehr verkümmerte, räudige Schafe waren darunter.
[BM.01_035,05] Als nun unser Bischof Martin anstatt der vermeintlichen dreißig
von ihm hierhergebrachten Protestanten diese für ihn höchst sonderbare
Gesellschaft im Gemache traf, die sich vor ihm schnell in die Winkel verkroch,
eins übers andere kauernd, da blieb er eine Weile wie versteinert stehen.
Endlich sprach er nach einem tiefen Atemholen zu sich: „Ja, was ist denn das
schon wieder für ein echter Höllenspuk im ersten Himmelreiche, im Hause des
Herrn? Nicht übel! Vielleicht gibt es hier auch Ratten und Mäuse und noch eine
Menge kleineres Ungeziefer?!
[BM.01_035,06] Nicht übel, nicht übel! Das ginge auch so hübsch mit der Schrift
zusammen, wo es steht: ,Nichts Unreines kann in das Reich Gottes eingehen!‘ Und
dies Paar räudige Schafe, da fünf Stück Kretins, voll der abscheulichsten
Auswüchse, auch magere, schmutzige Ochsen, dergleichen Esel und mehrere ganz
schäbig aussehende Hasen – wahrlich, eine rare Gesellschaft für den ersten oder
obersten Himmel! In solcher Gesellschaft die himmlischen Freuden genießen? Das
wird sich machen!
[BM.01_035,07] Nein, heißt das aber doch einen armen Kerl, wie ich einer zu sein
das Vergnügen habe, gehörig als ersten Aprilsboten gebrauchen – vorausgesetzt,
daß man hier im Himmel auch etwas von einem Monat April weiß!
[BM.01_035,08] Ah, das ist denn doch ein wenig zu toll! Was soll ich denn nun
mit dieser ganz gutmütigen Menagerie anfangen? Wo sind denn meine dreißig
hierher gebrachten Protestanten hin? Sind sie etwa hier in diese Tiere so
allerliebst verwandelt worden, – was wirklich sehr spaßig wäre; man muß nur
denken, daß hier das Zentrum des obersten, höchsten Himmels ist!
[BM.01_035,09] Der Herr ist einmal der Herr; davon bin ich nun aus dem innersten
Grunde meines Herzens überzeugt. Das sagt mir ja meine Liebe zu Ihm. Aufrichtig
gesagt, ich möchte Ihn – wie man auf der Welt sagt – geradezu fressen vor Liebe!
Aber was Er nun wieder mit diesem mir neu angebundenen Schabernack will, das
wird auch Er sicher am besten wissen! Will Er etwa die Tiere gar in die Mast
tun? Fürwahr, da wird sich wenig Speck ziehen lassen!
[BM.01_035,10] Was plausche ich aber auch wie etwa ein Esel Nr. 31 dieser
Gesellschaft?! Halb rechts kehr' dich um, und gehe dahin zurück, von wannen du
gekommen bist! Lebt wohl, ihr Guten all, es wird mich sehr freuen, euch bald
wiederzusehen!“
[BM.01_035,11] Nach dieser lakonischen Anrede öffnet Bischof Martin wieder die
Tür und kommt zu uns mit ganz lakonisch-verblüfftem Gesichte. Ich aber frage ihn
sogleich, wo denn die dreißig seien.
[BM.01_035,12] Und Bischof Martin erwidert: „O Herr, das weißt Du sicher besser
als ich! Die da drinnen werden es sicher nicht sein. Und wären sie es, so wäre
das im Ernste eine Metamorphose, die in diesen ersten und höchsten Himmel
ebensowenig taugte als die Faust aufs Auge.
[BM.01_035,13] Ohne die Viehsprache zu kennen, falls das Vieh auch irgendeine
geheime Sprache hat, wird sich meines Erachtens mit der Einwohnerschaft dieses
Gemaches nicht viel machen lassen. Du verstehst freilich auch die Steine und
kannst mit den Elementen reden und durch Deine Allmacht ihnen gebieten; aber
woher soll unsereiner so was nehmen?
[BM.01_035,14] Daher, so Du, o Herr, doch sicher gewußt hast, was dies Gemach
enthält, war das doch ohne weiteres eine Ansetzerei meiner Blödheit von Deiner
Seite?“
[BM.01_035,15] Rede Ich: „O Freund, nicht im geringsten, sondern du selbst hast
dich angesetzt! Weißt du denn nicht, daß ein jeder neue Diener seines Herrn sich
vorher in allem muß genau unterweisen lassen, bevor er irgendein ihm zukommendes
Geschäft antritt?
[BM.01_035,16] Siehe, es ist nicht genug, so Ich zu dir sage: ,Gehe dahin!‘, und
du gehst, und so Ich wieder sage: ,Komme her!‘, und du kommst, – sondern da
kommt es hauptsächlich aufs Warum und aufs Wie und aufs Wodurch an!
[BM.01_035,17] Steht es nicht geschrieben: ,Ohne Mich vermöget ihr nichts!‘?
Daher hättest du auch sogleich, als Ich dich in dies Gemach beschied, vor Mir
bekennen sollen: ,Herr, ohne Dich vermag ich auch nicht das Geringste!‘, so
hätte Ich dann schon diese Sache anders gewendet. Du aber gingst sogleich in
einer Art von Selbstvertrauen da hinein. Darum mußtest du denn auch bei dir
selbst erfahren, wieviel jedermann ohne Mich vermag.
[BM.01_035,18] Auf der Welt wohl gibt es leider so viel selbständige
Tatenverrichter, als es Menschen gibt, und so viel verschiedenartige Sinne und
Erkenntnisse als Köpfe. Hier aber ist es anders, da gibt es nur eine
Selbständigkeit, nämlich in Mir – und einen Sinn und eine Erkenntnis, nämlich
auch in Mir und durch Mich! Wo das nicht ist, da ist nichts als Selbsttrug und
Selbsttäuschung.
[BM.01_035,19] Dies also zu deiner künftigen Belehrung und Richtschnur! – Nun
aber gehen wir alle in dies Gemach und wollen da sehen, was sich mit dieser
deiner vermeintlichen himmlischen Menagerie alles wird machen lassen, und ob
diese Tiere Meine Sprache verstehen werden. Es sei!“
36. Kapitel – Martins zweiter Besuch in der Menagerie unter Leitung des
himmlischen Meisters. Seine Bekehrungsrede. Die Rettung der Verirrten.
[BM.01_036,01] Wir treten nun schnell wieder in dasselbe Gemach und finden die
Gesellschaft der dreißig noch in den Winkeln zusammenkauernd, und zwar in
gleicher tierischer Gestaltung.
[BM.01_036,02] Petrus ruft sie folgendermaßen an, sagend: „Calvins Bekenner,
kehret euch um; denn der Herr harrt euer! Nicht Luther, nicht Calvin, nicht die
Bibel, auch nicht Petrus und Paulus oder Johannes, sondern allein Jesus, den
Gekreuzigten, bekennet! Denn Er allein ist der Herr Himmels und aller Erde;
außer Ihm gibt es keinen Herrn, keinen Gott und kein Leben mehr!
[BM.01_036,03] Dieser Herr Jesus, der da ist der allein wahre Christ ewig, ist
hier und will euch annehmen – so ihr wollet –, auf daß ihr alle selig würdet in
Seinem allerheiligsten Namen!“
[BM.01_036,04] Spricht einer aus der Gesellschaft, der das Aussehen eines Esels
hat: „Wer bist du, der du wagst, mit der alten Jesusmäre mir in diesem
aufgeklärten Zeitalter zu kommen? Siehst du meine Schätze denn nicht, mit denen
ich für die ganze Ewigkeit auszukommen hoffe, und bin mit meinem Zustande
vollkommen zufrieden? Was soll ich dabei dann noch mit dem mythischen Jesus tun,
der nie war, nicht ist und nie sein wird? Wann wird man denn einmal anfangen,
die alten mythischen Weisen auszumerzen und an ihre Stelle die wirklichen weisen
Männer der Gegenwart zu setzen?
[BM.01_036,05] Muß denn Homer immer der größte Dichter sein, Orpheus ein
förmlicher Gott der Töne, Apelles der erste Maler, Apollodorus der erste
Bildner, der Dschingis-Chan der größte Held und Eroberer, Sokrates, Plato und
Aristoteles die größten Philosophen, die Pharaonen Ramses und Sesostris und
Möris die größten Baukönige, Ptolomäus der erste Astronom, Moses der größte und
weiseste Gesetzgeber, David und Salomo die weisesten Könige und endlich Jesus
der größte und weiseste Moralist!
[BM.01_036,06] Haben wir Deutsche nicht Männer genug, gegen die sich alle diese
Alten rein verkriechen müßten? Und dennoch baut man diesen Alten Opferaltäre,
während man nicht selten die Weisen der Gegenwart verhungern läßt! Wann, wann
wird denn dieser Unsinn einmal ein Ende nehmen?“
[BM.01_036,07] Redet Petrus: „Ich bin, der ich bin, – manchmal Simon Jona,
manchmal wieder nur Petrus! Was deine aufgeklärten Zeiten betrifft, so sind sie
wahrlich eben nicht gar zu weit her. Die alte Jesusmäre ist offenbar mehr wert
als die Schätze deiner Eselshaut. Die alten Weisen sind darum auch mehr wert als
die jungen Laffen, weil sie wußten, was sie taten. Darum wurden sie Lehrer der
Völker aller Zeiten, während alle sich hochweise dünkenden Gelehrten dieser Zeit
nicht wissen, was sie tun, sich selbst nicht kennen, daher noch weniger jemand
andern und schon am allerwenigsten die rein göttliche Natur und Wesenheit des
Herrn Jesu Christi. Aus welchem Grunde sie sich dann hier im Angesichte des
Herrn aber auch ausnehmen wie ihr, nämlich in der Gestalt der Esel, Ochsen,
gehetzter Hasen (die auf der Welt, so sie ob ihrer manchmal zu sonderbaren
Weisheit vor Gericht verlangt wurden, aus lauter Mut für ihre gut sein sollende
Sache lieber das sogenannte Fersengeld nahmen, als sich vor demselben mutigst zu
verteidigen, und erst dann ein Gegengebelle ertönen ließen, so sie ihren Balg in
irgendeinem Schlupfwinkel sicher wußten), auch in der Gestalt von räudigen
Schafen!
[BM.01_036,08] Kehrt euch nur um und betrachtet euch, und ihr werdet die
Wahrheit meiner Worte an euch erschauen! Warum hattet ihr denn ehedem eine so
große Furcht vor Jesus und batet, daß Er nicht zu euch käme, und betrachtet Ihn
nun, da Er wirklich zu euch kam, als ein bloß mythisches Wesen?“
[BM.01_036,09] Der Eselhafte aus der Gesellschaft ist nun stumm und redet
nichts. Aber Bischof Martin machte diese Bemerkung: „O Herr, wahrlich, Deine
Geduld ist groß und endlos Deine Liebe! Aber so ich diesem wirklichen Esel so
einige wohlgenährte Prügel über seinen Balg so recht kräftig ziehen könnte,
tät's mir völlig wohl. Nein, ist aber das ein wirklicher Esel! Da ist wirklich
gar nichts zu reden. Die Katholiken sind wohl auch dumm; aber so ein dummer Kerl
ist mir noch nicht vorgekommen wie dieser calvinische Esel.“
[BM.01_036,10] Rede Ich: „Mein lieber Freund und Bruder Martin, weißt du nicht,
was Ich einst eben zu diesem unserm Bruder Petrus sagte, als er einem Knechte
des Hohenpriesters, Malchus nämlich, mit einem Schwerte ein Ohr abhieb? Siehe,
dasselbe gilt auch hier! Wo die Liebe, gepaart mit aller Sanftmut und Geduld,
nichts vermag, da vermag auch kein Schwert und keine sonstige Macht etwas!“
[BM.01_036,11] Die Allmacht kann wohl alles richten und töten und vernichten
durchs Gericht. Aber helfen, aufrichten, das Leben erhalten, das Verlorene
wiedergeben, den gefangensten Geist wieder frei machen, siehe, das kann allein
nur die Liebe, gepaart mit aller Sanftmut und Geduld. Wo diese mangelt, da ist
nichts als Tod und Verderben.
[BM.01_036,12] Wir aber wollen, daß da niemand zugrunde gehen soll, sondern daß
alle, die an Mich glauben, das ewige Leben haben sollen! Daher ist es an uns,
für alle nur jene Mittel zu gebrauchen, durch die es allein möglich ist,
jedermann in seiner Art zu helfen.
[BM.01_036,13] Versuche dich an diesen unbändigen gelehrten Calvinern, und
siehe, was du als ein einstiger Bischof mit ihnen ausrichten wirst!“
[BM.01_036,14] Spricht Bischof Martin: „O Du liebster Herr, Du mein
allerliebster Gott und Vater Jesus, es wäre schon alles recht. Aber so der
würdigste Petrus mit ihnen, wie es scheint, ohne Wunder nicht viel richten mag,
da weiß ich wirklich nicht, wie weit dann ich mit ihnen kommen werde.
[BM.01_036,15] Ich meine nun aber, da Du, o Herr, da bist in Deiner vollsten
göttlichen Wesenheit persönlich, dem alle Mittel ewig zu Gebote stehen, so wäre
es wohl höchst unverzeihlich von mir, wenn ich als ein reinstes Nichts vor Dir
da wirken wollte, wo Du alles in allem bist und ein leisester Gedanke aus Dir
schon mehr vermag, als so ich eine Ewigkeit so weise als möglich fortreden
möchte. Daher bitte ich Dich, nimm diesen Antrag, den Du mir machtest, wieder
gnädigst zurück.“
[BM.01_036,16] Rede Ich: „Nicht so, Mein lieber Bruder Martin! Siehe, auch du
gehörst nun zu Meinen Mitteln! Würde Ich nun gleich persönlich in diese halb
tote Gesellschaft einwirken, da würden sie gerichtet. Sie wissen nun schon, daß
Ich hier bin, und einige von ihnen haben auch einen halben Glauben, daß Ich doch
der wahre Herr sein könnte.
[BM.01_036,17] Daher übertrage Ich dir dieses Geschäft, zu dem dir der Bruder
Petrus nun schon den Weg gebahnt hat. Er selbst ist nun auch noch zu stark für
diese Schwachen. Daher muß ihnen nun zuerst einer unter die Arme greifen, der
nicht zu stark ist, auf daß er diese Ohnmächtigen nicht erdrücke. Denn Mücken
können und müssen zuerst wieder nur von Mücken gesäugt werden, auf daß sie nicht
verderben. Und Kindlein können vorerst nicht der Männer Kost verdauen, sondern
nur eine leichte und zarte Milch. Daher gehe nur hin und erfülle Meinen Auftrag
an diesen dreißig Ohnmächtigen. Es sei!“
[BM.01_036,18] Ich, Petrus, und der nun überaus demütige Buchhändler gehen nun
wieder aus dem Gemach und lassen unsern Martin allein bei den dreißig.
[BM.01_036,19] Bischof Martin aber betrachtet diese Herde eine Zeitlang und
richtet sich dann mit folgenden Worten nach seinem eigenen und dieser Herde
Zustande eben an diese, sagend: „Ihr armen, ohnmächtigen Brüder, die ihr da im
reinsten Lichte des allmächtigen, ewigen Gottes als förmliche dumme Tiere
erscheinet, höret mich geduldig an und vernehmet den Sinn meiner Rede!
[BM.01_036,20] Ich war auf der Welt ein römischer Bischof und war ein wütender
Gegner alles Protestantentums, obschon ich auf Rom bei mir noch weniger hielt
als auf Mohammeds Lehre. Und wie ich war auf der Welt, so kam ich auch hierher
als ein gegen alles Gute und Heilig-Wahre widerspenstiges Vieh. An mir war aber
auch nicht ein gutes Haar und mein Herz war ein wahrster Augias-Stall. Ich sage
euch, von irgend etwas, das man nur mit dem kleinsten Scheingrunde als irgendein
christliches Verdienst hätte bezeichnen können, war bei mir gar keine Rede!
[BM.01_036,21] Das einzige, das aber an und für sich gar nichts ist, war zu
Zeiten bei mir, daß ich mir in einer Art luftigen Phantasie Jesus den Herrn so
vorstellte, wie Er beschrieben war, und dabei dachte: ,Ja, wenn ich Ihn so haben
könnte und mit Ihm gemeinschaftlich wirken unter dem überzeugenden Bewußtsein,
daß Er möglicherweise wirklich das allerhöchste Gottwesen wäre, da wäre ich
freilich das glücklichste Wesen in der ganzen Unendlichkeit. Denn fürs erste
wäre das doch die höchste Ehre aller Ehren, fürs zweite die sicherste Versorgung
und Lebensversicherung für die ganze Ewigkeit, fürs dritte der höchste und
mächtigste Schutz, und endlich könnte ich in solcher Gesellschaft doch
Wunderdinge zu Gesicht bekommen, die bisher noch kein menschlicher Gedanke
gedacht hat.‘
[BM.01_036,22] Sehet, dieser Gedanke, meine Phantasie, ja diese meine in der
Welt allerluftigst aussehenden Luftschlösser waren hier meine einzigen Retter
vom ewigen Verderben. Sie waren eine verborgene Liebe zu Gott in mir, die ich
selbst nicht kannte. Und seht, liebe Brüder, wie schwer es mir auch ging, so bin
ich aber durch diese Liebe so weit gekommen, daß eben diese irdischen Phantasien
sich in mir – für euch freilich noch schwer glaublich – zur evidentesten
Wirklichkeit gestaltet haben. Ich bin nun wirklich bei Jesus, dem alleinigen
Herrn der Geister- und Körperwelt, und bin auf diese Art und Weise seligst für
die ganze Ewigkeit versorgt.
[BM.01_036,23] Brüder, Freunde, so ihr nicht eure eigenen größten Feinde sein
wollt, folget meinem Beispiel, und ich will euch alles sein, so ihr es ewig je
bereuen solltet! Glaubt mir, der Herr ist hier in diesem herrlichen Hause und
ist endlos gut, besser als die besten Engel und Menschen aller Welten und aller
Himmel zusammengenommen! Daher kehret um und fasset Vertrauen, und es wird um
euch augenblicklich anders aussehen als jetzt! Ziehet meine Erfahrungslehre
eurer falschen Mutmaßung vor und werdet lebendige Werkzeuge des Herrn!“
[BM.01_036,24] Auf diese wirklich salbungsvolle Rede unseres Martin kehrten sich
nun alle dreißig zu ihm und erwiderten ihm fast einstimmig: „Freund, diese Rede
gefällt uns besser als deine früheren Worte, die du an uns gerichtet hast;
obschon wir gerade nicht umhin können, dir nebstbei anzuzeigen, daß uns deine
Tieransichten an unserer Persönlichkeit eben nicht am besten gefallen. Man kann
wohl einen dummen Kerl einen Esel und Ochsen schelten; aber ihm gewissermaßen
begreiflich machen wollen, daß er zugleich ein wirklich gestaltlicher Ochse und
Esel ist – sieh, Bruder, das ist denn doch etwas zu stark!
[BM.01_036,25] Aber sei dem nun, wie es wolle! Du hast durch deine Rede
bewiesen, daß du ein gescheiter und guter Kerl bist, und wirst auch mit deinem
Jesus so ziemlich rechthaben. Nur das einzige ist etwas sonderbar, daß man hier
keine Engel sieht. Auch mit der himmlischen Schönheit dieser Gegend scheint es
uns einen bedeutenden Faden zu haben, sowie mit den himmlischen Kleidern. Denn
du bist noch immer ein irdischer Bauer, ohne Rock auch noch dazu. Ebenso hat
auch dein Herr Jesus einen nichts weniger als himmlischen Rock an, und der
Petrus ist eher schundig als himmlisch zu nennen. Nur der mir wohlbekannte
Buchhändler aus N. hat einen etwas bessern Rock, der aber für den Himmel sicher
auch nicht den rechten Schnitt hat.
[BM.01_036,26] Siehe Freund, da hat es einen sehr bedeutenden Faden. Kannst du
diese Scharten auswetzen, da wollen wir dir alles aufs Wort glauben, was du uns
immer sagen magst und wollen dir auf den leisesten Wink folgen.“
[BM.01_036,27] Hier stutzt Martin ein wenig, denn an diese Dinge hat er selbst
noch nicht gedacht im Laufe seines geistigen Fortschritts. Aber er ermannt sich
bald sichtlich und spricht weiter zu dieser nun schon halb bekehrten Herde:
„Freunde, glaubt mir, da kommt es hauptsächlich darauf an, wie es jemand haben
will! Ich wollte es bis jetzt also und darum ist es auch so; werde ich es aber
anders wollen, wird es auch gleich anders aussehen!
[BM.01_036,28] Engel habe ich freilich wohl noch nicht gesehen. Aber was liegt
da an allen Engeln und an aller himmlischen Pracht, wenn man nur den Herrn aller
Engel und himmlischen Herrlichkeiten hat! Der kann alles, was hier noch abgeht,
in einem Augenblicke – wie man zu sagen pflegt – herzaubern. Überhaupt habe ich
wirklich noch kein Bedürfnis nach all dem in mir verspürt, nicht einmal nach
einem bessern Rock; denn mir ist nun der Herr alles in allem, ja alles über
alles!
[BM.01_036,29] Werdet ihr auf meiner Stufe stehen, so werdet auch ihr so denken
und fühlen wie ich. Die Ewigkeit ist noch so lang, und da wird an der Seite des
Herrn, des ewigen Meisters der Unendlichkeit, sich noch so manches erschauen und
erfahren lassen. Dessen bin ich schon im voraus voll überzeugt.
[BM.01_036,30] Ich aber sage hier auch, wie ich's in mir lebendig fühle: Herr,
so ich nur Dich habe, da frage ich nicht nach allen andern Herrlichkeiten ohne
Maß und Namen. Denn das Herrlichste aller Herrlichkeit ist und bleibt ewig
allein nur der Herr, ja unser Herr Jesus! Ihm allein sei alle Ehre, alles Lob
und alle meine Liebe ewig! Amen.“
[BM.01_036,31] Auf diese Rede erhebt sich die ganze Herde wie aus einer
Staubwolke in schon voller Menschengestalt und spricht ebenfalls laut: „Amen!
Bruder, du hast recht, wir glauben dir nun allesamt. Du hast nun wirklich mehr
als weise geredet und dadurch in unsern Herzen ein Licht angezündet, das sicher
nimmer erlöschen wird! Dank sei darum dem Herrn Jesus, deinem und nun auch für
ewig unserem Gott!“
[BM.01_036,32] In diesem Augenblicke trete Ich mit Meinen beiden Begleitern
wieder ins Gemach und alle stürzen Mir zu Füßen und schreien: „O Herr Jesus, Du
heiligster Vater, Du dreieiniger Gott, sei uns armen Sündern gnädig und
barmherzig! Dir allein sei alle Ehre ewig!“
[BM.01_036,33] Ich aber sage: „Stehet auf, Meine Kindlein! Sehet, nicht mit dem
Gericht, sondern mit der größten Liebe kommt euch euer Vater entgegen. Und da
ihr Ihn aufgenommen habt in eure Herzen, so nimmt Er euch tausendfach auf in
Sein ewiges Vaterherz. Kommet daher nun alle zu Mir, die ihr schwer beladen und
mühselig waret, Ich will euch für ewig vollauf erquicken!“
[BM.01_036,34] Hier erheben sich alle und fallen Mir, wo nur einer kann, an die
Brust. Sie weinen zum ersten Male Tränen endlosester Freude und folgen Mir,
nachdem sie sich an Meiner Brust ausgeweint haben, freudigst in den großen
Speisesaal, wohin auch die frühere Gesellschaft durch Petrus beschieden ward.
37. Kapitel – Das himmlische Mahl. Segnung der Neuerlösten und ihr himmlisches
Heim.
[BM.01_037,01] Wir kommen nun in einen am meisten gegen Morgen gelegenen Saal,
der überaus groß und mit wahrer himmlischer Pracht ausgeschmückt ist.
[BM.01_037,02] In der Mitte dieses Saales steht ein großer runder Tisch aus
reinstem durchsichtigem Golde, der auf zwölf verschiedenartigen Edelstein-Füßen
ruht. Um den Tisch sind ebensoviele Stühle aus reinstem Gold gestellt, als es
nun Gäste in diesem Saale gibt. Der Boden des Saales ist so blendend weiß wie
frischgefallener Schnee; und des Saales Decke, auf welcher die schönsten Sterne
glänzen, ist hellblau. Der Fenster Zahl dieses Saales ist 24, und jedes Fenster
ist 12 Fuß hoch und 7 Fuß breit. Durch sie dringt ein herrliches Licht in den
Saal, und durch jedes Fenster zeigen sich Gegenden von nie geahnter Pracht und
Anmut. Auf dem Tische liegen sieben Brote nebst einem großen Prachtbecher voll
des köstlichsten Weines.
[BM.01_037,03] Alle hier Eintretenden sind nun ganz weg ob der zu großen
Herrlichkeit, die ihnen hier auf einmal so unerwartet entgegenkommt. Die
Gesellschaft, die den Buchhändler zu ihrem Vormann hat, ist samt ihm vor lauter
Hochachtung bis zum Boden gebeugt. Die dreißig, die kurz vorher nach der ihnen
abgängigen Himmelspracht fragten, reißen nun Mund und Augen auf und finden keine
Worte, mit denen sie diese Pracht genügend bezeichnen könnten.
[BM.01_037,04] Nur unser Martin bleibt sich gleich und spricht, auf Mich
hindeutend: „Liebe Brüder, was staunet ihr gar so gewaltig über dieses Saales
enorme Pracht? Seht, mir ist sie ganz gleichgültig; denn wenn unser Herr und
Vater nicht mit uns in diesem Saale wäre, so gäbe ich für den ganzen Saal nicht
eine faule Orange. Nur Er ist mir alles; alles andere aber ist mir nun ohne Ihn
nichts!
[BM.01_037,05] So Er mit mir sich in der gemeinsten Strohhütte befände, wäre ich
dort endlos seliger als allein in diesem herrlichsten Saale. Daher besticht mich
dieses Saales Pracht auch gar nicht, sondern allein Er, Er, unser aller Vater,
Herr und Gott! Ihm allein gebührt alle unsre höchste Achtung, Liebe,
Bewunderung, Verehrung und Anbetung! Denn alle diese übergroße Herrlichkeit ist
ja Sein Werk, ein Hauch Seines Mundes! Tue zwar jeder von euch, was er will –
ich denke und tue einmal so!“
[BM.01_037,06] Rede Ich: „Martin, du machst deine Sache gut und bist nun ein
wahrer Paulus. Aber siehe zu, daß du selbst nicht noch einmal irgendwo schwach
wirst und sagst: ,Aber wenn der Herr nur nicht gar so in einem fort bei mir
wäre!‘ Ich werde dich aber darum dennoch nicht verlassen! – Nun aber setzet euch
alle zu Tisch und esset und trinket! Dann harren schon gar mächtige Arbeiten
unserer Hände. Es sei!“
[BM.01_037,07] Sie tun nun alle nach Meinem Geheiß, und Ich breche das Brot und
teile es unter sie. Und alle essen mit großer Liebe und dankbarster Regung ihrer
Herzen dies wahre Brot des ewigen Lebens und trinken darauf alle den Lebenswein
der Erkenntnis aus einem und demselben Becher und sind dabei munter und wohlauf.
Denn nach dem Genusse des Weines bemächtigt sich aller ein so erhaben
himmlisch-tiefweiser Sinn, daß alle darob vor Freude sich kaum zu helfen wissen
und aus lauter Liebe kaum Worte finden, Mir zu sagen, wie über alle Maßen sie
sich nun glücklich fühlen.
[BM.01_037,08] Ich aber segne sie nun alle und erwähle sie zu Dienern und wahren
Knechten Meines ewigen Reiches.
[BM.01_037,09] Nachdem dies beendet ist, erhebt sich unser Bischof Martin und
spricht: „Herr, ich habe etwas bemerkt, nämlich, als sollte auch ich mich von
Dir trennen, um irgendeinem wichtigen Geschäfte zu obliegen. Tue Du, was Du
willst, aber ich lasse nimmer ab von Dir! Herr, wo Du nicht mit mir bist, da ist
rein nichts mit mir! Ich gehe ein für allemal nicht mehr von Dir; denn ich habe
Dich nun zu überaus mächtig lieb! Also, ich bleibe einmal bei Dir!“
[BM.01_037,10] Rede Ich: „Nicht so, Mein liebster Bruder Martin! Ich sage dir:
nicht einen Augenblick lang sollst du von Mir entfernt sein, sowie auch kein
anderer aus dieser Gesellschaft und keiner von all den Zahllosen, die Mich in
ihren Herzen erkannt und aufgenommen haben! Andererseits ist es dennoch nötig,
daß sich jeder scheinbar wie ohne Mich dahin verfügt, wohin Ich ihn bescheide,
ansonsten seine Freude unvollkommen wäre und zwecklos sein Leben!
[BM.01_037,11] Daher muß hier jeder sich der größten Tätigkeit befleißen und
soviel als möglich Gutes wirken. Je tätiger da einer wird, desto größere
Seligkeit wird ihm zuteil. Denn die Seligkeit besteht lediglich nur im Handeln
nach Meiner festgestellten ewigen Himmelsordnung.
[BM.01_037,12] Siehe da zum Fenster hinaus! Dort gegen Morgen in einem schönen
großen Garten – nicht ferne von diesem Meinem Hause von Ewigkeit – ersiehst du
ein gar niedliches Häuschen, das innerlich viel geräumiger ist, als es von außen
her aussieht. Dorthin gehe und nimm es in deinen Vollbesitz!
[BM.01_037,13] In einem Zimmer wirst du eine glänzend-weiße, runde Tafel finden.
Diese Tafel besiehe du allzeit, so du von einem Geschäfte nach Hause kommen
wirst. Denn von nun an wirst du dort stets Meinen Willen aufgezeichnet finden,
nach dem du dich dann allzeit in deinem Handeln wirst zu richten haben. Wirst du
das allzeit pünktlich erfüllen, was dir Meine Willenstafel in deinem Hause
anzeigen wird, so wirst du bald über Größeres gesetzt werden; im Gegenteile aber
nur über ein Kleineres, je nach deiner Willenskraft.
[BM.01_037,14] Solltest du dich aber in irgend etwas nicht völlig auskennen, da
komm hierher, und es soll dir in allem Bescheid gegeben werden. Wenn du Mich
aber rufen wirst in deinem Hause, so werde Ich bei dir sein. Nun weißt du
vorderhand alles, was dir zu wissen nottut. Gehe daher nun in dein Häuschen,
dort wirst du das Nähere erfahren, danach du dich aber genau zu halten hast.
[BM.01_037,15] Was Ich aber nun dir eröffnet habe, das eröffne Ich zugleich
jedermann aus dieser Gesellschaft. Sehet alle hinaus, und das Haus, das ihr
ersehet, ist dessen, der es ersieht! Dahin gehet und wirket, wie Ich soeben dem
Bruder Martin, angezeigt habe, denn es wird ein jeder von euch in seinem Hause
die gleiche Einrichtung antreffen. Es sei!“
[BM.01_037,16] Bischof Martin kratzt sich zwar ein wenig hinter den Ohren, geht
aber doch, wie Ich ihn beschieden, denn er meint, daß er Mich dort nicht haben
und nicht sehen werde. Die andern der Gesellschaft, denen Meine Nähe noch zu
überheilig vorkommt, gehen leichter, um sich gewisserart von dieser zu großen
Aufregung ihres Gemütes zu erholen.
38. Kapitel – Bischof Martin in seinem himmlischen Heim. Die erste Überraschung.
Einrichtung des Heimes.
[BM.01_038,01] Als nun Bischof Martin bald sein Häuschen erreicht und in
dasselbe tritt, ist er über alle Maßen überrascht, als Ich Selbst ihn schon an
der Schwelle erwarte und ihn nun in sein Haus einführe: ein Dienst, den bei den
andern die Engel versehen, weil die andern der Gesellschaft vor Mir noch bei
weitem mehr Ehrfurcht haben als Liebe zu Mir. Aber bei Bischof Martin ist es
gerade der umgekehrte Fall, daher es ihm eigentlich gar nicht recht war, daß er
sich von Mir gewisserart hätte trennen sollen.
[BM.01_038,02] Als er Mich aber nun auch in seinem Häuschen ersieht und Ich ihn
da schon an der Schwelle erwarte, schlägt er die Hände vor lauter Freude über
dem Kopf zusammen und spricht:
[BM.01_038,03] (Bischof Martin:) „Ja, so, – so gefällt's mir da freilich noch
viel besser als dort in Deinem Hause, besonders in dem letzten Prachtsaale! Mein
allergeliebtester Herr Jesus, wenn nur Du bei mir bist, dann ist mir die
gemeinste Hütte schon der herrlichste Himmel für ewig!
[BM.01_038,04] Aber wie bist denn Du so schnell, mir ganz unersichtlich,
dahergekommen? Das ist wirklich schon wieder ein Non-plus-ultra-Wunder! Ja, ja,
Du mein geliebtester Herr Jesus, bei Dir ist doch alles Wunder über Wunder, und
ich bin dabei noch so hübsch ein Stockfisch, der noch nichts einsieht und
begreift! Nein, aber sonderbar ist es doch, daß Du eher da warst als ich, und
ich habe Dich doch ganz richtig in Deinem großen Prachtsaale verlassen!“
[BM.01_038,05] Rede Ich: „Mache dir darob keine Skrupel, Mein geliebter Bruder
Martin. Siehe, so Ich nicht allenthalben der Erste und der Letzte und nicht
überall alles in allem wäre, sähe es traurig aus mit der ganzen Unendlichkeit.
So aber magst du dich nun hinwenden und hingehen, wohin du nur immer willst, so
wirst du Mich schon dort antreffen, wohin du dich wenden und begeben wirst.
[BM.01_038,06] Gehe aber nun in dies Häuschen mit Mir, auf daß Ich Selbst dir
alle Einrichtung werde zeigen und diese auch richtig gebrauchen lehren. Komme,
komme, komme darum nun mit Mir in dieses nun dein Häuschen. Es ist zwar klein,
enthält aber dennoch mehr als alle Welt, ja mehr als ein ganzes Sonnengebiet in
der naturmäßigen Weltensphäre, wovon du dich alsbald klarst überzeugen wirst.
Daher komme, gehe und wandle mit Mir in dieses dein Haus! Es sei!“
[BM.01_038,07] Bischof Martin folgt Mir sogleich und erstaunt über die Maßen,
als er anstatt in ein vermeintliches kleines Kabinettchen in eine ungeheuer
große Halle eintritt. Je länger er sie stets aufmerksamer betrachtet, desto mehr
erweitert sie sich und bietet alles zur Beschaulichkeit dar, was unser Bischof
Martin sich nur immer vorzustellen vermag.
[BM.01_038,08] In der Mitte dieser großen Halle steht auf einem goldenen
Postament eine große, weißglänzende runde Scheibe. Hinter ihr auf einem ehernen
Gestell ein vollkommenster, himmlisch-künstlicher Erdglobus, der vom Größten bis
zum Kleinsten alles enthält, was die wirkliche Erde vom Zentrum bis zur
Oberfläche und darauf enthält, natürlich auch alles, was da geschieht.
[BM.01_038,09] Hinter diesem Globus ist das ganze Planetensystem dieser Erdsonne
auf eine gleiche himmlisch-künstliche Weise aufgestellt und zeigt genau auch auf
dieselbe Art jede Kleinigkeit und jede Eigentümlichkeit jedes einzelnen Planeten
wie auch der Sonne.
[BM.01_038,10] Der Boden dieser Halle ist wie aus reinstem Saphir, die hohen
Wände wie aus Smaragd, die Decke wie aus Azur mit vielen Sternen. Durch die
großen Fenster fällt ein herrliches, violettrotes Licht in diese große Halle,
die in der halben Höhe noch mit einer herrlichen Galerie wie aus feinstem Jaspis
geziert ist, wobei aus der Halle noch zwölf Türen in nebenanstoßende Gemächer
führen. Die smaragdenen Wände aber produzieren noch obendarauf in den schönst
kolorierten Schattenrissen, was sich Bischof Martin nur immer denkt.
[BM.01_038,11] Nach längerem übermäßigem Staunen öffnet endlich Bischof Martin
wieder seinen Mund und spricht: „O Herr, Herr, Herr! Ja, was ist denn das schon
wieder für ein neues Gaukelspiel? Ah, das ist aber doch, was man sagen kann,
über alles! Nein, nein, nein! Ah, ahahah! Von außen klein wie beinahe ein
Fliegenhäuschen – und von innen wie eine ganze Welt! Ja, wie geht denn das
wieder zusammen? Nein, das ist mir bisher noch das Unbegreiflichste, wie eine
Sache von innen größer sein kann als von außen! Das begreife, wer es will und
mag; für mich aber ist diese Sache ein für allemal rein zu rund!“
[BM.01_038,12] Rede Ich: „Mein geliebter Bruder Martin, Ich sage dir, du wirst
dich in all dem bald zurecht finden! Siehe, in der eigentlichen wahren Welt der
Geister ist alles völlig umgekehrt von dem, wie es in der Welt ist. Was in der
Welt groß ist, das ist hier klein; was aber in der Welt klein ist, das ist hier
groß. Wer auf der Welt der Erste ist, der ist hier der Letzte; wer aber auf der
Welt der Letzte ist, der ist hier der Erste!
[BM.01_038,13] Wie groß aber ist ein Mensch auf der Welt? Er mißt sechs Spannen
Höhe und 2 Spannen Breite. So er aber ist ein Weiser, sage, welche endlosen
Größen und Tiefen liegen in seinem Herzen! Ich sage dir, alle Ewigkeiten werden
nicht hinreichen, die Fülle seiner Wunder zu enthüllen und zu erfassen!
[BM.01_038,14] Du hast wohl öfter auf der Welt ein Weizenkorn betrachtet. Das
ist doch sicher klein seinem äußern Umfange nach, und dennoch enthält es soviel
seinesgleichen in sich, daß es die ganze Ewigkeit nimmer ermessen könnte. Ebenso
liegt auch hier der gleiche Grund vor dir aufgedeckt:
[BM.01_038,15] Das Äußere dieses Hauses ist gleich deinem nun völlig demütigen
äußern Wesen: es ist – wie du – klein. Das Innere dieses Hauses aber kommt nun
deiner inneren Weisheit gleich, die Größeres umfaßt als das äußere Maß deiner
Wesenheit. Darum ist es auch als größer ersichtlich als das Äußere dieses
Hauses, das da gleich ist deinem Außenwesen. Das Innere aber wird noch stets
größer, je mehr du in der wahren Weisheit aus Meiner Liebe wachsen wirst. Denn
hier lebt ein jeder seiner Weisheit aus seiner Liebe zu Mir, welche aber die
eigentliche Schöpferin alles dessen ist, was dir hier so wunderbar vorkommt.
[BM.01_038,16] Siehe aber dort jene weißglänzende aufrechtstehende Tafel; sie
stellt dein durch Mich gereinigtes Gewissen dar. Auf dieser Tafel wirst du
allzeit nunmehr Meinen alleinigen Willen entdecken, darnach du dich dann allemal
sogleich richten wirst!
[BM.01_038,17] Es hat zwar wohl schon auf der Welt ein jeder Mensch eine gleiche
Gewissenstafel in seines Herzens Kämmerlein aufgerichtet, auf der allzeitlich
Mein Wille aufgezeichnet wird zur getreuen Darnachrichtung für jedermann. Aber
nur wenige merken darauf, und gar viele streichen am Ende diese Tafel mit allen
Sünden ganz schwarz an, auf daß sie ja nimmer erschauen mögen Meinen Willen.
[BM.01_038,18] Siehst du nun, wie ganz naturgetreu hier die Errichtung dieses
nun deines Hauses ist? Also nicht so sehr ein Gaukelwunderspiel, wie du ehedem
meintest.
[BM.01_038,19] Hinter der Tafel ist ein getreuestes Abbild der Erde, wie sie ist
in allem ihrem Wesen, und hinter diesem Abbilde die Sonne mit den andern
Planeten. Wirst du dich in irgend etwas dabei nicht auskennen, da siehe nur auf
die hintere Fläche dieser Tafel, die der Welt zugewendet ist; dort wirst du
allemal die Erklärung finden. Willst du aber dann auch wissen, was du dabei tun
sollest, da beschaue die vordere Fläche dieser Tafel; da wirst du allzeit Meinen
Willen erschauen.
[BM.01_038,20] Noch ersiehst du zwölf Türen, die aus dieser großen Halle in
kleinere Seitengemächer führen. In diesen Gemächern aber wirst du allerlei noch
etwas verdeckte Speisen treffen. Diese genieße aber erst dann, so Ich sie dir
alle werde zuvor vollends gesegnet haben, ansonst sie dich blöde machen würden
und du dann nach längerer Dauer nicht fähig wärest, die Schrift Meines Willens
auf dieser Tafel zu lesen. Daher, so du zu einer solchen verdeckten Speisekammer
kommen wirst, verlasse sie alsbald und komme zu Mir, und Ich werde dann hingehen
und dir die Speisen enthüllen und vollends segnen.
[BM.01_038,21] Nun weißt du, wie diese Dinge hier stehen; tue darnach, so wirst
du stets mehr und mehr in der Seligkeit wachsen! Es sei!“
39. Kapitel – Bischof Martin allein im Saale seines Hauses. Die Betrachtung des
Erdglobus und der übrigen Himmelskörper. Martins Langeweile.
[BM.01_039,01] Ich verlasse nun erscheinlich den Bischof Martin und er fängt,
sich allein befindend, folgendermaßen mit sich zu debattieren an: „So, so, nun
bin ich endlich wieder einmal allein! Zwar hier überaus wahrhaft himmlisch,
erhaben glänzend, gesättigt, gesegnet und somit sicher auch nun schon selig,
überselig. Aber allein, und das mutterseelen allein bin ich nun doch! Bloß meine
Ideen gaukeln an diesen Wänden, ähnlich den Bildern, die auf der Welt auf dem
Wege der Hohlspiegel erzeugt werden, auf und ab und hin und her. Sonst aber gibt
es auch nicht einmal eine Mücke, die mir etwas vorsumsen möchte.
[BM.01_039,02] Will einmal doch zu dem großherrlichen Erdglobus gehen und mich
ein wenig mit ihm beschäftigen. Wahrlich, ein endlos kostbares Kunstwerk! Da,
sieh, gerade da ist ja der Ort, wo ich als Bischof fungiert habe; da die Kirche,
da meine Residenz! Und siehe, da ist auch der Friedhof, da mein Grab, und was
für ein köstlich Monument! Aber sind das doch übergroße Narren, die Menschen,
welche dem Kote Monumente setzen und den Geist vergessen! Wenn ich so könnte
dieses Monument mit einem wohlgenährten Blitze zerstören, es wäre mir ordentlich
leichter ums Herz. Aber, der Herr allein tue was des Rechtens ist!
[BM.01_039,03] Daher etwas umgedreht, mein lieber Globus! Werde einmal sehen,
wie's etwa in Australien aussieht! Aha, da ist es schon, das Land der Wildheit!
O Tausend, Tausend, da sieht es sehr schief, sehr arg aus: nichts als die
derbste Finsternis, die schnödeste Sklaverei, Verfolgung, Mordung der Menschen
leiblich und geistig! Behüte dich der Herr, mein lieber Globus, auf die Art
werden wir sehr wenig miteinander zu tun bekommen! Da müßt' ich ein großer Esel
sein, so ich mich über deinen Anblick bis zum Verzweifeln ärgern sollte, hier im
Reiche des ewigen Friedens! Nein, jetzt möchte ich aber gerade vor Ärger
zerbersten, wie da diese mächtigeren Erdenmenschen ihre schwachen Brüder gerade
zur Unterhaltung auf alle mögliche Art martern und grausam töten! Weg, weg daher
mit dir, du elende Repräsentiermaschine irdischer Greuel, wir zwei werden uns
sehr selten sehen!
[BM.01_039,04] Siehe, da ist ja auch das gesamte Planetensystem mit der Sonne!
Werde einmal gleich den nächsten besten in Augenschein nehmen. Da ist ja gleich
die Venus!
[BM.01_039,05] Wie schaust du also aus, du meine liebe Venus, die du mich auf
der finstern Erde gar oft mit deinem herrlichen Lichte als Abend- oder
Morgenstern ergötzt und erfreut hast? Laß dich nun endlich einmal in der Nähe
betrachten! – Aha, hmm, hab' mir die Sache auch ganz anders vorgestellt! Ist
auch eine Erde, fast wie die, die ich bewohnte, – nur gibt es keine so großen
und zusammenhängenden Meere, dafür aber recht viele und für diesen Planeten sehr
hohe Berge!
[BM.01_039,06] Wie sieht es aber etwa mit der Vegetation aus und wie mit einer
allfälligen Bevölkerung von aller Art lebenden Wesen? Ich bitte um ein bißchen
mehr Vergrößerung des Planeten selbst oder um ein geistiges Mikroskop, sonst
werde ich bei dieser Miniaturdarstellung dieses Planeten nicht viel mehr
entdecken, als ich bisher entdeckt habe! Ist ja der ganze Planet nicht größer
als ein mäßiges Hühnerei auf der Welt, – was sollte sich da wohl ausnehmen
lassen? Wahrlich, bei diesem Maßstab müßten die Infusionstierchen hübsch klein
ausfallen!
[BM.01_039,07] Muß aber doch auch einmal auf die weiße Tafel sehen, vielleicht
steht schon etwas oben? Schau, auf dieser Seite sehe ich nichts! Das ist gut,
denn ich muß offen gestehen, daß ich vor dieser Tafel einen sonderlichen Respekt
habe! Muß sie aber doch auch von vorne besehen, vielleicht steht dort etwas? Ah,
das ist vorderhand noch besser; denn da steht auch noch nichts darauf! Daher nun
nur wieder zu meinem Planetensystem!
[BM.01_039,08] Da ist ja schon die Venus wieder, aber noch um kein Haar größer.
Also habe ich auch bei dir, du mein schönster Stern, nichts mehr zu tun, so du
dich nicht vergrößern willst! Schiebe dich daher nur weiter!
[BM.01_039,09] Aha, da kommt der kleine Merkur, ein ganz possierliches Weltchen
von der Größe einer Nuß! Scheint auch kein Meer zu haben, dafür aber desto mehr
Berge – vorausgesetzt, daß man diese einen halben Stecknadelkopf großen
Unebenheiten auch mit dem Ehrentitel ,Berge‘ bezeichnen kann! Mein lieber
Merkur, auch wir sind miteinander schon fertig; nur fort mit dir!
[BM.01_039,10] Was ist denn das für ein kupfriger Kerl von einem Planeten? Das
wird doch etwa nicht zum zweiten Male die Erde sein? Nein, nein, die ist es
nicht! Oh, wir haben dich schon, du feuriger Held; du bist ja der Mars! Na, hab'
mir auf der Erde von dir auch eine ganz andere Vorstellung gemacht! Ich habe mir
immer gedacht, daß du ein sehr unruhiger und stürmischer Patron sein wirst. Aber
wie ich's nun aus deiner sehr flachen, mit wenigen Bergen besetzten Oberfläche
erschaue, so scheinst du gerade das Gegenteil von dem zu sein, was ich von dir
gedacht habe. Näheres kann ich auch auf dir nicht entdecken, daher schiebe auch
du dich weiter!
[BM.01_039,11] Da sehe ich bei sieben kleine Kügelchen von – sicher auch
Planeten? Nur weiter mit euch, ihr habt schon gar nichts für mich!
[BM.01_039,12] Da dreht sich schon der Planeten Großmogul Jupiter vor mein
Gesicht her! Wahrlich, ein schöner Brocken! Vier Trabanten auch noch um ihn, das
gibt aus! – Wie sieht es denn auf dir aus? Sapprament, da gibt es ja ganz
entsetzlich viel Wasser! Bloß am Äquator herum bedeutende Inseln, sonst aber pur
Wasser! Berge gibt es auch hier und da; aber hoch sind sie gerade nicht! Wie
sieht es denn aber mit der Vegetation aus, wie mit lebenden Wesen? Dieser Planet
ist zwar sichtlich um einige tausend Male größer als die vorigen, aber von einer
Vegetation kann ich auch da nichts ausnehmen. Ich merke es wohl, daß die Flächen
so gewisserart etwas rauhlich aussehen; aber was das ist, – dazu gehören ganz
andere Augen.
[BM.01_039,13] Dort sehe ich auch den Saturn, den Uran und noch einen sehr
großen Planeten ganz im Hintergrunde mit – ja, ja, richtig, mit 10 Monden,
darunter drei bedeutend groß, und neben ihnen einige kleinere! Das werden etwa
doch nicht Monde von Monden sein? – Kometen sehe ich im Hintergrunde nun auch
eine schwere Menge!
[BM.01_039,14] Es ist wirklich schön, ja erhaben schön ist es. Aber wenn man auf
diesen guten Planeten nichts anderes entdecken kann als nur höchstens Meere und
größere Gebirge, da gewähren sie sage für die ganze Ewigkeit verzweifelt wenig
Vergnügen. Ich bin nun schon fertig; in diesem Maßstabe werden wir für die
Zukunft sehr wenig miteinander zu tun bekommen!
[BM.01_039,15] Dort in der Mitte ist wohl noch die Sonne! Freilich ein ganz
unbändig großer Klumpen. Aber was nützt das, so ihr Maßstab zu ihrem wirklichen
Größenverhältnisse sich gerade so verhält wie ein Sandkörnchen zur ganzen Erde,
wo sich dann auch nichts ausnehmen läßt? Also ist auch mit dir, du liebe Sonne,
nichts für mich; daher lebe auch du recht wohl und gesund!
[BM.01_039,16] Jetzt wäre ich aber auch schon fertig mit der Betrachtung der
außerordentlichen himmlischen Kunstraritäten, die hier diesen nun meinigen Saal
zieren. Was nun? Auf der Tafel steht nichts; von den Planeten ist auch nichts
Weiteres abzulesen und zu besichtigen. Den saubern Erdglobus möchte ich lieber
draußen als drinnen haben. Also Frage: Was nun? Zum Herrn hinübergehen? Würde
sich nun geschwinde auch nicht schicken!
[BM.01_039,17] Hm, hm, hm – ist doch recht fatal, wenn man sich als seligster
Geist im Himmel knapp neben dem Herrn aller Herrlichkeit ein bißchen langweilen
muß! Hat sicher auch sein Gutes; aber Langeweile bleibt Langeweile, ob im Himmel
oder auf der Erde.
[BM.01_039,18] Auf der Erde vertröstet man sich am Ende, wenn sozusagen alle
Stricke reißen, mit dem lieben Tode, der jedem Liede – ob lustigen oder
traurigen Inhaltes – ein Ende macht, wenigstens für die Erde. Aber hier, wo
freilich – dem Herrn ewig Dank darum! – dem Leben kein Tod mehr folgt, nimmt
alles sogleich einen ewigen Charakter an. Und man kommt da gar so leicht in die
Versuchung zu glauben, daß so ein Zustand ewig gleichfort andauern wird. Dieser
Umstand macht dann jede stark einförmige Erscheinung wenigstens um tausendmal
langweiliger als auf der Erde, wo jedem Ding ein Ende gesetzt ist.
[BM.01_039,19] Was also soll ich nun tun? Ist auf der Tafel noch nichts zu
ersehen? Nein, noch immer nichts! Gar zu nötig wird es dem Herrn sicher nicht
sein, sich meiner zu bedienen, sonst müßte ich ja doch schon etwas zu tun
bekommen haben!
[BM.01_039,20] Hm, hmmmm! Es wird einem schön langweilig hier im Himmel! Werde
ich mich so ewig in diesem himmlischen Kunstmuseum aufhalten müssen? O
sapprament, das wird eine schöne, ganz unvergleichliche Langweile abgeben!“
40. Kapitel – Die zwölf kleinen Kabinette mit den verdeckten, noch ungesegneten
geistigen Speisen. Die Herde der schönen Mädchen. Die schöne Merkurianerin. Die
formvollendeten nackten Venusmenschen. Wichtigkeit des Segens des Herrn.
[BM.01_040,01] (Bischof Martin:) „Aber jetzt fällt mir was ein! Neben diesem
Saale gibt es ja noch 12 Nebengemächer, in die man durch diese 12 Türen gelangen
kann. Richtig, die hätte ich bald vergessen und auch die etwas verhängnisvollen
verdeckten Speisen in denselben. Oh, die muß ich nun sogleich
durchpatrouillieren! Also, in des Herrn Namen ,Glück auf!‘ wie auf der Erde die
Bergleute sagen. Gibt es hier auch keine Stollen und Schächte, so gibt es doch
gewisse 12 geheime Gemächer, wo man noch nicht weiß, was sie enthalten; daher
auch hier im Himmel: Glück auf! –
[BM.01_040,02] Da wär' einmal die Türe Nr. 1! Also nur aufgemacht und
eingetreten! Oh, oh, oh! Oh, Tausend, Tausend, Tausend! Da ersehe ich ja in
aller Form meine schöne Herde! Ah, das laß ich mir gefallen! Bei solcher
Bescherung wird einem die liebe Ewigkeit freilich nicht zu lang! Aber jetzt
heißt es halbrechts – umgekehrt! Das ist schon eine verdeckte Speise Nr. 1!
Daher nur zur Türe Nr. 2!
[BM.01_040,03] Da ist sie schon! Also im Namen des Herrn nur hübsch fein und
sachte aufgemacht; denn man kann nicht wissen, was alles sich darinnen befindet!
Schau', diese Tür geht etwas schwerer auf als die frühere; aber es geht doch!
Gott sei's gedankt, offen ist sie! Aber es ist etwas dunkler in diesem Gemache
als in dem früheren, daher muß ich schon etwas tiefer hinein meine Schritte
setzen!
[BM.01_040,04] Oh, oh, oh! Ja, was ist denn das schon wieder? Dies Gemach ist ja
größer als die ganze große Vorhalle! Und im Hintergrunde entdecke ich eine große
Menge ganz nackter Menschen beiden Geschlechtes; ihre Anzahl ist unübersehbar! O
jemine, was das für schöne Menschen sind, besonders die weiblichen!
[BM.01_040,05] O sapprament, sapprament – da kommt gerade eine auf mich zu! Soll
ich sie abwarten? Ja, ganz ja, ich muß sie abwarten; denn diese Speise ist
wahrlich nicht verdeckt, – nein, nein, nein, diese ist nicht verdeckt!
[BM.01_040,06] O Tausend, Tausend – ist aber das eine Schönheit non plus ultra!
Diese Weiße, diese üppigste Fülle, diese Brust! Nein, das ist nicht auszuhalten!
Dieser rundeste, weichste Arm, diese göttlichen Füße und dieses – man könnte
sagen – selbst für den Himmel zu freundlich-schönste, allersüßeste Gesicht mit
einer so himmlisch zart lächelnden Miene!
[BM.01_040,07] Ahahahah! Nein, nein, nein – ich halte es nicht aus! Ich muß
gehen, – kann doch nicht, nein ich – es ist rein unmöglich! Vielleicht will sie
mir was sagen? Sie ist schon – da –, ist da, da! Stille nun, sie will ja reden
mit mir; darum still nun, meine lose Zunge!“
[BM.01_040,08] Das Weib spricht: „Du bist sicher der Eigentümer dieses Hauses,
auf den wir schon lange warten?“
[BM.01_040,09] Spricht Bischof Martin: „Ja – o ja, doch nein, und doch wieder
halbwegs ja! Bin nur erst einlogiert worden. Der eigentliche Eigentümer alles
dessen ist so ganz eigentlich dennoch der Herr Jesus, Gott von Ewigkeit! Womit
kann ich euch dienen und besonders dir, du überhimmlische Schönheit über alle
Schönheiten der ganzen Unendlichkeit?“
[BM.01_040,10] Spricht das Weib: „Preise mich nicht so sehr! Denn siehe, dort
rückwärts gibt es noch eine zahllose Menge meines Geschlechts, die alle ums
unvergleichliche schöner sind als ich, darum ich als die Häßlichste auch zu dir
hergesandt wurde, damit du im Anfang nicht allzusehr geblendet würdest.
[BM.01_040,11] Unser Anliegen aber besteht darin: Siehe, wir sind alle Menschen
aus der Erde, die ihr Kinder des Allmächtigen ,Merkur‘ nennet, wie wir es nun
hier erfahren haben. Dies Haus ist dein; es kommt nun auf dich an, uns zu
behalten zu deinem Dienste oder auch zu verstoßen. Wir bitten dich aber alle,
daß du uns gnädig sein möchtest!“
[BM.01_040,12] Spricht Bischof Martin: „Oh, ich bitte dich, du himmlische, du
erhabenste, allersüßeste Schönheit: oh, wenn eurer noch tausendmal soviel wären,
so ließe ich euch nimmer von der Stelle! Denn ich bin ja aus lauter Liebe zu dir
ganz weg! Komm nur her, du allerschönste Merkurianerin, und lasse dich umarmen!
Ohohoh – nein, nein; ach, du wirst ja immer schöner, je freundlicher du mich
anlächelst! So komme, komme und lasse dich umarmen!“
[BM.01_040,13] Spricht das Weib: „Du bist ein Herr; ich aber bin ewig nur deine
Sklavin! So du gebietest, muß ich ja wohl tun deinen Willen, der uns allen
heilig sein muß!“
[BM.01_040,14] Spricht Bischof Martin: „Oh, bitte, du meine Allerhimmlischste!
Was Sklavin – das kenne ich nicht! Du bist von nun an eine Gebieterin meines
Herzens! Komme nur, komme, du allerreizendste, ja namenloseste Schönheit! – O
Gott, o Gott, das ist aber eine Schönheit! Nein, nein; mir bleibt schon
ordentlich der Atem aus vor lauter Entzückung!“
[BM.01_040,15] Bischof Martin will dieser schönsten Merkurianerin gerade an die
Brust fallen, als Ich Selbst ihn auf die Achsel klopfe und sage: „Halt, Mein
lieber Sohn Martin, das ist auch schon eine verdeckte Speise. Erst wenn Ich sie
für dich werde gesegnet haben, dann kannst du ihr an die Brust fallen, so es
dich noch gelüsten wird! Mache daher auch hier dein Halbrechts!“
[BM.01_040,16] Spricht Bischof Martin: „Oohoh – oh, Du mein allergeliebtester
Herr Jesus! Ich liebe Dich sicher, wie einer nur immer Dich lieben kann; aber
ich muß Dir nun offenherzig bekennen! Ja – was wollte ich denn so ganz
eigentlich sagen? Ja, ja, ich muß Dir offenherzig bekennen: so lieb ich Dich
habe, aber diesmal wäre es mir beinahe lieber gewesen, so Du um ein paar
Augenblicke später gekommen wärest!“
[BM.01_040,17] Rede Ich: „Das weiß Ich wohl und habe es dir auch schon
vorhergesagt, daß du so zu Mir reden wirst in Kürze, obschon du dich damals von
Mir durchaus nicht trennen wolltest. Aber Ich verlasse den nimmer, der Mich
einmal ergriffen hat, also auch dich nicht! Darum komme nun schnell aus diesem
Gemache! Warum? Das wird dir zur rechten Weile bekanntgegeben werden! – Du,
Weib, aber ziehe dich wieder zurück!“
[BM.01_040,18] Das Weib tut sogleich, wie ihr geboten, und Bischof Martin folgt
Mir mit einem etwas verlängerten Gesicht, aber dennoch willigst, zur Türe Nr. 3.
[BM.01_040,19] Wir kommen nun zur vorbezeichneten Türe, und siehe, sie tut sich
von selbst auf!
[BM.01_040,20] Der Bischof Martin sieht sehr neugierig hinein und fährt völlig
zusammen, als er hier wie in eine neue Welt schaut und in selber nebst den
wunderbarsten Herrlichkeiten eine Menge seliger Wesen in vollkommenster
Menschengestalt erblickt, die so schön sind, daß darob unserem Bischof Martin
förmlich die Sinne vergehen.
[BM.01_040,21] Nach einer Weile erst ruft Bischof Martin aus: „O Herr, Du
herrlichster Schöpfer und Meister aller Dinge, aller Wesen, Menschen und Engel,
das ist ja unendlich! Das ist zu hoch über alle menschlichen Begriffe!
[BM.01_040,22] Ja was ist denn das schon wieder? Was sind das für Wesen? Sind
das schon Engel oder wohl noch seligste Menschengeister? Sie sind zwar auch
nackt, – aber ihre sonnenweiße Haut, der vollkommenste, üppigste Wuchs, die
höchste, vollkommenste Harmonie in ihren Gliedmaßen, ein eigener Glanz, der sie
umgibt, das alles ersetzt millionenfach die herrlichsten Kleider. Ich kann mir
unmöglich eine herrlichere, schönere und erhabenere Form denken!
[BM.01_040,23] Ja, Herr, kein Lob, kein Preis und keine Ehre kann gedacht
werden, um Dich gebührend zu loben, zu preisen und zu ehren damit! Wahrlich,
wahrlich, Du bist heilig, heilig, heilig: Himmel und Erden sind voll Deiner
Herrlichkeiten! Dir sei darum Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit!
[BM.01_040,24] O Herr, ich bitte Dich, gehen wir da weiter, denn diesen zu
herrlichen Anblick kann ich nicht länger ertragen! Nur das sage mir gnädigst,
was das für Wesen sind?“
[BM.01_040,25] Rede Ich: „Das sind Menschengeister aus dem Planeten, den ihr
,Venus‘ benannt habt. Ihre Bestimmung ist, euch, Meinen Kindern, zu dienen, wo
und wann immer ihr ihrer Dienste benötigen mögt. Dieser Dienst ist ihre höchste
Seligkeit. Daher wirst du sie auch allzeit um so seliger machen, je öfter und
weiser du sie benützen wirst!
[BM.01_040,26] Das sind jedoch nicht die einzigen, die auf deine Winke harren,
sondern es gibt noch eine zahllose Menge anderer aus andern Planeten, die du in
der Zukunft weise zu benutzen erst lernen mußt. Nun weißt du vorderhand, was dir
zu wissen not tut; alles andere wird folgen!
[BM.01_040,27] Daraus kannst du aber nun schon entnehmen, was Paulus mit den
Worten andeutete, da er sagte: ,Kein Auge sah es und kein Ohr hat es je gehört,
und in keines Menschen Sinn ist es je gekommen, was Gott denen bereitet hat, die
Ihn lieben!‘
[BM.01_040,28] Als du auf der Welt warst, da ahntest du freilich nicht, warum
dich manchmal die Sterne so mächtig angezogen haben. Nun aber siehst du den
Magnet vor dir, der dich auf der Welt oft so magisch anzog und dir manchen
Seufzer und manches ,Ach, wie herrlich!‘ aus deiner damals sehr verknöcherten
Seele entlockte.
[BM.01_040,29] Siehe, das ist schon eine Art Dienstes dieser Wesen, daß sie
durch ihr festes, unerschütterliches Wollen nicht selten empfängliche Gemüter
der Erdenmenschen beschleichen und sie hinauf zu den Sternen lenken. Das taten
sie auch dir, als du sie noch nicht kanntest. Und sie werden es nun um so mehr
tun, da sie dich sichtlich kennen, wie du nun auch sie, wenn auch noch etwas
unvollkommen.
[BM.01_040,30] Nun aber komme wieder weiter, und zwar zur Türe Nr. 4! Dort wirst
du wieder etwas anderes und noch Herrlicheres erschauen. Es sei!“
[BM.01_040,31] Spricht Bischof Martin: „Herr, aber warum dürfen uns denn nun
diese herrlichsten Wesen nicht näherkommen, und warum müssen sie von Dir zuvor
erst gesegnet sein?“
[BM.01_040,32] Rede Ich: „Mein lieber Sohn Martin, hast du auf der Erde nie
gesehen, so du an einem Strome lustwandeltest, daß zu gleicher Zeit auch auf der
andern Uferseite Menschen lustwandelten oder andere Geschäftswege machten?
Konntest du wohl, so dich die Lust angewandelt hätte, sogleich ohne Brücke oder
ohne Schiff zu ihnen gelangen? Du sprichst: Nein! – Siehe nun aber: Wozu auf der
Welt die Brücke oder ein Schiff dient, eben dazu dient hier Mein Segen!
[BM.01_040,33] Ohne Mich kannst du weder auf der Erde noch hier im Himmel etwas
tun. Mein Segen aber ist Mein allmächtiger Wille, Mein ewiges Wort ,Es werde!‘,
durch das alles, was da ist, gemacht ward. Also muß durch dasselbe auch zuvor
die Brücke zu all diesen Wesen gemacht werden, damit du zu ihnen und sie zu dir
ohne Schaden gelangen können. Alles aber hat seine Zeit und seine Weile, deren
richtige Dauer nur Ich allein bestimmen kann – und der, dem Ich es offenbare.“
[BM.01_040,34] Spricht eiligst Bischof Martin: „Aber wie konnte denn hernach die
schöne Merkurianerin so nahe zu mir kommen, daß sie mir auch in die Arme
gesunken wäre, so Du mich nicht davon abgehalten hättest – und doch war sie als
eine verdeckte Speise noch nicht gesegnet von Dir? Was hatte ihr denn dann zur
Brücke gedient? Oder war das auch noch eine leere Erscheinlichkeit?“
[BM.01_040,35] Rede Ich: „Mein lieber Sohn Martin, wolle nicht mehr wissen, als
was Ich dir offenbare; denn Aberwitz stürzte einst Adam und vor ihm den
erstgestalteten größten Engelsgeist! Daher: Willst du vollkommen selig sein, so
mußt du auch in allem vollkommen Meinen Weisungen folgen und nie über ein Ziel
hinaustreten wollen, das Meine höchste Liebe und Weisheit dir stellt!
[BM.01_040,36] Zur rechten Zeit wird dir alles klar werden. Diese untrügliche
Verheißung genüge dir, sonst kommst du noch einmal auf ein Wasser, das dir noch
mehr zu schaffen machen würde als das frühere! Denn solange du noch kein
himmlisches Hochzeitsgewand um deine Lenden gegürtet hast, bist du noch kein
eigentlicher fester Himmelsbürger, sondern nur ein aus puren Gnaden angenommener
Sünder, der hier durch mancherlei Wege erst zu einem wahren Himmelsbürger werden
kann. Darum frage nun nach nichts weiter, sondern folge Mir zur vierten Türe; es
sei!“
[BM.01_040,37] Bischof Martin gibt sich nun selbst eine Maulschelle und folgt
Mir ohne alles weitere Bedenken. Es reut ihn auch, daß er Mich so aberwitzig
gefragt hatte.
[BM.01_040,38] Ich aber vertröste ihn, sagend: „Sei nur ruhig und angstlosen
Gemütes! Denn siehe, ein jedes Wort, das aus Meinem Munde an dich ergeht,
gereicht dir nicht zum Gerichte, sondern allein nur zum ewigen Leben, dessen sei
versichert! Hier aber ist auch schon die Türe Nr. 4. Sie öffne sich!“
41. Kapitel – Die Herrlichkeiten des Mars. Martins geistige Ermattung und
törichter Wunsch. Des Herrn Rüge.
[BM.01_041,01] Ich rede weiter und sage: „Wir sind nun schon am offenen Eingang.
Was siehst du hier und wie gefällt es dir?“
[BM.01_041,02] Spricht Bischof Martin etwas kleinlaut: „Herr, ich habe weder Mut
noch Zunge genug, diese erhöhte Pracht in ihrer Größe, Tiefe und anmutigsten
Majestät gebührend zu schildern. Was ich dabei jedoch nach meinem Gefühle zu
bemerken habe, ist: daß hier in allem Ernste für mich nun des Guten zu viel ist!
Ich werde nun schon förmlich stumpf ob des steten Wachstums dieser mehr als
himmlischen Schönheiten – besonders jener, die hier in sichtbar
weibmenschlich-himmlischer Gestalt in einer wahren Unzahl vorkommen!
[BM.01_041,03] Wie viele Millionen sind denn wohl in einem solchen
Seitenkabinett, das eigentlich eine ganze Welt ist, beisammen? Es wimmelt ja
alles von diesen Wesen, wohin und wieweit das Auge nur immer reichen kann. Dazu
kommen noch die tausend und abertausend der allerzierlichsten Hütten und Tempel
und Gärten und Haine und eine Menge von kleinen Berglein, die wie mit den
schönsten grünen Samtteppichen bedeckt zu sein scheinen.
[BM.01_041,04] Siehe, Herr, es ist zu viel; ich fasse es nimmer und werde es
auch ewig nimmer vollends erfassen können! Daher laß ab, o Herr, mir die
weiteren, noch größeren Herrlichkeiten zu zeigen. Wahrlich, mir sind schon die
bisher geschauten für die Ewigkeit zu viel!
[BM.01_041,05] Was brauche ich auch alles das? So ich Dich habe und noch einen
sonstigen Freund, der bei mir unter einem Dache wohnt und bleibt, so Du manchmal
verziehst, da habe ich für die ganze Ewigkeit genug. Es mögen jene an solchen
Erhabenheiten Freude haben, denen ihr Gewissen sagt, daß sie rein sind und darum
würdig und auch fähig, solche Himmelsgüter zu besitzen. Ich aber, der ich nur zu
gut weiß, was mir gebührt, bin zufrieden mit der einfachsten Strohhütte und mit
der Erlaubnis, Dich, o Herr, in Deinem Hause besuchen zu dürfen und manchmal
auch ein Stückchen Brot und ein Schlückchen Wein von Dir, Du bester Vater, zu
bekommen!
[BM.01_041,06] Dieses Prachthaus aber gib ohne weiteres wem andern, der fähiger
und würdiger ist, es zu besitzen, als ich; denn mit mir ist da nichts. Tue,
Herr, was Du willst! Ich gehe, wenn ich frei wollen darf, zu keiner Tür mehr
weiter.
[BM.01_041,07] Oh, wenn ich mich erst aller dieser Wesen bedienen solle, wo käme
ich da hin mit meiner Dummheit! Daher bitte ich Dich, o Herr, laß ab, mich
hierin weiter zu führen! Gib mir einen Schweinestall, wie er auf Erden besteht,
und ich werde mich glücklicher fühlen!“
[BM.01_041,08] Rede Ich: „Höre, Mein lieber Martin, so du es besser verstehst,
wie jemand zu gehen hat, um ein vollkommener Himmelsbürger zu werden, so kannst
du es ja haben, wie du es wünschest. Aber da sei auch versichert, daß du ewig
nimmer weiterkommen wirst. Setzest du aber auf Mich mehr Vertrauen als auf deine
Blindheit, da tue, was Ich will – und nicht, was du willst!
[BM.01_041,09] Meinst du denn, Ich habe Meine Kinder bloß nur fürs Hüttenhocken
und fürs Brotessen und Weintrinken erschaffen? O sieh, da irrst du dich
gewaltigst! Hast du denn nicht gelesen, wie geschrieben steht: ,Werdet
vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!‘ Meinst du wohl, daß sich
die erforderliche Vollkommenheit Meiner Kinder in einem Schweinestall erreichen
läßt?
[BM.01_041,10] Oder hast du auf Erden nie erlebt, wie die Kinder irdischer
Eltern auch lieber müßig wären und sich mit ihren losen Spielereien
beschäftigten, als daß sie sich an das Erlernen ihrer einstigen Berufskenntnisse
wenden müssen? Oder hast du auf der Welt nicht stets eine Menge solcher Menschen
gesehen, denen der Müßiggang über alles ist?
[BM.01_041,11] Siehe, zu dieser Gattung gehörst auch du. Nun hast du eine Scheu
vor dem vielen, was deiner hier harrt; zum Teile aber möchtest du Mir auch so
ganz höflich ein wenig trotzen, darum Ich dir vorher den Aberwitz deiner eitlen
Frage verwies!
[BM.01_041,12] Allein das alles taugt nicht für den, dem Ich schon so viel
Gnade, Liebe und Erbarmung erwies und noch fort erweise. Siehe, was vielen
Millionen nicht geschieht, das geschieht dir! Millionen sind glücklich bloß in
der Anwartschaft, Mich einmal zu erschauen und werden geführt von ganz geringen
Schutzgeistern zu dem seligsten Behufe. Dich aber führe Ich Selbst, – Ich, der
ewige Gott und Vater aller Unendlichkeit, als das ewige, seligste Ziel aller
Engel und Geister der Unendlichkeit! Und dir wäre ein freigewählter
Schweinestall lieber, als was Ich dir geben will und dich befähigen für die
größte Seligkeit! Sage Mir, wie gefällt dir nun solch löblicher Wunsch?“
[BM.01_041,13] Spricht der Bischof Martin ganz verdutzt: „O Herr, o Du ewig
heiligster, bester Vater, habe Geduld mit mir! Ich bin ja ein reines Vieh, ein
wahrer dümmster Saukerl, der nicht des kleinsten Strahles Deiner Gnade wert ist!
Oh, nun führe mich Du allein, guter Vater, wohin Du willst, und ich werde Dir
folgen, wenn auch dumm wie ein Fisch. Aber folgen werde ich Dir ewig ohne alles
eselhafte Bedenken!“
[BM.01_041,14] Sage Ich: „Nun denn, so folge Mir von dieser Marstüre zur
Jupitertüre Nr. 5! Es sei, und es geschehe!“
42. Kapitel – Die Überraschungen hinter der fünften Tür. Die Wunderwelt des
Jupiter.
[BM.01_042,01] Wir befinden uns nun schon bei der Türe 5, die sich alsbald
auftut, als wir zu ihr gelangen, und der Bischof Martin schlägt gleich beim
ersten Anblick dieses geöffneten Kabinettes die Hände dreimal über dem Haupte
zusammen und schreit förmlich: „Aber um Deines Gottesnamens willen, Herr, Jesus,
Vater – ja, was ist denn das schon wieder?! Diese Unermeßlichkeit! Eine
himmlischste Erde ohne Ende; über ihr noch vier Erden wohl zu beschauen! Alles
von einem Lichte umflossen, von dem sich selbst der tiefsinnigste Erdenpilger
nicht den allerleisesten Begriff machen kann. Diese Pracht und Majestät der
leuchtenden Paläste, der Tempel und auch der kleinen Tempel, die diesen
Bewohnern wahrscheinlich als freie Wohnungen dienen!
[BM.01_042,02] Oh, oh, nun erschaue ich auch Seen, und ihr Wasser schimmert wie
die schönsten geschliffenen Diamanten im Sonnenlichte. Aber alles leuchtet da
eigens aus sich selbst. Denn es ist nirgends etwas zu entdecken, von wo aus etwa
ein Licht käme. Ach, ach, Herr, Vater! Das ist ja über alle Begriffe schön,
herrlich, erhaben, ja ich möchte es ordentlich heilig-schön nennen, so ich es
nicht wüßte, daß Du allein nur heilig bist!
[BM.01_042,03] O Herr, Vater, je länger ich da hineinschaue, desto mehr entdecke
ich stets. Nun sehe ich auch schon Menschen, die aber freilich noch etwas zu
ferne sind, daß ich nicht ausnehmen kann, wie sie ganz eigentlich aussehen.
Offenbar werden sie ebenfalls in entsprechender Art mit ihrer Erde
unaussprechlich schön sein! Es ist aber auch besser, daß sie mir nicht zu nahe
kommen: ich könnte ihre sicher zu große Schönheit am Ende etwa doch nimmer
ertragen. Man hat da schon mit dieser großen, herrlichsten Wohnerde zum größten
Übermaße genug!
[BM.01_042,04] Aber Herr, Herr, Vater! Ist es wohl außer Dir einem Geiste
möglich, so eine endlose Fülle und Tiefe und Größe von solchen Erhabenheiten,
deren Zahl kein Ende hat, je ganz zu durchschauen und nur einen kleinsten Teil
davon auch zu begreifen? Ich glaube, das ist selbst dem größten Engel rein
unmöglich!“
[BM.01_042,05] Rede Ich: „Nicht so, Mein lieber Sohn Martin! Alles, was du hier
ersiehst, schon gesehen hast, und was du nun noch sehen wirst, ist nur ein
allerkleinster Teil von dem, was die weisen Engel Meines ewigen Reiches in aller
Tiefe der Tiefen einsehen und in aller Fülle überaus wohl verstehen.
[BM.01_042,06] Denn siehe, alles, was du hier siehst und worüber du so überaus
erstaunst, ist nicht außer dir, sondern in dir selbst. Daß du es aber hier wie
außer dir erblickst, liegt an deiner geistigen Sehe. Es hat Ähnlichkeit mit dem
Schauen der Gegenden, die du öfter in einem Traume geschaut hast wie außer dir,
während du sie eigentlich doch nur in dir selbst mit dem Auge der Seele
beschautest. Nur ist hier der Unterschied, daß hier alles wirkliche Sache ist,
was in einem Traum sich eigentlich zumeist nur als leere Seelenspiegelfechterei
darstellt. Frage nun nicht weiter darüber, denn zu rechter Weile wird es dir
klar werden!
[BM.01_042,07] Die Menschen dieser Erde aber bekommst du hier darum nicht näher
zu Gesicht, weil sie für deinen Zustand wirklich zu schön sind. Wenn du aber
stärker wirst, dann wirst du alles in aller Fülle besehen und in allerseligster
Reinheit genießen können – was dir jetzt noch nicht möglich wäre, da dir die
dazu erforderliche Stärke fehlt.
[BM.01_042,08] Gehen wir aber nun wieder um eine Tür weiter, dort wirst du noch
unvergleichlich Erhabeneres erschauen. Bei dieser kommenden sechsten Tür mußt du
dich jedoch so ruhig als möglich verhalten, bloß auf Mich hören und alles wohl
vernehmen, was Ich dir da sagen werde. Auch darfst du Mich nicht fragen, warum
du dich da so ruhig verhalten mußt. Auch nicht, so Ich zu dir reden werde
manches, das du nicht fassen und verstehen wirst; denn in rechter Weile wird dir
alles klar werden! Darum nun weiter und vorwärts zur Tür Nr. 6! Es sei!“
43. Kapitel – Saturn als herrlichster aller Planeten. Die Erde als
Gotteskinderschule und Schauplatz der Menschwerdung des Herrn.
[BM.01_043,01] (Der Herr:) „Siehe, wir sind nun schon vor der offenen Türe. Und
die herrliche Himmelswelt, die du erschaust in vollster Klarheit: der große
Wall, der in äußerster Ferne sich in lichtblauer Färbung ausnehmen läßt und über
dem in gemessener Ordnung noch sieben Vereine wie frei schwebend erschaulich
sind, das alles ist in entsprechender Weise der Planet Saturn; die schönste und
beste der Erden, die um die Sonne bahnen. Um diese bahnt auch deine Erde, die da
ist der häßlichste und letzte Planet in der ganzen Schöpfung, dazu bestimmt, den
größten Geistern als eine Schule der Demut und des Kreuzes zu dienen!
[BM.01_043,02] Dieses aber ist darum so bestimmt: Siehe, so irgendein großer und
mächtiger Herr der Welt in seiner angestammten Residenz wohnt und geht, und
fährt und reitet da oft durch die Gassen und Plätze der Stadt, da sehen sich die
Bewohner als sicher nächste Nachbarn eines solchen Machthabers kaum um, daß sie
ihn als ihren Regenten begrüßten und ihm die Ehre gäben. Darnach ist er aber
auch aus Gewohnheit gar nicht lüstern, weil er seine Nachbarn kennt und wohl
weiß, daß auch sie ihn kennen. Wenn er aber einen entfernten kleinen Ort
besucht, da fällt alles nieder vor ihm und betet ihn förmlich an. Dazu aber
zeigt auch er in solch einem kleinen Orte, was er so ganz eigentlich ist; was zu
zeigen er in seiner Residenz nicht vermag: fürs erste, weil ihn ohnehin ein
jeder Mensch kennt, und fürs zweite, weil ein solches Sich-Zeigen eben darum
keinen Effekt machen würde.
[BM.01_043,03] Gleich – als möchte auf der Welt jemand in einer großen Halle ein
Lot Schießpulver anzünden, wo die Explosion auch keinen Effekt zuwege brächte.
Wohl aber, so dasselbe Maß Pulver in einem sehr engen Raume angezündet werden
möchte, wo dann ein dröhnender Knall erfolgen würde und eine zerstörende Wirkung
der Explosion.
[BM.01_043,04] Weil aber das Große dem Kleinen gegenüber sich erst recht groß
zeigt, das Starke gegenüber dem Schwachen recht stark, das Mächtige dem
Ohnmächtigen gegenüber sehr mächtig, – so ist eben die Erde so höchst elend in
allem gestaltet, auf daß sie den einst größten und glänzendsten Geistern
entweder zur Demütigung und daraus zur neuen Belebung diene, oder aber zum
Gerichte und daraus zum neuen ewigen Tode. Denn wie Ich dir schon früher gezeigt
habe, dient das Kleine und Unansehnliche auch für sich dazu, das Große und
Angesehene in seiner Art zu erhöhen. Und das ist schon das Gericht, obschon das
Große und Angesehene sich da, wo alles klein und unansehnlich ist, nach dem
richten und sich demütigen soll.
[BM.01_043,05] Wenn so ein großer Mensch durch ein enges und niederes Pförtlein
in ein Gemach kommen will, da muß er sich zuvor zusammenschmiegen und recht tief
bücken, ansonsten er in keinem Falle ins Gemach gelangen kann. Also ist auch die
Erde ein schmaler und dorniger Weg und eine niedere und enge Pforte zum Leben
für jene Geister, die einst übergroß waren und noch größer sein wollten.
[BM.01_043,06] Aber diese Geister wollten sich diesen ihren alten Hochmut sehr
demütigenden Weg nicht gefallen lassen und sprachen, dieser Weg sei für sie zu
klein: ein Elefant könne nimmer auf einem Haare gleich einer Mücke umhergehen
und ein Walfisch nicht schwimmen in einem Wassertropfen. Darum sei solch ein Weg
unweise, und Der ihn geordnet, sei ohne Einsicht und Verstand.
[BM.01_043,07] Da nahm Ich als der allerhöchste und endlos größte Geist von
Ewigkeit das Kreuz und ging diesen Weg als Erster allen voran. Und Ich zeigte,
wie dieser Weg, den der größte und allmächtigste Geist Gottes gehen konnte, auch
von allen andern Geistern leicht kann durchwandert werden und durch ihn erreicht
das wahre, freieste, ewige Leben.
[BM.01_043,08] Darauf wandelten viele schon diesen Weg und erreichten durch ihn
das vorgesteckte, erwünschte Ziel, nämlich die Erhebung zur Kindschaft Gottes
und dadurch die Erbschaft des ewigen Lebens in aller Macht, Kraft und höchsten
Vollendung. Sie besteht darin, daß sie sich aller jener schöpferischen
Eigenschaften erfreuen, die Mir freilich ewig im vollsten Maße eigen sind. Das
aber ist den Geistern aus allen andern zahllosen Sternen und Erden nicht
gegeben, gleichwie nicht allen Gliedern des Leibes die Sehe oder das Gehör, und
noch weniger das Gefühl der innersten Geistessehe, welches ist das eigentlichste
Bewußtsein des eigenen und fremden Seins und das Vermögen, Gott zu schauen und
zu erkennen.
[BM.01_043,09] Diese dir nun gezeigten Eigenheiten haben nur gewisse wenige
Glieder des Leibes, während zahllose andere Gliederteile dieser höchsten
Lebenseigentümlichkeiten für sich völlig entbehren, sich dabei aber dennoch als
Glieder desselben Leibes im steten Mitgenuß befinden.
[BM.01_043,10] Ebenso steht es auch mit den vernünftigen Bewohnern aller andern
Gestirne: sie sind wie einzelne Teile des Leibes oder im vollkommeneren Sinne
des ganzen Menschen, der in aller Fülle Mein Ebenmaß und das Ebenmaß aller
Himmel ist. Daher bedürfen sie zu ihrer Beseligung auch all der göttlichen
Fähigkeiten nicht, die all Meinen Kindern eigen sind. So aber Meine Kinder
allerseligst sind, sind es auch diese Sternenbewohner in und bei ihnen, wie ihr
Meine Kinder in und bei Mir, euerm liebevollsten heiligen Vater von Ewigkeit zu
Ewigkeit.
[BM.01_043,11] Bist du nun selig, da sind all diese Zahllosen, die du hier
bemerkst, es auch aus und in dir; gleich als wenn du dich wohlbefindest, da
befindet sich auch wohl dein ganzer Leib. Daher aber erfordert es dann auch der
heiligen Liebe höchste Pflicht bei Meinen Kindern, so vollkommen als Ich selbst
zu werden. Denn von solcher seligster Vollkommenheit hängt die Seligkeit von
zahllosen kleinen Enkelkinderchen ab, durch deren Seligkeit die eure stets ins
Endlose vergrößert und erhöht wird.
[BM.01_043,12] Nun weißt du, warum Ich dir hier zuerst diesen deiner Erde
nächsten Planeten zeigte. Denke darüber nach und folge Mir nun zur 7. Tür, wo du
wieder in eine neue Weisheit eingeführt wirst! Aber fragen darfst du Mich auch
dort um nichts. Denn Ich allein weiß es, welchen Weg Ich dich führen muß, um
dich so selig als möglich zu machen. Also gehen wir weiter; es sei!“
44. Kapitel – Das siebente Kabinett. Vom Wesen und Zweck des Uran und seiner
Geister. Die Schöpfung im Menschen und außerhalb des Menschen in ihren
Wechselbeziehungen.
[BM.01_044,01] (Der Herr:) „Wir sind nun auch schon bei der offenen 7. Tür. Auch
hier entdeckst du eine neue Himmelswelt, die zwar nicht so groß und auch nicht
gar so übermäßig schön ist wie die frühere. Aber dafür erschaust du hier Gebäude
von der seltensten und dabei großartig-kühnsten Weise und eine für dich
unübersehbare Menge von Werken, die dieses Planeten, den ihr ,Uran‘ nennet,
starrmütige Bewohner hervorbringen. Ebenso entdeckst du auch eine übergroße
Menge der seltensten Gärten, die an den seltensten Verzierungen einen
strotzenden Überfluß haben.
[BM.01_044,02] In den Gärten ersiehst du auf deren breiten, überaus
wohlgeebneten Wegen eine große Menge Geister in vollkommenster äußerer
Menschengestalt, alle wohlbekleidet. Aller Augen sind nach uns gerichtet, denn
sie alle ahnen, daß Ich Mich in ihrer Nähe befinde und daß sich auch der
künftige Besitzer und Gebieter nun schon in gleicher Nähe aufhält. Durch ihn
hoffen sie erst in ihre volle Seligkeit einzugehen und dadurch zu ihrer vollen
verheißenen Kraft und Stärke zu gelangen.
[BM.01_044,03] Im Hintergrunde, scheinbar in großer Ferne, ersiehst du noch fünf
kleinere Erden. Das sind Nebenerden dieses Planeten und haben alle eine von dem
Planeten ganz verschiedene Einrichtung, die aber dennoch in voller Harmonie mit
dem Planeten selbst steht.
[BM.01_044,04] Dieses Planeten Geister dienen im Menschen entsprechend dazu, daß
er wachse in allen seinen Teilen, auf der Welt körperlich und hier geistig
wesenhaft. Jedoch nur, was die Ausbildung der Außenform betrifft oder das
Wachstum des Menschen sowohl physisch als auch psychisch der Form nach, wird
durch das eigens geordnete und zugelassene Einfließen dieses Planeten bewirkt.
[BM.01_044,05] Wie aber natürlich das Vermögen zu wachsen im Menschen vorhanden
sein muß, ansonst er nicht wachsen könnte, ebenso müssen auch diese Geister in
entsprechender Weise im Menschen und an jener Stelle vorhanden sein, die der
Hauptgrund des Wachsens ist. Darum ist auch wieder alles das, was du hier
erschaust, in und nicht außer dir. Es befindet sich aber dieser Planet samt
seinen Bewohnern und andern Dingen in der Wirklichkeit auch irgendwo außer dir;
allein dies kannst du noch lange nicht schauen.
[BM.01_044,06] Wirst du aber in dir selbst zur Vollreife des ewigen Lebens
gelangen, dann wirst du auch die große Schöpfung außer dir schauen können, wie
Ich Selbst sie schaue – was aber auch nötig ist. Denn so Ich Meinen vollendeten
Kindern, die da Engel sind, eine ganze Welt zur Hut und Obsorge anvertraue, so
müssen sie so eine Welt doch auch genauest sehen. Denn ein Blinder kann kein
Hirte sein. Aber zur Beschauung der wirklichen großen Schöpfung außer dir bist
du noch lange nicht reif genug! Daher mußt du nun schon dich mit dem begnügen,
was du nun siehst; denn du siehst das Wirkliche in entsprechender lebendiger
Abbildung in dir so, als wäre es außer dir.
[BM.01_044,07] In dieser inneren Beschauung mußt du groß werden und reif dein
Geist und wohlgenährt in aller Liebe zu Mir und aus dieser Liebe in der Liebe zu
allen Brüdern und Schwestern. Diese Liebe wird dann erst jener Segen sein, den
Ich dir verheißen habe, als du die schöne Merkurianerin zu sehr lieben wolltest!
[BM.01_044,08] Dieser Segen, eine rechte Brücke hinaus in die endlose große
Wirklichkeit, wird dir dann ewig nimmer genommen werden. Auf seinen Pfeilern
erst wirst du in aller Fülle erkennen, wo du bist, und w er du bist, und woher
du kamst.
[BM.01_044,09] Nun weißt du für diese Tür auch, was dir da zu wissen nottut. Das
alles weißt du nun von Mir und aus Mir Selbst. Und da du nun das alles weißt, so
denke in dir wohl darüber nach und folge Mir wieder weiter hin zur achten Tür!
Dort werden wir wieder eine andere und für dich völlig neue Welt kennenlernen
samt ihren denkwürdigen Bewohnern. Es sei!“
45. Kapitel – Die Welt des Miron, das Geheimnis des achten Kabinetts. Das
Geistige als Urgrund und Träger aller Schöpfung.
[BM.01_045,01] (Der Herr:) „Siehe, wir sind auch hier an Ort und Stelle. Die Tür
ist geöffnet, und du siehst durch sie wieder eine neue, sehr große, weitgedehnte
Himmelswelt, die in einem hellgrünlichen Lichte prangt. Auch hier ersiehst du
große Gebäude und unterschiedlich hohe Berge, von denen viele einen bläulichen
Rauch von sich geben. Diese rauchenden Berge entsprechen der Erscheinlichkeit
nach den vielen feuerauswerfenden Bergen, von denen dieser von der Sonne am
weitesten abstehende Planet mit dem rechten Namen Miron (der Wunderbare) den
größten Vorrat hat.
[BM.01_045,02] Hinter diesem Planeten ersiehst du zehn kleinere Erden, die alle
zu ihm gehören, aber dennoch eine ganz andere Ordnung und Beschaffenheit haben
als ihr Hauptplanet selbst. Hier kannst du alle Augenblicke etwas Neues ersehen:
Bäume schwimmen in der Luft herum und noch eine Menge anderer dir bisher noch
ganz unbekannter Dinge. Der Rauch aus den Bergen nimmt auch allerlei seltene
Gestaltungen an. Die Menschen in vollkommener Gestalt sind zumeist
wohlbekleidet, so daß du außer dem Gesichte nicht viel zu sehen bekommen wirst.
[BM.01_045,03] Diese Menschen lieben Musik und Dichtung, daher sie als Geister
auch durch Entsprechung bei euch, Meinen Kindern, Herz, Gemüt und Seele für die
beiden obgesagten Künste empfänglich machen. Sie haben ihren Sitz in den dazu
geeigneten Organen im Menschen, wo sie dann diese Organe anregen und dadurch im
Menschen den Sinn für Musik und Dichtung tauglich und aufnahmefähig machen, im
ganzen den Menschen harmonisch stimmen und seine Phantasie begeistern und
erheben. Überhaupt aber werden alle wundersamen und sogenannten romantischen
Gefühle von diesem Planeten in entsprechender Weise erregt.
[BM.01_045,04] Nun weißt du, was dieser Planet für eine Eigenschaft hat und wozu
er so ganz eigentlich gut ist. Nur mußt du dir da nicht den wirklichen Planeten
denken, der zwar wohl auch also beschaffen ist, sondern das entsprechende Abbild
nur, das da in deinen Geist gelegt ist. Der war früher als alle äußere,
materielle Schöpfung, die erst nach dem gestaltet wurde, was schon lange vorher
in einem jeden vollkommenen Geiste vorhanden war. Denn bevor alle Welt war, war
schon der Geist, und jene ging aus dem Geiste, und nicht etwa der Geist aus ihr
hervor! Daher ist dieser Planet, den du in dir hast, auch um sehr vieles älter
als der nun wirkliche materielle. Und hätte er nur in eines einzigen Menschen
Geiste gemangelt, so hätte er auch nimmer gestaltet werden können.
[BM.01_045,05] Daraus aber kannst du leicht entnehmen, daß, so du dich selbst
vollkommen erkennen wirst, du auch all das erkennen wirst, was sich da befindet
außer dir; da sich außer dir nichts befinden kann, das nicht schon lange zuvor
in dir vorhanden gewesen wäre. Ebenso wie auch in der ganzen Unendlichkeit sich
nichts befinden kann, das nicht schon von Ewigkeit zuvor in Mir in vollster
Klarheit vorhanden gewesen wäre!
[BM.01_045,06] Wie Ich aber der ewige Urgrund und Träger aller Wesen bin, so
sind nun auch Meine Kinder in Mir Selbst der Grundstoff von allem, was nun
erfüllt die Unendlichkeit für ewig. Wie aber in Mir Unendliches ist, so ist es
auch in euch aus Mir. Denn Meine Kinder sind die Kronen Meiner ewigen Ideen und
großen Gedanken!
[BM.01_045,07] Nun weißt du auch von dieser Tür, was dir hier zu wissen nottut.
Daher folge Mir nun zur neunten Tür, allwo du wieder neue Wunder Meiner Liebe
und Weisheit erschauen wirst! Es sei!“
46. Kapitel – Das neunte Kabinett mit seinem traurigen Geheimnis. Die
zertrümmerte Welt der Asteroiden und ihre Geschichte.
[BM.01_046,01] (Der Herr:) „Wir sind nun auch bei der neunten Tür. Was ersiehst
du hier? Nun kannst du, Mein lieber Sohn Martin, schon wieder reden, aber nur so
viel als nottut. Und so antworte Mir auf Meine Frage!“
[BM.01_046,02] Spricht Martin: „Herr, ich sehe vorderhand noch eben nicht gar
viel! Bei neun kleine, kahle, unförmliche Weltklumpen schwimmen in dieser
reinsten Himmelsluft herum, auf denen außer einigen Gesträuchen eben nicht viel
zu entdecken ist. Im kaum ausnehmbaren tiefsten Hintergrunde kommt es mir wohl
vor, als erschaute ich eine große, vollkommene Himmelswelt. Aber diese scheint
mir schon so ungeheuer weit von hier entfernt zu sein, daß ich ob dieser enormen
Ferne kaum die Welt selbst entdecken kann, geschweige das, was auf ihr zu Hause
ist.
[BM.01_046,03] Vier dieser hier in größerer Nähe herumkreisenden Weltklümpchen
scheinen wohl auch bevölkert zu sein, weil ich auf ihnen eine ganz eigentümliche
kleine Art von Gebäudchen entdecke. Aber von den Völkern dieser Weltstücke ist
nichts zu erspähen. Wahrscheinlich werden das der Himmel größte Völker nicht
sein! Vielleicht wohnen darauf bloß nur so eine gewisse Art von
Infusionsmenschchen? Hier schwebt eben so ein Weltstückelchen an der Türschwelle
vorüber. Ich entdecke nichts außer sehr verkümmerten Gesträuchen und einigen
wahren Fliegenhäuschen, die freilich eher zierlichen Ameisenhäufchen ähnlich
sehen als irgendeiner Art Wohnhäusern. Nichts regt sich da und nichts bewegt
sich – außer das Weltstückchen selbst. Sage Du, o Herr, mir gnädigst, was denn
das ist, auch irgendein Planet oder sonst etwas?“
[BM.01_046,04] Rede Ich: „Ja, Mein lieber Sohn Martin, auch das ist ein Planet –
aber, wie du siehst, kein ganzer, sondern ein ganz gewaltig zerstückter! Denn
nebst diesen neun Teilen, die da vor uns sich in stark unordentlichen Kreisen
bewegen, gibt es noch eine große Masse Trümmer: zum Teil auf andern Planeten
zerstreut herumliegend, teils sich aber noch in sehr unordentlichen Bahnen in
den endlosen Raumhallen der Schöpfung herumtreibend. Hie und da noch zur Stunde,
so sie einem festen Planeten oder gar einer Sonne in die Nähe geraten, werden
sie von denselben an sich gezogen und gewisserart aufgezehrt.
[BM.01_046,05] Du fragst nun in dir: ,Wie und warum ist denn ein solcher Planet
also zerstückt worden, und wie sah dieser Planet früher aus, und wie seine
Einwohner?‘
[BM.01_046,06] Siehe, das Wie beantwortet dir Meine Allmacht! Es war also Mein
Wille.
[BM.01_046,07] Warum aber? – Siehe, dieser Planet war einst vor der Erde dazu
bestimmt, welche Bestimmung nun die Erde hat! Denn der erste gefallene Geist
hatte sich ihn auserwählt mit der Verheißung, er wolle sich da demütigen und zu
Mir zurückkehren. Dieser Stern sollte darum dereinst ein Stern alles Heiles
sein! Hier wollte er ganz in sich gezogen wirken, und kein Geschöpf dieses
Sternes sollte je von ihm in seiner Sphäre beirrt werden, noch weniger irgend
andere Planeten mit ihren Bewohnern!
[BM.01_046,08] Aber er hielt diese seine Verheißung nicht, sondern wirkte so
böse in seiner ihm zugelassenen Freiheit, daß da kein Leben mehr fortkommen
konnte. Er wurde darum in das Feuerzentrum dieses Planeten gebannt, und die
Bestimmung jenes Planeten wurde sofort deiner Erde gegeben.
[BM.01_046,09] Als diese reif ward für Menschen und Ich zu dem ersten Menschen
den Keim legte, da riß der Böse an seinem Kerker. Es dauerte Mich seiner und Ich
ließ ihn tun, was er wollte. Und siehe, da zerriß er seine Erde und fiel von da
in den Abgrund dieser deiner Erde und tat dann auf selber allzeit, was dir
wohlbekannt ist!
[BM.01_046,10] Der Grund der Zerstörung dieses Planeten war sonach wie allzeit
in allen Dingen Meine Erbarmung! Denn als der Planet noch ganz war und reich an
mächtigen Völkern, da begeiferte der Drache ihre Herzen. Und sie entbrannten
alle in der wütendsten Herrschsucht und schworen sich alle einen ewigen Krieg
und eine gegenseitige gänzliche Aufreibung bis auf den letzten Mann.
[BM.01_046,11] Da fruchtete kein freies Mittel mehr. Daher mußte hier ein
Gericht erfolgen. Und das war eben die gewaltige Teilung dieses Planeten, bei
welcher Gelegenheit aber freilich auch viele Millionen von den riesig großen
Menschen den Untergang fanden und teils unter den Trümmern begraben wurden, zum
größten Teile aber auch hinaus in den unendlichen Raum geschleudert wurden.
Einige von ihnen fielen sogar auf diese Erde, von woher noch heutzutage die
heidnische Mythe von dem Gigantenkriege datiert.
[BM.01_046,12] Diese ersten Menschen aber starben dann auf den kleinen Resten
dieses einst größten Planeten ganz aus, weil sie darauf keine Nahrung mehr
fanden. An ihre Stelle wurden dann verhältnismäßig kleine Menschen gesetzt, die
noch jetzt die kleinen Erdchen bewohnen und äußerst genügsame Wesen sind und nun
den Kopfhaaren und den Augenbrauen entsprechen. Im Hintergrunde aber ersiehst du
noch den ganzen Planeten mit allem, wie er einst bestand, aufbewahrt für einen
großen Tag, der einst über die ganze Unendlichkeit ergehen wird!
[BM.01_046,13] Nun weißt du auch von dieser Tür, was dir nun vorderhand zu
wissen nottut. Alles andere wird zur rechten Weile von selbst aus dir selbst,
und zwar aus diesem Samen kommen, den Ich nun in dein Herz gelegt habe! Darum
folge Mir nun zur zehnten Tür, allwo schon wieder neue Wunder deiner harren; es
sei!“
47. Kapitel – Das Geheimnis der zehnten Kammer: die Sonne mit ihrer Pracht. Vom
Wesen des Lichtes. Die Wunder der Sonnenwelt. Schönheit als Ausdruck innerer
Vollkommenheit.
[BM.01_047,01] (Der Herr:) „Siehe, wir stehen vor der zehnten Tür; rede nun von
allem, was du hier ersiehst!“
[BM.01_047,02] Spricht Bischof Martin: „Herr, was soll ich hier reden! Ein
unermeßlicher Lichtglanz blendet meine Augen, und eine wunderbar herrlichste
Harmonie dringt an meine Ohren! Das ist alles, was ich über den Anblick durch
die Türe sagen kann. Wahrlich, ich sehe sonst nichts als ein unermeßlich starkes
Licht und vernehme auch nichts als allein die besagte himmlische Harmonie, die
da aus dem Lichte zu mir zu kommen scheint.
[BM.01_047,03] Das Licht scheint hier auch einen Raum einzunehmen, der völlig
unermeßlich sein muß. Denn wohin ich nur immer mein Auge wende, ist nichts als
Licht über Licht. Dabei aber ist dennoch äußerst sonderbar, daß diese ungeheure
Lichtmasse nicht mehr Wärme durch die offene Tür herein spendet!
[BM.01_047,04] Herr, was ist das? Ist das etwa die Hauslampe dieses von Dir mir
gegebenen Hauses? Oder ist das etwa gar die Sonne, d.h. eine Miniatursonne von
jener wirklichen großen Sonne, die der Erde leuchtet?“
[BM.01_047,05] Rede Ich: „Ja, so ist es; das ist die entsprechende Sonne in dir!
Wenn dein Auge lichtgewandter wird, dann wirst du schon auch andere Dinge in
diesem Lichte erschauen. Daher siehe nur eine kleine Weile unverwandt hinein und
du wirst dieses Lichtes Reichtum bald über die Maßen anzupreisen beginnen!“
[BM.01_047,06] Bischof Martin dringt nun recht mit seinen Augen in das Licht
hinein und späht, wo er etwas anderes als bloß das Licht erschauen könnte. Aber
er schaut noch immer nichts und spricht wieder nach einer Weile: „Herr Jesus, es
wird's nicht tun! Mir vergehen schon förmlich die Augen, und ich sehe noch immer
nichts als Licht über Licht. Ist zwar ein schöner Anblick, aber dabei doch etwas
langweilig. Aber das macht gerade nichts; wenn ich nur Dich sehe, brauche ich
ewig kein Wunderding in diesem Lichtmeere herumschwimmen zu sehen! Ist aber
wirklich merkwürdig: nichts als Licht, und was für ein Licht!
[BM.01_047,07] Mein allergeliebtester Jesus, was ist denn so ganz eigentlich
Licht? Auf der Welt streiten die Gelehrten noch zur Stunde, was da sei das Licht
und behaupten dies und jenes. Aber am Ende zeigt sich's denn doch wieder, daß da
einer wie der andere nichts weiß und nichts versteht! Ich habe darüber so
manches gehört und gelesen, aber aus allem ersehen, daß die Weltgelehrten in
keinem Fache so wenig wissen, als was da betrifft die Wesenheit des Lichtes.
Daher, so es Dein Wille wäre, könntest Du mir wohl einige Winke über das Wesen
des Lichtes geben, da wir schon gerade an dieser Lichtpforte weilen?“
[BM.01_047,08] Rede Ich: „Siehe, Ich Selbst bin das Licht allenthalben! Das
Licht ist Mein Gewand darum, weil die ewige, unermüdlichste Tätigkeit Mein
Grundwesen ist und Mich sonach allenthalben durchdringt und umgibt. Wo eine
große Tätigkeit zu Hause ist, da ist auch ein großes Licht vorhanden. Denn Licht
ist an und für sich nichts als eine pure Erscheinung der Tätigkeit der Engel und
besseren Menschengeister. Je höher in der Tätigkeit diese stehen, umso größer
ist auch ihr Licht.
[BM.01_047,09] Daher glänzen die Sonnen auch mehr als die Planeten, weil auf
ihnen und in ihnen eine millionenfach größere Tätigkeit zu Hause ist als auf den
Planeten. Ebenso ist auch das Licht eines Erzengels größer als das Licht eines
bloß kleinen weisen Engelgeistes, weil ein Erzengel ganze Sonnengebiete zu
übersorgen hat, während einem kleinen weisen Geiste nur ein kleinstes Gebiet auf
der Erde oder gar nur auf ihrem Monde zugeteilt wird.
[BM.01_047,10] Ebenso glänzt auch ein Diamant stärker denn ein gemeiner
Sandstein, weil in seinen Teilen eine für dich kaum berechenbar große Tätigkeit
vor sich geht, weswegen er so hart ist, was beim Sandstein sicher nicht der Fall
ist. Denn es gehört doch sicher mehr dazu, die Kohäsion des Diamanten als die
eines Sandsteines zu bewerkstelligen!
[BM.01_047,11] Kurz und gut, wo du an irgendeinem Ding eine größere Licht- und
Glanzfähigkeit entdecken wirst, kannst du auch allzeit auf eine größere
Tätigkeit schließen; denn die Tätigkeit ist das Licht und der Glanz aller Wesen
und Dinge. Des Auges Sehkraft aber besteht darin, diese Tätigkeit wahrzunehmen.
Ist die Sehe noch unvollkommen, da ersieht sie bloß nur Licht und Glanz. Ist sie
aber vollkommen, da ersieht sie die wesenhafte Tätigkeit selbst – was du nun in
diesem Lichte auch bald erkennen wirst, so deine Sehe nun vollkommen wird.
[BM.01_047,12] Daher gib nun nur recht acht: du wirst Dinge erschauen, die dich
ins höchste Erstaunen setzen werden; denn nun haben wir keinen Planeten, sondern
eine Sonne vor uns! Betrachte und rede dann!“
[BM.01_047,13] Nach einer ziemlich geraumen Welle, in der unser Martin
unverwandt in die Lichtmasse hineinsah, fing er an, sich so zu verwundern, daß
es beinahe kein Ende nehmen wollte.
[BM.01_047,14] Als Ich ihn fragte, was denn nun gar so sehr sein Verwundern in
Anspruch nehme, spricht er:
[BM.01_047,15] (Bischof Martin:) „O Herr, o Herr, o Herr! Um Deines
allerheiligsten Namens willen – ah, ah, ah! Ist das wohl möglich! Ist es
möglich, daß alle diese Wunder der Wunder Du übersehen, ordnen und leiten
kannst? Nein, nein, das ist über alle menschliche und selbst engelische
Vorstellungskraft! O mein Gott, mein Gott, Du bist unbegreiflichst groß und
Deines Ruhmes und Deiner Herrlichkeit ist ewig kein Ende!“
[BM.01_047,16] Rede Ich: „Ja, was siehst du denn, das dich in eine solche
Andachtsekstase bringt? So rede doch einmal, was es ist, das du siehst!“
[BM.01_047,17] Spricht Bischof Martin: „Ach Herr, was soll ich da reden, wo mir
die Sinne vor zu großer Herrlichkeit und überhimmlischer Schönheit und Majestät
vergehen!
[BM.01_047,18] Fürwahr, das ist für mich rein namenlos! Endlos schöne Menschen,
das ist der einzige Gegenstand, den ich als das erkenne, was er ist; alles
andere aber ist für mich namenlos! Solche erhabensten Dinge sah ich nie, auch
die begeistertste Phantasie des weisesten Menschen hat nie so etwas je geahnt!
Es war bisher wohl alles von höchster Anmut und Schönheit, was ich schon gesehen
habe, – aber mit dem verglichen, was ich hier erschaue, sinkt es in ein Nichts
zurück!
[BM.01_047,19] Es ist hier von allem eine solch endlose Fülle vorhanden, daß man
sie bei einiger genauerer Betrachtung ewig nimmer übersehen könnte. Dazu
entwickeln sich hier noch fortwährend neue, vorher nicht dagewesene Wunder, von
denen stets das neue herrlicher ist als sein vorhergehendes!
[BM.01_047,20] Nur die Menschen allein bleiben sich gleich, aber in einer so
namenlosen Schönheit, daß ich mich darob in den dicksten Staub verkriechen
möchte. Alles andere aber wechselt wie die symmetrischen Reflexfiguren eines auf
der Erde vorhandenen Kaleidoskop.
[BM.01_047,21] Sogar die Gegenden verändern sich! Wo früher ebenes Land war,
wächst auf einmal ein ungeheurer Berg; der treibt Wässer mit sich auf und
weitgehende Fluren werden zu Meeren. Die Berge zerspringen, und alsbald stürzen
eine Unzahl brennender Welten aus des Berges Öffnung und fliehen oder fallen
dann, wie durch eine große Gewalt getrieben, in den endlosen Weltenraum hinaus.
Dagegen fallen ebenso viele aus dem endlosen Raum wieder zurück und vergehen da
wie einzelne Schneeflocken, so sie auf einen warmen Boden fallen.
[BM.01_047,22] Ach, ach, das sind furchtbar große Erscheinungen! Und doch
wandeln diese schönsten Menschen seligst aussehend unter diesen Szenen und
scheinen sich kaum viel darum zu kümmern! Sie gehen in ihren überhimmlischen
Gärten herum und ergötzen sich am Anblicke der herrlichsten Blumen, die, wie ich
merke, sich auch unter den Augen ihrer Beschauer verändern und in stets
herrlicheren Formen sich erneuen. O Herr, laß nur da mich noch eine halbe
Ewigkeit hineinschauen; denn da kann sich meiner Meinung nach nicht einmal der
erhabenste Erzengel ewig je satt sehen!
[BM.01_047,23] Oh, oh, nur diese Menschen, diese Menschen! Es ist wahrlich nicht
auszuhalten! Diese Fülle, diese Weichheit und Rundung, diese Weiße und diese
herrlich schönste, erhabenste Anmut des Gesichtes! Nein, das ist zu himmlisch!
Ich halte es nicht aus!
[BM.01_047,24] Ach, ach, da kommen einige so recht nahe zu mir her. Ich kann
ihre über alle menschliche Vorstellung erhaben schönsten Gesichtszüge und den
wahrhaft endlos harmonisch gebauten Leib in vollsten Zügen bewundern und
anstaunen! Sie sind nun völlig da, so nahe sind sie mir, daß ich sie überleicht
anreden könnte. Aber ich würde es nicht aushalten, so diese zu himmlisch-schönen
Menschen mit mir zu reden anfingen! O Herr, ich würde von einem einzigen Worte
aus diesem zu schönsten Munde ganz vernichtet werden!
[BM.01_047,25] O Herr, o Herr, mache, daß sie sich wieder zurückbegeben, denn
ihre Anschauung macht mich völlig verschwinden! Ich komme mir vor wie einer, der
nicht ist, wie einer, der in einen verzückenden Traum versunken ist! Ach, es ist
namenlos!
[BM.01_047,26] Gott, du großer, allmächtiger Weltenmeister, wie ist es Dir doch
möglich gewesen, in der höchst einfachen menschlichen Form, die im Grunde doch
stets dieselbe ist, eine so endlose Mannigfaltigkeit und Schönheit zuwege zu
bringen, und das in zahllos verschiedenen Abweichungen! Ich könnte mir wohl eine
schönste Form denken, alle andern aber dann minder; da aber sind zahllose, und
eine jede ist unendlich schön in ihrer Art! O Herr, das ist unbegreiflich, rein
unbegreiflich!
[BM.01_047,27] Ich hatte auf der Welt immer die überdumme Vorstellung, daß auf
und eigentlich in der vollkommenen himmlischen Geisterwelt alle Seligen einander
so vollkommen gleich sehen wie auf der Welt die Sperlinge. Aber wie ich's nun
erschaue, so ist hier erst die rechte Mannigfaltigkeit zu Hause, die auf der
Welt entsetzlich stark durch das sterbliche Fleisch verdeckt war!
[BM.01_047,28] Ach, ach, das wird immer herrlicher und herrlicher! Da kommt
schon wieder ein neues Paar! O Herr, o Herr, o Herr! Nein, da bleibt jetzt mein
Verstand rein kleben!
[BM.01_047,29] Herr, halte mich, sonst sinke ich wie ein leerer Strumpf
zusammen! – Ahahah, das ist ein weiblich Wesen! Ich erkenne es an der hohen
wallenden Brust! O Du mein Jesus, ist das eine Herrlichkeit, eine so namenlose
Schönheit, daß man darob gerade in den feinsten Sonnenstaub könnte aufgelöst
werden!
[BM.01_047,30] Diese Zartheit der Füße, diese üppigste Fülle aller andern
Leibesteile, die Glorie, die sie umgibt, dieser endlos sanfte und freundlichste
Blick aus einem Augenpaare, für deren Beschreibung sicher der Erzengel Michael
in die allergrößte Verlegenheit käme!
[BM.01_047,31] Kurz, ich bin nun schon ganz dumm, schrecklich dumm muß ich sein!
Ich wollte noch etwas fragen – fra – fra – fragen, ja richtig fragen!? Es hole
der Kuckuck die Frage! Ich bin nun ganz dumm, oh, ich bin ein Esel oder noch ein
dümmeres Vieh! Ja, ja, ein Rhinozeros bin ich! Da gaffe ich hinein wie der Ochse
in ein neues Tor und vergesse beinahe, daß Du, o Herr, hier bei mir bist, gegen
den auch alle diese Schönheiten ein purstes Nichts sind! Denn so Du es wolltest,
könntest Du sicher noch endlos größere Herrlichkeiten im Augenblicke
hervorrufen!
[BM.01_047,32] Herr, ich habe mich nun zur Genüge ergötzt an diesen
überhimmlischen Schönheiten! Für mich sind sie zu rein und zu schön. Laß mich
daher wieder etwas ganz Ordinäres sehen, auf daß ich mich wieder finden kann und
mich selbst besehen, ohne mich zu entsetzen ob meiner gräßlich häßlichen Gestalt
im Vergleiche zu diesen schönsten Himmelswesen!
[BM.01_047,33] Wahrlich, da sieh einmal her – oh, ich bin ja ein heller Pavian
und ein ganz entsetzlich grober Lümmel! Nein, ist aber das ein Unterschied
zwischen mir und diesen Engeln der Engel! Gerade speien könnte ich, so ich mich
anschaue! Es ist grauslich, grauslich, und doch bin ich nun auch schon ein
Geist, der doch um etwas besser aussehen sollte als ein Fleischmensch auf der
Erde! Aber wie kommt es denn, daß diese Menschen gar so unendlich schön sind,
und wir als Deine Kinder sehen dagegen aus wie echte Paviane, besonders ich?“
[BM.01_047,34] Rede Ich: „Weil ihr Mein Herz seid; diese aber sind Meine Haut!
Aber auch Meine Kinder sehen endlos schön aus, wenn sie vollkommen sind. Wenn
sie aber noch dir gleichen in der Unvollkommenheit, dann sehen sie freilich
nicht gar zu schön aus. Daher befleiße dich der Vollendung und werde vollkommen,
so wird deine Gestalt schon auch ein himmlischeres Aussehen bekommen!
[BM.01_047,35] Ich aber will, daß du diese großen, reinen Schönheiten schauest,
auf daß du in ihrem Lichte dich desto eher und desto leichter erkennest. Darum
schaue nur noch eine Zeitlang hinein in dieses Licht und empfinde deine eigene
seelische Häßlichkeit, daß sie dadurch zerbreche, mürbe werde und reif und dein
Geist dann in ihr erstehe und dich zu einem neuen Geschöpfe umgestalte!
[BM.01_047,36] Denn siehe, du bist noch lange nicht wiedergeboren aus dem
Geiste! Daher habe ich dich hierher in diesen Garten verpflanzt, gleich wie in
ein mächtiges Treibhaus, auf daß du eher zur vollen Wiedergeburt gelangen
mögest. Aber du mußt dich auch pflegen lassen wie eine edle Pflanze! Denn siehe
und fasse: Disteln und Dornen zieht man nicht in den himmlischen Gärten und
Treibhäusern! Betrachte nun weiter und rede; aber um weniges nur frage! Es sei!“
48. Kapitel – Bischof Martins weitere wunderbare Entdeckungen auf seiner Sonne.
Grund der Größenverschiedenheit der Sonnenvölker. Liebe und Weisheit als die
wahren Größen des Geistes. Martins Klage über die Erde und ihre Bewohner.
[BM.01_048,01] Bischof Martin wendet sein Auge wieder der Sonne zu und beschaut
die großen Szenen und Wunderdinge auf ihrem leuchtenden Boden. Nach längerer
Betrachtung spricht er wieder: „Da seht, noch stets dieselbe Sonne und doch ganz
andere Menschen! Zwar auch sehr schön, aber ihre Schönheit ist doch wenigstens
zu ertragen, denn sie haben Ähnlichkeit mit schon gesehenen auf den andern
Planeten und selbst mit den Bewohnern unserer Erde.
[BM.01_048,02] Ich sehe nun überhaupt mehrere Gürtel, die sich parallel um die
Sonne ziehen. Und innerhalb jedes Gürtels ersehe ich andere Menschen, die einen
groß, die einen wieder etwas kleiner, wieder andere ganz klein, und – o Tausend,
Tausend! – da am Ende gibt es aber Menschen, sind die aber groß! O je, auf
diesen könnten die andern ja gerade als Schmarotzermenschen anstatt gewisser
Tierlein ganz bequem auf dem Kopfe zwischen den Haaren herumsteigen!
[BM.01_048,03] O Herr, o Herr, vergib mir meine etwas schmutzige Bemerkung! Ich
sehe ein, sie gehört nicht hierher an den Ort des Erhabensten. Aber man kann
sich bei der Betrachtung dieser ungeheuren Riesenmenschen ihrer nicht erwehren!
Ich habe zwar schon in einigen anderen Planeten wie im Jupiter, Saturn, Uran und
Miron die Entdeckung gemacht, daß deren Bewohner größer sind als die Menschen
der Erde, die ich bewohnte, manche um ein sehr bedeutendes. Aber was diese
Riesen betrifft, so sind alle Bewohner der andern Planeten pure
Schmarotzermenschchen gegen sie!
[BM.01_048,04] Wenn so ein Riese auf der Erde sich befände, so möchte er ja noch
um ein bedeutendes die höchsten Berge überragen! Nein, nein, das ist wahrlich
mehr als ungeheuer! Sage mir, Du mein allergeliebtester Herr Jesus, Du mein Gott
und mein Herr, warum denn diese Menschen gar so entsetzlich groß sind? Ich
sollte Dich zwar nicht fragen um vieles; aber da ich Dich bisher bei dieser
jetzigen Betrachtung noch um nichts gefragt habe, so vergib mir diese erste
Frage! Gib mir gnädigst eine mich erleuchtende Antwort auf diese meine erste
Frage in dieser Wundersache!“
[BM.01_048,05] Rede Ich: „So höre und vernimm es wohl! Sahst du nie auf der
Erde, wie da Kriegsleute verschiedenes Geschütz haben vom leichtesten bis zum
schwersten Kaliber? So du nun in ein kleines Gewehr die Ladung vom schwersten
Geschütze tätest, was würde dadurch dem kleinen Gewehre widerfahren? Siehe, die
starke Ladung würde es in kleinste Stücke zerreißen!
[BM.01_048,06] Was geschähe mit einem Planeten, so er erfüllt wäre mit der Kraft
der Sonne? – Siehe, würde die Erde nur die Dauer von einer Minute hindurch in
die mächtigste Lichtflut der Sonne getaucht, so wäre sie also zerstört schon wie
ein Tropfen Wasser, wenn er fiele auf ein glühendes Erz. Also muß die Sonne
darum aber auch ein sehr großer und für die Größe verhältnismäßig starker Körper
sein, um die in ihn gelegte Kraft in aller Fülle der Tätigkeit tragen und halten
zu können!
[BM.01_048,07] Wenn du eine Federflaume auf ein Ei legtest, da wird das Ei nicht
erdrückt werden, denn es hat Festigkeit in Übergenüge, zu tragen dieses Gewicht.
So du aber auf das Ei ein Gewicht von 100 Pfund legen würdest, wird das Ei unter
dem mächtigen Drucke des zu schweren Gewichtes gänzlich erdrückt werden!
[BM.01_048,08] Könnte wohl ein Riese den Rock eines Kindes anziehen? Sicher
nicht! So er's aber dennoch täte, was würde da mit dem Rocke geschehen? Siehe,
es würde der Rock in viele Stücke zerrissen werden!
[BM.01_048,09] Also hat in der ganzen Schöpfung jedes Ding sein Maß: das Kleine
in seiner Art in allen seinen Verhältnissen, und das Große in seiner Art auch in
allen seinen Verhältnissen.
[BM.01_048,10] Wie du aber nun siehst, daß es Welten gibt von verschiedenster
Größe, zu tragen eine verhältnismäßige Kraft, ebenso gibt es auf den Welten in
gleichem Maße verschieden große Geister, zu deren einstweiligen Trägern auch
verschieden große Leiber erforderlich sind.
[BM.01_048,11] Nun wird aber die wahre, eigentliche Größe des Geistes freilich
nicht nach seinem Umfange, sondern lediglich nach seiner Liebe und Weisheit
bemessen. Aber siehe, das sind noch Urgeister, die im freien Zustande ein ganzes
Sonnengebiet in wirkender Fülle erfüllten! Da sie aber auch an Meinem Reiche den
seligen Anteil haben möchten, so müssen sie auch des Fleisches engen Weg
wandeln! Werden sie den Leib ablegen, dann werden sie ob ihrer großen Sanftmut
und Demut eben auch nur unsern Umfang haben, – aber wohl auch den frühern, so
sie seiner benötigen werden!
[BM.01_048,12] Nun weißt du alles, was du zu wissen brauchst in dieser Sphäre
und für diesen deinen Zustand. Schaue daher nun wieder weiter und rede, was dir
auffallen wird, auf daß wir bald zu der elften Türe übergehen können! Es sei!“
[BM.01_048,13] Bischof Martin schaut nun wieder in die Lichtgefilde der Sonne
und entdeckt da bald übergroße Tempel und andere Wohngebäude, auch Straßen und
Brücken von der allerkühnsten Art. Bald wieder übermajestätisch hohe Berge, die
sich in Hauptzügen um die ganze Sonne ziehen und diese in Gürtel abmarken, von
denen jeder andere Bewohner und andere Lebensweisen hat und andere Sitten und
Gebräuche. Ebenso entdeckt er nun auch, wie zu beiden Seiten des Mittel- oder
Hauptgürtels zwei Gürtel miteinander zumeist in allem die größte Ähnlichkeit
haben.
[BM.01_048,14] Vor allem aber gefallen ihm doch noch immer die Menschen des
Mittelgürtels am allerbesten, an deren übermäßige Schönheit er sich nun schon
etwas mehr gewöhnt hat. Nur dürfen sie ihm noch nicht gar zu nahe gestellt
werden, besonders die Weiber und Mädchen schon gar nicht, weil sie zu schön und
reizend sind. Aber selbst der männliche Teil macht ihm starke Anfechtungen, weil
auch dieser Teil so überaus schön und reizend gebaut ist, daß diese Erde noch
nie ein Wesen weiblicher Art von solcher Üppigkeit, Weiche, Rundung und Sanftmut
getragen hat.
[BM.01_048,15] Nach längerem Umherspähen ersieht er nun ein Gebäude in der Mitte
des Hauptgürtels, das an Pracht, Glanz und reichster Verzierung alles bisher
Gesehene in einem so hohen Grade übertrifft, daß alles, was unser Martin bisher
gesehen hatte, kaum als etwas angesehen werden kann. Um dies Gebäude wandeln
Menschen von einer so großen Schönheit, daß er ob solchen Anblickes wie
ohnmächtig zusammenfällt und lange kein Wort herausbringen kann.
[BM.01_048,16] Nach geraumer Weile erst fängt Bischof Martin wieder, wie ganz
erschöpft, mehr zu stöhnen als zu reden an und spricht ziemlich
unzusammenhängend: „Mein Gott und mein Herr! Ach, wer auf der Welt läßt sich so
etwas in den Sinn kommen! Die Sonne ein leuchtender runder Körper, aber wer
vermutet das auf ihrem Boden!
[BM.01_048,17] Was bist du, Erde, gegen diese endlos seligstmachende Pracht? Was
sind die reißendsten Tiere von Menschen der Erde gegen diese unbeschreibbar
schönsten Wesen, voll der himmlischsten Glorie, Schönheit und
seligst-freundlichsten Anmut, von der sich der beste Mensch nicht den leisesten
Begriff machen kann!
[BM.01_048,18] Auf der Erde sind die Menschen um so gefühlloser und oft um so
teuflischer, in je prächtigeren Palästen sie wohnen, je zarter ihre Haut ist und
je glänzendere Kleider sie über ihre Haut hängen können. Hier ist gerade der
umgekehrte Fall! Ach, ach, so was ist ja unerhört, nie gesehen auf der Erde!
[BM.01_048,19] Hier wohnen die Weisesten in den unansehnlichsten Hütten auf den
Bergen, wie ich soeben entdecke. Auf der Erde ist die Wohnung des weisest sich
dünkenden Oberhirten der Christenheit gerade die größte, reichste und
glänzendste auf der Erde. Und seine Kleider sind pur Seide, Gold und kostbarste
Edelsteine! Hier ist es gerade umgekehrt der Fall. Ach, ach, und die Bewohner
der Erde sollen Gotteskinder sein?! Ja, Kinder des Satans sind sie diesen
Sonnenkindern gegenüber, können auch nichts anderes sein gegenüber diesen
reinsten Himmelskindern!
[BM.01_048,20] Diesen ist nie ein Evangelium gepredigt worden. Und doch sind sie
ihrer Natur nach das reinste Evangelium selbst, was sie auch offenbar sein
müssen, da sich sonst diese himmlischste Ordnung in allem, was hier zum
Vorscheine kommt, ewig nie denken ließe! Ja, ja, hier ersehe ich das reinste,
wahrste und ewig vollkommenste, unverfälschte und richtig gedeutete Wort Gottes
lebendig!
[BM.01_048,21] Sehet an die Lilien auf dem Felde: sie arbeiten nicht und ernten
nichts in ihre Scheunen, und Salomo in all seiner Königspracht war nicht
bekleidet wie einer der Geringsten aus ihnen! Da sehe ich zahllos viele solcher
Lilien, sie haben keinen Pflug, kein Messer, keine Schere, keinen Webstuhl und
keine Stickrahmen. Wo aber auf der ganzen Erde lebt ein Königssohn, eine
Königstochter, die sich einer der allergeringsten dieser Himmelslilien nähern
dürften?
[BM.01_048,22] O Menschen, Menschen, die ihr die Erde verfinsternd und
verpestend bewohnet, was seid ihr, und was bin ich gegen diese Sonnenvölker!
Herr, Herr, o Herr, wir sind nichts als die allerbarsten Teufel, und die Welt
ist die Hölle selbst in optima forma! Darum stehen die Sterne auch sicher so
weit von der Erde ab, daß sie von ihr nicht verpestet werden möchten!
[BM.01_048,23] O Gott, Du bist heilig und endlos erhaben! Aber in Deinem Ärger
mußt Du einmal ausgespuckt haben, und daraus muß die Erde entstanden sein und
ihre Geschöpfe aus Deinem einstigen Fluche, den Du einmal in die Unendlichkeit
hinausgedonnert hast!
[BM.01_048,24] O Herr, vergib mir diese meine Bemerkung, aber ich kann mich
ihrer beim Anblicke dieses Himmels nicht erwehren! Nun graut es mir vor der Erde
und ihren Bewohnern wie vor einem giftig stinkenden Aase!
[BM.01_048,25] O Herr, sende mich in die endlosesten Räume hinaus, aber nur zur
Erde sende mich ewig nimmer! Denn sie ist für mich eine Hölle aller Höllen, und
ihre Bewohner sind unbekehrbare Teufel, die sich's zum Hauptgeschäfte gemacht
haben, die wenigen Engel unter ihnen bis zum letzten Blutstropfen zu verfolgen.
[BM.01_048,26] O Herr, o Herr, laß doch einmal ein rechtes Gericht los über
diesen alleinigen Schandfleck in Deiner ganzen unendlichen Schöpfung! Je mehr
ich diese Herrlichkeiten betrachte, desto mehr drängt sich mir der Gedanke auf,
daß die ganze Erde samt ihren eigentlichen Bewohnern eigentlich gar nicht Dein
Werk, sondern ein Werk des Satans, des Obersten aller Teufel, ist – rund heraus
gesagt, ohne Scheu und ohne Blatt vor dem Munde! Da ist nur Laster, Tod und
Verderben, und davon bist Du, o Herr, ewig der Schöpfer nicht!
[BM.01_048,27] Ach, ach, wie herrlich, wie herrlich ist es hier, wo Deines
Wortes ewige Ordnung herrscht! Und wie elend und qualvoll dagegen auf der Erde,
die da ist ein Fluch aus Dir, weil sie in allem Deiner Ordnung gleichfort
widerstrebt! O Herr, richte sie, verderbe und vernichte sie auf ewig, denn sie
ist nimmer Deiner Gnade wert!“
[BM.01_048,28] Rede Ich: „Sei nur ruhig, noch siehst du das Rechte nicht,
obschon du recht geredet hast. Gehe nun aber mit Mir zur elften Tür, dort wirst
du so manche Verhältnisse klarer erschauen und anders urteilen! Darum folge Mir;
es sei!“
49. Kapitel – Eine Mondschau durch die elfte Tür. Bischof Martin und der
Mondweise.
[BM.01_049,01] (Der Herr:) „Siehe, wir sind nun bei der elften Tür! Siehe hinein
und rede dann, was du hier alles erschaust!“
[BM.01_049,02] Bischof Martin schaut da nun eine Weile hinein und spricht dann
etwas schmollend: „Was ist denn das für eine wahre Schnakerlwelt? Menschen,
etwas größer als auf der Erde die Kaninchen, und die Gegenden so schön wie auf
der Erde recht nette Mistbeete! Die Bäume möchten einige Spannen Höhe haben wie
auf der Erde die Krummholz- und Brombeer- und Wacholdersträucher. Das Beste sind
noch die Berge, die im Ernste sehr hoch und sehr steil sind. Meere sehe ich
gerade keine, wohl aber Seen, der größte hätte etwa, nach irdischem Maße
genommen, wohl bei 10000 Eimer Wasser! Sapprament, das ist ein Unterschied
zwischen der Tür Nr. 10 und Nr. 11!
[BM.01_049,03] Ah, ah – was ist denn das für ein Springinsfeld mit einem Fuße
noch dazu? Das wird doch wohl nur ein Tier und kein menschliches Wesen sein! Da
entdecke ich noch eine ganze Herde von einer eigenen Art Murmeltiere! Es ist
überhaupt merkwürdig! Bis jetzt habe ich noch nirgends Tiere gesehen, und hier
auf dieser Schnakerlwelt gibt's auf einmal beinahe mehr Tiere als Menschen. Soll
denn das im Ernst eine Tierwelt sein? – Ja, ja, siehe, da kommt noch eine starke
Herde von einer Art Schafen daher! Schade, daß ich keine Ochsen und Esel
erschaue, daß ich mich meinesgleichen erfreuen könnte! Vögel gibt es auch; wenn
darunter nur keine gar zu lustigen sind!
[BM.01_049,04] Da, da, da! Hahaha, das ist ein wahrer Spaß! Da sind ja die
Menschen ganz zusammengewachsen! Das Weibchen sitzt dem Männchen wie
Buckelkraxen über den Schultern! Und da bläht sich ein Männchen wie ein
Laubfrosch auf und macht mit dem gespannten Bauche einen Lärm wie auf der Erde
ein türkischer Regimentstambour! Nein, das ist im Ernste sehr spaßig und in
einem bedeutenden Grade lächerlich!
[BM.01_049,05] Wahrlich, Herr, so Du dieses Weltchen erschaffen hast, hat es
sicher Deine Allmacht und Weisheit nicht zu sehr in Anspruch genommen, denn
soweit ich jetzt dieses Welterl sehe, so ist es eigentlich gegen alles früher
Gesehene mehr fade als irgend erhaben. Da muß ich der Erde wieder abbitten, was
ich bei Nr. 10 zu schlecht von ihr geredet habe. Denn gegen diese Welt ist sie
bis auf ihre Menschen denn doch ein wahres Paradies! – Sage, o Herr, mir doch
gnädigst, wie da diese Welt heißt! Die kann doch nicht mehr in unserer Erde
Sonnengebiet sich befinden?“
[BM.01_049,06] Rede Ich: „O ja, siehe, das ist der Mond der Erde. Und diese
Menschen sind der Erde entnommen, so wie der ganze Mond selbst, der zwar damals
der Erde schlechtester Teil war, nun aber um sehr vieles besser ist als die
ganze Erde! Darum ist er nun auch eine Schule für sehr weltsüchtige Seelen
geworden. Denn siehe, besser eine magere, kleine Welt mit einem fetten Geiste,
als eine fette, große Welt mit einem höchst mageren Geiste!
[BM.01_049,07] Siehe, so armselig diese Menschen hier auch äußerlich aussehen,
so wirst du aber noch lange zu tun haben, bis du im Geiste so fett sein wirst,
als diese es lange schon sind!
[BM.01_049,08] Auf daß du es aber praktisch einsehen lernst, wie es mit der
Weisheit dieser Menschen steht, so soll sich ein Paar dir nahen und sich mit dir
über Verschiedenes unterreden. Siehe, da kommt schon so ein Buckelkraxenpärchen
her: frage sie um Verschiedenes und sei versichert, sie werden dir keine Antwort
schuldig bleiben! Es sei!“
[BM.01_049,09] Spricht Bischof Martin: „Ja richtig, da ist schon so ein Pärchen.
Es nähert sich uns gleich mit seiner ganzen Welt, deren es sich förmlich wie
eines Schiffes bediente. Schau, in der Nähe sieht das Pärchen ganz possierlich
aus, besonders das kleine Weibchen! Aber wie ich's merke, so müssen wir für sie
unsichtbar sein, weil sie so ahnungsvoll um sich blicken, als gewahrten sie im
Ernste etwas, dabei aber dennoch nichts entdecken können!“
[BM.01_049,10] Rede Ich: „Du mußt ihnen näher treten und dadurch berühren ihre
kleine Sphäre, dann werden sie dich schon besser ausnehmen! Die Bewohner aller
Monde der Planeten haben das Eigentümliche, daß sie die Geister anderer Planeten
erst dann völlig erschauen, so diese sich in ihren kleinen Sphären befinden. Der
Grund dieser Erscheinung ist, weil die Monde der Planeten unterste, materiellste
Stufe sind; gleichsam wie der Unflat der Tiere auch ihre unterste und
materiellste Stufe ist, aber oftmals nützlicher als das Tier oder der Mensch
selbst! – Tue nun, was Ich dir sagte und das Pärchen wird deiner sogleich
ansichtig sein!“
[BM.01_049,11] Bischof Martin tut nun, was Ich ihn hieß. Das Pärchen ersieht
Martin sogleich und bewundert seine Größe. Martin aber beginnt sogleich
folgendes Gespräch mit den beiden Mondbewohnern: „Seid ihr wohl die wirklichen
Bewohner dieser kleinen Welt, oder gibt es noch andere, die größer sind denn ihr
und weiser vielleicht auch?“
[BM.01_049,12] Reden die beiden: „Als Menschen gibt es nur eine gerechte Menge
unsersgleichen. Aber sonst gibt es noch eine Menge Geschöpfe, und auf dem
entgegengesetzten Teile dieser Erde wohnen Büßer, die nicht selten zu uns
herüberkommen, um von uns die innere Weisheit zu erlernen. Diese Büßer aber
kommen gewöhnlich von einer andern Welt her, wahrscheinlich von der, von der du
auch bist! Sie sind wohl sehr groß der Gestalt nach, aber dem Wesen nach sind
sie überaus klein. Auch du siehst sehr groß aus, aber der eigentliche Mensch in
dir ist noch kaum sichtbar!
[BM.01_049,13] Was tut ihr aber, ihr großen Menschen, denen viel Leben gegeben
ist? Warum wahret ihr dieses Leben so wenig? Wenn die Zeit ist, Früchte
auszusäen – von welcher Aussaat der Mensch sein irdisches Leben zu wahren und
dasselbe ernährend zu versorgen hat –, da ist der Mensch voll Fleißes und
arbeitet, wenn es ihm nur die Kräfte gestatten, wie ein Wurm in einem morschen
Baume unablässig fort und läßt sich nicht beirren durch alle vorkommenden
Hemmnisse. Er erduldet Hitze und große Kälte und Regen und anderes Unwetter.
Seinen Leib schont er nicht und setzt nicht selten dessen an einem Haar
hängendes kurzes Leben in die größte Gefahr, um eine kümmerliche Nahrung zu
erbeuten. Aber für die Wahrung und Erhaltung und Vervollkommnung des
eigentlichen inneren Lebens, für das eigentliche, ewige, heilige, große Ich tut
er wenig oder nichts!
[BM.01_049,14] Was wohl möchtest du zu einem Gärtner sagen, der auf seinem
Grunde Fruchtbäume setzte. Als sie aber Blüten trieben und schützendes Laub, da
nähme er diese ersten Triebe schon für die Frucht, risse alle Blüten und Laub
von den Zweigen und verzierte damit seines Hauses Flur? So ein Gärtner wäre doch
sicher ein allerdümmster Narr: denn wenn sein Nachbar eine reiche Ernte hielte,
müßte er vor Hunger sterben, da seine Bäume keine Frucht trügen!
[BM.01_049,15] Ist aber nicht ein jeglicher Mensch bei sich ein gleicher Narr im
noch viel größeren Maße, so er ein irdisches Leben, das Blüte und Laub nur zum
innern, wahren Leben ist, schon als eine Frucht genießt? Er zerstört durch solch
unnatürlichen und höchst unreifen Genuß die daraus erst hervorgehen sollende
eigentliche Frucht, das wahre, ewige Leben des Geistes. Was wächst denn wieder
zum neuen, unvergänglichen Leben: die Blüte, das Laub, oder der innere Same der
reifgewordenen Frucht? Sieh, allein nur der Same!
[BM.01_049,16] Ebenso ist es auch mit jedem Menschen der Fall: sein Leib, seine
Sinne, sein äußerer Verstand, seine Vernunft – das sind Blüten und Laub. Aus
diesen geht hervor eine reife Seele. Und diese gerechte, gute Reife der Seele
faßt dann in sich auch einen reifen Kern. Dieser Kern ist der unsterbliche
Geist, der in seiner Vollreife alles ergreift und in seine eigene
Unsterblichkeit verwandelt, – gleichwie ein verwesliches Fleisch, das mit dem
ätherischen Öle der Unverweslichkeit gesalbt wird, auch mit unverweslich wird.
[BM.01_049,17] Siehe, du großer Mensch, das ist unsere Weisheit! Um diese zu
bewerkstelligen, befolgen wir die erkannte Ordnung des allerhöchsten Geistes
Gottes, und so sind wir vollkommen, was wir sind. Du aber bekämpfe mich nun, so
du es kannst; ich bin bereit, von dir alles zu ertragen!“
[BM.01_049,18] Unser Martin macht ob dieser Rede ein verdutztes, sehr langes
Gesicht und kann nicht genug erstaunen über die ihm ganz enorm vorkommende
Weisheit dieses Mondpärchens. Nach einer geraumen Weile erst spricht er: „Ah, ah
– da hätte ich doch alles eher gesucht als so eine tiefe Weisheit bei euch
Mondmenschen! Wer lehrte euch solche tiefe Weisheit? Denn aus euch selbst kann
sie doch nicht entsprungen sein?
[BM.01_049,19] Es erkennen wohl die Tiere ihre Ordnung instinktmäßig und
entwickeln diese ganz natürlich aus ihrer Naturordnung, die da eben ist ihr
Instinkt. Auch alle Gewächse müssen das entfalten, was in sie gelegt ist. Aber
Tiere und Pflanzen sind eben darum als das, was sie sind, gerichtet. Der Mensch
aber als ein freies Wesen muß das alles erst durch äußere Belehrung in sich wie
ein vollkommen leeres Gefäß aufnehmen. Und das Wort der Weisheit Gottes muß in
sein Herz wie das Samenkorn in die Erde gelegt werden, damit er dann erst zur
Erkenntnis seiner selbst und daraus zur Erkenntnis Gottes und Seiner Ordnung
gelangen kann. Bekommt der Mensch durchaus keinen Unterricht, so bleibt er
dümmer als jedes Tier und begriffsloser als ein Stein.
[BM.01_049,20] Da ihr unleugbar aber auch Menschen von gleichen göttlichen
Rechten seid wie unsereiner, so müsset auch ihr einen Unterricht einmal, und
zwar von Gott Selbst mittel- oder unmittelbar empfangen haben, ansonsten mir
deine Weisheit das allergrößte Wunder wäre, das mir bis jetzt vorgekommen ist.
Denn bei allen Urmenschen muß Gott der erste Lehrer gewesen sein, indem sonst
alle Menschen bis auf die jüngsten Zeiten in ihrer Bildung bei weitem unter dem
Tierstande sich befänden. Denn wo der A blind wäre, wer hätte da dem B Licht
geben können? Und wäre auf die Art notwendig auch der B blind geblieben, von wem
hätte dann der C usw. Licht bekommen sollen? Da du aber ein sehr erleuchteter
Mensch bist, so sage mir gefälligst, wie das unverkennbare, wesenhafte
Gotteslicht zu euch gekommen ist, und ungefähr wann!“
50. Kapitel – Unterschied der Wirkung des Unterrichtes von außen und von innen.
Die Töpferwerkstatt.
[BM.01_050,01] Spricht der Mondbewohner: „Freund, du redest und fragst, wie du
es verstehst, und ich antworte dir nach meiner Art! Nach dir zu urteilen, muß
der allerhöchste Gottesgeist euch freilich wohl von außen mit einem Prügel in
der Hand unterrichtet haben. Denn für einen innern, geistigen Unterricht
scheinst du bis jetzt noch viel zu stumpf zu sein, und höchstwahrscheinlich auch
deines Weltkörpers gesamtes Menschengeschlecht!
[BM.01_050,02] Meinst du wohl im Ernste, der höchste, allmächtige Gottesgeist
habe den Menschen als Sein vollkommenstes Geschöpf wie einen leeren Sack
gestaltet, in den man zuvor erst etwas hineintun muß, wenn man etwas darinnen
haben will? O siehe, da bist du in sehr großer Irre!
[BM.01_050,03] Der Mensch eines jeden Weltkörpers hat einen unendlichen
Weisheitsschatz schon in sich! Dieser darf nur durch ein taugliches Mittel
geweckt werden, so treibt er sofort von selbst die herrlichsten Früchte. Für ein
solches Weckmittel aber sorgt schon der erhabenste Gottesgeist.
[BM.01_050,04] Hat der Mensch so ein Mittel nicht in den Wind geschlagen,
sondern sogleich bei sich selbst in Anwendung gebracht, wird er aus seinem
eigenen Samen zu keimen, zu wachsen und endlich zu reifen anfangen. Es bedarf da
keines Unterrichtes von außen her, sondern lediglich von innen heraus.
[BM.01_050,05] Denn alles, was von außen her zum Menschen gelangt, ist und
bleibt ewig ein Fremdes. Es kann dem Empfangenden keine wahre, bleibende, eigene
Weisheit geben, sondern eine Weisheit nur gleich einer Schmarotzerpflanze, die
dem Leben nie hilft, sondern dasselbe nur verkümmert und am Ende ganz verdirbt,
weil es als ein Äußeres stets nach außen sich wendet statt nach innen, dem
Wohnsitze des eigentlichen, wahren, ewigen Lebens aus Gott, dem allerhöchsten
Geiste!
[BM.01_050,06] Auf diesem Wege kommen wir zu unserer Weisheit, nämlich lediglich
von innen aus und nicht von außen herein! So ihr aber auch eines äußeren
Unterrichtes bedürfet, da müsset ihr sehr verstockte Wesen sein und überaus
sinnlich und daraus gröbst sündhaftig: also Gegner der göttlichen Ordnung und so
sicher das Gegenleben in euch selbst. Da freilich muß der A wie der B und C usw.
blind sein und bleiben, wenn kein äußerer Unterrichtswind ihn weckt!
[BM.01_050,07] Hier hast du die Antwort auf deine Frage auch äußerlich. Denn für
eine innere scheinst du noch lange keine Fähigkeiten zu besitzen, wovon deine
Frage ein sicherer Beweis ist! Magst aber darum schon weiter fragen!“
[BM.01_050,08] Das Gesicht des Bischof Martin wird nach dieser Rede des
Mondbewohners noch länger, indem er nun einsieht, daß er mit seiner Weisheit
neben der Weisheit des Mondbewohners nicht aufkommen kann. Er denkt nun bei sich
nach, was er tun soll, um dem Mondpärchen zu beweisen, daß er als ein
Erdbewohner dennoch am Ende der Weisere sei. Er denkt wohl hin und her, aber es
will ihm durchaus nicht so etwas recht Gescheites einfallen.
[BM.01_050,09] Bischof Martin wendet sich daher an Mich und spricht: „Herr, laß
mich doch nicht so ganz im Stiche und hilf mir, diesen überweisen Mondbewohner
zu überwinden und ihm zu zeigen, daß auf Deiner Erde die Menschen geradeweg auch
keine Tannenzapfen sind! Der verarbeitet mich ja auf eine Art, daß ich ihm nun
auf Tausend nicht Eins antworten könnte. Und doch soll ich sein Herr sein und
mit der Weile der Leiter dieser ganzen Welt!
[BM.01_050,10] Das möchte sich mit der Zeit machen, so die Bewohner aller der
bisher mir vorgestellten Welten zu mir als ihrem Herrn kämen und mir zeigten,
daß ich aus dieser ganzen Schöpfung der allerdümmste Kerl bin! Ich denke, um
dieser Schmach vorzubeugen, wäre es nötig, ihnen gleich anfangs durch eine
überwiegende Weisheit zu zeigen, daß man völlig ihr Meister ist. Dann würden sie
es in der Zukunft wohl bleiben lassen, unsereinem gar so schulmeisterisch zu
kommen und einen zu behandeln wie einen Abc-Schützen!“
[BM.01_050,11] Rede Ich: „Höre, du Mein lieber Martin! Meinst du denn, du
werdest durch eine triftige Gegenmundwetzerei solchen echten Weisen den Mund
stopfen? Oh, da bist du in einem sehr großen Irrtum! Siehe, wie es nur eine
Wahrheit gibt, so gibt es auch nur eine Weisheit, die gleich einer ewigen
Festung auch für alle Ewigkeit unüberwindlich dasteht! So dieser Mondbewohner
dir aber mit der einzig rechten Wahrheit entgegenkam, sage, mit welcher noch
größeren Weisheit wolltest du ihn dann bekämpfen?
[BM.01_050,12] Siehe, da gibt's einen ganz andern Weg, diese Geister sich
gefällig, dienstfertig und liebuntertänig zu machen, als der, den du meinst. Der
Weg heißt Liebe, Demut und eine große Sanftmut! Durch diese drei allerersten und
allerwichtigsten Lebensstücke kommt man endlich auf den Punkt, allen diesen
zahllosen Sternenbewohnern auf das allerkräftigste zu begegnen.
[BM.01_050,13] Die Liebe lehrt dich, allen diesen Wesen wohlzutun und sie so
glücklich als möglich zu machen. Die Demut lehrt dich, klein zu sein und sich
über niemanden – möchte er noch so unbedeutend scheinen – hochmütig zu erheben,
sondern sich selbst stets als den Geringsten zu betrachten. Und die Sanftmut
lehrt dich, jedermann stets gleich wohlwollend zu ertragen und aus dem innersten
Herzensgrunde bemüht zu sein, jedem zu helfen, wo es ihm nottut. Und das allzeit
durch jene sanftesten Mittel, durch die ja niemand im geringsten in seiner
Freiheit beirrt werden kann. Werden hie und da ernstere Mittel vonnöten, so muß
hinter ihnen nie etwa eine Strafsucht oder gar richterlicher Zorn stecken,
sondern allzeit die allerhöchste und reinste, sich selbst nie berücksichtigende
Liebe!
[BM.01_050,14] Siehe, das sind die Dinge aller himmlischen Meisterschaft! Diese
müssen dir völlig eigen sein, dann wirst du mit diesen Mondbewohnern schon
besser auskommen. Kehre daher noch einmal zu dem Pärchen zurück und versuche
dich in dieser himmlischen Art mit ihm; vielleicht wirst du dann mit ihm
leichter überorts kommen! Gehe und tue also; es sei!“
[BM.01_050,15] Bischof Martin wendet sich nun wieder an das Mondpärchen und
spricht: „Höre, du mein lieber, kleingroßer Freund, ich habe nun deine sehr
weisen Worte wohl erwogen und daraus ersehen mit der Gnade des Herrn, daß du
wirklich in all dem, was du geredet, vollkommen recht hast. Dessenungeachtet
habe ich dennoch eine neue Frage an dich, nicht aber etwa, um deine feste
Weisheit tiefer prüfen zu wollen, sondern mich lediglich von dir belehren zu
lassen!
[BM.01_050,16] Siehe, du hast ehedem allen äußern Unterricht für rein null und
nichtig erwiesen; ich kann dir nicht sagen, daß du unrecht hast! Aber so aller
äußere Unterricht, also auch alle äußere Wahrnehmung – mag sie von wo immer
herrühren und durch was immer für einen Sinn in den Menschen hineingelangen –
schlecht, unnütz und somit verwerflich ist, da möchte ich denn doch nun von
deiner Weisheit vernehmen, wozu der große Schöpfer aller Welten, Menschen und
Engel uns äußere Sinne gegeben hat? Und wozu eine nach außen hinaustönende
Stimme und dazu eine sprachfähige Zunge? Wozu eigentlich alle äußere Form und
alle äußere Erscheinlichkeit all der zahllosen Dinge und Wesen?! – Oder läßt
sich wohl ein Wesen ohne alle Äußerlichkeit denken? Hebt etwa nicht die Wegnahme
aller Äußerlichkeit ein jedes Wesen ganz auf? Denn siehe, ich wenigstens kann
mir kein Wesen denken, das durchgehends gar keine Äußerlichkeit hätte! Du
ersiehst hier meine gerechten Zweifel; habe daher Geduld und kläre sie mir auf!“
[BM.01_050,17] Spricht darauf der Mondbewohner: „Freund, du greifst einmal zu
seicht und das andere Mal zu tief! Einmal zu wenig und einmal zu viel, das macht
dir erreichen noch lang nicht dein Ziel!
[BM.01_050,18] Der große Geist hat von allem endlos viel erschaffen. Und all das
viele, das sich gegenseitig nur äußerlich begegnen kann – ansonst es unmöglich
ein vieles wäre –, ist sich darum gegenseitig auch ein Äußerliches. Damit aber
der Mensch auch das Äußerliche fasse, sind ihm auch äußere Sinne gegeben.
Verstehen aber kann er es mit diesen äußeren Sinnen nimmer, sondern lediglich
mit den inneren seines Geistes.
[BM.01_050,19] So hat der Mensch äußere Sinne, um Äußeres zu fassen, und hat
innere Sinne, um Inneres zu fassen. Die Weisheit aber ist ein Angehör der
inneren Sinne des Geistes und nicht der äußeren des Leibes; daher muß sie auch
von innen heraus und nicht von außen hinein erlernt werden.
[BM.01_050,20] Diesen inneren Unterricht aber erteilt der Seele allein der
Geist, dem der große Geist Gottes alles völlig enthüllt eingehaucht hat, was da
geschaffen ward und noch ewigfort geschaffen wird.
[BM.01_050,21] Die äußere Sprache aber ist nur, um das Äußere zu bemessen und es
dann mit dem Innern zu vermählen. Dadurch wird eine Ehe zwischen Außen und Innen
bewerkstelligt, und durch diese Ehe die volle Erkenntnis der göttlichen Ordnung.
Diese Erkenntnis dann ist die eigentliche Weisheit, nach der wir allein trachten
sollen, weil sie die einige innere Kraft des Geistes und sein wirkendes Leben
bedingt.
[BM.01_050,22] Du wirst nun leicht ersehen, daß Gottes Geist ewig nie die
Menschen durch äußere Offenbarungen unterrichtet hat, sondern allzeit lediglich
von innen heraus durch den Geist. Hatte es etwa auch das Ansehen eines
persönlich äußeren Unterrichts, so konnte aber dieser dennoch so lange von
keiner innern Wirkung sein, bis er nicht durch die allerweckende Kraft des
Gottesgeistes in den inwendigsten Geist des Menschen geführt wurde. Also ist
auch alles das, was ich dir nun auch nur äußerlich erläuterte, für dich so lange
von keiner Wirkung, bis du es nicht aus dir selbst vernehmen wirst!
[BM.01_050,23] So dich Gott Selbst äußerlich in aller Weisheit unterwiese, wie
ich's nun getan habe, so würde dir auch dieser Gottesunterricht nichts nützen,
solange Er, der große Gott, durch Seinen allerheiligsten Geist dich nicht von
innen durch deinen eigenen Geist unterrichtete.
[BM.01_050,24] Dies fasse nun, so du's kannst, als eine rechte Antwort. Und
bedenke, daß sie dir nicht zum Heile, sondern nur zum Gerichte dient, solange du
sie nicht aus dir selbst empfangen wirst! Denn was nicht dein ist, das ist ein
Gericht, solange es nicht dein ist, und macht dich nicht frei! – Willst du aber
noch fragen, so frage; ich werde dir antworten!“
[BM.01_050,25] Spricht darauf der Bischof Martin: „Freund, ich sehe nun
abermals, daß du bei aller deiner äußeren Geringfügigkeit ein wahrhaft
grundweises Wesen bist. Ich erkenne auch, daß ich es mit dir noch lange nicht
aufnehmen kann. Aber das wirst du steinfester Weiser mir dennoch zugeben, daß
ich, so ich jemanden aus großer Liebe auch bloß äußerlich in Dingen der Ordnung
Gottes, dessen Macht, Liebe und Weisheit unterrichte, solch ein Unterricht doch
unmöglich ein Gericht sein kann für einen harmlosen, willigsten Jünger, sondern
nur ein gerechter Weg zum ewigen Leben! Denn ich halte überhaupt nicht gar zu
große Stücke auf die ledige Weisheit, sondern nur auf die Liebe. Denn wo diese
mangelt, da ist mir alle Weisheit um einen gemeinsten Lehmbatzen feil!
[BM.01_050,26] Was sagst du zu dieser meiner Ansicht? Ich weiß es wohl, daß da
ein jeder Mensch zuvor aus dem Geiste muß wiedergeboren sein, bis er ins
eigentliche, freieste Reich Gottes eingehen kann. Aber um eben zu dieser
Wiedergeburt zu gelangen, muß man ja doch zuvor die ersten Wege dazu durch den
äußern Unterricht empfangen, weil für mich wenigstens ein innerer Unterricht –
besonders bei Kindern – gar nicht denkbar ist. Und habe ich da auch nicht recht,
so zeige mir, wie denn ihr Mondmenschlein eure Kinder unterrichtet!“
[BM.01_050,27] Spricht der Mondbewohner: „Was fragst du denn da weiter, so dir
deine eigene Ansicht bei weitem richtiger zu sein scheint? Kurzsichtiger
Mundwetzer, ist denn nicht jeder äußere Unterricht ein Gesetz, das bestimmt, wie
das eine oder das andere zu fassen ist? Richtet aber nicht jedes Gesetz und jede
Regel? Wann hat noch je jemanden das Gesetz freigemacht?!
[BM.01_050,28] Ihr wohl macht aus euren Kindern zuerst Gefangene und könnet sie
dann nimmer frei machen. Wir aber erziehen unsere Kinder, wie da ein Töpfer bei
euch verfertigt seinen Topf, den er von in- und auswendig zugleich auf seiner
Drehscheibe auszuziehen beginnt, ansonsten er einen sehr einseitigen Topf
erzeugen würde! Willst du demnach lernen, wie Menschen erzogen werden zur ewigen
Freiheit, so gehe in die Werkstatt eines Töpfers, dort wirst du deine
unverstandene Liebe erkennen! Verstehe wohl, bei einem Töpfer liegt mehr
Weisheit als bis jetzt noch in dir!“
[BM.01_050,29] Nach diesem Hiebe kehrt sich Bischof Martin wieder zu Mir und
sagt: „O Herr, diesem wirklich radikalen Mondwesen ist durchaus nicht
beizukommen. Denn ich mag eine Sache noch so rein Deiner Lehre gemäß darstellen,
so ist er mir richtig schon wieder um ganze tausend Jahre vor! Das Sonderbarste
bei der Sache ist nur, daß er als ein Mondbewohner die Erde, die er doch sicher
auch nicht einmal als einen Stern gesehen hat, besser zu kennen scheint als ich
selbst! Er beschied mich zu einem Töpfer auf der Erde, wo ich die Weisheit und
gewisserart das Geheimnis der Liebe studieren soll! Das ist ja im Ernste sehr
spaßig!
[BM.01_050,30] Was wohl soll ich bei einem Töpfer? Soll ich etwa hier diese
Profession ausüben? Ja, der Kerl geht so weit, daß er mir ganz trocken ins
Gesicht behauptete, auch Du, o Herr, könntest mir mit Deiner mündlichen
Unterweisung nicht helfen, wenn solche nicht von innen aus durch meinen eigenen
Geist käme! Das ist doch offenbar eine grobe Versündigung! So es nach meinem
Wunsche ginge, da ließe ich diesen Kampel schon ein wenig fühlen, was das heißt,
sogar Deiner Lehre die wirkende Kraft abzusprechen!“
[BM.01_050,31] Rede Ich: „Laß das gut sein, Mein lieber Martin, denn so du dich
mit diesem Mondbewohner in einen Streit einließest, da würdest du bei weitem den
kürzern ziehen müssen! Er aber verdient es durchaus nicht, daß Ich ihm etwas
Widerwärtiges begegnen lassen sollte, denn er ist ein überaus guter Geist. Daß
er dir aber zuletzt etwas dicker gekommen ist, rührt daher, weil er in dir eine
Art verborgener ehrsüchtiger Tücke erschaut hat, die diese Mondwesen am
allerwenigsten leiden können! Denn bei ihnen muß das Äußere dem Innern völlig
gleichen.
[BM.01_050,32] Im übrigen beachte du recht wohl, was du von diesem Weisen
vernommen hast; es wird dir zu seiner Weile wohl zustatten kommen! Der Töpfer
aber ist das beste Bild: aus diesem Bilde kannst du die ganze Fülle Meiner
Ordnung kennenlernen! Denn siehe, Ich Selbst bin ja ebenfalls ein Töpfer und
Mein Wirken ist das eines Töpfers. Denn Meine Ordnung ist gleich der Drehscheibe
eines Töpfers, und Meine Werke sind gleich den Töpfen eines Töpfers! – Wie, das
wird dich die Zukunft lehren!
[BM.01_050,33] Gehen wir nun aber zur 12. Tür, da wird dir manches klar werden,
was dir jetzt noch dunkel ist! Es sei!“
51. Kapitel – Ein Blick durch die zwölfte Tür auf das kleinste Sonnengebiet.
Martins Ahnung von der Größe und Gnade Gottes. Die Form des Menschen als
bleibende, überall gleiche Grundform. Jenseitige Gefahren für den noch nicht
völlig Wiedergeborenen.
[BM.01_051,01] (Der Herr:) „Wir sind nun bei der zwölften Tür; sie ist auch wie
die früheren schon geöffnet! Tritt an die Schwelle und rede dann, was alles du
hier erschaust!“
[BM.01_051,02] Bischof Martin tut, wie ihm geboten. Nach einer Weile des
seltensten Staunens beginnt er erst zu reden und spricht: „O Gott, o Gott, das
ist endlos, das ist ewig unermeßlich groß! Da sehe ich ja in den ungeheuersten
Fernen zahllose allerglänzendste Sonnen und Welten so durcheinanderschwärmen wie
auf der Erde die Ephemeriden etwa ein paar Stunden vor dem Sonnenuntergange an
einem Sommertage! Wie viele Dezillionen gibt es denn ihrer? Und wie viele
Ewigkeiten werden hierzu wohl erforderlich sein, um sie alle nur einigermaßen
näher kennenzulernen?!
[BM.01_051,03] O Gott, o Herr, je länger ich da hineinsehe, desto mehr erschaue
ich ihrer! O Herr, ist es Dir wohl möglich, diese zahlloseste Masse von Sonnen
und Erden zu übersehen, zu leiten und zu erhalten? Das ist ja geradeweg
erschrecklich, erschrecklich!
[BM.01_051,04] Mir gäbe schon der kleine Mond für die Ewigkeit zu tun genug! Und
Du, o Herr, spielst nur mit all diesen zahllosen Dezillionen von Sonnen und
Welten, ordnest und erhältst alle und sorgst für das Kleinste auf all diesen
zahllosen Weltkörpern, als stünde in der ganzen Unendlichkeit gerade kein
zweites mehr da! O Herr, o Herr, wie, wie, wie ist Dir das möglich?“
[BM.01_051,05] Rede Ich: „Wie Mir solches leicht möglich ist, das zu fassen
vermag kein geschaffener Geist in der Fülle. Aber die Ewigkeit wird dich noch so
manches lehren, was dir jetzt dunkel ist! Darum forsche darin nicht weiter.
Würde Ich dir die Größe Meiner allmächtigen Liebe und Weisheit zeigen, so
könntest du nicht leben, denn die Tiefen Meiner Gottheit sind für jeden
geschaffenen Geist zu unergründlich!
[BM.01_051,06] Was du aber hier erschaust, ist das kleinste Sonnengebiet nur,
das du auf der Erde bei heiteren Nächten oft gesehen hast. Denke aber ja nicht,
daß dieses schon das einzige ist, das den endlosen, ewigen Raum erfüllt. Ich
sage dir, derlei und endlos größere, reichere und wunderbarere Gebiete gibt es
ohne Ende, ohne Zahl und ohne Maß! Denn Meine Schöpfungen haben nimmermehr
irgendein Ende. Allenthalben wirst du die Einrichtungen für dich wunderbar
verschieden finden und neue Formen allenthalben von nie geahnter Majestät und
Pracht.
[BM.01_051,07] Nur die Form des Menschen allein ist die bleibende und überall
gleiche. Unter diesen zahllos vielen Bewohnern der verschiedenen Welten gibt es
nur Abstufungen bezüglich der Größe, Liebe, Weisheit und Schönheit. Aber allen
diesen Abstufungen liegt dennoch die unveränderte Menschenform zugrunde, indem
sie alle Mein Ebenmaß haben. Die Weisesten sind die schönsten, und die mit Liebe
Erfüllten sind die zartesten und herrlichsten!
[BM.01_051,08] Du aber wärest jetzt noch nicht imstande, auch nur die geringste
Schönheit einer menschlichen Form von den unbedeutendsten dieser von dir nun
geschauten Welten zu ertragen. Daher mußt du nun dich nur mit der Beschauung
dieser dir noch sehr ferne liegenden Sonnen und Welten begnügen. Wird aber dein
Geist reifer, so wirst du schon auch zur näheren Beschauung all Meiner
Schöpfungswunder gelangen!
[BM.01_051,09] Aber da heißt es zuvor noch in gar vielen Dingen dich selbst
verleugnen, und ganz besonders in deiner dir noch stark anklebenden
fleischlichen Weibersucht! Solange du dich von der nicht entschlagen wirst, so
lange wird dir all diese nähere Anschauung verborgen bleiben müssen, weil du, so
du nun zu all dieser für dich unbegreiflichen Schönheit zugelassen würdest,
Meiner leicht vergäßest!
[BM.01_051,10] Meiner vergessen aber heißt soviel als: das Leben und dessen
himmlische Freiheit verlieren und dafür das Gericht, den Tod und die Hölle
anziehen, vor der ein Geist so lange nicht sicher ist, solange er nicht völlig
aus Meinem Geiste wiedergeboren ist.
[BM.01_051,11] Nun kennst du diese deine Wohnung. Ich Selbst habe dich überall
an die Schwelle des ewigen Lebens geführt, nun mußt du selbst wandeln, willst du
wahrhaft frei werden! Ich werde dich nun wieder sichtlich verlassen, dir aber
dafür einen andern Gesellschafter senden. Dieser wird dich lehren, Meinen Willen
auf der weißen Tafel zu erkennen. – Denke nun über all das, was du nun gesehen
und gehört, getreu nach und sei in allem nüchtern, so wirst du leicht
weiterkommen! Es sei!“
52. Kapitel – Segen des Lichtes Swedenborgs. Der alte Adam in Martin. Weise
Lehre des Weibes und scharfe Mahnung Borems.
[BM.01_052,01] Nach diesen Worten verlasse Ich sichtbar den Bischof Martin sehr
plötzlich. An Meiner Stelle steht schon ein anderer Engelsgeist, und zwar der
des uns schon bekannten Buchhändlers. Dieser hat unterdessen an der Seite Petri
große Fortschritte gemacht, wozu ihm freilich die Bekanntschaft mit den
geoffenbarten Schriften Swedenborgs einen großen Vorschub geleistet hatte.
[BM.01_052,02] Als Bischof Martin an Meiner Stelle den ihm wohlerkennbaren
Buchhändler erblickt, verwundert er sich groß und spricht sogleich zu ihm: „Oho,
oho, wieso denn!? Bist etwa gar du mein künftiger Führer? Nein, da hätte ich mir
auch eher den Tod im Himmel hier eingebildet, als daß du mein Führer werden
würdest! – Ah, ah, das ist denn doch ein wenig zu stark! Zuvor der Herr Selbst –
und nun du? Das wird sich etwa doch so reimen, wie früher die Sonne und nachher
der Hintern!
[BM.01_052,03] Hahaha, das ist ja doch rein zum Lachen! Du, ein Buchhändler,
mein Führer! Hahaha, das ist denn doch ein wenig zu stark! Ein elender
Buchhändler soll einem einstmaligen Bischof, einem Gottesgelehrten, den
Wegweiser durch alle Himmel machen? Nein, nein, das geht auf keinen Fall! Mein
Freund, gehe, wie du gekommen bist; denn dir werde ich in gar keinem Falle
irgendwohin folgen!
[BM.01_052,04] Ich hätte mir nichts daraus gemacht, so der Herr mir auch den
nächsten besten Gassenjungen zum Gesellschafter und Führer gesandt hätte. Aber
dich, und gerade dich, der du in alle meine Lumpereien eingeweiht bist – das
kann ich auf keinen Fall dulden! Entweder gehst du oder ich, was mir ziemlich
einerlei ist. Ich überlasse dir recht gerne dieses Gedankenhaus, das sicher
keine Beständigkeit hat, weil mir dessen ganze Einrichtung überaus verdächtig
vorkommt.
[BM.01_052,05] Was dieser Saal enthält, das siehst du – wenn du überhaupt das
sehen kannst, was ich sehe. Denn so weit habe ich es in dieser chimärischen Welt
schon gebracht, daß da zwei Menschen nebeneinander ein und dasselbe Ding ganz
anders erschauen. Wo der eine einen Esel sieht, da sieht sein Kamerad entweder
einen Ochsen oder gar einen Weisen. Oder wo der eine Licht erschaut, da erschaut
sein Gefährte Finsternis.
[BM.01_052,06] Daraus aber kann ein gescheiter Kerl, wie ich einer zu sein die
Ehre habe, allzeit den Schluß ziehen, daß diese himmlische Welt, wie ich sie nun
erkenne, eine sehr dumme und gar nichts sagende Welt ist. Sie ist ein pures
traumähnliches Sinnentrugwerk, an dem nicht die leiseste Konsistenz haftet!
[BM.01_052,07] Darum werde ich auch gehn, wohin es geht! Du weiser
Bücherstaubschlucker aber kannst an meiner Statt bei allen diesen zwölf Türen
hinaus die höhere Astronomie studieren und dich dabei in eine schöne
Merkurianerin verlieben oder gar in eine schönste Sonnenbewohnerin –
vorausgesetzt, daß du mit deinen Augen auch das erschauen kannst, was ich da
erschaut habe! Lebe wohl und tue, was du willst. Ich aber gehe und werde mir
einen Ort suchen, der mehr Konsistenz hat als dieser astronomische Saal!“
[BM.01_052,08] Nach diesen Worten will der Bischof gehen. Aber der Buchhändler
hindert ihn daran durch folgende gute Rede: „Bruder, Freund – siehe, wie
läppisch und überaus närrisch du bist! Waren wir denn auf der Erde nicht stets
die intimsten und vertrautesten Freunde? Wußte ich dort nicht um alle deine
Stücke und Stückelchen? Wann aber habe ich dich je gegen jemanden verraten? Habe
ich's dort nicht getan, um wieviel weniger werde ich es hier im Himmelreiche
tun, wo der Herr dich ohnehin Millionen Male besser kennt, als ich dich je
kennen werde! Was hältst du dich aber darum auf und bist voll Ärger, als hätte
der Meister der Ewigkeit mich dir zu einem Führer gegeben?
[BM.01_052,09] Siehe, da bist du in einer großen Irre! Ich kam zu dir nur, dir
Gesellschaft zu leisten und dir ein Diener und Knecht in allem zu sein. Wie aber
einst du das wie gerade und krumm untereinander? Ich will nur von dir, der du
nun an der Seite des Herrn schon sicher die größten Erfahrungen wirst gemacht
haben, etwas lernen; nicht aber, daß du von mir etwas annehmen sollest. Wenn
sich die Sache aber bestimmt so verhält, wie kannst du nun so auffahren bei
meinem Erscheinen an deiner Seite!
[BM.01_052,10] Bleibe nur ganz ruhig in diesem deinem Besitze, der sicher
konsistenter ist, als du es wähnst. Und betrachte mich für das, als was ich zu
dir komme, und nicht als etwas, das du – gegen den Herrn im höchsten Grade
undankbar – von mir dir selbst vorfaselst. Dann werden wir beide uns hoffentlich
sehr wohl und freundlichst vertragen können!“
[BM.01_052,11] Bischof Martin ist nun ganz stumm und weiß nicht, was er darauf
dem Buchhändler erwidern soll. Er geht darum zur Merkurtüre und sucht sich da zu
sammeln und zu fassen.
[BM.01_052,12] Als er dort ankommt, erschaut er sogleich eine Menge Menschen
beiderlei Geschlechtes als Bewohner ebendieses Planeten. Unter ihnen auch jene
ihm noch wohlbekannte Schöne, die ihm schon beim ersten Besuche dieses Planeten
stark in die Augen und ins Herz gefallen ist. Als er diese erschaut, vergißt er
sogleich seinen Gesellschafter, den wir nun ,Borem‘ nennen wollen, und geht
durch die Türe sogleich ihr entgegen.
[BM.01_052,13] Als er in ihre Sphäre tritt, da wird auch sie (die schöne
Merkurianerin) seiner ansichtig und spricht zu ihm: „Ich kenne dich und liebe
dich, wie dich auch wir alle lieben als unsern Gebieter. Aber dennoch entdecke
ich etwas in dir, das mir und uns allen nicht gefällt, und dieses Etwas ist:
fleischliche Gier in dir! Diese mußt du aus dir schaffen, ansonsten du dich mir
wie uns allen nimmer nähern dürftest.
[BM.01_052,14] Solches sage ich dir aber, weil ich dich liebe. Und weil ich
glaube, daß auch du mich und uns alle liebst, die wir durch dich glücklich zu
werden hoffen, so du wirst, wie du sein sollst. Wirst du aber das nicht, dann
freilich werden wir dir genommen und einem Würdigeren gegeben werden.
[BM.01_052,15] Laß dich darum nicht verblenden durch meine Reize und wandle der
Ordnung jenes allerhöchsten Geistes Gottes gemäß, dessen ewige Weisheit dich und
mich so schön gestaltet hat.
[BM.01_052,16] Siehe, auch du bist für mich unbegreiflich schön. Es leuchtet aus
dir eine wahre Majestät des allerhöchsten Gottgeistes. Aber dennoch muß ich mich
bezähmen und muß dich fliehen, sobald ich merke, daß mein Abbild in dir zu
erglühen anfängt.
[BM.01_052,17] Tue desgleichen, solange du nicht die volle göttliche Festigkeit
hast. Wirst du aber diese haben, dann wirst du mich und uns alle haben können in
der Fülle aller göttlich-himmlischen Lust.
[BM.01_052,18] Überhaupt aber merke dir: Was du hier haben möchtest, das fliehe,
so wirst du es erhalten. So du es aber fliehest, da fliehe es aus Liebe und
nicht aus Abscheu. Darum fliehe auch ich dich, weil ich dich übermäßig liebe.
[BM.01_052,19] Geh und tue also, und du sollst dafür in dieser für dich hoch
aufwallenden Brust einen ewigen süßesten Dank finden: ach, einen Dank, dessen
Süße dir jetzt noch völlig fremd ist!“
[BM.01_052,20] Nach diesen Worten tritt die schöne Merkurianerin zurück und
entfaltet so erst recht sichtlich ihre rein himmlische Anmut und Schönheit, die
unsern Bischof Martin ganz zusammensinken macht.
[BM.01_052,21] Lange hockt er da am Boden, ganz stumm und beinahe auch ganz
gedankenlos. Er erhebt sich erst wieder, als Borem zu ihm kommt, ihm auf die
Achsel klopft und spricht:
[BM.01_052,22] (Borem:) „Aber, Bruder Martin, was ist dir denn widerfahren? Hat
dich etwa gar jene holde Merkurianerin so sehr verzaubert, daß du darum ganz
schwach und förmlich ohnmächtig bist? Oder ist dir sonst was zugestoßen?“
[BM.01_052,23] Spricht Bischof Martin ganz ärgerlich: „Eh – hol dich, wer dich
will! Hab' ich dich denn gerufen? Was kommst du denn, so du mein Knecht bist und
ich dein Herr, wenn ich dich nicht rufe! Für künftig merke dir das und komme
erst, wenn du gerufen wirst; sonst kannst du gehen, von wannen du gekommen
bist!“
[BM.01_052,24] Spricht wieder Borem: „Höre, Freund, so darfst du mit mir nicht
handeln! Sonst könnte es sehr leicht geschehen, daß der Herr, der mit dir eine
namenlose Geduld hat, dir noch zeigen würde, wie dem Seine Schärfe schmeckt, der
Seine Milde, wie du nun, gerade mit Füßen zu treten anfängt! Erhebe dich darum
und folge mir im Namen des Herrn und auch im Namen dieser himmlischen Jungfrau,
die dir soeben eine sehr weise Lehre gegeben hat, sonst dürfte es dich bald sehr
zu gereuen anfangen!
[BM.01_052,25] Bedenke, welche namenlosesten Gnaden dir der Herr seit deiner
letzten Weltstunde hat angedeihen lassen, welche weisesten Lehren du von allen
Seiten schon erlangt hast! Wie wenig haben sie in dir noch irgendeine himmlische
Frucht bewirkt; darum werde endlich einmal ein anderes Wesen! Sonst, wie gesagt,
sollst du empfinden, wie da schmeckt die Schärfe des Herrn dem Hartnäckigen, der
Seine Milde mit Füßen zu treten anfängt! Denn wisse, der Herr läßt mit Sich eben
gar zu lange nicht spaßen! Darum erhebe dich und folge mir in den Saal zurück!“
[BM.01_052,26] Bischof Martin richtet sich nun auf und spricht voll Ärger: „Aha,
aha, nun kommt es schon heraus, was für ein Gesellschafter und Knecht du mir
bist! Bedanke mich für so einen Gesellschafter, für solch einen Knecht! Du bist
mir ja nur zu einem Zuchtmeister gegeben worden – und dafür bedanke ich mich!
Bleibe du daher hier und tue, was du willst; ich aber werde auch gehen und
sehen, ob ich ohne deine Einsprache nicht auch Gutes zu tun vermag!
[BM.01_052,27] Das ist ja doch überärgerlich: Ich, ein Bischof, also ein Apostel
Jesu Christi, soll mich von einem lausigen Lumpen von einem Buchmakler
hofmeistern und führen lassen!? Nein, das ist zu arg! Gehe mir aus den Augen,
sonst zwingst du mich, daß ich mich an dir vergreife! Ich habe dich zwar leider
aus den Flammen gerettet und war dir gut; aber nun reut es mich gewaltig, daß
ich dir je etwas Gutes erwies! Kurz und gut, du bist mir nun ein Dorn in meinen
Augen, da du nun schon besser bist als ich und bist mir darum zu einem Hof- und
Zuchtmeister gegeben!
[BM.01_052,28] Man hört hier nichts als von himmlischer Freiheit! Das ist mir
eine schöne Freiheit, wo man nicht einmal zur Türe seines Hauses hinausblicken
darf, ohne einen Zuchtmeister an der Seite zu haben! Geh und schau, daß dir
diese himmlische Freiheit nicht gestohlen wird! Drohen auch noch dazu! Das geht
ja vortrefflich, charmant, charmant! Also kann man auch noch im Himmel
gezüchtigt werden! Nicht übel, nicht übel, das macht sich!
[BM.01_052,29] Hast schon etwa gar so einen himmlischen Zuchtprügel unter deiner
himmlischen Toga bei dir versteckt, um im nächsten Augenblicke auf mich
loszudreschen? Kannst ja dein Glück versuchen! Wirst wohl sehen, wieviel sich in
einen Bischof hinein- oder herausdreschen läßt!
[BM.01_052,30] Meinst du Esel von einem Himmelsbewohner denn, ich fürchte mich
vor irgendeiner Strafe? Versuche es nur einmal, und du wirst dich gleich
überzeugen, welch einen geringen Respekt sie mir einflößen wird! Will der Herr
mich aber durch Strafe besser machen als ich bin, so soll Er tun, wie es Ihm
beliebt. Ich aber werde auch sein, wie ich werde wollen, solange ich wollen
kann, was ich will! Ich kenne wohl, was das heißt, dem Herrn Trotz bieten, und
kenne Seine Macht. Aber ich kann auch die Größe eines solchen Geistes nicht
genug anstaunen, der den Mut hat, dem Herrn Trotz zu bieten!“
[BM.01_052,31] Spricht Borem: „Freund, ich kam im Auftrage des Herrn zu dir, so
sanft wie ein Lamm. Ich habe dir nie im geringsten etwas zuleide getan, weder in
der Welt und noch viel weniger hier. Aber du empfingst mich gleich auf eine
Weise, wie auf der Welt kein Herrscher den geringsten seiner Sklaven! Sage, ist
das weise oder liebreich, wie es im Himmel sein soll? So der Herr aber für gut
fand, mich zu dir zu bescheiden – bist du denn nun besser und weiser als der
Herr, der allein mich zu dir befohlen hat?!
[BM.01_052,32] Siehe, der Herr sieht deine fleischliche Gier in dir und hinter
dieser großen Hochmut gegen jedermann, der dir in deiner ekelhaften Brunst
begegnen möchte! Daher hat Er mich zu dir gesandt, daß dein Hochmut endlich
einmal herauskäme und mit ihm deine stets steigende fleischliche Weibergier. Du
aber empfängst mich wie ein barster Höllenbewohner und scheinst dich wenig zu
kümmern um den Herrn, der dich so überselig machen will! Wahrlich, so du dabei
beharren wirst, so wirst du für solche Güte des Herrn bald desto mehr Gericht
empfangen, je hartnäckiger du Ihm entgegentreten wirst!
[BM.01_052,33] Ich aber verlasse dich nun, da ich sehe, daß du mich hassest,
ohne daß ich dir dazu den geringsten Anlaß gegeben habe. Der Herr aber tue dir
nach Seiner Liebe, Erbarmung und Gerechtigkeit!“
[BM.01_052,34] Als Borem gehen will, ergreift ihn Bischof Martin freundlich und
bittet ihn, zu bleiben, da er sich mit ihm wieder aussöhnen möchte und dann
reden mit ihm über große Dinge; und Borem bleibt nach dem Wunsche des Martin.
[BM.01_052,35] Borem harrt eine Weile auf eine weitere Äußerung des Bischofs.
Aber dieser studiert aus allen seinen Lebenswinkeln zusammen, wie er nun dem
Borem ganz unwiderlegbar begegnen und ihn dann für sich gewinnen könnte; und das
wegen besagter Schlichtung großer Dinge, deren er dem Borem früher erwähnt hat.
[BM.01_052,36] Borem aber durchschaut ihn und fängt folgendermaßen mit ihm das
Wort zu führen an: „Freund Martin, ich sage dir im Namen des Herrn Jesu Christi,
der da ist der einige Herr Himmels und aller andern Schöpfung in der ganzen
Unendlichkeit, mache dir keine vergebliche Mühe; denn siehe, ich durchschaue
dich haarklein!
[BM.01_052,37] So wie du dir's jetzt zusammendenkst, so denken alle rein
höllischen Geister, die wir allesamt ,Teufel‘ nennen! Wahrlich, mit derlei
großen Dingen – die aber bei mir ganz ungeheuer scheußlich klein sind – komme
mir ja nicht, sonst könnte dir dein Plan sehr übel zustatten kommen!
[BM.01_052,38] Sage mir, auf wie lange hast du dir denn vorgenommen, dem Herrn
zu widerstreben in deinem Herzen? Sage mir das ganz unverhohlen, damit ich mich
danach richten kann! Denn glaube mir: So sehr ewig von Bestand auch das alles
ist, was du hier siehst, so kannst du dennoch dich plötzlich auf einem Orte
befinden, der dir eben nicht so angenehm wie dieser hier vorkommen dürfte. Denn
ich habe vom Herrn den bestimmten Auftrag, mit dir von nun an keine Schonung
mehr zu haben, da in dir das Feuer der Unzucht und der Herrschsucht aufgetaucht
ist!
[BM.01_052,39] Rede nun aus dir frei heraus ohne Hinterhalt, was du tun willst!
Rede aber die volle Wahrheit! Denn ich sage dir im Namen des Herrn: Jeder
lügenhafte Gedanke wird in dir von mir schnell erkannt und mit meiner Entfernung
von dir bestraft werden, und zwar durch die plötzliche Wegnahme all dessen, was
du jetzt noch dein nennen darfst! Bedenke dies und rede dann wahr, was du nun
tun willst; willst du mir folgen oder nicht folgen?“
53. Kapitel – Der ärgerliche Bischof Martin. Borems scharfe Mahnung und Weggang.
Der einsame Martin.
[BM.01_053,01] Bischof Martin fängt auf diese sehr kräftige Rede sich stark
hinter den Ohren zu kratzen an und spricht endlich wie für sich halblaut: „Da
haben wir's, ich hab es ja gewußt, daß man sich auch hier im Himmel auf
niemanden verlassen kann und darf! Der Herr hat mir hier schon gewisserart alle
Schätze der Himmel aufgetan, und der führt nun eine Sprache mit mir, als sollte
ich etwa schon im nächsten Augenblicke in der Hölle, Gott steh uns bei, stecken!
Hübsche Vergeltung! Ich habe ihn sicher vor so ein bißchen höllischem Feuer
gerettet. Dafür wird er nun bemüht sein, mich in diesen schönen Ort zu
befördern. Ja, über eine solche Freundschaft steht wohl ewig nichts auf!
[BM.01_053,02] (Etwas lauter zu Borem:) Mein lieber Freund, so schön nach und
nach ziehst du ganz behutsam die Larve von deinem Gesicht und zeigst in klarerem
Lichte, als was du zu mir gesandt wurdest. Recht, recht so, tue du nur nach
deinem Auftrage, und ich werde den befolgen, den mir meine Vernunft auferlegt!
[BM.01_053,03] Es ist wahr, ich hatte einen dummen und vielleicht auch wohl
bösen Plan. Denn ich wollte im Ernste dem Herrn einen kleinen Trotz bieten, –
aber bloß, um mich zu überzeugen, was da in einem solchen Falle mir begegnen
würde. Aber du hast mich wirklich musterhaft durchschaut und bist mir
schärfstens in den Weg getreten.
[BM.01_053,04] Aber daß du mich darum schon für einen Teu- (Gottstehunsbei)
hältst und ganz reif für die Hölle, davon hat der Herr, der doch offenbar mehr
sein wird als du, mir nichts gemeldet. Ich aber halte mich an den Herrn und
nicht an dich! Daher werde ich auch tun, was der Herr mir befehlen wird: ich
werde dich nur an der weißen Tafel hören, von der mir der Herr angedeutet hat,
daß du mich ihren Gebrauch lehren wirst. In allen anderen Dingen aber werde ich
dich hören, so ich es wollen werde, so wie bis jetzt.
[BM.01_053,05] Mit deinen Drohungen aber bleibe nur hübsch fein zu Hause. Denn
mit ihnen wirst du bei mir sehr wenig ausrichten, da ich mich vor gar nichts
fürchte! Das kannst du daraus entnehmen, daß ich auch vor dem Herrn Selbst mir
kein Blatt vor den Mund nehme und rede, wie ich fühle und wie mir die Zunge
gewachsen ist. Ich aber gehe nun wieder in den Saal zurück. – Das kannst du auch
tun, so du es willst; wenn nicht, so tue, was du willst!“
[BM.01_053,06] Nach diesen Worten erhebt sich Bischof Martin völlig und begibt
sich schnell in den Saal. Borem folgt ihm ganz freundlich.
[BM.01_053,07] Als beide im Saale sich befinden, bemerkt Bischof Martin
sogleich, daß die runde Tafel klein angeschrieben ist. Er geht eilends hinzu und
versucht zu lesen, was dort geschrieben steht. Aber er vermag es nicht; denn er
kennt diese Schrift nicht, die da aussieht wie Hieroglyphen. Darum fängt er sich
von neuem an zu ärgern und spricht:
[BM.01_053,08] (Bischof Martin:) „Können denn die Himmelsschreiber nicht auch
eine solche Schrift schreiben, die unsereiner selbst lesen könnte, ohne darum
einen Dolmetscher kommen lassen zu müssen? Denn jemandem in einer unbekannten
Schrift schreiben, heißt geradesoviel, als mit einem Deutschen chinesisch reden
zu wollen! Wozu das etwa gut sein wird oder kann?“
[BM.01_053,09] Fällt ihm Borem ins Wort: „Freund, gerade dazu, wozu bei euch auf
der Welt der ausschließliche dogmatisch-lateinische Ritus gut ist! Denn da
versteht auch niemand etwas, außer er ist dieser heidnischen Zunge mächtig.
Damit auf der Erde aber ja niemand verstehen solle, was da in dem sogenannten
gottesdienstlichen lateinischen Ritus vorkommt, so er auch der lateinischen
Zunge mächtig wäre, muß während der Messe mit Orgeln, Pauken und Posaunen ein
unbändiger Lärm geschlagen werden. Dies, damit ja niemand etwas vernehme, was da
alles gebetet oder geplärrt wird. Ansonsten aber diese Messe still gemurmelt
wird, damit davon auch niemand etwas verstehe! Sage, ist das nicht auch unsinnig
– und ist doch bischöflich!?
[BM.01_053,10] Wie magst du dich nun als ein solchen Unsinn gewöhnter Mann
darüber ärgern, so du auf den ersten Augenblick diese Schrift nicht lesen
kannst? Siehe nur deutlicher und genauer auf die Tafel! Vielleicht entdeckst du
darauf auch einige lateinische Brocken, mit den zwölf Himmelszeichen mystisch
untermengt! Siehe, oben im Anfang lese ich wenigstens recht deutlich: ,Dies
illa, dies irae!‘“
[BM.01_053,11] Bischof Martin beschaut die Tafel nun genauer, erschaut dasselbe
und fragt, was das bedeute.
[BM.01_053,12] Borem aber spricht: „Bist doch ein Lateiner; wirst dir's wohl
übersetzen können! Lies nur weiter, es stehen schon noch mehr solcher Brocken da
oben! Wenn du fertig bist, dann komme und frage!“
[BM.01_053,13] Bischof Martin heftet nun sein Gesicht intensiver auf die Tafel
und ersieht die Worte: ,Requiescant in pace, et lux perpetua luceat eis!‘, und
wieder weiter: ,Requiem aeternam dona eis, domine!‘ und wieder weiter: ,Memento,
homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris‘ und noch eine Menge dergleichen
höchst unsinniger Brocken mehr. Nachdem er alle durchgelesen, wendet er sich an
den Borem wieder und fragt ihn sichtlich aufgeregt:
[BM.01_053,14] (Bischof Martin:) „Nun, was soll's da mit diesem Zeug? Was
bedeutet das? Warum steht es hier? Soll das etwa gar eine Art Stichelei auf
meine irdische Würde sein, die ich getragen habe?“
[BM.01_053,15] Spricht Borem: „O nein, Freund, das nicht im geringsten! Das
alles steht bloß darum da, um dir zu zeigen, wieviel Narrheit noch in dir
steckt. Deshalb stehst du auch noch in deiner bald nach deinem Tode mit dem
Bischofspallium vertauschten Bauernkleidung da, von der dir aber die Oberjacke
mangelt, weil du sie freiwillig mir gespendet hast, da ich nackt im Hause des
Herrn mich befand. Du weißt, bei welcher Gelegenheit! Damit dir aber auch diese
nicht fehle, kannst du sie wieder zurücknehmen. Siehe, dort unter der Tafel
liegt sie wohlgereinigt und ordnungsmäßig zusammengelegt. Nimm sie und ziehe sie
wieder an, auf daß es dir leichter wird, die Fülle deiner Torheiten einzusehen!
[BM.01_053,16] Hat der Herr dir auch die endlose Gnade erwiesen und dir das Gift
der Bosheit genommen, so blieb dir aber noch die große Torheit. Wenn sie von dir
recht genährt wird, kann sie in die barste Bosheit übergehen und dich stürzen in
ein gräßliches Gericht. Denn wisse: Solange du im Geiste nicht völlig
wiedergeboren bist, bist du vor der Hölle nicht im geringsten sicher! Damit du
aber solcher Kalamität entgehen möchtest, soll dir hier alle deine große Torheit
gezeigt werden, an der du noch überstark hängst und von der der Herr Selbst dich
nicht befreien möchte, ohne dich zu richten.“
[BM.01_053,17] Spricht der Bischof Martin etwas nachdenklich: „Nun, wenn so, da
ziehe ich pro primo meine Jacke wieder an, damit ich nicht aussehe wie ein
Hausknecht, sondern wenigstens so gut und ehrlich wie ein Bauer. Und pro secundo
zeige, du nun schon überweiser himmlischer Buchhändler, meine vermeintlichen
Torheiten, die ich von der Schrift dieser Tafel erkennen soll. Aber ich kann sie
darum wahrlich nicht erkennen, weil alle diese Sätze sicher für jedermann ernst
und zugleich sehr weise sind, indem sie alle von so erhaben weisen Kirchenvätern
herrühren, daß wir beide deren Schuhriemen aufzulösen noch lange nicht wert sind
– und wahrscheinlich auch ewig nie sein werden!“
[BM.01_053,18] Spricht Borem: „Nun gut, so höre! Wo und was ist denn der Tag des
Zornes, des Gerichts? Wer wird da zürnen und wer richten? Meinst du, Gott ist
ein Gott des Zornes und ein Gott des Gerichtes? O nein! Siehe, Gott ist die
reinste und höchste Liebe Selbst, der von Sich Selbst aussagte: ,Ich komme
nicht, zu richten die Weit, sondern selig zu machen jeden, der an Mich glaubt,
und der Mich liebt!‘
[BM.01_053,19] Wohl spricht der Herr von einer Erweckung am jüngsten Tage, der
jedoch bei jedem gleich nach seines Leibes Tode anfängt. Aber von einem Gerichte
spricht Er nur also: ,Jeder aber hat in sich schon, das ihn richten wird,
nämlich Mein Wort!‘ Wenn aber so das Wort des Herrn lautet, wo ist dann dein
ominöser Dies irae, dies illa? Das hieße offenbar besser: ,O Tag meiner nackten
Torheit und meiner grellen Bosheit!‘“
[BM.01_053,20] Spricht Bischof Martin: „So du diese Texte so gut in Anwendung
bringen kannst und es nach deiner Meinung kein letztes allgemeines Gericht gibt:
wie verstehst du hernach jene Texte, die eben, aus des Herrn Munde gehend, von
der erschrecklichen Wiederkunft des Herrn als unerbittlichsten Richter die
allerunzweideutigste Kunde geben? Wo der Herr die Vorzeichen schon an und für
sich als überfürchterlich bezeichnet, als da sind große Trübsal, Teuerung,
Hungersnot, Kriege, Volksaufstände, Erdbeben, Erscheinen des Zeichens des
Menschensohnes am Firmamente, das Aufsteigen und Fallen des Antichrist, die
Verfinsterung der Sonne und des Mondes und das Herabfallen aller Sterne vom
Himmel. Und wo Er endlich die allerschrecklichste Vorbereitung zum jüngsten
Gerichte und am Ende das erschrecklichste Gericht selbst beschreibt: wie die
fluchwürdigsten Ketzer, Hurer und Ehebrecher zu allen – Gottstehunsbei werden
fahren müssen unter Begleitung von Milliarden Blitzen, die aus dem Munde der
Auserwählten und Engel Gottes als ein gerechter Fluch über all die zahllosen,
gleich dir verdammlichsten Ketzer ausgehen werden?
[BM.01_053,21] Sage mir nun, du übermütig weiser Buchhändler, wie erklärst du
dieses? Bin ich da auch dumm, töricht und boshaft noch obendarauf, wenn ich
diesen Worten Gottes glaube?“
[BM.01_053,22] Spricht Borem: „Heuchler, wie lange wohl ist es, daß du Christus
halbwegs für Gott hältst – bei der leisesten Versuchung aber wieder abfällst wie
ein dürres Laub vom Baume! Ich sage dir, hättest du dein ganzes Erdenleben
hindurch diesen Worten Christi auch nur den geringsten materiellen Glauben
bezeigt, so stündest du hier schon lange in einem andern Gewande. Aber da du
weder den äußern Buchstabensinn des Evangeliums und noch viel weniger den
innern, geistigen Sinn gläubig und darnach tätig angenommen hast, so stehst du
noch da als einer, der beim Anblick all dieser endlosen Wunder Gottes und beim
Anhören von tausend weisesten Lehren aus dem Munde Gottes Selbst der alte,
unverbesserliche Stock bleibt!
[BM.01_053,23] Wer kennt sich denn aus bei dir, und wer kann und mag dich
leiten? Denn so du einmal einen Glauben und irgendeine Demut zeigst, da bist du
schon im nächsten Augenblicke ein Wesen, an dem statt des Glaubens höchstens
eine gleisnerische Heuchelei und statt der Demut und Liebe der allerbarste
Hochmut und Haß nur zu grell ersichtlich wird!
[BM.01_053,24] Meinst du wohl, meine weiseste Lehre wird dir etwas nützen? O,
ich kenne dich! Was hat dir des kleinen Mondweisen wirklich weiseste Lehre
genützt? Siehe, du wurdest darob sogar in der sichtbaren Gegenwart des Herrn nur
stets erboster, je weiser dir der Mondpriester Piramah entgegenkam. Gebe ich dir
nun auch die gründlichste Belehrung auf deine deinen Stolz nährende Frage, so
wirst du darob nicht besser, sondern nur erboster und schlechter.
[BM.01_053,25] Darum sollst du von mir so lange keine Lehre und Weisung mehr
bekommen, solange du so verbleiben wirst wie du jetzt bist! Damit ich dir aber
von nun an keine Gelegenheit zum Ärger mehr gebe, so verlasse ich dich nun im
Auftrage des Herrn. Du kannst von nun an frei machen, was du willst. Nur
bedenke, daß dir von hier aus beide Wege, zum Himmel wie auch zur Hölle gleich
offen stehen nebst der damit verbundenen Erklärung, was im Evangelium
tatsächlich gesagt ist über die Erscheinungen der letzten Zeit!“
[BM.01_053,26] Nach diesen Worten verschwindet Borem und Bischof Martin ist nun
ganz allein, sich selbst vollkommen überlassen. Nun erst kommt es darauf an, was
er tun wird, und wie er alle die weisen Lehren bei und in sich behandeln wird.
[BM.01_053,27] Bischof Martin ruft zwar nun ganz gewaltig nach Borem, aber
dieser meldet sich nimmer. Er ruft auch nach dem Herrn und nach Petrus; aber
auch von diesen meldet sich nirgends etwas. Er läuft nun wieder zur Merkurtüre
und sieht diesen Planeten wohl, jedoch in einer großen Ferne. Er geht zur Tür,
durch die er früher bei Nr. 1 die schöne Lämmerherde erschaut hatte, ersieht
durch diese Türe aber nichts als jene ziemlich öde Wiese, auf der er diese
schönste Herde zum erstenmal erschaut hatte, versehen mit dem Verzeichnisse
ihrer Namen.
[BM.01_053,28] Darauf läuft er auch alle andern Türen ab und ersieht wohl die
Sonne, die andern Planeten und den Mond, alles das aber in großen Entfernungen
wie naturmäßig von der Erde. Nur der Saal allein steht noch in seiner vorigen
Gestalt da, in dessen Mitte die schon oft berührte Tafel und neben ihr der
astronomische Mechanismus.
[BM.01_053,29] Aber diese Gegenstände gefallen unserm Bischof Martin nicht.
Daher begibt er sich nun zur Ausgangstür und will in das Haus des Herrn eilen,
doch auch dieses ist unsichtbar geworden! Da er auch dieses nicht mehr erschaut
und der kleine Garten um sein Haus sehr öde aussieht und ihn zu keinem anmutigen
Spaziergange einlädt, begibt er sich ganz verzweifelt wieder in sein Haus, wo er
alles gleich und unverändert antrifft.
[BM.01_053,30] Da steht er eine Weile wie eine Säule vor der weißen Tafel, die
auf einer Seite leer und auf der andern Seite noch mit den eben angeführten
lateinischen Versen angeschrieben ist. Als ihm da die Zeit zu langweilig wird,
bewegt er sich einige Schritte vorwärts gegen den astronomischen Mechanismus und
fängt wieder die Erde zu betrachten an. Aber zu reden getraut er sich nicht,
weil er jetzt zu merken anfängt, daß es mit ihm ganz sonderlich zu stehen
beginnt.
54. Kapitel – Martins Selbstgespräch. Eine Kritik der Kirchen. Die Entdeckung
einer Vesperecke.
[BM.01_054,01] Nach einer Welle von irdischen zwölf Stunden, nachdem er den
geistig kunstvollen Erdglobus ganz durchmustert hatte und niemand mehr zu ihm
kam, begann er wieder folgendes Gespräch mit sich zu führen:
[BM.01_054,02] (Bischof Martin:) „So, so – da hätte ich nun wieder einmal die
Erde beschaut und muß sagen, da geht es schändlich zu! Nein, diese Betrügereien,
diese Falschheiten, diese Bosheiten, diese schändlichste Politik und diese
namenlosen Grausamkeiten, die da in allen Zonen verübt werden! Das ist wahrlich
sogar alle englischen Begriffe übersteigend!
[BM.01_054,03] Nein, man muß einen barsten Ekel vor allem Leben bekommen, so man
auf der Erde diese schändlichsten Ausartungen so recht ins Auge faßt! Inmitten
der schreiend größten Wunder Gottes haben so viele Millionen Menschen nahezu
keinen Begriff von Ihm und handeln auf eine so eigentümlich herrschsüchtige Art,
als wollten sie im Ernste ewig leben auf einer Welt, der doch Milliarden Siegel
des Todes von allen Seiten her aufgedrückt sind. Wahrlich, das ist doch
sonderbar, sonderbar! Ich bin wohl auch noch ein ziemliches Stück Vieh; aber was
zu toll ist, das ist zu toll!
[BM.01_054,04] Meine römischen Genossen halten wohl Konklave und Konzilium. Aber
der Grund davon ist nicht der Herr und der Geist der Lehre des Evangeliums,
sondern lediglich die allerstinkendste Herrschgier, die da verborgen beratet,
durch welch schändlichste Mittel sie am ehesten zu ihrem Zwecke gelangen könnte!
[BM.01_054,05] Desgleichen trachten auch die Evangelischen, durch die Macht der
reinen Vernunft bald über die ganze Erde zu siegen und ihr dann neue Gesetze
vorzuschreiben, die auch mehr zum Besten der Gesetzgeber als zum Besten der
Gesetzempfangenden gerichtet sind.
[BM.01_054,06] Die hohe bischöfliche Kirche Englands bemüht sich auch auf das
kräftigste, die Lehre vom Geben durch allerlei schändliche Mittel unter ihre
Gemeinde auszubreiten. Aber sie selbst gibt keiner toten Katze auch nur ein Loch
zum nötigsten Einscharren!
[BM.01_054,07] Kurz und gut, auf der Erde geht es wirklich schon so zu, daß es
offenbar in der Hölle nimmer ärger zugehen kann. Weg daher mit dir, du
schändliche Welt! Wer vorher nicht schlecht war, der muß ja schon schlecht
werden, so er dich nur ansieht – geschweige erst, so er auf deinem Boden bei
fünfzig Jahre selbst das Amt eines römischen Bischofs ausgeübt hat!
[BM.01_054,08] Ich bin auch wirklich ein sehr schlechtes Luder von einem Geiste
hier in diesem Pseudohimmelreiche; aber, was kann ich da tun? Vielleicht wird
sich meine Bosheit doch etwa in 2000 wirklichen Jahren legen, so alles Irdische
aus mir verraucht sein wird? O ich Vieh, ich Vieh!“
[BM.01_054,09] Nach diesem Selbstgespräche wird der Bischof Martin wieder still
und überlegt bei sich, was er nun tun solle; aber es fällt ihm nichts so recht
Gescheites ein.
[BM.01_054,10] Nach längerem Simulieren fällt ihm endlich ein, daß er die
schönen Galerien dieses seines Hauses noch nicht durchsucht und besichtigt habe.
Er fängt daher den Aufgang zu suchen an, um auf diese zu gelangen. Aber dieser
ist verborgen, so daß er ihn nicht finden kann. Er begibt sich darum hinaus und
sucht außerhalb seines Hauses den Aufgang. Auch da aber ist nirgends eine Spur
von irgendeinem Aufgange in die Galerien!
[BM.01_054,11] Es kommt ihm überhaupt sehr komisch und unbegreiflich vor, daß
sein Haus von innen eine so übergroße Halle darstellt, während es von außen
nicht viel größer und ansehnlicher aussehe als auf der Erde irgendein
Eremitenhäuschen. Auch wundert es ihn nicht wenig, daß er außerhalb dieses
seines Gartenhauses keine Spur von den zwölf inneren Seitengemächern entdeckt,
während diese im Innern des Hauses doch eine so wunderbare Rolle spielten.
[BM.01_054,12] Da er sich aber eine Zeitlang außerhalb seines Hauses aufhält und
nichts von all dem findet, was er so gerne finden möchte, geht er darauf etwas
verdrossen in seinem kleinen Garten eine Zeitlang umher und findet einige
unansehnliche Beeren, die er alsbald abbrockt und verzehrt, da es ihn ein wenig
zu hungern beginnt. Aber diese Kost schmeckt ihm gerade nicht am besten, daher
er davon eben nicht zu viel genießt. Er sucht zwar noch eine kleine Zeit herum.
Da er aber nichts findet, geht er wieder in sein Haus und gibt da auch auf, die
Galerien dieses seines Hauses fernerhin besteigen zu wollen.
[BM.01_054,13] Im Hause geht er wieder an die weiße Tafel und beschaut sie von
vorne und von rückwärts, findet aber noch keine Veränderungen an ihr: auf der
Vorderseite ist sie noch leer, und auf der Rückseite gegen den astronomischen
Mechanismus stehen noch die früheren lateinischen Verse darauf, also für unsern
Bischof Martin nichts Interessantes. Er begibt sich daher wieder zu einer Tür,
und zwar zu jener der Sonne. Er öffnet sie und schaut durch diese die sehr ferne
stehende Sonne und ergötzt sich wenigstens an ihrem Lichte, da er sonst nichts
entdecken kann.
[BM.01_054,14] Nachdem er ungefähr ein paar Stunden lang, nach der Rechnung
seines Gefühls, da hinausschaut, fängt er nun wieder mit sich folgendes Gespräch
an:
[BM.01_054,15] (Bischof Martin:) „Die Erde ist wohl im ganzen genommen ein
Narrenhaus, aber so dumm ist sie denn doch nicht wie diese angebliche himmlische
Welt. Denn was auf der ist, das ist es und bleibt es auch, oder kommt wenigstens
als Gleiches wieder zum Vorschein.
[BM.01_054,16] Die Sterne am Firmament sind stets dieselben – ein Haus bleibt
sich so lange gleich, bis man es abgerissen und ein anderes an seine Stelle
gesetzt hat. Hier aber ist alles wie ein dummer Traum nur! Man hat es einmal
gesehen. Kehrt man sich jedoch dann um und möchte es wiedersehen, etwa von einer
andern Seite, dann ist keine Spur mehr da von alledem, was man früher gesehen
hatte von einer Seite.
[BM.01_054,17] Man nehme jetzt nur diese Tür, durch die ich nun in eine viele
Millionen Meilen weite Entfernung hinausschaue! Wo ist sie, so ich außerhalb des
Hauses sie suche? Keine Spur ist von ihr irgend anzutreffen!
[BM.01_054,18] Hier ist gleich außerhalb der Türstöcke ein unermeßlicher,
dunkelblauer leerer Raum bestimmt erschaulich, in dessen tiefster Tiefe die
liebe Sonne in der Größe eines kleinen Tellers prangt. Kommt man aber auf diese
Stelle außerhalb dieses Hauses, so sieht man weder von einer Tür und noch
weniger von einer Sonne etwas. Wie ist denn das? Was ist das?
[BM.01_054,19] Wahrlich, wer sich da auskennt, der muß offenbar mehr als bloß
das Einmaleins verstehen. Oder er muß notwendig noch ein größerer Esel sein als
ich, der ich doch wenigstens noch einzusehen scheine, daß das alles bloß nur
leerer Sinnentrug ist. So würden auch alle Gelehrten der Erde sicher die Hände
über dem Kopfe zusammenschlagen, würde man ihnen sagen, daß man hier in Häusern
wohnt, die von außen bei weitem kleiner sind als von innen.
[BM.01_054,20] Oh, das sind Sachen, wer da nicht ein Narr wird, der wird es wohl
ewig nimmer! Was soll ich aber nun tun? Hier bleiben?! Das ist eine ganz fatale
Geschichte, – allein, und nichts zum Essen haben!
[BM.01_054,21] Es ist freilich sonderbar, daß man auch als ein Geist in dieser
sozusagen himmelreichischen Geisterwelt empfindlich hungrig und durstig wird;
aber es ist einmal so. Also hungrig, durstig, und nichts zu essen, nichts zu
trinken! Das ist ja ganz verzweifelt lustig! Und doch wird nichts anderes zu tun
sein, als leider hierzubleiben, wo es doch noch in dem kleinen Garten einige
schlechte Beeren für die äußerste Not zum Verzehren gibt.
[BM.01_054,22] Aber halt, jetzt fällt mir etwas ein, hol's der Kuckuck! Hier
außerhalb dieser Sonnentür ist nun ja ein endloser freier Raum! Was könnte einem
denn wohl geschehen, so man da in diesen endlosen Raum hinausspränge? Denn es
ist abwärts wie aufwärts nichts, also frei!
[BM.01_054,23] Wenn ich nun den Kopf hinausstecke über die Türstöcke, da sehe
ich von dem Hause nichts: auch nicht die leiseste Spur von einer Wand, einem
Dache und irgendeiner Grundfeste. Kurz, es ist alles leer. Nur wenn ich wieder
den Kopf hereinziehe, dann sehe ich wieder meinen Saal, wie er sich mir bis
jetzt noch immer gezeigt hat. Also, von einem Loch in den Kopf schlagen kann da
durchaus nicht die Rede sein, da gibt es ewig nirgends einen Gegenstand, auf den
man fallen könnte. Und gäbe es auch so etwas, so bin ich ja ein Geist, dessen
Gewicht hübsch luftig sein dürfte! Daher nur mutig hinausgesprungen; wer weiß,
was ich bei dieser endlosen Luftfahrt alles für Erfahrungen machen werde!
[BM.01_054,24] Aber, halt! Mir fällt nun noch etwas Besseres ein! Warum sollte
ich denn in diesen hohlen Sonnenraum hinausspringen? Ich habe ja bei der Türe
Nr. 1 jene mir bekannte Wiese gesehen. Wie wäre es denn, so ich auf derselben
einen Spaziergang versuchte?! Vielleicht käme ich da irgend mit den schönen
Lämmern zusammen? Gut, gut, dieser Gedanke ist besser; daher nur zur Türe Nr. 1!
[BM.01_054,25] Schau, schau, da bin ich ja schon; es ist richtig Nr. 1! Aber wo
ist denn die Wiese? Schau, die ist schon weg; ich sehe nichts als einen sehr
dichten, grauen Nebel! Stellt sich denn dieser Spätherbstgast der Erde zuweilen
auch hier in der Geisterwelt ein? – Warum denn nicht? Gibt es doch himmlische
Wolken, warum sollte es da nicht auch einen himmlischen Nebel geben! Aber
hinausgehen werde ich nun doch nicht. Denn man kann eigentlich nicht wissen, wem
alles man in solch einem Nebel begegnen könnte!
[BM.01_054,26] Wie wäre es denn, so ich durch die Merkurstüre so einen wahren
Salto Mortale versuchte? Vielleicht käme ich da mit der Zeit mit diesem Planeten
in nähere Berührung und dadurch vielleicht gar auch mit der schönen
Merkurianerin, auf die ich – Gott verzeih mir meine Sünden! – eine wahre, wie
man im gemeinen Leben zu sagen pflegt, Vieh-Passion habe! Oh, oh, oh, – von der
nur so einen halben Kuß und ein wenig Busenbetastung! Oh, oh, oh, das müßte ja
eine wahre Götterlust sein! Also nur zur Merkurstüre! Ist sogleich die nächste
an dieser.
[BM.01_054,27] Da bin ich schon! Das ist die Türe; aber sie ist zu! Werde sie
aufmachen! – Wa – wa – was ist denn das?! Ah, das ist nicht übel! Die Tür ging
auf, und statt der Aussicht in die weite Merkursphäre sehe ich einen mit Speisen
reich besetzten Wandkasten! In der untern Etage ist auch eine ganz schöne
Batterie von Weinflaschen aufgestellt! Ja, wenn so, da bleibe ich offenbar ohne
weiteres hier! Lebe wohl, schöne Merkurianerin! Lebe auch du, unendlicher
Sonnenraum, sehr wohl; denn da ist mir diese enge, wohlbesetzte Tafel um sehr
vieles lieber!
[BM.01_054,28] Wahrlich, das ändert meine ganze Gesinnung! O Du mein lieber Herr
Jesus, das ist sicher Dein Werk! Oh, nun sind wir wieder ganz ausgesöhnt, du
mein liebster Buchhändler. Komm her, auf daß ich dich umarme! – Du kommst zwar
nicht, aber das macht nichts, ich habe dich darum doch von Herzen lieb! Nun aber
will ich gleich so eine Kommunion halten im Namen des Herrn!“
55. Kapitel – Vom Hunger und Durst unreifer Geister. Martin im angeheiterten
Zustand nach seinem Vespermahl. Die Ernüchterung des unternehmungslustigen
Martin durch den erzürnten Jupitler.
[BM.01_055,01] Nach diesen Worten macht sich Bischof Martin sogleich über ein
gutes Stück Brot her und verzehrt es mit einem starken Appetit. Denn so
irgendein Geist sich eine Weile von Mir abgewandt hat, wird er bald sehr hungrig
und durstig. Und bekommt er dann, so er ein wenig wieder in sich geht, etwas zu
essen, verzehrt er es mit großer Gier, desgleichen auch den Trank. Diese Gier
zeigt aber eben auch, wie leer der Geist in seinem Innern ist und daher von ihm
noch lange nicht viel Ersprießliches zu erwarten ist – was sich bei unserem
Martin sogleich zeigen wird.
[BM.01_055,02] Nachdem er nun das Brot verzehrt hat und darauf auch eine gute
Flasche Wein, wird er sehr lustig, dabei aber noch mehr sinnlich. Denn auch die
Geister, wenn sie nicht aus Mir und durch Mich wiedergeboren sind, können sich
berauschen, in welchem Zustande sie dann oft ganz dumm sinnlich ausgelassen
werden und ihre Freiheit dabei sehr mißbrauchen.
[BM.01_055,03] Als unser Bischof die Flasche geleert hat, macht er den
Wandkasten zu, damit sein Vorrat nicht verderbe nach seiner Idee. Dann geht er
hinaus ins Freie und spricht zu sich selbst:
[BM.01_055,04] (Bischof Martin:) „Gott sei Dank, nun hätt' mein schon sehr
hungrig gewordener Magen auch endlich wieder eine kleine Arbeit bekommen. Ich
aber will nun in diesem meinem Gärtchen ein wenig herumschlendern und frische
Luft einatmen.
[BM.01_055,05] Ja, ja, die frische Luft nach einer Mahlzeit ist bei weitem
besser als der dumme schwarze Kaffee, und, das muß ich sagen, die Luft dieses
Gärtchens ist wirklich das Beste an ihm.
[BM.01_055,06] Der Wein aber war schon auch so ein rechter Mondtropfen!
Sapprament! Ist eigentlich nur so ein schwaches Halberl gewesen, aber ich g'spür
ihn – was schon sehr viel sagen will, wenn ich einmal so ein Halberl g'spür! Bin
zwar nicht rauschig, aber ich g'spür ihn ganz ordentlich!
[BM.01_055,07] Wenn in diesem Gärtchen nur so ein Bänkchen wäre, auf das man
sich ein wenig niedersetzen könnte! So einem die Füße so ein wenig zu wackeln
anfangen, da wäre dieses Gärtchen nicht zu verachten. Aber da gibt es nichts
dergleichen und der Boden sieht eben auch nicht zu appetitlich aus!
[BM.01_055,08] Ich werde an die Umzäunung des Gartens mich begeben, mich dort
ein wenig anlehnen und einmal betrachten, was ich denn so ganz eigentlich für
eine Nachbarschaft habe, oder ob ich eine habe! Denn von irgendeiner Landschaft
ist hier wohl keine Spur zu entdecken, sondern die ganze Gegend gleicht einer
Sandwüste, über der noch dazu ein grau umwölkter Himmel ein sehr düsteres und
unfreundliches Gesicht macht. Also nur an den Zaun hin; wer weiß, was sich über
denselben alles wird erschauen lassen!
[BM.01_055,09] Sapperment, sapperment, ich sage es, 's Wein'l g'spür ich! Aber
nur an den Zaun!
[BM.01_055,10] Aha, da bin ich schon! Ahh, die Aussicht ist prächtig! Da sieht
man gar nichts! Dieser Garten samt meinem Palais royal scheint so eine Art
Schiff zu sein, das da auf den Wogen der Unendlichkeit herumschwimmt, wo es mit
irgendeiner Nachbarschaft verzweifelt schlecht aussieht. Ich bin also nun ganz
allein, vollkommen allein bin ich, und das wird ein wenig verflucht sein – und
verdammt obendarauf!
[BM.01_055,11] So, so, so – das ist nicht übel! Ich kann also wirklich nirgends
hin, über dieses Gärtchen nicht eine Spanne weit? Oh, das ist ja ganz verflucht!
Ich bin also so ganz geheim verflucht?! Deswegen also solche Sentenzen auf der
weißen Tafel? Deswegen also richtig dies irae, dies illa? Da werde ich nun
einstweilen bis zum jüngsten Tage – requiescam in pace. Dann aber wird über mich
erfolgen die allerschönste ewige Verdammnis! O wehe, o wehe mir Armen!
[BM.01_055,12] Wenn ich nur beten könnte, so einen Rosenkranz nach dem andern
und eine heilige lauretanische Litanei nach der andern, die von großer Kraft und
Wirkung ist, da könnte mir vielleicht doch noch geholfen werden. Aber ich kann
nicht beten, und es kommt mir auch vor, als wollte ich's nicht, wenn ich's auch
könnte! Ich kann höchstens noch herausbringen: ,Herr, erbarme Dich meiner;
Christe, erbarme Dich meiner; Herr, erbarme Dich meiner!‘ Weiter aber geht es
auf keinen Fall!
[BM.01_055,13] Ja, was schaue ich denn aber auch da in dieses dümmste Nichts
hinaus? Zurück mit dir ins Haus! Da werde ich mich wieder an die Sonnentüre
hinmachen, von der man doch wenigstens die schöne Sonne sieht! Oder – halt! Ich
gehe einmal an die Mondtüre! Vielleicht treffe ich da meinen Mondweisen; der
soll mir anzeigen, was ich zu tun habe, um möglicherweise vielleicht doch in ein
etwas besseres Los zu gelangen! Also nur ins Haus hinein und da an die Mondtür!
–
[BM.01_055,14] Da wär' ich wieder! Schau, das Innere dieses Hauses sieht noch
überaus herrlich aus; es bleibt sich gleich! Ah, da bleib' ich von nun an
ununterbrochen im Hause, es ist wirklich hier sehr angenehm! Aber nun an die
Mondtür!
[BM.01_055,15] Holla, da wäre ich bald hergefallen! Du Wein'l du; das will noch
nicht so recht aus dem Kopf heraus. Aber das macht nichts. Da ist schon die
Mondtür und offen auch noch dazu! Aber – o du verzweifelter Kerl von einem Mond
– wie weit steht er von hier! Da wird sich mit dem Mondweisen eben nicht viel
reden lassen! Ist zwar gerade Vollmond, aber er steht ja von hier noch weiter
als von der Erde ab, da ist also nichts!
[BM.01_055,16] Werde mich einmal aber an den Jupiter machen; vielleicht ist der
nicht gar so g'schämig wie der keusche Mond?
[BM.01_055,17] Da ist schon die Pforte zum großen Jupiter! Schau, diese ist zu!
Werde sie aufzumachen versuchen! Hephata (tue dich auf)! Da siehe einmal, die
ging leicht auf! Und, Gott sei Dank, dieser Großmogul unter den Planeten ist
wirklich ganz nahe da; ja er kommt stets noch näher! O Gott sei Dank, da werde
ich etwa doch einmal zu einer respektabeln Menschengesellschaft gelangen!
[BM.01_055,18] Richtig, richtig, da kommt schon einer gerade auf mich zu, und
nun ist der Planet auch völlig da! O Gott, o Gott, was sind das für furchtbar
weite Ausdehnungen der Ländereien! Nun kommt es mir vor, als stünde mein Haus
selbst auf dem Boden dieses Riesen der Planeten!
[BM.01_055,19] Der schöne, große Mann steht mir zwar gerade vor dem Gesichte und
ist ein Riese. Aber er scheint mich nicht zu bemerken, weil er sich gar nicht
nach mir umschaut! Werde einmal in seine Sphäre treten – vielleicht wird er mich
dann wohl erschauen?“
[BM.01_055,20] Bischof Martin tritt nun in die Sphäre des Jupitlers. Dieser
ersieht ihn und fragt ihn sogleich:
[BM.01_055,21] (Der Jupitler:) „Wer bist du, der du es wagst, dich mir zu nahen
voll Schmutz und Unflat, voll Trug und voll Hurerei: lauter Schändlichkeiten,
die meiner großen Erde völlig unbekannt sind? Meine Erde ist ein reines Land und
würde gewaltigst erzürnt werden, so sie von dir länger betreten würde. Daher
weiche zurück in dein Schmeißhaus, wo du fressen und huren kannst im Vollmaße
deiner Schändlichkeit – oder ich zerreiße dich!“
[BM.01_055,22] Bischof Martin macht nun einen Satz ins Innere seines Hauses,
wirft eilends die Tür hinter sich zu und sagt zu sich: „Gehorsamer Diener – den
Kerl könnte ich gerade noch brauchen als Zugabe zu meinem Elende! Lebe wohl,
Herr von Jupiter, wir sind für ewig quitt! Nein, das ginge mir gerade noch ab!
Zerreißen? Ganz gehorsamer Diener! Da habe ich's letzte Mal hinausgeschaut!“
56. Kapitel – Martins vergeblicher Versuch zu schlafen. Überraschung durch eine
Schar Unglücklicher, deren sich Martin erbarmt.
[BM.01_056,01] (Bischof Martin:) „Aber was fange ich jetzt an, wo wende ich mich
nun hin? Gehe ich etwa zur Tür des Mars, der Venus, oder soll ich zu den Türen
des Saturns, des Uran, des Miron (der neu entdeckte Planet Neptun) oder der
mehreren kleinen Planetchen hingehen? Am Ende begegnet mir noch Gröberes, noch
Unverschämteres! Was dann? Denn von einer ,Gegenwehr‘ von meiner Seite kann da
keine Rede sein, wo ich's weder mit der Kraft noch mit der Weisheit mit jemandem
aufnehmen kann!
[BM.01_056,02] Ich bleibe sonach für die Zukunft von allen Türen ferne und werde
mich in irgendeinen Winkel hinmachen und da gleich einem Igel zusammenkauern und
versuchen, ob es denn da nicht möglich ist, zu einem Schlafe zu kommen. Läßt
sich das nicht tun, so will ich wenigstens ganz unbeweglich liegenbleiben in
alle Ewigkeit und werde keine Nahrung nehmen und auch kein Wort mit jemandem
mehr verlieren – möge da kommen, wer da wolle! Kurz und gut, ich werde tot sein
für jedermann, sogar für die schöne Merkurianerin! Also alles Gott befohlen von
nun an!
[BM.01_056,03] Weil ich nicht aufhören kann zu sein, so will ich mich aber
dennoch in eine Ruhe begeben, aus der mich kein Gott mehr erwecken soll. Dort
seh' ich schon so ein Plätzchen. Nur hin – dort will ich liegenbleiben in alle
Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen.“
[BM.01_056,04] Bischof Martin begibt sich nun wirklich hin in eine Nische
zwischen den Pfeilern, die die Galerie tragen. Er legt sich da hinein, ganz
zusammengekauert, und versucht zu schlafen: aber natürlich – mit dem Schlafe
geht es da nicht. –
[BM.01_056,05] Nachdem er aber ungefähr nach irdischer Zeitrechnung bei zwei
Stunden liegt, entsteht außerhalb des Hauses ein großes Getöse, etwa wie das
eines sehr heftigen Orkans, unter dem sich Menschenstimmen vernehmen lassen
also, als suchten sie Hilfe.
[BM.01_056,06] Als solches Bischof Martin vernimmt, da erhebt er sich
blitzschnell und sagt: „Ah, das ist was anderes; bei so was kann man nicht ruhig
verbleiben. Da kann auch von meiner mir vorgenommenen ewigen Ruhe keine Rede
sein. Nur schnell hinaus! Das sind Notleidende, denen muß geholfen werden!“
[BM.01_056,07] Mit diesen Worten springt der Bischof eiligst hinaus und ersieht
außerhalb seines Gärtchens wirklich eine Menge wie verfolgter Geister, die da
Hilfe und Rettung suchen. Bei diesem Anblicke eilt er zum Gartenpförtchen, macht
es auf und ruft allen den Verfolgten zu:
[BM.01_056,08] (Bischof Martin:) „Hierher, hierher, ihr Freunde, ihr lieben
Brüder alle – hier ist ein sicherer Ort! Hier seid ihr vor jeglicher Verfolgung
sicher. Und so es euch hungert und dürstet, wird sich auch noch Rat schaffen
lassen! Kommt sonach nur alle herein! Wie viele sind euer an der Zahl?“
[BM.01_056,09] Spricht einer zunächst am Martin: „Wir sind unser bei Tausend an
der Zahl, lauter elendeste arme Teufel! Wir sind der Hölle entlaufen und irren
nun schon eine halbe Ewigkeit in dieser schrecklichen, endlosen Wüste herum und
finden weder Dach noch Fach, da wir uns verbergen und nur ein wenig erholen
könnten. Ach, ach, ach, das ist ein schreckliches Los, ewig ohne Ruh' und Rast
verfolgt zu werden! Hast du, Edler, aber irgendeinen Winkel, der uns nur einige
sichere Ruhe gönnen könnte, so nimm uns alle auf und rechne auf unsere
Dankbarkeit.“
[BM.01_056,10] Spricht Bischof Martin: „Freund und Freunde! Hier ist das
Pförtlein – kommt, kommt, kommt nur alle herein! Mein Haus sieht zwar nicht groß
aus von außen. Aber ich stehe euch dafür, wir werden alle hinreichend Platz
darinnen finden!“
[BM.01_056,11] Nach diesen Worten strömen die Verfolgten nun alle in den Garten
und von da ins Haus. Alle sind voll des höchsten Staunens, als sie das Innere
des Hauses so überaus herrlich und geräumig finden.
[BM.01_056,12] Der erste umarmt gleich den Bischof Martin und spricht im Namen
aller: „O du seligster Freund, wie herrlich ist es bei dir! Es ist das erste
Licht seit Milliarden von irdischen Jahrtausenden! Seit wir die Erde verlassen
haben, drang kein Lichtstrahl mehr in unsere Augen! O Licht, Licht, Licht, wie
endlos herrlich bist du! O Freund, laß uns nimmer von hier ziehen – oh, behalte
uns!“
[BM.01_056,13] Spricht Bischof Martin: „Warum nicht gar, ich werde euch von hier
lassen? Ich bin ja selbst froh, daß ich an euch eine so reiche Gesellschaft
gefunden habe. Ihr bleibet bei mir ewig; macht's euch nur bequem. Ich habe
freilich selbst nicht viel zum besten hier in diesem meinem Himmel. Aber was ich
habe, das teile ich ja gerne unter euch, und wenn da auch für mich nichts
bliebe. Gott sei's gedankt, daß ich endlich einmal eine Gesellschaft gefunden
habe!
[BM.01_056,14] Wahrlich, an euch habe ich nun meine größte Freude! Ja, ihr seid
mir lieber als alle sogenannten himmlischen Engel Gottes, die in ihrer
Glückseligkeit einen armen Teufel eine ganze Ewigkeit vergessen können und gar
nicht bedenken können oder wollen, wie es einem Unglücklichen zumute ist. Ich
sage euch: Der Herr allein ist gut, das muß ich sagen. Aber alles andere
himmlische Gesindel kann mir ewig vom Halse bleiben! Denn dieses hat euch einen
Weisheitsdünkel, der für einen geraden, ehrlichen Kerl, wie ich es bin und ihr
es sicher alle seid, geradezu stinkt! Aber wie gesagt: Gott, den Herrn Jesus,
nehme ich aus! Der ist wirklich gut; ja Er ist sehr gut!“
[BM.01_056,15] Spricht wieder ein anderer aus den tausend: „Ja, ja, du hast
recht: Der ist wirklich gut! Ihm alles Heil, so Er irgend Einer ist! Aber auf
alles andere Himmelsgesindel halten auch wir alle nichts, dich, lieber Freund,
ausgenommen!“
[BM.01_056,16] Spricht Bischof Martin: „Liebe Freunde, bei mir hat der Himmel
gute Weile, denn ich stehe mit euch so ziemlich auf einem Punkte. Doch wir haben
noch Zeit nachher in Ewigkeit, über unsere Verhältnisse uns nach Muße zu
verständigen. Daher wollen wir uns zuerst nach einer Magenstärkung umsehen.
Nachher erst wollen wir unseren Herzen den freiesten Lauf gönnen. Kommt nun
einige von euch mit mir her zu diesem Wandschrank, da habe ich einen kleinen
Vorrat für Hungernde und Dürstende!“
57. Kapitel – Die Erquickung der Elenden. Ihr Dank und ihre Klagen über das
Erlebte. Die Rede des Geretteten und Martins Antwort.
[BM.01_057,01] Bischof Martin macht nun die Tür auf und findet zu seinem eigenen
großen Erstaunen diesen Schrank vollgepfropft mit Brot und Wein. Er spricht
zuerst bei sich: „Gott sei Dank – schon meinte ich der Angesetzte zu sein! Denn
hier verändert sich ja gleich alles. – (Dann laut zu der Gesellschaft:) Da nehmt
und sättigt euch nach Herzenslust!“
[BM.01_057,02] Und alle nehmen davon und essen und trinken; aber der Vorrat geht
nicht aus, sondern mehrt sich sichtlich. Die Gesättigten aber loben ihren Wirt
über die Maßen und bekommen viel schönere Züge und eine hellere Farbe im
Gesichte; nur mit der Kleidung sieht es noch sehr jämmerlich aus.
[BM.01_057,03] Als in kurzer Weile alle die tausend gesättigt sind und ihrem
Wirte alles erdenkliche Lob gespendet wird, macht Bischof Martin den Wandkasten
wieder zu und spricht zu seiner Gesellschaft: „Höret ihr alle, meine lieben
Brüder und Schwestern, von denen ich soeben einige als solche erkannt habe.
Macht nicht soviel Aufhebens mit euerm Lobe an meine außerordentliche Wenigkeit.
Denn seht, mir macht das darum keine Freude, weil ich durchaus nicht der
eigentliche Geber bin, sondern nur ein schlechter Austeiler dessen, was ich
sicher zu dem Behufe vom Herrn Jesu Selbst unverdientestermaßen erhalten habe.
[BM.01_057,04] So ihr sonach schon jemanden loben wollt, da lobet Jesus, den
Herrn! Vorausgesetzt, daß ihr je von Ihm was vernommen habt, – was ich bei euch
allen um so weniger voraussetze, da ihr eurer Aussage nach schon eine undenklich
lange Zeit hier im Geisterreiche euch befinden müßt. In solchem Falle wäre es
aber dann auch nötig, daß ihr von diesem alleinigen Gott und Herrn Jesus irgend
einige Notiz nehmen möchtet!“
[BM.01_057,05] Spricht einer aus der großen Gesellschaft: „Freund, du wirst etwa
doch nicht den Juden Jesus meinen, der da an den Schandpfahl geheftet wurde mit
noch ein paar Raubmördern?“
[BM.01_057,06] Spricht Bischof Martin: „Ja, Freunde, ja, gerade Den meine ich!
Dieser ist wirklich Gott und Mensch zugleich! Er ist der Urgrund aller Dinge!
Außer Ihm gibt es ewig keinen andern Gott in der ganzen ewigen Unendlichkeit!
[BM.01_057,07] Glaubet mir das, denn ich versichere euch: es hat wohl nie
jemanden mehr Mühe gekostet als mich, so etwas anzunehmen! Mit Worten hätten mir
das auch alle Erzengel nicht beigebracht. Aber da kam der Herr Jesus Selbst zu
mir und lehrte mich durch rein nur Gott mögliche Taten, daß Er es ist: der
alleinige Herr der Unendlichkeit! Und so bin ich darin nun ebenso stark, als ich
ehedem über alle Maßen schwach war.
[BM.01_057,08] Ich meine, so ihr das beherziget, da kann es euch unmöglich mehr
schwer werden, mit mir alles zu teilen, wie die Wohnung und Brot und Wein, so
auch meine Überzeugungen!“
[BM.01_057,09] Sprechen mehrere aus der Gesellschaft: „Wie recht, wie recht! Das
versteht sich von selbst, wir wollen dir in allem gleichen! Wir haben freilich
auf den Jesus bei unsern Lebzeiten eben kein großes Vertrauen gehabt. Und hier
in der Geisterwelt um so weniger, weil wir zu hart gehalten wurden und von der
göttlichen Milde nirgends auch nicht die leiseste Spur entdecken konnten. Von
einem Jesus war daher auch bis jetzt keine Rede mehr, außer daß Er samt uns
irgend als ein armer, betrogener Teufel schmachtet und alles verwünscht, was Er
je auf der Erde getan und gelehrt hat!
[BM.01_057,10] Aber wenn die Sache sich so verhält, wie du, lieber Freund, sie
uns eben mitgeteilt hast, ist uns alles eins. Sei da Gott, wer da will, und
heiße Er, wie Er will, wenn Er nur Einer ist, auf den man sich verlassen kann!
[BM.01_057,11] Nur das eine ist uns etwas unbegreiflich, wie dieser dein guter
Jesus uns arme Teufel eine so endlose Zeit hat können herumhetzen ohne Speise
und Trank? Wahrlich, Freund, da hat ganz verdammt wenig Liebe und Barmherzigkeit
herausgeschaut! Freilich ist jetzt alles gut. Aber an alle die Martern, die wir
ausgestanden haben, dürfen wir nicht zurückdenken, sonst ist es aus mit unserer
Liebe zu dem ewigen Seelenhetzmeister.
[BM.01_057,12] Es ist zwar wohl wahr, daß wir alle auf der Welt uns um Seine
Religion wenig oder gar nicht gekümmert haben und gingen unseren Gelüsten nach.
Aber wir waren sonst doch ehrliche und honette Menschen aus den besten Häusern.
Wir sind wie Kavaliere erzogen worden und lebten dann auch solcher Erziehung
gemäß. Ein weiser Gott aber sollte das doch einsehen, daß sich kein Mensch
selbst erschaffen und ebensowenig erziehen kann, wie er will!? Aber es sei nun,
wie es wolle, die niederträchtigste Hetzerei hat nun ein Ende hoffentlich; daher
sei Jesus von uns aus auch verziehen, was Er an uns allen getan hat.“
[BM.01_057,13] Tritt ein anderer vor und spricht: „Hast wohl recht im Grunde,
denn verzeihen ist schöner als sich rächen wollen. Aber ich werde dennoch mit
dem vollen Verzeihen etwas innehalten. Denn du weißt es, wie ich 1000 Jahre nach
meinem und euerm Gefühle zwischen zwei glühende Felsen eingeklemmt war und habe
mehr gebetet und geflucht, als es da gibt des Sandes im Meere. Und hättet ihr
durch eure äußerste Anstrengung mich nicht gerettet, so befände ich mich jetzt
noch in dieser unerhört schmerzlichen Felsenpresse; ein allmächtiger Herr Jesus
hätte diese Höllentortur nicht um ein Haar gemildert.
[BM.01_057,14] Wisset, so was ist denn doch kein Spaß. Man merkt sich so etwas
sehr leicht für ewig. Wahrlich, für so ein ewiges Leben wird sich sicher
jedermann bedanken! Ich bin gerade auch kein Rache sinnender Geist, denn es wäre
doch die scheußlichste Dummheit, so sich ein beschränkter Geist gegen einen
allmächtigen Gott auflehnen wollte. Aber merken kann man sich das allerdings.
Verstehst schon, was ich unter ,merken‘ verstehe!“
[BM.01_057,15] Spricht Bischof Martin: „Ja, ganz ja, und gut ist deine Bemerkung
– habe ich doch selbst noch so einige Merkspitzel in mir, die mich noch manchmal
ganz gewaltig stechen! Aber ich sage euch auch, was da wahr ist: der Herr Jesus
hat daran nicht die geringste Schuld, sondern allzeit der nur, den es betrifft.
Und oft wohl auch Seine, des Herrn himmlische Beamte, die nicht selten nach
einer Willkür handeln, von der ihr noch gar keinen Begriff habt!
[BM.01_057,16] Es läßt sich das freilich am Ende alles mit der Weisheit
entschuldigen. Aber wehe dem, der unter solch eine Weisheitsscheibe zu stehen
kommt: für den wäre es wahrlich endlos besser, so er nie wäre geboren worden!
Daher ist der Herr auch allzeit zu entschuldigen und hoch zu loben, so Er fast
allzeit in die Willkür solcher Geister eingreift und ihre Weisheit beschämt.
[BM.01_057,17] Oh, diese himmlischen Engel sind Trotzköpfe ohnegleichen, so sie
allein sind. Nur wenn der Herr kommt, da ziehen sie freilich gleich den Schweif
von einem Mute ein und tun so süß und bescheiden, als so sie alle Weisheit aus
der Demut mit dem großen Löffel gefressen hätten!
[BM.01_057,18] Seht, das weiß ich alles und habe darum Jesus erst recht lieb.
Tut demnach, wie ich's tue, so werden wir miteinander die ganze Ewigkeit leicht
auskommen! Euer Wahlspruch sei: ,Der Herr Jesus allein ist lieb und gut!‘ Alles
andere aber gehört rein der Sau zu, und Petrus und Paulus sind selbst keinen
Schuß Pulvers wert.
[BM.01_057,19] Nur das einzige gebt mir kund, wann ihr so ganz eigentlich die
Erde verlassen habt müssen? Denn das sehe ich zufolge eures Gesprächs schon ein,
daß ihr vor Christus nicht gelebt habt, da ihr um dessen nähere Verhältnisse zu
wissen scheint, wie auch um die der römischen Kirche. Ihr waret also nach
Christus erst zur Welt gekommen! Das ist klar; aber in welcher Zeitperiode, das
allein gebet mir, so ihr's wollt, näher kund. Denn auf diese geisterweltliche
Gefühlszeit kann man sich nicht verlassen, weil sie einem armen Sünder eine
Stunde für eine ganze Million Jahre kann empfinden machen – was ich selbst
leider nur zu deutlich empfunden habe!“
58. Kapitel – Näheres über die neue Gesellschaft von männlichen und weiblichen
Dienern Roms. Ein römisch-chinesischer Missionar.
[BM.01_058,01] Spricht einer aus der GeselIschaft: „Lieber Freund und Bruder!
Wir alle haben im Jahre 1846 nach Christi Geburt die Erde verlassen. Auf der
Erde lebten wir sehr zerstreut und haben uns erst hier in der Geisterwelt so
eigentlich zusammengefunden. Denn wir waren auf der Erde Mönche aus dem Orden
der Jesuiten, Liguorianer, Minoriten und Karmeliter. Wir sind männlicherseits
bei 800 an der Zahl; die 200 Schwestern sind zum Teil aus dem Orden der
,Barmherzigen‘ und zum Teil aus dem Orden der ,Schulschwestern‘ und
,Herz-Jesu-Damen‘.
[BM.01_058,02] Nun weißt du, unser aller lieber Freund und Bruder, wann wir auf
der Erde gelebt haben und was wir waren. Alles andere kannst du dir leicht
selbst denken, was wir alles für Narrheiten haben ausführen müssen, wie uns Rom
in die ganze Welt aufs Fischen hinausgesandt hat. Und wie wir für diese saure
Ehre uns zum Teil in Asien, zum Teil im glühenden Afrika und Australien und auch
in Amerika haben müssen die Köpfe abschlagen lassen. Und als wir dann, hier in
der Geisterwelt anlangend, meinten, als offenbare Märtyrer sogleich die Krone
der ewigen Glorie zu erreichen, da erst ging das Elend so recht radikal an!
[BM.01_058,03] Wie ich dir sage, du bist nach wirklichen oder bloß nur gefühlten
Trillionen von Erdenjahren – was ein Teufel ist – das erste menschliche Wesen,
dem wir in dieser endlosen Wüste begegneten. Ist das nicht scheußlich – so ein
Lohn für unsere märtyrerischen Mühen auf der Erde? Ach, wie große Esel sind doch
die Menschen auf der Erde! Wir aber waren doch sicher die allergrößten!
[BM.01_058,04] Freilich, wohl glaubten wir alles das, was wir den andern
Menschen mit glühendsten Zungen lehrten, nicht im geringsten – denn unser Motiv
war nur Rom und die goldenen Fische für uns und für Rom. Aber Christus haben wir
dennoch gepredigt und viele Heiden zum Christentum bekehrt – und haben uns am
Ende noch müssen martern lassen. Welchen Lohn wir hier dafür geerntet haben, das
zeigt dir unser namenloses Elend in dieser Welt.
[BM.01_058,05] Ich bin ganz besonders gut zum Teile gekommen! Ich war in China
und hatte dort, dieser Sprache mächtig, zehn Jahre hindurch recht gute Geschäfte
gemacht. Ich drang vor und kam mit Hilfe einer wunderschönen Chinesin sogar vor
den Hof. Da aber entlarvte sich diese Bestie, die ich leider zu tief in meine
Geheimnisse eingeweiht hatte, und verklagte mich sogleich bei der höchsten
Behörde des Betrugs und meiner andern Absichten, die freilich auch einen
Hochverrat im Schilde führten.
[BM.01_058,06] Ich wurde ergriffen und sogleich zwischen zwei steinerne Platten
gesteckt und festgeklemmt. Zu deren beiden Seiten fingen die Mandarins zu heizen
an, wodurch diese Platten nach und nach stets mehr erhitzt und ich langsam
gebraten wurde. Diese Todesart ist doch sicher die schmerzvollste, und man
sollte glauben, damit alle Todsünden abgebüßt zu haben; allein, höre! Diese
Marter ward an mir auch nach dem Tode fortgesetzt durch jene zwei glühenden
Felsen, deren ich schon früher erwähnt habe.
[BM.01_058,07] Das war der Lohn für meine vielen irdischen Mühen bisher; was
noch folgen wird, weiß ich nicht. – Ich glaube, du wirst nun so ziemlich mit
unserm Wesen und Lose vertraut sein. Wir sind mit einem Worte kreuzarme Teufel
nun, und du tust an uns ein gutes Werk; der Herr, so Er irgend Einer ist,
entgelte dir's!“
[BM.01_058,08] Spricht Bischof Martin: „Oh, nun weiß ich auf einmal mehr, als
ich eigentlich wissen wollte! Aber das macht nichts; wir bleiben deshalb noch
gute Freunde! Bringt mir aber die Klosterjungfern her, auf daß ich auch von
ihnen erfahre, wie sie zu euch und hierher gelangt sind!“
59. Kapitel – Die Werkheiligkeit der römischen Klosterschwestern. Wie die
Arbeit, so der Lohn!
[BM.01_059,01] Der Redner begibt sich sogleich zurück gegen die Tür dieses
Hauses, wo sich die Schwestern befinden, beruft sie und führt sie dann dem
Bischof Martin vor.
[BM.01_059,02] Als sie nun samt und sämtlich sich um Bischof Martin befinden,
fragt dieser sie sogleich: „Liebe Schwestern und Damen, wie sieht es denn
eigentlich mit euch aus? Wie seid denn ihr in solches Elend gekommen? Ihr habt
doch sicher gebeichtet und genug kommuniziert und habt Chor gesungen und
zahllose Rosenkränze herabgebetet, wennschon manchmal vielleicht mehr
geschnattert als gebetet.
[BM.01_059,03] Auch an anderen Andachtsübungen wird es nicht gemangelt haben.
Auch habt ihr sicher alle Fasttage streng gehalten und habt in großen Ehren
gehalten die heiligen Reliquien, den Weihbrunn und den Weihrauch und Glocke und
Glöckchen. Auch habt ihr in euerm sonstigen Amtswesen sicher unverdrossen eure
Pflichten erfüllt. Es fragt sich daher hier, wie ich euch gleich anfangs gefragt
habe: Wie möglich wohl seid ihr in dieses Elend gekommen?“
[BM.01_059,04] Spricht eine von den Barmherzigen Schwestern: „O du lieber
Freund, das alles wird der liebe Herrgott besser wissen als wir! Ich sage dir:
ich und auch alle diese Schwestern meines Ordens waren wahre Märtyrerinnen!
[BM.01_059,05] Tag und Nacht waren wir auf den Beinen; unverdrossen pflegten wir
die Kranken; taten manchmal sogar mehr, als was uns die ohnehin allerstrengste
Ordensregel auferlegte. Wir fasteten dabei und beteten ohne Unterlaß; wir gingen
wöchentlich mehrmals zur Beichte und Kommunion. Und so uns manchmal dennoch
ehestandliche, sinnliche Gedanken kamen, da schrien wir laut: ,Jesus, Maria und
Joseph, stehet uns bei und bewahret unsern keuschen Leib vor solchen
Teufelsanfechtungen!‘
[BM.01_059,06] Und hat das dreimal nacheinander noch nichts genützt, da liefen
wir in die Kirche. Half auch diese nicht, da kasteieten wir uns oft blutig und
legten uns die allerschärfsten Zilizien an den bloßen Leib; und hatte manchmal
auch das nicht den erwünschten Erfolg, so hat dann freilich müssen der
Beichtvater mit exorzistischen Mitteln zu Hilfe kommen, die aber leider nur bei
den jüngeren Schwestern mit Nutzen konnten angewendet werden. Bei uns älteren
mußten dann eiskalte Bäder statt des Exorzismus angewendet werden, mitunter auch
ein Aderlaß.
[BM.01_059,07] Siehe, du liebster Freund, so strenge war unser Leben; ja mancher
Kettenhund hätte uns darum sicher nicht beneidet, so er Verstand hätte!
[BM.01_059,08] Daß wir für solche Strapazen hier die himmlischen Freuden mit
Recht erwarteten, wird etwa für unser wahres Kettenhundeleben auf der Welt doch
nicht zu unbillig sein? So erwarteten wir solches mit ungezweifelter Zuversicht,
wie es allen verheißen ist, die um Christi willen auf der Welt alles verlassen
und sich wegen der himmlischen Glorie den schmalen, dornigsten Kreuzespfad
erwählt haben!
[BM.01_059,09] Aber da siehe nun unsere erhoffte himmlische Glorie! Sehen wir
nicht aus wie die barsten Blocksberghexen? Die Gesichtsfarbe dunkelgrau, die
Kleidung besteht aus den schmutzigsten Fetzen. Fett sind wir schon wie die
Mumien, die man dann und wann in den Wüsten Afrikas findet, und hungrig wie ein
Haifisch und durstig wie die Sandwüste Sahara! Das ist nun unser so bestimmt und
gewiß erhoffter Himmel! Was soll man sich von solch einer göttlichen
Gerechtigkeit wohl für einen Begriff machen?
[BM.01_059,10] Als ich von der Welt hier anlangte, da sah ich wohl ein sehr
schlechtes Mensch, die nichts als eine Hure war, von leuchtenden Engeln abholen
und sie gegen den Himmel führen – so eine Kanaille! Zu mir aber kam bis jetzt
noch keine Katze, geschweige erst ein besseres Wesen aus dem Himmel! Frage: Ist
das auch eine Gerechtigkeit?! Ach, ist das doch ein Elend, ist das ein Elend!
[BM.01_059,11] Ich habe so manche ehrliche Mädchen, die jung, reich und schön
waren, zu meinem Orden gebracht, die mir nun fluchen, daß ich sie so schändlich
geprellt hätte. Das geht mir nun gerade auch noch ab! Für solch meinen Eifer gar
noch eine verdammliche Verantwortung vor dem ewigen Richter!“
[BM.01_059,12] Hier treten mehrere jüngere Barmherzige Schwestern hervor und
schreien: „Ja, ja, ja – du altes Luder, du alte Bestie bist an allem schuld!
Hast du dir nicht die Zunge nahezu bis in den Magen hinab ausgeschrien, um uns
zu überreden für deinen barmherzigen Lumpenorden? Als wir den Profeß nicht
ablegen wollten – da wir in der Welt doch bessere Aussichten hatten, als wir sie
in deiner Hurenanstalt kennenlernten – liefst du da nicht zum Tod und allen
Teufeln, damit uns nur der Austritt verleidet wurde?!
[BM.01_059,13] Und als wir – zum größten Teil gezwungen – den schmählichen
Profeß ungefähr so ablegten, wie ein Rekrut den militärischen Treue-Eid schwört,
nämlich unter ,Du mußt, sonst bist du des Teufels!‘, – da wurden wir dann
behandelt ärger als die ärmsten Seelen im Fegfeuer oder gar in der Hölle selbst.
Wir durften bei strengster Ahndung nicht einmal unsern lieben Eltern auch nur
eine Silbe vermelden, wie schändlich und schmählich wir gehalten wurden! Nur dem
Beichtvater durften wir klagen, und das nur im Beichtstuhle, weil er über eine
solche Anklage dann selbst verstummen mußte!
[BM.01_059,14] Wir fordern nun den verheißenen Himmel von dir, und das mit mehr
Recht als du den deinigen! Wo ist er? Führe uns hin, – oder wir vergreifen uns
an dir für ewig!“
[BM.01_059,15] Die erste Nonne wirft sich nun vor dem Bischof Martin nieder und
fleht ihn um Schutz an.
60. Kapitel – Martin als Friedensstifter. Die werkheiligen Torheiten der
Schulschwestern und ihre jenseitigen Folgen. Martins Mahnung.
[BM.01_060,01] Bischof Martin aber spricht hier: „Höret ihr alle, meine lieben
Schwestern! Lasset den Herrn Jesus allein entscheiden unter euch; Er allein ist
ein gerechter Richter! Ihr aber vergebet einander von Herzen, so wird alles gut
werden. Dies mein Haus ist ein Haus des Friedens und der Liebe, und nicht ein
Haus der Rache! Daher beruhigt euch und seid frohen Mutes, darum ihr hier bei
mir eine so gute Unterkunft gefunden habt – sicher nur durch die unsichtbare
Gnade des Herrn! Werdet ihr euern Haß in Liebe umgestalten, da werdet ihr schon
auch zu einem bessern Aussehen gelangen!
[BM.01_060,02] Es gehen aber auf der Welt gar viele einen verkehrten Weg der
Tugend; wie solltet davon ihr eine Ausnahme sein! Ihr habt zwar viel getan, aber
nicht des Herrn, sondern des Himmels wegen, – und das ist noch lange nicht
evangelisch! Man muß alles tun und dann erst ausrufen: ,Herr, siehe, ich war ein
fauler Knecht! O Herr, sei mir, Deinem nutzlosesten Knechte, gnädig und
barmherzig!‘ Wenn ihr, meine lieben Schwestern, so urteilen werdet über euch und
werdet einander nicht richten und verdammen, da werdet ihr schon Gnade vor Gott
finden!
[BM.01_060,03] Wisset ihr denn nicht, was da der weise Lehrer Paulus spricht,
der für sich auch ein schlechter unnützer Knecht ist und sein Tun nicht achtet,
sondern allein die pure Gnade des Herrn? Sehet, dieser Lehrer spricht: ,Du wirst
nicht aus deinem Verdienste, sondern lediglich durch die Gnade des Herrn selig
werden!‘ – Beherziget das und werfet all euere vermeintlichen Verdienste dem
Herrn zu Füßen! Bekennet vor Ihm die volle Nichtigkeit alles dessen, was ihr
bisher als etwas Verdienstliches zum ewigen Leben angesehen habt, so wird die
Gnade des Herrn sogleich über euch ersichtlich werden!
[BM.01_060,04] Sehet, ich war gar ein Bischof auf der Welt und glaubte auch, so
ich aus der Welt gehen werde, daß mir da gleich ganze himmlische Scharen
entgegenziehen würden. Aber, dem war ganz anders! Ich selbst habe noch bis jetzt
den eigentlichen Himmel nicht gesehen, obschon ich mit dem Herrn schon sehr oft
geredet habe und dies Haus auch unmittelbar aus Seiner allerheiligsten Hand
empfing. Wie wollt demnach ihr schon mit aller Glorie gekrönt sein? Daher nur
Geduld, Sanftmut und Liebe und einen heitern Mut angezogen, alles andere wird
sich dann schon von selbst geben!“
[BM.01_060,05] Die Barmherzigen Schwestern treten nun ganz besänftigt zurück.
Bischof Martin ruft die Schulschwestern vor, die sich während dieser Belehrung
in einem Winkel soeben ein wenig die Augen auskratzen wollten, und fragt auch
sie, wie und auf welche Art sie in dies Elend gelangt sind und wo sie auf der
Erde eigentlich gelebt haben.
[BM.01_060,06] Und eine von diesen antwortet: „O geliebtester, hochgeehrtester,
allerhochwürdigster Freund! Wir sind nicht alle von einem Orte, sondern sind
teils aus Frankreich, teils aus der Schweiz, aus Welschland und Tirol und teils
auch aus der Steiermark.
[BM.01_060,07] Wir lebten übermäßig fromm: Tag für Tag beteten wir wenigstens 14
Male, und allzeit wenigstens eine Viertelstunde lang; täglich wohnten wir einer
heiligen Messe bei und fehlten nie bei der Vesper. Sonn- und feiertags wohnten
wir wenigstens drei Messen bei, einer Predigt und der nachmittäglichen Litanei
und beiden ,Segen‘. Wir gingen wöchentlich, besonders in der Advents- und
Fastenzeit zum wenigsten dreimal beichten und empfingen täglich das
allerheiligste Altarsakrament. Wir fasteten alle Wochen fünfmal zu Ehren der
allerheiligsten Fünf Wunden und gaben uns am Freitage zu Ehren der
allerseligsten Jungfrau Maria 7 Schmerzensstreiche, und zwar 4 auf die linke und
3 auf die rechte Brust mit Strick oder Rute.
[BM.01_060,08] Die übrige Zeit widmeten wir frommen Betrachtungen und dem
Unterrichte junger Mädchen. Dabei richteten wir unser Augenmerk hauptsächlich
darauf, daß in den jungen Herzen schon frühzeitig der Drang erwachen sollte –
wenn aus finanziellen Rücksichten möglich –, so früh als möglich in unsere
Fußstapfen zu treten und all ihr irdisches Erbe Gott zu Füßen zu legen, um so
eine reine und würdige Braut Jesu Christi zu werden!
[BM.01_060,09] Ebenso durfte auch keine von uns mit unverschleiertem Haupte auf
die Straße und bei strengster Ahndung keinen weltlichen Mann ansehen: nicht
einmal einen Weltpriester, sondern allein nur einen heiligen Bruder aus dem
Orden des heiligen Franziskus, wohl auch einen heiligen Jesuiten und den Bischof
oder auch einen sehr frommen Domherrn. Kamen uns dabei etwa dann und wann
unzüchtige Gedanken, so zeigten wir solche sogleich der würdigsten Mutter an und
baten sie um eine recht scharfe Strafe zur Abwendung solchen Höllenspuks von
unseren keuschesten Herzen.
[BM.01_060,10] Die gute würdige Mutter, die sehr heilig war, gab uns dann
sogleich die weisesten Lehren und nachher erst die gebührenden Strafen, die
verschieden waren je nach der Größe der unkeuschen Gedanken. Für einen ganz
kleinen Gedanken war ein Streich auf die nackte Natur, darauf 3 Rosenkränze und
ein vollkommener Fasttag. Auf einen größeren Gedanken waren 7 starke
Rutenstreiche auf die nackte Natur, daß es Blut gab, darauf 12 Rosenkränze und 3
volle Fasttage in der Woche. Auf einen noch stärkeren Gedanken – etwa gar an den
allerverdammlichsten Ehestand, wie er jetzt besteht – waren 15 Streiche mit
spitzigen Ruten, 30 Rosenkränze und 9 volle Fasttage 3 Wochen hindurch und ein
spitziges Zilizium über die nackte Brust oder Lenden als Strafe diktiert und
sogleich ausgeführt.
[BM.01_060,11] Dazu kamen noch die geistlichen Bußen, oft noch ärger als jene,
die uns die liebe würdige Mutter gab. So mußten wir auch bei Nacht vom besten
Schlafe oft aufstehen und Chorbeten gehen, was besonders im Winter sehr bitter
war. Wurden wir krank ob der vielen Strapazen und Marter, so durften wir uns nie
die liebe Gesundheit, sondern allzeit nur den bittersten Tod wünschen wegen
Abbüßung unserer läßlichen Sünden, und dergleichen schrecklichste
Selbstverleugnungen mehr. – Du siehst aus meiner zwar kurzen, aber überaus
wahren Schilderung unsern sehr bitteren irdischen Zustand.
[BM.01_060,12] Wir haben also für Christus viel und meist geduldig erlitten und
haben uns ohne Murren willigst gefügt den harten Regeln unseres strengen Ordens!
Wir haben all unser Vermögen diesem Orden vermacht zu seiner heilsamen
Ausbreitung zur Ehre der allerseligsten Jungfrau Maria und zur stets größeren
Ehre Gottes! So glaubten wir denn, an Gott keine unbillige Forderung gestellt zu
haben, so wir nach unserem bitteren Leibestode sogleich in die ewige
Glückseligkeit möchten aufgenommen werden! Aber nicht nur, daß wir alle unsere
begründeten Hoffnungen hier wie einen Schaum zerfließen sahen, sondern höre:
[BM.01_060,13] Als wir alle, die wir hier stehen, fast zu gleicher Zeit uns hier
in dieser Welt trafen und von einigen Bauern angerufen wurden, daß wir nun in
der Geisterwelt wären, da sahen wir von einer andern Seite ganz liederliche und
wohlbekannte Weibspersonen in diese Welt ankommen. Wir waren ganz sicher der
Erwartung, daß sogleich eine Menge Teufel daherkommen würden, um diese
schlechten, ausgelassenen und ketzerischen Weiberseelen sogleich
verdientestermaßen in die Hölle zu ziehen!
[BM.01_060,14] Allein – ah, wer hätte sich das je können träumen lassen! Statt
der Teufel kamen sichtbare Engel vom Himmel herab und umkleideten diese
schlechten, sündigsten Seelen sogleich mit wahren himmlischen Kleidern! Sie
gaben ihnen leuchtende Palmen und trugen sie schnurgerade in den Himmel; uns
aber würdigte kein Engel auch nur eines Blickes! Wir schrien, wir beteten, ja
wir beschworen Maria und Gott bei allen Seinen Heiligen und Auserwählten, – aber
all unser sicher Millionen Jahre langes Schreien war bis jetzt noch fruchtlos!
Sage, ist das nicht zu arg!? Sind wir nicht betrogen, zeitlich und ewig! Ist das
wohl auch eine Gerechtigkeit Gottes zu nennen?!“
[BM.01_060,15] Spricht Bischof Martin: „No, no, habt nur Geduld! Für jetzt seid
ihr versorgt. Und wenn's auch in die Ewigkeit nicht besser würde wie nun mit
euch, so könntet ihr es schon ertragen! Denn auf euer Verdienst dürfet ihr euch
eben nicht zu viel einbilden. Warum waret ihr so dumm auf der Welt, euch
einsperren und prügeln und am Ende gar förmlich umbringen zu lassen? Was Gutes
habt ihr dadurch euren Nächsten wohl getan? Ihr habt nur für eure Haut gesorgt
und hättet euch wenig daraus gemacht, so Gott auch die ganze Welt verdammt
hätte, wenn nur ihr den Himmel erworben hättet!
[BM.01_060,16] Sehet, mit solcher Nächstenliebe kommt hier niemand weiter. Darum
seid geduldig und werft euer Verdienst von euch! Betrachtet euch als schlechte,
nutzlose Mägde des Herrn, so werdet auch ihr bei Gott Gnade finden! Tretet nun
zurück und lasset die Herz-Jesu-Damen hierher kommen!“
61. Kapitel – Rede der Herz-Jesu-Damen. Deren körperliche Verirrungen und
geistige Torheit. Martins Belehrungsversuch und Moralpredigt.
[BM.01_061,01] Die Schulschwestern treten nun etwas murrend zurück. Die
Herz-Jesu-Damen treten hervor und beginnen sogleich folgende Rede zu führen:
„Allerhochwürdigster Herr! Wir sind Damen des allerersten Damenordens der Welt,
in welchen Orden nur Mädchen von sehr reichen, angesehenen und adeligen Häusern
aufgenommen werden, wo sie alles lernen können, was es in der Welt nur immer zu
lernen gibt!“
[BM.01_061,02] (Bischof Martin bei sich: „Nicht übel, – die fangen schon gut an!
Gerade so wird's der Herr am besten brauchen können, oder was anders?“)
[BM.01_061,03] (Die Herz-Jesu-Damen:) „Alle Sprachen, Musik und Tanzen, allerlei
andere Gymnastik – wie Fechten, wo tunlich auch das Reiten –, dann Zeichnen,
Malen, allerlei Kunststickereien und Kunstnähereien! Daneben natürlich werden
auch alle andern Wissenschaften traktiert wie die vollkommene Geographie,
Mathematik, Physik, Astronomie, Geschichte, Nautik, Hydraulich, Geometrie,
Trigonometrie, Stereometrie, Poesie in den nobelsten Sprachen Europas und noch
eine Menge anderer nützlicher Gegenstände.
[BM.01_061,04] Kurz und gut, in unserm Orden werden aller Welt Wissenschaften
gelehrt und aller Welt Künste geübt – natürlich nur, so es verlangt und dafür
gezahlt wird. Die übrige Zeit aber wird mit Beten, Singen, mitunter auch mit
Fasten zugebracht, täglich eine Messe gehört und wöchentlich dreimal Beichte und
Kommunion. Auf die Übertretung der strengen Ordensregeln sind auch angemessene
scharfe Strafen gesetzt, welche allzeit leider genauer beachtet werden als die
Ordensregeln selbst!“
[BM.01_061,05] (Bischof Martin bei sich: „Schau, bin doch auch ein Bischof
gewesen, aber die Geheimnisse dieses Ordens habe ich nie so ins Detail
eingesehen wie eben jetzt! Ah, an diesem Orden muß der Herr ja eine ganz
besondere Freude haben!?“)
[BM.01_061,06] (Die Herz-Jesu-Damen:) „Du lieber, allerhochwürdigster Freund, du
siehst daraus, –“
[BM.01_061,07] (Bischof Martin bei sich: „daß ihr die dümmsten Gänse seid!“)
[BM.01_061,08] (Die Herz-Jesu-Damen:) „welche schwere Regeln unser
allerstrengster Orden hat und welche Größe“
[BM.01_061,09] (Bischof Martin bei sich: „der Dummheit“)
[BM.01_061,10] (Die Herz-Jesu-Damen:) „von Selbstverleugnung dazu gehört, alle
diese tausend schwersten Regeln genau zu beachten. Ja, ich sage dir, nur wahre
Riesen“
[BM.01_061,11] (Bischof Martin bei sich: „von Narren“)
[BM.01_061,12] (Die Herz-Jesu-Damen:) „von Geistern gehören dazu, um alle die
schwersten Regeln zu beachten! Dennoch haben wir alle wie wahre Heldinnen fürs
Himmelreich all diese Regeln genauest beachtet und geglaubt, der Himmel könne
uns auf diese Art unmöglich entgehen!“
[BM.01_061,13] (Bischof Martin bei sich: „Da gehört wirklich ein sehr starker
Glaube dazu!“)
[BM.01_061,14] (Die Herz-Jesu-Damen:) „Aber da siehst du uns jetzt nach einigen
Millionen von Erdenjahren noch ganz so elend, wie wir uns zum ersten Male hier
in dieser Geisterwelt befanden. Dies dein Haus ist der erste herrliche
Gegenstand, der uns in dieser Welt zu Gesichte gekommen ist. – Frage: Ist das
wohl auch eine göttliche Gerechtigkeit?!“
[BM.01_061,15] (Bischof Martin bei sich: „O nirgends mehr als eben hier bei euch
dummen Gänsen!“)
[BM.01_061,16] (Die Herz-Jesu-Damen:) „Anstatt, daß man uns den wohlverdienten
Himmel gegeben hätte, mußten wir von einem ganz roh und ungebildet aussehenden,
gemeinsten Bauernbengel, als wir bei einer Pforte anklopften, über der
geschrieben stand ,Tür in den Himmel!‘ die Worte anhören: ,Zurück mit euch, ihr
dummen und törichten Jungfrauen! Warum habt ihr eure Lampen nicht zuvor mit Öl
gefüllt!‘“
[BM.01_061,17] (Bischof Martin bei sich: „Nichts mehr als billig! Diese Gänse
könnte ich schon beinahe selbst aus meinem Hause treiben!“)
[BM.01_061,18] (Die Herz-Jesu-Damen:) „Darauf verschwand diese Himmelspforte,
und wir waren sogleich von einer Menge kleiner Teuferl umringt, die aussahen wie
Irrlichter. Diese Teuferl hüpften fortwährend um uns herum und neckten uns
jämmerlich die ganze endlose Zeit hindurch, bis wir erst vor kurzem diese
gegenwärtige Gesellschaft trafen auf unserer schon nahezu ewigen Flucht!
[BM.01_061,19] Was sagst du, liebster, allerhochwürdigster Freund dazu? Was ist
das, – was sollen wir denn tun, um vielleicht doch einmal in einen etwas bessern
Stand zu gelangen? Oh, rate uns, du liebster, hochwürdigster Freund!“
[BM.01_061,20] Spricht Bischof Martin ganz lakonisch-ironisch: „Ah, ah, ah, da
hat euch der Herr freilich sehr unrecht getan! Denn ihr habt ja doch genau nach
dem Evangelium gelebt! Ah, das muß ich sagen, da ist der Herr Jehova Jesus sehr
ungerecht, wenn Er auf die sehr evangelischen Regeln eures Ordens den Himmel
verheißen hat – und ihn euch hernach nicht geben will! Das könnte man von Ihm
sogar impertinent und très mal honnête nennen! So zarten und doch so
übergelehrten Herzerln den Himmel versagen, – ah, das ist doch alles, was man
sagen kann? Es müßte nur sein, daß ihr vielleicht heimlich untereinander
sodomitische Unzucht getrieben hättet? Oder ihr hättet etwa neben euren tausend
gelehrten Ordensregeln die beste christliche Regel der Nächstenliebe ganz
hintangesetzt?!“
[BM.01_061,21] Spricht eine andere, stark französisch wirken wollende Dame: „Aeh
ne, aeh ne, mon ami, mer leben schon all' sehr Keußeit, ond Religion habe mer
aug sehr gehabt! O mon dieu, was brauk mer plus pour le Imel? Der Näckstelieb
sein le ons, und den sodomitischen Onzuckt könn' mer nikt, we sein der für Fih!?
Mer habe urdenlik geleben ond verstege, mon ami, keiß wie den Blumen! Was will
mer plus Monsieur Jesu Christ?“
[BM.01_061,22] Spricht Bischof Martin: „Ich bitte dich, höre mir um Gottes
willen auf mit dieser Sausprache! Bist doch eine Deutsche und kannst aus lauter
Sprachenmodedummheit deine Muttersprache nicht reden? Glaubst denn du, so eine
deutsche Franzosengretel wird hier in den Himmel kommen? Ich sage dir, du extra
dumme Gans, da hat's noch lange Zeit! – Nein, das ist mir noch nicht vorgekommen
hier im Geisterreiche! Geister sogar anderer Planeten haben mit mir ganz rein
deutsch gesprochen, und dieser dummen Herz-Jesu-Dame gefällt noch's Französische
besser, als deutsch mit einem Deutschen zu reden! – Warum hat denn deine
Vorgängerin, die doch eine geborne Lyonerin ist, mit mir gut deutsch reden
können, und warum du stolze Gans nicht?!“
[BM.01_061,23] Spricht die Dame: „O Freund, weil ich glaubte, mich dadurch bei
dir recht einzustellen!“
[BM.01_061,24] Spricht Bischof Martin: „Das war wohl ein ganz dummer Glaube
gleich dem, durch den ihr alle für eure grenzenlose Dummheit von Gott den Himmel
erwartetet! Meint ihr, der Herr hat den Himmel für solche dummen Gänse gemacht?
Oh, da seid ihr in einer sehr großen Irre! Ich sage euch: Eher kommen alle Esel
und Ochsen hinein denn ihr, merket euch das! Gehet dort in den hintersten Winkel
und lernet zuerst die Demut! Dann erst kommet und fragt, ob für euch irgendeine
Kuhmagdstelle im untersten Himmel zu vergeben sein wird – woran ich sehr
zweifle. Gehet, wohin ich euch beschied!“
62. Kapitel – Zwiegespräch zwischen einem Jesuiten und Bischof Martin. Belehrung
einer höllenängstlichen Barmherzigen Schwester.
[BM.01_062,01] Tritt ein Jesuit hervor und spricht: „Edler Freund, du scheinst
eben kein großer Freund von Künsten und Wissenschaften zu sein, weil du an
diesen so überaus wertesten Damen des Herzens Jesu so wenig Wohlgefallen
findest. Und doch sind sie sozusagen der einzige weibliche Orden, der mit allem
Fleiße den Wissenschaften und Künsten von früh morgens bis spät abends obliegt
und dadurch uns Brüdern der Gesellschaft Jesu am nächsten kommt! Ah, Bruder,
Freund, diese Damen solltest du doch mit mehr Achtung und Liebe behandeln!“
[BM.01_062,02] Spricht Bischof Martin: „Warum nicht gar, diese dummen,
eingebildeten Greteln mit mehr Achtung? Ich sage dir, für diese ist das noch
viel zu viel, was ich ihnen an Achtung zolle! Diesen sollte man die Türe weisen
und sie noch auf einige Millionen Jahre hinausstoßen. Vielleicht verlernten sie
dadurch ihre fremden Sprachen – was wirklich gut für sie wäre!
[BM.01_062,03] Siehe, wie ich sie nun anschaue, so sehe ich Zorn und Hochmut aus
ihren Augen sprühen! Sie möchten sich wohl sehr gerne verstellen, aber das tut
sich nicht hier im Reiche der Geister. Denn hier durchschaut man besonders so
lockere Geister mit einem Blick und erschaut bald und leicht, wie sie so ganz
eigentlich von innen beschaffen sind. Weil ich aber diese Gänse nun noch besser
durchschaue und sie ob ihrer großen Torheit mich sehr anekeln, muß ich sie ja
wenigstens in jenen Winkel hinbescheiden, damit ich mich nicht ärgere an ihrem
Anblicke.
[BM.01_062,04] Du selbst und alle deines löblich-dummen Kollegiums aber müsset
euch auf euern höchst ungebührlichen Namen eben auch nichts einbilden. Denn
denke selbst nach und sage mir, mit welchem Rechte ihr euch Jesuiten nennet, und
wer euch da zu solcher Entheiligung des göttlichen Namens die Befugnis erteilt
hat? Du wirst dann leicht einsehen, wie schändlich ihr selbst diesen
allerheiligsten Namen mißbraucht habt und wodurch ihr alle nun solchen Frevel
wieder gutmachen könntet!
[BM.01_062,05] Kann einer von euch sagen: ,Jesus, der Herr, hat uns so berufen
wie etwa einen Paulus oder Petrus‘? Oder hat je einer von euch Jesus gesehen
oder gesprochen oder bei Lebzeiten eures Leibes etwa das Evangelium höher
gehalten als den Ignatius von Loyola? Seht, ihr waret in der Tat die
entschiedensten Feinde Jesu Christi und nennet euch ,Jesu-iten‘?!“
[BM.01_062,06] Spricht wieder der Jesuit: „Liebster Freund und Bruder, diese
Sache scheinst du entweder schlecht oder gar nicht zu verstehen! Verstehst du
denn nicht, was das heißt: Omnia ad maiorem dei gloriam!? Siehe, in dem liegt
der Grund unseres Namens! Nicht, als wenn uns Jesus, der Herr, nominativ
gestiftet hätte, sondern wir nur erwählten diesen Namen zu Seiner größeren Ehre!
Ich weiß wohl, daß das Mittel an und für sich nicht löblich ist. Aber was liegt
da am Mittel, wenn nur der Zweck gut ist und das Mittel heiligt, wenn dieses
auch noch so schal wäre!“
[BM.01_062,07] Spricht Bischof Martin: „Du sprichst hier auch wie ein Narr und
urteilst über göttliche Dinge wie ein Blinder über die Farben! Meinst du wohl,
der große Gott, den zahllose Myriaden der unerhörtesten Wunder der Wunder ewig
durch die ganze Unendlichkeit ehren – ich sage dir: heilige Wunder, deren
Klarheit, Erhabenheit und unbegreiflichste göttliche Schönheit so groß ist, daß
sie dich in einem Augenblicke töten würde, so du ihrer ansichtig würdest –, wird
dadurch an Seiner Ehre etwas gewinnen, so du dich Ihm zu Ehren ungebührendst
,Jesuit‘ nennst, oder so du durch tausend andere, oft allerschändlichste Mittel
scheinbar gute Zwecke zu erreichen wähntest?!
[BM.01_062,08] Meinst du wohl, daß Jesus die schmähliche Inquisition zu Seiner
größeren Ehre eingesetzt hat durch einen Mönch?! Oder meinst du, Jesus hat ein
Wohlgefallen an den Autodafés und an anderen Greueln, die ihr vorgeblich zu
Seiner größeren Ehre verübt habt, hattet aber doch im Hintergrunde nur einen
ganz andern, nicht selten allerschändlichsten Zweck?!
[BM.01_062,09] Meinst du wohl, der Herr Jesus hat ein Ihn ehrendes Wohlgefallen
daran, so du Mädchen geschwängert hast und hast sie dann eben auch ad maiorem
dei gloriam in der Kirchengruft lebendig einmauern lassen? Oder so du zur
größeren Ehre Gottes das Vermögen von tausend Witwen und Waisen durch allerlei
höllische Vorspiegelungen an dich gezogen hast und hattest nachher kein Herz,
wenn du Tausende im größten Elende schmachten sahst?!
[BM.01_062,10] Meinst du wohl noch im Ernste, so was könnte zur größeren Ehre
Gottes dienlich sein, und der Herr Jesus hätte ein Wohlgefallen an solcher
Verherrlichung Seines Namens? Oh, wenn du das im Ernste meinst, so bist du das
bedauernswürdigste Wesen in der ganzen ewigen Unendlichkeit Gottes!
[BM.01_062,11] Was wohl würdest du sagen, so nun Jesus, der alleinige, ewige
Herr und Gott Himmels und aller zahllosen Myriaden von Welten, vor dir stünde
und dich fragte, wie du und dein ganzer Anhang Sein Wort gehandhabt habt? Und
wer hat euch das Recht erteilt, Seinen allerheiligsten Namen auf eine so
gräßliche Art zu entheiligen? Sage – ja saget ihr alle, was wohl würdet ihr dem
allmächtigen, ewigen Gott erwidern?!“
[BM.01_062,12] Alle ergreift ein ersichtlicher Schauder und eine starre
Stumpfheit. Keiner getraut sich auch nur mit einer Silbe dem Bischof Martin
etwas zu erwidern, denn sie alle halten ihn nun für einen Richterengel.
[BM.01_062,13] Nur eine Barmherzige Schwester geht ganz furchtsam zum Bischof
Martin hin und sagt: „O du richtender Engel im Namen Gottes! Nur in die Hölle
verdamme uns nicht; ins Fegefeuer wollen wir in Gottes Namen ja alle gerne
gehen! – Oooooh, das ist ja schrecklich, was du für ein gestrengster Richter
bist! Hohoh – habe doch nur einiges Mitleid mit uns armen Sündern und
Sünderinnen!“
[BM.01_062,14] Spricht Bischof Martin: „Stehe auf, du blitzdumme Barmherzigerin!
Ich bin ewig kein Richter, sondern selbst ein armer Sünder und erhoffe selbst
des Herrn Gnade. Aber ich sehe meine große Dummheit Gott sei Dank nun ein, und
so zeige ich euch auch die eurige, auf daß ihr dieselbe ablegen sollet und
werden, wie es die ewige Ordnung des Herrn will. Sonst werdet ihr stets nur in
ein größeres Elend verfallen, statt emporzusteigen in eine größere Seligkeit!
[BM.01_062,15] Daß ich euch aber nicht richte, beweist, daß ich euch alle
aufgenommen habe und euch nicht fortschaffe, sondern freundlichst allesamt
behalte – so ihr bei mir verbleiben wollt. Aber so ihr bleibet, müßt ihr nicht
an euren Torheiten festhalten, sondern euch ruhig belehren lassen von dem, der
hier sicher mehr Erfahrung hat als ihr Neulinge in dieser Welt. Seid nun ruhig,
und denket über meine Worte nach!“
63. Kapitel – Martins Zwiegespräch mit zwei andern Jesuiten und zwei
Liguorianern.
[BM.01_063,01] Es treten abermals zwei andere Jesuiten und dazu noch zwei
Liguorianer vor den Bischof Martin und sagen: „Lieber, bester Freund, wir sind
mit deiner Lehre, die du uns allen zugleich gegeben hast, wohl recht sehr
einverstanden. Wie wir's jetzt verspüren, so geht uns allen hier auch wirklich
nichts ab. Aber so wir daneben nur eine kleine Beschäftigung hätten, da wären
wir mit diesem Lose überhaupt zufrieden und verlangten für die ganze Ewigkeit
kein besseres. Müßten wir aber ohne alle Beschäftigung die ganze Ewigkeit
zubringen, da wäre uns am Ende schon der vollkommene Tod lieber als so ein
einförmigstes geschäftsloses Leben.“
[BM.01_063,02] Spricht Bischof Martin: „Freunde, könnet ihr lesen, was da auf
dieser runden weißen Tafel geschrieben steht?“
[BM.01_063,03] Spricht einer von den vieren: „O ja, da steht ja das
verhängnisvollste ,Dies irae, dies illa! Libera nos ab omni malo! Memento, homo,
quia pulvis es et in pulverem reverteris! Requiescant in pace! Requiem aeternam
dona eis, domine, et lux perpetua luceat eis! Ex profundis clamavi! Clamor meus
ad te veniat! Vitam aeternam dona eis, domine, et sedere in sino Abrahami, et
considere ad mensam illius, et comedere cum illo per omnia secula seculorum,
amen!‘
[BM.01_063,04] Siehe, lesen kann ich ja noch, wenn ich auch meinem Gefühle nach
einige tausend Millionen von Jahren keinen Buchstaben mehr gesehen habe. Aber
sage mir, was soll's denn da mit diesen alten dogmatischen Versen? Wird sich
denn hier in der Geisterwelt etwa ganz ernstlich danach gerichtet? Wahrlich, so
das der Fall wäre, sähe es sehr schlecht aus mit unser aller Existenz für die
ganze lange Ewigkeit! O Freund, erläutere uns das, wie es hier zu verstehen und
zu nehmen ist!“
[BM.01_063,05] Spricht Bischof Martin: „Wie anders soll es denn zu verstehen
sein, als wie es da geschrieben steht! Ich sage euch, diese Stellen haben keinen
andern Sinn als den nur, der sich klar aus ihren zusammengefügten Worten
entnehmen läßt! Zudem saget ihr es selbst: Habt ihr wohl je auf der Welt einen
andern Sinn mit diesen Exklamationen verbunden, als der sich in der äußern
Fügung kundgibt? Waret ihr auf der Welt mit diesen Verseln zufrieden, wo sie
euch Geld trugen und ein geheimes geistliches Ansehen, warum sollen sie euch
jetzt genieren, wo ihr Sinn an euch praktisch angewendet wird? Was brauchet ihr
Beschäftigung? Requiescant in pace; ergo requiescamus! Diese Ruhe im ewigen
Frieden habt ihr nun alle gefunden!
[BM.01_063,06] Licht gibt es auch hier, das da bei den schönen großen Fenstern
fortwährend gleich hereinleuchtet. Also ist auch dies mein Haus gleich einem
Schoße Abrahams und dort jener große, mit gutem Brote und Weine vollgefüllte
Schrank ein wahrer Abrahamstisch, bei dem ihr samt mir ewig gespeist werdet bis
zum jüngsten Gerichte – und, so ihr an diesem Tage des Zornes nicht verdammt
werdet, auch nach diesem ewig! Was wollet ihr da noch mehr?!“
[BM.01_063,07] Spricht der Liguorianer einer: „Ja, ja, Freund, du hast recht, es
wird schon also sein. Dessenungeachtet aber muß ich dir nach meinem Gefühle
bemerken, daß die Geschichte mit der hier überaus langweiligen Zeitenfolge ganz
unbegreiflich, entsetzlich langweilig wird! Denke dir: ewig hier, völlig müßig,
und nichts anderes ewig zu erwarten habend! Höre, Freund, diese Langweile nach
etwa einigen Dezillionen Erdenjahren! O Herr, das wird doch kein lebend Wesen
mehr zu ertragen imstande sein!“
[BM.01_063,08] Spricht Bischof Martin: „Ja, was nützt dir aber da auch dein
Vernünfteln! Hast du denn nie gelesen, daß geschrieben steht: ,Jeder wird seines
Glaubens leben‘ und ,Wie der Baum fällt, so wird er liegen bleiben‘? Warum
glaubten wir denn so ein dummes Zeug, dessen Wirklichkeit uns hier nicht munden
will?
[BM.01_063,09] Waren wir starrsinnige Esel auf der Welt, so müssen wir uns auch
hier die Verwirklichung unseres eselhaften Glaubens gefallen lassen, ob sie uns
behagt oder nicht! Hätten wir aber weiser unsern Glauben auf der Welt
eingerichtet, würden wir uns auch hier sicher besser befinden. Wir alle aber –
ich nicht ausgenommen – waren auf der Welt nur desto glücklicher, je mehr
Finsternis wir dort verbreiteten. Darum geniere uns das auch hier nicht, so wir
nun allesamt hier in unserer eigenen Dummheit begraben leben wie im
vermeintlichen Schoße Abrahams!
[BM.01_063,10] Gab und gibt es nicht in der Welt eine ungeheure Menge von alten
Eseln, Ochsen und Schafsköpfen, die zwar selbst in einem fort vom Lichte und von
Aufklärung faseln? Wenn ihnen auch ein besseres Licht gegeben wird und ein
besseres Futter, so aber richten sie sich dennoch nicht danach, sondern kehren
ganz behaglich in ihre alte Dummheit zurück, fressen das alte Futter und
erquicken ihre Augen am spärlichsten Zwielichte ihres Esels- oder Ochsenstalles,
so sie ihres Magens alten Unflat wiederkäuen können.
[BM.01_063,11] Seht, dergleichen Esel und Ochsen und Schafsköpfe waren ja eben
auch wir im Vollmaße. Daher muß es uns nun gar nicht wundern, wenn der Herr so
großmütig für unsere alte Viehnatur gesorgt hat. Wer Freude hatte an der
Dummheit, der bleibe in seiner Freude! Wer Freude hatte mit dem Schlafe, der
kann hier schlafen nach Herzenslust! Wer Freude hatte am Müßiggange, der ruhe
hier ewig! Wer Freude hatte am Essen und Trinken, dort ist Abrahams Tisch! Wer
sich gerne mit Jungfrauen befaßte, der hat dort Barmherzige Schwestern,
Schulschwestern und Herz-Jesu-Damen! Wir sind ja ohnehin mit allem bestens
versorgt; was jammern wir da noch?!“
[BM.01_063,12] Alle zucken die Achseln und sagen: „Du hast zwar recht – aber der
Teufel soll unsere Weisheit holen! Könnten wir noch einmal Frösche auf der Welt
werden und nach Lust quaken, so wären wir offenbar besser daran! Aber was nicht
mehr zu ändern ist, das muß leider so verbleiben.“
64. Kapitel – Ehrliches Bekenntnis des Minoriten. – Rom als Schuldträger. –
Beginnende Erkenntnis und Besserung bei den Minoriten.
[BM.01_064,01] Tritt ein Minorit hervor, und spricht: „Freunde, lasset mich ein
Wörtlein reden! Und sollte es zu nichts Besserem taugen – was ich freilich nicht
bestimmen kann –, so soll es uns wenigstens ein Stückchen von unserer
bevorstehenden ewigen Ruhe angenehmer machen!“
[BM.01_064,02] Sprechen alle: „Bravo, recht so! Rede nur zu, wir werden dich mit
Vergnügen anhören! Denn du warst ja schon auf der Welt als ein sehr weiser und
salbungsvoller Redner bekannt. Rede daher hier nur fleißig zu, wie dir die Zunge
gewachsen ist!“
[BM.01_064,03] Spricht der Minorit: „Brüder und Freunde, wir hatten alle auf der
Welt gewisserart zwei Evangelien. Erstens ein altes von Christus dem Herrn und
von manchen Seiner Apostel, und zweitens das der römisch-katholischen Kirche,
die sich den dogmatischen Titel ,die Allein-Seligmachende‘ beilegte, indem sie
sich auf dem Stuhle Petri zu befinden wähnte und noch wähnt und die Schlüssel
zum Himmel wie zur Hölle habe.
[BM.01_064,04] Dieser Kirche schworen wir, bis an unser letztes Ende treu zu
sein und alles für wahr anzunehmen, was sie zum Glauben gebiete – ob es nun in
irgendeiner Bibel geschrieben stehe oder nicht. Ebenso haben wir uns ihr auch
eidlich verpflichtet, jeden Andersdenkenden und Andersglaubenden als einen
barsten Ketzer zu betrachten und zu verdammen.
[BM.01_064,05] Was wir beschworen haben, das hielten wir auch genau – obschon
nicht selten wider unsere eigene Vernunft und wider allen gesunden
Menschenverstand.
[BM.01_064,06] Ihr wißt wohl alle, wie uns die Bibel zu lesen von der Kirche aus
als Todsünde verboten war und wie wir bloß nur die sonntäglichen, sehr
abgekürzten Evangelien lesen durften. Alles andere durften bloß die Doktoren der
Theologie lesen und verstehen. Uns waren dafür die Patres ecclesiastici und das
Breviarium und die Legenden beschieden, dann auch die Ordensregeln, der Ignatius
v. Loyola, die Reliquien, Bilder, die Messen, die Sakramente, die Beichte und
noch eine Menge anderer Dinge mehr, die man hier sicher ohne Scheu als barste,
oft bösartige Dummheiten bezeichnen kann.
[BM.01_064,07] Frage: So wir bei all dieser, von Gott doch sicher wenigstens
zugelassenen römischen Kirchenverfassung der eigentlichen Jesuslehre
schnurgerade entgegengehandelt haben, können da wir etwas dafür? Der
Schuldträger daran ist somit nach allem menschlichen und sicher auch göttlichen
Rechte zur Verantwortung zu ziehen. Uns allen wäre aber ein solcher Bescheid zu
erteilen, wie wir uns für die ewige Zukunft zu benehmen haben und wie
gutzumachen, was wir am Ende selbst Schlechtes verübt haben!“
[BM.01_064,08] Sprechen die andern: „Bravo, du hast wirklich sehr weise geredet
und hast uns allen ein großes Vergnügen bereitet! Der Schuldträger büße für uns!
So ist's recht! Der Römische Stuhl büße und jeder, der uns zu etwas
qualifizieren ließ, ohne unsere Einwilligung auf eine Zeit abzuwarten, in der
unser Denkvermögen im rechten Lichte reif und geläutert geworden wäre!
[BM.01_064,09] Man hat uns getauft ohne unsere Einwilligung und hat eben durch
derlei zu frühzeitige Taufe uns ein römisches Bekenntnis aufgedrungen, somit das
Kind im Mutterleibe schon verantwortlich gemacht. Oder ist es nicht mehr als
toll, von einem neugeborenen Kinde durch gewisse Stellvertreter einen Eid der
Treue schwören zu lassen? Ohne zu bedenken, ob das Kind, so es erwachsen sein
wird, mit dieser genötigt geschworenen Treue wohl einverstanden sein wird oder
nicht, und im entgegengesetzten Falle offenbar einen Eidbruch begehen muß. Oh,
das ist ja entsetzlich widerchristlich!
[BM.01_064,10] Hat doch Christus Selbst gesagt: ,Wer da glaubt und getauft wird,
der wird selig werden!‘ Oh, das ist ja ganz antichristlich; wie kann man denn
früher getauft werden, als man noch des christlichen Glaubens in sich bewußt
wird? Die Taufe soll doch ein lebendiges Zeugnis sein, daß jemand den
christlichen Glauben zur einzigen Richtschnur seines Lebens angenommen! Weiß
aber ein neugeborenes Kind, was Glaube, was der christliche Glaube und was ein
Zeugnis ist? Ah, wenn man da recht nachdenkt, findet man die Dummheit immer
größer und widerchristlicher!
[BM.01_064,11] Es heißt, daß durch diese Taufe die Erbsünde und alle vor der
Taufe begangenen Sünden nachgelassen werden. Oh, wie schroff dumm ist das doch!
Kann ein nur ein wenig heller denkender Mensch ein Kind darum verdammen, weil
seine Eltern einen verzeihlichen Fehler begangen haben unter sich? Und Gott, der
allerhöchst Weiseste, sollte Kindern der mehr als tausendsten Generation noch
fortwährend Adams Fehltritt zur Todsünde rechnen, die doch nie eine Schuld an
seinem Fehltritt haben können?! Ja, das sieht man erst hier so recht ein. Was
aber die vor der Taufe begangenen Sünden betrifft, so ist das doch rein zum
Lachen! Ein Kind wird doch nicht schon im Mutterleibe sündigen!
[BM.01_064,12] Ein Heide aber, der erst zur christlichen Religion übertritt, die
jetzt wohl bei weitem heidnischer ist als das barste Heidentum selbst, welche
Sünden kann er wohl haben? Es müßten nur Sünden gegen seine heidnischen Gesetze
sein. Denn gegen die christlichen Gesetze kann ein Heide sich doch unmöglich
versündigen, weil er sie noch nie erkannt hat! Einem Heiden aber seine
heidnischen Sünden nachlassen, hieße ja doch nichts anderes, als ihn von vorne
wieder in seinem Heidentum bestätigen. Ebendasselbe ist sicher bei einem Juden
der Fall: denn einem Juden durch die Taufe verzeihen wollen, daß er so lange ein
Jude war, das wäre doch auch alles, was sich nur ein einigermaßen nüchterner
Mensch als Kulminationspunkt der Dummheit denken kann!“
[BM.01_064,13] Spricht wieder der Minorit: „Freunde, ihr seid mir nur
zuvorgekommen. Eure Bemerkung war ganz richtig. Ich sage euch: Mir kommt nun
diese römische Christenmacherei schon im Mutterleibe geradeso vor wie die alten
Märchen von der Teufelsverschreiberei! Man wird hier aus lauter niedrigen,
politischen Absichten schon fast im Mutterleibe förmlich dem ,Gott-steh-uns-bei‘
verschrieben, der einen dann durch Rom von allen Seiten her völlig in Beschlag
nimmt. Oh, das ist löblich! Und so eine widerchristliche, sogenannte ,Erste
Christenkirche‘ nennt sich auch noch dazu eine ,Mutter‘ und ihr Oberhaupt einen
,Stellvertreter Jesu Christi‘, also Stellvertreter Gottes!
[BM.01_064,14] Merkwürdig, merkwürdig – und doch ist es wahr: in welchem Irrsal
waren wir doch alle und merkten es nicht, daß wir schon von der Geburt an rein
des ,Gott-steh-uns-bei‘ waren! Durch die Taufe hätten wir sollen von der
blitzdümmsten Erbsünde befreit werden so, daß wir dadurch zu Gotteskindern
würden. Schöne Gotteskinder, – Gott steh uns bei! Statt aus der Hölle sind wir
nur buchstäblich in die Hölle hineingetauft worden!
[BM.01_064,15] Und daß ja niemand je an ernstliche Buße und wahre Besserung
seines Lebens denken sollte, ward die alle Todsünden beschwichtigende
Ohrenbeichte erfunden mit dem vollkommenen Absolutionsrechte bei uns Priestern.
Dadurch wurde jeder Mensch wieder in seinen alten Pfuhl hineingeworfen und war
nie imstande, eine neue Kreatur in Christus zu werden!
[BM.01_064,16] O Brüder, Brüder, Brüder! Das sind Sachen, deren Zulassung von
seiten Gottes uns ein ewig unauflösliches Rätsel bleiben wird! ,Werdet alle
vollkommen, wie da euer Vater im Himmel vollkommen ist!‘ Schöne Vollkommenheit
das, wo man wohlbewußt nur dümmer noch als ein Stockfisch sein mußte und erst
jetzt als Geist in einem mehr himmlischen Lichte einzusehen anfängt, in welchem
Irrsal man sich auf der Welt befunden hat!
[BM.01_064,17] Es wäre noch sehr viel zu reden und ließe sich immer deutlicher
erweisen, daß der Römische Stuhl der ganz alleinige Schuldträger an all unserer
Verkehrtheit ist. Aber ich denke, was wir jetzt nur dunkel einsehen, das wird
der Herr sicher im vollsten Lichte sehen. Und Er wird uns armen verführten
Sündern gnädig und barmherzig sein, wenn wir allen von Herzen vergeben wollen,
die je irgend an unserer planmäßigen Verfinsterung Schuld getragen haben und
noch tragen! – Das ist so meine Meinung; was meinet denn ihr?“
[BM.01_064,18] Alle rufen laut: „Bravo!“ und sind – bis auf wenige Jesuiten –
vollkommen mit ihm einverstanden.
65. Kapitel – Bischof Martin macht die geistig-blinden Jesuiten sehend.
[BM.01_065,01] Diese Jesuiten aber übernimmt Bischof Martin zur Bearbeitung und
beginnt mit diesen Kopfschüttlern und Achselzuckern einen ganz radikalen Diskurs
zu führen, der so lautet:
[BM.01_065,02] „Warum schüttelt ihr verneinend eueren Kopf und zuckt zweifelhaft
mit den Achseln? Versteht ihr die Sache etwa besser als eure nun recht bieder
denkenden Gefährten? Ich glaube es kaum! Ich weiß aber, wo ihr hinauswollt, und
eben darin liegt der Grund, warum ihr wenigen hierbei den Kopf schüttelt und die
Achseln zuckt! Sehet, ich will euch sagen, was euch noch die dreifache Decke
Mosis vor den Augen hält!
[BM.01_065,03] Zuerst ist es euer alter, starrer, unbeugsamer Sinn, der eure
Gemüter noch fortwährend beherrscht und kein besseres und reineres Licht in eure
Herzen kommen läßt. Fürs zweite aber ist es euer finsterer Irrwahn, demzufolge
ihr glaubt, es gehöre, um ein Christ zu sein, vorerst nichts als die Taufe dazu.
Man brauche jemanden bloß nur im Namen des Vaters, des Sohnes und Heiligen
Geistes zu taufen – und der Christ ist nach eurem Irrglauben fertig! Wahrlich,
ein schöner Glaube! Und fürs dritte seid ihr noch der hochmütigen Meinung und
des herrschsüchtigsten Glaubens, ihr seid die rechten Apostel des Herrn und habt
von Ihm die Gewalt, zu tun, was ihr wollt, weil ihr den wahren Heiligen Geist
hättet!
[BM.01_065,04] O ihr alten Narren! Wodurch könnt ihr das beweisen? Wo steht in
der Schrift ein solcher Text, durch den sich eure Narrheit rechtfertigen ließe?
Meint ihr, daß der Herr auch zu euch vollkommensten Widerchristen geredet hat,
was Er zu Petrus und zu Seinen andern Aposteln geredet hat, als Er sie in die
Welt hinaussandte, das Evangelium allen Völkern zu verkünden? Oh, da seid ihr in
großer Irre! Sehet, dort heißt es: ,Nehmet hin den Heiligen Geist! Was ihr – im
Besitze dieses Heiligen Geistes – binden oder lösen werdet auf Erden, das soll
auch im Himmel gebunden oder gelöset sein!‘
[BM.01_065,05] Habt ihr aber je diesen Heiligen Geist besessen? Kann sich der
Heilige Geist je selbst widersprechen, kann er ändern, was er einmal für ewig
bestimmt hat? Oder kann er auch noch weiser werden und einsehen, daß seine
einmal gegebenen Gebote mangelhaft seien und daher mit neuen und besseren zu
ersetzen sind?
[BM.01_065,06] Hat denn der Heilige Geist zu den Zeiten der Apostel noch nicht
eingesehen, daß da später Mönche aller Farben und Gattung vonnöten sein werden,
die Menschen in den Himmel zu bringen? Daß da Bilder, Schnitzwerke, Reliquien,
Gnadenbilder, Glocken, Weihbronn, Weihrauch, Meßgewänder, Mönchskutten, Kirchen
und Klöster, Kelche und Monstranzen, Meßglöckchen und lateinisch
korrespondierende Ministranten und tausend derlei Torheiten mehr nötig sein
werden, um in den Himmel zu kommen? Wie blind muß der Heilige Geist damals doch
gewesen sein, daß er solche Notstücke nicht schon zu den Apostelzeiten für das
Seelenheil der Menschen eingesehen und sogleich angeordnet hat!
[BM.01_065,07] Oder sind die ersten Christen samt Petrus und Paulus eben darum
nun wirklich des Teufels, weil sie keine Kirchen, keine Glocken, keine
lateinischen Messen und Totenämter hatten und keine seligmachenden Gnadenbilder,
sogar keine Beicht und letzte Ölung, keine teuer bezahlten Seelenämter, kein
Verschiedenläuten, kein Bahrtuch, keine Windlichter und gelben Wachskerzen und
dergleichen mehr?!
[BM.01_065,08] Seht ihr denn solch einen Unsinn noch nicht ein? Sehet ihr nicht
ein, daß wir alle – eben durch diese von unserer Habsucht und glänzenden
Herrschgier ganz eigenmächtig, nicht nur ohne den allergeringsten evangelischen
Auftrag, sondern schnurgerade wider das Wort Gottes und wider die Lehre aller
Apostel kreierten – sogenannten gottesdienstlichen Werke, Gesetze und Zeremonien
die offenbarsten Sünder gegen den Heiligen Geist waren, von denen es heißt, daß
es ihnen nicht vergeben wird, weder zeitlich noch ewig?
[BM.01_065,09] So ihr das reine Wort des Herrn an alle Menschen nur einmal
oberflächlich vergleichet mit unserem römisch-katholischen Unsinn, muß es euch
ja wie Schuppen von den Augen fallen. Und ihr müßt vollkommen einsehen, daß Rom
nichts als die in der göttlichen Offenbarung nur zu klar bezeichnete Hure Babels
ist und wir Priester zuallernächst ihre Engelchen – Gottstehunsbei – sind in
optima forma!
[BM.01_065,10] Laßt also, liebe Brüder und Schwestern alle, euren alten
weltlichen Unsinn fahren! Wendet euch samt mir alle an den alleinigen Gott und
Herrn, Jesus Christus – so werdet ihr alle sicher in Gnaden angenommen werden!
[BM.01_065,11] Aber höret: nicht diese meine magere, wennschon gut gemeinte
Beredung, sondern euer eigener Wille und die Liebe eures Herzens bestimme euch
fest und unabänderlich dazu!“
[BM.01_065,12] Alle sind nun mit dem Bischof Martin einverstanden, – nur die
Herz-Jesu-Damen sagen: „Bis wir nicht von Gott Selbst, oder wenigstens von der
seligsten Jungfrau Maria den Auftrag dazu erhalten, bleiben wir der römischen
Mutter getreu und nehmen von euch keine neue Lehre an, die uns in die Hölle
bringen könnte!“
[BM.01_065,13] Spricht Bischof Martin: „Nur still, ihr dummen Greteln! Der Herr
wird euch sogleich eine ganz eigene Wurst braten lassen! Wollt ihr das
Evangelium nicht zu eurer Lebensrichtschnur nehmen für ewig, so bleibt in eurer
Dummheit eine ganze Ewigkeit lang und zehret an dem Speck eurer lieben römischen
Mutter! Daß ihr dabei sicher nicht zu fett und schön werdet, dafür wird des
Herrn Weisheit Sorge tragen. Denn der Herr versteht es, so dumme Geister auf
eine ganz gehörige, überhomöopathische Diät zu setzen, welche oft eine kleine
Ewigkeit dauert und solchen dummen Geistern entschieden die besten Dienste
leistet – was ich aus der Erfahrung weiß!
[BM.01_065,14] Lassen wir diese dummen, finstern Damen bei ihrem Glauben! Wir
aber wollen uns null einem bessern Lichte zuwenden im Namen des Herrn!“
66. Kapitel – Die Herz- und Hauserweiterung. Des Herrn Ruf an Martin.
[BM.01_066,01] Fragt der Minorit: „Wo, Bruder, wo ist dein ausgesprochenes
besseres Licht? Wohin wirst du uns führen, daß wir es erschauen?“
[BM.01_066,02] Spricht Bischof Martin: „Folgt mir hierher in die Mitte dieses
Saales! Seht, dort befindet sich ein wahrhaft göttlich kunstvoller tellurischer
und astronomischer Mechanismus! Da wollen wir zuerst die Erde, die wir bewohnt
haben, näher betrachten und von ihr uns dann zu den andern Planeten und endlich
zur Sonne selbst begeben. Allda werdet ihr so manches erschauen, was euch allen
bisher ein Rätsel war. Also nur vorwärts!“
[BM.01_066,03] Alles bewegt sich nun auf die bezeichnete Stelle und umgibt diese
in dichten Reihen. Auch die Herz-Jesu-Damen schleichen ganz langsam nach, um zu
sehen und zu hören, was alles da verhandelt wird und wie etwa das vom Bischof
Martin bezeichnete bessere Licht aussehen wird.
[BM.01_066,04] Bischof Martin bemerkt das und spricht ziemlich laut: „Was
schleicht ihr weisen Damen uns denn nach, wie auf der Welt eine geheime Polizei?
Da ist nichts mit der geheimen Polizeischaft! Wollt ihr euch dem bessern Lichte
mit uns, euren Brüdern und Schwestern, zuwenden, so gehet offen und freudig wie
wir! Geheime, spitzelhafte Schleicherei wird hier nicht geduldet! Verstanden?“
[BM.01_066,05] Als die Herz-Jesu-Damen solches vernehmen, machen sie halt und
sagen: „Freund, sei nicht zu ärgerlich über uns! Denn so du weißt, daß wir dumm
und schwach sind und sicher verleitet – wie es sicher du selbst warst und hast
auch nicht gleich beim Eintritte in diese Welt alles für bare Münze angenommen,
was dir gesagt wurde –, da habe doch einige Geduld mit uns Armen, wir bitten
dich darum! Wir haben von dir bis jetzt noch keinen löblichern Namen als
,Greteln‘ erhalten und haben uns darüber nicht beschwert. Daß wir unsern Orden
in Schutz nehmen, wird doch etwas gar so Schlechtes nicht sein! Du, lieber
Freund, aber bist uns sehr hart gekommen, doch wir ertrugen es, wenn wir schon
ein wenig murrten. Wir bitten dich aber nun, vergib uns, und sei nicht mehr gar
so hart gegen uns arme Sünderinnen!“
[BM.01_066,06] Spricht Bischof Martin: „Ah, diese Sprache von euch gefällt mir
schon besser als die französische. Wenn ihr mir so kommt, da kommet nur mutig
und freudig zu mir her und überzeugt euch von allem, was hier ist, geschieht und
fürder geschehen wird!“
[BM.01_066,07] Die Herz-Jesu-Damen kommen nun schneller herbei und fangen sich
nicht wenig zu verwundern an, als sie dieses großen und kunstvollsten
Mechanismus ansichtig werden. Die Jesuiten umstehen sogleich den Erdglobus und
schlagen die Hände vor lauter Verwunderung über dem Kopfe zusammen, daß dieser
Globus der wirklichen Erde so getreu nachgeformt ist und auf demselben auch
nicht die geringste Kleinigkeit mangelt. Die Minoriten gucken mit gleichem
Erstaunen diesen Globus an, ebenso auch die Liguorianer. Die Franziskaner
bewundern mehr das Planetensystem und den Glanz der Sonne, die hier ebensoviel
Licht verbreitet, als zur Erleuchtung des ganzen Planetenmechanismus vonnöten
ist. Diese Sonne gefällt auch den Barmherzigen Schwestern und den
Schulschwestern am besten. Kurz, alles bewundert diese Einrichtung, und Bischof
Martin macht, so gut er's kann, einen eifrigen Erklärer dieser himmlischen
Merkwürdigkeit, wobei ihm manchmal freilich ein sarkastischer Witz über die
Erscheinungen auf der Erde nicht auf der Zunge steckenbleibt.
[BM.01_066,08] Nachdem diese ganze große Gesellschaft sich eine geraume Zeit bei
diesem Erd- und Planetenmechanismus aufhält und sich von Bischof Martin
unterweisen läßt, wird es auf einmal bedeutend heller im Saale. Er kommt nun
sogar dem Bischof viel größer vor als früher im sehr gemäßigten Lichte. Die
Gesellschaft bemerkt das auch und fragt den Bischof, woher nun mehr Licht und
wodurch diese so bedeutende Erweiterung des Saales komme.
[BM.01_066,09] Bischof Martin spricht: „Meine lieben Freunde und Brüder und
Schwestern! Das muß euch hier nicht zu sehr befremden. Denn da verändert sich
nur zu leicht alles, was einmal in einer gewissen Art und Gestalt zum Vorscheine
kommt. Habt ihr, als ihr hierher kamet, nicht bemerkt, wie klein dies Haus von
außen aussah, und wie groß es dann von innen war? Seht, das ist doch schon
sicher ein Wunder! So ist auch diese Erscheinung nichts als ein Wunder, das wir
zwar alle nicht verstehen, das zu bewerkstelligen aber dem Herrn dennoch etwas
überaus Leichtes ist.
[BM.01_066,10] Ich meine aber, da ihr alle nun schon etwas bessere Erkenntnis
angenommen habt, läßt der Herr auch mehr Licht zu uns kommen. Und da sich unsere
Begriffe über Ihn nun etwas erweitert haben, so hat auch Er uns diese sichere
Wohnung entsprechend erweitert, auf daß wir alle in ihr einen desto
hinreichenderen Platz haben sollen. Oh, über derlei Erscheinungen muß man sich
hier im eigentlichen Wunderreiche gar nicht zu sehr wundern: hier werden nicht
zuerst die Kirschen, dann die Pflaumen und bald darauf Zwetschgen zeitig,
sondern hier geschieht alles nur nach der Reife unserer Herzen durch die
Allmacht, Liebe und Weisheit des Herrn!
[BM.01_066,11] Aber nun erschaue ich dort auf der runden Tafel auch auf einmal
eine ganz neue, stark glänzende Schrift! Muß doch sehen, was da oben steht!“
Bischof Martin bewegt sich behende zur Tafel und liest: „Martin, komme heraus,
denn Ich habe Nötiges mit dir abzumachen! Die ganze Gesellschaft aber soll sich
unterdessen ruhig verhalten. Komm, es sei!“ Bischof Martin macht ganz selig der
Gesellschaft kund, daß sie sich nun ruhig verhalte, was sie auch genau befolgt.
Er aber will dann sogleich dem Rufe auf der Tafel nachkommen.
67. Kapitel – Veränderung des Gartens. Borem als Gärtner.
[BM.01_067,01] Als Bischof Martin aus der Tür seines Hauses tritt, erschaut er
den Garten um sein Haus sehr erweitert und in einem überaus blühenden Zustande,
was ihm eine ungemein große Freude macht. So ersieht er auch wieder des Herrn
Wohnung in großer Nähe gegen den Morgen zu, was ihn noch ums unvergleichbare
seliger stimmt. Aber er sieht sich nach allen Seiten um und erblickt niemand,
der ihn draußen erwartete. Das macht unsern Martin schon wieder ein wenig
stutzen; aber er verliert diesmal seinen Mut wie auch seine Geduld nicht und
geht in den Garten, Mich, den Herrn, aufzusuchen. Er meint, Ich werde Mich da
irgend verborgen halten, um möglicherweise von der großen Gesellschaft durch ein
Fenster nicht gesehen zu werden.
[BM.01_067,02] Bischof Martin durchsucht emsigst den Garten. Da er Mich dennoch
nicht findet, so spricht er bei sich: „Das sieht schon wieder so einer kleinen
himmlischen Ansetzerei gleich! Aber das macht nichts, wenn nur ich meiner
erkannten Pflicht nachkomme. Mag der Herr entweder Selbst oder ein Abgesandter
von Ihm tun, was Er will, das ist mir nun schon alles eins. Ich könnte freilich
wohl zu Ihm hin in Seine Wohnung gehen, aber dazu habe ich keinen Auftrag. Denn
auf der Tafel stand nur: ,Martin, komme heraus; denn Ich habe Nötiges mit dir
abzumachen!‘ Draußen bin ich nun einmal, meinen Auftrag habe ich genau erfüllt.
Hat mich der Herr umsonst herausgerufen, so geht mich das nichts an, ich bin
einmal da.“
[BM.01_067,03] Nach diesen Gedanken schlendert Bischof Martin weiter in dem sehr
ausgedehnten Garten herum und entdeckt ganz am Ende des Gartens einen Gärtner,
der gerade ein kleines Bäumchen ums andere in das Erdreich setzt. Diesem
fleißigen Gärtner geht er zu. Als er in seine Nähe kommt, erkennt er sogleich
seinen Buchhändler Borem und spricht voll Freuden: „O Bruder, o Freund! Wie oft
habe ich schon bereut, daß ich dich so grob und so arg beleidigt habe! Vergib es
mir, und werde mein ewig unzertrennlicher Führer! Denn siehe, ich erkenne nun in
der Fülle mein Unrecht gegen dich – und besonders gegen die Güte des Herrn!“
[BM.01_067,04] Borem sieht sich um und begrüßt freundlichst den Bischof mit den
Worten: „Sei mir gegrüßt, mein lieber Bruder Martin! Es macht dem Herrn eine
rechte Freude, daß du frei aus dir selbst Gutes getan hast. Darum aber hat der
Herr mich auch hierher beschieden, daß ich dir diesen deinen Garten
zurechtbringe und ihn erweitere, wie du dein Herz zurechtgebracht hast und hast
es sehr erweitert in der Liebe. Fahre so fort, im Namen des Herrn zu wirken, so
wirst du dich der Wiedergeburt deines Geistes mit Riesenschritten nahen!
[BM.01_067,05] Ich aber bleibe nun bei dir, weil du mich selbst in deinem Herzen
verlangtest, und will dir beistehen und helfen, wo es dir nur immer nottun wird.
In deinem Hause gibt es nun eine große Arbeit. Diese wird uns noch sehr viel zu
schaffen machen. Aber wenn der Kampf am ärgsten sein wird, dann wird auch ein
glänzender Sieg am nächsten sein.
[BM.01_067,06] Nun bin ich auch mit dem Einsetzen der Bäumchen fertig. Laß uns
daher zu denen gehen, die unserer Hilfe bedürfen! Sie sind zwar von dir schon
tüchtig bearbeitet, ungefähr wie dieser Garten nun; dessenungeachtet wird es
noch ziemlich viel brauchen, bis alle die tausend Bäumchen vollreife Frucht zum
Vorscheine bringen werden.
[BM.01_067,07] Liebe und Geduld aber überwinden alles! Daher gehen wir nun
getrost ins Haus und beginnen sogleich unser gerechtes Werk im Namen des Herrn!“
– Borem und Martin gehen nun sogleich ins Haus.
68. Kapitel – Borems belehrende Worte über den Weg zur Seligkeit.
[BM.01_068,01] Als nun beide ins Haus kommen, geht ihnen sogleich einer der
Minoriten, der schon früher so recht verständig geredet, entgegen und fragt
Martin: „O lieber Freund und Bruder, was doch gab es draußen, darum du so
eilends hinaus mußtest? Siehe, wir alle waren darob in großer Bestürzung und
Sorge wegen deiner: wir meinten, du wärest etwa unseretwegen zur Rechenschaft
gezogen, und dir sei darum vielleicht etwas Übles begegnet. O sage uns, wie es
dir erging!“
[BM.01_068,02] Martin lächelt und spricht: „O liebe Freunde und Brüder, seid
meinetwegen gänzlich unbesorgt! Seht, diesen lieben Freund und Bruder hat mir
der Herr euret- und meinetwegen zugesandt, daß er mir helfe, euch alle auf den
rechten Weg zu bringen, – darum einzig und allein bin ich hinaus gerufen worden.
[BM.01_068,03] Ihr alle aber müßt nun diesen Freund des Herrn willigst anhören
und euch allezeit nach seinen Worten richten, so wird euer und vielleicht auch
mein Los bald in Kürze ein besseres und freieres werden. Denn seht, auch ich bin
noch lange kein völlig seliger Geist, sondern nur auf dem Wege, der vollkommenen
Seligkeit durch die Gnade des Herrn teilhaftig zu werden!
[BM.01_068,04] Befleißigt euch nun alle, dieser Gnade ehest möglich teilhaftig
zu werden! Es kann sehr leicht sein, daß wir dann samt und sämtlich unsern Weg
zu gleicher Weile in das Reich des Gotteslichtes nehmen werden!“
[BM.01_068,05] Spricht der Minorite wieder: „Ja, Bruder, wir alle versprechen es
dir und deinem Freunde, uns in allem strenge nach der Vorschrift zu verhalten,
die ihr uns geben werdet, um nur der allergeringsten Gnade des Herrn teilhaftig
zu werden!“
[BM.01_068,06] Spricht Borem: „Ja, liebe Brüder und Schwestern, haltet dies euer
Versprechen aus dem Grunde eures Herzens! Liebet Jesus Christus, den
Gekreuzigten, über alles, darum Er ist unser aller einiger, liebevollster und
heiligster Vater! Suchet allein nur Ihn und Seine Liebe und hänget an nichts
eure Herzen denn allein nur an Ihn, so werdet ihr viel eher, als ihr es denket,
euch in Seiner ewigen Liebewohnung befinden! Aber alle eure sinnlichen
Weltanhängsel müsset ihr aus euren Herzen verbannen, sonst wäre es nicht
möglich, euch in die ewige Wohnung des heiligen Vaters zu bringen. Merket aber
nun wohl, was ich euch sagen werde!
[BM.01_068,07] Seht, ihr alle hattet auf der Welt von Gott und vom Himmel, wie
überhaupt vom Leben der Seele und ihrem Befinden nach dem Tode des Leibes, zwar
zwei verschiedene, aber durchgehends grundfalsche Begriffe. Ihr habt euch schon
bisher überzeugen können, daß sich hier euer irdischer Glaube in nichts
bestätigt erwiesen hat: Ihr habt kein Fegefeuer, ja sogar keine Hölle, wie auch
keinen Himmel und keine beflügelten Engel gefunden. Wie ihr aber das alles nicht
gefunden habt, so werdet ihr auch alles andere ewig nicht finden, woran ihr als
römische Katholiken geglaubt habt.
[BM.01_068,08] Auch alle die Gebetshilfen der Gemeinden und der Priester, auf
die ihr große Glaubensstücke gehalten habt, haben hier nicht den allergeringsten
Wert. Niemand kommt hier durch ein vermitteltes Erbarmen zum Herrn, da der Herr
ohnehin von der allerhöchsten Erbarmung ist. Es wäre daher eine allergrößte,
sündhaftigste Torheit, den allerbarmherzigsten, liebevollsten, allerbesten Vater
zur Barmherzigkeit bewegen zu wollen.
[BM.01_068,09] Daher muß hier ein jeder selbst ernstlichst Hand an sein eigenes
Werk legen, ansonsten es unmöglich wäre, zu Gott, dem Herrn aller ewigen,
unendlichen Herrlichkeit zu gelangen. Seht, ich bin nun selbst ein großer Engel
des Herrn. Er ruft mich nicht anders als: ,Mein Bruder! Wie endlos lieb habe Ich
dich!‘ Und seht, so ich auch hinginge und möchte bitten für euch eine Ewigkeit,
würde euch das dennoch nichts nützen. Denn jeder muß selbst tun aus seiner Liebe
heraus, was da in seiner Kraft steht, ansonsten er nie zu der wahren Freiheit
seines Geistes gelangen kann. Gott ist wohl allmächtig, aber Seine Allmacht
macht niemanden frei, da eben sie es ist, aus der wir durch unsern freien Willen
und durch die Liebe zu Gott frei gemacht werden müssen. Sonst wären wir nichts
als Maschinen und Automaten dieser Allmacht Gottes.
[BM.01_068,10] Der Herr aber hat darum aus Seiner endlosesten Weisheit geordnete
Wege gestellt, die wir wandeln müssen, um zu dieser göttlichen Freiheit zu
gelangen. Diese Wege waren euch bis jetzt unbekannt, ich aber werde sie euch nun
bekanntgeben. Daher müßt ihr wohl darauf achten, und euch genau – aber
freiwillig – auf diesen Wegen halten. Dann werdet ihr dahin gelangen, wohin zu
gelangen ein jeder von Gott geschaffene Geist berufen ist.
[BM.01_068,11] Es wird euch von nun an alle erdenkliche Freiheit gegeben werden.
Was ihr immer wünschen und wollen werdet, wird euch zuteil werden. Aber diese
Freiheit ist noch keine Freiheit, sondern nur eine Prüfung, die ihr zu
verstehen, aber ja nicht zu mißbrauchen habt!
[BM.01_068,12] Es werden euch tausende Evas den versuchenden Apfel hinhalten,
aber ihr dürft ihn aus Liebe zum Herrn nicht anrühren!
[BM.01_068,13] Ihr werdet verleumdet und verspottet werden, aber da dürft ihr
euch nie erzürnen oder an eine böse Vergeltung denken!
[BM.01_068,14] Man wird euch verfolgen, wird euch berauben, und mißhandeln
sogar. Aber eure Gegenwehr sei nichts als Liebe, obschon euch alle Mittel zu
Gebote stehen werden, durch die ihr euch zur Genüge rächen könntet!
[BM.01_068,15] Gedenket allezeit des Herrn und Seines Evangeliums, so werdet ihr
eure Wohnung für die Ewigkeit auf festem Grunde bauen, daß sie nimmer
erschüttert wird!
[BM.01_068,16] Ich sage euch die ewige Wahrheit aus Gott, dem Herrn alles Seins
und Lebens. Wer da nicht erfüllet das Wort Gottes in sich tatsächlich, der kann
in Sein Reich nicht eingehen!
[BM.01_068,17] Jeder muß der Demut engste Pforte passieren und muß dem Herrn
alles anheimstellen. Nichts als die alleinige Liebe, mit der tiefsten Demut
gepaart, darf uns bleiben! Uns darf nichts beleidigen. Wir dürfen nie denken und
sagen, dies und jenes gebühre uns irgend mit Recht. Denn wir alle haben nur ein
Recht, nämlich das Recht der Liebe und der Demut. Alles andere ist ganz allein
des Herrn!
[BM.01_068,18] Wie aber der Herr Selbst Sich bis auf den äußersten Punkt
gedemütigt hat, also müssen auch wir es tun, so wir dahin kommen wollen, wo Er
ist!
[BM.01_068,19] Wer dir eine Ohrfeige gibt, dem erwidere sie nicht, sondern halte
ihm noch die andere Wange hin, auf daß Friede und Einigkeit herrsche unter euch!
Wer von dir den Mantel verlangt, dem gib auch den Rock dazu! Wer dich zu einer
Stunde Geleite nötigt, mit dem gehe zwei Stunden, auf daß du ihm Liebe erweisest
im Vollmaße! Den Feind segne, und bete für die, so dich verfluchen! Nie vergelte
jemand Böses mit Bösem und Schlechtes mit Schlechtem, sondern tuet denen Gutes,
die euch hassen – so werdet ihr wahrhaft Kinder Gottes sein!
[BM.01_068,20] Solange ihr aber euer Recht irgend anderwärts suchet als allein
nur im Worte Gottes, solange ihr noch der Beleidigung Stachel in euch traget,
ja, solange ihr der Meinung seid, es geschehe euch in diesem oder jenem ein
Unrecht – so lange seid ihr noch Kinder der Hölle und des Herrn Gnade ist nicht
in euch.
[BM.01_068,21] Gottes Kinder müssen alles ertragen können, alles erdulden! Ihre
Kraft sei allein die Liebe zu Gott und die Liebe zu ihren Brüdern, ob sie gut
oder böse sind.
[BM.01_068,22] Wenn sie darin fest sind, dann auch sind sie vollkommen frei und
fähig, in das Reich Gottes aufgenommen zu werden.
[BM.01_068,23] Ich weiß aber, daß ihr alle Priester waret und Nonnen der
Gemeinde Roms, die da ist die allerfinsterste. Ich weiß auch, daß sich einige
von euch darauf heimlich noch viel zugute tun. Aber da sage ich euch: daran
denke niemand von euch, was er auf der Erde war und getan hat! Denn so jemand
daran denkt, daß er Gutes getan hat, wird der Herr auch daran denken, wieviel
Böses jemand von euch getan hat, und wird ihn richten nach seinen Werken! Wer
aber vom Herrn gerichtet wird, der wird gerichtet zum Tode und nicht zum Leben;
denn das Gericht ist der Tod der Seele in der ewigen Knechtschaft ihres Geistes!
[BM.01_068,24] So aber der Herr spricht: ,Wenn ihr alles getan habet, so
bekennet, daß ihr nutzlose Knechte waret!‘ – um wieviel mehr müßt ihr an euch
das bekennen, die ihr doch alle nie das Evangelium nur im geringsten in euch, an
euch und noch weniger an euren Brüdern erfüllet habt!
[BM.01_068,25] So habe ich nun zu euch geredet im Namen des Herrn und habe kein
Wort dazugesetzt und keines weggenommen: Wie ich es empfangen habe vom Herrn, so
habe ich es euch auch getreu kundgetan. Nun aber ist es an euch, das alles in
den besten Vollzug zu bringen. Von nun an könnt ihr euch nimmer entschuldigen,
als hättet ihr es nie gehört, so ihr wegen starrsinniger Nichtbefolgung dem
Gerichte verfallen würdet!
[BM.01_068,26] Ist aber jemand guten Willens und fällt ob angestammter Schwäche,
da bin ich und dieser Bruder da, im Namen des Herrn jedermann aufzuhelfen!
[BM.01_068,27] Ihr sehet nun, daß von euch allen vorerst nur der gute Wille
gefordert wird, dann erst das Werk!
[BM.01_068,28] Seid also alle voll des Willens zum Guten, so wird man es mit dem
Werke so genau nicht nehmen, da ein guter Wille schon als ein Werk des Geistes
zu betrachten ist!
[BM.01_068,29] Wehe aber jedem von euch, der da wäre in sich geheim
hinterlistigen, bösen Willens und täte nur äußerlich, als hätte er einen guten
Willen! Ich sage euch aus der Kraft des Herrn, die mich nun durchweht wie ein
mächtigster Orkan einen Wald: ein solcher würde jählings zur Hölle getrieben
werden und geworfen in den Pfuhl des ewigen Verderbens – wie da ein Stein fällt
vom Himmel in den Abgrund des Meeres, von wo aus er nicht wieder genommen wird,
sondern liegenbleibt im Pfuhle und Schlamme des Gerichtes!
[BM.01_068,30] Nun wißt ihr, was ihr zu tun habt, um als wahre Kinder des Herrn
in Sein Reich zu gelangen. Tuet alle danach, so werdet ihr leben!
[BM.01_068,31] Ich und dieser euer erster Freund aber werden, wennschon nicht
allzeit sichtbar, hinter euch uns befinden und werden euch aufhelfen, so jemand
von euch fiele in seiner Schwäche. Aber der da fiele in seiner Bosheit, dem wird
nicht geholfen werden, außer durch Gleiches mit Gleichem! Fragt aber nicht, wo
wird der Ort solcher unserer Prüfung sein? Ich sage euch: Hie und da, und wenn
ihr es am wenigsten gedenket, auf daß eure Freiheit nicht gestöret werde! Der
Herr sei mit euch und mit uns! Amen!“
[BM.01_068,32] Spricht Bischof Martin: „Bruder, du hast hier wirklich rein aus
dem Herrn geredet, und wahr ist alles auf ein Haar. Aber mich hat es auch ganz
sonderlich ergriffen, denn ich selbst habe noch viele Punkte darin gefunden, die
mich sehr nahe angehen!“
[BM.01_068,33] Spricht Borem: „So wird es dir sicher keinen Schaden bringen, so
du sie auch beachtest! Denn zu der schönen Merkurianerin möchte ich dich ganz
allein noch nicht lassen! Verstehst mich, Bruder?“
[BM.01_068,34] Spricht Bischof Martin: „Hast recht, hast recht! Weißt, so'n
bißchen Vieh bin ich noch immer; aber ich hoffe, nun wird sich's wohl ändern!“
69. Kapitel – Ein neues Wunder für Bischof Martin: Prüfungsszene der Minoriten
und Jesuiten.
[BM.01_069,01] Bischof Martin: „Aber nun bin ich selbst neugierig, wie und wo
die Prüfungen dieser sozusagen tausend Mann hohen Gesellschaft beginnen werden.
Hier im Hause wird sich's nicht tun, und außer demselben einen jeden auf einen
andern Ort stellen? Wir sind nur unser zwei – ich weiß wirklich nicht, wie sich
diese Sache tun wird. Aus hundert Schafen, so neunundneunzig darunter gerecht
sind, das eine verlorene suchen, das wäre nach meiner Meinung eben keine gar zu
unausführbare Aufgabe. Hier aber handelt sich's um tausend sozusagen rein
verlorene Schafe, da wird es heißen, nicht nur einem, sondern tausend verirrten
nachgehen. Höre, Freund, das wird eine höchst sonderbare, mir bis jetzt durchaus
unbegreifliche Aufgabe sein!“
[BM.01_069,02] Spricht Borem: „Freund und Bruder, laß du solches Fragen gut
sein. Siehe, bei Gott sind gar viele Dinge möglich, die dir jetzt noch völlig
unmöglich vorkommen. Diese alle werden hier in diesem Hause verbleiben und
werden sichtlich keinen Fuß vor die Schwelle setzen. Und doch werden sie bei
sich selbst in verschiedenste Gegenden versetzt werden, die mit ihrem Innern auf
ein Haar korrespondieren werden. Und so wir in ihre Sphäre treten werden, so
werden wir ganz von ihnen gesehen werden, und sie werden mit uns gar wohl reden
können. Werden wir uns aber außer ihrer Sphäre befinden, so werden sie uns nicht
sehen. Wir aber werden sie dennoch wie jetzt vor uns haben und werden aus ihren
Hinterhäuptern genauest erkennen, was sie tun und wie sie des Herrn Wege
beachten und wandeln.
[BM.01_069,03] Siehe, sie alle sind nun ihrem Inwendigen nach schon lange dort,
wo sie sein müssen. Wir sehen sie alle unverrückt an ihren Plätzen stehen und
sich so gebärden, als führten sie Gespräche miteinander. Aber sie reden nicht
miteinander, denn sie sehen sich nun untereinander ebensowenig, als sie uns
sehen.
[BM.01_069,04] Siehe, nun werden sie geordnet in eine Reihe, daß wir sie leicht
übersehen werden. Aber sie merken davon ebensowenig wie ein tief Schlafender, so
er samt seinem Bette in ein anderes Zimmer getragen wird. Nun sind sie schon in
Reihen geordnet, so, daß wir eines jeden Hinterhaupt beobachten können. Komme
hier zu diesem Minoriten und sieh, was er tut!“
[BM.01_069,05] Bischof Martin tritt nun hinter den Minoriten und sieht durch
dessen Hinterhaupt wie bei einem sogenannten Diorama durch das
Vergrößerungsglas. Da erschaut er eine gar wunderherrliche Gegend und in selber
den Minoriten selbst, wie dieser von einer ganzen Gruppe Evas umzüngelt ist,
sich aber von ihnen nicht beirren läßt, sondern sie nur belehrt und sein Auge
einem hellen Sterne, der im ewigen Osten aufgeht, unverwandt zuwendet.
[BM.01_069,06] Spricht Borem: „Siehe, der ist schon gerettet! Und da sieh
weiter, mit ihm noch eine Menge! Aber nun gehen wir weiter und schauen, wie es
mit den Jesuiten aussieht!“
[BM.01_069,07] Beide bewegen sich nun hinter die Reihe der Jesuiten und
besichtigen deren Hinterhaupt. Was erschauen sie aber hier? Bei dreißig dieser
Mönche balgen sich um eine ganze Legion nackter Dirnen und können sich nicht
sattsam befleischlustigen. Die Stärkeren ziehen die Üppigsten an sich und lassen
den Schwächeren die weniger Üppigen über. Das ärgert die Schwächeren ganz
gewaltig, darum sie sich auch von diesen ihren stärkeren Kollegen zu entfernen
beginnen, um gegen diese eine Rächerschar zu sammeln, sie dann anzugreifen und
grausamst zu züchtigen. Auch die Menge der schwächeren und weniger üppigen
Dirnen rottet sich gegen die üppigeren und wollen ihnen ihre größere Üppigkeit
mit der Schärfe aller ihrer Nägel auf das energischste herunterkratzen.
[BM.01_069,08] Bischof Martin betrachtet diese Szenen ganz stumm, teils vor
Verwunderung und teils vor heimlichem Ärger, und weiß nicht, was er dazu sagen
soll.
[BM.01_069,09] Borem merkt das wohl und spricht zum Bischof Martin: „Bruder, wie
kommt dir dieser Anblick vor, was sagst du dazu?“
[BM.01_069,10] Spricht Bischof Martin: „O du mein liebster Freund und Bruder!
Nein, das hätte ich von diesen scheinheiligen Lumpen denn doch nicht geglaubt.
Die Kerle treiben es ja ärger als alle Hunde und Affen auf der Erde. Bei meinem
armseligen Leben, da dürfte ich wahrlich nicht deine Macht und Weisheit haben
und dies mein Gefühl dazu! Ich ließe sogleich wenigstens eine Million Blitze
unter sie fahren. Wie diese Kerle nach so einem Manöver aussehen würden, für das
gebe es sicher kein hinreichend elendes Bild, durch das sie ganz getroffen
werden könnten!
[BM.01_069,11] O ihr allerabgefeimtesten Lumpen! Nein, aber ich bitte dich,
Bruder, da sieh hin! Da sehe ich nun gerade den Lumpen, der in China ob Verrats
zwischen zwei Steinplatten verbrannt wurde, wie er eben die schöne Chinesin nun
auf das entsetzlichste mißhandelt! Sieh, sieh, wie er wie ein Geier die Arme
zerfleischt! Ah, so was ist ja im höchsten Grade empörend! Das müssen wir denn
bei Gott ja doch nicht angehen lassen!“
[BM.01_069,12] Spricht Borem: „Mein Freund, das ist erst der Anfang; lassen wir
es nur gehen, wie es nun geht! Es wird sich das Rad bald wenden. Sieh, diese
Chinesin entflieht nun und wird bald zu einem mächtigeren Regiment stoßen, das
sich ihrer annehmen wird. Sie wird dann eine ganz entsetzliche Rache nehmen an
diesem rachsüchtigen Jesuiten. Da sieh, dort aus jener Berghöhle, vor der sie
nun steht und schreit, steigen schon eine Menge Ungeheuer allergräßlichster Art!
Sieh ihrer eine Unzahl! Sie teilen sich und umzingeln nach allen Seiten unsere
Jesuitenschar. Diese merken noch nicht, was ihnen bevorsteht. Aber nun gib acht,
die Ungeheuer haben den Kreis geschlossen. Die Chinesin, noch mit ganz
zerrissener und zerfetzter Haut und mit einem Herrscherstabe in der Hand, naht
sich dem Jesuitenhaufen, der sich noch mit den nackten Dirnen beschäftigt. Nun
gib acht, und sage mir, was du nun sogleich erschauen wirst!“
[BM.01_069,13] Bischof Martin sieht nun eine kurze Zeit hin, fährt dann förmlich
zurück und spricht ganz ergriffen: „Ah, ah, das ist ja schrecklich, ja, das ist
entsetzlich, entsetzlich, entsetzlich! Sieh, diese Chinesin trat gleich einer
Furie wie ganz glühend vor unsern Jesuiten. Und soviel ich aus ihrer rein
höllischen Gebärde entnehmen konnte, sprach sie: ,Kennst du mich, Elender?‘ Der
Jesuite machte ein erbostes, trotziges Gesicht und sprach: ,Ja, Elendeste! Mein
Fluch soll deiner ewig nimmer vergessen!‘ Er gebietet darauf seinen Kollegen,
diese Elendeste noch einmal zu ergreifen und sie in Stücke zu zerreißen. Aber in
diesem Augenblicke schreit sie: ,Zurück, ihr verfluchten Verführer aller Welt!
Euer Maß ist voll! Nun kommt meine Rache über euch!‘ In diesem Augenblicke
stürzen eine ganze Legion großer, scheußlichster Ungeheuer auf unsere Jesuiten
los, ergreifen sie und zerreißen sie in kleine Stücke. Die Chinesin nimmt nun
das Haupt unseres Jesuiten, der sie ehedem zerfleischt hatte, und schleudert es
in einen Abgrund, aus dem nun helle Flammen emporschlagen, und schleudert nun
auch die übrigen Reste in denselben Abgrund. Ah, wenn das nicht mehr als Hölle
ist, so weiß ich wirklich nicht, unter welchem noch gräßlicheren Bilde ich mir
dieselbe vorstellen sollte! Höre, sollen wir da etwa auch noch nicht
intervenieren?“
[BM.01_069,14] Spricht Borem: „O nein, da handelt der Herr Selbst; wir wären da
viel zu ohnmächtig! Sieh aber, solange sie hier noch vor uns in Reih und Glied
stehen, so lange sind sie noch immer nicht für verloren anzusehen. Aber so etwa
welche aus dieser Reihe entschwinden möchten, mit diesen würden wir dann wenig
mehr zu tun bekommen! Soviel aber sage ich dir: gar zu weit sind diese von der
Hölle eben nicht mehr, denn das alles, was du nun geschaut hast, geht nur in den
Gemütern dieser Patres vor und nicht in der Wirklichkeit. Aber wenn ein Gemüt so
sich gestaltet und gebärdet, da ist freilich die allertraurigste Wirklichkeit
keineswegs mehr ferne.
[BM.01_069,15] Was du nun gesehen, geht im Herzen dieser Patres vor. Der Herr
aber bewirkt es, daß wir so ganz in salvis das alles bildlich und dramatisch vor
uns erschauen. Wir haben nun gesehen, welchen Sinnes und Willens diese Wesen
sind. Nun werden wir ersehen, ob sie etwa doch, der ihnen gegebenen Lehre
eingedenk, diese arge Sinnes- und Willensart nicht ändern werden zufolge dieser
Demonstration, die ihnen der Herr Selbst in ihr Gemüt wie eine Gegenrache
eingegossen hat.
[BM.01_069,16] Die Zerreißung durch die Ungeheuer stellt zwar eine starke
Demütigung vor, durch die sie sicher zu irgendeiner Vernunft gebracht werden.
Wir werden sie nun aber bald wieder als ganze Wesen auftreten sehen. Da wird
sich's dann sogleich zeigen, welchen Eindruck diese Demonstration auf sie
gemacht hat.
[BM.01_069,17] Da, sieh nun nur wieder hinein, du wirst die ganze Jesuitenschar
wieder aus demselben Loche emporsteigen sehen, in das früher die Chinesin bloß
nur den einen zerstückelten Jesuiten hinabgeschleudert hat!“
[BM.01_069,18] Bischof Martin richtet nun wieder sein Augenmerk auf diese Szene
und spricht: „Richtig, da kommen die Kerls wieder ganz wohlgestaltig zurück; bin
doch recht neugierig, was sie nun anfangen werden! Aha, schau, schau, sie fangen
an, nun etwas bessere Saiten aufzuziehen! No, vielleicht wird sich's doch
machen! Ich bemerke sogar, wie einige aus der Schar den Eindruck erwecken, als
wollten sie gar zu beten anfangen, denn sie machen ganz fromme Mienen. Ich wäre
wirklich von ganzem Herzen froh, so sie sich alle bessern möchten!“
[BM.01_069,19] Spricht Borem: „Was bei den Menschen unmöglich scheint, das ist
bei Gott gar wohl möglich! Die erste Prüfung wäre so leidlich ausgefallen, aber
nun kommt eine andere. Wir werden da sehen, wie sie diese bestehen werden. Ich
sage dir, diese wird viel ärger sein denn die erste. Sieh nun wieder hin, der
zweite Akt wird sogleich seinen Anfang nehmen!“
70. Kapitel – Zweite Szene der Jesuitenprüfung und ihre Erklärung durch Borem.
[BM.01_070,01] Bischof Martin sieht nun wieder hin und bemerkt, wie sich unseren
Jesuiten eine Karawane Pilger naht, welche sehr viele Schätze und Reichtümer mit
sich führt.
[BM.01_070,02] Die Patres bemerken das, und als die Karawane in ihre Nähe kommt,
wird sie von ihnen angehalten und gefragt, wohin sie ziehe und was sie mit sich
führe.
[BM.01_070,03] Die Karawane spricht: „Wir kommen von der Welt, haben dort
mehrere Klöster ausgeraubt, und namentlich jene reichsten der Jesuiten, weil
diese selbst die größten Räuber und Banditen auf der Welt sind.
[BM.01_070,04] Denn der Menschheit durch falsche Reden, Frömmeleien, Gleisnerei
und durch allerlei arge Vorspiegelungen von der Hölle und Verdammnis ihre oft
kümmerlich erworbene Habe abnehmen und oft sogar mit allerlei Gewalt entreißen,
ist noch ärger als öffentlich rauben und stehlen. Gegen Räuber und Diebe hat
jedermann das Notwehr- und Verteidigungsrecht, aber gegen derlei jesuitische und
andere mönchische Diebereien und Räubereien können sich nur sehr wenige
schützen.
[BM.01_070,05] Und so ist ihr Besitz ein höchst unrechtmäßiger. Es ist demnach
recht und billig, daß wir diese früher erwähnten Klöster ausgeplündert haben.
Nun tragen wir diesen Raub vor Gottes Thron und wollen dort so lange um Rache
schreien, bis der Herr und Gott uns erhören wird und diese boshafteste und am
meisten betrügerische Brut von der Wurzel aus vertilgen wird!“
[BM.01_070,06] Als die Patres Jesu solches vernehmen, da erglühen sie förmlich
vor Wut und Grimm.
[BM.01_070,07] Bischof Martin, der das alles mit angehört hatte, spricht zu
Borem: „Bruder, jetzt sieht es im Ernste für diese unsere Jesuiten – wenigstens
für die dreißig, die schon beim ersten Manöver zugegen waren – schlimm aus! Ich
sehe wohl auch alle andern dieses Kollegiums, diese aber halten sich nicht bei
diesen dreißig auf, sondern bilden eine abgesonderte Schar, die viel lichter
aussieht als diese dreißig.“
[BM.01_070,08] Spricht Borem: „Diese andern sind schon so gut wie gerettet, aber
diese dreißig stehen noch überaus locker. Gib aber nun acht, was da vor sich
gehen wird!“
[BM.01_070,09] Bischof Martin gibt nun aufmerksamen Gemütes acht und spricht
nach einer Weile: „Aber, aber, aber! Bruder, ich bitte dich um Gottes willen, da
müssen wir ja doch eingreifen! Ach, das sind ja wahrhaftige Teu– – –
Gottstehunsbei! Nein, so was hätte ich von diesem Orden nie geahnt!
[BM.01_070,10] Höre mich an, so du etwa die schrecklichste Sentenz der Jesuiten
überhört hast: Als die Karawane mit ihrer Antwort und Erklärung fertig war, da
wurden die Patres ganz glühend und schrien aus einem Rachen:
[BM.01_070,11] ,O ihr verruchtesten Gottesmörder, die ihr euch so frevelhaftig
am Gottesheiligtum vergriffen habt! Ihr seid der gerechten Rache gerade von
selbst in die Hände gefallen! Diese Jesuiten, die ihr so schändlichst beraubt
habt, und gegen die ihr die Rache Gottes anflehen wollt, sind wir! Gott hat uns
sicher hierhergestellt, damit wir euch ob eures unaussprechlich großen Frevels
sogleich der tiefsten und schrecklichsten Hölle übergeben an dieser Stelle!
Hinab mit euch, ihr ärgsten Teufel, zu den allerärgsten Teufeln!
[BM.01_070,12] Komme herauf, Luzifer, herauf, du Satan, herauf, du Leviathan:
Nehmet diese verruchtesten, allerbösesten, ketzerischsten, somit auch
allerverfluchtesten, vermaledeitesten, überteuflischen Bösewichter in den ewig
marter- und qualvollsten Empfang und werfet sie dorthin, wo die Hölle am
allerglühendsten ist!‘
[BM.01_070,13] Mein Bruder, das ist doch sicher noch nicht dagewesen! Diese
Kerle meinen es gut mit der armen Karawane! Ich meine, Bruder, solche Gemüter
werden sich wohl ewig nimmer bessern?
[BM.01_070,14] Ah, ah, ah, da sieh nun hin, da kommen wirklich drei
scheußlichste Gestalten aus der Tiefe! Feuer sprüht aus ihren schrecklichen
Rachen, die sie so weit aufsperren, daß sie ganze Häuser verschlingen könnten!
[BM.01_070,15] Die Karawane gerät bei ihrem Anblicke in die größte zagendste
Angst, legt ihre Bündel vor den Jesuiten nieder und fleht um Vergebung und
Erbarmen.
[BM.01_070,16] Aber die Jesuiten stoßen sie unbarmherzig zurück und schreien nur
noch mehr, vor Zorn und Grimm glühschäumend: ,Hinab mit euch, hier ist kein
Erbarmen und ewig keine Vergebung mehr! Die erschrecklichste ewige Qual in einer
ewig vergeblichen, brennenden Reue sei euer Los und Lohn für euer Werk! Ergreift
sie, ihr drei allergrößten und ärgsten Teufel, und vergeltet ihnen ewig, was sie
an uns zeitlich getan haben!‘
[BM.01_070,17] Die Karawane bittet noch mehr, aber vergebens. Die drei Teufel
nähern sich der Karawane. Die schreit nun noch entsetzlicher um Erbarmen, aber
es ist vergeblich. Mit großer Wonne betrachten die Jesuiten die so endlos
Geängstigten. Ah, das sind doch wahrhaftig verfluchte Kerle, ja das sind Teufel
der Teufel!
[BM.01_070,18] Die drei wirklichen Teufel lassen sich noch Zeit und schauen ganz
bedenklich in das schreckliche Begehren der Jesuiten. Aber diese Luderkerle
wollen die Armen sogleich ohne alle Gnade und Pardon in der Hölle haben.
[BM.01_070,19] Da sieh, nun reden wirklich die drei Teufel und bemerken, daß der
Jesuiten Urteil zu strenge und sogar ungerecht gegen diese nur kleinen Sünder
geschöpft ist!
[BM.01_070,20] Aber die Jesuiten sagen laut: ,Unser Urteil ist Gottes Urteil,
somit gerecht! Daher fort mit ihnen, hinab zur Qual!‘
[BM.01_070,21] Die Teufel aber schreien entgegen: ,Ihr begehret zu viel! So hat
Gott noch nie geurteilt! Wohlan, wir tun es, wie ihr wollt, aber höret: auf eure
Rechnung, so euer Begehren nicht von Gott herrührt!‘
[BM.01_070,22] O Bruder, höre, siehe ein entsetzlicher Schrei entsteigt der
unglücklichen Karawane und sie verschwindet nun mit den Teufeln. Die Jesuiten
aber frohlocken mit heiteren Gesichtern! Bruder, was sagst du dazu? Sind das
Teufel oder nicht?“
[BM.01_070,23] Spricht Borem: „Mache dir aus allem dem nichts. Denn siehe, das
alles ist – wie schon früher bemerkt – eine pure Erscheinlichkeit, die sich uns
durch des Herrn allmächtige Vermittlung beschaulich darstellt, so diese
Erscheinlichkeit zum Austritt aus den Gemütern dieser noch stark unsinnigen
Patres genötigt wird!
[BM.01_070,24] Denn die Ablegung des Bösen besteht nicht selten darin, daß
dieses in seiner wahren Gestalt aus den Gemütern wie werktätig scheinend
hinausgestoßen wird; aber das Ganze ist dennoch mehr ein blinder Lärm als
irgendeine Wirklichkeit.
[BM.01_070,25] Darum mußt du dir aus dem hier Geschauten eben nicht gar soviel
machen. Alles, was du hier geschehen siehst, entstammt allein der allertiefsten
Liebe und allerhöchsten Weisheit des Herrn und hat große Ähnlichkeit mit dem
Erscheinen der mannigfachen Krankheiten der Menschen auf der Erde.
[BM.01_070,26] Die Krankheiten sind zwar ein Übel des Leibes, aber dafür eine
große Wohltat der Seele und nicht selten auch des Leibes selbst, weil durch sie
ein schlechter Stoff gewaltsam aus dem Fleische geschafft wird.
[BM.01_070,27] Also sind auch diese Erscheinungen nichts als mit
herübergebrachte Krankheiten der Seele, die alle sämtlich hinausgetrieben werden
müssen, und zwar durch geistige Medizinen wie die leiblichen durch leibliche,
körperhafte Spezifika. Sonst könnte die Seele nimmer gesund werden und der Geist
in ihr nimmer erstehen.
[BM.01_070,28] Oder liegt bei einem Menschen auf der Welt die Seele nicht so
lange kränklich darnieder und hat keine Lust zu irgendeiner Tätigkeit, solange
der Leib krank darniederliegt? Ist aber der Leib gesund, so ist auch die Seele
wieder voll Lust und Heiterkeit.
[BM.01_070,29] Siehe, Bruder, ebenso geht es auch hier: alle diese haben überaus
kranke Seelen. Diese Krankheit wird nun flott und wird hinaus- und
hinweggetrieben durch die Kraft des Wortes Gottes, das da ist die einzige,
allerkräftigste Medizin. Hat dieses einmal seine Operation gar sicher beendet,
dann erst kommen wir an die Reihe und werden die Rekonvaleszenten laben und
stärken mit der Liebe des Herrn.
[BM.01_070,30] Nun, lieber Bruder, wirst du diese Erscheinlichkeiten sicher
besser verstehen und wirst dich künftighin nicht mehr gar so sehr entsetzen, so
du noch Ärgeres erschauen wirst, als du bis jetzt gesehen hast. Denn bei jeder
Krankheit ist der letzte Stoff, der durch Arzneien hinausgeschafft wird, der
ärgste, weil er der eigentliche Hauptgrund der Krankheit ist. So werden auch
hier zuletzt erst die Hauptübel aus der Seele geführt.
[BM.01_070,31] Darum mußt du dich nicht mehr gar so sehr ängstigen, so du diese
Übel bei ihrem Austritt erschauen wirst. Sieh nun nur wieder hin; sogleich wird
der dritte Akt beginnen, der auch wahrscheinlich der letzte sein wird für diese
dreißig Jesuiten!“
71. Kapitel – Besserung und Umkehr des einen Jesuiten. Die Rache der 29 andern
Jesuitengeister.
[BM.01_071,01] Bischof Martin sieht nun wieder in das Hinterhaupt des vor ihm
stehenden Jesuiten und ersieht, wie die dreißig gegenseitig sich ganz
bedenkliche Mienen zuzuwerfen anfangen und einer von ihnen folgende Bemerkung
macht:
[BM.01_071,02] (Ein Jesuit:) „Brüder, der Sieg ist uns zwar gelungen. Aber so
ich der Sache auf den Grund blicke, kommt es mir vor, als ob wir denn doch sehr
ungerecht und völlig unbefugt mit der nun in der Hölle brennenden Karawane
verfahren hätten. Obwohl sie uns stark verlästert hat, so haben wir aber nach
dem Evangelium dennoch kein Recht, sie zu richten und zu verdammen.
[BM.01_071,03] Dazu kommt mir nun noch die Lehre frisch in den Sinn, die der
Himmelsbote uns allen gegeben hat, bevor wir in diesen ganz freien Zustand
unseres Seins gelangt sind. Nach seiner weisen Lehre sollen wir allen
Anreizungen allein nur mit Liebe, Sanftmut und Demut begegnen. Hier aber hat
keins von diesen drei Stücken etwas zu tun bekommen, sondern, wie figura
miserabilissima gezeigt hat, haben uns buchstäblich die drei allerärgsten Teufel
an Sanftmut und Gerechtigkeit nur übertroffen und uns dadurch bewiesen, daß wir
noch um vieles ärger sind als sie!
[BM.01_071,04] Brüder, wie kommt euch die Sache vor? Ich gestehe, mir fängt sie
an, ganz verdammt seltsam vorzukommen! Überhaupt scheint mir hier in dieser
Geisterwelt alles so verfänglich. Das eigenmächtige Handeln, zu dem man von den
Boten Gottes keinen Auftrag hat, scheint mir schon gar wider alle Ordnung der
Dinge in dieser höchst mysteriösen Welt zu sein. Mir kommt es auch so vor, als
ob mir jemand ganz geheim zuflüstern möchte: ,Diese eure allergrausamste Tat
werdet ihr ewig zu bereuen haben!‘ – Ei, ei, wäre ich doch nur bei dieser
Begebenheit nicht zugegen gewesen!“
[BM.01_071,05] Auf diese gute Bemerkung stutzen wohl die andern neunundzwanzig.
Nach einer Weile sagen sie aber wie aus einem Munde: „Ja, du hast im Grunde wohl
recht. Aber denke dir selbst, ob wir anders sein können, als wir sind! Wir sind
einmal so und können nicht anders handeln, als wie wir zu handeln genötigt
werden – und damit Punktum! Wer den Zorn in uns gelegt hat, der muß sich ihn
auch gefallen lassen und ebenso die andern widrigsten Eigenschaften, mit denen
unsere Seele so reichlich ausgestattet ist.
[BM.01_071,06] Wer der Klapperschlange das tötende Gift gab, dem muß es doch so
wohlgefallen haben, ansonsten er diesen Wurm nicht so böse eingerichtet hätte!
So mußten auch wir Jesuiten werden und in unserm Orden lernen, wie man dem Zorne
und der Rache den freiesten Weg bahnen und die größte Bosheit zur Ehre Gottes
mit dem freiesten Gewissen vollführen kann. Wir aber sind nun das vollkommen,
wozu wir berufen sind! Was willst du, ja was will Gott von uns noch mehr?“
[BM.01_071,07] Spricht der eine Jesuit: „Ja, ihr habt recht! Wir sind sonach zu
barsten Teufeln berufen und sind es auch mehr als vollkommen. Was wollt ihr
mehr? Uns alle erwartet sonach sicher nicht der Himmel, sondern die reinste
Hölle. Was wollen wir mehr? Also fahren wir in unserer Bosheit und Tücke nur
fort, damit wir desto eher in die segensvolle ewige Verdammnis gelangen mögen!
Wünsche euch den besten Appetit dazu! Ich aber werde von nun an nicht mehr mit
euch halten. Ich will nicht mit euch die hohe Ehre haben, mich etwa schon im
nächsten Augenblicke mit euch auf der schwefeldampfenden, sehr warmen Flut zu
befinden. Wahrlich, um diese hohe Ehre werde ich euch in Ewigkeit nicht im
geringsten beneiden!“
[BM.01_071,08] Sprechen die andern neunundzwanzig wie aus einem Munde: „Was, du
willst deinem Orden ungetreu werden! Den erhabenen Stifter Ignatius willst du
verlassen und seiner heiligsten Lehre ungetreu werden? Was fällt dir ein?
Bedenke, daß uns alle noch ein Jüngstes Gericht erwartet; wie wirst du in diesem
bestehen? Wenn du das tust, so soll's dir noch tausendmal ärger ergehen als der
früheren Karawane!“
[BM.01_071,09] Spricht wieder der eine Jesuit: „Nur zu! Ich bleibe meiner
Vornahme – Gott stärke mich dazu! – getreu. Ihr aber könnt tun, was ihr wollt!
Wegen dem Jüngsten Tage lasse ich mir gerade kein graues Haar wachsen, aber
wegen dem sichern Empfange der ewigen Verdammnis in eurer Gesellschaft wohl!
Ignatius hin, Ignatius her, ich folge von nun an den Worten des Boten Gottes.
Der Ignatius samt euch allen kann mich – hätte bald was gesagt! – sowie auch der
ganze Orden, wohlverstanden!
[BM.01_071,10] Wie ich's nun einsehe, so ist dem Herrn sicher der Arsch eines
Türken lieber als unser ganzes lumpigstes Kollegium samt seinem erhabenen
Stifter! Verstanden?! Alle Lutheraner, Calvinisten und alle Altgläubigen sind
Engel, während wir nach unseren Regeln und Institutionen Teufel in optima forma
sind.
[BM.01_071,11] Tut mit mir, was ihr wollt, ich werde mich nimmer rächen! Mich
reut es ungemein, daß ich mich an der armen Chinesin so arg vergriffen habe;
dafür, Gott sei Dank, bin ich samt euch doch gehörig gezüchtigt worden! Aber die
zweite Teilnahme an der Verdammung der armen Karawane brennt mich schon jetzt
wie die Hölle. Was würde aus mir erst werden, so ich länger euer Spießgeselle
bliebe? Daher lebet wohl, ich verlasse euch!“
[BM.01_071,12] Als dieser eine Jesuit das ausspricht, da fangen ihn alle zu
verdammen und zu verfluchen an, umringen ihn, zerfleischen ihn und teilen seine
Haut untereinander aus. Den Hautlosen aber werfen sie aus ihrer Rotte und werfen
Steine nach ihm und rufen alle Teufel, daß sie ihn holen sollen.
[BM.01_071,13] Die Teufel kommen richtig, aber den Enthäuteten holen sie nicht,
sondern die nur, die sie gerufen haben. Diese aber sträuben sich entsetzlich und
schreien um Hilfe. Da richtet sich der Enthäutete auf und gebietet den Teufeln,
daß sie die Blinden schonen sollen. Und siehe, die Teufel gehorchen ihm und
verlassen die Rasenden!
[BM.01_071,14] Diese Szene machte auf Martin einen guten Eindruck und er schaut
nun begierig, was da weiter geschehen wird.
72. Kapitel – Ein Blick in die seelische Verfassung der Herz-Jesu-Damen.
Eindringlinge im Klostergarten. Angriff der rachegierigen Herz-Jesu-Damen.
[BM.01_072,01] Borem aber spricht: „Freund und Bruder, danken wir der endlosen
Weisheit des Herrn und Seiner unbegreiflichen Liebe und Erbarmung, daß Er gegen
unser beider Erwarten mit dieser Gesellschaft so sanft und kurz hat verfahren
wollen. Denn derlei Prüfungen dauern bei manchen oft besser Bestellten gar viele
irdische Jahre, während sie bei dieser Gesellschaft nach irdischer Rechnung nur
drei Tage gedauert haben. Freilich, das Gefühl dieser Geprüften wird wohl mit
einigen Jahrzehnten belastet worden sein. Allein was tut das zur Wirklichkeit
oder zu einer solchen Gefühlsgestaltung, mit der der Geprüfte oft mit tausend-,
ja oft sogar mit millionenjähriger Dauer belastet wird?
[BM.01_072,02] Kurz und gut, ich sage dir, der Herr war diesen dreißig Jesuiten
überaus gnädig! Sie haben nun das Schlimmste überstanden. Sie sind wirklich bis
an den Rand des Abgrundes gekommen und waren der Hölle endlos näher als dem
Himmel, der wohl noch sehr weit von ihnen absteht. Aber sie sind gerettet und
kommen nun in die Wiederherstellung. Und damit ist schon endlos viel gewonnen,
wofür dem Herrn allein alle Ehre gebührt ewig. Denn was dem höchsten Engel nicht
mehr möglich ist, das ist dem Herrn noch gar wohl möglich!
[BM.01_072,03] Du möchtest in diesem dritten Akt wohl noch mehrere Szenen
beschauen, darum du noch so aufmerksam hineinblickst in das Hinterhaupt. Aber
ich sage dir, da wirst du nun nichts mehr erschauen. Denn diese Gesellschaft
geht nun in sich und dann zu ihren besseren Brüdern über und harrt dann der
Losschälung von dieser materieartigen Umgebung, die sogleich erfolgen wird, wenn
wir noch die Herz-Jesu-Damen durchschauen werden.
[BM.01_072,04] Damit diese aber darauf nicht gar zu lange warten sollen, wollen
wir uns sogleich zu den besagten Damen hinbegeben und sie auf die gleiche Weise
beobachten, wie wir diese dreißig Jesuiten beobachtet haben. Siehe, da sind sie
schon! Du kannst dir eine wählen, die du willst; überall wirst du ganz dasselbe
sehen!“
[BM.01_072,05] Bischof Martin: „Gut, wenn so, da ist ja gleich die Nächste gut
genug; also nur in das Hinterhaupt geschaut! Richtig, richtig, wie bei den
dreißig! Da sehe ich ja alle, wie sie hier sind, auf einem Schock
beisammenstehen: in einem Garten, der mit einer starken Mauer umfangen ist, an
deren nördlich gelegener Ecke ein ganz finster aussehendes Klostergebäude
angebracht ist.
[BM.01_072,06] Sie scheinen emsig miteinander Worte zu wechseln. Ich kann aber
noch nichts vernehmen, was sie eigentlich miteinander beraten. Nur bemerke ich,
daß sie bald dunkler, bald wieder ums Kennen heller werden, gerade wie wenn die
Winde Wolken über die beschneiten Bergspitzen trieben, wobei diese dann auch
unter dem Wolkenschatten ganz grau wurden, und – wann die Wolke den Strahlen der
Sonne wieder den Weg geräumt hatte – diese dann die Bergspitzen lieblich
schimmern machten! Woher wohl bei diesen Herz-Jesu-Damen diese Erscheinlichkeit
rühren mag?“
[BM.01_072,07] Spricht Borem: „Lieber Bruder, du hast ein recht gutes Bild dafür
aufgestellt und kannst in diesem naturmäßigen Bilde ganz wohl die Erklärung
dieser Erscheinlichkeit finden. Siehe, auch hier ziehen über die Bergspitzen der
verschiedenen Erkenntnisse dieser Damen Wolken der Nichterkenntnisse, getrieben
von den Winden ihrer weltlich verschiedenartigen Leidenschaften! Du weißt aber,
daß, so auf der Welt die Winde mit den Wolken ihr Spiel zu treiben anfangen, es
dann bald zu einem schlechten Wetter kommt. Siehe, so wird es auch hier geistig
erscheinlich der Fall sein.
[BM.01_072,08] Merkst du nicht, wie diese Verdunklungen sich stets anhaltender
wiederholen? Das deutet schon zuverlässig dahin, daß da der eigentliche Tanz
sogleich angehen wird. Wenn die Verdunklung nimmer aufhören wird, dann wird des
bösen Wetters Vorakt gleich beginnen. Gib nur genau auf alles acht; hier wirst
du noch interessantere Dinge ersehen als wie bei den dreißig Jesuiten!“
[BM.01_072,09] Spricht Bischof Martin: „Ja, richtig, du hast recht! Ich merke
schon bei einigen, daß sie sich nimmer erhellen wollen, dunkel bleiben und auch
richtig stets dunkler werden. Es will sich nun auch bei den übrigen das liebe
Licht nicht mehr in seiner Stärke zeigen, sondern geht so nach und nach ins Grau
über.
[BM.01_072,10] Wahrlich, eine ganz sonderbare Mischung nun von Dunkel und Grau!
Die schon sehr Dunklen werden nun von unten herauf wie matt glührotes Eisen
gefärbt. Das scheint entweder von einem in ihnen erwachten Grimme oder am Ende
gar von der Hölle herzurühren. Höre, du mein liebster Bruder, das sind ganz
verzweifelt verdächtige Voraussetzungen zu nachkommenden bösen Erscheinungen!
[BM.01_072,11] Nun entdecke ich, daß durch die Tür des Klosters sich zwei
männliche Wesen in den Garten begeben. In dessen Mitte weilen unsere
Herz-Jesu-Damen nun schon ganz verzweifelt stark verdunkelt, scheinen aber noch
nicht zu merken, wie sich diese zwei Eindringlinge nun schon ganz in ihrer Nähe
befinden.
[BM.01_072,12] Aha, aha, jetzt wohl, jetzt! Nun wird die Hetz' wohl bald
angehen. Unsere Damen haben nun schon einen Wind bekommen, daß sich jemand in
ihrer Nähe befindet, der sich wahrscheinlich nicht da befinden sollte. Denn ich
sehe glühende Dolche in ihren Händen, die sie nun nach auswärts richten, um die
zwei Ankommenden auf eben nicht zu liebreiche Art zu empfangen.
[BM.01_072,13] Nun richtet sich die Oberin auf und gebietet mit Handzeichen
allgemeines Schweigen. Was wohl wird da herauswachsen? Vielleicht wird da eine
ganz löbliche Anrede gehalten werden? – Ja, ja, wird wohl so sein, denn sie
räuspert sich schon großartig dazu! Wahrlich, da bin ich doch sehr neugierig,
was diese Priordame den übrigen Unterdamen voreseln wird! Also nur aufgepaßt,
sie spricht:
[BM.01_072,14] (Die Priordame:) „Höret mich alle an, ihr meine ehrwürdigsten und
hoch zu respektierenden Damen! Unserem höchsten, würdigsten und heiligsten Orden
droht eine große Gefahr! Es haben sich zwei freche Männer, die ich lieber
,Buben‘ nennen möchte, durch unser heiliges Kloster in diesen unsern
Gottesgarten hereingeschlichen. Wahrscheinlich, um mit uns Unzucht und Scherz zu
treiben oder wenigstens, um hier unseren heiligen Besitz auszuspionieren, wie er
uns mit Gewalt entrissen werden könnte, falls wir ihn nicht mit Ruhe übergäben!
Aber diese Buben sollen ihren Vorwitz teuer büßen!
[BM.01_072,15] Höret, wir sind unser bei neunzig an der Zahl, wie ich euch hier
flüchtig übersehe! Wenn diese zwei frechen Buben sich uns nahen sollten und auf
unseren Zuruf: ,Hinaus mit euch, ihr gottvergessenen, ehrlosesten Buben!‘ sich
nicht sogleich eiligst entfernen sollten, fallen wir sie alle zugleich an! Und
jede von uns stoße ihnen den glühenden Dolch in die Brust bis ans Heft! Sind sie
also getötet, dann lassen wir sie durch unsern Hausknecht hier in diesem Garten
in Stücke zerhauen und auf einem verfluchten Scheiterhaufen verbrennen, auf daß
dieses Gottesheiligtum wieder gereinigt werde!“
[BM.01_072,16] Spricht Bischof Martin: „Schau, schau; diese lieben Dämchen des
Herzens Jesu, was sie für liebevolle Blutgedanken haben! Ah, das ist ja
allerliebst! O ihr gottlosesten Kanaillen! Nein, das hätte ich von diesen wahren
Furien der Hölle nicht erwartet! No, wenn da schon das Vorspiel einen so
löblichen Anfang nimmt, wie wird es dann erst mit den nachfolgenden
Prüfungsakten aussehen? Da sich nur hin: die zwei Männer sehen sehr liebevoll
aus, und ich könnte von ihnen sagen: ,Siehe hier zwei Menschen, in deren Seelen
kein Falsch zu entdecken ist!‘ Und diese bösen Kanaillen verdammen sie schon,
ohne sie noch recht gesehen und noch weniger gesprochen zu haben!“
[BM.01_072,17] Spricht Borem: „Sei nur ruhig, du weißt ja, wie sich diese Sachen
verhalten! Laß sie ganz ruhig handeln! Wenn es an der Zeit sein wird, sich hier
ins Mittel zu legen, werden wir schon von der Tafel erinnert werden. Vor dem
aber seien wir nichts als bloß nur ruhige Betrachter des hier Vorsichgehenden.
Betrachte nur wieder weiter!“
[BM.01_072,18] Bischof Martin betrachtet nun sehr aufmerksam wieder die Szene
vor sich und spricht nach einer Weile: „Du, Bruder, jetzt gehen die zwei Männer
wieder zur Tür des Klosters und machen Mienen, als wollten sie sich wieder auf-
und davonmachen aus diesem gottesheiligtümlichen Garten.
[BM.01_072,19] Aber die Damen bemerken das und schreien nun ganz wider ihre
frühere Absicht: ,Halt, keinen Schritt weiter, ihr gottlosen Buben!‘
[BM.01_072,20] Die zwei Männer scheinen gar nicht darauf zu achten und nähern
sich stets mehr der Ausgangstür. Aber die Damen merken nun, wie diese beiden auf
ihren Zuruf nicht achten wollen. Sie werden darum nun vollends glühend, stürzen
mit einem furchtbaren Schrei den zwei Männern nach und vertreten ihnen die Tür.
[BM.01_072,21] Ein Teil aber umringt die zwei Männer mit gezückten Dolchen und
fragt sie mit drohender Miene wie aus einem Munde: ,Was suchtet ihr hier, ihr
verruchtesten Buben? Gestehet eueren bösen Vorsatz, eueren verräterischen Plan,
auf daß wir euch dann ohne Gnade und Erbarmen desto ärger quälen können! Denn
ihr habt durch euer frechstes und unverschämtestes Eintreten in diesen Garten
Gottes Heiligtum entheiligt und habt sogestaltig den Geist Gottes mit Füßen
getreten! Solch eine allerfrevelhafteste Todsünde aber sühnt nur der Tod, und
nur eure ewige Verdammnis kann der göttlichen Gerechtigkeit Genugtuung
verschaffen! Redet daher, ihr schon im voraus Allerverfluchtesten!‘
[BM.01_072,22] Die zwei Männer reden nun: ,Höret uns geduldig an! Wir sind von
Gott an euch abgesandt, um euch aus eurer großen Torheit zu befreien. Aber da
wir an euch nichts als Zorn- und Racheglut ersehen, seid ihr für solch große
Gnade noch lange nicht reif und werdet von nun an überlang zu warten haben, bis
ihr dieser Gnade würdig werdet. Habt ihr nicht gehört, daß, wer da richtet und
flucht, selbst gerichtet und verflucht wird?! Wir aber wollen es euch nicht
vergelten, nichts Böses für Böses geben. Daher besinnt euch und lasset uns im
Frieden ziehen, sonst wird es euch arg ergehen!‘
[BM.01_072,23] Die Damen fallen nun ganz ergrimmt mit ihren Dolchen über die
zwei. Diese aber verschwinden und die Damen erdolchen sich nun selbst in ihrer
blinden Wut.“
73. Kapitel – Martins Bemerkungen und Borems weise Winke über die Wege der
ewigen Liebe. Die brennenden Herz-Jesu-Damen.
[BM.01_073,01] Bischof Martin, dieser Szene ansichtig, fängt an zu lachen und
spricht: „Bruder, da sieh, diese dümmsten Weiber! Ah, wie sich diese in ihrer
blindesten Wut zerfetzen mit ihren Dolchen! No, no, das geht jetzt gut!
Wahrlich, eine allerscharmanteste Blocksbergszene! Wenn die's so forttreiben,
wird von ihnen nicht viel übrigbleiben, und wir werden dann mit unserer
Intervention schön zuhause bleiben können! Ist auch recht; wahrlich, an diesen
Fetzen verliert der Himmel eben nicht gar zu viel!
[BM.01_073,02] Du mußt mir schon verzeihen, liebster Bruder, wenn ich hier
beinahe wie ein Schadenfroher erscheine, aber hier komme ich wirklich nicht
darum! Denn ich kann alle Wesen leichter ertragen als dumme und zugleich auch
böse Weibspersonen. Besonders unerträglich sind sie mir, so sie, wie diese hier,
sich vor Wut und Grimm nahezu ganz zerstören. Ich wünsche ihnen zwar nichts
Böses, aber so ein bißchen Hölle könnte diesen wahrhaftigsten Bestien nicht im
geringsten schaden. Weißt du, ich meine nicht für ewig; aber so à la
römisch-katholisches Fegfeuer – könnte nicht schaden!“
[BM.01_073,03] Spricht Borem: „Bruder, ereifere dich nicht zu sehr und verbanne
alles Feuer-rufen-vom-Himmel aus deinem Herzen! Siehe bloß, was der Herr hier
tut, so wirst du allein die wahre Art und Weise kennenlernen und daraus ersehen,
wie solche überstark verfinsterten Wesen wieder dem Lichte zugewendet werden
können. So der Herr auch so dächte wie du, gäbe es für derlei arme Wesen ganz
verzweifelt wenig Hoffnung fürs ewige Leben! Aber hier ersiehst du klar, wie der
Herr besser ist als alle allerbesten Menschen und Engel!
[BM.01_073,04] Ich sage dir, gar seltsam sind des Herrn Wege; ihre Zahl heißt
Unendlichkeit. Und jeder Weg, den der Herr mit einem Menschen einschlägt, ist
ein neues, selbst für den tiefsinnigsten Cherub unerforschliches Wunder und
heilig unter jeder noch so sonderbaren Erscheinung!
[BM.01_073,05] Wenn du alle diese Erscheinungen von diesem Gesichtspunkte aus
betrachtest, so wirst du fürderhin nimmer etwas Ärgerliches noch Lächerliches
finden. Du wirst dich auch am Ende hier überzeugen, wie endlos liebweise der
Herr alles einem heiligen Ziele zuführen kann; und wie Er gewöhnlich durch die
unscheinbarsten, geringfügigsten Mittel allzeit die erhabensten Zwecke erreicht,
und – wo Er einem hilft, da hilft Er zugleich zahllosen Wesen!
[BM.01_073,06] O Bruder, du wirst erst nach und nach erkennen, wie endlos
erhaben alles ist, was hier in die Erscheinlichkeit übergeht, – ja wie heilig,
möcht' ich sagen, das Dasein und Wirken einer Milbe, die du auf der Erde oft ein
halbdürres Blättchen bekriechen sahst!
[BM.01_073,07] Darum freue dich über alles, was du hier nur immer erschaust!
Denn alles, alles bewirkt unseres heiligsten Vaters heiligste Liebe! Meinst du,
die Hölle mit all ihren unbeschreibbaren Schrecknissen sei eine Rache des Herrn,
gegründet auf Seinem Zorne von Ewigkeit? Oh, mitnichten! Ich sage dir, der Herr
ist auch in der Hölle pur Liebe! Denn die ewige Liebe kennt weder Zorn noch
Rache, sondern wie und was sie ist, das sind auch alle ihre Anstalten endlos und
ewig.
[BM.01_073,08] So, lieber Bruder, betrachte von nun an diese Erscheinungen, so
wirst du bald ein anderes Gewand bekommen, nämlich ein Gewand der Liebe und
Weisheit aus dem Herzen unseres heiligen Vaters! Dieses Gewand wird dir dann
keine Ewigkeit mehr nehmen. Und du wirst erst in solch einem Gewande dann alle
Dinge und Erscheinungen in ihrem wahren Lichte schauen und sie beurteilen aus
dem wahren Grunde alles Grundes.
[BM.01_073,09] Nun aber siehe nur weiter, was da vor sich gehen wird! Aber siehe
von nun an alles mit andern Augen und anderm Gemüte an, so wirst du daraus den
wahren Nutzen ziehen. Denn dies alles läßt der Herr hauptsächlich deinetwegen
geschehen, auf daß du ehestens zur wahren Wiedergeburt deines Geistes und zur
himmlischen Umkleidung deiner Seele gelangen möchtest! Daher noch einmal: Darum
beachte sorgfältigst alles, was ich dir jetzt gesagt habe, so wirst du einen
unberechenbaren Nutzen ernten in großer Klarheit!“
[BM.01_073,10] Bischof Martin schaut nun wieder in das Hinterhaupt unserer
Herz-Jesu-Damen und ersieht, wie sich die letzten zwei noch balgen, sich
gegenseitig die Dolche in den Leib stoßen und bald wie tot auf den Boden
stürzen. Nach solcher Szene spricht er:
[BM.01_073,11] (Bischof Martin:) „Gott sei Dank, nun haben sie einander den
Garaus gegeben! Der Herr habe sie selig! Es ist wirklich mehr als wunderbar, so
das diesen Wesen auch zur Seligkeit gereichen soll, wie du früher gesagt hast?
Nun bin ich von ganzem Herzen neugierig, was da jetzt weiter geschehen wird mit
diesen Amazonen! Sie liegen wirklich wie vollkommen tot darnieder!
[BM.01_073,12] Aha, nun kommt eine andere Erscheinlichkeit! Die Damen liegen
zwar noch wie steinfest tot am Boden. Aber sie fangen an zu dampfen, und es
entsteigt von einer jeden ein Rauch wie etwa dem Schornstein eines Bäckers. Auch
bemerke ich hie und da Feuerfunken mit emporschießen gleich denen aus einer
Esse! Sapprament, sapprament! Die Sache fängt nun an, ein bedenkliches Gesicht
zu bekommen! Liebster Freund, wenn da nicht so ein bißchen Hölle herausschaut,
so will ich doch alles heißen, was du mich nur immer nennen willst!
[BM.01_073,13] Da sieh, nun schlagen auch schon hie und da Flammen empor! Das
sieht ja gar wie ein förmliches Autodafé aus! Diese Armen fangen nun über und
über zu brennen an! Die Sache wird sehr bedenklich; aber noch rührt sich sonst
nichts über, neben und unter diesen Damen als bloß nur der starke Rauch, Funken
und Flammen.
[BM.01_073,14] Die Flammen werden immer stärker, die toten Damen sehen schon
ganz glühend aus! Nun ist es wirklich gut für sie, daß sie tot und somit auch
sicher ganz unempfindlich sind. Ah, ah, wie lichterloh nun das Ding brennt!
Wahrlich, ein sonderbarer Anblick, und merkwürdig: trotz der starken Flamme
verbrennt doch nichts, soviel ich's nun bemerke! Sage mir doch, liebster Bruder,
was diese höchst sonderbare Erscheinlichkeit zu bedeuten hat?“
[BM.01_073,15] Spricht Borem: „Nichts als lauter Gutes; denn was vom Herrn
ausgeht, ist pur Gutes! Siehe nur weiter, du wirst es bald ersehen, wie sehr ich
recht habe und die vollste Wahrheit rede!“
74. Kapitel – Martins Kritik über das Wesen des Bösen. Borems belehrende Rede
über die göttliche Lebensordnung. ,Gut‘ und ,Böse‘ als die beiden Gegenpole in
Gott und der Schöpfung.
[BM.01_074,01] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, du hast wohl recht und redest
sicher die vollste Wahrheit. Aber du mußt mir doch zugeben, daß die Sünder so
gut Gottes Geschöpfe sind wie wir, ja sogar der Teufel selbst, und gehen somit
auch von Gott aus! Wer aber wohl wird Sünder und Teufel darum gut heißen, weil
sie auch von Gott ausgehen und ausgegangen sind?!
[BM.01_074,02] Ich meine vielmehr so: Gott hat unter Seinen zahllosen Geschöpfen
auch freie Wesen gestaltet. Er hat ihnen Seine unwandelbare Ordnung kundgegeben
und die Wege vorgezeichnet, die sie eben nach Seiner Ordnung zu wandeln haben.
Da sie aber freie Wesen sind, können sie wohl auch der erkannten göttlichen
Ordnung den Rücken zuwenden und ihr vollkommen zuwiderhandeln. So sie nun das
tun, so frage ich:
[BM.01_074,03] Wenn allein dem göttlichen Guten gegenüber etwas Böses denkbar
ist, so ist ja doch nur eine Handlung wider die erkannte göttliche Ordnung das
eigentliche Böse zu nennen?! Ist aber diese auch gut, da möchte ich denn doch
wissen, was denn das Böse ist!? Denn etwas Böses muß es ja doch geben, sonst
wäre die Hölle der leerste Begriff, den ein menschlicher Geist je gedacht hätte!
[BM.01_074,04] Ist aber die Hölle eine wirkliche Realität, und ist eine der
positiven unwandelbaren göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung als wahrhaft
böse zu bezeichnen, so sind diese Damen böse und für die Hölle reif wie eine
Traube auf der Erde im Monat November!
[BM.01_074,05] Sünde und Sünder als Jünger des Teufels sind demnach böse, und
ihr Lohn ist nach dem Ausspruche des Herrn Selbst die Hölle als ein Sammelplatz
alles Bösen. Aus der Erscheinlichkeit dieser Damen hat sich's herausgestellt,
daß in ihnen eitel Böses war. Sie erdolchten sich gleich Furien, und nun brennen
sie! Freund, hat die Hölle wohl noch etwa ein anderes Gesicht?“
[BM.01_074,06] Spricht Borem: „Freund, du sprichst noch wie ein kurzsichtiger
Erdenpilger aus dem Kerker seines Fleisches! Freilich ist von Seite eines freien
Wesens eine der erkannten göttlichen Ordnung zuwiderlaufende Handlung Sünde und
somit auch Böses. Aber weißt du denn auch die Grenzen zwischen dem eigentlichen
freien und daneben aber gerichteten Wesen ein- und desselben Menschen zu
bestimmen?
[BM.01_074,07] Weißt du, wo die Seele im Fleische den Anfang nimmt, und wo in
der Seele der Geist? Weißt du ganz genau, wo bei einem Menschen die gerichteten
Handlungen aufhören und die freien ihren Anfang nehmen? Weißt du, wie das
Geistige und Freie in das Naturmäßige und Gerichtete hineinragt, und inwieweit?
[BM.01_074,08] So du den neuen Most in das Faß gabst, da fing er bald darauf zu
gären an. Da sauste und brauste es gewaltig im Fasse, und als du mit der Nase an
das Spundloch kamst, da schlug dich ein heftiger Geruch ganz betäubt zurück.
Weißt du wohl, was das war, was den Wein gären machte? Siehe, du weißt es nicht!
Als aber der Most ausgegoren war, da ward er dann ruhig und rein und ward zu
Wein. Weißt du wohl, wie aus dem Moste ein lieblicher Wein wurde?
[BM.01_074,09] Bald nach der Blüte eines Feigenbaumes oder eines andern Baumes
sahst du die Frucht schon. So du sie verkostetest, da fandest du sie sauer und
herbe, also gegen die Ordnung deines Geschmacks schlecht und böse. Als aber die
Frucht reif ward, wie fandest du sie dann? Siehe, da war sie deinem Gaumen
vollkommen angepaßt, also sicher nicht mehr schlecht und böse!
[BM.01_074,10] Der Winter ist für das Gefühl sicher eine Sünde; denn er ist
nicht in der Ordnung warmfühlender und warmblütiger Menschen und Tiere. Aber so
er nicht wäre, wie stünde es dann um den Fruchtboden der Erde und um die
physische Kraft des Menschen?
[BM.01_074,11] Ich sage dir, in der ganzen Unendlichkeit findest du stets zwei
Pole, von denen der eine wie der andere gleich der Ordnung Gottes angehören,
obschon sie sich in allem schnurgerade wie Tag und Nacht oder wie Ja und Nein
entgegengesetzt sind. Sage, welcher davon ist denn böse? Siehst du denn nicht,
daß der Herr alles leitet und führt, und jedes Ding seines Weges? Wo also sollte
da ein böser Weg sein!
[BM.01_074,12] Siehe, der Herr weiß es, wie weit Er einem Wesen den Kreis seiner
Freiheit spannt! In diesem Kreise kann jedes Wesen, das einen freien Willen hat,
zur Übung seiner Freiheit tun, was es will. Aber über diesen Kreis hinaus vermag
kein Wesen zu handeln!
[BM.01_074,13] In einem Wassertropfen leben oft zahllose Infusorien und bewegen
sich frei im selben; können sie aber auch über den Tropfen hinaus ihre
Lebensfreiheit ausüben?
[BM.01_074,14] Ebenso mögen die Menschen auch die moralische Ordnung auf ihrem
Erdboden untergraben durch Kriege und andere Argheiten. Hindern sie aber dadurch
den Nacht- und Tagwechsel, oder können sie Regen und Winde aufhalten oder das
Meer ausschöpfen?
[BM.01_074,15] Siehe, willst du von der großen Ordnung Gottes reden, so mußt du
weiter sehen als nur den schmalsten Raum deines Wirkungskreises!
[BM.01_074,16] Was sich im Tropfen nicht gibt, das gibt sich sicher im Meere,
das der giftigste Tropfen nimmer vergiften kann! Was in der Erdbahn keine
Gleichung findet, das findet sie sicher in der unermeßlich großen Sonnenbahn.
Und wem diese noch zu klein ist, für den gibt es noch Zentralsonnenbahnen von
unermeßlichen Weiten und Tiefen!
[BM.01_074,17] So eine Zahl in einer andern Zahl keine gleiche Aufnahme findet:
ist das schon die Folge, daß es dann keine Zahl mehr gäbe, in der sie eine
harmonische Aufnahme fände? Oder so in einer bestimmten Tonart in der Musik ein
fremder, einer andern Tonart eigener Ton nicht stimmt, somit eine barste Sünde
ist, meinst du wohl, daß dieser Ton sonach ganz aus der Musik zu verbannen wäre?
[BM.01_074,18] Siehe, Gott hat wohl auf der Erde einem jeden Menschen eine
gewisse Ordnung mit ,Du sollst!‘ gezeigt und gegeben, aber Er hat ihm auch alles
andere gegeben. Er weiß es am besten, wie Er einen oder den andern leitet zur
Erreichung des einstigen großen Zweckes. Daher auch hat Er geboten, niemanden zu
richten, so wie einst auch der Himmel größter Engel Michael den Satan nicht
richten durfte, als dieser mit ihm um den Leichnam Mosis stritt!
[BM.01_074,19] Wir müssen daher nur sehen, was der Herr tut, und darnach unser
Urteil einrichten, wollen wir weise und wahre Kinder Gottes sein. Alles eigene
Urteil aber muß ganz aus uns weichen! Denn wir können nur in unserm Kreise uns
frei bewegen. Aber die Bewegung in den zahllosen ewigen Kreisen der Ordnung
Gottes geht uns nichts an, sondern allein den Herrn – darum es auch heißt, daß
da ein jeder nur vor seiner Tür fegen solle und nicht auch vor der seines
Nachbars!
[BM.01_074,20] Fasse dieses einmal wohl und fest, und betrachte dann die Szene
weiter! Ich hoffe vor Gott dem Herrn, du wirst nun anfangen, die Sachen in einem
ganz andern Lichte zu schauen und zu beurteilen. Der Herr gebe dir bald den
rechten Willen und die rechte Einsicht dazu! Siehe nun hin, du ersiehst nun
schon eine ganz andere Szene!“
75. Kapitel – Martins weitere Beobachtungen an dem höllischen Zustand der
Herz-Jesu-Damen. Borems entsprechende Erklärungen.
[BM.01_075,01] Bischof Martin sieht nun wieder hin, eine Weile ganz stumm;
danach aber spricht er: „Ja, liebster Freund, du hast recht: ich sehe es nun
schon recht klar ein, daß des Herrn Ordnung ganz anders bestellt ist, als wie
ich sie mir ehedem vorgestellt habe! Ja, wahr ist es, was da der große Seher
David und der Apostel Paulus spricht, da er sagt: ,Unergründlich sind des Herrn
Wege und unerforschlich Seine Ratschlüsse!‘
[BM.01_075,02] Aber daneben ist auch fast gleich unergründlich und
unerforschlich, warum ich so lange dumm bleibe, während du gewisserart mit
wenigen geistigen Mitteln in dieser kurzen Frist schon ein grundweiser Engel des
Herrn geworden bist! Aber sei nun, wie es wolle, ich fühle stark in mir, daß der
Herr Jesus nun mein einziges Bedürfnis geworden ist. Und dieses Gefühl macht
mich überaus glücklich und heiter! Mehr aber brauche ich auch für die ganze
Ewigkeit nicht. Ich sage dir, lieber Freund und Bruder, so ich nun nur den Herrn
habe, da liegt mir an allem andern wenig oder nichts!
[BM.01_075,03] Ich meine daher: nachdem ohnehin der Herr mit diesen starren
Gesellschaftern und Gesellschafterinnen das Beste tut und wir da weder was
wegnehmen noch etwas hinzutun können, so ist es nicht der Mühe wert, hier noch
länger diese Szenen zu beobachten, an denen wenigstens ich meinesteils
verzweifelt wenig Angenehmes und den Geist Erhebendes erschaue. Nun sind diese
Damen wohl wieder ins Leben zurückgekehrt und rennen in ihrem Garten glühend
herum, als wenn sie die barsten Furien oder Teufelinnen wären. Aber nützt mir
solch ein gräßlicher Anblick, so ich ihn durchaus nicht fassen kann und auch
schwerlich je fassen werde?
[BM.01_075,04] Wenn es auf mich ankäme, da ginge ich doch um eine ganze Million
lieber hinaus in den schönen Garten etwas herumarbeiten, als hier diese überaus
langweiligen Szenen noch länger anzusehen!“
[BM.01_075,05] Spricht Borem: „Höre, liebster Bruder, was dem Herrn recht ist,
das sei auch uns recht. Denn siehe, auch uns beide führt der Herr und weiß am
besten, warum Er uns gerade diesen Weg vorgezeichnet hat!
[BM.01_075,06] Betrachte daher nur geduldig, was hier zu betrachten ist! Um die
Erklärung aber sei ganz unbesorgt; diese wird dir zu rechten Weile werden, und
zwar in hoher Klarheit und reinster Weise.
[BM.01_075,07] Was du aber nun erschaust, das erzähle mir sogleich, wie du es
erschaust. Ich werde dir dazu wie bisher stets die erwünschte Beleuchtung
zukommen lassen. Also tue im Namen des Herrn, wie ich dir's nun geraten habe!“
[BM.01_075,08] Bischof Martin spricht: „Ja, ja, du hast recht, der Herr führt
daneben auch uns selbst; da freilich muß man alles sorglichst beachten, was Er
will! Und so will ich denn wieder recht aufmerksam diese geistige Komödie
betrachten. Aber nur reden laß mich dabei, wie mir die Zunge gewachsen ist!“
[BM.01_075,09] Spricht Borem: „Rede, wie du willst, mehr kann ich dir nicht
sagen! Aber nur vor dem Richten hüte dich, denn das gehört ganz allein dem Herrn
zu!“ –
[BM.01_075,10] Bischof Martin ist damit ganz zufrieden, sieht nun wieder in das
Hinterhaupt der Herz-Jesu-Dame und spricht: „O jemine! Bruder, da sieht es auf
einmal im Ernste sehr wild und böse aus! Diese Damen sind nun ganz nackt, und
ihr Fleisch ist durch und durch glühend wie ein schmelzendes Erz. Je glühender
es wird, desto ärger rennen sie durcheinander.
[BM.01_075,11] Fett gerade sind diese wahren Salamandrinen nicht; aber sie haben
doch noch ein ziemlich menschliches Aussehen. Der Leib ginge noch an, einige
haben sogar einen gar nicht schlechten Busen; aber die Gesichter sehen ganz
entsetzlich verzerrt aus! Ich habe auf der Erde nur unter den Affen manchmal
ähnliche gesehen! Ei, ei, ei! Die Gesichter sind fürchterlich wild und mehr als
abschreckend häßlich!
[BM.01_075,12] O Gott, o Gott, da schau einmal eine an, die uns nun ziemlich am
nächsten steht! O Herr, das Gesicht! Die Nase hängt ihr nahezu an den Bauch
herab. Die Ohren haben Ähnlichkeit mit denen eines Elefanten. Der Mund sieht
eher dem After einer alten Kuh als einem menschlichen Munde ähnlich; der Hals
ist voll Kröpfe. Die Augen sehen zwei unregelmäßigen Arschlöchern eines Hundes
gleich und die Haare gleich einem Gewürm! Ah, sapprament, das sieht verdammt
häßlich aus! Wirklich sonderbar: der Leib wäre bei ihr ganz in Ordnung; aber der
Kopf, der Kopf! Wahrlich, ich kann mir nichts Häßlicheres vorstellen!
[BM.01_075,13] Da, da, siehst du – o je, o je, da kommt eine andere in unsere
Nähe; die sieht aus, daß man sich darob über alle Maßen entsetzen könnte! Das
ist der Kopf von einer wahrhaftigen Boa constrictor, nur die sehr langen
Eselsohren mildern ein wenig die Gräßlichkeit! Diese stieren Augen, dieses
unausgesetzte Züngeln! Beim Munde, bei den Ohren und durch die Nüstern schießt
mit jedem sichtlichen Atemzuge ein reichlicher dunkelbrauner Qualm heraus! Ah,
ah, hörst du, liebster Freund, das ist doch mehr als zuviel, das ist scheußlich!
Der Leib wieder, wie bei den andern, ist auch bei dieser ganz in Ordnung! Das
Glühende abgerechnet, könnte man sie sogar sehr üppig nennen. Aber nur der Kopf,
der Kopf, der ist wahrhaft entsetzlich! Um Gotteswillen, ist aber das eine
Häßlichkeit ohne Maß und Ziel!
[BM.01_075,14] Holla, holla, jetzt rennen sie wieder durcheinander wie rasende
Hühner, als ob sie etwa den sogenannten Hühnerteufel erschauen! Was doch solche
Vorkommnisse zu bedeuten haben?“
[BM.01_075,15] Spricht Borem: „Ich sage dir: gar nicht viel Sonderliches! Daß
sie glühend aussehen, macht ihr leidenschaftlicher, mit Zorn gemengter Eifer für
die Sache ihres Ordens. Die Tätigkeit seiner Aufrechterhaltung gibt sich durch
das Herumrennen kund. Daß die Leibesformen dieser Damen ganz gut aussehen, rührt
von ihrem ziemlich keuschen Sinne her; daß aber ihre Köpfe so wunderlich
aussehen, davon ist ihre große Dummheit die alleinige Schuldträgerin. Wenn sie
sich mit der Weile besser erkennen werden, dann werden sie auch bessere Köpfe
überkommen. Solange sie aber ihrem Wahne treubleiben, wird mit der Verbesserung
ihrer Köpfe nicht viel herausschauen.
[BM.01_075,16] Nun weißt du vorderhand die nötige entsprechende Ursache solcher
Erscheinung. Siehe aber nun weiter, denn das, was du bis jetzt gesehen hast, war
nur das Vorspiel, das eigentliche Drama kommt erst!“
[BM.01_075,17] Spricht Bischof Martin: „Ganz gehorsamster Diener! No, die
Geschichte wird sich machen. Wenn jetzt erst das eigentliche Hauptdrama beginnt,
da bin ich wirklich äußerst wißbegierig, worin dieses bestehen und wie es sich
äußern wird!“
76. Kapitel – Herzloses Gebaren der Herz-Jesu-Damen gegen ihre Einlaß
begehrenden Eltern. Eingreifen der zwei weißgekleideten Männer.
[BM.01_076,01] (Bischof Martin:) „Jetzt sehe ich diese grauslichen Fetzen von
Damen des Herzens Jesu (Ewig schade um diesen herrlichsten Namen aller Namen!)
sich allgemach in ihr Kloster zurückziehen, und das sehr hastig! Was sie etwa
darinnen wittern? Aber da entdecke ich nun auch außer dem Garten sich mehrere
alte Männer und Frauen lagern; sie sehen sehr betrübt und mühselig aus! Was doch
diese wollen und wer sie etwa sind?“
[BM.01_076,02] Spricht Borem: „Das sind einige Elternpaare dieser
Herz-Jesu-Damen. Sie suchen Hilfe bei ihnen, weil sie durch vieles Suchen und
Bitten erfahren haben, daß sich ihre seligsten Töchter hier in einem himmlischen
Kloster befänden und unausgesetzt für ihr Heil bäten.“
[BM.01_076,03] Spricht Bischof Martin: „No, die werden es da fangen! O weh, o
weh, mir ist schon im voraus leid um diese armen, gut- und dabei freilich
dummherzigen Eltern!
[BM.01_076,04] Richtig, richtig, da greift schon ein alter Mann nach der
Pfortenklinke und läutet nun um Einlaß; aber es kommt niemand! Er läutet
abermals, aber es kommt noch niemand! Er läutet stärker zum dritten Male, und es
kommt auch zum dritten Male niemand!
[BM.01_076,05] Nun fangen die alt aussehenden Leutchen wieder zu bitten und zu
beten an und jammern, daß es schon völlig aus ist. Ah, nun fangen sie diese
Greteln gar mit lauten Gebeten zu verehren an! Nein, das geht doch etwas zu
weit! Aber es läßt sich dessenungeachtet noch immer keine von unseren
Salamandrinen sehen!
[BM.01_076,06] Ich höre nun laut schluchzen und weinen und sagen: ,O ihr, unsere
lieben, heiligsten Töchter, sehet von euren himmlischen Thronen gnädig auf uns,
eure armen irdischen Eltern, herab! Nehmet uns als die Letzten in eure
schlechtesten Dienste auf! O erhöret uns, ihr heiligen Jungfrauen und Bräute
Gottes!‘
[BM.01_076,07] Freund, Bruder, das ist stark! Nein, für so dumm habe ich die
Menschen, d.h. die römisch-katholischen Menschen denn doch nicht gehalten. Ich
war doch selbst ein Bischof und hielt große Stücke auf manche fromm aussehende
Dummheit der Menschen. Aber so etwas hätte ich in meinem Sprengel denn doch
nicht geduldet! Nein, diese armen Leutchen oder Geisterchen, was sie hier schon
sind, dauern mich wirklich von ganzem Herzen!
[BM.01_076,08] Nun bin ich nur neugierig, was da zum Vorscheine kommen wird! Es
läßt sich noch keine von den hier Angebeteten blicken. Ich meine, diese Greteln
wissen nun etwa gar schon, wie sie aussehen, und schämen sich gar entsetzlich,
sich also ihren Eltern zu zeigen. Darum lassen sie diese bitten und beten, daß
sie darob ihre Zungen bis auf die letzte Fiber verbrauchen können, und es wird
doch alles vergeblich sein. Höre, höre, wie diese Armen schreien und jammern!
[BM.01_076,09] Oho, oho, was ist denn das wieder für eine neue Erscheinung? Nun
fängt es aus den vielen Fenstern des Klosters förmlich zu blitzen und zu donnern
an, aber gar zu mächtig rollt der Donner nicht! Das scheint so ein wahrer
klösterlich-theatralischer Hausdonner zu sein; aber die Blitze sind den echten
ziemlich ähnlich!
[BM.01_076,10] Horch aber nun, mir kommt es vor, als ob der Donner zu Worten
artikuliert würde! Bei meinem Leben, der Donner spricht nun deutlich! Höre,
höre, er spricht: ,Zurück mit euch, ihr Verfluchten, von diesem Heiligtume
Gottes, sonst verschlingt euch der Boden sogleich in die Hölle hinab, da ihr
gewagt habt, ihn mit euren sündigsten Füßen zu betreten! Fliehet für ewig aus
unserem heiligen Angesicht!‘
[BM.01_076,11] Ah, ah, ah, das sind doch Luder erster Klasse! Weil sie selber
schon beinahe rein des Teufels sind und sich vor ihren tausendmal besseren
Eltern schämen, verscheuchen sie nun diese durch so eine scheußliche Maske. Und
die Armen begeben sich nun wirklich unter großem Heulen von diesem Orte.
[BM.01_076,12] Hör, Bruder, dieses Drama nimmt schon einen sehr höllisch
respektablen Anfang! Da bin ich wahrhaft sehr neugierig, wie sich diese Sache
weiter ausfechten wird!
[BM.01_076,13] Die armen Eltern haben nun dort unweit vom Garten gegen Mittag
hin einen reichlich mit Früchten behangenen Baum erreicht. Sie lagern sich nun
unter demselben, mit den Gesichtern gegen das Kloster gewendet. Wahrscheinlich
müssen sie einen falschen Trost und eine sicher leerste Hoffnung im selben
vermeinen! Sonst müßte ihnen eine solche lumpigste Trugdemonstration ja doch zur
größten Genüge zeigen, daß sie von ihren vermeintlich seligsten Töchtern nichts
zu erhoffen haben – außer eine noch ärgere Demonstration!
[BM.01_076,14] Ich möchte denn doch sehen, was nun unsere Damen machen werden!
Blitze fahren noch immer aus den Fenstern; auch ein Donnern vernehme ich noch,
aber wohl nur ganz schwach. Die Alten unter dem Baume entdecken nun die Früchte
und einige von ihnen langen ganz behutsam danach, pflücken sie ab und führen
selbe an den Mund. Sie beißen ganz ernstlich in diese recht gut aussehenden
Früchte, die ihnen sehr zu schmecken scheinen, weil sie nun gar so emsig nach
mehr solcher Früchte greifen und selbe auch denen darreichen, die selbst keinen
Mut zu haben scheinen, sich welche von diesem Baume herabzunehmen.
[BM.01_076,15] Aber nun sehe ich bei einem Klosterfenster etwas hinausstecken,
das da aussieht wie ein Sprachrohr. Es wird gerade nach jenem Baume hin
gerichtet, unter dem unsere Alten sich gelagert haben, um sich an des Klosters
,himmlischem‘ Anblicke zu weiden und zu laben – oder vielleicht auch etwas
anderes. Nun möchte ich bald sehen, was da aus diesem Sprachrohre sich alles –
wahrscheinlich wie aus einer Pandorabüchse – entwickeln wird!
[BM.01_076,16] Sapprament, da sieh hin! Eine Menge Nachteulen fliegen nun aus
diesem veritablen Sprachrohr gerade an den Baum, wo unsere armen, geprellten
Alten ihre erquickliche Rast genommen haben. Die Nachteulen schwirren nun um den
Baum und stoßen herab auf unsere Alten, die darum sehr ängstlich werden.
[BM.01_076,17] Nun entströmen dem Rohre auch Flammen, und Worte auch darunter,
die wie zuvor die Nachteulen gegen die ängstlichen Alten sichtlich ihre Richtung
nehmen. Die Worte sehen wie glühende Schlangen aus und sind voll der
entsetzlichsten Drohungen, und die Flammen scheinen die Träger dieser
Schlangenworte zu sein.
[BM.01_076,18] Schau, das ist einmal ganz etwas Neues! Daß sich Worte
niederschreiben lassen durch gewisse Zeichen, die man Buchstaben nennt, das ist
eine altbekannte Sache. Aber daß man Worte auch in diesen scheußlichen Gestalten
ausdrücken könnte, das ist mir noch nicht vorgekommen!
[BM.01_076,19] Siehe, nun erheben sich die Alten und fliehen mit Sturmesschnelle
von dannen, und die Nachteulen verfolgen sie hin an einen Strom, den ich soeben
entdeckt habe.
[BM.01_076,20] Aber dort ersehe ich nun zwei weißgekleidete Männer; es sind
dieselben, die diese herzlichen Damen vorher erdolchen wollten. Diese zwei
Männer winken den fliehenden Alten, zu ihnen zu gehen. Die Nachteulen aber, als
sie diese zwei Männer ersehen, machen eiligst rechts um, fliegen in größter Hast
wieder dem Kloster zu und schießen da wie Blitze in das noch zum Fenster
hinausgerichtete Sprachrohr. Auch die Schlangenworte samt den Flammen nehmen
wieder ihren sehr schnellen Rückzug.
[BM.01_076,21] Die zwei Männer aber versammeln nun die Alten um sich. Wie es
scheint, machen sie nun auch mit ihnen eine umgekehrte Bewegung gegen das
Kloster hin. Na, die Geschichte bekommt stets mehr Ausdehnung! Ich bin schon
über alle Maßen neugierig, was da noch alles herauswachsen wird!“
[BM.01_076,22] Spricht Borem: „Liebster Bruder, vor gar zu großer Neugierde mußt
du dein Herz auch verwahren, weil einer solchen Schaugier auch stets heimlich
sich eine Schadenfreude beigesellt! Sei daher hier bloß ein weiser Beobachter
zum Nutzen deines Geistes; aber die Neugierde lasse beiseite! Denn hier müssen
wir im höchsten Grade nüchtern sein, weil hier etwas Höllisches mit unterlaufen
wird. Beobachte nun, aber ohne alle Neugier; das Geschaute aber erzähle mir
treu!“
77. Kapitel – Posaunenstoß der zwei weißen Männer und Zusammensturz des
Klosters. Die Herz-Jesu-Damen als Riesenfrösche. Aufklärende Rede an die
geängsteten Eltern.
[BM.01_077,01] Bischof Martin wendet seine Augen wieder in das Hinterhaupt der
Herz-Jesu-Dame und spricht nach kurzer Beschauung: „Ja, ja, so ist es schon
recht; die zwei weißen Männer ziehen in Gesellschaft der Alten nun wirklich dem
Kloster zu! Je näher sie kommen, desto fleißiger blitzt es aus den vielen
Fenstern; aber die Blitze reichen nicht gar zu weit. Auch läßt sich ein innerer
Donner vernehmen, aber wohl sehr schwach.
[BM.01_077,02] Die Gesellschaft ist nun schon ganz nahe an der Gartenmauer.
Einer von den zwei weißen Männern geht nun sogleich an die Türe und öffnet diese
mit Blitzesschnelle. Nun dringen sie alle in den Garten und im selben in des
Klosters Nähe.
[BM.01_077,03] Hier angelangt stellen sich die zwei weißgekleideten Männer vor
die Schar der Alten. Ein jeder von ihnen zieht eine lange Posaune unter dem
Kleide hervor. Beide setzen nun diese Musikwerkzeuge an den Mund und stoßen gar
mächtig in dieselben. Oh sapprament, das ist ein kräftiger, majestätvollster
Ton!
[BM.01_077,04] Aber was sehe ich nun? Da sieh, da sieh! Das Klostergebäude
stürzt nun zusammen gleich den Mauern Jerichos. Und unsere Damen kriechen laut
klagend und fluchend aus dem Schutt hervor wie Würmer aus einem Sumpfe und haben
eine Gestalt wie die Riesenfrösche Hinterägyptens auf der Erde. Nur die Köpfe
sehen mehr den Köpfen der Riesenschlangen gleich als denen der Frösche. Auch
bemerke ich, daß sie an ihren Steißen Skorpionsschwänze haben. O du verzweifelte
Geschichte, das Ding sieht nun äußerst bedenklich aus!
[BM.01_077,05] Den Alten sträubt sich ob dieses Anblicks das Haar zu Berge.
Diese ganz sonderbaren Frösche fangen auch – statt weiter zu fluchen – ganz
entsetzlich zu quaken an. Aber ihr Gequake ist nun ohne Sinn und, wie es
scheint, von gar keiner Wirkung. Denn die zwei Männer bedräuen diese Frösche und
treiben sie nun vor sich hin, und die Alten folgen ganz erstaunt den zweien. Ihr
Zug geht gegen Abend!
[BM.01_077,06] An der Stelle des Klosters ist nun eine abscheuliche Pfütze zu
sehen. Sapprament, Bruder, das sieht nun sehr düster aus! Nein, ich werde nun
schon selbst ängstlicher und ängstlicher! Merkwürdig aber ist hier die
Erscheinlichkeit, daß ich diese gegen Abend eilenden Frösche, wie auch ihre sie
treibende Nachfolge stets gleich groß und gut sehe, obschon sie nun dem Raume
nach schon sehr weit von uns entfernt sind.“
[BM.01_077,07] Spricht Borem: „Räumliche Entfernungen beirren nimmer des Geistes
Sehe; denn jeder Geist ist über Zeit und Raum erhaben. Aber die verschiedenen
Arten der Gemütszustände sind wahre Geistesentfernungen und beirren die Sehe des
Geistes oder blenden sie oft ganz und gar.
[BM.01_077,08] Wären bei dieser Fröscheflucht die zwei weißgekleideten Männer
nicht dabei, so würdest du sie nimmer erschauen; denn der Gemütszustand dieser
Frösche ist zu sehr verschieden von dem unsrigen. Aber da diese zwei mit uns
völlig verwandten Gemütes sind, so können sie räumlich noch so weit von uns
entfernt sein, so werden wir sie dennoch stets gleich sehen.
[BM.01_077,09] Wir können zwar wohl auch die Hölle in der vollsten Nähe
beschauen. Aber das geschieht nicht durch die Gemütsassoziation, sondern durch
eine eigene wunderbare Vermittlung des Herrn, die du erst später wirst
kennenlernen.
[BM.01_077,10] Nun weißt du von dieser dir mit Recht merkwürdig vorkommenden
Erscheinung auch den Grund, den dir aber erst die Folge vollends klarmachen
wird. Beobachte nun weiter die Szene, die nun vor dir ist; du wirst von ihr sehr
viel lernen!“
[BM.01_077,11] Bischof Martin strengt wieder seine Sehe an und ersieht die
Frösche schon tief im dunklen Abend das Ufer eines mächtigen Meeres erreichen
und zugleich haltmachen. An diesem Ufer fangen sie erbärmlichst an zu quaken und
sträuben sich, ins Wasser zu gehen. Die zwei Männer aber nötigen sie nicht,
sondern lassen ihnen die freie Wahl.
[BM.01_077,12] Bischof Martin, solches schauend, spricht: „Da sehe nun ein
Mensch diese grauslichen Frösche an! In ihr Element wollen sie denn doch nicht,
obschon sie für selbes wie geschaffen zu sein scheinen. Davon scheint, wie ich
in mir zu ahnen beginne, das der Grund zu sein: In ihnen muß doch noch etwas
Besseres verborgen sein, das nicht diesem Elemente angehört, und das wird sie
wahrscheinlich noch auf dem trockenen Lande erhalten?!“
[BM.01_077,13] Spricht Borem: „Wird schon so sein! Aber beobachte nun nur
weiter; denn nun wird sich bald die Entwicklung dieses ersten Aktes zeigen!“
[BM.01_077,14] Bischof Martin schaut nun sehr aufmerksam auf die Szene hin und
spricht nach einer Weile: „Ah, ah, da sieh einmal hin, das ist ja über alle
Maßen merkwürdig! Nun blähen sich die Frösche am Ufer des Meeres auf, daß es
wahrlich grauenhaft anzusehen ist. Wie die größten Elefanten stehen sie nun da
vor den zwei Männern und vor der stets ängstlicher werdenden Schar der Alten.
Noch immer schwellen sie auf, als so sie mit einem Gebläse aufgetrieben würden.
O Tausend, o Tausend! Nun sind sie schon so voluminös, daß man sie geradeweg für
kleine Berge halten könnte!
[BM.01_077,15] Sie machen nun Miene, die zwei Männer samt den Alten angreifen zu
wollen. Aber die zwei Männer weichen keinen Schritt zurück, obschon die Alten
lieber davonfliegen als -gehen möchten.
[BM.01_077,16] Nun aber gebieten die zwei Männer Ruhe und einer von ihnen
spricht zu den Alten: ,Fürchtet euch nicht vor diesen Aufgeblühten! Nur die
sündige Haut ist es, vor der ihr euch entsetzt; aber das Inwendige ist schwächer
denn das Wesen einer Milbe! Wir könnten sie wohl mit einem Hauche verwehen, die
ihr zuvor noch als Seligste förmlich angebetet habt. Aber wir sind so
unbarmherzig nicht, wie sie als vermeintliche Gottesbräute gegen uns und euch es
waren, obschon wir die vollkommensten Protestanten sind und tatkräftigst gegen
alles auf das feurigste protestieren, was irgend nur im geringsten nicht des
Herrn ist!
[BM.01_077,17] Wollt ihr aber noch handgreiflicher wissen, wer da diese
aufgeblähten Frösche sind, da wisset: Das sind eure Töchter, die eure große
Dummheit samt einem großen Vermögen in das Kloster dieser Herz-Jesu-Damen
getrieben und gewisserart förmlich verdammt hat! Wie gefallen sie euch nun in
diesem Himmelsgewande?‘
[BM.01_077,18] Die Alten schlagen die Hände über dem Kopfe zusammen, reißen sich
die Haare aus und schreien: ,Aber um Gotteswillen! Jesus, Maria und Joseph,
steht uns bei! Wie ist denn das möglich!? Sie sollen ja ein gar so reines Leben
geführt haben! Sie haben ja doch nichts getan, als was sie vom Beichtvater aus
zu tun bemüßigt waren, und was ihnen ihre strenge Regel vorschrieb! Und nun
müssen wir sie in diesem schrecklichsten Zustand hier antreffen! O Jesus, Jesus,
Jesus, Maria und Joseph! Was ist nun hier aus ihnen geworden!‘
[BM.01_077,19] Spricht wieder einer der zwei Männer: ,Seid ruhig und ängstigt
euch dieser wenig Werten wegen nicht. Wir sind darum vom Herrn abgesandt, um in
Seinem allerheiligsten Namen das zu suchen und wiederzubringen, was da immer in
Verlust geraten ist, und werden sonach auch diese Frösche wieder zurechtbringen!
Damit aber auch ihr von eurer Torheit geheilt werdet, so müsset ihr bei diesem
Werk zugegen sein und euch in aller Geduld in alles fügen, was da immer über
euch kommen mag. Erwecket aber vor allem eure Liebe zum einigen Gott und Herrn
Vater Jesus, so wird der von euch allen zu wandelnde Weg ein leichter sein!‘
[BM.01_077,20] Nun fangen die Alten an zu weinen über das Unglück ihrer seligst
vermeinten Töchter; diese aber blähen sich nun noch ärger auf.“
78. Kapitel – Eine dunkle Jesuitengeschichte: Der um seine Tochter betrogene
Vater. Die geistige Beleuchtung der Geschichte.
[BM.01_078,01] (Bischof Martin:) „Ein sehr bejahrt aussehender Vater einer
dieser Herz-Jesu-Damen tritt nun vor die zwei weißen Männer und spricht in einem
sehr weinerlichen Tone: ,O ihr mächtigsten Boten Gottes, wie kann doch das sein,
daß auch meine Tochter sich unter diesen Unglücklichen befindet! Soviel mir wohl
bekannt ist, lebte meine Tochter doch so strenge und gewissenhaft genau nach den
Regeln ihres Ordens und somit im vollkommensten Geiste der alleinseligmachenden
römisch-katholischen Kirche, welcher Geist doch offenbar der Heilige Geist sein
muß?
[BM.01_078,02] Zufolge solchen Lebens und laut der vielen Versicherungen der
Kirche hätte meine Tochter doch sollen vom Munde auf in den Himmel fahren! Denn
nebst ihrem gewissenhaft strengsten Leben erhielt sie auch vom Papste selbst
nicht nur einen, sondern ein ganzes Dutzend vollkommene, von der lauretanischen
Maria selbst privilegierte Ablässe, wodurch ihr auch das Fegefeuer vollkommen
erlassen war! Wie geht es demnach hier zu, wenn ein solches Leben vor Gott
keinen Wert hat?
[BM.01_078,03] Ja, ich kann es euch auf mein Gewissen und Leben sagen, daß meine
Tochter wahrlich vom Himmel aus ganz unverhohlen zur Braut Christi berufen wurde
durch ein Traumgesicht eines allerstrengst lebenden frömmsten Jesuiten. Diesem
frömmsten Mann Gottes träumte nach seinem ganz einfachen und schlichten
Geständnisse:
[BM.01_078,04] Maria und der heilige Joseph seien ihm erschienen im
allerhöchsten Himmelsglanze und sprachen zu ihm: ,Höre uns, du reinster Bruder
der Engel, gehe du hin zum N. N.; der hat ein liebes Töchterchen, an der Jesus
ein großes Wohlgefallen hat, daß Er sie darob zu Seiner fürnehmsten Braut haben
will! Gehe bitten für Gott, deinen Herrn, und verschaffe Ihm diese Braut, sonst
sollst du nie einen Teil am Himmelreiche haben!‘
[BM.01_078,05] Darauf sei er wach geworden und habe sehr darüber nachgedacht,
habe solchen dreimal gleich gehabten Traum dem Konvente angezeigt, und dieser
dem General nach Rom. Und wie war der ganze Konvent überrascht, als er vom
General die wunderbare Erklärung zurückerhielt, daß auch demselben das gleiche
geträumt habe und, als er dem Traume nicht glauben wollte, Maria sogar zum
vierten Male allein ihm ganz traurig erschien und zu ihm sagte:
[BM.01_078,06] ,O du elender Wurm im Staube! Dieweil du nicht glaubst, so sollst
du so lange mit einer schweren Krankheit geplagt werden, bis das liebe Mädchen
sich im Kloster der Herz-Jesu-Damen als eine Braut meines Sohnes befinden wird!
Zur Steuer der Wahrheit sollen drei Tage hindurch in der Nacht um 12 Uhr alle
Glocken Roms eine Stunde lang von selbst ertönen!‘
[BM.01_078,07] Alles dieses sei wunderbarst wirklich eingetroffen, und der
General habe dann sogleich Gebete in allen Konventen heimlich angeordnet. Und er
habe besonders den Pater, dem es von meiner Tochter so wunderbar geträumt hatte,
dringendst gebeten, daß er Tag und Nacht beten solle, damit meine Tochter ins
Kloster ginge.
[BM.01_078,08] Ich für mich aber wollte sie nicht so leicht hineingeben, denn
ich war auf der Welt sehr reich und von hohem Adel. Meine Tochter aber war
überaus schön und sanft und gut und hätte wohl die beste Partie machen können.
Aber ich gab endlich den vielen Bitten des frommen Paters nach. Und da die
Tochter auch Christus allen andern Bräutigamen vorzog, so wählte auch sie den
Schleier und wurde eine Braut Christi. Ach, du unglückliche Braut!
[BM.01_078,09] O ihr beiden mächtigen Boten des Herrn, o saget es mir armem,
unglücklichen Vater: Was um Gotteswillen hat denn meine Tochter verbrochen,
darum sie sich nun auch unter diesen unglücklichsten echten Teufelsgestalten
befindet? Hatte sie etwa geheime Sünden? Oder war sie eine pure Heuchlerin? Oder
ist die römische Kirche ein Betrug? O saget, warum widerfuhr meiner Tochter
dieses unaussprechliche Unglück!‘
[BM.01_078,10] Nun spricht der eine von den zweien: ,O Freund, hast du denn nie
das Evangelium des Herrn gelesen?‘
[BM.01_078,11] Antwortet der Alte: ,Als Schulknabe wohl, aber später nimmer;
denn ich ging ja alle Sonn- und Feiertage ohnehin in die Kirche und hörte da
Predigt und Messe! Zudem war das Lesen der Bibel uns Laien ohnehin von der
Kirche aus untersagt, und ich glaube recht gehandelt zu haben, so ich der Kirche
in allem gehorchte!‘
[BM.01_078,12] Spricht wieder der eine: ,Nun, wenn dir die Kirche mehr galt als
das reine Wort Gottes, so mußt du nun schon die Kirche um Rechenschaft angehen
und nicht uns, die wir als vollendetste Protestanten der römischen Kirche uns
nie an etwas anderes gehalten haben als an das nur, was Christus allein gelehrt
hat! Im Evangelium des Herrn aber steht nirgends etwas von einer
alleinseligmachenden römisch-katholischen Kirche, nichts vom Papste, nichts von
den Jesuiten und nichts von den Herz-Jesu-Damen, sondern da steht ganz einfach:
,Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst! Darin ist das Gesetz
und alle Propheten!‘
[BM.01_078,13] Siehe, wer nur des Lohnes wegen arbeitet, der ist ein unnützer
Knecht und nicht wert des Lohnes, geschweige des Herrn, der da spricht: ,Wer
seinen Vater, seine Mutter, seinen Bruder, seine Schwester und dergl. mehr liebt
als Mich, der ist Meiner nicht wert! So ihr aber alles getan habt, da bekennet,
daß ihr unnütze Knechte waret!‘
[BM.01_078,14] Siehe, das sind Gottes Worte! Frage dich selbst, ob du sie
wußtest, und ob du und deine himmelsstolze Tochter sie je beachtetet!‘
[BM.01_078,15] Spricht der Alte: ,Ja, wenn das wirklich Gottes Worte sind, wie
sie auch sein werden – besonders die des Gesetzes der Liebe, die ich wohl öfter
von der Kanzel gehört habe –, dann ist es mir mehr und mehr einleuchtend, warum
meiner Tochter so etwas widerfuhr. Aber sie ist auf diese Art eine derbst
Geprellte und verdient daher Nachsicht und ein gnädigstes Erbarmen vom Herrn!‘
[BM.01_078,16] Spricht wieder der eine: ,Freund, wäre der Herr nicht besser, als
du und deine Tochter Ihn kennen, so würdest du samt deiner Tochter dich nun in
der Hölle befinden. Weil aber der Herr endlos besser und weiser ist, befindet
ihr euch anstatt in der Hölle nur in der notwendigsten Korrektion eurer Sehe und
im Gnadenbade zur Heilung eures ganzen Wesens!
[BM.01_078,17] Wisse denn, jener Traum des Jesuiten war rein erdichtet deiner
schönen und reichsten Tochter wegen. Du warst durch Zulassung des Herrn darum
schändlichst geprellt, weil du sonst deine Tochter niemandem als nur einem
Prinzen geben wolltest. Das aber war von dir um so ärger gefehlt, als du wider
aller Christuslehre Sinn, nach dem alle Menschen gleich sind, deine Tochter
einem armen, aber sonst rechtlichen Manne schmählich vorenthieltst und ihn für
seine Keckheit noch züchtigen ließest! Siehe, solch ein Verfahren ist vor Gott
das fluchwürdigste!
[BM.01_078,18] Es kam aber um deine Tochter dennoch kein Prinz, sondern ein
hinterlistiger Jesuit und überlistete dich samt deiner Tochter! Kannst du darum
vom Herrn, der die höchste Liebe, Demut und Sanftmut Selbst ist, wohl
Rechenschaft verlangen, so du deine Tochter statt im Himmel hier in diesem
mißlichsten Zustande findest?
[BM.01_078,19] Dann, mein Freund, war deine Tochter stolz und hart gegen ihre
Untergebenen, da sie als die Reichste bald die Vorsteherin dieses neugebackenen
Ordens ward. Sie hielt sich für eine Heilige zufolge ihrer wunderbaren Berufung,
und noch mehr, weil alle Nacht ein maskierter Herr Jesus sie leibhaftig besuchte
und sie als seine Braut natürlich ihm alles gewährte, was er nach der Lüftung
des sogenannten himmlischen Schleiers von ihr verlangte. Davon sagte sie dir
freilich nicht alles, sondern nur, daß dieser ihr Jesus von dir auf das
strengste verlange, daß du dein gesamtes großes Vermögen dem heiligen Kollegium
vermachen sollst, was du auch getan hast in deinem blinden Glauben!
[BM.01_078,20] Siehe, also stehen die Dinge um dich und deine Tochter und werden
ebenso um dein noch auf der Welt lebendes Weib stehen! Wie meinst du nun: kann
ein Mensch neben der Lehre Gottes mittels eines solchen Lebens den Himmel
erwarten – besonders wenn deine Tochter gar bald wußte, wer ihr Herr Jesus ganz
eigentlich war? Verstehst du das nun, mein lieber Freund?‘
[BM.01_078,21] Der Alte macht nun sehr große Augen, und mehrere andere mit ihm,
und er möchte nun über alle Maßen über Rom zu fluchen anfangen. Aber die beiden
verbieten ihm streng, solches zu tun, und zeigen ihm, daß das Gericht allein des
Herrn ist, allen Menschen aber die Vergebung zukommt, so sie auch Vergebung
erlangen wollen. Das beruhigt nun unseren Alten. Und ich sehe nun, daß ein
Frosch kleiner zu werden beginnt; das wird sicher die besagte ,Braut Christi‘
sein! Bruder, die Sache macht sich!“
79. Kapitel – Des Alten Ärgernis an Rom und an der Langmut Gottes. Gleichnisse
von der Geduld des Herrn.
[BM.01_079,01] (Bischof Martin:) „Der Alte macht sich nun wieder an den einen
und fragt ihn: ,Ich sehe nun alles ein, was du zu mir geredet und was du mir
angezeigt hast; denn es ist sicher so und nicht anders. Aber wenn es leider
sicher so ist, wie du mir es nun gezeigt hast, möchte ich doch auch erfahren,
wie denn der Herr Rom noch kann bestehen lassen?! Denn da ist Rom ja nur eine
Stätte des Greuels und ewig nimmer eine Kirche des Herrn!
[BM.01_079,02] Wo ist denn hernach Petrus, der Fels, den der Hölle Pforten
nimmer überwältigen sollen? Rom behauptet solches von sich, und der jeweilige
Papst als vorgeblicher Stellvertreter Christi auf Erden sitze auf diesem Felsen
unter dem beständigen Einflusse des Heiligen Geistes! Solch eine Behauptung kann
doch unmöglich etwas anderes als nur ein größter Greuel vor Gott sein! O
erläutere es mir, wie es denn zugeht, daß der Herr so etwas dulden kann? Er
hätte ja doch tausend Mittel, um diesem Übel zu steuern!‘
[BM.01_079,03] Spricht der eine: ,Mein Freund, das ist wahr, der Herr kann
alles, was Er will. Aber was möchtest du zu einem Vater von etlichen 10-20
Kindern sagen, so er, wenn einige seiner Kinder widerspenstig und ungehorsam
wären, diese sogleich entweder durch einen Scharfrichter oder mit eigener Hand
hinrichtete? Würde da nicht jeder Mensch sagen: ,Das ist unerhört; so ein Teufel
von einem Vater ist noch nie dagewesen!‘
[BM.01_079,04] Was sagtest du denn zu einem Herrscher, der seine Untertanen
wegen Nichterfüllung seiner Gesetze sogleich spießen und braten ließe? Würdest
du da nicht rufen: ,O seht, seht, welch ein schrecklicher Tyrann, welch ein
unmenschlicher Teufel!‘
[BM.01_079,05] Und siehe, gegen einen so unmenschlich strengen Vater könnten die
Kinder sich sogar wirksam zur Wehr stellen, und die Untertanen könnten sich
gegen einen solchen Tyrannen mächtig erheben und ihn übel erwürgen!
[BM.01_079,06] So aber der allmächtige Vater ebenso mit Seinen Kindern verführe,
sage, wie würdest du ein solches Verfahren von der Gottesseite ansehen und
benennen?
[BM.01_079,07] Wäre das nicht die namenloseste Grausamkeit, so der allmächtige
Gott mit Seinen schwachgestellten Geschöpfen so verfahren möchte wie einst ein
Wüterich in Frankreich mit den Franzosen?
[BM.01_079,08] Siehe, der Herr weiß gar wohl, daß Rom eine grausliche Hure ist,
wie Er auch wußte, daß die Ehebrecherin eine allgemeine Buhldirne, die Magdalena
eine große Hure und die Samaritanerin am Jakobsbrunnen eine arge Geilerin war.
Aber wie Sich der Herr gegen jene drei Weiber erwiesen und erzeigt hat, und wie
Er aufnahm den verlorenen Sohn, ebenso erweist Er Sich der Hure Rom und nimmt
jeden reuigen verlorenen Sohn aus ihrem Schoße auf, wenn er zuvor auch noch so
stark und mächtig mit dieser Hure gebuhlt hätte! Aber natürlich – ohne Reue und
Buße ist's für so lange nichts, als wie lange der Buhler weder Reue noch wahre
Buße gewirkt hat!
[BM.01_079,09] Was aber den Felsen Petri betrifft und wo er ist, da ihn der
Hölle Pforten nicht überwältigen können, zeigte der Herr mit manchen Texten und
Versen Seines heiligsten Evangeliums!
[BM.01_079,10] Da heißt es einmal: ,Wer an den Sohn glaubt und aufnimmt Sein
Wort, der hat das ewige Leben!‘ – Siehe, das ist schon ein Fels!
[BM.01_079,11] Wieder heißt es einmal: ,Mein Reich kommt nicht mit äußerem
Schaugepränge, sondern es ist inwendig in euch‘ – Siehe, da also ist der wahre
unüberwindliche Fels Petri aufgerichtet!
[BM.01_079,12] Und wieder heißt es anderswo: ,Wer Meine Worte hört, sie annimmt
und danach lebt, der ist es, der Mich liebt; der Mich aber liebt, zu dem werde
Ich kommen und Mich ihm Selbst offenbaren!‘ – Siehe, das ist auch Petrus, der
Unüberwindliche in eines Menschen Herzen. Das allein ist die wahre, lebendige
Kirche des Herrn, so Er durch den lebendigen Glauben, der da die Liebe ist, im
Herzen des Menschen Wohnung genommen hat!
[BM.01_079,13] Du siehst nun, wie es mit Petrus steht, und wo er ist. Darum
frage nicht mehr weiter um alberne, leere Dinge der Welt, sondern suche nun vor
allem das wahre Gottesreich in dir und seine liebevollste Gerechtigkeit, so wird
dir dann alles andere von selbst werden!‘
[BM.01_079,14] Der Alte verneigt sich nun bis zum Boden vor diesem Boten des
Herrn und auch die andern Alten tun desgleichen. Aber die Frösche sind noch
Frösche geblieben, nur kommen sie mir nicht mehr gar so aufgebläht vor. Der eine
Frosch ist nun ganz klein geworden und nähert sich den zweien. Je näher er ihnen
kommt, desto kleiner wird er; das scheint mir ein gutes Zeichen zu sein!
[BM.01_079,15] Übrigens muß ich es selbst offen und dem Herrn allerdankbarst
bekennen, daß ich nun aus dieser Szene bisher sehr viel profitiert habe und nun
sicher um zehnmal weiser bin als ehedem! Die Szene aber ist auch fortwährend
interessanter und vollauf merkwürdig.
[BM.01_079,16] Der Jesuit ist hier wirklich glorios dargestellt worden, das muß
man sagen! Wahrlich, da gehört mehr als bloß nur göttliche Geduld dazu, um
solche Kerls nicht noch ärger wie Sodom und Gomorra heimzusuchen! Wahrlich, ich
dürfte jetzt nicht mit der Macht des Herrn ausgerüstet sein, da ginge es diesen
Weltbetrügern ganz verdammt schlecht! Aber es geschehe des Herrn Wille!“
80. Kapitel – Gleichnis von den Weizen- und Distelsorten. Erwachen der Liebe
Martins zum Herrn. Fortsetzung der Szene mit den Herz-Jesu-Damen.
[BM.01_080,01] Spricht Borem: „So ist es recht: allein des Herrn allerbester und
allerweisester Wille geschehe! Die Disteln sind offenbar schlechter als der
Weizen, der schon so gut ist, wie er sein muß. Aber gehe du alle Weizensorten
der Erde durch, und du wirst in ihnen wenig Unterschied finden. Gehe aber auch
alle Distelsorten durch, und du wirst obenan die herrliche Ananas finden und
neben ihr die heilkräftige Aloe und neben der die zuckerstoffreiche Feigendistel
Afrikas!
[BM.01_080,02] Wie töricht wäre es darum, das Geschlecht der Disteln zu
verdammen, da doch die Natur zeigt, welcher Veredlung sie fähig sind! Der Weizen
bleibt Weizen, aber die Distel kann zur Ananas erhöht werden!
[BM.01_080,03] Ebenso blieb ein Petrus, ein Jakobus, ein Andreas usw. das, was
sie seit ihrer Entstehung waren, nämlich ein reiner Weizen in der Scheune des
Herrn. Unter diesem Weizen aber stand auch eine sehr stachlige, wilde Distel:
sie hieß Saulus! Und siehe, der Herr veredelte sie zur herrlichen Ananas, zur
köstlichen Frucht der Erde!
[BM.01_080,04] Siehe, was aber der Herr einmal tat, das tut Er noch! Daher sagen
wir allzeit aus vollstem Grunde unseres Lebens: O Vater, Dein heiligster Wille
geschehe!“
[BM.01_080,05] Bischof Martin ist zu Tränen gerührt und spricht: „Ja, ja, du
mein lieber Bruder, ewig nur Sein heiligster Wille! Oh, wenn ich Ihn jetzt da
hätte, da möchte ich Ihn so an mein Herz drücken, daß ich darob völlig mich
auflösen könnte! O Du, mein guter Herr Jesus Du, komme, komme zu uns beiden!“
[BM.01_080,06] Spricht Borem: „Bruder, nun erst bist du auf den rechten Weg
gekommen. Jetzt erst hast du angefangen, Christus anzuziehen! Ich sage dir, du
gehst nun einer herrlichen Löse entgegen! Bald wirst du erfahren, was das heißt:
,Kein Auge hat je gesehen und keines Menschen Sinn empfunden, was der Herr denen
bereitet hat, die Ihn lieben!‘ Du aber hast nun Liebe zum Herrn in deinem Herzen
erweckt, die allein bei Ihm etwas gilt. Gib nun acht, was mit dir bald vor sich
gehen wird, so du in dieser Liebe verharren und wachsen wirst! Siehe aber nun
ein wenig nach der Tafel hin und sage mir, was du nun dort ersiehst!“
[BM.01_080,07] Bischof Martin sieht sich nun eilends nach der Tafel um und
erschrickt. Er sieht diese heller denn eine Sonne erglänzen und liest inmitten
des großen Glanzes die Worte: ,Bruder, verharre nur noch eine kurze Weile, und
Ich werde bei dir sein!‘ Als er solches mit großer staunender Freude erschaut,
spricht er:
[BM.01_080,08] (Bischof Martin): „O Bruder, ich empfinde nun eine Wonne, von der
ich noch nie eine allerleiseste Ahnung gehabt habe! Was wird daraus erst in der
Folge werden, wenn die Sache so vorwärtsgehen wird, wie ich's nun in meinem
Herzen empfinde, da es stets mehr in der Liebe zum Herrn Jesus sich entzündet?
[BM.01_080,09] Ja, ich sage dir, nun bin ich in den Herrn Jesus aber schon so
verliebt, daß ich mir vor lauter Liebe gar nicht zu helfen weiß! Ja, ich könnte
Ihn – ich möchte Ihn – ja ich könnte mich vor lauter Liebe ganz in Ihn
hineinverbeißen!
[BM.01_080,10] O du liebster, liebster, liebster Jesus Du, jetzt sehe ich erst
so recht ein, wie unendlich weise und gut Du bist. Und diese Einsicht wird bei
mir nun eine Klarheit, während sie früher nur war wie ein etwas hellerer Traum!
[BM.01_080,11] O Bruder, wie freue ich mich nun darauf, wenn der Herr zu uns
kommen wird und wird uns sichtlich helfen, unsere nun noch sehr starren oder
wenigstens starr aussehenden Gäste in die rechte Ordnung zu führen!“
[BM.01_080,12] Spricht Borem: „Ja, Bruder, das wird auch geschehen, sobald diese
Damen das Allergröbstmaterielle werden abgelegt haben. Daher fasse dich nun
wieder, betrachte die Szene weiter und sage mir treu, was da alles vor sich
geht. Denn war diese bisher belehrend, so wird sie im weiteren Verlaufe noch ums
Hundertfache belehrender und interessanter sein!“
[BM.01_080,13] Bischof Martin richtet seine Sehe nun wieder in das Hinterhaupt
der Herz-Jesu-Dame. Er ersieht, daß sich alles noch so befindet wie früher,
bevor er seine Sehe davon abgewendet hatte, zu besehen die strahlende Tafel und
zu reden darüber mit Borem.
[BM.01_080,14] Nun aber wendet sich der Alte wieder an den einen der zwei weißen
Männer. Bischof Martin horcht mit großer Aufmerksamkeit, was da weiter
verhandelt wird, und spricht nach einer Weile:
[BM.01_080,15] (Bischof Martin:) „Schau, schau, der Alte ist gar nicht dumm! Er
bittet die beiden Boten, sie möchten wenigstens seine Tochter durch ihre Macht
aus dieser Scheußlichkeit erlösen, auf daß er dann an ihrer Seite sogleich in
den Himmel kommen könnte; denn hier wäre ihm nun schon entsetzlich langweilig.
Er sehe wohl ein, daß die beiden gerecht nach dem Willen des Herrn handelten.
Aber es befalle ihn dessenungeachtet ein äußerst fades Gefühl und eine
verzweifelte Langweile, der er in aller Kürze den Rücken zuwenden möchte.
[BM.01_080,16] Der Alte ist wirklich gar nicht dumm für seinen Sack, wie man zu
sagen pflegt! Aber die beiden weißen und weisen Männer scheinen nicht seiner
Meinung zu sein. Sie geben darauf mit dem Haupte ein sehr verneinendes Zeichen
und der eine sagt:
[BM.01_080,17] ,Freund, Geduld ist des Lebens erste Regel, und das hier im
Geisterreiche so gut wie auf der Welt! Alles hat seine Zeit und Weile! Fahrt ihr
alle aber fort, in euren Herzen die Liebe und ein lebendiges Vertrauen auf den
Herrn stets mehr und mehr zu beleben, so werdet ihr so schnell als möglich zur
wahren Erlösung aus diesem Jammerzustande gelangen.
[BM.01_080,18] Aber unsere Macht kann euch in dieser Hinsicht weder um ein Haar
vor- noch um ein Haar rückwärts helfen. Denn solches müsset ihr wissen: Hier
gelangt nie jemand weder durch vermeintliche gottwohlgefällige Verdienste noch
durch ein vermitteltes oder unvermitteltes Erbarmen des Herrn in den Himmel,
sondern allein durch die eigene Liebe zum Herrn und durch die daraus
hervorgehende Gnade des Herrn Jesu Christi, der da ist der alleinige Herr und
Gott Himmels und aller Welt! Das alles da ist Sein Werk!
[BM.01_080,19] Merket aber das: Es gibt nirgends einen Himmel außer in euch;
diesen müsset ihr selbst öffnen, wollt ihr in ihn eingehen! Denn das Leben muß
ein freies sein, so es ein Leben sein soll. Ein gerichtetes Leben aber ist kein
Leben, sondern nur ein Tod!
[BM.01_080,20] So wir euch aber nun frei machten durch unsere Macht, würdet ihr
nicht frei, sondern gerichtet sein und somit nicht lebendig, sondern durch und
durch tot! Saget, wäre euch mit solch einer traurigen Hilfe wohl gedient?‘
[BM.01_080,21] Die Alten kratzen sich nun sehr stark hinter den Ohren und
scheinen die Belehrung nicht so ganz aus der Wurzel zu fassen.“
81. Kapitel – Verschwinden der Frösche im Meer und das Auf-dem-Meere-Wandern der
suchenden Eltern. Borems Erläuterungen.
[BM.01_081,01] (Bischof Martin:) „Siehe, nun geht der eine Frosch ganz zu den
Füßen der beiden und beleckt dieselben.
[BM.01_081,02] Der eine aber spricht zum Frosch (aufs Meer deutend): ,Siehe,
dort ist dein Element!‘
[BM.01_081,03] Aber der Frosch richtet sich nun mehr auf seine Vorderbeine und
quakt recht vernehmliche Worte, die so zu lauten scheinen: ,O ihr Mächtigsten,
wohl weiß ich, daß dieses schreckliche Meer mein mehr als verdientes ewiges
Strafelement ist. Dennoch aber wage ich an euch die Bitte zu stellen, daß ihr
mit mir armen Seele nicht nach aller Strenge des freilich gerechtesten
Gottes-Gerichtes verfahren möchtet! Doch nicht mein, sondern nur euer Wille
geschehe!‘
[BM.01_081,04] Spricht nun der eine: ,Wir beide haben keinen Willen außer den
des Herrn, der da ewig unwandelbar ist. Diesen haben wir dir kundgetan, und an
dir ist es nun, dich zu fügen! Siehe also dort dein Element!‘
[BM.01_081,05] Ah, ah, der Frosch fängt nun jämmerlich zu quaken an, krümmt sich
und windet sich und bittet nun ganz entsetzlich, daß ihn die zwei noch auf dem
trockenen Lande belassen möchten, so es schon für ihn keine Gnade und kein
Erbarmen mehr gäbe.
[BM.01_081,06] Der eine spricht: ,Solange du den vorgezeichneten Weg nicht
wandeln wirst, kann dir nicht geholfen werden!‘
[BM.01_081,07] Nun steigt der Frosch gar elend dem Meere zu und stürzt sich in
dasselbe. Es ist nichts mehr von ihm zu entdecken, denn die große Flut scheint
ihn auf ewig verschlungen zu haben. O du armer Frosch! Ich muß dir, Bruder
Borem, sagen, daß mich der arme Frosch nun tiefst dauert. Aber es war ja des
Herrn Wille, und so ist es auch gut! Aber er, der arme Frosch, dauert mich
dennoch!
[BM.01_081,08] Nun aber geht der Alte auch ans Ufer und spricht: ,Hat meine arme
Tochter beim Herrn kein Erbarmen gefunden, so will auch ich keines und stürze
auch mich aus Liebe für meine arme Tochter in ihr ewig verdammliches Los!‘
[BM.01_081,09] Mit diesen Worten stürzt er sich zwar auch in das Meer, aber
dieses läßt ihn nicht untergehen, da es nicht sein Element ist. – Bruder, das
ist merkwürdig, der geht im Wasser nun herum wie unsereiner auf trockenem Lande
und sucht klagend seine Tochter! Was doch da noch alles herauswachsen wird?
[BM.01_081,10] Aha, da sieh, nun werden auch die andern Frösche kleiner und
kleiner und steigen zu den zwei weißen Männern! Nun sind sie an ihren Füßen und
belecken diese. Es ist wirklich überaus merkwürdig: Wie groß haben sich diese
Frösche doch ehedem gemacht, nun sehen sie klein aus wie auf der Erde die
Unkelchen. Hörst du, liebster Bruder, die müssen doch eine ungeheuer zähe Haut
haben, daß sie bei einer solch immensen Aufblähung nicht zerborsten ist!
[BM.01_081,11] Sapperment, wenn da eine in ihrer höchsten – ich meine, wie sie
sich am allerärgsten aufgebläht hatte, zerborsten wäre, das wäre eine Explosion
gewesen! Ich glaube, die hätte dieses Meer auf eine halbe Ewigkeit
zurückgetrieben. Wenn auf der Erde so etwas Dehnbares wie die Haut dieser
Frösche könnte erfunden werden, da wäre es mit dem Gummielastikum rein aus!
[BM.01_081,12] Du mußt mir schon vergeben, liebster Bruder, daß ich mir manchmal
noch solche Bemerkungen erlaube, die meiner Gewohnheit nach so einen humoresken
Anstrich haben. Aber es bringt es hier wirklich die Sache selbst mit sich, die,
an sich betrachtet, im höchsten Grade komisch ist! So kann ich mir nun die
Trillionen Falten denken, in die die Haut dieser Frösche nun zusammengeschrumpft
sein wird; und das ist schon wieder komisch!
[BM.01_081,13] Ich weiß wohl, daß in den Augen des Herrn, wie auch denen eines
Engels, alle diese Erscheinungen voll des höchsten göttlichen Ernstes sind.
Dessenungeachtet haben sie doch für unsereinen etwas oft sehr Komisches an sich.
So hat der Herr auch sicher nicht gelacht, als Er dem Esel seine zwei langen
Ohren angesetzt hat. Aber unsereiner muß ja lachen, wenn man so einen
langohrigen Philosophen ansieht, wenn man auch weiß, daß dem Esel seine zwei
langen Ohren ebenso notwendig sind wie dem Vogel seine kaum sichtbaren.
[BM.01_081,14] Wie es aber auf der Erde eine Menge dummscheinende und somit
komische Erscheinungen gibt, so gibt es auch hier dergleichen genug – freilich
aber nicht für alle, sondern nur für Wesen meinesgleichen! Ich werde vielleicht
mit der Zeit – so hier noch von einer Zeit die Rede sein kann – auch an diesen
Erscheinungen nichts Komisches mehr finden. Aber für jetzt und in diesem meinem
Zustand ist es mir rein unmöglich, das Humoreske ganz beiseite zu setzen.“
[BM.01_081,15] Spricht Borem: „Macht nichts, macht nichts, lieber Bruder! Auch
ich bin kein Kopfhänger, und der Herr schon am allerwenigsten. Dessenungeachtet
muß die sogenannte Spottlache aus den Himmeln rein verbannt sein, weil in ihr
doch eine geheime Schadenfreude versteckt ist, so wie in einer übertriebenen
Neugierde.
[BM.01_081,16] Aber deine Bemerkung über die große Dehnbarkeit der Haut dieser
erscheinlichen Frösche ist nichts als eine deinem Geiste angeborene Witzelei,
die gar keine Bösartigkeit in sich faßt. Mit der Weile wirst du über deine
wässrigen Witze selbst lachen, wenn du innewirst, wie wenig Gehalt sie haben.
Nun aber wende dein Augenmerk nur wieder deinen Unkelchen zu und habe acht, was
da mit ihnen weiter geschieht!“
[BM.01_081,17] Spricht Bischof Martin: „Ja, du hast recht; ich hätte mich
beinahe verplauscht! Ich sehe sie schon! Sie belecken noch die Füße der beiden
Männer. Einige quaken sie nun an, aber ich verstehe nichts von dieser
Quaksprache. Das wird schon zu echt quakisch sein?
[BM.01_081,18] Wahrscheinlich werden sie die beiden Boten auch um eine
allgemeine Amnestie angehen? Aber diese scheinen sich auf ihre Sprache auch
nicht zu verstehen und zeigen ihnen das Meerwasser. Die Fröschlein aber quakeln
nun noch ärger und steigen den zweien auf die Füße; aber das nützt ihnen nichts.
Die beiden bedräuen sie, und die Frösche hüpfen nun dem Meere zu und nun – husch
– in dasselbe!
[BM.01_081,19] Und nun ist's gar! Kein Frosch und kein Fröschlein ist nun mehr
zu sehen. Nur die Alten stehen noch am Ufer und starren hinab in die Tiefe, um
von ihren Töchtern etwa doch noch das letzte Skorpionschweifspitzel zu
entdecken. Aber sie entdecken, wie auch der erste, nichts, der noch immer auf
dem Wasser herumgeht und seine Tochter sucht. Er ruft einige zu sich und sagt,
daß das Wasser fest wäre wie ein Stein.
[BM.01_081,20] Aber die andern Alten wollen dieses Wassers Härte dennoch mit
ihren Füßen nicht probieren, sondern kehren zu den zwei weißen Männern zurück.
Sie fragen bittend, was denn nun aus ihren Töchtern geworden sei, ob sie nun
etwa auf ewig verloren seien.
[BM.01_081,21] Die beiden aber geben ihnen nun keine Antwort, sondern begeben
sich von dannen aufs Meer und wandeln in eine weite Ferne hinaus.
[BM.01_081,22] Die Alten starren nun hin wie Verzweifelte. Einige versuchen nun
auf dringliches Zuraten des einen, ihre Füße aufs Wasser zu setzen – und siehe,
es geht! Nun rennen alle hinaus und wollen den zweien nach; aber es geht mit dem
Rennen nicht recht vorwärts, denn die Oberfläche des Wassers muß äußerst glatt
und heikel sein, weil diese alten Renner in einem fort übereinander fallen. Der
erste, der sich ins Wasser stürzen wollte, kommt ziemlich gut fort. Aber die
andern fallen in einem fort hin und kommen fast nicht von der Stelle. No, diese
werden wohl etwa auch das erste und letzte Mal auf dieses wahre Eis tanzen
gehen!
[BM.01_081,23] Nun möchte ich aber doch wissen, was nun eigentlich mit diesen
Damen oder nun Fröschen geschehen wird. In der Hölle werden sie doch nicht sein,
da sie hier als wahre Statuen noch alle zu sehen sind. Wie aber ihr etwa noch
außerhöllischer Zustand beschaffen sein dürfte, wird der Herr sicher besser
wissen und sehen als ich.
[BM.01_081,24] Aber sage mir doch, liebster Bruder, was hat denn das alles
eigentlich für einen Sinn und für eine Bedeutung: die Froschgestalt, dieses Meer
nun, das Hineinstürzen der Frösche, daß die Alten nicht untergehen und daß die
zwei weißen Boten sich nun so weit entfernt haben?
[BM.01_081,25] Ich habe das wohl alles mit angesehen und habe so manches daraus
gelernt. Aber so ich den eigentlichen Sinn alles dieses Geschauten erläutern
sollte, ginge es mir ganz verzweifelt schlecht. Sage mir daher gütigst, was das
alles bedeutet!“
[BM.01_081,26] Spricht Borem: Alle – besonders weibliche Wesen, die sich dem
Geistigen zugewandt haben und beten und fasten zwar wohl des Himmels wegen,
dabei aber auch die weltlichen Vorteile sehr stark berücksichtigten, erscheinen
in der Abödung ihres Naturmäßigen als allerlei Amphibien: Tiere die sich auch in
zwei Elementen aufhalten und in selben leben können!
[BM.01_081,27] Das Meer stellt ihr Naturmäßiges dar, das ihnen bei ihren
irdischen Lebzeiten mehr am Herzen lag als das Geistige. Darum auch müssen sie
sich nun in dasselbe stürzen und im selben das Eitle ihrer weltlichen
Bestrebungen erproben. So stellt das Meer auch die Masse ihrer großen Dummheit
dar, in die sie nun bis auf den Grund eingehen müssen, um sie als solche zu
erkennen. Die Schlangenköpfe dieser Frösche bedeuten die entschiedene hochmütige
Bosheit und oft kluge Berechnung zu deren Ausführung. Die Skorpionschwänze aber
bezeichnen ihr hinterlistiges Wesen, zufolge dem sie jene, denen sie schaden
wollten, hinter dem Rücken packten und verwundeten. – Verstehst du das?“
[BM.01_081,28] Spricht Bischof Martin: „Bruder, ich verstehe das nun sehr gut.
Ich habe dergleichen gleisnerische, ultrapapistische Machinationen auf der Erde
leider nur zu viele kennengelernt und mußte als Bischof dazu beide Augen fest
zuschließen. Und warum, das wirst du auch sicher sehr wohl verstehen!“
[BM.01_081,29] Spricht Borem: „O ja, nur zu gut und beinahe zu klar! Aber nun
höre weiter! Die Alten, die ursprünglich dumm waren, gelangten ihrer meistens
hochadeligen Geburt wegen auch nie zu einem andern als nur zum
pfäffisch-aristokratischen Lichte. Daher sahen sie auch alle die pfäffischen
Bestimmungen zumeist für echt himmlische an und verkauften ihre Töchter an
solche Pfaffen mit einer starken Mitgift. Diese Alten sind nun noch viel zu
dumm, als daß sie auf den Grund ihrer eigenen Dummheit eindringen könnten. Daher
steigen sie auf selber herum wie der Esel auf dem Eise und fallen in einem fort
– bis auf den einen, der etwas weiser ist und sich seine Dummheit mehr dienstbar
gemacht hat als die andern. – Verstehst du auch das?“
[BM.01_081,30] Spricht Bischof Martin: „O ja, liebster Bruder, das versteh' ich
nun auch non plus ultra! Da hätten wir dann ja so einen wahrsten
Aristokratenschwindeltanz vor uns!“
[BM.01_081,31] Spricht Borem: „Ja, ja, so ist's! Aber nun merke wohl auf den
weitern Verfolg dieser Szene. Der erste Akt ist nun abgespielt und der zweite
wird sogleich seinen Anfang nehmen. Da wirst du erst Dinge zu Gesicht bekommen,
zu denen du sicher die seltensten Gesichter machen wirst!“
[BM.01_081,32] Spricht Bischof Martin: „Freue mich schon darauf! Nun werde ich
die Vorfälle auch sicher besser verstehen als bis jetzt; also nur zu und weiter
in der Art! Nur die Entfernung der beiden Weisen hast du, liebster Bruder, mir
noch zu erklären vergessen, um die ich dich auch gefragt habe.“
[BM.01_081,33] Spricht Borem: „O nein, lieber Bruder, das mitnichten; denn hier
vergißt man nie etwas! Aber die Bedeutung dieser Erscheinung, wie noch gar
vieles, mußt du selbst suchen und finden, auf daß du eine Übung haben sollst,
dich in den rein himmlischen Beschäftigungen aus dir selbst zu üben. Versuche es
nur einmal und du wirst dich gleich überzeugen, wie weit deine Weisheit schon
reicht!“
[BM.01_081,34] Spricht Bischof Martin: „Ja so, das ist freilich etwas ganz
anderes! Weißt du, nun du mir schon die andern Dinge erläutert hast, geht es mit
dieser Erklärung freilich eben nicht zu schwer, wie mir vorkommt. Ich denke
darüber nun so:
[BM.01_081,35] Die zwei Weisen sind gleich wie ein himmlisches Öl. Und diese
alten, dummen Aristokraten sind wie ein irdisches Pechöl, das überaus schmutzig
ist und verzweifelt stark stinkt. Daß das himmlische Öl es neben diesem Pechöl
nicht länger aushalten kann, wird wohl mit den Händen greiflich sein! Was meinst
du, Bruder, habe ich richtig geurteilt?“
[BM.01_081,36] Spricht Borem: „Richtiger, als du es nun noch selbst zu fassen
imstande bist. Was du aber noch nicht bis auf den Grund des Grundes fassest, das
wirst du in der Folge fassen. Denke daher nicht weiter über diese Sache nach,
sondern wende deine Augen nun wieder in das Hinterhaupt dieser Dame; da wird
sich dir bald die vollste Lösung von selbst darbieten.“
[BM.01_081,37] Spricht Bischof Martin: „Bruder, bin schon ganz vollkommen dabei!
Bis jetzt ist zwar noch alles beim Alten; aber das macht nichts, es wird schon
kommen – ja, ja, dort kommt schon etwas!“
82. Kapitel – 2. Akt des Schauspiels mit den Herz-Jesu-Damen. Der höllische
Sturm auf dem Meere. Einfangen des Sturmgeschmeißes in einen Sack. Borems
Erläuterung.
[BM.01_082,01] (Bischof Martin:) „Aber was doch das ist?! Sieh, dort aus dem
tiefen Abend heraus entsteigen dem Meere ganz dichte Wolkenmassen etwa so, wie
ich sie manchmal vor schweren Gewittern auf der Erde hinter den Bergen habe
aufsteigen sehen. Diese Wolkenmassen ziehen sich stets näher und näher und es
blitzt aus ihnen schon ganz entsetzlich.
[BM.01_082,02] Auch sehe ich nun eine Menge großer und kleiner Wasserhosen vor
dem schwarzgrauen Gewölke einherziehen. Das sieht nun einmal ganz frappant
drohend aus! Unsere Alten entdecken nun auch den heranziehenden Sturm und
bemühen sich nun nach allen Kräften, das sichere Ufer zu erreichen. Wie sie
arbeiten mit Händen und Füßen und wie oft sie da hinfallen!
[BM.01_082,03] Nein, das ist ja, wie man zu sagen pflegt, der Welt ungleich! Und
doch scheint ihnen ihre Mühe wenig zu nützen: statt näher kommen sie nur stets
weiter weg vom Ufer. Ah, das muß eine sehr fatale Situation für diese Alten
beiderlei Geschlechtes sein!
[BM.01_082,04] Ich sehe wohl auch noch die zwei weißen Männer draußen in weiter
Ferne gegen Mittag wie zwei Sterne glänzen. Aber sie scheinen sich um diesen
herannahenden großen Sturm nicht im geringsten zu kümmern. Und siehe, dieser
kommt stets näher und näher, und das mit Begleitung von nun schon über tausend
Wasserhosen und zahllosen Blitzen! Auch donnern höre ich schon ganz entsetzlich,
und Orkane heben die Wasserwogen nun auch zu Bergen hoch empor. O Tausend,
Tausend, das Ding sieht nun recht schlimm aus!
[BM.01_082,05] Aber nur die Alten, die Alten! Ah, was die zusammenarbeiten, und
doch ist alle ihre Mühe und Arbeit vergeblich! Da sieht man wohl so ganz klar,
was ein Mensch gegen solche unerhörten Kraftäußerungen vermag. Wenn mit dem
Menschen nicht eine Gotteskraft wirkt, dann ist er die allerbarste Null in der
ganzen Unendlichkeit. Aber neugierig bin ich nun ganz absonderlich, was da noch
alles zum Vorschein kommen wird.“
[BM.01_082,06] Spricht Borem: „Gib nun recht acht, und du wirst es gleich sehen,
wohin sich dieser Sturm wenden wird! Sei unbesorgt um die Alten, die sich da
abmühen, das Ufer zu erreichen, um dem herannahenden Sturme zu entgehen – sie
geht er nichts an. Aber jene zwei weisen Boten draußen im Mittage, die sind die
Zielscheibe der Rache nun, darum sie den Bitten dieser Damen kein willfähriges
Ohr geliehen haben.
[BM.01_082,07] Siehe, das ist nun schon ein bißchen höllisch; aber nur so
anflugsweise. Denn da diese auf den Grund ihrer Dummheit gekommen sind, fanden
sie auch noch einige Überreste vom irdischen Aristokratenstolz und mit selbem
verbundener Herrschsucht. Diese Überreste entzündeten sich an der Flamme der sie
demütigenden Erinnerung, wie sie von den zwei Boten auf die vermeintlich
schnödeste Art in Frösche verwandelt und dann nach ihrer Meinung unbarmherzig
ins verfluchte Meer getrieben wurden.
[BM.01_082,08] Da jene Überreste auf solche Art bei ihnen in Brand gerieten,
ergriff dieser auch bald ihr ganzes Wesen, trieb sie an den Rand der ersten
Hölle und verschaffte ihnen dort sogleich eine Menge gleichgesinnter und
gleichbeschaffener Gehilfen. Mit diesen vereint ziehen sie nun in jenen
Sturmwolken einher und wollen Rache nehmen an den zweien und hernach auch an
allen, die die zwei abgesandt haben. Gib nun nur acht, denn die Hauptsache wird
nun sogleich angehen!“
[BM.01_082,09] Spricht Bischof Martin: „Ich danke dir und vor allem dem Herrn
für diese Erklärung. Aber neben diesem Dank muß ich dir auch bekennen, daß ich
nun auf diese Greteln eine förmliche Wut in mir empfinde, während mich früher
wirklich eine Art von Barmherzigkeit ergriffen hatte. Wenn ich nur die Kraft von
jenen zwei Boten hätte, sapprament, da ginge es diesen Sturmheldinnen schlecht!
Aber ich hoffe, diese zwei werden sich wohl auch gegen diese saudummen,
grauslichen Kreaturen zu verteidigen verstehen?
[BM.01_082,10] Schau, der Sturm beugt sich nun wirklich in einem rechten Winkel
gegen Mittag. Blitze zucken schon millionenweise nach jenen zwei Weisen hin, die
noch fortwährend ganz unbeweglich gleich den Fixsternen Kastor und Pollux dort
im fernen Mittage weilen. Sapprament, wie das Meer gewaltig wogt und wie der
Sturm saust und braust und tobt!
[BM.01_082,11] Aber schau nur die armen Alten an, was sich diese plagen! Sie
können nun gar nicht mehr stehend sich erhalten, sondern hocken und kriechen auf
Händen und Füßen. Nein, die müssen nun ja eine wahre Höllentortur ausstehen! Oh,
oh, oh, nun trennt sich ein Fetzen von einer Wolke und fliegt zu den Alten
herüber! Was wird denn da daraus?
[BM.01_082,12] Schau, schau, dieser Fetzen umhüllt nun den ersten Alten, der
sich ins Meer stürzte, und trägt ihn heraus ans Ufer! Nun ist er da. Das ging
schnell wie ein Blitz! Und nun, da sieh, nun sammelt sich der Wolkenfetzen, wird
kleiner und kleiner und sieht stets mehr einer menschlichen Gestalt ähnlich!
[BM.01_082,13] Ah, ah – sieh, das ist ja gar eine Dame, und zwar die erste –
gerade die, deren Hinterhaupt ich nun beschaue! Sie tröstet ihren Vater und
liebkost ihn sogar. Der Alte ist darob ganz selig, daß er seine für ewig
verloren geglaubte Tochter in ihrer wahren Gestalt nun wieder in seinen Armen
besitzt. Das ist sehr rührend, ich muß es offen gestehen! – Aber die andern
stürmen nun darauf los, daß es eine barste Schande ist!
[BM.01_082,14] Ah, ah, ah; nun erschaue ich auch die Nachhut des Sturmes! Da
gibt es ja ein unzähliges Heer von lauter Drachen und Krokodilen und Gott weiß
was alles noch für Geschmeiß. Das gibt erst den Hauptlärm!
[BM.01_082,15] Das Brüllen, das Pfeifen, das Zischen! Das Meer siedet förmlich
unter den Sturmwolken und sieht schon ganz glühend aus. Große Feuerbälle wälzen
sich in den Wolken herum. Einige sind schon ganz in der Nähe der zwei, die nun
besser sichtbar sind als ehedem.
[BM.01_082,16] Nun kehren sich die beiden um und bedräuen den Sturm. Aber dieser
weicht nicht, sondern, wie es sich zeigt, wird er nur intensiver und rasender.
[BM.01_082,17] Nein, die Sache sieht sonderbar aus! Da sieh, da sieh, die beiden
nehmen nun förmlich Reißaus und schweben in größter Eile herüber zu den zweien
am Ufer, nämlich zu dem Alten, den seine Tochter noch ganz zärtlich kost. Sie
sind auch schon da, Gott sei's gedankt, und begrüßen den Alten samt seiner
Tochter gar sehr freundlich. Ah, das ist sehr schön, herrlich und rührend; aber
nun wendet sich der Sturm auch hierher!
[BM.01_082,18] Nein, dieser wahre Frösche- und Geschmeiß-Sturm ist ja über alle
Maßen keck! Bin doch neugierig, was da noch alles herauskommen wird?“
[BM.01_082,19] Spricht Borem: „Gib nur unausgesetzt acht, nun kommt die
Entwicklung dieses zweiten Aktes! Da wirst du ein bißchen von einem Gerichte zu
Gesicht bekommen, denn hier wird eine große Löse vor sich gehen!“
[BM.01_082,20] Spricht Bischof Martin: „Ja, Bruder, ja, da wird es freilich eine
große Löse geben müssen, bei der es für den Himmel sicher wenig gute Körner, für
die Hölle aber überaus viel wertloseste Spreu abgeben wird. Aber nun nur wieder
fest das Auge in die vorliegende Szene gesteckt!
[BM.01_082,21] Da, da sieh! Der Sturm naht sich dem Ufer! Der Alte und seine
gerettete Tochter haben eine große Furcht vor demselben; aber die zwei weisen
Boten trösten sie und sagen deutlich vernehmbar:
[BM.01_082,22] ,Fürchtet euch nicht vor dieser Spiegelfechterei, denn sie ist
bloß ein Schein ohne Sein. Wenn die Blindheit rast, haben die Sehenden gut
ausweichen! So da wären tausend blinde Krieger gegen einen Sehenden und möchten
gegen ihn ziehen mit Schwertern und Lanzen, sagt, was wohl würden sie gegen
einen einzigen wehrfähigen, wohlerfahrenen Krieger ausrichten? Siehe, dieser
einzige würde sie alle gar leicht übel umbringen!
[BM.01_082,23] Viel leichter aber als auf der Welt geht es hier in der
Geisterwelt, in der die Blindheit solcher Geisterlein auch mit Taubheit
geschlagen ist. Glaubet es fest, dieses gesamte Sturmgeschmeiß fangen wir zwei
leicht in einen Sack hinein und können sodann mit ihnen tun, was wir wollen.
Gebt nur recht acht, und ihr werdet sogleich sehen, was da geschehen wird!‘
[BM.01_082,24] Daß die zwei Weisen mit dem Alten und seiner Tochter schon auf
recht freundlichem Fuße stehen, ist nun ganz klar, und ich bin dessen sehr froh.
Wie aber die zwei der großen Wut des dem Ufer stets näher kommenden rasendsten
Sturmes begegnen werden, und wie ihn gar in einen Sack einsperren – das zu sehen
wird wohl außerordentlich der Mühe wert sein!
[BM.01_082,25] Nun sind die noch auf dem Wasser befindlichen Alten schon ganz in
die Sturmwolken gehüllt und schreien entsetzlich um Hilfe. Aber es erscheint von
keiner Seite eine, außer daß sie der Sturm selbst durch seine Kraft dem Ufer
näher schiebt ungefähr so, als wenn ein starker Wind Gegenstände vor sich
hinschöbe, die auf einer Eisfläche lägen.
[BM.01_082,26] Nun sind die Alten endlich einmal am Ufer und der Sturm
schleudert Millionen Blitze gegen die zwei. Diese aber breiten im Ernste einen
großen Sack auf. Und der eine spricht nun zum Sturme: ,Höre, du wildes Ungetüm –
hier in diesen Sack ziehst du ein oder zur Hölle – was dir lieber ist!‘
[BM.01_082,27] Schrecklich erdröhnt nun ein mächtigster Donner, zahllose Blitze
schießen aus dem stets kleiner werdenden Sturmwolkenknäuel nach allen Richtungen
hin. Und nun steckt mitten durch die Wolkenmasse ein scheußliches Ungeheuer
einen gar schrecklich aussehenden Kopf hinaus und sperrt den Rachen aber schon
so weit auf, als wollte er die ganze Gotteserde mit einem Drucke verschlingen.
[BM.01_082,28] Ah, das sieht schon entsetzlich schrecklich aus! Aber unsere zwei
scheinen gar keine Furcht vor diesen Schrecknissen zu haben, sondern der eine
sagt noch einmal: ,Sack – oder Hölle!‘
[BM.01_082,29] Oh, oh, da sieh, nun schrumpft der ganze ungeheure
Sturmwolkenknäuel samt dem ungeheuer großen Kopf in einen Knäuel zusammen, der
kaum größer ist als ein Fünf-Eimer-Faß, rollt gegen die Mündung des Sackes und
durch diese wirklich in den Sack hinein!
[BM.01_082,30] Wahrlich, das ist dem Anscheine nach ein rechter Spaß! Ah, ah,
der ganze Sturm in einem Sack! Das sieht aber doch geradeso aus, als befände man
sich vor einem leibhaftigen Märchen von Tausendundeiner Nacht! Was wird denn da
weiter geschehen?
[BM.01_082,31] Der Sturm liegt nun in diesem veritablen Strohsack so ruhig, als
ob er nie einer Bewegung fähig gewesen wäre. Wahrlich, das ist doch ein höchst
burleskes Bild! Der ganze ungeheure Sturm mit allen seinen drohendsten
Schrecknissen in einem Strohsack! Bruder, wenn hinter dieser Erscheinung auch
etwas Weises steckt, so will ich doch alles heißen, was du mich immer heißen
magst!“
[BM.01_082,32] Spricht Borem: „O Bruder, darin liegt eine überaus weise
Bedeutung! Hast du denn nie gehört, wie die rechten Büßer in Sack und Asche Buße
gewirkt haben, um die Vergebung ihrer vielen und schweren Sünden von Gott dem
Herrn zu erlangen?
[BM.01_082,33] Siehe, hier ist diesen Sturmhelden durch die zwei Boten ob ihrer
ausgelassensten Bosheit ein Gericht verkündet worden: nämlich die Wahl zwischen
selbstzuwählender Bußdemütigung – d.i. einzugehen in den Sack – oder aber im
entgegengesetzten Falle durch göttliche Macht genötigt einzugehen in die Hölle
des ersten Grades, die da ist die äußerste Demütigung und tiefste Beschämung der
Seele!
[BM.01_082,34] Das erste, frei zu wählende Gericht kann einer Seele zum Leben
gereichen, so sie dieses mit Beharrlichkeit an sich vollführt und sich von einem
falschen Ehrgefühl nimmer abwendig machen läßt. Das zweite Notgericht zur Hölle
aber gereicht der Seele nur zum Tode, weil dieses Gericht ein über sie
erlassenes ist für den Fall, daß sie nimmer in eine Selbstdemütigung eingehen
will. Sie muß gedemütigt werden zur Sicherung anderer Seelen, die durch so einen
freigelassenen Hochmut einer einzigen Seele großen Schaden leiden könnten. Ob
und wie aber solche zur Hölle gerichtete Seelen auch noch zum Leben gelangen,
und welche weiteren Wege sie geführt werden, das weiß allein der Herr und der,
dem es der Herr allzeit höchst geheim offenbart.
[BM.01_082,35] Siehst du nun, welch eine weise Bedeutung nun dein Strohsack
bekommt? In einen Sack gehen heißt: sich in allen seinen Lüsten und Begierden
gefangennehmen und sich in solcher Eigengefangennehmung von selben losmachen und
sodann als ein neues gottwohlgefälliges Geschöpf aus so einem Sack hervorgehen.
Verstehst du nun diese dir so närrisch vorkommende Erscheinung?“
[BM.01_082,36] Spricht Bischof Martin: „Ja, Bruder, ja, ich verstehe sie nun bis
auf den Grund, zugleich aber auch, daß ich noch ein sehr großer Esel und Ochse
bin! Schau, wie klar und wie einleuchtend, und ich habe über so eine erhabene
Erscheinung lachen können! O ich dummes Vieh, ich! O lieber Bruder, du mußt mehr
als eine himmlische Geduld haben, daß du mich nicht auch in so einen Strohsack
hineinschichtest!“
[BM.01_082,37] Spricht Borem: „Laß das gut sein. Ich sage dir, wie ich dir schon
gesagt habe: du bist einem großen und herrlichen Ziele nahe. Bearbeite nun
fleißig dein Herz und gib auf alles acht, so wirst du bald die große
bevorstehende Löse an dir selbst gewahr werden!“
83. Kapitel – Martins Sehnsucht nach dem Herrn. Die Fische im Sack. Das Auslesen
der Fische. Der Kelch, das Gefäß der Gnade, und andere Entsprechungen Beginn von
Martins Geisteslöse.
[BM.01_083,01] Spricht Bischof Martin: „Ja, der Herr gebe die Löse mir lediglich
nach Seiner Gnade, sowie auch allen diesen, die nun noch mehr oder weniger blind
sind. Denn solange man hier in diesem Reiche, in dieser Welt der Geister nicht
vollends zu Hause ist, kann man auch nie zu einer vollen inneren, seligen
Zufriedenheit gelangen. Zu Hause aber kann man hier nirgends sein als allein im
Hause des Herrn, im heiligsten Vaterhause. Meine höchste Sehnsucht ist demnach,
sobald als möglich beim Herrn zu sein. Und so will ich denn nun auch auf jedes
Pünktchen genauest Achtung geben, auf daß ich bald der großen Löse möchte
gewärtig werden. – Also nun nur wieder das Auge ins Hinterhaupt dieser Dame
geheftet!
[BM.01_083,02] Oho, die zwei wälzen nun den Sturmsack ans Ufer! Was wird denn
nun da vor sich gehen? Sie werden etwa doch nicht zum zweiten Male den Sack,
oder vielmehr dessen Inhalt, dem Meere übergeben? Der Alte samt seiner Tochter
helfen auch diesen Sack an das Ufer fördern. Aber die anderen Alten sehe ich mit
ängstlichen Blicken der weiteren Begebnisse harren. Sie scheinen nicht in
Kenntnis zu sein, was dieser Sack enthalten dürfte?
[BM.01_083,03] Aha, nun ist der Sack am Wasser und wird aufgelöst! Was wohl wird
da alles herauskommen? – Oh, oh, da sieh nun hin! Eine große Menge Fische kommen
nun zum Vorscheine, große und kleine, frische und auch faule, an denen ich keine
Regung und Bewegung wahrnehmen kann.
[BM.01_083,04] Nun fangen die beiden die faulen von den frischen zu sondern an
und werfen sie ins Meer. Die frischen aber legen sie in ein herrliches Gefäß.
Dieses Gefäß sieht aus wie ein überaus großer Kelch und glänzt, als wäre er aus
Silber oder Gold. Wo sie nur in der Geschwindigkeit diese Dinge hernehmen, von
denen man vorher nichts sieht. Sind sie aber vonnöten, da sind sie auch schon
da, als würden sie hingezaubert! Aber es ist mir nun schon begreiflich, wie
derlei Dinge hier entstehen: sie sind aus der Ordnung Gottes heraus notwendig.
Der Herr will sie, und sie sind da! Nicht wahr, du mein geliebter Bruder Borem?“
[BM.01_083,05] Spricht Borem: „Ja, so ist es! Du weißt es nun schon in dir, daß
der Herr alles in allem ist. Und so ist es dir auch schon ein leichtes, aus dem
Grunde einzusehen, von woher alle die Wunder, die du hier in großer Fülle
erschaust, kommen. Gib nun weiter acht!“
[BM.01_083,06] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, Bruder, ich wende nun meine
Augen gar nicht ab. Ich sehe soeben, wie der Kelch größer wird samt dem Gestell.
Aber wie ich's nun merke, wird er nicht höher, dafür aber desto umfangreicher.
Nun sehe ich die Fische im selben überaus munter herumschwimmen, wie ich auf der
Erde oft die Goldfischlein in einem gläsernen Gefäße schwimmen sah; nur sind
diese Fische bedeutend größer.
[BM.01_083,07] Diese Fische sind sicher die früheren Damen, die als häßliche
Frösche in das Meer wandern mußten. Aber warum sie hier in einem Kelche nun als
Fische vorkommen, und warum eine Menge faule oder tote wieder in das Meer
zurückgeworfen sind, darüber kann ich in mir noch nicht den eigentlichen rechten
Grund finden. Ich fühle wohl so eine leise Ahnung, wie sich die Sache verhält;
aber aussprechen kann ich es noch nicht.
[BM.01_083,08] Halt, nun durchzuckt mein Inneres plötzlich ein heller Gedanke!
Ja, ja, so ist es, nun habe ich es schon: Der Kelch bezeichnet das Gefäß der
Gnade und Erbarmung des Herrn, in das diese Damen nun aufgenommen worden sind.
Und das Wasser in diesem Gefäße ist ein lebendiges, in dem diese Damen – nun
noch in Fischgestalten – bald zu Menschengestalten umgewaschen werden. Das
Wachsen des Kelches deutet auf die Mehrung der Gnade und Erbarmung. Die Gestalt
der Fische scheint die der demütigen, freien Büßer zu sein und überhaupt von
allen Menschen, die voll freien Willens für das Gottesreich durch das Wort
Gottes gefangen werden oder sich vielmehr willig fangen lassen. Darum hat der
Herr Selbst schon die Apostel ,Menschenfischer‘ benannt.
[BM.01_083,09] Was aber die faulen Fische betrifft, die ins Meer geworfen worden
sind, so steht dasselbe Bild, das der Herr Selbst aufgestellt hat, schon ohnehin
im Evangelium, das da ist eine wahrhaftigste, allerbeste Botschaft aus den
Himmeln, und kann daher unmöglich etwas Arges in sich fassen. Daß aber die
Fische im Kelche wenigstens vorderhand besser daran sind als jene ins Meer
geworfenen, daran ist auch gar nicht zu zweifeln! Was meinst du nun, liebster
Bruder, habe ich diese Sache recht aufgefaßt?“
[BM.01_083,10] Spricht Borem: „Gott dem Herrn alle unsere Liebe! Bruder, freue
dich, und frohlocke hoch im Herrn: nun bist du in deinem Geiste vom Herrn
entbunden worden! Siehe, die Seele hat das nicht recht aufgefaßt, sondern allein
dein Geist, den der Herr nun in dir erweckt hat in der Fülle. Darum begreifst du
nun solches, das da ist rein der Himmel Gottes. Und siehe, das ist der Anfang
der Löse, von der ich nun schon öfter mit dir geredet habe, und zugleich das
Ende des zweiten Aktes dieses großen Geistesdramas!
[BM.01_083,11] Deine Erläuterung des in der vorliegenden Szene Geschauten war
richtig und wahr in allen Teilen, obschon du noch nicht in der Vollsehe bist.
Was dir aber noch mangelt, wird dir der dritte Akt geben durch die endlose Gnade
des Herrn. Darum gib nun nur wieder acht; in diesem Akte wirst du die
ungeheuersten Erscheinungen zu Gesichte bekommen und daneben die rechte
Anschauung der wunderbarsten Wege des Herrn, auf denen Er Seine Kinder führt zum
einzigen großen Ziele alles Heils und Lebens! Gib nun acht, dieser wichtigste
dritte Akt nimmt seinen Anfang!“
84. Kapitel – Beginn des 3. Aktes des himmlischen Dramas. Der Gnadenkelch mit
dem siedenden Wasser. Der höllische Wall.
[BM.01_084,01] Spricht Bischof Martin: „Bin schon dabei und schaue mit größter
Gespanntheit auf die Szene, die noch ganz unverändert vor meinen Blicken weilt.
Der Kelch ist nun schon sehr groß; er dürfte nun nach irdischem Maße schon
mehrere Klafter im Umfange haben. Und soviel ich's nun mehr hellen Blickes
beobachten kann, kommt es mir vor, als wachse er noch immer.
[BM.01_084,02] Die beiden stehen am Rande dieses nun über alle menschlichen
Begriffe großen Kelches. Auch der Alte mit seiner Tochter betrachtet diesen
Kelch mit größter Aufmerksamkeit. Die andern Alten aber lugen von einer kleinen
Ferne auf diesen Kelch ungefähr so, wie auf der Welt die Ochsen auf ein neues
Tor oder gar in ein spanisches Dorf.
[BM.01_084,03] Die Fische im Kelch sind nun schon sehr groß und schwimmen
äußerst munter in dem großen goldenen Becken herum. Die Köpfe bei einigen sehen
schon sehr menschlich aus; alles andere ist aber wohl noch sehr stark Fisch. Ich
meine, diese Fische werden zuerst eine geistige Art von Meerfräuleins und
endlich gar zu wirklichen, wohlausgebildeten weiblichen Wesen?
[BM.01_084,04] Aber was entdecke ich nun? Bruder, das ganze früher so höchst
imposant aussehende Meer ist nun ganz verschwunden. Statt am Meeresufer befindet
sich dieser stets noch im Wachsen begriffene Kelch in der Mitte einer ungeheuer
großen Ebene. Diese Ebene dürfte wohl einen Umfang von 100 Meilen haben. Der
äußerste Rand scheint jedoch mit einem übergroßen, starken und hohen Walle
umgeben zu sein; ich merke es genau, wo die Ebene aufhört und wo der Ringwall
seinen Anfang nimmt!
[BM.01_084,05] Was mir aber dabei höchst sonderbar vorkommt, ist, daß dieser
Wall hie und da bald höher und bald wieder niederer wird. Auch bemerke ich nun
hie und da, wo sich der Wall sehr stark erhöht, daß man unter ihm ganz bequem
durchsehen kann. Wahrlich, eine höchst merkwürdige Erscheinung von einem Walle!
Was etwa doch der zu bedeuten hat?
[BM.01_084,06] Aber da sieh nun, ungefähr 10000 gute Schritte vom Kelch, der
sich noch ganz in seiner früheren Ordnung befindet, wie es mir vorkommt gerade
an jener Stelle, an der früher das Kloster stand und nach seiner Zerstörung eine
recht abscheuliche Pfütze zum Vorscheine kam – hat sich nun ein furchtbar
großes, vollkommen rundes Loch gebildet. Aus dem steigt nun ein starker Rauch
empor, verliert sich aber alsbald, wie er nur einige Klafter über des großen
Loches Rand gestiegen ist. Wahrlich, höchst sonderbare Vorkehrungen für den
dritten Akt dieses Dramas!
[BM.01_084,07] Aber Bruder, schau nur auch einmal den Kelch an! Ah, das ist doch
über alles! Nun beginnt auch das Wasser in dem Kelche zu sieden und dampft ganz
gewaltig. Die armen Fische strecken nun ihre Köpfe über den Rand des Kelches
hervor und schreien ganz entsetzlich. Sie haben nun schon fast alle, wie ich's
bemerke, vollkommene Menschenköpfe; einige nur noch sehen den Seelöwen und
Seekälbern eben nicht sehr unähnlich.
[BM.01_084,08] Ah, ah, das Wasser im Kelche siedet immer ärger und dampft schon
ganz entsetzlich. Und die Fische, die armen Fische, die schreien nun schon über
alle Maßen vor Schmerz! Nein, wenn diese Absiederei noch eine Weile dauert, so
wird's da eine Menge heiß abgesottener Fische geben, die ich auf der Welt recht
gerne gegessen habe!
[BM.01_084,09] Ah, da sieh, da sieh, nun bekommen die Fische schon sogar Arme
und ganz wohlgestaltete Hände! Mit diesen wollen sie sich nun über den Kelchrand
erheben, um der großen Qual zu entgehen. Aber die Arme scheinen noch keine Kraft
zu besitzen, denn jeder Fisch läßt den Rand bald wieder aus und fällt dann in
das siedende Wasser jählings zurück.
[BM.01_084,10] Ich möchte eigentlich so recht vom Grunde aus erfahren, von wo
aus das Wasser in diesem Riesenkelche so sehr erhitzt wird? Das siedet ja stets
ärger und ärger noch, und die Fische werden von den Siedwogen so
durcheinandergesprudelt wie lockerer Sand über einer heftig aufsprudelnden
Quelle. Auweh, auweh; o jemine, jemine – wie doch die armen Fische nun – ah, ah,
ah; das ist denn doch alles, was man sehen und sagen kann! Da sieh, wie sie nun
herumgetrieben werden von den immer heftiger werdenden Siedwogen, wie sie sich
krümmen und bäumen und welch Jammergeschrei dem Kelche entsteigt!
[BM.01_084,11] Die zwei Boten aber stehen so stumpf da und scheinen eher ein
Behagen an dieser Szene zu haben, als daß ihren Gesichtern irgendein Mitleid zu
entnehmen wäre. Nein, ich sage dir, liebster Bruder, was zu stark ist, das ist
auch zu viel! Warum müssen denn diese Armen nun gar so entsetzlich gemartert
werden, um die reine Menschengestalt wiederzuerlangen? Ich war ja doch auch ein
Sünder non plus ultra, aber zu so einer Absiederei ist es mit mir dennoch nicht
gekommen; Gott sei Dank, ich bin dennoch ein Mensch, wennschon gegenwärtig noch
in meiner Bauernkleidung steckend!“
[BM.01_084,12] Spricht Borem: „Bruder, das Wort ,Erscheinlichkeit‘ vergiß nicht!
Du siehst doch diese Damen noch alle hier ganz wohlerhalten in Reih und Glied
stehen; wie kannst du dann ängstlich werden wegen dem, was nun in ihrem Innern
vorgeht! Es ist die innere Welt des Menschen freilich wohl die eigentliche wahre
Welt. Aber darum bleibt der Mensch dennoch Mensch und wird als solcher nur stets
edler und edler, je mehr sein Inneres bewegt und in große Tätigkeit gebracht
wird.
[BM.01_084,13] Du meinst freilich, daß du ohne solch eine Absiederei dennoch die
Menschengestalt beibehieltest. Ich aber versichere dir, daß du hundertmal ärger
abgesotten worden bist im Gnadenkelche des Herrn als alle diese Damen! Wußtest
du wohl darum? Wenn du vollendet sein und zu sehen bekommen wirst die Tätigkeit
des irdischen Menschen in seinen leiblichen Lebensverhältnissen – was wirst du
dann sagen, so dir der innere Herd des Lebens erschaulich wird? Wo du zahllose
Feuerströme durch die ebenso zahllosen Kanäle wirst auf das furchtbarste
durcheinanderwüten und -toben sehen? Also nur hübsch gescheit, mein lieber
Bruder!“
[BM.01_084,14] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, so ist es; nun bin ich schon
wieder beisammen! Jetzt nur zugesotten, und wenn's nötig, auch ein bißchen
gebraten dazu. Denn wer in der Liebe und Gnade des Herrn siedet und bratet, dem
geht es sicher nicht gar zu schlecht! Denn so ich auch abgesotten worden bin und
verspürte von solcher Absiederei wenig oder nichts, so wird's denen wohl noch
erträglicher gehen, als wie ihre Gebärden es zeigen? In Gottes Namen, wie es der
Herr macht, so ist es schon am allerbesten!
[BM.01_084,15] Aber nun sehe ich auch die Alten zu den zweien treten und bitten,
daß sie auch in den siedenden Kelch zu ihren Töchtern möchten getan werden! Und
richtig, die beiden gestatten es ihnen. Auch die zwei ersten, d.i. der Alte mit
seiner Tochter, springen nun in dieses heiße Bad. Nun ist alles darinnen! O
Entsetzen, Entsetzen! Jetzt arbeitet das glutheiße Wasser unter dieser
Gesellschaft!
[BM.01_084,16] Nein, dieses Schreien, dieses Weheklagen, dieses verzweifelte
Händeringen, dieses Rufen um Hilfe und Linderung des unerträglich großen
Schmerzes! Nein, Bruder, Erscheinung hin, Erscheinung her; so sie schmerzfähig
ist, da hole sie der Kuckuck! Es müssen diese Damen schon auch etwas empfinden.
Denn sieh, ich merke nun sogar an ihnen äußere Bewegungen, während sie doch
früher fest und ruhig dastanden, als ob sie angemauert gewesen wären!“
[BM.01_084,17] Spricht Borem: „Nun, das ist ja gut; da kehrt ja das Leben in sie
zurück! Ich meine, das wird doch etwas Gutes sein?“
[BM.01_084,18] Spricht Bischof Martin: „Ja, wenn das, da bin ich freilich schon
wieder beruhigt; aber der Anblick dieser Belebung ist und bleibt doch ein höchst
fataler. Da sieht es wahrlich sehr fegfeuermäßig aus!“
[BM.01_084,19] Spricht Borem: „Was Fegfeuer, Fegfeuer! Ich sage dir, derlei gibt
es ewig nirgends! Hier siehst du nichts als das Wirken der Liebe Gottes, die da
wohl ist ein Feuer alles Feuers. Dieses aber schmerzt nicht sondern lindert nur
alle Schmerzen und heilt alle Wunden, die die Hölle einer Seele zugefügt hat.
Diese schreien nun freilich vor Schmerz um Hilfe und Linderung; aber diesen
Schmerz bereitet ihnen nicht der siedende Kelch, sondern die Hölle, die nun von
ihnen weichen muß!
[BM.01_084,20] Denn siehe nun weiter hinaus! Betrachte den ungeheuren Wall, der
diese große Fläche einschließt. Du wirst es gleich gewahr werden, daß dieser
Wall nichts anderes ist als die Hölle oder der Teufel selbst in Gestalt einer
ungeheuren Schlange, die sich um die Fläche gelagert hat und diese Begnadigten
als ihre vermeintliche Beute nicht will auskommen lassen! Siehe, das ist aber
dennoch alles nur eine Erscheinlichkeit, und die Fläche bedeutet das
Welttümliche dieser nun Begnadigten, über das sie nicht hinaus können, weil sich
darin allenthalben die Hölle gelagert hat.
[BM.01_084,21] Siehe, dieser Wall ist es sonach, der die nun im Kelche
Befindlichen so schmerzlich drückt. Nun aber wird es nicht mehr lange dauern, so
wird dieser Wall zerstört und in jenen Abgrund gestürzt werden, der sich, dir
sichtbar, bei 10000 Schritte nordwärts von diesem Gnadenkelche befindet. Gib nun
nur acht und du wirst schon große Vorkehrungen dazu erschauen!“
85. Kapitel – Das Nahen der Katastrophe. Die alte Schlange, die zwölf
Gerichtsengel und der Abgrund. Herrlicher Sieg und köstlicher Preis.
[BM.01_085,01] Spricht Bischof Martin: „Richtig, richtig, ja, du hast in allem
recht! Hinter diesem Wall erschaue ich nun zwölf große Geister, jeder hat ein
ungeheures Schwert in seiner Rechten. Ah, ah, ist aber das ein Schwert! Mit
solch einem Schwerte hiebe so ein Geist ja die ganze Erde wie einen Apfel auf
einen Streich entzwei! O Tausend, die Geister sind aber schon so furchtbar groß,
daß sie eine ganze Welt zwischen zwei Fingern kurzweg zerreiben könnten! O
Tausend, Tausend, Tausend, der Wall fängt nun stets wütender sich zu gebärden
an! Bruder, das sieht ganz wie ein Jüngstes Gericht aus! Sapprament, sapprament!
[BM.01_085,02] Aber nun bemerke ich, daß das Wasser im Kelche etwas ruhiger
wird. Die ganze Badegesellschaft liegt nun unter dem trotz der Ruhe noch immer
stark dampfenden Wasserspiegel wie ganz tot. Man vernimmt nun keinen Laut mehr
von ihr. Nur die zwei Boten reden etwas miteinander, ich kann jedoch nicht
vernehmen, was sie eigentlich miteinander abmachen. Der eine hält nun auch einen
Stab in der Hand, ähnlich dem des Aaron, und hebt ihn in die Höhe. Was wohl wird
da wieder zum Vorscheine kommen?
[BM.01_085,03] Aha, da sieh einmal hinaus auf den Wall; der wird nun stets
größer, rückt stets näher herzu und erhebt seinen Rücken bald hier, bald dort zu
einer erstaunlichen Höhe! Ah, das ist wahrlich furchtbar anzusehen! Nun merke
ich auch deutlich den schrecklich aussehenden Kopf dieses Höllenungeheuers. Um
Gotteswillen, ist das aber eine Scheußlichkeit ohne Namen! Stets näher und näher
rückt es!
[BM.01_085,04] Nun erhebt es sein ungeheures scheußlichstes Haupt und sperrt den
Rachen so furchtbar weit auf, als wollte es die ganze Schöpfung verschlingen. Es
richtet seinen Gang – wie ichs nun merke – schnurgerade zum Kelche her. No, wenn
es diesen packt, so wird es damit gerade einen hohlen Zahn ausfüllen können!
[BM.01_085,05] Nun ist im Kelche alles in vollster Ruhe; dafür aber speit das
fürchterliche Loch da unten an der Stelle des ehemaligen Klosters desto mehr
Rauch und nun auch schon Glut und Flammen aus! O sapprament, nun ist das
Ungeheuer keine tausend Schritte mehr vom Kelche entfernt!
[BM.01_085,06] Was wird nun geschehen? Die zwölf Riesengeister halten wohl ihre
fürchterlich großen Schwerter in die Höhe, aber sie hauen noch nicht drein. Ihre
Augen sind beständig auf den einen Boten mit dem Aaronstabe in seiner Rechten
gerichtet. Dieser winkt nun dem Ungeheuer, zurückzuweichen; dieses aber richtet
sich nicht darnach, sondern rückt nur näher und näher an den Kelch.
[BM.01_085,07] Oh, oh, das sieht sehr drohend aus! Wieder winkt der eine Bote
mit dem Stabe, aber vergeblich. Ah, wie gräßlich sieht nun dieses Ungeheuer aus!
Es läßt sich nicht beirren und kriecht stets näher und näher an den Kelch! Nun
winkt der Bote wieder mit dem Stabe, aber auch diese Abweisung ist fruchtlos.
[BM.01_085,08] Oh, oh, oh – jetzt ist es mit dem Kopfe schon nahe am Rande des
großen Kelches und macht mit einer ungeheuer langen Doppelzunge Versuche, den
Kelch umzustoßen! Aber der Kelch steht fest und läßt sich nicht im geringsten
bewegen. Auch regt sich im selben nichts, weder das Wasser noch dessen dermalige
Bewohner!
[BM.01_085,09] Siehe, stets zudringlicher wird diese ungeheuerste Bestie! Nun
erhebt der eine wieder seinen Stab und weist die zudringlichste Bestie wieder
vom Kelche ab. Aber das nützt sehr wenig, da die Bestie sich auf den Wink dieses
Stabes gar nicht entfernen will.
[BM.01_085,10] Nun taucht der eine den Stab in den Kelch und gibt ein Zeichen
den zwölf mächtigsten Geistern, und – o weh, o weh! – diese schlagen jetzt
drein! Und siehe, siehe, diese Bestie ist nun in zwölf Teile auseinandergehauen!
[BM.01_085,11] O je, o je! Bruder, das ist nun ein Wüten und ein Toben! Wie
schrecklich bäumen und krümmen sich nun die einzelnen abgehauenen Teile! Wie
einzelne Berge springen sie nun auf dieser weitgedehnten Ebene herum und wälzen
sich dem schauderhaften Loch näher und näher!
[BM.01_085,12] Ah, und der Kopf, o Gott, o Gott, das ist schaudervollst! Ich
sage dir, der Kopf, der Kopf! Der macht Sprünge bis an das sichtbare Firmament
und grinst schon in einer solch unbeschreiblichen Zornwut nach den zwölf
Geistern, daß diese Großen schon nahezu ein Grauen überkommt ob des enorm
gräßlichen Anblickes!
[BM.01_085,13] Aber nun wird der Kopf von dem einen mit dem Stabe an den Rand
des Loches getrieben und auch – Gott sei's gedankt! – hineingestürzt. Das gibt
aber nun Rauch, Glut und Flammen! Oh, oh, oh, das prasselt und rasselt nun, daß
es ein Grauen ist!
[BM.01_085,14] Aber nun werden auch die andern elf Teile von einer unsichtbaren
Macht in dasselbe Loch getrieben und stürzen unter gräßlichstem Gekrache in
dasselbe. Da, da gibt es nun Rauch und Flammen, als hätte man den ganzen Erdball
angezündet!
[BM.01_085,15] Nein, nein, nein, dieses Krachen, dieses Donnern! Freund und
Bruder, ich werde nun schon förmlich sprachlos! Wahrlich, um das Grauenhafte
dieses Tobens und Wütens aus diesem Loche zu beschreiben, müßte man die Zunge
eines allerfeurigsten Cherub haben! Aber es soll nun wüten und toben, wie es
will! Weil diese furchtbare Bestie nur einmal in sicher festweg höllischer
Verwahrung sich befindet, bin ich schon sehr froh. Da heraus wird dieses Ungetüm
doch sicher nicht so leicht wieder zum Vorscheine kommen!
[BM.01_085,16] Nun sind auch die beiden Boten wieder beim Kelche. Auch die zwölf
großen Geister nähern sich nun dem Kelche; aber je näher sie kommen, desto
kleiner werden sie. Ah, das ist auch merkwürdig: Früher waren sie solch
ungeheure Kolosse, und nun sind sie kaum größer als die beiden andern Boten! Das
ist wirklich sehr merkwürdig!
[BM.01_085,17] Nun sind sie auch schon völlig bei den zweien, und was seh' ich?
Alle verneigen sich übertief, besonders vor dem einen, der noch den Aaronstab in
seiner Rechten hält! Das muß schon so ein rechter Zentralengel sein aus dem
obersten Himmel!?
[BM.01_085,18] Nun spricht dieser eine zu den zwölfen: ,Brüder, hebet den Kelch
und traget ihn hin dort an die Pforte der Hölle! Dort setzet das Gestell über
diese Pforte, auf daß dem Aufsteigen des Bösen endlich einmal ein Ziel gesetzt
sei, das es nicht leicht wieder überwältigen soll, zu verderben diese arme
Gesellschaft, zu deren Wiederbelebung in Mir alle Mächte der Himmel in Anspruch
genommen wurden. Tuet also!‘
[BM.01_085,19] Nun heben die zwölf den Kelch und tragen ihn ganz behutsam hin.
Sie setzen das Gestell gerade über das noch sehr stark dampfende und rauchende
Loch, das aber nun keinen Rauch mehr emportreiben kann, weil es mit dem Gestell
des Kelches sicher hermetisch geschlossen ist. Ah, nun schaut es in dieser
Gegend schon recht lieb aus! Was ich nun noch bemerke, ist, daß sich nun die
gesamte Badegesellschaft im Wasser des Kelches wieder zu regen beginnt. No, no,
Gott sei's gedankt, daß nur diese wieder zum Leben kommen!
86. Kapitel – Der ewig eine große Held. Die herrliche Löse. Gleichnis vom Säen,
Wachsen und Ernten. Die große Ernte.
[BM.01_086,01] (Bischof Martin:) „Aber was nun die zwölf Geister vor diesem
Einen für einen unbegrenzten Respekt haben, das ist mehr als außerordentlich;
denn sie knien alle vor Ihm nieder und beten Ihn ja förmlich an! Das wird am
Ende doch nicht etwa gar der Herr Selbst sein?! Ich bekomme nur Sein Gesicht
nicht zu sehen, das ich wohl kenne. Sähe ich das Gesicht, so wüßte ich bald, ob
Er Selbst oder jemand anderer es ist!
[BM.01_086,02] Nun stehen die zwölf wieder auf und verneigen sich tiefst vor dem
Einen. Dieser aber reicht nun allen die Hand und spricht zu ihnen, wenn auch mit
etwas leiserer Stimme, aber doch wohl vernehmbar:
[BM.01_086,03] ,Brüder, sehet, das ist nun ein schöner Weideplatz! Ich übergebe
euch diese Lämmer. Weidet sie und mästet sie wohl für Meinen Stall, auf daß sie
Mir eine gute Speise werden und Ich Freude habe über sie in Meinem Herzen! Hebt
sie nun behutsam heraus aus dem Gefäße Meiner Sorge und lasset sie dann frei
weiden auf dieser weiten Trift Meiner Liebe, Gnade und Erbarmung! Also sei es!‘
[BM.01_086,04] Schau, schau, das ist doch der Herr! Niemand kann ja doch im
ganzen ewig unendlichen Himmel sonst so reden, wie dieser Bote nun geredet hat.
Wie aber dieser Bote nun geredet hat, so redet nur der Herr! Und so glaube ich
es nun fest, daß dieser Bote der Herr Selbst ist! Was meinst du, Bruder, in
diesem Punkte?“
[BM.01_086,05] Spricht Borem: „Ja, freilich wohl ist das der Herr, was du schon
lange hättest merken können. Aber der Herr hielt deine Augen gefangen, damit
dein Geist dadurch desto geschäftiger war! Da es nun aber an der Zeit ist, daß
dir die Augen einmal geöffnet werden sollten, sind sie dir nun auch geöffnet
worden. Du erkennst nun den Herrn, und das ist recht und völlig gut!
[BM.01_086,06] Siehe aber nur noch eine kleine Weile auf die vorliegende Szene,
auf daß du die Vollöse dieses äußerst verwirrt gewesenen Knäuels gewärtig wirst
und erkennen kannst die endlose Liebe und Gnade des Herrn. Denn da ist niemand
gleich, weder in allen Himmeln noch auf den Weltkörpern und unter diesen in der
ganzen Unendlichkeit!“
[BM.01_086,07] Spricht Bischof Martin: „O Gott, o Herr, Du über alles
liebevollster, heiligster Vater! Wer kann Deine endlose Weisheit und Güte je
ermessen? Du, o Heiligster aller Heiligkeit, bist allein ein Meister in aller
Wesen Tiefe! Deine Weisheit erpreist kein Cherub ganz, ja nie ganz weder Himmel
noch Erden! Heilig, heilig, heilig ist Dein Name, und die ewige Ordnung aller
Dinge ist Dein heiligster Wille!
[BM.01_086,08] Du brauchst von niemandem einen Rat, denn Du bist Dir ewig allein
genug. Aber Dein heiligstes Vaterherz will nicht allein sein, nicht allein
genießen die endlose Fülle der eigenen heiligsten Vollkommenheit: es ruft aus
Seinen tiefsten Gedanken Wesen hervor und gestaltet sie im Feuer Seiner endlosen
Liebe und im Lichte Seiner ewigen Weisheit zu Gotteskindern, auf daß sie wie
freie Gottwesen selbst an der endlosesten Vollkommenheit dieses heiligsten
Vaterherzens den vollsten Teil nehmen sollen ewig!
[BM.01_086,09] O höret es, ihr alle Himmel, höret es, ihr Seraphim und Cherubim,
o höret es, ihr Engel alle! Gott, Gott – Gott der ewige Geist in aller Seiner
Fülle der göttlichen Vollkommenheit, deren Größe keines Himmels Gedanke ewig je
in der Vollfülle wird denken können, ist unser Vater, wandelnd unter uns, als
wäre Er nicht mehr denn wir! Oh, erhöhen wir Ihn darum in unseren Herzen, da Er
Sich so endlos tief zu uns Sündern herab erniedrigt!
[BM.01_086,10] O Herr, o Vater, nun hat neben Dir in meinem Herzen nichts mehr
Platz; denn Du allein bist mir nun alles in allem geworden! Du warst wohl einmal
sehr klein in mir, da war ich ein Sünder. Nun aber bist Du endlos groß geworden
in meinem Herzen, darum bin ich nun ein Seligster! Aber das alles, Vater, ist
allein Dein Werk; ich aber war, bin's noch und werde ewig verbleiben ein
allernutzlosester Knecht!
[BM.01_086,11] O Bruder Borem, da sieh hin, die zwölfe heben nun die Gäste des
heiligen Kelches aus dem Wasser des Lebens. Sie sind nun so schön und hehr, daß
ich sie nur mit dem Namen ,Engel‘ benennen kann! Oh, wie herrlich sind sie nun
anzusehen; welche Freude strahlt aus ihren himmlischen Augen, die nun bestimmt
sind, Gott zu schauen!
[BM.01_086,12] O Bruder, freue dich mit mir und fühle es, wie gut der Herr ist!
Ach, ach, ich möchte ja gerade vergehen vor Liebe zum Herrn!“
[BM.01_086,13] Spricht Borem: „Bruder, nun ist dies beendet bis dahin, wo wir
nichts zu tun imstande gewesen waren; denn derlei verrichtet der Herr allemal
unmittelbar allein. Nun aber kommt es wieder auf uns als Kinder Gottes an,
dieses Werk in Seiner Liebe und Ordnung in uns fortzusetzen. Daher auch müssen
wir nun auf alles gefaßt sein, was da nur immer kommen mag!
[BM.01_086,14] Es tut aber der Herr hier entsprechend das gleiche wie auf der
Welt. Siehe, auf der Welt nehmen die Menschen das Weizenkorn und streuen es ins
Erdreich. Diese Vorarbeit geschah auch hier, als du dieser gesamten Gesellschaft
weise Lehren und Verhaltungsregeln gabst, bei welcher Arbeit ich dich selbst
unterstützte. Wir beide streuten sonach den Weizen Gottes in die Furchen ihrer
trüben Herzen.
[BM.01_086,15] Wenn der Same aber einmal in der Erde ruht, da kann kein Mensch
etwas tun, daß dieser wachse und eine reife Frucht brächte. Das tut lediglich
der Herr durch Sein unmittelbares Einfließen in diejenigen Naturgeister, die da
in vollste Tätigkeit zu treten haben und das Wachstum der Pflanzen, wie auch das
der Tiere ausmachend bezwecken. Bei dieser Arbeit sind nur wenige jener Geister
mitbeschäftigt, die des Herrn allzeit innigste und erste Freunde und Brüder
sind.
[BM.01_086,16] Ist diese Arbeit zu Ende, und hat die Saat die Reife erlangt,
dann wird sie wieder den Menschen übergeben, daß sie diese dann einsammeln und
in ihre Scheunen bringen. Und siehe, diese Arbeit harrt nun hier auch unser!
[BM.01_086,17] Wir haben hier den Samen des Wortes Gottes zuerst in ihre Herzen
gestreut, worauf sie dann ruhten wie ein Acker, der da besät ward. In dieser
Ruhe aber fing des Herrn Arbeit an, weil wir da nichts hätten tun können außer
zusehen, was da allein der Herr tut. Gleichwie auch auf der Welt ein Sämann bloß
nur zusehen kann, wie das von ihm ausgesäte Korn wächst und für die Ernte
heranreift.
[BM.01_086,18] Dieses Weizenkorn, diese unsere Brüder und Schwestern aber sind
nun durch die allzeit alleinige Mühe des Herrn gereift. Nun ist die Zeit da für
uns, sie einzuernten. Und so wollen wir auch von dem großen Segen im Namen des
Herrn den rechten Besitz nehmen, und wollen zu dem Behufe die Hände unseres
Herzens abermals in vollste Tätigkeit setzen!
[BM.01_086,19] Du weißt aber, daß die Ernte allzeit um vieles reicher ist denn
die Aussaat; also wird es auch hier sein. Da wir ehedem nur mit einem zu tun
hatten, da werden wir nun dafür 30-100 bekommen. Darum freue dich nun, lieber
Bruder; denn unser harrt eine reiche Ernte!“
87. Kapitel – Martins Bescheidenheit, geregelt durch Borems Weisheit. Martin im
Festkleid. Die Erweiterung des Hauses Martins.
[BM.01_087,01] (Borem:) „Nun aber etwas anderes! Dort unter der Tafel des Herrn
in deinem Hause ersiehst du eine Kiste wie aus reinstem Golde. Gehe hin und
öffne sie, du wirst darin ein Kleid und einen leuchtenden Hut finden. Dieses
Kleid ziehe an und setze den Hut auf dein Haupt, daß du im wahren himmlischen
Hochzeitskleide unsere nun bald wiederkehrenden Gäste im Namen des Herrn würdig
empfangen kannst, der diese als Wiedergefundene Selbst hierher bringen wird.
Gehe, und tue das; es ist des Herrn Wille!“
[BM.01_087,02] Spricht Bischof Martin: „Liebster Bruder, alles, was du mir nun
gesagt hast, war herrlich und wahr wie das Wort Gottes selbst. Aber dieses
letzte riecht nach einer himmlischen Eitelkeit, die mich wahrlich nicht anficht!
Daher mußt du es mir schon zugute halten, so ich dir in diesem Punkte nicht
folgen werde!
[BM.01_087,03] Ich bin froh, daß nun endlich einmal mein Herz in der Ordnung
ist, an dem der Herr allein ein Wohlgefallen hat. Was da aber die Bekleidung
meines Außenwesens betrifft, da bin ich für ewig mit dieser Bauernjacke
zufrieden.
[BM.01_087,04] Wahrlich, mir liegt nun an allem solchen Glanze nichts, ob
himmlisch oder irdisch, das ist mir nun gleich. Desto mehr aber liegt mir nun an
der alleinigen Liebe zum Herrn, zu der mich aber nur mein Herz und nie ein
glänzender Rock und Hut bringen kann! Daher bleibe ich, wie ich bin, ein Bauer!“
[BM.01_087,05] Spricht Borem: „Du hast recht, liebster Bruder, es ist freilich
wohl nur das Herz allein, auf das der Herr sieht. Und unsere Demut, durch die
wahre Liebe zum Herrn erzeigt, ist wohl jedes Engels kostbarste Bekleidung. Aber
dessenungeachtet erfordert es doch die Ordnung des Herrn, daß in Seinem Reiche
das Kleid der Wiedergeburt und ewigen Unsterblichkeit jeden Bewohner der Himmel
als ein seinem Innern Entsprechendes schmücken soll. Denn demütiger als der Herr
Selbst ist wohl kein Wesen in der ganzen Unendlichkeit; aber dem ungeachtet
kannst du dir dennoch keine Pracht irgendwo denken, die nicht von Ihm herrührte!
[BM.01_087,06] Siehe an die unbeschreibliche Pracht und Größe dieses Saales, der
da ist ein einziges Gemach deines Hauses. Wer wohl, als nur der Herr, ist der
Urheber und alleinige Erbauer solch unaussprechlicher Pracht und Majestät?
[BM.01_087,07] Du hast gleich beim ersten Eintritte in dieses dir vom Herrn
gegebene Haus durch die zwölf Türen hinausgeschaut und sahst kaum zwölf Tropfen
aus dem endlosesten Meere der Schöpfungen des Herrn. Und es ergriff dich beinahe
ein Grauen vor der zu großen Pracht und Majestät, die du da nur flüchtigst
bemerktest. Was aber würdest du erst sagen, so du wirklich einen Engel in aller
seiner Himmelsglorie zu Gesichte bekommen hättest? Wahrlich, du hättest nicht
leben und ihn dabei aber auch zugleich anschauen können – so endlos groß ist
seine Schönheit, Glorie, Pracht und Majestät!
[BM.01_087,08] Du siehst nun aus dem Gesagten und aus tausenderlei Dingen, daß
die gerechte Pracht und Herrlichkeit so wie alles andere aus der Ordnung des
Herrn stammt. Und so meine ich, daß es auch für dich nicht gefehlt sein wird, so
du dich in allem in die Ordnung des Herrn fügst!
[BM.01_087,09] Weißt du, was der Herr zu Petrus gesagt hat, als dieser auch vor
purster Demut sich von Ihm nicht wollte die Füße waschen lassen? Siehe, dasselbe
könnte der Herr wohl auch zu dir sagen, so du hartnäckig bei deinem demütigen
Eigensinn verharren wolltest! Daher gehe du nun nur hin, dahin ich dich
beschied! Tue, was ich dir aus dem Herrn heraus anbefohlen habe, so wird dann
hier in deinem Hause auch sogleich alles ein anderes Gesicht bekommen. Aber
bevor du dich mit dem neuen Gewande bekleidest, mußt du dieses alte ganz bis auf
den letzten Faden ablegen und dir aus einem Becken, das du auch in Bereitschaft
antreffen wirst, das Wasser nehmen und damit die Füße waschen! Hast du solches
getan, dann erst eröffne die goldene Kiste, nimm die Kleider heraus, und
bekleide dich damit!“
[BM.01_087,10] Spricht Bischof Martin: „Ja, wenn so, da muß ich freilich wohl
tun, was du mir im Namen des Herrn geboten hattest! Gerne, weißt du, liebster
Bruder, tue ich das noch immer nicht, weil ich darinnen denn doch – trotz aller
deiner erleuchteten Erklärung – eine Art von einer Eitelkeit entdecke. Aber weil
es schon so in der Ordnung des Herrn ist, will ich die Geschichte im Namen des
Herrn denn doch angehen! Wohin aber soll ich dann mein gegenwärtig an mir
haftendes Kleid tun? Etwa zum ewigen Angedenken in jene goldne Kiste?“
[BM.01_087,11] Spricht Borem: „Sorge dich nicht darum, dafür wird schon ein
anderer sorgen!“
[BM.01_087,12] Bischof Martin geht nun zur Kiste hin und sieht sich einige Male
um, ob ihn niemand sähe. Als er sich aber wie hinter einer zierlichen Schutzwand
befindet, durch die er vor den vielen Gästen in seinem Hause gedeckt ist, zieht
er sich eiligst aus. Er legt die alten Kleider auf einen Haufen vor sich nieder,
die aber alsbald verschwinden. Darauf schöpft er mit der Hand aus dem
bezeichneten Becken Wasser und wäscht sich die Füße. Als diese gewaschen sind,
springt die Goldkiste sogleich von selbst auf und der gute Martin ist auch schon
bekleidet mit einem Purpurkleide, das da mit den herrlichsten Sternen verbrämt
ist an allen Rändern. Und er hat auf seinem Kopfe einen Hut, der bei weitem
mächtiger strahlt denn die Sonne!
[BM.01_087,13] In dem Augenblicke aber, als Bischof Martin so umkleidet ist,
erweitert sich auch das Innere seines Hauses so gewaltig, daß es ihm nun ums
hundertfache größer vorkommt als ehedem. Zugleich auch öffnen sich die Zugänge
auf die Galerien, die bisher nicht aufgefunden werden konnten.
[BM.01_087,14] Als Bischof Martin solches alles nun wie auf einen Schlag
entdeckt, ergreift ihn ein wonnigstes Gefühl, daß er darob zu Tränen gerührt ist
und Mich laut zu loben und zu preisen beginnt.
[BM.01_087,15] Als er aber in seinem Loben und Preisen nach und nach völlig ganz
zu Tränen wird, da kommt Borem auch gleichen Anzugs und spricht: „Nun, Bruder,
wie kommt es dir nun vor? Fühlst du dich wohl eitler nun?“
[BM.01_087,16] Spricht Bischof Martin: „O Bruder, nun erst fühle ich es, wie
klein ich – und wie endlos groß der Herr ist!“
[BM.01_087,17] Spricht Borem: „So komme denn nun vorwärts; denn es ist schon
alles bereitet, dich als den Besitzer dieses Hauses zu begrüßen! Freue dich, das
wird ein großartiger Gruß sein!“
88. Kapitel – Begrüßung Martins durch die glückliche Gesellschaft. Martins
Hinweis auf den Herrn als alleinigen Wohltäter. Das eine, was noch fehlt.
[BM.01_088,01] Bischof Martin geht nun mit Borem hinter der Schutzwand, die
ziemlich gedehnt ist, hervor, und bei 1500 kommen ihm jubelnd entgegen. Sie
begrüßen ihn und danken ihm für seine erste Versorgung, die er ihnen hat
angedeihen lassen, und für die weisen Lehren, die er ihnen auf die vergangene
wahrhaftigste Prüfungsreise mitgegeben hatte.
[BM.01_088,02] Alle bezeugen ihm nun eine große Freude und noch größere Liebe
und Achtung, worüber sich unser Bischof Martin recht sehr freut. Dies um so
mehr, weil er nun aus ihren schon sehr wohlgestalteten Physiognomien den
geläuterten inneren Zustand ersieht. Sie zeugen, daß sich alle auf dem besten
Wege befinden.
[BM.01_088,03] Mit großem Wohlbehagen betrachtet er eine Zeitlang die große
Gesellschaft und kann sich über ihr gutes Aussehen nicht sattsam und genug
verwundern. Nach geraumer Weile erst spricht er:
[BM.01_088,04] (Bischof Martin:) „O ihr alle, meine liebsten Freunde, Brüder und
Schwestern, wie sehr freue ich mich nun euretwegen, wie auch, daß ihr mir alle
nun so liebreich entgegenkommet. Aber mich müßt ihr weder ehren, noch danken und
loben darum, daß ihr alle nun gerettet seid und euch alle im hehrsten Vorhofe
zum wahrsten Himmelreiche befindet – sondern alle Ehre, aller Dank und alles Lob
gebührt dem Herrn, dessen endlose Gnade euch ganz allein so herrlichst
umgestaltet hat! Mich aber liebet als euern Bruder, der mit euch allen einen und
denselben Gott und Herrn zum Vater hat!
[BM.01_088,05] Diesen einzigen, wahrsten, heiligsten Vater aber lasset uns
lieben ewig ohne Maß und ohne Ziel! Denn Er allein tut alles und ist allein
alles in allem! Ihm allein sei daher auch alle Ehre, aller Ruhm und Dank und
alles Lob!
[BM.01_088,06] Ich und dieser mein lieber Freund und Bruder waren Zeugen, wie
euch der Herr ganz allein geführt hat und hinausgeschafft hat allen Unrat aus
eurem Herzen und hat um euch gegen die Hölle einen heißen Kampf gekämpft und
gestritten wie der alte Löwe Israels!
[BM.01_088,07] Daher tuet nun alle eure Herzen weit auf, damit der Herr aller
Ehre und Glorie bald zu uns allen den vollsten Einzug halten möchte und sodann
verbleiben in uns und bei uns allen ewig!“
[BM.01_088,08] Als die Gesellschaft solche gute Anrede von ihrem Hausherrn
vernommen hatte, da ward sie wie verklärt und lobte in ihm den Herrn, der dem
Menschen eine so große Macht und Weisheit gegeben hat. Und darauf gingen alle
die ersten der Gesellschaft zu ihm und baten ihn, daß sie bei ihm als seine
geringsten Diener verbleiben dürften.
[BM.01_088,09] Spricht darauf der Bischof Martin: „O Freunde, Brüder und
Schwestern, nicht als meine Diener, sondern als meine liebsten Brüder und
Schwestern ewig mit dem gleichen Besitzrechte alles dessen, was mir der Herr so
überschwenglich reichlich gegeben hat! Denn ohne euch wäre mir diese endlose
Pracht und Herrlichkeit lästig. Aber an eurer Seite macht mir alles um so mehr
Freude, je mehr ich dadurch Gelegenheit überkomme, euch die größtmögliche Freude
zu machen!
[BM.01_088,10] O bleibet alle hier und freut euch mit mir des Herrn, der uns
hier in Seinem Reiche eine so übergroß-herrliche Wohnung bereitet hat und, wie
ich's nun gerade bemerke, diese Wohnung auch mit einem Tische versah, der für
uns alle zur ewigen Übergenüge mit dem herrlichsten Brote und Weine besetzt ist.
Und das alles, alles, alles, ohne daß es auch einer von uns je im geringsten
verdient hätte durch einen gerechten Lebenswandel nach Seinem Worte! Daher also
loben, lieben und preisen wir Ihn aber auch ewig um so mehr, da Er uns in der
Fülle gegeben hat solche Herrlichkeit, deren wir nicht im geringsten wert waren,
wert sind und wert sein werden!
[BM.01_088,11] Ihr seht nun alle, wie Seine Liebe zu uns kein Maß und kein Ziel
hat; darum aber sei auch die unsrige ewig ohne Maß und ohne Ziel! Alles haben
wir nun als vollkommen Selige; nur eines geht uns zu diesem allem noch ab, und
dieses eine, meine lieben Brüder und Schwestern, dieses eine ist der Herr,
sichtbar in unser aller Mitte! Bitten wir Ihn daher in unserm Herzen, daß Er uns
auch diese allerhöchste Gnade erweisen möchte!“
[BM.01_088,12] Die ersten der Gesellschaft stimmen dem Bischof Martin bei,
jedoch mit dem Bemerken: „Dieses wohl ist auch unser aller höchster Wunsch; aber
wir sind der Verwirklichung desselben noch viel zu unwürdig. Daher danken wir
für das, was uns der Herr beschied, dessen wir wohl auch völlig unwert sind. Der
Wunsch, den Herrn zu sehen, aber sei stets unser aller höchstes und ewigstes
Bestreben!“
[BM.01_088,13] Spricht Bischof Martin: „Habt recht, liebe Brüder, also gebietet
es uns die rechte Weisheit; aber die Liebe überschreitet oft die Weisheit und
tut, was sie will! Und in diesem Punkte halte ich's nun mit der Liebe. Tuet auch
ihr also und ich glaube, es wird durchaus nicht gefehlt sein!“
89. Kapitel – Martin und der Botaniker im Garten. Neuer Zuwachs an Elenden. Der
ersehnte köstliche Lohn.
[BM.01_089,01] Als Bischof Martin noch weiter die Liebe anpreisen will, ruft ihn
jemand außerhalb des Hauses beim Namen: „Martin!“
[BM.01_089,02] Als Martin solchen Ruf vernimmt, fragt er gleich Borem, wer ihn
doch gerufen habe.
[BM.01_089,03] Spricht Borem: „Bruder, gehe hinaus und du wirst es sehen. Es ist
mitunter hier auch wie auf der Welt: man kann hier außer dem Herrn auch nicht
alles auf einem Punkte zu Gesichte bekommen. Man muß sich zu dem Behufe manchmal
wohl auch an verschiedene Orte begeben, um Verschiedenes zu sehen und zu
vernehmen, wie du dich nun schon oft wirst überzeugt haben!
[BM.01_089,04] Daher gehe du nur eilends hinaus, und es wird sich sogleich
zeigen, wer dich gerufen hat! Denn, weißt du, mein geliebter Bruder, für alles
weiß ich auch noch keinen allzeit sicheren Bescheid zu geben. Ich höre abermals
rufen; gehe, gehe, und sieh nach, wer da ruft!“
[BM.01_089,05] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, ich gehe schon; wahrscheinlich
werden wieder Verirrte Hilfe suchen!“
[BM.01_089,06] Bischof Martin geht nun eilends an die Hausflur, öffnet sie und
erstaunt nicht wenig über die endlose Pracht seines Gartens. Dieser hat
mittlerweile an Ausdehnung und an wunderbar reichsten Segnungen über alle
menschlichen Begriffe zugenommen seit der Zeit, als Bischof Martin Borem in
diesem Garten pflanzend angetroffen hat.
[BM.01_089,07] Auch diesmal ersieht Bischof Martin niemanden auf der Flur harren
und begibt sich darum sogleich in den Garten, den zu suchen, der ihn zuvor
gerufen hatte. Er kommt, gegen Morgen gewendet, zu einer herrlichen Laube, die
aussieht wie ein großer, offener Tempel. In der Mitte dieses gewisserart
lebendigen Tempels ersieht er jemanden stehen, der sich mit der Sonderung
einiger Pflanzen beschäftigt, die auf einem ebenfalls lebendigen Altare liegen.
[BM.01_089,08] Bischof Martin betrachtet diesen Menschen eine kurze Weile, geht
dann auf ihn zu und redet ihn also an: „Liebster, bester Freund und Bruder,
warst nicht du es, der mich ehedem aus meinem mir vom Herrn gegebenen Hause bei
meinem Namen rief? Wenn du es warst, gib mir auch gütigst kund, womit dir mein
Herz dienen kann und soll!“
[BM.01_089,09] Spricht darauf der Botaniker: „Lieber Freund und Bruder! Siehe,
dein Haus ist nun überaus geräumig geworden und dieser Garten im gleichen Maße.
Du beherbergst wohl schon über tausend Brüder und Schwestern, was von dir
überaus edel ist. Ich aber meine, wo tausend und darüber Platz haben, da sollte
sich wohl noch für einige Platz vorfinden lassen?
[BM.01_089,10] Gehe mit Mir, dort gegen Abend dieses deines Gartens befinden
sich hundert Arme, die da Unterkunft suchen; diese nimm noch auf – und Mich
dazu, da Ich gewisserart auch zu ihnen gehöre, und es wird das dein Schade nicht
sein!“
[BM.01_089,11] Spricht Bischof Martin: „O liebster Freund und Bruder – was
hundert! Ich sage dir's, so es ihrer auch 10000 wären, ließe ich doch keinen
weiterziehen, sondern würde alles aufbieten, daß sie alle bei mir blieben! Daher
führe mich nur gleich zu ihnen hin, daß ich sie um so früher aufnehmen und nach
allen mir vom Herrn verliehenen Kräften bestens versorgen kann!“
[BM.01_089,12] Spricht der Botaniker: „O Freund, o Bruder, du bist Meinem Herzen
ein köstlicher Balsam geworden! Komme daher nur schnell mit Mir, wir werden
sogleich bei ihnen sein!“
[BM.01_089,13] Beide begeben sich nun schnell gegen Abend hin und kommen zu
einer gar elend aussehenden Menschengruppe, bestehend aus männlichen und
weiblichen Wesen. Alle sind nahezu nackt, höchst abgezehrt und daneben voll
Geschwüren und Grinden.
[BM.01_089,14] Als Bischof Martin diese Armen ersieht, da kommen ihm die Tränen
und er spricht teilnehmend und voll des herzlichsten Mitgefühls: „O mein Gott,
mein Gott, wie sehen diese Armen aus! Kaum noch haben sie ein Leben! O kommet,
kommet alle mit mir in mein Haus, auf daß ich euch sogleich alles angedeihen
lasse, was euch gesund und stärker machen kann! Der Herr, unser aller heiligster
und bester Vater Jesus, wird mir dazu Kraft und Mittel verleihen!“
[BM.01_089,15] Sprechen die Armen: „O du sichtbarer Engel Gottes – wie gut muß
der Herr sein, da du schon so endlos gut bist! Du siehst aber ja, wie unrein wir
sind. Wie können wir es wagen, deine reinste Wohnung zu betreten!?“
[BM.01_089,16] Spricht Bischof Martin: „War ich doch noch viel unreiner denn ihr
und bin rein geworden in diesem Hause der Liebe. So hoffe ich zu Gott, ihr alle
werdet es auch, darum kommet, liebe Freunde, Brüder und Schwestern, ohne Scheu
nur sogleich mit mir! Ihr Schwächsten aber hänget euch an mich, auf daß ihr
leichter in mein Haus kommet! Auch du, Bruder (der Botaniker), greife einigen
Schwächsten unter die Arme!“
[BM.01_089,17] Spricht der Botaniker: „O Bruder, du Mein Herz, du Kern Meiner
Liebe, welche Freude machst du Mir! Wahrlich, das soll dir einst groß vergolten
werden! Ja es ist dir schon vergolten, denn siehe, Der, den du nun so sehr
liebst, ist nun bei dir. Ich bin ja der Herr, dein Bruder, dein Vater!“
[BM.01_089,18] Bischof Martin erkennt nun in der Fülle Mich, den Herrn, fällt
auf sein Gesicht nieder vor Mir und spricht: „O Herr, o Gott, o heiliger Vater!
Wo soll ich anfangen, Dich zu loben und zu preisen ohne Maß und Ziel, und wo und
wann enden?! O Du heiligster Vater, wie groß ist Deine Liebe und welch
unergründliche Tiefen aller Erbarmung müssen in Dir vorhanden sein, daß Du
Sündern, wie ich einer war und es noch bin, so endlos gnädig sein kannst!
[BM.01_089,19] O Du heiliger, guter Vater Du, ich möchte nun beinahe vergehen
vor Schande darum, daß ich Dich nicht erkannte, als ich in Deinem ewigen
Vaterhause mit Petrus wohnte und wenig achtete Deiner Worte, die nichts als pur
Liebe waren! Nun freilich, da mein Herz Dich erkannte, möchte ich vergehen vor
Liebe, aber zugleich auch wohl vor Schande! O stärke mich, daß mein sündig Herz
Deine heiligste Nähe zu ertragen vermag!“
90. Kapitel – Jesus als Herr, Vater und Bruder. Gleichnis vom Fürsten und den
Ministern. Ehrfurcht und Liebe.
[BM.01_090,01] Rede Ich: „Stehe auf, lieber Bruder, und denke nicht an Meine
Herrlichkeit beständig, sondern nur daran, daß du nun in der Liebe völlig Mein
Bruder bist, so wirst du Meine Nähe leicht ertragen! Ich bin ein Herr nur denen,
die da sind abtrünnig Meinen Worten und sich dennoch in aller Weisheit groß
dünken. Denen aber, die ihr Herz mit aller Liebe erfüllt haben, bin Ich kein
Herr, sondern ein allmächtiger Bruder nur und gebe ihnen als ein wahrster Vater
alles, was Ich habe! Darum also, liebster Bruder, erhebe dich und habe fürder
keine solch unbegrenzte Heiligscheu vor Mir!
[BM.01_090,02] Siehe, so auf der Welt ein mächtiger Fürst zu seinen weisen
Ministern tritt, da fallen diese vor lauter Achtung ihm zu den Füßen. Und es ist
recht, daß sie also tun ihrem Fürsten; denn solange sie seine Diener sind, ist
er auch ihr Herr! Wenn aber solche Diener ihren Fürsten lieben über die Maßen
und zu ihm sagen: ,Herr, du bist ein überguter Fürst! Nicht nur unsere höchste
Achtung verdienst du im Vollmaße, sondern alle unsere Liebe! Darum nimm fürder
unsere getreuesten Dienste ohne allen Entgelt an! Wir aber wollen, weil wir dich
nun mehr lieben denn unser Leben, dir auch dienen mit jeder Fiber unseres
Lebens! Und so du von uns hundert Leben verlangen möchtest, wollen wir sie dir
geben, darum du nun ein wahrer Fürst unserer Herzen geworden bist!‘ – was meinst
du, Bruder, wird wohl der Fürst solchen Dienern tun?
[BM.01_090,03] Siehe, solche wahre Liebe wird ihn ergreifen in seines Lebens
innersten Kammern und er wird zu ihnen sagen: ,O meine liebsten Freunde, da ihr
mir nicht nur in euerem Kopfe, sondern auch in euerem Herzen einen so herrlichen
Thron errichtet habt, herrsche ich nun nicht mehr durch meine Gewalt und Macht
über euch, sondern durch eure so große Liebe zu mir in euch! Ihr alle tragt mich
nun in euren Herzen, die nun geheiligt sind durch die Gegenwart meiner Hoheit in
ihnen. Ihr alle traget also nun den in euch, den ich selbst in mir trage. Aus
dem Grunde aber seid ihr alle nun auch das, was ich selbst bin, also meine
innigsten Brüder. Darum aber sollet ihr mit mir auch alles haben, was ich selbst
habe!‘
[BM.01_090,04] Siehe nun, gleichwie so ein weiser Fürst zu seinen Dienern
spräche und sie adeln möchte, da sie ihn so sehr in ihre Herzen aufgenommen
hätten, so rede und spreche auch Ich zu allen jenen, die Mich gleich dir in ihre
Herzen aufgenommen haben! Denen also, die Mich über alles lieben und Mich völlig
in ihren Herzen tragen, die darum durch und durch geheiligt sind durch Mich
Selbst in ihnen, bin Ich kein Herr mehr, so wenig als Ich Mir Selbst ein Herr
bin, sondern ein innigster Bruder ewig! Und was Ich habe, das auch haben sie,
weil sie Mich Selbst in sich haben durch ihre große Liebe!
[BM.01_090,05] Erkennst du, lieber Bruder, nun, was das heißt, so Ich dich
,Bruder‘ nenne, wie Ich einst auch Meine zwölf Apostel Brüder genannt habe?
Begreifst du das nun, da richte dich auf und führe mit Mir diese Armen in dein
Haus! Aber nur verrate Mich in deinem Hause deinen Gästen nicht zu vorschnell!
Diese hundert hier wissen ohnehin noch lange nicht, daß Ich der Herr bin. Denn
es sind Chinesen, die auf der Welt auf dem Punkte standen, Mein Zeugnis –
freilich wohl sehr entstellt – anzunehmen, weshalb sie auch alle hingerichtet
wurden samt dem Missionar. Was sie auf der Welt sonach nicht erreichen konnten,
soll ihnen hier im Vollmaße zuteil werden. Nun weißt du alles; daher erhebe dich
schnell, und handle mit Mir – denn von nun an wird Mein und dein Haus in ein
Haus vereint werden!“
91. Kapitel – Martins Liebesdrang beim Herrn. Aufnahme der chinesischen Märtyrer
und ihre Erquickung.
[BM.01_091,01] Auf diese Meine Rede erhebt sich Martin schnell, fällt Mir an die
Brust und küßt Mich klein ab. Als er mit solchen wahrhaft kindlichtatsächlichen
Liebesbeweisen zu Ende ist, spricht er:
[BM.01_091,02] (Bischof Martin:) „So, so, so – oh, nun ist mir schon viel
leichter, weil ich nun meiner zu mächtigen Liebe zu Dir endlich einmal ein wenig
Luft gemacht habe! Wenn es auf mich ankäme, so könnte ich Dich, o Du mein
liebster, heiligster Vater, eine ganze Ewigkeit so abherzen und abküssen. Aber
ich behalte mir diese meinem Herzen allerangenehmste Beschäftigung vor, wende
mich sogleich an Dein Wort und führe diese Chinesen in dies Haus, natürlich
unter Deiner Voranführung. Denn ohne Dich, o Herr, ist kein Schritt vor- und
kein Schritt rückwärts zu machen! Und nun ans Werk!“
[BM.01_091,03] Bischof Martin wendet sich nun an die hundert und spricht: „Nun,
liebe Brüder und Schwestern, erhebet euch alle und gehet mit mir in dies Haus!
Ihr Schwächsten aber hänget euch an mich, auf daß wir alle vereint in dies mein
Haus ziehen können; darinnen sollet ihr sogleich alle Pflege und Wartung haben.
Die Allerschwächsten von euch aber wird schon dieser mein allmächtigster Freund
übernehmen und wird sie vor mir hin in das Haus führen.“
[BM.01_091,04] „Aber, Freund“, sagen nun einige aus der Gesellschaft, „wie
können wir dieses reinste Haus betreten? Siehe, wir sind ja alle im höchsten
Grade unrein! Weißt du denn nicht, daß bei uns ein Gesetz besteht, demzufolge
kein Haus von irgendeinem Aussätzigen betreten werden darf? Und das um so
gewisser, als sonst die Todesstrafe unvermeidlich einer solchen
Gebotsübertretung folgen würde. Nun bedenke, wenn die weltlichen Machthaber ein
göttliches Gebot schon so sehr respektieren, um wieviel mehr wird es hier
respektiert werden. Daher belasse uns doch lieber in diesem Garten, bis wir rein
werden; dann erst erlaube uns, in dein Haus einzuziehen!“
[BM.01_091,05] Spricht Martin: „Liebe Freunde, Brüder und Schwestern! Lasset
euch durch eure uralten tyrannischen Gesetze, die ihr nicht versteht samt euren
Machthabern, nicht irremachen. Denn alle Gesetze der Welt gehen uns hier nichts
mehr an, sondern allein ein Gottesgesetz nur, welches da ist das ewige Gesetz
der Liebe! Dieses Gesetz aber wird euch nun soeben auferlegt und fordert von
euch, daß ihr der Liebe unbedingt folgen sollt. So tuet denn nun auch sogleich
willigst, was meine Liebe von euch allen verlangt!“
[BM.01_091,06] Auf diese Worte erheben sich nun die hundert und gehen – freilich
sehr bedenklichen Schrittes – mit Mir und Martin in das Haus. Als sie alle im
Hause und in dem übergroßen, majestätischen Saale sich befinden, da schreien sie
laut auf vor Verwunderung und Schreck und sagen:
[BM.01_091,07] (Die hundert:) „O Lama, Lama, Dalai-Lama! Das ist ja die Wohnung
des ewigen Brahma! O wir Armen, o wir Armen! Wir sind hier verraten und für ewig
verloren! Denn es steht im Zoroasteron (chinesisches Sanskrit) geschrieben: ,Wer
je die allerheiligste Wohnung des ewigen Brahma unrein betreten wird, den wird
der böse Ahrimann ergreifen und ihn dann allergräßlichst ewig martern!‘ O wehe
uns, wehe uns!“
[BM.01_091,08] Spricht Martin: „Ei, ei, liebe Brüder und Schwestern, was faselt
ihr für leeres Zeug durcheinander! Ich sage euch auf mein Gewissen und auf alle
meine Liebe, die ich euch hier will angedeihen lassen: euer gefürchteter Brahma
ist ein Betrüger, der seinesgleichen sucht, und ist sterblich, so wie ihr es
waret! Den Lama (Gott) kennt weder der betrügerische Brahma, noch euer Kaiser,
wie auch keiner von euch.
[BM.01_091,09] Ich aber, mit Namen Martin, ein ehemaliger Bischof der
christlichen Religion auf der Erde, und zwar in Europa, bin der wirkliche
Besitzer und Eigentümer dieses Hauses nun für ewig. Und es hat kein Brahma je
hierin etwas zu tun, außer er käme hierher wie ihr als Hilfsbedürftiger. Darum
seid nun ruhig und ängstigt euch nicht vergeblich. Denn in diesen wahren ewig
heiligen Hallen wird nimmer jemand fallen, dem sie zu betreten nicht
vorenthalten wurden!“
[BM.01_091,10] Nach solcher Versicherung werden die hundert sichtlich ruhiger
und können sich vor lauter Pracht und Glanz und Größe nicht genug fassen, um
Martin auf seine Tröstungsrede einen Dank zu geben.
[BM.01_091,11] Zugleich aber kommt auch schon Borem mit Brot und Wein herbei, um
die neuen Gäste zu stärken. Ich aber segne beides insgeheim. Nachdem beides
gesegnet ist, Brot und Wein, spricht Borem zu den Gästen:
[BM.01_091,12] (Borem:) „Liebe Freunde, Brüder und Schwestern, lasset euch auf
die Bänke nieder, und nehmet hier eine Stärkung zu euch; sie tut euch not auf
ein so langes Fasten! Unser Herr, Gott und Vater ist von unbeschreiblicher
Liebe, Güte, Sanftmut und Geduld und erläßt euch alle Schuld, die ihr von
irgendwoher auf euer Gewissen gelegt habt!
[BM.01_091,13] Daher sollt ihr nun froh und heiter sein und genießen ohne Furcht
und Sorge, was euch dargereicht wird. Alles, was ihr hier genießen werdet, wird
euch stärken zum ewigen Leben und dienen zur wahren Erkenntnis Gottes, die an
und für sich ist das wahre, ewige Leben. Wie solches auch Gott der Herr Selbst
gelehrt hat, indem Er sprach: ,Das aber ist das ewige Leben, daß sie (alle
Jünger) Den erkennen und erkannt haben, den Du, o heiligster Vater, in die Welt
gesandt hast zur Vergebung aller Sünden!‘“
[BM.01_091,14] Nach dieser guten Anrede setzen sich alle neuen hundert Gäste
nieder. Borem teilt darauf das Brot und den Wein aus, und alle greifen emsigst
darnach, danken und verzehren alles mit großer Begierde. Das ist ein gutes
Zeichen: denn mit der Begierde sie nun dieses Brot und diesen Wein verzehren,
mit derselben Begierde werden sie auch hernach das noch viel geistigere
Gotteswort aufnehmen.
92. Kapitel – Heilbad der hundert Aussätzigen. Ihre Bekleidung und ihre
Dankrede. Vom Wesen Lamas. Die Frage nach Jesus und des Herrn Bescheid.
[BM.01_092,01] Als nach einer kleinen Weile die hundert gesättigt und gestärkt
sind, sage Ich zu ihnen: „Meine lieben Freunde, erhebet euch nun und entkleidet
euch. Gehet dann in dies Bad, das sich zwischen dieser Säule und jener lichten,
aber dennoch völlig undurchsichtigen Schutzwand befindet! In diesem Bade werdet
ihr eueren Aussatz verlieren und ganz rein wieder hervorgehen. Also sei es!“
[BM.01_092,02] Die hundert entkleiden sich nun schnell und steigen in das Bad.
Sobald sie sich sämtlich im Bade befinden, siehe, da werden sie auch alsbald
rein. Ihre frühere häßlich-braune Farbe wandelt sich in ein liebliches Weiß und
die Formen ihrer Glieder werden dabei auch stets voller, runder und weicher.
[BM.01_092,03] Da diese Gäste solche Veränderung an sich gewahren, werden sie
überfroh und fangen an, uns drei über die Maßen zu loben: „Wer ihr drei im
Grunde auch sein möget, ob im Dienste Dalai-Lamas oder im Dienste des Ahriman –
was wir nicht zu beurteilen imstande sind –, aber gewiß wahr ist, ihr habt uns
vollkommen Gutes erwiesen. Euer Herr vergelte es euch ewig!
[BM.01_092,04] Wie sehr elend waren wir, und eine undenklich lange Zeit hat
unser großes Elend angedauert. Den ganzen Erdkreis suchten wir klein ab, und
sehet, wir fanden niemanden, der unser Elend nur um ein allergeringstes
gemildert hätte! Nach einem wohl sicher mehr als 10000 jährigen Suchen fanden
wir in der Nähe dieses Gartenpalastes diesen Freund und baten ihn, daß er uns
helfen möchte, so es irgend in seiner Macht stünde. Und er sprach:
[BM.01_092,05] ,Ja, ich kann euch helfen und will euch auch helfen! Folget mir
in diesen Garten. Ich werde da den Herrn des Hauses rufen, und dieser wird mit
großer Freude tun, was ich ihm um euretwillen gebieten werde!‘
[BM.01_092,06] Was er sagte, das tat er auch pünktlich, und wir alle sind nun
tatsächlich Zeugen alles dessen, was er an uns getan hat. Daher gebührt vor
allem auch nur ihm das Hauptlob. Euch beiden andern aber gebührt auch das beste
Nachlob, indem ihr bereitwilligst das getan habt, was dieser erste Hauptfreund
unseretwillen von euch verlangte. Und so sei du, unser erster Freund, hochgelobt
und über die Maßen gepriesen, der du so Übergutes an uns getan hast! Ihr beiden
aber seid auch hochgelobt, indem ihr bereitwilligst das tatet!
[BM.01_092,07] Nun aber, liebe Freunde, sehet ihr selbst, daß wir völlig nackt
sind. Da ihr schon so viel an uns getan habt, so tuet auch noch eines: Gebet uns
nur eine nötigste Umhüllung zur Deckung unserer Scham! Wir sind dann so
glücklich, als nur irgend in der ganzen Unendlichkeit ein Wesen glücklich sein
kann!“
[BM.01_092,08] Sage Ich zu Martin und Borem: „Brüder, öffnet jene goldene Kiste,
dort werden sich schon Kleider in rechter Menge finden lassen, durch die unsere
Schützlinge für den ersten Augenblick hinreichend gut und zweckmäßig bekleidet
werden können. Mit der Weile aber werden sie dann nach dem Grade der Vollendung
ihres Geistes schon ohnehin das Gewand des Gottesreiches überkommen. Also sei
es!“
[BM.01_092,09] Bischof Martin und Borem springen sogleich an die goldene Kiste
und ziehen dort hundert Stück blaue Röcke mit viel Falten zum einen Teile und
mit weniger Falten zum andern Teile heraus, geben die mehr faltigen Röcke den
Männern und die weniger faltigen den Weibern. Im Nu kleiden sich alle damit und
haben wieder eine noch größere Freude, als sie sehen, daß ihnen diese Kleider
überaus gut stehen.
[BM.01_092,10] Alle loben nun Mich und sagen: „O Freund, du bist gut, ja übergut
bist du und dabei sehr weise und mächtig nach dem Maße deiner Weisheit! Wir
hörten auf der Welt wohl, daß der große Lama auch sehr gut und weise sein soll,
wenn er nicht den Ahriman zu Gesicht bekommt. Dessen Anblick soll ihn so
erbittern, daß er dann 1000 Jahre nichts als Zorn speie über die Welt, in der
Ahriman wohnt. Er verdecke aber nachher noch 1000 Jahre sein Gesicht, um nur
seinen Erzfeind nicht zu sehen. Dadurch aber übersähe er dann auch die Menschen
und kümmere sich volle 2000 Jahre nicht um sie.
[BM.01_092,11] Wenn die Sache mit dem Lama sich im Ernst so verhält, da sagen
wir, daß du um vieles weiser, mächtiger und somit auch besser bist als der ganze
Lama, der einen so dummen Abscheu vor dem bösen Ahriman hat! So ist es; wir
sagen es hier alle zum Trutze des Lama und zum Zeugnis der Wahrheit!
[BM.01_092,12] Wir haben aber alle auf der Welt durch einige Boten einer andern
Welt wohl vernommen von einem gewissen Jesus. Dieser soll der eigentliche,
leibhaftige Lama Selbst gewesen sein. Diesen hat Ahriman aber erwürgt, weil er
die Menschen wider ihn gehetzt habe. So ihr von dieser Geschichte auch etwas
wißt, erzählet uns davon; wir alle möchten darin sehr gerne ins reine kommen!
[BM.01_092,13] Auf der Welt hat uns das ums Leben gebracht. Hier aber, glauben
wir, gibt es keinen Tod mehr! Daher wäre es hier vielleicht doch ratsam, über
diesen Jesuslama Näheres zu erfragen? Vorausgesetzt, daß an der Sache, die uns
das irdische Leben kostete, etwas ist – sagt uns gütigst etwas davon, so euch
diese Sache bekannt ist!
[BM.01_092,14] Seht, es ging die Sache mit uns allen schon recht gut! Wir hatten
schon gewisse Gebete erlernt, die gut waren. Aber da geschah es, daß ein solcher
Bote zu weit ging: eine Geliebte verriet ihn und uns alle und noch eine Menge.
Wir alle mußten es mit unserem Leben büßen, weil wir hatten von unserem Lama
abfallen und einen andern annehmen wollen.
[BM.01_092,15] Wahrscheinlich aber hat uns diesen Streich nur der böse Ahriman
gespielt. Und das berechtigt uns zu hoffen, daß der Lama es uns nicht gar so
groß anrechnen wird, besonders so hinter diesem gewissen Jesus wirklich der Lama
Selbst steckt!“
[BM.01_092,16] Rede Ich: „Meine lieben Freunde, geduldet euch nur eine kleine
Weile und ihr werdet hier alles tatsächlich erfahren, was ihr erfahren möchtet!
Kommt nun aber mit uns nur weiter vorwärts. Ihr werdet daselbst eine große
Gesellschaft antreffen: jene Boten, die solche Lehre zu euch brachten, wie auch
jene Maid eures Landes, die euch verraten hat samt jenem Boten, der sich zu weit
gewagt hatte. Aber so ihr mit ihnen zusammenkommen werdet, da müsset ihr keinen
Zorn äußern, noch haben, sondern müßt ihnen alles vergeben, was sie an euch
taten; alsdann werdet ihr den Jesuslama sogleich erkennen! So kommt nun hinter
dieser Schutzwand hervor und folgt uns guten Herzens und Willens! Also sei es!“
93. Kapitel – Peinliche Wiedersehensszene unter den Chinesen. Die Geschichte der
Verräterin.
[BM.01_093,01] Auf diese Worte gehen nun alle hundert lieblichen Angesichts
hinter der Schutzwand hervor und erstaunen über die große Pracht und
Räumlichkeit des Saales. In dessen gegen Mittag gewendeten Teile befinden sich
die tausend früheren Gäste nebst noch andern mehreren Hunderten, die bei der
Gelegenheit der inneren Bearbeitung der Mönche und Nonnen mitgerettet wurden.
[BM.01_093,02] Als die hundert diese vielen Gäste erschauen, die noch zum
größten Teile in der naturmäßigen Kleidung stecken, verwundern sie sich überaus
mächtig, auch als sie nun wirklich jene Boten sogleich erkennen, die sie auf der
Welt im Christentum haben unterweisen wollen. Als sie aber auch jene Chinesin
unter ihnen erblicken, die den Hauptboten und dadurch auch sie alle verraten
hatte, machen sie bald finstere Mienen und sagen zu Mir:
[BM.01_093,03] (Die hundert Chinesen:) „Höre, du liebster Freund, diese
Erscheinung berührt uns zwar äußerst unangenehm. Aber da sie euch, wie es
scheint, nicht zuwider ist, so soll sie es auch uns allen nicht sein. Der Bote,
den sie verriet, scheint nun merkwürdigerweise auf gutem Fuße mit ihr zu stehen,
denn er bespricht sich gar freundlichst mit ihr. Sie ist wohl sonst ein schönes
und artiges Wesen, darum sie auf der Welt auch ein Liebling dieses Boten war,
wie sie auch eine wahre Schönheit in der großen Kaiserstadt Peking genannt wurde
und daher ein Liebling der ganzen Stadt war. Aber durch ihren gewinnsüchtigen,
schnöden Verrat an uns allen hat sie dann wohl alle Achtung der großen
Kaiserstadt verloren und starb, wie wir vernommen hatten, bald darauf aus Gram.
[BM.01_093,04] Wir wundern uns daher hauptsächlich bloß darum, wie diese doch
sichere Dienerin des Ahriman, die den Jesuslama an uns verriet, in diese
heiligen Hallen hereingekommen ist! Hat etwa der Lama Selbst ein Wohlgefallen an
ihrer Schönheit?“
[BM.01_093,05] Rede Ich: „Liebe Freunde, hattet ihr nicht auch Kinder, darunter
einige fromm, einige aber recht schlimm waren? Ihr alle saget: ,Ja!‘ Ich aber
frage euch weiter: Habt ihr die schlimmen wohl darum den Hyänen und Tigern
vorgeworfen, oder habt ihr alle eure Sorge und Liebe nicht diesen schlimmeren
Kindern zugewendet und habt die frommen viel weniger beachtet? Ihr saget: ,Ja,
ja, so war es!‘
[BM.01_093,06] Sehet, so aber ihr, die ihr euer ganzes Leben hindurch nie gut
gewesen seid, euren sogar schlimmsten Kindern nur Gutes tatet – wie könnt ihr da
denken, daß der ewig allerbeste Lama Seinen Kindern etwas Böses geben werde, so
sie Ihn reuig um etwas Gutes bitten?
[BM.01_093,07] Diese Jungfrau hat auf der Welt freilich gewisserart übel an euch
allen gehandelt. Aber sie bereute später ebenso mächtig ihre vermeintliche böse
Tat, wie mächtig sie früher euch alle geliebt hatte, bevor sie den Hauptboten
und dadurch auch unwillkürlich euch alle mit verriet.
[BM.01_093,08] Und so hat der gute Lama ja auch recht, so Er eines Seiner Kinder
nicht sogleich auf ewig verwirft, so es auch Böses getan hätte, dann aber zu Ihm
kommt und Ihn von ganzem Herzen reuigst um Vergebung bittet.
[BM.01_093,09] Sehet, der gute Lama braucht demnach nicht verliebt zu sein in
eine schöne Pekingerin, um sie selig zu machen. Sondern es ist genug, daß Er ein
guter Vater aller Menschen ist und daß Er als solcher erkannt wird. Ist
besonders letzteres der Fall, dann hat es mit dem Seligwerden einer schwachen
Tochter auf der Erde gar keine Schwierigkeit mehr.
[BM.01_093,10] Was meinet ihr lieben Freunde nun – handelt der gute Lama so
recht oder unrecht?“
[BM.01_093,11] Spricht einer aus den hundert: „Ja, also handelt der große,
heilige Lama vollkommen gut und recht! Aber da sieh, nun bemerkt uns die schöne
Chanchah und geht eilends auf uns zu! Was sie uns etwa doch hinterbringen wird?
Nun nur stille, sie ist schon da!“
94. Kapitel – Schöne, echte Versöhnung zwischen Chanchah und den hundert
Chinesen. Der Herr und Chanchah.
[BM.01_094,01] Chanchah fällt nun vor den hundert auf ihr Angesicht und fleht
sie um Vergebung all des Üblen an, das sie – wenn auch unbeabsichtigt – an ihnen
getan hat.
[BM.01_094,02] Die hundert aber sagen alle einstimmig: „Holdeste Chanchah, so
dir's der große heilige Lama vergeben hat, was wohl sollen dann wir noch wider
dich haben! Hat ja doch derselbe Heilige der Ewigkeit auch uns vergeben, die wir
dem Ahriman doch auch viele und große Opfer gebracht haben. Daher erhebe dich
und kneife uns ins Ohrläppchen zum Zeichen, daß wir nun für ewig einander aus
dem tiefsten Lebensgrunde vergeben haben!“
[BM.01_094,03] Chanchah erhebt sich nun lieblichsten Angesichts und Wesens und
tut, was die hundert von ihr verlangen. Nachdem sie alle die hundert sanft ins
Ohrläppchen gekneift hat, spricht sie:
[BM.01_094,04] (Chanchah:) „Eure Herzen seien mein köstlichster Schmuck, euer
Anblick die schönste Weide meiner Augen. Mein Herz aber sei euch ein sanftestes
Ruhekissen, auf dem ihr ausruhen wollet, so euch die Liebe müde gemacht hat.
Meine Arme seien euch ein sanftes Band für Herz ans Herz, und aus meinem Munde
fließe unversiegt der köstlichste Balsam in euer Leben.
[BM.01_094,05] An meiner Brust sollet ihr euch schwingen bis zu den Sternen und
meine Füße sollen euch tragen über harte Wege. Und wenn die Sonne untergeht und
kein Mond der Erde leuchtet und der Sterne Schimmer dichte Nebel überdecken,
dann soll mein Augenpaar euch erleuchten den Pfad eurer Sehnsucht, und all mein
Eingeweide soll euch erwärmen in der frostigen Lebensnacht.
[BM.01_094,06] Also will ich euch sein eine sanfteste Dienerin in den zartesten
wie schwersten Bedürfnissen eures Lebens ewig, darum ihr mir euer Ohr geliehen
habt zur Vergebung meiner schweren Sünde an euch.“
[BM.01_094,07] Nach dieser Rede, die die liebliche Chanchah gesprochen, geht
einer aus der Mitte der hundert zu ihr hin, hebt beide Hände über sie und
berührt sie am Kopfe mit den Zeigefingerspitzen. Er spricht: „O Chanchah, wie
gar so schön bist du nun! Ich sage dir's so laut nun, wie da braust ein
mächtiger Sturm. Und ich sage es dir auch so sanft, als wie sanft da fächelt ein
duftiger Abendhauch um die zarteste Wolle der Gazelle: du bist schöner nun als
die Morgenröte über den blauen Bergen, die da zieren die große Stadt der Mitte
der Reiche der Erde, und herrlicher als die Chujulukh (eine der schönsten
Blumen, die nur im kaiserlichen Garten gezogen wird)!
[BM.01_094,08] Dein Haupt ist lieblicher als der Kopf einer Goldtaube und dein
Hals runder und weißer als der einer weißen Gazelle. Deine Brust ist sanfter und
weicher denn Tutschuran (eine Art weichster Wolle, die an einer Schilfstaude
wächst), und deine Füße sind kleiner denn die einer Antilope, die da hüpft und
tanzt auf Himalajas höchsten Spitzen. Ja, so lieb uns die Sonne ist, so lieb
bist uns auch du. Und wie herrlich der Vollmond den wogenden Spiegel der Seen
bescheint, so herrlich bescheint deine Anmut auch unsere Herzen.
[BM.01_094,09] So sollen von nun an auch deine Wünsche ebenso lieblich in
unseren Seelen erschimmern und unsere Herzen also über und über erquicken, als
wie da erquicken die Sterne die Herzen zerstobener Schiffer, die auf weitem
Ozean ihre Segel hissen unbewußt am Tage, wohin sie den Lauf der Schiffe richten
sollen, um zu gelangen in die glückliche Heimat.“
[BM.01_094,10] Darauf wendet er sich zu Mir und spricht: „O Freund, ist es
recht, daß wir diese, die unsere Feindin war, also aufgenommen haben wie ein
Herz in hundert Herzen?“
[BM.01_094,11] Rede Ich: „Ja, so ist es recht nach eurer besten Sitte. Aber da
ihr alle nun nicht mehr auf der Welt, sondern im ewigen Reiche der Geister euch
befindet, wo andere Sitten und Formen gang und gäbe sind, so werdet ihr euch
nach und nach auch darnach richten und in allem so handeln, wie ihr es an uns
sehen werdet, wenn ihr hier verbleiben wollt! Wäre euch aber eures Landes Tugend
lieber als die dieses Hauses, da freilich müßtet ihr dann zu jenen übergehen,
die noch gar lange zu tun haben werden, bis sie dies Haus erreichen!“
[BM.01_094,12] Spricht Chanchah: „O du lieblichster, herrlichster Freund der
Armen – siehe, wir wollen hier so sein wie die feinste Porzellanerde, die sich
in alle edlen Formen fügen läßt. Dein Wille sei unser Leben und dein Wort ein
heiliges Wort Lamas!“
[BM.01_094,13] Rede Ich: „Komm her, du lieblichste Chanchah, Ich will dir ein
neues Kleid geben, welches dich herrlicher zieren soll denn die schönste
Morgenröte die weißen Spitzen der blauen Berge!“
[BM.01_094,14] Chanchah springt nun förmlich zu Mir hin. Und Martin bringt schon
aus der goldnen Kiste ein rotes Kleid, das mit vielen Sternen verbrämt und wohl
geschmückt ist, und übergibt es Mir mit den Worten:
[BM.01_094,15] (Bischof Martin:) „Das wird dieser wirklich schönsten Chanchah
gar überhimmlisch gut stehen; das ist ein wahres Kleid der Liebe! Ich muß offen
gestehen, diese Chinesin gefällt mir nun auch ganz überaus gut; nur in ihre echt
chinesischen Redensarten kann ich mich noch nicht so recht finden. Da hängt noch
viel Irdisches daran, aber sonst echt orientalisch poetisch. Ich hätte wirklich
nicht geglaubt, daß in den Chinesen so viel ehrliche Lyrik zu Hause ist. Aber
mir gefällt das! Diese lassen wir auf keinen Fall mehr weiterziehen!“
[BM.01_094,16] Rede Ich: „Hast recht – auch Mir gefallen sie, das Herz dieser
Chanchah ganz besonders. Aber sie werden dir noch so manches zu schaffen geben!
Doch nun zur Chanchah!
[BM.01_094,17] Hier, du liebliche Tochter, empfange das Kleid: es ist das der
Liebe und der weisen Sanftmut in dir! Wohl warst du eine Verräterin an diesen,
die das Zeugnis des Jesuslama annehmen wollten. Aber du wardst zur Verräterin
durch die Tugend deines Reiches und wolltest nur retten des Kaisers Leben, dabei
aber nicht opfern das deiner Brüder. Solches hat hernach der Kaiser getan –
hätte es aber nicht getan, so er dein Herz in seiner Brust gehabt hätte. Du bist
sonach völlig schuldlos und rein wie dieses Kleid, mit dem Ich dich nun
bekleide. Nimm es hin, es ist Meine große Liebe zu dir!“
95. Kapitel – Chanchahs Verlangen, das Wesen des Herrn zu erforschen. Des Herrn
Rezept. Chanchahs glühende Liebe zum Herrn.
[BM.01_095,01] Chanchah nimmt ehrfurchtsvoll das Kleid, das im Augenblicke, als
sie es berührt, schon ihr ganzes Wesen überaus herrlich schmückt. Als sie so
himmlisch bekleidet dasteht, weint sie vor Freude und spricht: „O Freund,
welchen Namen wohl führst du? O sage es mir, daß ich ihn in mein Herz mit der
glühendsten Schrift für ewig zeichne!“
[BM.01_095,02] Rede Ich: „Schönste Chanchah, dafür ist schon gesorgt! Was du tun
möchtest, ist schon geschehen. Forsche nur in deinem Herzen und du wirst das
finden, was du nun von Mir suchst zu vernehmen! Ich sage dir: Deine Liebe zu Mir
wird dir alles verraten!“
[BM.01_095,03] Chanchah macht über Meine Worte große Augen und stutzt gewaltig.
Nach einer Weile spricht sie, ganz in sich vertieft: „,Deine Liebe zu mir wird
dir alles verraten! Was du tun möchtest, das ist schon geschehen. Forsche nur in
deinem Herzen und du wirst es finden, was du von mir suchest zu vernehmen!‘?
[BM.01_095,04] Sonderbar, höchst sonderbar! Hm, hm, wie kann der so reden?!
Warum brennt denn aber mein Herz gar so mächtig vor Liebe, so er mit mir
spricht? In seiner Stimme liegt eine so unbegreifliche Zaubermacht, daß mir
vorkommt, dieser müßte durch die Macht seiner Rede Welten erschaffen und wieder
zerstören können! Eine Milde, nie gekannt, dabei aber doch voll wahrhaft
göttlichen Ernstes! Wahrlich, wahrlich, wahrlich, – ich ahne Großes!
[BM.01_095,05] O du heilig Wort, auf der Erde noch nie vernommen! O heiliger
Klang solcher Rede: ,Deine Liebe zu mir wird dir alles verraten!‘ Ich will ja
nur eines, seinen Namen nur will ich. Und er spricht: ,Alles! Alles!‘ Wie endlos
größer wohl ist das Alles denn das Eine! Ich wollte ja nur eines, und er
spricht: alles!
[BM.01_095,06] O Lama! Lama! Du großer, heiliger Lama, wie soll ich dies
fassen?! Ach, ach, wie herrlich doch ist seine Gestalt, welch erhabenste
Majestät in seinen Augen! Es sind wohl die andern zwei auch wunder erhabene
Gestalten und scheinen auch sehr weise und mächtig zu sein. Aber wenn ich diesen
einen ansehe, da erbrennt mein Herz wie die große Kaiserfackel, die, so sie
angezündet wird über dem großen Fackelturme der kaiserlichen Burg, die ganze
Stadt erleuchtet heller denn der volle Mond.
[BM.01_095,07] (Sich zu Mir wendend:) Ach, du lieber Freund, ja du göttlicher
Freund! Was für Worte hast du zu mir geredet! Wer außer dir kann ihren Sinn
deuten? Sie haben in mir tiefe Ahnungen erweckt, und ach – ich kann es dir
unmöglich mehr verhehlen – eine Liebe, ja eine wunderbar mächtigste Liebe zu
dir, du Herrlichster! Ja, du hast recht, du hast wahr gesprochen: ,Deine Liebe
zu mir!‘ Ja wohl, Liebe zu dir, du Herrlichster!
[BM.01_095,08] Siehe, als ich auf der Erde wandelte in den schönen und großen
Gärten, an denen meiner Brüder Stadt so reich ist, da horchte ich oft den leisen
Tönen nach, mit denen die Schwäne, die gar lieblichen Anblicks über dem Spiegel
eines zierlichen Teiches dahinwogten, die sinkende Sonne begrüßten. Es waren
herrliche Töne; aber wie gar nichts waren sie im Vergleiche zur sanftesten Milde
des Tones deiner Rede!
[BM.01_095,09] Oft ging am frühen Morgen ich lustwandeln und nahm meine
Windzither mit mir. Sie klang herrlich, wenn der heitersanfte Morgenhauch ihre
Saite begrüßte, daß darob mein Herz vor Freude erbebte. Ja, damals wohl erbebte
mein Herz – denn damals hatte ich ja deine Stimme noch nicht gehört; jetzt würde
Chanchahs Herz die Khalank nicht rühren, seit es erbebte beim Himmelsklang
deiner Rede!
[BM.01_095,10] Ach wie süß klangen einst auch die Worte meiner Mutter, so sie
mich rief und sprach: ,Chanchah, du mein Leben, komme ans Herz deiner Mutter,
die dich mehr liebt denn ihr eigenes Leben!‘ – Ach, du lieber Freund, in diesem
Rufe lag mehr Harmonie, als die Welt sie fassen kann. Wie gar so selig war die
muntere Chanchah bei diesem Rufe! Die Erde ward schöner, ward wie verklärt, ja
sie ward zu einem Himmelsgarten!
[BM.01_095,11] Aber, o Freund, du Herrlichster, damals habe ich deiner Rede
Klang noch nicht gehört! Oh, wie tief in den Staub sinkt das alles nun zurück,
so ich dich ansehe und deiner himmlischen Rede Ton in meinem bebenden Herzen
vernehme, wie ein heiliges Echo, aus den Himmeln wiederklingend! Ach du
Herrlichster, was werde ich beginnen, wenn mein Herz stets ungestümer für dich,
ganz ewig allein für dich erbrennt?!
[BM.01_095,12] Lama, Lama, Du bist wohl groß und herrlich, wo Du bist. Dich soll
man wohl mehr lieben denn alles. Aber was kann die arme Chanchah dafür, wenn ihr
Herz diesen, sicher Deinen Freund auch, gar so innigst ergriff!
[BM.01_095,13] Aber du, o Herrlichster, wirst mir doch nicht zürnen, darum ich
es wage, dich so mächtigst zu lieben? Kann ich ja doch nicht dafür, daß du
meinem Herzen so heilig geworden bist!
[BM.01_095,14] Man lehrte mich auf der Erde wohl, daß es für die Guten einen
Himmel gibt, der noch tausendmal schöner sei denn Peking, die große Kaiserstadt,
und erhabener als die Majestät der blauen Berge. Ich aber finde diese
Himmelspracht nun ganz leer und finde, daß nie der Himmel höchste Pracht,
sondern nur ein Herz dem andern ewig ein Himmel der Himmel bleibt!
[BM.01_095,15] Ich habe in dir meinen Himmel der Himmel gefunden! Ach möchtest
du auch in mir wenigstens so ein kleines Lustgärtchen finden!“ – Mit diesen
Worten sinkt die Holde Mir zu Füßen.
[BM.01_095,16] Martin sagt: „O Herr – ,Bruder‘ wollt ich sagen; hätte Dich bald
verraten! – etwas Ähnliches von einer jungfräulichen Weichheit ist mir noch
nicht vorgekommen. Das will ich doch Liebe nennen! Da ist unsereiner gerade ein
räudiger Ochse dagegen! – Bruder Borem, bei der können wir beide noch hübsch
lange in die Schule gehen! Was meinst du?“
[BM.01_095,17] Spricht Borem voll der höchsten Achtung: „Allerdings, lieber
Bruder Martin, in der beseligendsten Gesellschaft des Meisters aller Meister
werden wir mit dem Lernen wohl ewig nie fertig werden. Übrigens alle Achtung vor
dieser holdesten Chinesin; mit der Zartheit ihrer Gefühle und mit der echt
orientalischen Glut ihrer Liebe werden wir es freilich noch lange nicht
aufnehmen können. Es ist außerordentlich erfreulich, sie reden zu hören und
daneben die Steigerung ihrer Liebe zu betrachten. Überaus beseligend für uns
aber ist es zu wissen, wohin ihre nun noch blinde Liebe ihren Zug nimmt!“
96. Kapitel – Des Herrn Wink zum vorsichtigen Handeln bei Unreifen. Chanchahs
Liebe zum Herrn im Konflikt mit Chanchahs Liebe zum Lama.
[BM.01_096,01] Rede Ich: „Redet nur nicht zu andeutend! Wir drei hier wissen es,
was und wer wir sind. Aber diese alle sind nun noch viel zu schwach, unsere
Wirklichkeit zu ertragen. Daher müßt ihr bei euch sehr behutsam sein, so ihr mit
Mir redet. Verstehet es, liebe Brüder, wir sind gleich! Ich habe euch das nun in
der Stille gesagt, daß diese von allem nichts vernommen haben. So aber wir drei
vor allen laut reden, sind wir alle gleich und sind eines. Verstehet wohl, ihr
wisset schon, warum!“
[BM.01_096,02] Spricht Martin: „O Bruder, Du – Du – Du allergeliebtester Bruder,
wir kapieren die Sache schon! Ich werde da so aufpassen wie die Katze auf eine
Maus, daß ich mich ja nicht irgendwo verrede. Nur mußt Du schon noch ein bißchen
Geduld mit mir haben, so mir manchmal etwas Dummes herausrutscht. Ich komme mir
manchmal wohl schon recht weise vor. Aber wenn Du da bist, kommt mir meine
Weisheit schon so dumm vor, daß ich mich selbst aus vollem Halse auslachen
könnte. Aber mich freut es dennoch, daß ich es – freilich mit Deiner alleinigen
Hilfe nur – so weit gebracht habe, wenigstens manchmal etwas Weises
hervorzubringen.“
[BM.01_096,03] Rede Ich: „Ganz gut, lieber Bruder Martin, bleibe du nur, wie du
bist, denn gerade so bist du Mir am angenehmsten. Denn siehe, ein rechter Humor
des Herzens darf auch in allen Himmeln nicht fehlen! Nun aber müssen wir schon
unserer Chanchah wieder unsere Aufmerksamkeit widmen. Martin und Borem, hebet
sie auf von Meinen Füßen, denn Ich darf sie mit Meinen Händen noch nicht
berühren!“
[BM.01_096,04] Die beiden tun behende, was Ich ihnen geboten. Chanchah steht
noch ganz liebetrunken in unserer Mitte und kann sich kaum fassen, um ihre
Gefühle in Worte umzugestalten.
[BM.01_096,05] Martin spricht dabei: „Aber wie sie in dieser wahrsten
Liebetrunkenheit schön ist! Wahrlich, sapprament, wenn eine solche auf der Erde
zu sehen wäre, ich glaube, die Menschen würden geradeweg rasend ob des Anblicks
solcher Fülle der weiblichen Reize!
[BM.01_096,06] Über mich aber wundere ich mich nun sehr, daß ich eine so
außerordentliche Schönheit zwar wohl mit dem größten Wohlgefallen, aber ohne
alle sinnliche Begierde ansehen kann, was bei mir – wie Figura der Merkurianerin
und der noch früheren Lämmerherde hinreichend bewiesen hat – ehedem nicht der
Fall war.
[BM.01_096,07] Es hat zwar die Berührung dieses weichsten und rundesten Armes
mir überaus wohlgetan. Nichts aber habe ich dabei von einer sinnlichen Regung
verspürt. Dafür kann ich nur, Du weißt es schon wem, über alle Maßen ewig danken
und preisen ohne Ende!
[BM.01_096,08] (Sich zu Chanchah wendend:) Wie ist dir nun, du allerholdeste
Einwohnerin meines vom großen, heiligen, liebevollsten Lama für ewig mir
gegebenen Hauses? O rede, rede wieder! Siehe, wir haben dich ja alle überaus
sehr lieb und deine schönsten Worte erfreuen ungemein unser aller Herz!“
[BM.01_096,09] Spricht Chanchah: „Ach, mir ist unendlich wohl! O ihr lieben
himmlischen Freunde, ihr Diener Lamas, des Heiligen! Wem sollte es in eurer
Mitte nicht endlos wohlgehen? Ist ja doch die Liebe des menschlichen Herzens
höchstes Gut. So aber ein Herz Liebe gefunden, wie ich sie hier fand, was sollte
da wohl noch übrig sein zu wünschen? Welch höhere Seligkeit als die, welche die
Liebe gibt? O Freund, mir ist hier endlos wohl!
[BM.01_096,10] Nicht wahr, ihr liebsten Freunde, ich werde euch doch wohl nimmer
verlassen dürfen? Freilich fühle ich wohl, daß ich euer nicht wert bin, da ich
noch eine Menge Makel an mir entdecke trotz dieses herrlichsten Kleides. Aber
mein Herz liebt euch und – ich gestehe alles gerne – besonders dich, der du mir
deinen Namen nicht sagen wolltest. Und ihr werdet ja dies Herz nicht verstoßen,
darum es euch, und besonders dich Namenlosen, so unaussprechlich liebt!“
[BM.01_096,11] Rede Ich: „O ewig nimmer wirst du von uns entfernt werden! Denn
siehe, aller Himmel Grund ist die Liebe, und die Liebe ist auch der Himmel aller
Himmel selbst. Wer diese, wie du, in solch großem Vollmaße hat, wie sollte der
aus dem verbannt werden können, das da ist sein eigen Wesen? Solche Liebe aber
wie die deinige zu uns tilgt auch alle Makel der Seele augenblicklich, daß sie
dann so rein ist, als wäre sie soeben dem Hauche Lamas entsprossen!
[BM.01_096,12] Daher kümmere dich fürder nimmer, ob du wohl hier wirst
verbleiben dürfen. Denke, daß wir dich ewig als ein besonderes Zärtchen unserer
Liebe behalten werden, wohin wir auch zeitweilig nach den zahllos verschiedenen
Bedürfnissen dieses Reiches zögen. Ob wir gerade schon für ewig hier in diesem
Hause verbleiben werden, das freilich wohl mußt du nicht als ausgemachte Sache
betrachten. Denn in des großen Lama Reich gibt es wohl noch gar sehr viele
Wohnungen! Aber wohin wir auch zögen, wirst du stets so wie jetzt unter uns
sein!
[BM.01_096,13] Denn siehe, wir lieben dich nun ja auch sehr, als wärest du das
einzige Wesen in der ganzen Unendlichkeit, das mit allem Rechte auf unsere
vollste Liebe den entschiedensten Anspruch machen kann. Da wir – und verstehst
du, holdeste Chanchah, ganz besonders Ich! – dich so sehr lieben, wie möglich
könnten wir dich dann von uns lassen? Du bist nun Mein Liebchen für ewig; das
sei dir sicherer und gewisser denn dein eigen Leben!“
[BM.01_096,14] Spricht Chanchah: „O Lama, Lama, wie heilig gut mußt Du sein, da
Deine Diener schon so unendlich gut und lieb sind! Aber, ach, du lieber Freund,
weißt du, wenn ich dich so recht betrachte, so – ach, es will doch nicht heraus!
– ja, ach, so kommt es mir vor, als wenn der Lama unmöglich besser sein könnte,
als du es bist! Es wird das vielleicht der einzige Fehler sein, den die Liebe
hat, daß sie das, was sie einmal über alles liebt, auch für das Beste und
Vollkommenste hält. So halte ich auch dich wenigstens für so gut wie den großen
Lama Selbst! Lama wird der armen Chanchah wohl vergeben, wenn sie solches denkt
und fühlt?! Denn ich kann ja nichts dafür, daß ich dich so unbegrenzt lieben
muß!“
[BM.01_096,15] Rede Ich: „O Chanchah, Lama hat dir schon längst alles vergeben,
des sei völlig gewiß. Denn Lama liebt ja auch Seine Diener so unbegrenzt, daß es
Ihm wohl Selbst die größte Freude und Seligkeit macht, wenn sich Seine Kinder,
die Seine eigentlichen Diener sind, untereinander ganz ohne Maß und Ziel lieben.
Daher fürchte dich ja nicht, als könntest du dich mit deiner Liebe zu Mir beim
Lama versündigen. Dafür stehe ich dir mit allen Schätzen der Himmel gut!“
97. Kapitel – Chanchahs eifriges Forschen nach dem Namen ihres geliebten
Freundes. Des Herrn Hinweis auf das beste Rezept. Unterschied zwischen Gastgeber
und Gast.
[BM.01_097,01] Als Chanchah das vernimmt, spricht sie ganz verlegen: „O du
herrlichster Freund meines ganzen Wesens! Du mußt den großen, heiligen, ewigen
Lama sicher schon oft gesehen haben und vielleicht auch gar gesprochen, weil du
mit einer solchen, mir ganz unbegreiflichen Bestimmtheit von Ihm reden kannst,
als wärest du zunächst Sein erster Diener? Ja, ja, es wird schon so sein, sonst
könntest du ja doch nicht gar so unaussprechlich lieb sein! Deine Worte hätten
die Kraft nicht, die sie haben, als wären es Worte Lamas Selbst!
[BM.01_097,02] Siehe, es haben ehedem auch deine beiden Freunde geredet, aber
ich merkte wenig Kraft in ihren Worten. Nur wenn sie mit dir redeten, da
freilich hatten auch ihre Worte einige Kraft. Als der eine aber mit mir redete,
verspürte ich keine Kraft in seinen Worten. Daraus aber schließt mein Herz, daß
du dem Lama näher bist denn diese beiden. Habe ich nicht recht geurteilt?“
[BM.01_097,03] Rede Ich: „Ich sage dir, frage nur dein Herz, deine Liebe zu Mir;
diese wird dir alles verraten! Nun aber gehen wir auch zu den andern Brüdern,
auch sie bedürfen unserer Sorge und Liebe. Du gehe Mir zur Seite, Meine liebste
Chanchah!“
[BM.01_097,04] Spricht Chanchah: „Ach ja, das ist wohl sehr recht und gut, daß
auch meiner andern Brüder und Schwestern gedacht wird in euren Herzen; denn
besser sind immer die Gastgeber als die Gäste daran. Die Gastgeber können geben,
wann sie wollen. Die Gäste aber dürfen erst dann etwas nehmen, so ihnen etwas
gegeben wird. Und so sie das Gegebene nehmen, müssen sie es fein artig nehmen
und dem Gastgeber viel Ehre antun und ihm die Dankbarkeit nie versagen.
[BM.01_097,05] Der Gastgeber aber braucht zu niemand bitten kommen, so er aus
seiner Vorratskammer für sich etwas nehmen will. Er kann sich nehmen wieviel er
will, wann und was er will. Er hat dabei nicht nötig, für sich alle
Höflichkeitsregeln zu beachten, noch braucht er jemanden darum zu ehren und auch
niemandem zu danken. Daher sind die Herren im Grunde doch allein nur glücklich
zu preisen, darum sie geben können, was und wann sie wollen. Die Empfänger aber
sind, wenn auch schon gerade nicht unglücklich, doch stets übler daran, darum
sie nehmen müssen, was ihnen gegeben wird.
[BM.01_097,06] Also gedenke ich auch hier dieser vielen Gäste, zu denen auch ich
gehöre. Ihr drei freilich wohl über alles lieben und guten Gastgeber und Herren
dieses Himmelshauses habt es trotz eurer unbegrenzten Güte aber dennoch um sehr
vieles besser denn alle diese von euch noch so gut gehaltenen Gäste. Denn Herren
bleibt stets ihr, diese aber nur Gäste, die in allem von euch abhängen. Und so
ist es wirklich sehr recht, daß nun auch ihrer sicher überaus gut gedacht wird.
[BM.01_097,07] Du, liebster Freund, aber wirst es mir doch nicht zu einem Fehler
anrechnen, daß ich nun so geredet habe? Ich hätte gewiß nicht so frei heraus
geredet, wenn ich dich nicht gar so unermeßlich lieb hätte. Meine große Liebe zu
dir, du mein himmlischer Freund, löst mir die Zunge; und wenn sie gelöst ist,
ach, dann geht sie schon, wie sie gewachsen ist!“
[BM.01_097,08] Rede Ich: „O du zartestes Balsamtröpfchen meines Herzens, rede du
nur immer zu, wie dir es dein Herzchen gibt. Uns kannst du wohl ewig nimmer
beleidigen, besonders wenn du so weise sprichst, wie du jetzt geredet hast. Denn
ich sage dir's, du Holdeste, es ist genau so, wie du nun geredet hast. Es ist
wirklich viel leichter, zu geben als zu nehmen. Es ist der kümmerliche Geber im
Grunde noch immer besser daran als der beste Nehmer!
[BM.01_097,09] Aber es läßt sich diese Ordnung ewig nimmer ändern, da unmöglich
jedermann ein Herr sein kann. Würden vom Lama aus auch alle Menschen zu Herren
gemacht sein, so daß da jeglicher hätte sein Haus und sein gutes Auskommen und
niemand den andern zu bitten brauchte, was wäre dann mit der Nächsten- und
Bruderliebe, und was mit der Liebe zum Lama? Sieh, diese ginge da rein unter,
und doch müßte am Ende der Lama Geber und alle Menschen gebundene Empfänger
sein, wie sie es nun sind und ewig sein werden!
[BM.01_097,10] Damit aber die Nehmer so ungeniert als möglich das Gegebene
nehmen können, wird von uns Gastgebern hier stets in so überfließend
reichlichster Fülle gegeben, daß jeder Empfänger und Nehmer sich so viel von dem
endlos viel Gebotenen nehmen kann und darf, wieviel nur immer sein Herz zu
begehren vermag.
[BM.01_097,11] Ja Ich sage dir, Meine allerliebste Chanchah: es wird hier mit
dem Geben sogar so weit getrieben, daß es beinahe in der ganzen Unendlichkeit
kein Wesen gibt, dem nicht allzeit tausendfach mehr gegeben würde, als was
seines Herzens glühendster Wunsch ewig je begehren könnte! Was meinst du nun, du
Meine geliebte Chanchah – sind die Nehmer bei solchen Geberverhältnissen wohl
noch für bedauerlich anzusehen?“
[BM.01_097,12] Spricht Chanchah: „Ach ja, dann freilich wohl sind die Nehmer
beinahe noch glücklicher als der Geber. Denn der Geber muß – du wirst mir's wohl
vergeben, so ich hier vielleicht wieder zu viel und zu ungebührlich rede – ja
doch sehr viel Sorgen haben. Denn er muß denken über Hals und Kopf, wie er seine
Vorratskammern so fülle, daß sie selbst durch die steten reichsten Weggaben
nicht erschöpft werden können!
[BM.01_097,13] Ich habe wohl auf der Erde öfter gedacht, wie es doch dem Lama
möglich sein kann, für so endlos vieles zu sorgen: für all das Gras, das da
wächst allenthalben, für die Gesträuche und Bäume und für all die zahllosen
Tiere und Menschen. Aber da sagte mir meine Mutter:
[BM.01_097,14] Chanchah, wie denkst du so menschlich von Lama?! Weißt du denn
nicht, daß der Lama allmächtig ist und allgegenwärtig mit Seiner Macht? Er, der
endlos Weise, darf ja nur wollen, und es geschieht dann sogleich alles, so Er es
will, und wann und wie Er es will!
[BM.01_097,15] Als die Mutter so zu mir redete, gab ich sehr acht und ward auch
bald befriedigt. Aber nun möchte ich von dir, der du ein Diener Lamas bist,
erfahren, ob es sich wirklich so verhält mit dem Lama, wie mich die Mutter
lehrte.
[BM.01_097,16] Ist es dem Lama ein leichtes, zu sorgen für all das Unendliche,
oder ist es auch für Ihn schwer? Ist es Ihm ein leichtes, dann ist Er ebensogut
daran als Geber, wie gut all die zahllosen Empfänger daran sind. Macht Ihm aber
solch ein Sorgen für unendliche Bedürfnisse der zahllosen Myriaden doch manchmal
bedeutende Schwierigkeiten, da wäre Er bei Seiner unbegrenzten Freigebigkeit
wirklich sogar zu bedauern! – O sage es mir, du mein geliebtester Freund, so du
darin nähere Kenntnisse besitzest!“
98. Kapitel – Des Herrn Worte über das Wesen und Wirken Lamas. Das Baumwunder.
Eine Mahnung zur Vorsicht.
[BM.01_098,01] Rede Ich: „O du Meine allerliebste Chanchah! Das kann Ich dir in
aller Kürze sagen, und so höre! Siehe, da Ich den Lama so gut kenne, wie Er Sich
Selbst kennt, so sage Ich dir: Was da das Hervorbringen und Schaffen betrifft,
so ist das dem großen Lama wirklich etwas dir kaum begreiflich Leichtes. Denn Er
braucht zu einer einmal gefaßten Idee nur aus Seinem Willen zu sagen: ,Es
werde!‘, und es ist dann schon alles da, was Er will! Ungefähr also – gib nun
recht acht! –, als so Ich nun in Mir denke, daß hier vor uns ein schöner Baum
stehe, mit den besten Früchten erfüllt! Oder stelle du dir so einen Baum vor,
z.B. einen sehr schönen Feigenbaum. Hast du ihn schon?“
[BM.01_098,02] Spricht Chanchah: „Ja, ja, ich denke mir nun einen, wie da einer
stand in dem Garten meiner Eltern!“
[BM.01_098,03] Rede Ich: „Nun gut, gib nun acht! Ich denke Mir nun auch
denselben Baum und sage gleich dem Lama nun zu diesem gedachten Baume: ,Werde!‘.
Sieh, der Feigenbaum steht nun schon vor uns samt ganz reifer, wohlgenießbarer
Frucht!
[BM.01_098,04] Siehe nun, wie leicht es Mir war, dir hier ein lebendiges
Beispiel zu stellen, ebenso leicht ist es dem Lama, Eines wie Unendliche zu
erschaffen. Aber nicht so leicht ist es dem Lama, die Menschen so zu gestalten,
daß sie ebenso frei und vollkommen würden, wie Er Selbst es ist. Dazu gehört
schon etwas mehr als die bloße Allmacht; aber wenn das auch schwerer ist, so ist
dennoch dem Lama alles möglich!
[BM.01_098,05] Nun, Meine allerliebste Chanchah, verstehst du nun Meine
Erklärung? Diesen Feigenbaum aber schenke Ich dir für immer; er wird dir ewig
nimmer verdorren, sondern wird dir stets die reichsten und besten Früchte
tragen!“
[BM.01_098,06] Chanchah ist ganz verblüfft, kann vor lauter Staunen kein Wort
herausbringen und betrachtet bald Mich, bald wieder den Feigenbaum. Dies Wunder
aber zieht auch sogleich alle Gäste herzu, so daß wir nicht not haben, uns zu
ihnen zu bewegen; alle sind voll Staunens.
[BM.01_098,07] Auch Bischof Martin betrachtet ganz überrascht den Baum und
spricht: „O Bruder, wohl weiß ich, daß es Dir ein leichtes ist, einen solchen
Baum hervorzubringen. Aber dennoch hat es mich ganz absonderlich überrascht, als
Du ihn gar so plötzlich hier entstehen ließest!
[BM.01_098,08] Ja, ich muß gestehen, es ist wohl eine sonderbar schöne Sache um
so ein bißchen Allmacht. Aber was kann unsereiner dafür, daß er sie nicht hat
und auch nicht haben kann, weil er noch viel zu dumm dazu ist! Im Grunde ist es
aber auch gut, daß ein dummer Geist – wie z.B. der meinige – keine Allmacht
besitzt. Denn besäße ich so etwas, da wäre es aus bei mir! Du, herrlichster
Bruder, würdest Dich Selbst verwundern über die selten dümmsten Gebilde, mit
denen ich bald einen ungeheuren Weltenraum anfüllen würde! O Herr, da gäbe es
Karikaturen, die ihresgleichen suchten!
[BM.01_098,09] Daher ist es vollkommen recht, daß der weiseste Lama solche
Allmachtsfähigkeiten nur jenen erteilt, die der himmlischen Weisheit vollkommen
mächtig sind, wie es bei Dir in überaus hohem Grade der Fall ist! Daß bei Dir
aber demnach das Geben offenbar leichter sein muß als das Nehmen, wird etwa doch
klarer sein als auf der Erde die hellste Mittagssonne? Denn mit dem Nehmen hätte
es bei Dir – meinen Begriffen nach – ohnehin einen ganz absonderlichen Anstand,
indem (ganz leise) ja ohnehin alles Dein ist!“
[BM.01_098,10] Rede Ich: „Nicht so laut, Mein liebster Bruder Martin! Du kommst
immer tiefer. Bedenke, daß da noch andere zugegen sind, die noch nicht auf
deiner Stufe stehen! Anfangs hast du schon recht geredet; aber gegen das Ende
wärst du bald zu weit gegangen, und das hätte dieser Gesellschaft auf eine
geraume Weile schaden können! Daher nimm dich nur recht zusammen, sei klug wie
eine Schlange, dabei aber sanft wie eine Taube! Nimm dir nur immer Borem zum
Muster, der ist hier ganz an seinem Platze und beachtet genau die himmlische
Klugheit. Tue du auch so, und wir werden mit diesen Gästen leicht
vorwärtskommen!“
[BM.01_098,11] Bischof Martin: „Oh, ich danke Dir für diesen guten Rat, ich
werde ihn sicher genau befolgen! Aber da siehe nun die Chanchah an, wie sie Dich
nun mit einer Aufmerksamkeit betrachtet, von der mir früher nichts Ähnliches
vorgekommen ist!“
[BM.01_098,12] Rede Ich: „Gut, gut ist das, lassen wir sie nur ihre
Beobachtungen machen; sie führen ihren Geist näher zu Mir! Bald wird sie mit
allerlei Fragen fertig sein, auf die wir ihr vollauf werden eine geraume Weile
zu antworten haben. Sieh, ihr Mund macht schon einige Bewegungen. Daher frage du
als Hausherr zuerst, wie sie mit dieser Erklärung zufrieden ist; das andere wird
sich dann schon von selbst machen!“
[BM.01_098,13] Bischof Martin befolgt sogleich Meinen Rat und spricht zur
Chanchah, die noch immer vor Verwunderung ihren Mund nicht in die rechte
Sprechverfassung bringen kann: „Holdeste Chanchah, sage uns doch einmal, wie du
mit dieser Erklärung zufrieden bist, und ob du sie wohl in allen Teilen gut und
klar verstanden hast! Du mußt dich ob dieses Wunders hier nicht gar so sehr
erstaunen, denn hier sind derlei Erscheinungen eben nichts Seltenes. Mit der
Weile wirst du dich daran schon mehr und mehr gewöhnen.
[BM.01_098,14] Siehe, es ist mir im Anfang auch um kein Haar besser gegangen.
Wenn du wüßtest, was erst mir während meines Hierseins alles für Wunderdinge
begegnet sind, ich sage dir, du würdest dich gerade umkehren vor lauter Staunen!
[BM.01_098,15] Weißt du, meine liebste Chanchah, das ist nur so ein kleines
Hauswunderchen. Es dient dir bloß nur als eine beispielsweise Belehrung über
deine früheren Fragen, die du an meinen Bruder gestellt hast. Habe aber nur
Geduld, es wird mit der Weile noch endlos dicker werden!“
[BM.01_098,16] Spricht Chanchah: „Ach, du lieber Freund, du hast hier leicht
reden, so du an derlei Erscheinungen schon gewöhnt bist. Aber unsereins kommt
beim ersten Anblick einer solch außerordentlichen Erscheinung außer aller
Fassung – und muß es auch. Denn wo in der Welt hat man je so etwas gesehen?!
[BM.01_098,17] Wenn du zu mir nicht gar so beschwichtigend geredet und mir in
gewisser Hinsicht eine andere Überzeugung beigebracht hättest, so hätte ich
deinen Freund und Bruder, der sich nun mit meinen Landesbrüdern bespricht, so
wahr ich lebe, für den Lama Selbst gehalten! Aber weil, wie du gesagt hast,
derlei Wunder hier gerade nichts Seltenes sind, bin ich nun wieder etwas
beruhigter und liebe diesen Bruder noch inniger als zuvor.
[BM.01_098,18] Denn obschon er sonach nur dein Bruder ist, sieht er dennoch viel
göttlicher aus als du und hat solches auch durch diese Kleinschöpfung bewiesen.
Ich halte wohl auch von dir sehr viel, aber ich zweifle sehr, ob du so eine
Kleinschöpfung zuwege brächtest? Was meinst du darob?“
[BM.01_098,19] Spricht Martin: „Ja – du – meine allerliebste Chanchah, weißt du,
wenn es gerade sein müßte – wer weiß es, vielleicht doch auch!? Aber so ich mich
etwa mit solch einem Wunderwerk gewisserart nur produzieren wollte etwa des
Ruhmes wegen – da säße ich unfehlbar zwischen zwei Stühlen auf der Erde und
müßte mich dann schämen wie ein erwachsener Bettpisser – vorausgesetzt, daß du
weißt, was bei uns ein Bettpisser ist?“
[BM.01_098,20] Spricht Chanchah: „O rede nur weiter, ich verstehe dich schon!
Bei uns heißen derlei Naturschwächlinge ,Lagerfeuchter‘ (Tschimbunksha). Sie
müssen tags darauf das angefeuchtete Lager den ganzen Tag auf einem öffentlichen
Platze hüten, wobei sie sich auch gewöhnlich sehr stark schämen müssen. Du
siehst nun, daß ich dich verstehe. Rede darum nur ungestört fort und sage mir
alles, was du mir zu sagen hast!“
[BM.01_098,21] Spricht Martin: „Hm, ja, hm, jaaaa! – was wollte ich denn so ganz
eigentlich sagen? Ja richtig, ja, so ist es: es war die Rede wegen Wirkung eines
Wunders! Richtig, ich habe den Faden schon wieder! Weißt du, allerholdeste
Chanchah, so ganz eigentlich kann nur der große Lama Wunder wirken, wann und wie
und wo Er will. Wir, Seine Diener, aber nur durch Seine Zulassung, so es nötig
ist. So hat auch mein Bruder hier dies Wunderwerkchen gewirkt, weil es zu deiner
Belehrung nötig war, ansonsten Er auch keines gewirkt hätte – was aber auch bei
Lama Selbst der Fall ist. Auch Er wirkt vor unsern Augen fast nie ein Wunder,
weil es da nicht nötig ist, wo wir ohnehin Seine leisesten Winke verstehen! –
Verstehst du mich, liebste Chanchah?“
99. Kapitel – Martin in Verlegenheit durch Chanchahs wißbegierige Fragen.
[BM.01_099,01] Spricht Chanchah: „O ja, ich verstehe alles, was du sagst! Aber
weil du soeben von des großen Lama leisestem Winke geredet hast, den du ohne ein
Wunder alsogleich verstehst: sage mir dann, wie der große Lama dir und deinen
Brüdern winkt, daß ihr Seinen sogar allerleisesten Wink sogleich wahrnehmt und
dann sicher sogleich befolgt! Ihr müßt also den großen Lama ja sehen, sonst
könnte Er euch doch unmöglich winken – oder doch wenigstens hören und so Seine
Winke vernehmen?! Sehet oder höret ihr Ihn, da sage mir, wie ihr Ihn sehet oder
höret, daß ich mir von Ihm doch irgendeine Vorstellung machen kann!“
[BM.01_099,02] Spricht Martin, etwas verlegen: „O meine allerliebste, holdeste
Chanchah, das ist eine sehr kitzlige Frage! Wenn ich sie dir auch beantworte, so
wirst du sie doch sicher nicht verstehen. Daher wäre es fast besser, so du mir
die Antwort auf diese Frage erlassen möchtest, da sie für diesen Augenblick
weder mir noch dir nützen kann!“
[BM.01_099,03] Spricht Chanchah: „O Freund, das Handeln um den Preis eines Gutes
kann wohl bei euch zu Hause sein; uns Chinesen aber ist so etwas fremd. Jede
Ware, die wir feilbieten, hat ihren bestimmten festgesetzten Preis. Wer sie
feilbietet, der muß sie auch verkaufen und davon dem Kaiser den Verkaufszins
geben. Verkauft der Feilbieter die Ware nicht, ist das ein Beweis, daß er sie zu
hoch geschätzt hat und Wucher treiben wollte, wofür er dann auch der bestimmten
Züchtigung nicht entgeht.
[BM.01_099,04] Ebenso muß auch jedermann beim Reden sich sehr zusammennehmen und
ja nichts sagen zur Hälfte und die andere Hälfte schuldig bleiben, entweder aus
Furcht oder Unkenntnis. Denn für beides wird er gezüchtigt, da es eines Menschen
unwürdig ist, entweder sich zu fürchten, wo keine Furcht vonnöten ist, oder gar
aus sich mehr machen zu wollen, als man ist.
[BM.01_099,05] Siehe, ich bin eine strenge Chinesin und erlasse dir nichts, was
du mir durch deiner Rede Gang gewisserart verheißen hast! Denn wer bei uns durch
seiner Rede Gang jemandem zu einer Frage Anlaß gibt, der muß die Frage auch
beantworten. Sonst ist er mit seiner ganzen Rede entweder ein Prahler – soviel
wie ein Lügner –, oder er ist ein unfähiger Feigling und kennt das selbst nicht
durchaus, von dem er geredet hat. Willst du von mir nicht für eins oder das
andere gehalten sein, da gib mir eine volle Antwort auf meine Frage, und das
ohne allen Vorenthalt!“
[BM.01_099,06] Bischof Martin ist nun sehr verlegen und weiß nicht, was er tun
soll. Denn gibt er ihr die rechte Antwort, da muß er Mich verraten vor der
rechten Weile. Antwortet er aber nicht, erklärt sie ihn vor allen Gästen für
einen Lügner oder einen Dummkopf und Feigling, was ihm auch nicht angenehm wäre,
da er sich so ganz heimlich als Hausherr etwas zugute dünkt. Er geht daher zu
Mir und fragt Mich, was er nun in dieser Lage tun solle.
100. Kapitel – Des Herrn Rüge und Verhaltungswinke an Bischof Martin.
[BM.01_100,01] Rede Ich: „Habe Ich dir nicht Borem zum Muster gestellt? Warum
mußt du denn in einem fort plaudern und reden für nichts und wieder nichts!
Jetzt, da du dich in eine Klemme hineingeredet hast, möchtest du dich wieder mit
Ehren aus derselben ziehen. Aber siehe, es wird sich die Sache nicht so leicht
machen als du glaubst!
[BM.01_100,02] Die Chinesin ist nun durch Mein notwendiges Wunderwerk und durch
deine Reden überaus erregt. Ihr Herz wittert Meine Nähe und ihr Geist wird
wacher und wacher. Du hast ihr noch dazu durch das Definieren, wie du Lamas
Winke selbst von der leisesten Art sogleich verstehst, Kopf wie Herz in einen
noch heftigeren Brand versetzt. Was wunder, daß sie dich nun auf Mord und Brand
angeht? Aber selbst schaffen, selbst dulden!
[BM.01_100,03] Ich habe dir schon einmal bemerkt, daß uns diese Chinesen noch
manches werden zu schaffen machen, aber da sahst du die Sache nicht ein. Da du
nun aber durch deine Wichtigtuerei die kritische Sache vor der Zeit
herbeigeführt hast, so fechte nun als ein Mann. Und siehe zu, die Sache mit der
Chanchah wieder ins Gleichgewicht zu bringen, während Ich diese übrigen hundert
Chinesen bearbeite; sind diese in der Ordnung, dann werde Ich schon auch mit
Chanchah wieder rechte Ordnung machen! – Gehe nun und tue also!“
[BM.01_100,04] Martin kratzt sich nun hinter den Ohren und sagt nach einer
Weile: „O Du mein H– –, oha, hätte mich bald wieder verschnappt! O Du mein
Bruder, wenn es Dir nichts macht und ich tun darf nach meinem Gutdünken –
freilich unter Deinem geheimen Einflusse –, da werde ich mit dieser Chinesin
wohl bald und leicht fertig werden!“
[BM.01_100,05] Sage Ich: „Tue, was und wie du willst; aber diese Chinesin mußt
du Mir auf jeden Fall wieder in die Ordnung bringen!“
[BM.01_100,06] Spricht Bischof Martin: „Ja, wenn so, Du mein H– – Bruder, wollt
ich sagen –, da werde ich die Sache mit der Chanchah schon ausfechten. Ich bin
nur froh, daß ich nun ein bißchen mehr Mut bekommen habe, ohne den es mir wohl
recht schlecht hätte ergehen können!“
[BM.01_100,07] Spricht Borem: „Bruder, sieh nur zu, daß dir am Ende der Mut
nicht zu kurz wird! Ich schmecke schon im voraus den Braten und wünsche nur, daß
du nicht den kürzeren ziehst! Mit den Chinesen, in denen ein stoischer Geist
herrscht, ist der Umgang sehr kitzlig; denn wo du eins sagst, da haben sie
hundert dawider! Verstehst du das?
[BM.01_100,08] Diese Chanchah ist zwar ein selten reines Wesen voll echt
morgenländisch feuersprühender, Ambra-Äther duftender Anmut. Aber eine Chinesin
ist sie im vollsten Sinne des Wortes dennoch bei alledem. Sei daher
außerordentlich vorsichtig mit jedem Worte, sonst wird sie dir zur
unerträglichen Laus in deinem Rocke, und du wirst zu tun haben, sie auf eine
gute Art loszuwerden!“
[BM.01_100,09] Spricht Bischof Martin: „Ja, was soll ich aber tun? Etwas muß
doch geschehen? Aber was, das ist freilich eine ganz andere Sache! Ich will es
doch versuchen und sehen, ob ich sie nicht nach der Anforderung (leise) des
Herrn in die Ordnung bringen kann!“
101. Kapitel – Chanchahs erneute Frage nach dem großen Lama. Martins
Verlegenheit und leere Ausflüchte. Chanchahs Antwort: „O du armer Esel!“.
[BM.01_101,01] Bei diesen Worten klopft ihn schon Chanchah auf die Achsel und
spricht: „Nun, du Diener Lamas? Wie lange läßt du die arme Chanchah harren auf
eine rechte und bestimmte Antwort, nach der sich ihr Herz mächtiger sehnt als
ihre Seele nach tausend Leben!
[BM.01_101,02] O Freund, so ich hätte tausend Herzen und wäre das schönste
Wesen, das je unter den Strahlen der Sonne wandelte: dein sollen alle Herzen
sein, und mein schönstes Augenpaar soll nimmer von dir abgewandt werden, so du
mir die Wahrheit sagst auf das, was du mir zur Antwort zu geben schuldest. Ich
aber habe nur ein Herz; dies eine Herz aber soll dich lieben wie tausend Herzen,
so du mir ein wahrer Freund bist und mir zeigst den großen Lama entweder in
Worten oder womöglich in der Tat. Aber wehe dir, so du wagst zu berücken mein
Herz, das dich so unermeßlich lieben will!
[BM.01_101,03] Es ist wahr, ich liebe deinen herrlichsten Bruder mit einer dir
unbegreiflichen Glut. Aber alle diese Glut soll dir zugewandt sein, so du mir
ein wahrer Freund sein willst und sein kannst! Auf mein Wort kannst du bauen
fester denn auf diamantene Felsen!“
[BM.01_101,04] Martin ist ob solcher Rede ganz verdutzt. Er sieht die ganz
unbegreiflich schöne Chinesin wie versteinert an und denkt und simuliert, was er
nun tun oder reden soll. Nach einer ziemlich langen Weile sagt er zu ihr:
[BM.01_101,05] (Bischof Martin:) „O du holdeste und außerordentlich schöne
Chanchah! Wärest du nicht so unbegreiflich schön, ich hätte schon so manches
gesagt. Aber wenn ich dich ansehe, da bin ich rein weg vor Verwunderung und
Liebe zu dir und kann nicht reden. Ich muß dir daher offen gestehen, daß ich so
lange zu dir nicht viel Gescheites werde reden können, bis sich meine Augen an
deinen Anblick werden mehr gewöhnt haben.
[BM.01_101,06] Du hast freilich leicht reden und auch drohen, denn mein Anblick
wird dich sicher nicht verwirren. Mir aber geht es absonderlich schlecht mit
meiner Zunge, so sie von deiner zu großen Schönheit rein vernichtet wird und
dann gänzlich erlahmt, wenn ich mit dir reden soll. Daher mußt du schon ein
bißchen Geduld mit mir haben. Nach und nach wird sich schon alles machen, so ich
mich an deine Schönheit werde mehr gewöhnt haben.“
[BM.01_101,07] Spricht die Chanchah: „Wenn das der Grund ist, da sage mir: wie
war es dir denn nur möglich, mit mir so gut geordnet zu reden und mir einen rein
aus der Luft gegriffenen Grund aufzutischen, aus dem du mit mir über das
Gefragte nicht reden kannst?
[BM.01_101,08] Siehe, dem die Liebe die Zunge bindet, der redet wie ein
Betrunkener und stottert und seine Rede hat keinen Sinn. Denn eine verlegene
Zunge hat keine Wurzeln, die aus der Quelle der Weisheit ihre Bewegung saugen.
Deiner Zunge Wurzeln aber sind voll der regsamsten Feuchte. Daher rechtfertige
dich vor meinem Herzen wie ein Mann, aber nicht wie ein losester Schalk! Was ich
dir sage, ist so wahr wie mein innerstes Leben. Wie kannst du da nur aus deiner
Haut und nimmer aus deinem Herzen zu mir reden?“
[BM.01_101,09] Bischof Martin wird nun noch verlegener und weiß keine Silbe
irgend ausfindig zu machen, um seiner schönen Gegnerin zu begegnen. Er fängt
daher wirklich allerlei Wort- und Silbenwerk zu stottern an, dahinter kein Sinn
zu entdecken ist. Je länger er so stottert, desto größere Augen macht die
Chanchah und schmunzelt mitunter auch ganz mitleidig. Nach einer Weile, als ihr
des Martin Stotterei schon zu toll wird, spricht sie:
[BM.01_101,10] (Chanchah:) „Freund, ich bedauere dich; denn du bist entweder ein
schlauer Fuchs oder ein dummer Esel – eines schlechter als das andere! Ich halte
dich aber dennoch mehr fürs letzte denn fürs erste. Und das entschuldigt auch
deine frevelhafte Angabe, als seist du auch ein Diener des großen Lama.
Wahrlich, so sich Lama solcher Diener bedienen würde, da wäre Er samt solchen
Dienern sehr zu bedauern!
[BM.01_101,11] Siehe, ich habe von dir ehedem wohl so einige ziemlich weise
Worte vernommen und dachte wirklich, du wärest im Ernste etwas Höheres. Das zu
glauben zwang mich auch deine prahlende Hauptbedeckung, wie auch, daß du jenen
wahrhaft Weisen deinen Bruder nanntest. Nun aber bin ich über dich ganz im
klaren! Du bist ein sogenannter guter Esel, der hier im Himmelreiche bloß
vegetiert, weil er auf der Erde wohl sicher zu dumm war, je eine Sünde zu
begehen. Und so bist du wohl so eine gutmütige Eselsseele, die niemandem etwas
zuleide tut und als ein Geschöpf Lamas auch alle Achtung verdient. Aber man kann
von dir nicht mehr verlangen, als was der große Lama in deine Natur gelegt hat.
Du wirst mir aber auch vergeben, daß ich von dir mehr haben wollte, als von dir
zu haben ist! Ich erlasse dir sonach jede ehedem von dir verlangte Beantwortung!
[BM.01_101,12] O du armer Esel du, wie leid tut es mir nun, dich so geängstigt
zu haben! Du hast hier freilich wohl die Menschengestalt, die im Geisterreiche
etwa alle Tiere bekommen, weil sie nur verwunschene Menschen freilich dümmster
Art sind. Aber darum bist du dennoch, was du sicher auf der Erde warst. Sei
daher nur wieder gut, mein armer, dummer Esel! Wie leid tut es mir nun, daß ich
dir ehedem menschliche und wohl gar himmlische Weisheit zugemutet habe! Gelt ja,
du mein lieber Esel, du nimmst es mir nicht für übel?“
[BM.01_101,13] Bischof Martin sieht nun ganz springgiftig aus und möchte der
Chinesin gerne so recht derb ums Maul fahren, wie man zu sagen pflegt. Aber weil
er sich dadurch der lästigen Beantwortung enthoben sieht, schluckt er alle diese
Komplimente hinab und entfernt sich ganz bescheiden von seiner Chanchah, die ihn
aber dennoch nicht aus den Augen läßt.
102. Kapitel – Borems gute Winke über den inneren Verkehr mit dem Herrn und über
die Behandlung von stoischen Naturen.
[BM.01_102,01] Borem tritt zu ihm und spricht: „Bruder Martin, wie geht es dir
nun mit deinem Mute? Ist er dir schon zu kurz geworden, oder wird er dir erst zu
kurz werden?“
[BM.01_102,02] Spricht Bischof Martin: „Ach, geh, das ist ja rein zum
Durchgehen! Bei diesen Chinesen scheint wohl noch so manches der altasiatischen
Poesie geblieben zu sein, das ist aber auch alles, was sie von einer geistigen
Bildung innehaben. In allem übrigen aber sind sie höchst sicher das dümmste Volk
der ganzen Erde. Kaffern, Hottentotten, Madagaskaresen, Australier und
Neuseeländer müssen gegen diese Glattköpfe ja wahre Platos und Sokratesse sein!
[BM.01_102,03] Stelle dir vor – was meinst du, lieber Bruder, wofür mich nun
diese Holde Pekings hält? Ach, es ist wirklich lächerlich toll! Höre, für nichts
mehr und weniger als platterdings für einen wirklichen Esel! Nicht etwa nur für
einen allegorischen, sondern ganz im vollsten Ernste für einen wirklichen Esel!
Erlaube mir, Bruder, das ist denn doch etwas zu stark!“
[BM.01_102,04] Spricht Borem: „Allerdings ist das etwas Starkes, einen Hausherrn
– und sogar einen himmlischen Hausherrn für einen wirklichen Esel zu halten!
Aber da mache du dir nur gar nichts daraus. Denn nur auf diese Art konntest du
ihre Anforderung an dich vollends loswerden. Und das hast du nur dem Herrn zu
verdanken, der allein diese Sache so gewendet hat zu deinem und der armen
Chanchah Bestem. Sei du daher nur ruhig und stecke alles geduldig ein, was dir
zuteil ward; nach der rechten Weile wird sich schon alles wieder ausgleichen.
[BM.01_102,05] Weißt du, liebster Bruder Martin, bilde dir in Zukunft auf deine
Hausherrlichkeit nichts ein, so wirst du ums Hundertfache leichter fortkommen
und alles leicht ertragen. Auch mit dieser Chanchah wirst du leichter überorts
kommen.“
[BM.01_102,06] Spricht Bischof Martin: „Ja, du hast recht! Ich sehe nun ein, daß
ich da nimmer Hausherr sein sollte, wo der Herr eingezogen ist. Aber es kitzelt
einen manchmal noch gewaltig danach, so ein bißchen was zu sein! Ich sehe es nun
ganz ein, es ist das Allerbeste, gar nichts zu sein!
[BM.01_102,07] Wegen der dummen Beschimpfung von Seite dieser Chinesin aber bin
ich nun schon wieder in vollster Ordnung, d.h. ich habe ihrer Dummheit alles
verziehen. Aber daß ich weisermaßen mich mit ihr für die Zukunft eben nicht zu
viel abgeben werde, dessen kannst du völlig versichert sein. Denn da ich schon
einmal als ein Esel deklariert wurde, werde ich als solcher auch nicht zum
zweiten Male aufs Eis gehen!“
[BM.01_102,08] Spricht Borem: „Bruder, du hast schon recht, aber rede nur nicht
zu laut. Denn die Chanchah gibt nun auf jede deiner Bewegungen und Mienen mit
den schärfsten Augen acht. Weißt, es ist in ihr durchaus nichts Böses, aber
dafür ein desto größerer Drang, über das Heer von Mysterien ihres Landes hier im
Geisterreiche ins klare zu kommen. Darum bietet sie denn auch alles auf, um hier
wenigstens über den wichtigsten Punkt ihres Glaubens ins klare zu kommen.
[BM.01_102,09] Wie diese Chinesin, so pflegen sich alle jene Menschen hier zu
benehmen, in deren Lande auf der Erde oft die krassesten und zahllosen
Geheimnisse bezüglich des Hierseits zu Hause sind. Das ist an und für sich eine
sicher sehr löbliche Eigenschaft dieser Menschen. Aber man muß mit ihnen dennoch
äußerst behutsam zu Werke gehen. Sie gleichen sehr ausgehungerten Menschen auf
der Erde, denen man auch nicht gleich anfangs gestatten darf, sich aus einer
Schüssel nach dem großen Appetit vollsatt zu essen, sondern erst nach und nach,
weil sie sonst an ihrer Gesundheit großen Schaden erleiden würden.
[BM.01_102,10] Es ist allerdings wahr und löblich, daß diese auf der Erde in
großer Finsternis gehaltenen Menschen einen nun hier unmäßigen Hunger und Durst
nach endlicher Enthüllung ihrer zahllosen Geheimnisse haben. Aber alle diese
Geheimnisse, durch die eben dieser Menschen Phantasie und Dichtergabe im
höchsten Grade genährt ward, sind bei ihnen mit solchen Bildern und Ideen
ausgestattet, daß sie zur inneren Schöpfung geworden sind und nahezu völlig ihr
gesamtes Wesen ausmachen.
[BM.01_102,11] Würde man ihnen hier gleich mit dem reinsten Lichte kommen, würde
sie dieses völlig vernichten, da es ihr eigenes Wesen so gut wie völlig auflösen
möchte. Daher muß man mit ihnen beinahe so verfahren wie mit einem alten,
schadhaften Hause, wo man auch nur teilweise mit Ausbesserungen zu Werke gehen
muß, will man das Haus nicht mit einem zu allgemein kräftigen Angriffe vollends
zerstören. So aber ein Haus zerstört ist, ließe sich freilich ein neues in
gleicher Form erbauen mit ganz neuen Bestandteilen. Aber mit einem Menschen geht
es nicht: da müssen alle seine Bestandteile verbleiben, ansonsten er vollends
aufhört, ein und derselbe Mensch zu sein.
[BM.01_102,12] Ich hoffe, du hast mich nun verstanden, und so sei nun nur auf
deiner Hut. Rede und tue besonders mit diesen Chinesen nichts, als was der Herr
mir und dir anzeigen wird, so wird alles in der besten Ordnung gehen. Auch mußt
du den Herrn wie auch mich vor diesen Menschen nichts laut fragen, sondern bloß
nur im Herzen. Es wird dir dann schon ins Herz die Antwort gelegt werden
gleichwie mir. Auch ich frage fortwährend den Herrn, was hier und da zu tun ist.
Und der Herr zeigt mir dann auch augenblicklich an, was ich zu tun und
nötigenfalls auch laut zu reden habe!
[BM.01_102,13] Gib nun nur acht, die Chinesin naht sich dir. Denke nicht, was du
reden möchtest, sondern frage nur im Herzen sogleich den Herrn, und Er wird es
dir sogleich ins Herz legen, was du zu reden hast! Nun weißt du alles; handle
darnach, so wird alles gut gehen. Aber beleidigen darf es dich in keinem Falle,
so du von der Chanchah noch einige Male als ein wirklicher Esel begrüßt werden
wirst!“
103. Kapitel – Die gesegnete Frucht der Demütigung Martins.
[BM.01_103,01] Spricht Bischof Martin nun in seinem Herzen: „Ich danke dir mit
aller Liebe meines Herzens, daß du mich in so wichtigsten Dingen klar wie bisher
noch nie unterwiesen hast! Jetzt fange ich erst so ein bißchen mich auszukennen
an, was das heißt: ein innerer Mensch sein und als solcher reden und handeln!
Nun wird mir auch klar, was bei meinem ersten Hiersein unter der Leitung des
Herrn ein Mondbewohner zu mir gesagt hat, dem ich lächerlichsterweise meine
Blitzdummheit als himmlische Weisheit anbinden wollte.
[BM.01_103,02] Ja, Bruder, nun geht mir ein ganz neues Licht auf! Ich erschaue
nun Wirklichkeit, wo ich früher noch Wunderhaftes, nur dieser Welt
Eigentümliches gesehen zu haben wähnte. Ich danke dir, du lieber Bruder, und
ganz besonders ewig Dir, Du mein Gott, Herr und Vater; ja, jetzt wird es
freilich gut gehen! In dieser Verfassung nun dürfen tausend Chinesinnen zu mir
kommen, und ich werde sie alle auf die allerbeste Art bedienen!“
[BM.01_103,03] Spricht heimlich wieder Borem: „Ja, so ist es; aber du mußt dich
sehr zusammennehmen! Denn es gehört anfangs eine recht starke Überwindung dazu,
daß man mit dem Munde schweigt, wo einem die Zunge aus lauter angewohnter
Plauschwut förmlich aus dem Munde springen möchte.
[BM.01_103,04] Manchmal legt einem der Herr aus sicher höchst weisen Gründen die
Antwort auch nicht augenblicklich ins Herz, wie man sie oft haben möchte. Aber
da heißt es dann, in aller Liebe und Ergebung ganz ruhig und gelassen abwarten,
bis es dem Herrn gefällt, die erwünschte Antwort uns ins Herz zu legen!
[BM.01_103,05] Also diese Verhaltungsregel noch hinzubeachtet, liebster Bruder,
dann wird alles überaus gut gehen! Nun aber rüste dich; siehe, sie ist schon
völlig bei dir, die dich nun überaus scharf beobachtet hat!“
[BM.01_103,06] Spricht Bischof Martin im Herzen: „Jetzt kommt sie sicher mit
einer ganzen Legion Esel in aller Wirklichkeit. Ich aber werde sie alle
ertragen, gleich wie der freie Weltenraum das endlose Heer von Sternen, Erden
und Sonnen erträgt, ohne dabei müde zu werden. In Deinem Namen, Herr, mag nun
kommen, was da wolle! Auf meinem geduldigsten Rücken soll nun so manches Kreuz
und Kreuzlein ganz bequem Platz finden, ich werde es schon ertragen in aller
Liebe und Geduld. Also nur zu jetzt im Namen des Herrn!“
104. Kapitel – Aussöhnung zwischen der Chinesin und Martin. Vom Beleidigen und
Vergeben im chinesischen Geiste.
[BM.01_104,01] Chanchah tritt nun vor Bischof Martin hin, lächelt ihn
liebfreundlich an und spricht mit einer gar überaus freundlichen und dabei
wahrhaft jungfräulich zart bebenden Stimme: „Liebster Freund, du hast dich
ehedem ganz stillschweigend von mir entfernt, als ich dir meine sicher sehr zu
entschuldigende Mutmaßung über deine Wesenheit vorhielt, da du mir keine Antwort
gabst auf meine Frage. Ich schließe daraus, daß dich meine Mutmaßung sicher
mächtig beleidigt hat? Ist das der Fall, so vergib mir, nachdem du mich zuvor
nach deinem Wohlgefallen zur Genüge wirst gezüchtigt haben. Sei mir dann nur
wieder gut, denn ich gebe dir die heiligste Versicherung, daß ich dich darauf um
gar nichts fragen und dich noch weniger je mit einem Blick oder Wort beleidigen
werde.
[BM.01_104,02] Meines Landes Glaube und Sitten, für die ich nicht kann, sind von
der Art, daß man die in ihrem Verstande etwas einfachen Menschen für Tiere hält.
Ich habe hier eine solche Entdeckung an deinem Verstande zu machen geglaubt und
hielt dich demnach auch für ein Tier. Ich aber habe mich nun dagegen überzeugt,
daß du das bei weitem nicht bist, für was ich dich törichtermaßen hielt.
[BM.01_104,03] Ich bereute sogleich meinen Irrtum und wollte dir zu Füßen
fallen. Aber da ich sah, wie du mit deinem Bruder sicher etwas Wichtiges zu
reden hattest und ich dich nicht stören wollte, so wartete ich, bis du dich
selbst von diesem Bruder würdest entfernen. Da nun aber der von mir sehnlichst
erwünschte Moment eingetroffen ist, so tue ich nun, was ich lange schon hätte
tun sollen: ich falle dir zu deinen himmlischen Füßen und bitte dich um eine
gerechte Züchtigung und darauf um Vergebung aller meiner Schuld an dir, du
herrlicher Großbürger aller Himmel!“ Mit diesen Worten fällt sie dem Martin zu
den Füßen.
[BM.01_104,04] Martin aber, ganz gerührt von der anmutigsten Bittstellerin,
spricht: „O du rein himmlische Chanchah, ich bitte dich, stehe nur gleich auf!
Was fällt dir denn ein! Ich – dich – du Himmlische – züchtigen? Ich, der ich
dich vor lauter Liebe gerade aufessen oder ganz in mein Leben hinein verdrücken
möchte! Glaubst denn du, ich sei etwa auch so ein unbarmherziger Chinese? Oh,
davor behüte mich ewig der große, heilige, wahrhaftigste Lama! Stehe nur schnell
auf, denn so kann ich dich keine Minute lang sehen, du meine himmlische
Chanchah!“
[BM.01_104,05] Chanchah steht nun schnell wieder auf und spricht: „O du lieber
Freund, in deinem Lande müssen doch viel bessere Menschen sein als in dem großen
Reiche, in dem ich zur Erde geboren ward. Denn siehe, bei uns geht es mit dem
Vergeben einer angetanen Beleidigung eben nicht so leicht, wie du es mir so
übergut gezeigt hast.
[BM.01_104,06] So man bei uns jemanden beleidigt hat, heißt es dann, sich vor
ihm aufs Angesicht niederwerfen und den Beleidigten dadurch um die Vergebung der
Beleidigung anflehen, daß man ihn zuerst um eine gerechte Züchtigung, ja bei
schweren Beleidigungen sogar um den Tod bittet und darauf erst um die
Nachlassung der Schuld. Denn sie sagen und glauben dort alle: Eine Beleidigung
kann man nur durch eine körperliche Gegenbeleidigung vollkommen wieder
gutmachen. Ist dadurch die Beleidigung ausgeglichen, dann erst kann der
Beleidiger seinen beleidigten Züchtiger bitten, ihm auch im Herzen zu vergeben.
[BM.01_104,07] Siehe, also sieht es bei uns aus! Daher darf es dir auch nicht zu
wunderlich vorkommen, so du an mir vielleicht noch so manches entdecken wirst,
was mit deines Landes Sitten nicht im Einklang stehen wird. Denn bei uns sind
die Gesetze sehr alt und unendlich streng. Wehe dem, der es da wagen würde,
diese uralten Gesetze auch nur im geringsten mildernder auszulegen, indem das
noch ganz unverändert dieselben Gesetze wären, die der Lama Selbst dem ersten
Menschenpaare aus den Himmeln erteilt habe.
[BM.01_104,08] Aber weißt du, liebster Freund, bei euch hier sind die Gesetze
sanft und liebevoll. Da brauche ich mich, nachdem ich wahrscheinlich ewig nichts
mehr werde mit den Gesetzen meines Landes zu tun haben, auch sicher nimmer
darnach zu halten haben. Ich werde mich daher nach euren Gesetzen richten und
werde da sicher nie fehlen! Was meinst du in dieser Hinsicht?“
105. Kapitel – Das himmlische Gesetz der Liebe und seine beseligende Wirkung.
[BM.01_105,01] Spricht Bischof Martin: „O meine geliebte Chanchah, ich meine, da
wirst du ganz recht haben. Nur muß ich dir hier offen bekennen, daß wir Bürger
der Himmel eigentlich gar keine Gesetze haben, sondern völlig gesetzlos ein
allerfreiestes Leben in Gott, unserm Herrn, dahinleben. In Gott, dem Herrn,
dahinleben aber heißt – in aller Liebe leben ewig. Die Liebe macht alles frei
und kennt außer sich selbst kein Gesetz. Daher haben wir hier auch kein Gesetz
als allein das der Liebe, welches Gesetz aber kein Gesetz ist, sondern nur die
ewige vollkommenste Freiheit aller Wesen. Verstehst du das?“
[BM.01_105,02] Spricht die Chanchah: „Ja, ich verstehe es und bin nun überfroh,
daß ich solche gute Lehre verstehe. Wenn die Liebe – auch wo sie ganz geheim
gehalten werden muß – ein liebendes Herz schon so über alle Maßen glücklich
macht: wie glücklich müssen da erst jene sein, die unter dem alleinigen Szepter
der Liebe stehen und kein anderes kennen. Ja, ja, die Liebe, die Liebe – wo die
Gesetz ist, da freilich müssen alle Menschen unter solch einem Gesetze in aller
Seligkeiten höchster sich befinden!
[BM.01_105,03] Was nützt einem Menschen aller Glanz der Sonne, so ihm ihre Wärme
fehlt? Wozu alles Gold und Edelsteine, wenn in ihren Besitzern kalte, steinerne
Herzen eisknisternd pulsen? O Freund, du hast mir nun etwas Heiliges gesagt. Ich
beginne schon zu merken, was dein mir über alles teurer Freund damit hat
andeuten wollen, als er zu mir sagte: ,Deine Liebe zu mir wird dir alles
verraten!‘ Ja, ja, diese Liebe hat mir nun schon viel verraten und mein Herz
sagt es mir, sie wird mir noch viel mehr verraten!
[BM.01_105,04] Ich liebe euch aber auch mit aller Glut der Mittagssonne, und
ganz besonders jenen, der mir noch seinen Namen schuldig ist. Du mußt mir schon
vergeben, daß ich jenen, deinen Freund und Bruder, viel lieber habe als dich.
Ich weiß zwar nicht warum, da er im Grunde nicht schöner ist denn du und dein
Bruder Borem und hat nicht einmal ein schöneres Kleid. Aber es liegt in seinem
großen blauen Auge so etwas unbeschreiblich Anziehendes, und sein Mund hat so
einen sonderbar götterartigen Zug und Ausdruck, daß man gerade in die größte
Versuchung geführt wird, seine so endlos liebevolle Gestalt für das getreue
Ebenbild Lamas zu halten!
[BM.01_105,05] Ja, ich sage dir, wenn ich so mein Herz frage in aller seiner
Liebesglut zu diesem einen, so sagt es mir: ,O Chanchah, für mich ist das der
große, heilige Lama! Wer sonst wohl könnte so himmlisch reden, wer sonst mit
einem Worte einen Feigenbaum samt vollreifen Früchten erschaffen und ihn dann
der Ihn über alles, alles, alles liebenden Chanchah zum lebendigsten Zeichen
Seiner Liebe schenken? Wer sonst wohl auch könnte gar so liebe, herrliche Augen
und einen gar so überhimmlisch schönen Mund haben – als allein mein geliebtester
Herzens-Lama!‘
[BM.01_105,06] Weißt du, liebster Freund, so redet freilich nur mein Herz und
nicht auch mein Verstand. Obschon mein Verstand wohl auch sehr gerne der
schönsten Stimme des Herzens folgen möchte, so er sich nicht fürchten dürfte,
eine Sünde zu begehen. Denn der Verstand ist da, wo das Herz den größten Anteil
nimmt, eben kein zu strenger Richter und vergöttert gerne dasselbe, was des
Herzens ist.
[BM.01_105,07] Ebenso ist es auch bei mir nun: mein Herz vergöttert jenen
Herrlichsten, und der Verstand für sich täte nur zu gerne dasselbe, wenn er der
einzige Verstand wäre und nicht noch eine Menge anderer Verstande um sich hätte.
[BM.01_105,08] Aber ich werde mir bald aus den andern Verstanden nichts mehr
machen, sondern allein dem Verstande des Herzens folgen. Vielleicht werde ich da
eher zum rechten Ziele gelangen denn so! Wenn es hier ohnehin kein anderes
Gesetz als das der Liebe nur gibt, werde ich mit dem trocknen Verstande bald im
reinen sein. Was sagst du, liebster Freund, zu dem allem?“
[BM.01_105,09] Spricht Bischof Martin: „Allerliebste Chanchah, da läßt sich
vorderhand sehr wenig darauf sagen. Folge du nur deinem Herzen, da wirst du
keinen zu krummen Weg einschlagen. Mit der Weile wird dann schon auch deinem
Verstande ein rechtes Licht werden. Mehr kann ich dir nun wahrlich auf all deine
schönsten Worte nicht sagen.“
106. Kapitel – Martin in der Klemme durch die weiteren Fragen Chanchahs.
[BM.01_106,01] Spricht Chanchah: „O liebster Freund, weißt du, ich habe dich
wohl überaus lieb, kann dich aber um nicht viel weiteres fragen, da ich mir
vorgenommen habe, dich fürderhin nicht so leicht wieder mit irgendeiner
vielleicht zu wenig klug berechneten Frage zu belästigen. Aber dessenungeachtet
mußt du mir hier folgende Bemerkung doch einmal wieder zugute halten:
[BM.01_106,02] Siehe, ich merke aus deiner Rede wie aus deiner Miene nur zu gut,
daß du allzeit ganz absonderlich verlegen wirst, so oft ich mit dir in was immer
für einer Beziehung von deinem himmlischen Freunde und Bruder mich zu besprechen
anfange. Woher wohl mag solche Verlegenheit rühren?
[BM.01_106,03] Bist du etwa darum eifersüchtig, weil mein Herz jenen weit über
dich hinaus bevorzugt? Oder bist du sein wahrer Freund und Bruder nicht so sehr,
als du es vorgibst? Ärgert es dich etwa heimlich in deinem Herzen, so jener bis
jetzt für mich noch namenlose Herrliche dich in jeglicher Art geistiger
Vollendung unberechenbar weit übertrifft? Oder ist dir etwa seine männlich
göttliche Schönheit im Wege? Magst du etwa seine Augen und seinen Mund nicht,
die freilich den deinigen samt deinen Augen ebenso übertreffen, wie seine ganze
erhabenste Wesenheit die deinige, obschon du bei weitem glänzender aussiehst als
er?
[BM.01_106,04] Siehe, lieber Freund, diese Fragen sind für mich von besonders
wichtiger Art. Ich sehne mich nach ihrer Beantwortung ebenso mächtig wie ein
Wanderer in einer heißen Sandwüste nach einem Labetrunke frischen Wassers, so
ihn ein brennender Durst quält. Daher, so du Liebe in deinem Herzen zu mir
empfindest, zaudere ja nicht, mir diese wichtigen Fragepunkte treuherzig zu
beantworten. Wirst du das nicht tun, so wird sich die Chanchah von dir wenden
und dich nimmer nach etwas fragen!“
[BM.01_106,05] Bischof Martin macht über diese Fragepunkte schon wieder ein
verdutztes Gesicht. Äußerlich macht er zwar eine Miene, als ob er nachdächte,
wie er der holden Chanchah auf die höflichste Art ihre Fragen beantworten
möchte. Innerlich aber wartet er ängstlich, ob Ich ihm nicht bald irgendeine,
natürlich über alles vortreffliche Antwort ins Herz legen würde. Ich aber lasse
den guten Martin auch diesmal aus wohlweisen Gründen ein wenig zappeln, wie ihr
zu sagen pfleget.
[BM.01_106,06] Da auf diese Art Martin die holde Chanchah schon eine ziemliche
Weile mit lauter vielversprechenden Gesichtern auf die erwünschte Beantwortung
warten läßt, wird diese schon etwas unwillig. Sie fängt ihn zuerst mit ihren
großen Augen vom Kopfe bis zum Fuße bedeutend zu messen an, was den Martin noch
mehr geniert und ihn um eine rechte Antwort noch verlegener macht.
[BM.01_106,07] Die holde Chanchah läßt den guten Martin noch eine kleine Weile
nachdenken, weil sie aus seinen weise scheinenden Mienen noch immer irgendeine
Antwort erwartet. Aber da von der erwarteten Antwort trotz aller gewisserart
vorbereitenden, weise scheinenden Gesichterschneidereien nichts zum Vorscheine
kommt, bricht ihr endlich die Geduld. Sie spricht:
[BM.01_106,08] (Chanchah:) „Lieber Freund und Bruder, ich sehe, daß du mir
entweder keine Antwort geben kannst, geben willst oder höchstwahrscheinlich gar
nicht geben darfst! Kannst du mir keine Antwort geben, so bist du zu
entschuldigen. Denn es wäre höchst unbillig, von jemandem mehr zu verlangen, als
er geben kann. Du wirst mich wohl verstehen, was ich damit sagen will,
vorausgesetzt, daß dir so viel Verständnis innewohnt!
[BM.01_106,09] Darfst du mir keine Antwort geben, bist du auch zu entschuldigen.
Denn da ist auch klar, daß sich hier jemand befindet, der dir aus einer ihm
innewohnenden Machtvollkommenheit genau vorschreibt, was du reden und nicht
reden darfst. In diesem Falle wäre es dann auch von mir eine Tollheit, von dir
über das Gesetz etwas zu verlangen; ich als eine Chinesin weiß wie nicht
leichtlich jemand anderer, Gesetze zu respektieren.
[BM.01_106,10] Willst du mir aber keine Antwort geben, obschon du vielleicht
solches tun dürftest und könntest, so bist du ein eifersüchtiger und sogar
böswilliger Mensch. Und dein glänzend Gewand ist gleich dem Fell einer sanften
Gazelle, innerhalb dessen sich aber dennoch eine reißende Hyäne birgt. In diesem
Falle bist du durchaus nicht zu entschuldigen und verdienst nichts anderes als
die vollste Verachtung meines Herzens.
[BM.01_106,11] Da du mir auf meine früheren wichtigen Fragen durchaus keine
Antwort gegeben hast, beantworte mir doch wenigstens einen oder den andern
dieser drei Fragepunkte, damit ich mich als ein Neuling in dieser Welt und
zunächst in deinem Hause zu benehmen weiß! Aber ich bitte dich aus dem tiefsten
Grunde meines Herzens: rede hier die Wahrheit und bleibe hier in keinem Falle
die Antwort schuldig!“
[BM.01_106,12] Martin wird hier noch zehnmal verlegener als bei den früheren
Fragen. Denn sagt er: ,Ich kann es nicht!‘ – so lügt er. Sagt er aber: ,Ich will
es nicht!‘ – so lügt er auch und zieht sich noch obendarauf die Verachtung
seiner vielgeliebten Chanchah zu. Sagt er aber: ,Ich darf es nicht!‘ – so setzt
er sich augenscheinlich der weiteren Frage aus, wer ihm solches verboten habe
und warum. Beide Fragen muß er dann notwendig beantworten, so er nicht beschämt
vor der Chanchah notgedrungen Reißaus nehmen will.
[BM.01_106,13] Als unser Martin durch diese drei letzten Fragen der Chanchah in
größte Verlegenheit gerät, komme Ich soeben von der Gesellschaft zur Chanchah
zurück und übernehme Selbst die Beantwortung der obigen drei Fragen, und dadurch
die Entschuldigung des über alles verlegen gewordenen treuherzigen Martin.
107. Kapitel – Des Herrn Belehrung an die fragelustige neue Himmelsbürgerin. Das
Gleichnis vom zugebundenen Sack. Martins Beruhigung.
[BM.01_107,01] Als Ich zur Chanchah von ihren Landsleuten zurückkehre, will sie
sogleich zu Mir. Sie beklagt sich über das Benehmen des Bischof Martin, und wie
sie sich nun nimmer auskenne, wie sie mit ihm daran wäre.
[BM.01_107,02] Da sage Ich zu Ihr: „Höre, Meine liebe Chanchah, du setzt aber
auch Meinem Bruder auf Brand und Leben zu! Bedenkst du nicht, welche geheimen
Weisungen ihm sehr leicht zu deinem ewigen Besten die äußere Zunge binden
könnten? Daher mußt du in Zukunft mit ihm, einem meiner edelsten Freunde, schon
ein wenig schonender umgehen, sonst bringst du ihn ja in die größte Verlegenheit
und machst seinem Herzen viel Kummer.
[BM.01_107,03] Siehe, was deine ersten allfälligen sechs Fragen betrifft, so ist
in diesem Freunde und Bruder wirklich nichts von alledem anzutreffen, was du von
ihm vermutet hast. Außer daß er aus einem sehr weisen Grunde notwendig ein wenig
verlegen wird, sooft du mit ihm dich von Mir besprechen willst. Aber seine
Verlegenheit hat einen ganz andern Grund als den, den du je vermuten möchtest.
Somit kann er dir auch keine Antwort geben auf deine Fragen, da in ihnen der
wahre Grund seiner Verlegenheit durchaus nicht zugrunde liegt.
[BM.01_107,04] Was aber deine drei letzten Fragen betrifft, so kann er sie dir
darum nicht beantworten, weil du den eigentlichen Grund seiner Verlegenheit in
deinen ersten Fragen nicht gefordert hast und auch nicht fordern konntest, da du
ihn doch selbst nicht kennen konntest. Hätte er dir daher was immer für eine
bejahende oder verneinende Antwort gegeben, so hätte er dir eine Unwahrheit
sagen müssen. Das aber ist hier im Himmelreiche eine barste Unmöglichkeit, denn
hier kann niemand eine Unwahrheit reden, so er sie auch reden wollte. Daher
blieb Freund Martin, der dich sehr liebt, denn auch stumm und wollte sich von
dir eher alles antun lassen, als dich, seine geliebte Chanchah nur mit einem
Wörtchen zu belügen! War das nicht sehr löblich von ihm?“
[BM.01_107,05] Spricht die Chanchah, auch etwas verlegen: „Ach, du herrlichster
Freund, wenn es so mit unserem Hausherrn sich verhält, dann freilich reut es
mich unendlich, so ich die Ursache manches sicher nicht unbedeutenden Schmerzes
seines Herzens war. Oh, wenn ich das nur wieder gutmachen könnte!
[BM.01_107,06] Ja, ja, es schmerzt mich ganz außerordentlich! Freilich kann ich
wohl auch nicht für all das. Denn du, mein herrlichster, mächtigster Freund,
siehst es ja auch, daß ich ein Fremdling bin und nicht weiß, was und wie man
hier fragen darf. Da du mir aber nun den Wink gegeben hast, wie man hier fragen
soll, werde ich mich in Zukunft schon darnach richten. Aber nur das sage mir,
warum man denn hier eigentlich auf eine plump und unklug gestellte Frage, in der
kein rechter Antwortgrund liegt, durchaus keine Antwort bekommen kann?“
[BM.01_107,07] Rede Ich: „Meine liebste Chanchah, siehe, das ist ganz einfach:
Du gäbest Mir einen Sack, fest zugebunden, mit der Bitte: ,Freund, löse mir den
Sack auf, und gib mir daraus tausend der schönsten Edelsteine!‘ Ich fragte dich
aber dann: ,Weißt du wohl ganz gewiß, daß sich in diesem Sacke tausend
Edelsteine befinden?‘ Du sprächest dann: ,Nein, das weiß ich nicht bestimmt,
sondern vermute es nur!‘
[BM.01_107,08] Siehe, so Ich aber daneben ganz bestimmt wüßte, daß in dem Sack
nicht nur keine Edelsteine, sondern ein verhärteter Unflut sich befindet, löste
aber dennoch nach deinem Willen den Sack und gäbe dir seinen schmählichen Inhalt
anstatt der tausend schönsten Edelsteine: – was wohl würdest du von Mir halten,
so du es dann dennoch erführest, daß Ich – obschon wohlwissend, was der Sack
enthalte – dich habe deiner Unwissenheit halber beschämen wollen? Würdest du
dann nicht sagen: ,Freund, so du wußtest, was der Sack enthielt, warum löstest
du ihn denn und sagtest mir nicht zuvor die Wahrheit?‘
[BM.01_107,09] Siehe, der gleiche Fall ist hier mit einer unsicheren Frage.
Diese ist auch ein Sack, fest zugebunden, den dir Martin auflösen soll und
herausgeben, was du verlangst. So aber das nicht darinnen ist, was du möchtest –
sage, was soll er da tun? Soll er den Sack lösen oder nicht? Soll er die
beschämen, die er so innigst liebt, die sein ganzes Herz nun in vollste
Beschäftigung versetzt? Was meinst du, holdeste Chanchah?“
[BM.01_107,10] Spricht Chanchah: „Ach ja, ach ja, mein geliebtester Freund, wenn
du redest, da freilich kommt mir alles ganz überaus klar vor, und ich sehe die
hohe Wahrheit von all dem ein, was du sagst. Aber nicht so ist es, wenn Freund
Martin redet! Je länger und je mehr er spricht, desto dunkler und
unbegreiflicher wird mir dann alles, wovon immer er spricht. So bin ich dann ja
genötigt, stets weiter und tiefer in ihn zu dringen durch allerlei Fragen, von
denen er mir aber auch noch nicht eine bestimmt beantwortet hat.
[BM.01_107,11] Würde er mir eine Frage so ganz bestimmt beantwortet haben, hätte
ich ihn dann sicher um nichts Weiteres gefragt. Oder hätte er es mir, wie du
nun, wenigstens gezeigt, wie man hier fragen muß, um eine Antwort zu erhalten,
ob man hier überhaupt fragen muß, um eine Antwort zu erhalten, oder ob man hier
überhaupt fragen darf! Aber siehe, mein herrlichster Freund, von alldem war beim
Martin keine Rede. Daher also magst du und Martin mich auch für entschuldigt
halten, so ich mich mit meinen, dem guten Freund Martin sicher lästig gewordenen
Fragen zu weit verirrt hatte.
[BM.01_107,12] Ach Freund, es ist hier aber auch sonderbar zu sein! Wo man das
Auge nur immer hinwendet, sieht man nichts als Wunder über Wunder. Ach, und
Wunder, von denen die Erde keine Ahnung hat! Wer sollte aber bei solchen
Erscheinungen, die er nicht versteht, nicht die Eingeweihteren fragen, was das
eine oder das andere bedeutet? Wer ist der, der solches tut? So hier der Himmel,
wo ist Lama, der ihn gegründet hat? Sage mir, du mein über alles geliebter
Freund, sind das nicht ganz natürliche und durch die wunderlichsten Umstände
dieses Seins überaus zu entschuldigende Fragen?!“
108. Kapitel – Gleichnis von der klugen Erziehung der Kinder.
[BM.01_108,01] Rede Ich: „Allerdings, Ich sage dir, Meine liebste Chanchah,
diese und noch viele tausend andere Fragen sind sehr zu entschuldigen. Aber
weißt du, es hat wie auf der Erde so auch hier alles seine Weile.
[BM.01_108,02] Siehe, auf der Erde sind die Kinder am naschhaftesten und auch am
wißbegierigsten. Sie sind fast beständig hungrig, möchten alles bis auf den
Grund wissen und fragen darum ihre Vertrauten auch in einem fort um allerlei
Dinge. Meinst du wohl, daß es gut wäre, die Mägen dieser Kleinen zu überladen
mit allerlei, darnach ihr sehr reizbarer Gaumen ein heftiges Verlangen verspürt?
Und ihre Neugierde durch die steten Beantwortungen alles dessen, darnach sie
fragen, zu befriedigen?
[BM.01_108,03] Siehe, weise Eltern legen da ihren Kindern einen rechten Zaum an
und lenken sie so natürlich und sittlich auf einer rechten Bahn zum schönen
Ziele der männlichen Entwicklung! Dumme Eltern hingegen, die ihren Kindern alles
gewähren, was sie ihren Augen nur ansehen, machen aus ihnen Affen statt
Menschen. Ihr zu strotzend genährtes Fleisch wird voll Sinnlichkeit und ihr
Geist träge und endlich ganz stumpf für alles Hohe, Gute und Wahre, wie es dir
auf der Erde besonders in deinem Lande tausendmal tausend Beispiele sicher nur
zu klar gezeigt haben.
[BM.01_108,04] Wie aber auf der Erde, also ist es auch hier der Fall. Es wäre
niemandem gut, sogleich alles zu genießen und zu erfahren, sondern erst nach und
nach, wie es eines jeden Aufnahmefähigkeit erheischt. So geleitet, werden dann
die hier jüngsten Kindlein stärker und stärker und können von Weile zu Weile
mehr ertragen, bis sie zum Empfange des Allerhöchsten stark genug und tauglich
werden.
[BM.01_108,05] Und ebenso wirst nun auch du samt allen, die du hier erschaust,
erzogen von uns dreien. Daher füge dich nur ganz geduldig in alles, so wirst du
leicht und bald alle deine Fragen dir selbst vollkommen beantworten können! Bist
du nun zufrieden mit dem?“
109. Kapitel – Der Chinesin Kernfrage und des Herrn sehr kritische Gegenfrage.
Geschichte der Morgen- und Abendblume.
[BM.01_109,01] Der Martin macht bei dieser Meiner Belehrung an die liebe
Chinesin ein überaus fröhliches Gesicht und dankt mir über die Maßen in seinem
Herzen.
[BM.01_109,02] Chanchah aber spricht: „O du herrlichster Freund meines Herzens,
meines Lebens! Du hast ja freilich wohl nur zu recht in jeglichem Worte, das
deinem Munde entstammt. Dennoch kann auch die Chanchah nichts dafür, daß sie
eines so wißbegierigen Geistes Kind ist. Aber ich, deine arme Chanchah, werde
von nun an mein Herz bezähmen und werde sein gleich einer Blume des Feldes, die
durch Licht und Wärme der Sonne Lamas sich entfaltet und, durch die Tautropfen
der Morgenliebe Lamas genährt, endlich auch ihre Fruchtgefäße mit reichen Samen
des Lebens füllt.
[BM.01_109,03] Ach, der große, heilige Lama muß wohl endlos gut, weise und
mächtig sein, da alles, was Er gemacht, so übergut und weise eingerichtet ist!
Ach, ach, wenn ich nur einmal das endloseste Glück genießen dürfte, Ihn nur von
fernhin zu erschauen auf wenige Augenblicke nur! O sage mir, du Herrlichster,
werde ich dieses größten Glückes wohl je gewürdigt werden? Wenn es nur einmal
geschähe – gleichviel wann –, so will ich mich für alle ewigen Zeitläufe
vollkommen zufriedenstellen und will alles willig befolgen und tun, was ihr mir
nur immer vorschreiben wollet. Aber nur dazu gebt mir eine gute und gerechte
Hoffnung!“
[BM.01_109,04] Rede Ich: „O du liebes Kindchen du! Ich sehe es schon, daß dir
dein Lama am meisten am Herzen liegt. Und das ist überaus löblich von dir. Aber
du sagst auch Mir immer – und Ich erkenne es aus deinen Augen und Reden –, daß
du Mich auch über die Maßen liebst. Nun möchte Ich denn doch von dir erfahren,
ob du Mich oder deinen Lama mehr liebst! Frage darüber dein Herz und sage es Mir
dann!“
[BM.01_109,05] Chanchah wird hier sehr verlegen und schlägt die Augen nieder.
Ihr Herz aber entzündet sich stets mehr und mehr in der Liebe zu Mir, was sie
nur zu mächtig fühlt. Daher kommt sie, die sonst nur zu Gesprächige, diesmal mit
keiner Antwort zum Vorschein. Nach einer Weile frage Ich sie abermals, ob sie
Mir solches nicht kundgeben könne. Da spricht sie, wie mit sehr beklommenem
Gemüte:
[BM.01_109,06] (Chanchah:) „O du mein Augapfel, o du Feueraltar meines Herzens!
Siehe, als ich auf der Erde noch zu Hause war an der Seite meiner Mutter und war
ein Mädchen von etlichen 13 Sonnenjahren, da fragte ich die Mutter, wie man es
denn ganz eigentlich anstellen solle, um den heiligen Lama über alles zu lieben.
[BM.01_109,07] Da sprach die recht weise Mutter: ,Höre, du meine geliebte
Tochter: Pflanze im Garten zwei gleiche Blumen, eine gegen Morgen – diese weihe
dem Lama – und die andere gegen Abend, und diese weihe den Menschen. Pflege
beide gleich und sieh, wie sie wachsen und sich entfalten werden. Wird die
Abendblume besser gedeihen als die Morgenblume, so wird das ein Zeichen sein,
daß du die Welt mehr liebst als den heiligen Lama. Wirst du aber an den beiden
Blumen das Gegenteil bemerken, da ist deine Liebe zum Lama stärker als die zu
den Menschen.‘
[BM.01_109,08] Ich tat sogleich, was mir meine weise Mutter riet. Da ich aber
fürchtete, die Blume Lamas möchte etwa vor der der Menschen zurückbleiben,
pflegte ich sie heimlich doppelt mehr als die der Menschen. Aber siehe, trotz
meines großen Eifers in der Pflege der Blume Lamas blieb sie dennoch zurück in
der Entwicklung!
[BM.01_109,09] Ich sagte das alles der Mutter. Diese beruhigte mich durch ihre
weise Lehre, indem sie sagte: ,Sieh, du mein liebstes Töchterchen; der Lama hat
dir dadurch anzeigen wollen, daß du Ihn, der im ewig unzugänglichen Lichte
wohnt, nur dadurch über alles lieben kannst, so du die Menschen wie dich selbst
liebst. Denn wer die nicht liebt, die er doch sieht, wie kann er den Lama
lieben, den er nicht sieht?‘
[BM.01_109,10] Darauf begoß ich dann die Abendblume öfter denn die Morgenblume,
und siehe, da wucherte die Morgenblume gewaltig vor der Abendblume! –
[BM.01_109,11] Und geradeso verfahre ich nun! Du bist nun meine Abendblume, und
mein Herz für Lama ist die Morgenblume. Dich begieße ich nach aller Kraft, da
ich in dir den vollkommensten Menschengeist entdecke, und mein Herz wuchert ganz
gewaltig – aber leider nicht mit Lama, sondern mit dir, mit dir!
[BM.01_109,12] Du bist ein wahrer Lama meines Herzens geworden! Was aber dazu
der große Lama zu Seiner Zeit sagen wird, das wird Er auch am besten wissen! Ich
muß dir dazu noch bekennen, daß mir darob sogar mein überaus zartfühlendes
Gewissen gar keine Vorwürfe macht! Was sagst du Herrlichster nun aber dazu?“
[BM.01_109,13] Rede Ich: „Meine geliebte Chanchah, Ich habe eine Weile auf deine
Mein Herz überaus erfreuende Antwort harren müssen. So mußt du nun auch ein
bißchen warten auf eine recht schöne und gute Antwort. Aber da freue dich, was
Ich dir erst für eine schönste Antwort geben werde; sie soll dir bald werden!“
110. Kapitel – Zurüstungen zu einem himmlischen Fest. Martins erste Reise mit
der Himmelspost.
[BM.01_110,01] Unterdessen aber wende Ich Mich zu Martin und Borem und sage zu
ihnen geheim: „Freunde und Brüder, nun habt ihr Gehilfen und Gehilfinnen in
Menge. Gehet daher hin, stellet den großen Tisch in des Saales Mitte und
besetzet ihn wohl mit Brot und Wein. Nehmet auch vollreife Früchte von diesem
Feigenbaume und leget sie zahlreich neben Brot und Wein auf den Tisch! Denn
nachdem Ich zuvor mit Meiner allerliebsten Chanchah noch einige Worte wechseln
werde, wollen wir nachher allesamt eine gute Labung, Stärkung und Nahrung zu uns
nehmen! Geht und erfüllet diesen Meinen Wunsch und Willen!“
[BM.01_110,02] Die beiden danken Mir in ihrem Herzen für diesen Auftrag und
gehen dann, die anbefohlene Sache sogleich in Ordnung zu bringen. Martin beruft
sogleich die nun gereinigten Patres aus all den schon kundgegebenen Orden.
Ebenso auch die Nonnen, die mit dem Auftragen der Speisen, d.h. des Brotes und
Weines, und die Herz-Jesu-Damen, die besonders mit Herbeischaffung der Feigen
beauftragt sind, während zuvor die Patres den großen Tisch, der hier auch ohne
Schreiner entstand, nach Anordnung der beiden zurechtstellen.
[BM.01_110,03] Die hundert Chinesen sehen dieser Bewegung mit gespanntester
Aufmerksamkeit zu, denn sie wissen noch nicht, was daraus werden soll. Besonders
befremdet die plötzliche Herbeischaffung des großen Tisches, von dem früher
nirgends eine Spur zu entdecken war. Denn die ebenso plötzliche Entstehung des
Feigenbaumes wundert sie nicht mehr gar so mächtig, indem sie sich durch die
längere Beschauung schon mehr und mehr daran gewöhnt haben.
[BM.01_110,04] Ebenso staunen auch die vielen irdischen Eltern, besonders jene
der Herz-Jesu-Damen, über die plötzlich entstandene Tätigkeit in diesem Saale.
Sie sind etwas ängstlich dabei, weil sie auch nicht fassen können, was da am
Ende herauskommen wird. Denn sie können vor Volksmenge, die sich nun um den
Tisch sehr geschäftig macht, nicht erschauen, wie dieser reichlichst mit Brot,
Wein und Feigen besetzt wird.
[BM.01_110,05] Als der Tisch bestellt ist, begeben sich alle Diensttuer wieder
auf ihre sanften Ruheplätze zurück. Martin und Borem in Begleitung der einen
Herz-Jesu-Dame – d.h. derjenigen, die zuerst als Frosch sich ins Meer stürzte in
ihrem Innern – kommen aber wieder zu Mir und zeigen Mir an, daß nun alles
bereitet ist.
[BM.01_110,06] Ich aber sage: „Es ist alles gut. Gehet aber nun auch hinaus an
den Zaun des Gartens und seht, ob niemand da sei, der noch an dieser Mahlzeit
teilnehme! Gella (Herz-Jesu-Dame) aber bleibe unterdessen hier bei Mir und höre,
was Ich nun Meiner liebsten Chanchah für schöne Dinge sagen werde. Also sei es,
Meine Brüder!“
[BM.01_110,07] Die beiden gehen sogleich hinaus und erstaunen nicht wenig, als
sie den Garten in der größten himmlischen Üppigkeit antreffen und dabei von
einer so großen Ausdehnung, daß ihnen beinahe Hören und Sehen vergeht und
Martin, sich über alles stark verwundernd, spricht:
[BM.01_110,08] (Bischof Martin:) „O Bruder, da werden wir hübsch weit
herumzugehen haben, bis wir da alle diesen ungeheuren Garten umgebenden Zäune
absteigen werden! Wahrlich, dieser Garten muß ja schon eine größere Ausdehnung
haben denn ein größtes Königreich auf der Erde! O Herr, o Herr, das ist
unendlich, das ist unbegreiflich; ja, so etwas kann wahrlich nur im Himmel
vorkommen!
[BM.01_110,09] O Gott, o Gott, da sieh gegen Morgen hin, die Allee! Welch
herrlichste Baumreihen! Und, Bruder, siehst du irgendein Ende dieser Allee? Ich
erschaue keines, und von irgendeiner Einzäunung ist gar keine Spur zu entdecken!
No, Bruder Borem, mit unserer gewöhnlichen Fußbewegung werden wir beide zu tun
haben, nur einmal irgendwo an einen Zaun zu kommen. Und dann den ganzen Zaun
abgehen – o Herr, das wird ein ganz löbliches Stückchen von einer Kommotion non
plus ultra sein!
[BM.01_110,10] Aber das macht nichts; des Herrn Willen vollziehen ist ja allzeit
die größte und seligste Lust und Freude, und so freue ich mich auch auf die
Bereisung dieses Gartens! Aber Bergsteigen werden wir auch: dort gegen Mittag
entdecke ich ja Berge von bedeutender Höhe. Und, o sapprament, da sieh gegen
Abend und Mitternacht, das sind ja Gebirge, wie auf der Erde sich wohl noch nie
jemand etwas Ähnliches hatte träumen lassen! Ah, ah, diese Spitzen, diese
ungemein schönen Spitzen! Bruder, ist das alles noch innerhalb des Zaunes
unseres Gartens?“
[BM.01_110,11] Spricht Borem: „Allerdings, denn der Garten erweitert sich ja wie
unsere Liebe zum Herrn und zu unsern Brüdern und Schwestern. Aber weißt du,
Bruder, im Verhältnis zur himmlischen Ausdehnung dieses unseres Herrn Gartens,
den Er für uns so herrlich zubereitet hat, gibt es aber auch eine eigene Art
himmlischer Bewegung, die da ist dreifach: erstens eine natürliche mit den Füßen
so wie auf der Welt. Zweitens eine schwebende, d.i. die seelische, die da hat
die Schnelligkeit der Winde. Und endlich drittens eine plötzliche, d.h.
geistige, welche ist gleich einem Blitz und gleich dem Fluge eines Gedankens.
[BM.01_110,12] Diese dritte Art der Bewegung wird nur im äußersten Notfalle
gebraucht. Daher wollen wir hier von dieser auch keinen Gebrauch machen, wohl
aber von der Bewegung der zweiten Art, mit der wir hier schon auslangen werden.
Das Mittel zu dieser Bewegung aber ist unser fester Wille. Daher dürfen wir bloß
nur wollen in des Herrn Namen, und sogleich werden wir in dieser Himmelsluft uns
ganz frei schwebend befinden. Wohin wir dann ziehen wollen, dahin auch wird es
mit Windesschnelle vorwärtgehen. – Also wolle du nun, und es wird gehen!“
[BM.01_110,13] Martin will nun, was Borem ihm gezeigt hat, und sogleich schweben
beide in der freiesten Himmelsluft und machen eine erste Bewegung gegen Morgen,
worüber Martin eine solche Freude hat, daß er sich ordentlich nicht zu helfen
weiß.
111. Kapitel – Des Herrn Gegengleichnis: die zwei Menschenpflanzen im Garten der
Liebe Gottes. Gottes Menschwerdung.
[BM.01_111,01] Ich aber öffne unterdessen Meinen Mund zu Chanchah und auch zu
Gella und rede also: „Meine herzlichste, liebste Chanchah, du hast Mir ehedem
ein gar herrliches Wort gegeben, das darum um so herrlicher war, weil du es aus
der Tiefe deines Herzens genommen hast. Ich versprach, dir ein noch herrlicheres
entgegenzubringen, und siehe, nun bin Ich zu diesem Zwecke da und will Mein
Versprechen erfüllen. So höre Mich nun ganz geduldig an! Erwarte aber ja nicht
irgendeine lange Rede; denn siehe, Ich rede allzeit nur kurz und pflege stets
mit wenigen Worten vieles zu sagen.
[BM.01_111,02] Du gabst Mir ein Bild von der Pflege deiner Morgen- und
Abendblume, und das war gar lieblich. Ich aber gebe dir dafür ein anderes
Morgen- und Abendbild, und dieses besteht darin:
[BM.01_111,03] Siehe, gleich wie du deine Blumen, also pflanzte auch der große,
gute Lama im endlosen Garten Seiner Liebe zwei Menschen: den einen gen Morgen
für Sein Herz – und nachher auch den andern gen Abend für Seine Weisheit! Den
ersten nährte Er mit aller Seiner Gottheit, auf daß er würde so herrlich wie
Lama Selbst und Lama an ihm ein allerhöchstes Wohlgefallen hätte! Aber siehe,
dieser erste wurde dadurch übermütig, wollte nicht gedeihen, sondern fiel vom
Lama ab und verachtet Ihn bis jetzt noch über alle Maßen – obschon der Lama ihn
noch stets mit offenen Armen und Herzen aufnehmen möchte!
[BM.01_111,04] Da dieser erste Mensch also nicht geraten wollte, stellte der
große Lama bald darauf den zweiten gen Abend, d.h. in die Welt, und pflegte
diesen nicht minder. Aber auch dieser verkümmerte eigenwillig. Da reute es den
Lama, daß Er den Menschen erschaffen hatte; darum wollte Er auch wieder
vernichten solch ein Werk, gleichwie ein Töpfer ein Geschirr, das ihm nicht
geraten will.
[BM.01_111,05] Lama aber fragte da Seine Liebe, und diese stellte sich für die
Mißratenen; Er Selbst ward Mensch, um dem Menschen ein rechtes Vorbild zu sein.
[BM.01_111,06] Die mißratenen Menschen aber ergriffen Ihn und töteten den
Gottmenschen, obschon sie den Gott in Ihm nicht töten konnten. Nur wenige
erkannten Ihn und nahmen Seine Lehre in ihr Herz. Zahllos viele aber, obschon
sie von Ihm hören, glauben doch nicht und nehmen Seine Lehre nicht an, auf daß
sie Seine Kinder würden und dann sein möchten wie ihr ewiger Vater!
[BM.01_111,07] Was meinst du wohl, was soll nun Lama solchen Menschen tun? Soll
Er sie wohl noch länger dulden und ertragen?
[BM.01_111,08] Siehe, so groß ist Seine Liebe zu diesen Menschen, daß Er noch
tausend Male stürbe für sie, so es möglich und gedeihlich wäre! Und doch wollen
sie Ihn nicht mehr lieben denn die nichtige Welt, sondern vergessen Seiner
lieber ganz und gar, um desto gewissenloser der Welt anhängen zu können. –
[BM.01_111,09] O Chanchah, sage, was wohl verdienen solche Menschen? Soll sich
Lama wohl noch länger ihren hartnäckigen Trotz gefallen lassen oder soll Er sie
verderben?“
[BM.01_111,10] Spricht Chanchah: „O Freund, du meine Liebe, das sind wohl recht
böse Pflanzen Lamas und verdienten eine übergroße Strafe! Aber wenn Lama so
übergut ist, könnte Er da wohl diese Pflanzen abmähen und preisgeben dem Feuer,
wie Er es den Urvätern angedroht hatte? Ich meine, die Unendlichkeit, wie ich
nun zu erkennen anfange, ist doch groß genug, um solch ein Unkraut in seiner Art
aufzubewahren. Aber verderben möchte ich an der Stelle Lamas nichts, was einmal
Leben hat! – Meinst du nicht auch so, mein allergeliebtester Freund?
[BM.01_111,11] Rede Ich: „Ja, ja, du Lieblichste, dieser Meinung bin Ich wohl
und tue es auch so! Aber warte nun ein wenig: bald werden die beiden Brüder ganz
sonderbare Gäste hereinbringen, und Ich werde sehen, was du zu diesen sagen
wirst. Daher fasse dich; denn da wirst du etwas äußerst Seltsames ersehen und
vernehmen!“
112. Kapitel – Satan als Ungeheuer im Saal. Das stärkende Mahl. Gella erkennt
den Herrn.
[BM.01_112,01] Nach einer kurzen Weile geht die Tür des Saales auf. Martin wie
Borem haben jeglicher eine starke Kette in der Hand und ziehen, an diese zwei
Ketten fest angeschlossen, ein über alle Beschreibung gräßlich aussehendes
Ungeheuer herein. Ihm folgen noch eine Menge kleinerer Ungeheuer, die an
Gräßlichkeit dem Hauptungeheuer nichts nachgeben.
[BM.01_112,02] Als Chanchah und Gella diese fürchterlichst aussehenden Gäste
ersehen, prallen sie von zu großer Angst ergriffen jählings zurück. Chanchah
schreit wie aus einer betäubenden Ohnmacht:
[BM.01_112,03] (Chanchah:) „O Lama, Lama, um Deines heiligsten Namens willen,
was taten denn wir Armen Dir, daß Du uns nun so gräßlich von dem allerbösesten
Ahriman und seinem ärgsten Gesindel willst verderben lassen?! O du, mein
herrlichster Freund, so es dir irgend möglich ist, rette uns und dich und
verderbe es womöglich! O schrecklich, schrecklich, was das doch für zornglühende
gräßliche Gestalten sind!“
[BM.01_112,04] Rede Ich: „O Chanchah, fürchte dich nicht! Die Ungeheuer, die du
hier siehst, sind in unserer Macht – und nimmer wir in der ihrigen! Solches
ersiehst du ja leicht daraus, weil sie trotz ihrer freilich immensen
Gräßlichkeit dennoch von den beiden Brüdern gebändigt werden.
[BM.01_112,05] Also fürchtet euch nicht, sondern gehet mit Mir den beiden
entgegen und höret da, wie diese Bestien bei Meiner Annäherung ganz entsetzlich
werden zu brüllen anfangen. Sehet, wie furchtbar sie sich winden und bäumen
werden. Aber das alles erschrecke euch nicht! Denn Ich allein bin mächtig genug,
zahllos viele solcher Ungeheuer mit einem Blicke völlig zu vernichten, so wie
Ich ehedem diesen Feigenbaum in einem Augenblicke habe hier entstehen lassen. –
Daher folget Mir nur mutigst! An Meiner Seite seid ihr für ewig sicher, denn
keine Macht kann Mir Trotz bieten!“
[BM.01_112,06] Ich gehe nun Martin und Borem entgegen, da sie mit dem Ungeheuer
sehr viel zu tun haben, um seiner Meister zu bleiben.
[BM.01_112,07] Martin spricht: „O Herr, das sind saubere Gäste; an diesen kannst
Du eine ganz absonderliche Freude haben! Diese werden sich machen für dies Haus
wie eine Faust aufs Auge! Es ist leider nichts anderes anzutreffen gewesen,
daher nahmen wir mit, was wir fanden. Ich muß aber offen bekennen: wenn das
nicht der leibhaftige Satan samt seinem schönen Anhang ist, so will ich aber
schon alles sein und heißen, was Du nur immer willst!“
[BM.01_112,08] Rede Ich: „Sei nur ruhig, Ich habe das schon vorgesehen! Es muß
so sein zu euer aller tiefsten Lehre und Ruhe. Wer das Allerhöchste erkennen
will, der muß nicht in Unkenntnis des Alleruntersten verbleiben. Bringet Mir den
Drachen näher!“
[BM.01_112,09] Die beiden ziehen an den beiden Ketten gewaltigst, aber es will
nicht weitergehen.
[BM.01_112,10] Martin spricht daher: „Herr, es ist rein unmöglich, dieses
Scheusal auch nur um ein Haar weiter vorwärts zu bringen!“
[BM.01_112,11] Rede Ich: „Also lasset es stehen; befestigt aber die Ketten an
den Säulen dieses Saales, und lassen wir es da eine Zeitlang vergeblich toben!
Wir aber gehen unterdessen an das vorbereitete Mahl, uns zu stärken für diesen
Kampf.“
[BM.01_112,12] Spricht Martin: „Ach ja, auf diesen unseren Ausflug wird uns eine
von Dir gesegnete Mahlzeit wahrlich nicht unvorteilhaft zustatten kommen! Es ist
nur gut, daß diese bestialischen Gäste im Hintergrunde unseres Saales
angefestigt sind, ansonsten ihr Anblick unserer Eßlust eben nicht zustatten
käme. Auch die sie umgebende Luft duftet nicht wie Rosen des Paradieses, sondern
wie Schwefel, Pech und Dreck untereinandergemengt. Gut, daß sie im Hintergrunde
sind!“
[BM.01_112,13] Rede Ich: „Gut, gut, Mein Bruder, gehe nun voran und berufe sie
zu diesem Mahle, das Ich für euch alle bereitet habe. Alle sollen daran gestärkt
werden zum ewigen Leben ihres Geistes!“
[BM.01_112,14] Martin geht nun schnell vorwärts und beruft alle zur Tafel, wo
Brot, Wein und eine große Menge der herrlichsten Feigen ihrer harren.
[BM.01_112,15] Alles erhebt sich auf den Ruf des Martin und geht gar bescheiden
und gelassen zum großen Tische.
[BM.01_112,16] Als nun all die vielen Gäste dabei anwesend sind, richten alle
ihre Augen auf Mich. Denn sie halten Mich – bis auf Martin und Borem – alle noch
für einen Abgesandten Gottes und wissen noch nicht, daß Ich Selbst als der Herr
Mich unter ihnen befinde. Daher meinen sie nun auch, Ich als ein Abgesandter des
Herrn werde ihnen nun große und wichtige Dinge verkünden.
[BM.01_112,17] Aber Ich sage sonst nichts als: „Kindlein, esset und trinket
alle, jeder nach seinem Bedürfnisse. Lange schon ist alles wohl gesegnet für
alle, die Gott lieben und ihre Brüder und Schwestern gleich wie sich selbst!“
[BM.01_112,18] Auf diese Worte schreien alle: „Hochgelobet sei unser großer Gott
im Vater, Sohne und Geiste; Ihm allein alle Ehre, alles Lob und aller Preis
ewig!“
[BM.01_112,19] Darauf greifen alle nach dem Brot und Weine und die Chinesen nach
den Feigen; einige aber versuchen auch das Brot und es schmeckt ihnen besser
denn die Feigen.
[BM.01_112,20] Chanchah und Gella, die bei Mir stehen, aber wissen nicht, ob sie
Brot und Wein oder pur Feigen genießen sollen.
[BM.01_112,21] Da sage Ich ihnen: „Meine Kinder, esset, was euch am besten
schmeckt; alles wird euch stärken zum ewigen Leben!“ – Die zwei greifen nun auch
nach dem Brote und Chanchah findet es unendlich wohlschmeckend. Nicht minder
auch Gella, die jedoch die Bemerkung macht:
[BM.01_112,22] (Gella:) „Ich meinte, daß das Himmelsbrot so wie die Hostien
schmecken würde?“
[BM.01_112,23] Ich aber sage ihr: „Gella, nun bist du im Himmel am Tische des
Herrn und nicht auf der Erde am Tische Babels! Daher denke nun auch, was des
Himmels, und nicht, was des irdischen Babels ist, dessen Herr sich dort im
Hintergrunde befindet!“
[BM.01_112,24] Gella erschrickt über diese Worte und es kommt ihr vor, als ob
Ich am Ende etwa Selbst der Herr wäre.
[BM.01_112,25] Ich aber vertröste und beruhige sie mit den Worten: „Gella, wenn
es auch so wäre, was du nun in dir ahnst, so sei aber dennoch der andern willen
ruhig und denke dir: Gott, dein wie aller Herr, ist kein unzugänglicher, sondern
ein ewig Sich allertiefst herablassender, liebevollster Vater aller Seiner
Kinder und ist unter ihnen wie ein am wenigsten glänzen wollender Bruder! –
Verstehst du das, liebes Töchterlein?“
[BM.01_112,26] Spricht die Gella: „O mein, mein, Herr – mein Gott – mein Vater!“
[BM.01_112,27] Chanchah merkt das und fragt sogleich die Gella: „Ach Schwester,
wem wohl galten deine bedeutungsvollsten Worte? Ist etwa gar irgendwo Lama unter
uns?! O rede, daß ich hineile zu Ihm und dort vergehe vor Ehrfurcht und Liebe!“
[BM.01_112,28] Ich aber beruhige Chanchah sogleich damit, daß Ich ihr verheiße,
auch sie werde den Lama bald erkennen und erschauen, und damit ist sie auch
zufrieden.
113. Kapitel – Der vorlaute Martin in der Wäsche – „Wer der Erste sein will, der
sei aller Diener!“
[BM.01_113,01] Es werden aber auch einige andere stutzig über das Benehmen der
Gella, wie zuletzt auch der Chanchah. Und einer fragt den andern, wer Ich etwa
doch so ganz eigentlich wäre, da Ich, obschon Ich nicht der vorgebliche Hausherr
wäre – was eigentlich doch nur der Martin sei –, dennoch täte, als wäre Ich der
eigentliche Hausherr und Martin sowie Borem bloß nur Meine allerergebensten
Diener.
[BM.01_113,02] Als Martin solche Frageregsamkeit unter vielen der anwesenden
Gäste bemerkt, geht er sogleich hin und sagt zu ihnen: „Höret mich an, liebe
Brüder und Schwestern! Wisset ihr denn nicht, wie das Wort Gottes lautet? Hat
nicht der Herr Selbst also geredet und gesagt: ,Wer von euch der Erste sein
will, der sei der Geringste unter euch und sei euer aller Knecht!‘? Meinet ihr
denn etwa, hier im Himmel bestehe eine andere Ordnung als die, die der Herr
Selbst auf der Erde gezeigt, gelehrt und geoffenbart hat?
[BM.01_113,03] O, ich sage es euch, hier ist erst eigentlich derjenige Platz, wo
die auf der Welt vom Herrn Selbst gelehrte und geoffenbarte Ordnung von Punkt zu
Punkt lebendigst erfüllt wird! Daher fraget euch nicht viel: ,Wer das? Warum
so?‘, sondern esset und trinket nun nach euerm Bedürfnisse. Und dann danket
allein Jesu, dem Herrn, dafür, alles andere werdet ihr schon zur rechten Weile
erfahren!“
[BM.01_113,04] Sagen die Angeredeten: „Freund, was du nun uns gesagt hast, war
wohl recht weise. Aber siehe, das wissen wir wohl – Gott sei Dank – auch! Daher
hast du uns mit deiner Belehrung wahrlich keinen wesentlichen Dienst erwiesen.
Auch wissen wir, daß wir hier von diesem gesegneten Mahle so viel verzehren
dürfen, als es uns nur immer schmeckt. Daher hättest du, lieber Freund, dir auch
die Mühe ersparen können, uns zum Weiteressen aufzufordern! Denn wir sind der
Überzeugung, daß auch hier im Gottesreich ein jeder Geistmensch oder
Menschengeist seinen eigenen Magen hat. Der weiß es sicher am besten, ob, wo und
wie ihn der Schuh drückt, und wieviel er in sich aufnehmen kann. Du ersiehst
daraus, daß du dir diese überflüssige Geschäftigkeit leicht hättest ersparen
können!
[BM.01_113,05] Wohl wissen wir nun, daß im Reiche Gottes nur der Diener aller
der Größte ist. Unter ,aller Diener und Knecht sein‘ aber verstehen wir im
entgegengesetzten Falle zugleich das Allerhöchste, d.h. in der Liebe, in der
Weisheit, wie auch in der Kraft. Denn wo zu wenig Liebe, ist auch zu geringe
Tatlust, die doch eine hauptsächliche Eigenschaft des Allerdieners sein wird!
Also muß zweitens der Allerdiener von höchster Weisheit erfüllt sein; denn mit
so manchen Weisheitslücken wird es ihm mit der Allerdienerschaft auch schier
nicht am besten vonstatten gehen. Und drittens sind wir alle der festen
Überzeugung, daß der Allerdiener auch allerkräftigst und allmächtigst sein
müsse, um ein Allerdiener sein zu können.
[BM.01_113,06] Freund, hältst du dich etwa im Ernste für solch einen letzten,
geringsten Allerknecht, Allerdiener? Wahrlich, so bei dir das der Fall wäre,
würden wir dich sehr bedauern. Wir sind darin alle nun eines Sinnes, nämlich:
daß eine solche Allerdienerschaftsstelle nur ganz allein der Herr versehen kann!
Was meinst du in dieser Hinsicht?“
[BM.01_113,07] Martin ist über diese Entgegnung wie vom Blitze getroffen. Er
weiß nun nicht, was er den weisen Rednern erwidern solle und steht ganz
verblüfft vor ihnen. Der eine aber sieht seine Verlegenheit und spricht zu ihm:
[BM.01_113,08] (Der eine Redner:) „Bruder, gehe du ganz ruhig und getrost an
deinen früheren, sicher allerbesten Platz! Halte dich nur genau an Jenen, der
uns allen nun sehr stark ein wahrster Allerdiener zu sein scheint, so wirst du
nie in Verlegenheit kommen! Aber so du manchmal auf eigene Faust Rechnung
machst, kann es dir noch oft so geschehen wie jener aberwitzigen Fliege, die auf
dem Rücken des starken Pferdes, das einen großen Lastwagen zog, den Schweiß
schlürfend – am Ende zu glauben anfing, daß sie den Wagen ziehe. Als aber dann
das Pferd eine Rast nahm, mußte die Fliege mit großer Beschämung gewahr werden,
wie gar nichts ihre vermeintliche große Kraft gegen die kolossale Kraft eines
Pferdes ist. Daher kehre nur zu jenem Kräftigsten zurück: mit Ihm kannst du
schon ziehen, aber ohne Ihn, Freundchen, tut's sich auf keinen Fall!“
[BM.01_113,09] Martin kehrt nun eiligst zu Mir wieder und spricht: „Aber Herr,
die haben mich gewaschen, ganz gehorsamer Diener! Nein, so knapp hat mir noch
nie jemand meinen Mund gestopft. Aber man kann ihnen nichts einwenden; sie haben
leider recht!“
[BM.01_113,10] Rede Ich: „Da sieh den Borem an! Siehe, er tut nie etwas ohne
Meinen Auftrag und rennt daher nirgends an. Du aber möchtest dich manchmal so
ein bißchen hervortun, und da rennst du an! Ja, Mein lieber Martin, hier muß man
die Gäste ganz anders behandeln als auf der Erde. Sonst stößt man leicht auf
einen, den man belehren möchte, an dem man aber am Ende gewahr werden muß, daß
man ihm nicht einmal die Schuhriemen lösen kann! Wie oft wirst du wohl noch
anrennen müssen, bis du klug wirst?“
[BM.01_113,11] Spricht Martin: „O Herr, man sagt, ein Esel ginge nur einmal aufs
Eis, dann hätte er genug. In mir müssen schon aller Esel Seelen vereinigt sein,
von denen jede einmal den schlüpfrigen Versuch machen will – sonst müßte ich ja
um Deines heiligsten Namens willen doch schon weiser geworden sein!“
[BM.01_113,12] Rede Ich: „Nun, es ist schon alles wieder gut. Gib nur fein acht,
was Ich will, dann wirst du ewig nimmer anrennen! Nun aber labe dich nur wieder
mit Brot und Wein, damit du recht stark wirst, jenen Gast mit Borem hierher zu
ziehen!“
114. Kapitel – Vom formwechselnden Wesen Satans. Ein Wink über den Charakter
Martins. Der Neulinge Ahnung von der Nähe des Herrn. Chanchahs demütiges
Schuldbekenntnis.
[BM.01_114,01] Nun spricht Chanchah ganz betroffen: „Ach du meine Liebe – werden
alle diese Gäste den gar zu gräßlichen Anblick jenes Ungeheuers wohl ertragen?
Und wird es uns wohl nichts Arges antun können? O Lama, Lama, das wird ein
gräßlichstes Schauspiel werden! Siehe, wie es sich schon entsetzlich zu winden
und bäumen beginnt! Ach Lama, welch ein grauenhaftester Anblick! Welche Wut,
welch furchtbarer Grimm sprüht aus seinen gräßlichen Feueraugen! O du Freund,
wenn dies Ungeheuer erst hier sein wird vor uns, wer wohl wird es wagen, es
anzusehen?“
[BM.01_114,02] Rede Ich: „Sei nur ruhig: dieser Gast kann alle Gestalten
annehmen, wie er sie gerade zu seinem vermeintlichen Vorteil zu brauchen wähnt.
Aber wir werden ihm hier das Rauhe schon herunterarbeiten, wenigstens auf eine
Weile! Daher fürchte dich nicht, es wird schon alles gut gehen.“
[BM.01_114,03] Spricht Chanchah: „O liebster Freund, o du meine Liebe, auf dich
habe ich wohl – wie auf den Lama – mein größtes Vertrauen; aber auf Bruder
Martin halte ich dennoch keine gar zu großen Stücke! Denn er tut so vorlaut.
Wenn es jedoch dann an irgendeinen Ernst kommt, zieht er sich aber bald so
zurück, als wäre er dem bei weitem nicht gewachsen, was er ausführen sollte oder
wollte. Daher meine ich, er wird beim Hierherführen jenes schaurigsten
Ungeheuers leicht wohl mehr Ungünstiges als Günstiges bewirken. Borem wohl, der
ist ein Mann voll Weisheit und voll gerechter Kraft, auf den kann man schon
bauen! Martin aber ist und bleibt ein Pehux (schußliger Mensch), der sich viel
zutraut, aber dann nichts vermag, so es ernstlich darauf ankommt!“
[BM.01_114,04] Rede Ich: „Mein Liebchen, du hast freilich nicht ganz unrecht;
aber er füllt dennoch seinen nunmaligen Platz vollkommen aus. In der großen
Ordnung Lamas sind auch solche Wesen nötig, die ohne viel Nachdenken sich gleich
über eine Sache hermachen, ob sie derselben gewachsen sind oder nicht. Das
bewirkt, daß dann auch andere angeeifert werden, auch etwas zu tun, und oft viel
klüger als derjenige, der ohne viel Überlegung den Anfang machte! Die gar zu
Weisen sind nicht selten zu mückenfängerisch. Sie getrauen sich oft aus lauter
Tiefsinn nicht, eine Sache anzugreifen, solange nicht alle ihre Weisheitsgründe
für eine Sache ganz auf ein Haar passen. Und so müssen auch Martins sein, die
weniger Weisheit, aber dafür einen großen Tateifer in sich tragen, der oft
besser ist als zuviel Weisheit. Daher sei du wegen Martin nur ganz ruhig; er
wird seine Sache schon recht machen, so er sie nach Meinem Auftrage angreift und
vollzieht.“
[BM.01_114,05] Spricht Chanchah: „Ach ja, das sicher! Daß du hier der Weiseste
bist, ist nur zu einleuchtend meinem Herzen. Aber daß ich noch immer nicht weiß,
wer du ganz eigentlich bist, dies einzige ist mir nicht recht an dir! Sieh, du
sagtest jüngst zu mir, als ich dich bloß nach dem Namen fragte, daß meine Liebe
zu dir mir schon alles verraten werde. Aber wie unbegreiflich mächtig ich dich
auch liebe, so kann ich's aber doch von nirgend erfahren und noch weniger aus
mir selbst, wie du heißt und wer du eigentlich bist. O du mein über alles
geliebter Freund, o sage mir doch deinen Namen!“
[BM.01_114,06] Rede Ich: „Liebste, holdeste Chanchah! Siehe, an dem alleinigen
Namen liegt vorderhand ohnehin nichts, so du noch nicht erkennen kannst, was
alles an den Namen gebunden ist. Wenn du aber auf alles, was Ich rede, recht
gemerkt hättest, wärst du mit Mir schon so ziemlich im reinen! Gib aber von
jetzt an auf alles acht, was und wie Ich reden werde, und wie die andern zu Mir
und mit Mir reden werden, und was auf Mein Wort, wenn Ich etwas gebiete, sich
alles gestalten wird, dann werden wir beide uns leicht und bald näher erkennen.
Aber nun sei standhaft und unerschrocken. Denn Martin und Borem haben von Mir
schon den Wink erhalten, das Ungeheuer hierher zu führen. Siehe, sie lösen dem
Tobenden bereits die Ketten!“
[BM.01_114,07] Chanchah wird nun ganz stumm. Gella aber tritt mutig zu ihr und
spricht: „Chanchah, wenn dir die endlose Kraft und Macht dieses Freundes wie mir
bekannt wäre, würdest du dich an Seiner Seite wohl vor tausend solchen
Ungeheuern weniger fürchten denn vor der kleinsten Mücke!“
[BM.01_114,08] Chanchah erschrickt förmlich und spricht hastig: „Schwester, was
sprichst du! Ach, rede fort, rede von ihm, den ich so endlos liebe! Kennst du
ihn? Kennst du diesen Herrlichsten – o so rede, rede schnell! Sollte etwa meine
geheime Ahnung an ihm sich erwahren?! O Lama, dann ist Chanchah entweder das
glücklichste Wesen der Himmel oder aber das unglücklichste der Unendlichkeit!
[BM.01_114,09] Denn siehe, ich bin eine gar große Sünderin vor Lama, da ich in
meinem Lande einmal einen Verrat an seinen vorgeblichen Boten verübt habe, die
dann alle übel um ihr Leben gekommen sind. Waren sie wirklich Lamas Boten, dann
wehe mir, so meine große Ahnung sich hier erwahrt! Denn von dem auf ewig
verstoßen zu sein, den man so unendlich liebt – o Schwester, kennst du noch eine
größere Qual? Nur dann, so jene von mir Verratenen Frevler, Betrüger und somit
keine Boten Lamas waren – was ich jedoch nicht entscheiden kann –, dann freilich
würde mir des Allgerechtesten Antlitz sicher erträglicher sein! Daher rede,
rede; doch, ach Schwester, rede nicht – denn zu unerträglich könnte mein Herz
deine zu frühe Enthüllung durchbohren! Oh, laß mich noch eine Weile in süßer
Ungewißheit schwelgen!“
[BM.01_114,10] Mit diesen Worten sinkt sie wie ohnmächtig zu Meinen Füßen. Ich
aber stärke sie und richte sie vollends wieder auf.
115. Kapitel – Ergreifende Versöhnung zwischen dem Jesuiten Chorel und Chanchah.
Des Herrn Freude über Chanchahs Liebe.
[BM.01_115,01] Im selben Momente aber kommt eben derjenige Jesuit, den die
Chanchah verriet, mit noch einigen seiner Kollegen, fällt vor Mir auf die Knie
und spricht:
[BM.01_115,02] (Ein Jesuit:) „O Herr, o Vater, nun erst haben unsere Herzen Dich
erkannt! O vergib uns unsere so lange Blindheit, die es nicht zuließ, Dich so zu
erkennen, wie Du bist – so gut, so sanft, so mild, so endlos herablassend!“
[BM.01_115,03] Rede Ich: „Stehet auf, Kindlein, und machet nun kein Aufsehen;
denn es gibt noch welche, die Mich noch nicht vollends erkennen dürfen ihrer
Freiheit wegen. Ihr wisset, daß der Töpfer am besten weiß, wann es Zeit ist, den
Topf von der Drehscheibe zu heben. Bleibt nun hier und bezeuget, was Übels jener
Drache an euch getan hat, den Martin und Borem soeben hierher ziehen. Du,
Chorel, aber zeige dich nun auch hier dieser Chanchah, die dich einst in China
an den Kaiser verriet, und die nun hier ob ihrer übergroßen Liebe sich Mir
zunächst befindet, aus welcher Nähe sie schwerlich die Ewigkeit verdrängen
wird!“
[BM.01_115,04] Chorel befolgt sogleich Meinen Auftrag und stellt sich gar
freundlich der Chanchah vor. Diese erkennt ihn sogleich und erschrickt vor ihrem
vermeintlichen Ankläger.
[BM.01_115,05] Chorel aber fragt sie: „Chanchah, warum erschrickst du vor mir?
Tatest du nicht, was dein Gewissen dir gebot? Ich selbst habe dich ja gelehrt,
daß das nur Sünde sei, was ein Mensch tut wider die Stimme seines Gewissens;
denn des Gewissens Stimme ist Gottes oder Lamas Stimme in uns. Du achtetest mich
anfangs ja sehr hoch, da du in mir und meinen Gefährten wirkliche Boten Gottes
ersahest. Später aber entdecktest du durch deinen weiblichen Scharfsinn an uns
einen Hochverrat und brachtest es durch deine List am Ende dahin, daß wir dich
in unser Vorhaben einweihten. So war es dann ja sogar deine Pflicht als eine
Chinesin, mit allem Eifer unser böses Vorhaben anzuzeigen und dadurch viel
Unheil von deinem Vaterlande abzuwenden.
[BM.01_115,06] Obschon wir dann schrecklich gezüchtigt wurden, bist du dennoch
nicht im geringsten schuld daran, sondern allein wir selbst, darum wir den
heiligen Zweck unserer Sendung in einen so schmählichen Unfug verkehrt haben!
Denn wären wir, und besonders ich, dem Zweck unserer Sendung treu geblieben,
würdest du wohl eine der eifrigsten Christinnen geworden sein, samt einer Menge
deiner Stammesverwandten. Da wir aber nur zu bald – von den großen Schätzen
deines Landes geblendet – unserem heiligen Zweck abhold wurden, verloren wir
dann auch alles samt unserem wenig werten Leben.
[BM.01_115,07] Du ersiehst daraus gar leicht, daß wir alle unmöglich gegen dich
eine Anklage haben können, sondern eher das Gegenteil zu befürchten hätten.
Somit hast du, holdeste, treuherzigste Chanchah, vor uns wohl ewig nie den
leisesten Grund zu erschrecken, da doch wir mit Grund vor dir nicht erschrecken,
die du uns wohl anklagen könntest! Vergib uns aber, du Geliebte des
Allerhöchsten, damit wir endlich frei von aller Schuld Dem nahen dürfen, dessen
Namen unsere Zungen ewig nimmer wert sind auszusprechen!“
[BM.01_115,08] Chanchah ist über dies Bekenntnis Chorels innigst gerührt und
spricht: „O liebe Freunde, hier in diesen Hallen gibt es keine Schuld mehr; und
gäbe es eine, so tilgt sie für ewig meine Liebe zu Lama! Denn mein Herz sagt
mir: ,Deine Liebe zum Lama – ist Lama Selbst in dir!‘ Freunde, diese heilige
Liebe kennt keine Schuld, sondern überall nur liebe Brüder und Schwestern, und
das auch dann, wenn diese noch in ihrem Irrtume wandeln! Meine Anklage gegen
euch aber sei: daß ich euch alle liebe und achte wie mein eigenes Leben! Habt
ihr dagegen etwas einzuwenden?“
[BM.01_115,09] Chorel und seine Kollegen weinen freudig über diese herrlichen
Worte Chanchahs und Chanchah weint mit.
[BM.01_115,10] Ich aber wende Mich zur Chanchah und sage: „Du herrlichste Blume
Meines Herzens, komm her und lasse dich umarmen! Wahrlich, solch eine Liebe ist
überaus selten und kaum eine so rein!
[BM.01_115,11] O du Lieblichste, du bist nun endlos glücklich, da du Mich so
sehr gewonnen hast. Aber auch Ich als dein Geliebter bin überglücklich, da Ich
in dir, einer Heidin, eine Liebe gefunden, dergleichen in der Christenheit außer
einer Magdalena und der Mutter Meines Fleisches kein drittes Beispiel
aufzuweisen ist!
[BM.01_115,12] O Chanchah, Chanchah, du hast es weit gebracht, noch weißt du
nicht, wie weit! Aber die jüngste Weile wird dich in eine Tiefe versetzen, von
der du noch keine Ahnung hast! Deine Augen sollen noch eine kurze Weile gehalten
sein, damit du dann desto seliger werden sollst. Daher gedulde dich noch eine
kurze Weile! – Nun aber fasset euch alle; die beiden ziehen den Drachen hierher
schon über die Mitte des Saales und werden sogleich mit ihm hier sein!“
116. Kapitel – Eine Szene mit Satan zur Belehrung der Gotteskinder. Martins
Wortgefecht mit Satan. Martin in der Enge. Des Herrn Rat.
[BM.01_116,01] Martin schreit schon von weitem: „Herr, hilf uns, hilf uns! Die
Bestie tut uns sonst Übles an; mit aller Kraft können wir uns ihrer kaum mehr
bemächtigen!“
[BM.01_116,02] Rede Ich: „Satan, gehorche deinem Herrn!“
[BM.01_116,03] Brüllt der Drache: „Dir gehorche ich nimmer! Keinen Herrn erkenne
ich über mir!“
[BM.01_116,04] Rufe Ich: „Willst du Meinem Vaterworte nicht gehorchen, so wirst
du wohl Meiner Allmacht keinen Trotz bieten können, was du schon so oft erfahren
hast! Ich rufe dich daher noch einmal als Vater und Herr und sage: Hierher komme
und rechtfertige dich!“
[BM.01_116,05] Brüllt der Drache: „Nein, nein, nein! Dir gehorche ich nimmer;
denn ich allein bin der Herr der Unendlichkeit, und Du bist, was Du bist, nur
durch mich!“
[BM.01_116,06] Rufe Ich: „Satan, trotze Gott, deinem ewigen Schöpfer, nicht
länger, sonst erreicht dich hier dein ewig unerbittlichstes Gericht!“
[BM.01_116,07] Brüllt abermals der Drache: „Ich, Dein Herr, will Dir und Deinem
elendsten Gerichte ewigen Trotz bieten! Schaffe mich von dieser Stelle, so Du es
vermagst!“
[BM.01_116,08] Nun ergreife Ich ihn mit der Macht Meines Willens, schleudere ihn
samt seinem Anhang vor Mich und halte ihn so, daß er daliegt wie tot!
[BM.01_116,09] Martin fragt ihn schnell, warum er (der Drache) jetzt nicht
getrotzt habe.
[BM.01_116,10] Ich aber sage: „Lasset ihn nun, bis er zu sich kommt; da soll es
sich zeigen, was er nun vorbringen wird!“
[BM.01_116,11] Spricht Martin: „O Herr, nur jetzt möchte ich meiner Zunge auf
kurze Frist freien Lauf lassen, um diesem über alle menschlichen Begriffe
dümmsten Wesen einige wohlgenährte Wahrheiten hinters Ohr zu schleudern! Wie ich
nun auf diesen ungeheuren dümmsten Trotzbold erpicht bin, kann ich gar nicht
aussprechen! Vor seiner höchst lächerlichen, greulich dümmsten Gestalt scheue
ich mich schon ganz und gar nicht, sondern ich muß darüber nur – freilich
ärgerlich – lachen!“
[BM.01_116,12] Rede Ich: „Wenn du schon eine gar so große Passion hast, es mit
Meinem Erzfeinde aufzunehmen, so versuche immerhin dein Glück; aber sieh zu, daß
du nicht den kürzern ziehen wirst! Es soll ihm zu dem Behufe bloß die Zunge
freigelassen sein. Denn würde Ich ihn ganz frei lassen, da würde er mit dir wie
ein Löwe mit einer Mücke spielen! Ja, Ich sage dir, ohne Mich würde seiner
Kraft, die er noch hat, wohl die ganze Schöpfung keinen Trotz bieten können!
Aber bloß mit seiner Zunge, die nun gelöst ist, kannst du es schon ohne Schaden
versuchen, ob du ihrer Meister wirst. Somit fange nur an, deine scharfen
Wortpfeile hinter seine Ohren zu treiben!“
[BM.01_116,13] Martin tritt nun ganz mutig und knapp vor den Rachen des Drachen
und fängt an, folgende Beißfragen an ihn zu richten: „Höre, du allerdümmstes
Vieh der ganzen Unendlichkeit! Was willst du von Gott mit deinem alten,
allerlächerlichsten Trotze denn erstreben? Sind einige Ewigkeiten noch nicht
hinreichend, dir zu zeigen, daß du das allerdümmste Luder der ganzen
Unendlichkeit bist?! Siehe, von einem Esel sagt man doch, daß er nur einmal aufs
Eis tanzen gehe. Was soll man aber von dir sagen, du uraltes, alle Welten, Vieh
und Menschen betrügendes Mistvieh! Ist dein Saugehirn denn noch nicht genug
ausgebacken worden im Höllenfeuer durch einige Dutzend Dezillionen Jahre oder
Ewigkeiten – vorausgesetzt, daß deine unendliche Dummheit von einer Dezillion
einen Begriff hat? Gib Antwort, dümmstes Luder, wenn du eine Antwort geben
kannst!“
[BM.01_116,14] Spricht der Drache: „Höre, du naseweiser Blindkopf! Ein Löwe ist
kein Mückenfänger. Und ich als ein urgesetzter Geist bin wahrlich in meinem
größten Elende zu großherzig, mich mit einem Nomadengeiste abzugeben! Dir
vergebe ich aber schon darum gerne, da du auf der Erde ja ein guter Arbeiter für
mein Reich warst. Also nichts für ungut, mein lieber Martin!“
[BM.01_116,15] Diese Erwiderung bringt den Martin ganz außer sich. Kaum hat er
noch Fassung genug, solch eine Geringschätzung seiner Person zu ertragen und die
schließliche Anklage anzuhören. Er holt daher sehr tief Atem und spricht:
[BM.01_116,16] (Martin:) „O du elendster Bösewicht, wie kannst du es wagen,
mich, einen Bürger des Himmels, hier in der vollsten Gegenwart Gottes so
schändlichst zu erniedrigen! Weißt du nicht, wie es geschrieben steht? Siehe,
also steht es: ,Wehe dem, der sich vergreifen wird an einem Meiner Gesalbten!‘
Ich, als ein Bürger der Himmel Gottes, werde etwa auch ein Gesalbter des Herrn
sein? Meinst du wohl, der Herr wird dir solch einen Frevel ungerächt lassen,
Elendster?!“
[BM.01_116,17] Spricht der Drache: „Höre du, Martin: Ich, den du allzeit den
Fürsten der Lüge gescholten hast, solange du auf der Erde lediglich in meinem
Solde standest und arbeitetest, habe dir in aller Gelassenheit nur die nackte
Wahrheit auf deine wahrhaft bübische Beschimpfung meines elendsten Wesens
erwidert. Und siehe, du als ein von Gott gesalbter Himmelsbürger fährst auf
ärger denn ein entzündetes Pulverfaß auf der Erde und warnst mich unter
Androhung göttlicher Rache, dein gesalbtes Haupt nicht anzutasten!
[BM.01_116,18] Sage mir aber, woher du das Recht hast, mich so zu beschimpfen
vor Gott?! Bin ich nicht wie du aus Gott, nur mit dem Unterschied, daß ich ein
unendlicher Teil aus Gott bin! Du aber ein Staub des Staubes am Staube aus mir
nur, vom Herrn wieder aufgeklaubt aus der Spreu vollster Nichtigkeit und
umgewandelt zu einem winzigsten Menschengeiste!
[BM.01_116,19] Hast du aber irgendeine Achtung vor Gott, so achte alles, was aus
Ihm ist und nicht allein dein gesalbtes Haupt, an dem dir mehr als am Herrn zu
liegen scheint! Oder hast du mit deinem gesalbten Haupte jene endlosen Urtiefen
der Gottheit so auf ein Haar ausgemessen, daß du dann mit ewigem Weisheitsgrunde
mir entgegentreten könntest und sagen: ,Warum bist du so, wie du nicht sein
sollst?‘
[BM.01_116,20] Kannst du mir beweisen, daß ich nicht so bin, wie ich aus dir
ewig unerforschlichen Schöpfungsgründen sein muß, auf daß du das Bißchen sein
kannst, was du bist? Oder gibt es wohl einen Töpfer, der ohne Drehscheibe einen
Topf macht? Was aber die Drehscheibe dem Töpfer ist, das ist alle Welt dem
Schöpfer. Ich aber bin die Materie aller Welt, somit auch die Basis. Ich bin
also der gefestete Gegensatz, durch den alles spezielle Werden und Sein erst
bedingt werden muß, um als solches sich in der Unendlichkeit manifestieren zu
können!
[BM.01_116,21] Du kannst daraus mit deinem gesalbten Haupte entnehmen, daß ich
in der großen Ordnung Gottes sicher auch notwendig bin. Und daß Gott durch meine
Urgestaltung sicher keine Unweisheit zum Grunde alles Seins und Werdens gesetzt
hat. Sage, daß es also ist – so du das einsiehst und Gott die vollste Achtung
geben willst! Wie siehst du denn mit deinem gesalbten Haupte nicht ein, daß du,
so du Gottes Werke lästerst, auch notwendig Gott Selbst lästerst und Ihn –
freilich in deiner verzeihlichen großen Dummheit – einen barsten Pfuscher
nennst?!
[BM.01_116,22] Daher, mein lieber Martin, sei du ruhig! Denn es werden wohl
viele Ewigkeiten verrinnen, bis du nur den dezillionsten Teil eines Atoms jener
unendlichen, tiefsten Verhältnisse zwischen mir und Gott fassen wirst! Übrigens:
muß es dir als einem gesalbten Friedensbürger der Himmel Gottes nicht sonderbar
vorkommen, von mir, Satan, Sanftmut zu lernen?
[BM.01_116,23] Martin, so du mir etwa doch etwas zu sagen hast, so rede! Aber
rede wie ein Weiser und nicht wie ein dümmster, ausgelassener Gassenjunge auf
der Welt. Bedenke, daß du hier vor Gott und Seinem größten urgeschaffenen Geiste
stehst, an dem dir höchstens nur seine Gestalt und sein dir ewig nie
begreifbarer Trotz deiner Dummheit halber ärgerlich auffallen!“
[BM.01_116,24] Martin stutzt nun ganz gewaltig und weiß nicht, was er sagen
soll. Er sieht bald Mich, bald wieder den Drachen an und fragt Mich geheim:
„Herr, was ist das? Was soll ich darauf dem Drachen erwidern? Er scheint mir
unbegreiflichermaßen in aller Tiefe der Tiefen am Ende auch noch recht zu
haben!?
[BM.01_116,25] Der Teufel – und recht haben, das paßt aber ja doch wie eine
Faust aufs Auge! Aber was soll ich da sagen, wenn der Teufel am Ende doch noch
recht hat?! Nein, wenn das nicht verfl - - hätte bald gesagt – ist, so will ich
doch alles heißen! Der – Teufel und recht haben!“
[BM.01_116,26] Rede Ich: „Du hast dich ja mit ihm in einen Wortkampf einlassen
wollen, also kämpfe nur noch weiter; denn vom Teufel darfst du dich nicht
besiegen lassen! Daher suche ihn nun zu bekämpfen nach deiner Lust. Rede sonach
weiter mit ihm und widerlege ihm, was er dir gesagt hat!“
[BM.01_116,27] Spricht Martin: „Oh, das wird eine schöne Widerlegung werden! O
je, o je! Ich – und der?!“
117. Kapitel – Martins Versuchung durch Satan in der verführerischen Gestalt der
Satana.
[BM.01_117,01] Nach einer Weile wendet sich Martin doch wieder zum Drachen und
spricht: „Höre, du unverbesserlicher Verderber alles Lebens, du Unwesen, du
alter Held der Geistesnacht und unbarmherzigster Todbringer aller armen Seelen!
Du redest wohl wie ein Grundweiser. Aber dein Wille ist es nicht, der dir so zu
reden gebietet, sondern deine nun tief empfundene Ohnmacht nur, in der du dich
durch die unendliche Macht des Herrn durch und durch ergriffen befindest! Wärest
du frei – tausend Leben setze ich da auf eins! –, da würdest du eine ganz andere
Rede führen!
[BM.01_117,02] Wohl weiß ich, daß du als ein erster, größter Geist voll Licht
und Klarheit aus Gott hervorgegangen bist. Deine Macht war eine, die alle Räume
durchdrang, und dein Licht strahlte wie ein Gottesauge! Aber ich weiß auch, daß
dich Gott nicht für den Fall, in dem du nun schon einige Ewigkeiten hartnäckig
verharrst, sondern nur für die allerhöchste Auferstehung des freiesten und
seligsten Lebens aus Sich hervorrief!
[BM.01_117,03] Sage – warum stehst du denn nicht auf solcher Stufe, auf der du
nach dem Willen Gottes stehen solltest? Warum bist du fortwährend der
allerschroffste Gegensatz des Gotteswillens? Warum willst du lieber in der
gräßlichsten Qual für ewig verharren, als zum Herrn, deinem Gott und Vater, dich
wenden, und als solch ein zurückgekehrter verlorener Sohn ein endloses Unmaß der
ewigen Vaterliebe genießen in aller Freiheit und höchsten Machtvollkommenheit!
Rede, wenn du dazu Weisheit in Genüge besitzest!“
[BM.01_117,04] Spricht der Drache: „Sieh, Martin, diese Fragrede ist schon bei
weitem vernünftiger als deine früheren und macht deinem Geiste Ehre. Da kommen
wirklich Dinge vor, die einer besseren Antwort wert sind! Aber weißt du, bevor
ich jemandem solche Punkte aus aller Tiefe der Tiefen beantworte, fühle ich
zuvor jedermann auf den Zahn, ob er wohl auch fähig ist, das zu fassen, was ich
ihm zur Antwort bringe!
[BM.01_117,05] Ich bitte darum den Herrn – so Er's will, daß ich dir darauf
antworten soll –, mir nur auf eine kurze Weile volle Freiheit zu gewähren. Und
zwar unter der heiligen Garantie, daß ich weder dir noch jemand anderem auch nur
ein Haar krümmen wolle! Wirst du meine Probe bestehen, so will ich dir alle
deine Fragen beantworten. Wenn nicht, so wird das ein Zeichen sein, daß du für
zu tiefe Weisheit noch lange nicht reif bist. Schließlich füge ich auch noch
bei, daß ich dir nur dann auf den Zahn fühlen werde, so du auf die Beantwortung
deiner Fragen dringst und es so willst! Nun entschließe dich!“
[BM.01_117,06] Martin wendet sich wieder an Mich und fragt Mich, was er tun
solle.
[BM.01_117,07] Rede Ich: „Wer ein Werk beginnt, der muß es auch vollenden; das
ist allen wahren Lebens erste Ordnungsregel. Daher mußt du schon tun, was dein
Gegner dir als Bedingung setzt. Aber Ich sage dir, sei fest! Denn dieser Geist
ist ein höchst schlauer Geist, und seine Prüfungen sind überfein gelegte
Fallstricke!“
[BM.01_117,08] Darauf Mich zum Drachen wendend, sage Ich: „Du bist frei auf
wenige Augenblicke; mißbrauche diese Gnade nicht!“
[BM.01_117,09] In diesem Augenblicke verschwindet der schauderhafteste
Drachenpanzer. Aus dem Panzerstaube erhebt sich eine so unendlich schöne
weibliche Gestalt, gegen die alle weiblichen Schönheiten der Sonne endlos weit
zurückweichen müssen! Eine Weichheit, die nichts Ähnliches aufzuweisen hat, eine
Rundung, ein Adel in allen Gliedern und Gelenken, eine unfaßbare Zartheit und
Weiße der Haut, wie der endlose Raum kein zweites Beispiel mehr hat. Auf dem
unendlich schönen Leibe sitzt ein Haupt, dessen majestätische Schönheit jede
Vorstellungskraft tief zurückläßt!
[BM.01_117,10] Als Martin diese Gestalt vor sich ersieht, diese für ihn nie
geahnte Schönheit, die ihn dazu noch überfreundlichen Blickes mit unendlich
zarter, wohlklingendster Stimme fragt:
[BM.01_117,11] (Satana:) „Nun, lieber Martin, so du es willst, will ich dir
deine Fragen beantworten. Aber sage mir nur zuvor, ob du mich wohl lieben
könntest, so ich dich lieben möchte mehr denn mein Leben! Könntest du mich
lieben und durch solche deine Liebe mich erretten von meiner dir wohlbekannten
endlos großen Qual? O Martin, rede, rede!“
[BM.01_117,12] Da ist Martin ganz weg. Er kann vor Staunen über Staunen zu gar
keinem Atem kommen. Die ungeheueren Reize dieses Wesens wirken so auf ihn ein,
daß er geradezu in ein förmliches Fiebern gerät! Vom Reden- oder Sprechenkönnen
ist vorderhand bei ihm nun keine Rede mehr. Er stammelt bloß einige verworrene
Laute und reißt Mund und Augen nur stets weiter auf. Jede Fiber seines Wesens
wird zur glühendsten Liebe zu dieser für ihn zu unerträglichen weiblichen
Schönheit.
[BM.01_117,13] Nach einer langen Weile dieses seines Stets-glühender-Werdens
schreit er (Martin) endlich aus allen Kräften: „O Himmel, Himmel, Himmel aller
Himmel! Wer kann dich sehen und nicht lieben?! Ich liebe, liebe, liebe dich
unendlich! Wenn du unglücklich bist, du schönstes, reizendstes Wesen aller
Wesen, wenn du leiden mußt: wer kann wohl glücklich sein, so er dich gesehen und
weiß, daß du leidest?!
[BM.01_117,14] Wenn ich dich nicht retten kann, oh, dann will ich lieber ewig
mit dir leiden, als aller Himmel Seligster sein ohne dich! Für dich möchte ich
Unendliches bieten, so ich's hätte! Tausend Leben gäbe ich für ein Atom deines
Wesens! O du endlos herrlichstes Wesen! – O rede, rede, was soll ich tun, um
dich zu retten, – ewig für mich zu gewinnen?!“
[BM.01_117,15] Spricht der verwandelte Drache: „O du herrlichster Martin, so du
mich liebst, wie du hier beteuerst, so gib mir hier einen feurigsten Kuß! Dieser
Kuß wird mich auf ewig retten und zur süßesten Gefährtin deines ewigen Lebens
machen!“
[BM.01_117,16] Spricht Martin, voll von höchster Entzückung: „O du Himmel der
Himmel! Nicht nur einen, sondern eine Trillion Küsse sollst du haben!“
[BM.01_117,17] Schnell will er seine Aufgabe lösen und springt förmlich hin.
Aber welch ein Gesicht macht er, als ihn dies Wesen mit verächtlichster Miene
zurückstößt und ruft:
[BM.01_117,18] (Satana:) „Zurück, elender Geilbock, du hast deine Probe schlecht
bestanden und bist fürder keiner Antwort von mir wert! Nichtswürdiger, wie
konntest du Gott vergessen und dich mir in die Arme werfen – mir, dem Feinde
alles Lebens, das nicht dem meinen gleicht! O du schwache Kreatur, du Auswurf
aller Häßlichkeit!
[BM.01_117,19] Martin sinkt ohnmächtig zurück und der Drache nimmt wieder seine
frühere Gestalt an.
118. Kapitel – Aufrichtung und Belehrung des gefallenen Martin durch Borem. Des
Herrn Ermahnungen an Martin. Unzertrennlichkeit von Besitz und Besitzer im
Himmel.
[BM.01_118,01] Borem tritt zu Martin hin, erhebt ihn und spricht: „Lieber
Bruder, siehe, du bist zu eifrig! Laß in der Zukunft nur den Herrn handeln! Wir
aber wollen nur das tun, was uns der Herr anbefiehlt, da werden wir allzeit am
allerbesten drauskommen.
[BM.01_118,02] Mit solchen Wesen es aufzunehmen, wie dieses da, gehört sehr viel
mehr dazu, als wir jetzt zu fassen imstande sind! Mit diesem Wesen aber kann gar
kein Engel es aufnehmen für sich, sondern allein mit der knappsten Hilfe des
Herrn. Denn diesem Urdrachen stehen ja tausend und abertausend der feinsten
Trugmittel aus ihm selbst zu Gebote, durch die er alle Himmel berücken könnte,
so es ihm vom Herrn zugelassen würde! Wenn aber schon alle Bürger der Himmel vor
ihm ohne die Dazwischenkunft des Herrn durchaus nicht sicher wären, was wollten
dann wir zwei als kaum Neulinge dieses Reiches gegen ihn ausrichten!
[BM.01_118,03] Siehe, als Michael, aller Himmel mächtigster Engel, mit diesem
Drachen um den Leib Mosis rang, ward er überwunden. Und er konnte als Besiegter
nichts tun, als das Gericht des Herrn über dies allerböseste Wesen rufen, das
allein imstande war, diesem Drachen die Beute zu nehmen!
[BM.01_118,04] Wenn aber schon ein Michael gewisserart den kürzeren ziehen
mußte, was sollen dann wir beide mit ihm ausrichten? Daher sei in alle Zukunft
überaus vorsichtig bei irgendeinem, vom Herrn bestimmten nötigen Zusammenstoß
mit solchen Wesen; denn ihr Wesen ist eitel Grundböses und Falsches!
[BM.01_118,05] Nun erhebe dich nur wieder und danke dem Herrn, der ganz allein
dich nun von einem großen Übel befreit hat! Denn wenn es auf Satan angekommen
wäre, so hätte er von dir den Kuß auf jeden Fall angenommen. Aber dadurch hätte
er dann auch all deine himmlische Liebe in seine höllische verkehrt und hätte
dich durch seine weibliche Gestalt, die er vor dir nicht leicht wieder abgelegt
hätte, mit mehr als eheren Banden an sich gekettet.
[BM.01_118,06] Aber im Augenblicke, als du ihn küssen wolltest, ward er vom
Herrn in seine eigentümliche böseste Natur zurückgerichtet. Sein unendlicher
Hochmut tauchte auf, und du warst von ihm elendst zurückgestoßen, worauf er dann
sogleich seine Drachengestalt annehmen mußte. Der Herr also hat dich gerettet!
Daher erhebe dich nun sogleich und danke dem Herrn für die Rettung deines ganzen
schwachen Wesens!“
[BM.01_118,07] Martin erhebt sich auf diese gute Mahnung des Borem sehr schnell
und stürzt zu Mir hin. Er bittet Mich um Vergebung seiner Tollheit und dankt Mir
allerinbrünstigst für die ihm erteilte Rettung und Mahnung durch den Mund
Borems.
[BM.01_118,08] Ich aber sage zu ihm: „Martin, wie lange werde Ich dich noch in
deiner nur zu oft wiederkehrenden Tollheit ertragen müssen? Wann wirst du denn
einmal anfangen, deinen oft gemachten besten Vorsätzen vollends gemäß zu
handeln? Wie viele Merkstölpel wirst du wohl noch empfangen müssen, um weise zu
werden für bleibend? O du verkehrte Art – wieviel Geduld doch braucht es, um
dich auf den rechten Weg zu bringen!
[BM.01_118,09] Erhebe dich nun; aber sei endlich einmal klüger! Es ist genug, so
du durch irgendeine Wirklichkeit nur zu geschwinde dich hinreißen läßt. Aber
sich auch von einem eitlen Truge bis auf die letzte Lebensfiber besiegen lassen
– sage, wieviel Schwäche gehört dazu!“
[BM.01_118,10] Martin schluchzt vor Reue und bittet Mich unausgesetzt um
Vergebung.
[BM.01_118,11] Ich aber beuge Mich alsbald nieder, erhebe ihn und sage: „Siehe,
nun stehst du wieder vor Mir frei, da Ich dich aufgerichtet habe; aber wie lange
wirst du wohl dich so aufrechterhalten?!
[BM.01_118,12] Siehe, jeder rechte Himmelsbürger muß endlich unbedingt aus sich
selbst vollkommen frei sein und darf nicht fallen, wenn er einen noch so
schlüpfrigen Weg auf eine Weile zu betreten hätte! Was wird aber mit dir sein,
so Ich dich vollends frei lassen würde? Wirst du wohl das Gleichgewicht erhalten
und nicht fallen, so du irgend allein einen schlüpfrigen Weg wandeln solltest?“
[BM.01_118,13] Spricht Martin ganz zerknirscht: „O Herr, laß nur Du mich nimmer
aus. O laß mich nimmer völlig frei, sonst bin ich verloren! Oh, ich verlange
ewig von einer absoluten Freiheit nichts! Wenn ich nur der Allerletzte bei Dir
sein darf, bin ich ja für alle Ewigkeiten völlig zufrieden! Also gib auch dieses
Haus dem lieben Bruder Borem, denn ich tauge durchaus nicht für solch einen zu
überherrlichen Besitz!“
[BM.01_118,14] Rede Ich: „Sei nur ruhig, und halte dich in deinem Herzen fest an
Mich, so wird alles gut gehen. Aber diesen Besitz kann Ich dir nicht abnehmen
und dem Borem überantworten. Denn dir solchen Besitz nehmen, hieße dein Leben
nehmen und es einem andern geben. Denn hier kann niemand etwas anderes besitzen
als das nur, was aus ihm hervorgeht. Solcher lebendige Besitz aber muß bleiben
wie der Besitzer selbst, weil hier Besitzer und Besitz unzertrennlich sind.
[BM.01_118,15] Aber nur mußt du dich in solchem Besitze nie als ein Herr dünken,
so wird dein Besitz immer herrlicher und herrlicher werden! Jeder Himmelsbürger
ist wohl ein freiester Besitzer der Werke seines Geistes, seiner Liebe zu Mir;
aber der alleinige Herr über jeden Besitz wie über jeden Geist bin nur Ich!
[BM.01_118,16] Nun weißt du, wie hier die Sachen stehen. Stehe daher aber auch
du von nun an fest in Meiner alleinigen Liebe, so wird dich dein himmlischer
Besitz nimmer genieren!
[BM.01_118,17] Sorge dich auch nicht um Borem, denn er hat für sich schon alles
zur höchsten Genüge. Und wenn du vollends reif sein wirst, dann wird er dich
schon auch in seinen Besitz einführen. Gehe aber nun hin zu Borem und tue, was
er tut! Ich aber werde nun mit diesem Gaste ein paar Wörtlein sprechen.“
[BM.01_118,18] Martin tut wie ihm geraten.
119. Kapitel – Des Herrn Zwiegespräch mit Satan. Satans böswilliger Trotz. Des
Herrn Gleichnis vom Erzgießer. Der gerettete Anhang Satans.
[BM.01_119,01] Ich aber wende Mich an den Drachen und Meine Worte lauten:
„Satan, wie lange noch willst du Gott, deinen ewigen Herrn, versuchen? Wie lange
noch wird dein unbegrenzter Hochmut währen? Was willst du erreichen Meiner
unendlichen Macht gegenüber, die dich allzeit völlig auflösen und vernichten
kann! Und will sie schon das nicht, so kann sie dich doch ewig auf das
allerschärfste züchtigen!
[BM.01_119,02] Du weißt, daß diese Zeit deine allerletzte ist; in dieser kannst
du noch erstehen – oder fallen auf ewig! Was willst du tun?! Dir ist Mein Wille
nur zu bekannt, und wäre er das nicht, da hättest du keine Sünde ewig. Da dir
aber Mein Wille bekannt ist und der Lohn wie auch die Strafe, so rede: Was wirst
du tun?
[BM.01_119,03] Siehe, nun erhebt sich alles wider dich! Alle Berge werden
erniedrigt und die Täler ausgefüllt. Alle Kronen und Throne der Erde, die du
errichtet, werden in den Pfuhl geschleudert werden! Was wirst du tun? Meiner
Macht wirst du ewig nimmer Trotz bieten können; es wird dir nichts mehr
zugelassen werden! Also rede, was wirst du tun? Wirst du dich erheben oder
willst du fallen?
[BM.01_119,04] Siehe, unter dir der ewige Abgrund – und siehe, hier bin Ich, ein
Vater aller, die Mich lieben, und hier Mein Tisch! – Wähle nun und entschließe
dich schnell! Es sei!“
[BM.01_119,05] Spricht Satan: „Herr, ich kenne Dich, kenne Deine Macht und meine
entsetzliche Ohnmacht neben Deiner unendlichen, ewigen Macht. Aber eben darum,
daß ich alles das nur zu sehr in aller Tiefe der Tiefen einsehe und meine
Ohnmacht zutiefst fühle, sehe ich es auch als einen Triumph meines Stolzes ein,
daß ich Dir trotzen kann, ja, daß ich dir ewig trotzen kann! Und ich sehe es
auch ein, daß aller Deiner Macht kein Mittel übrigbleibt, meinen Sinn zu beugen,
zu siegen über meinen Willen – außer durch meine völlige Vernichtung, was Du
aber ewig nie als einen Sieg über mich betrachten kannst! Denn ein geistiger
Lebenssieg beruht nimmer auf der möglichen gänzlichen Vernichtung des endlos
schwächeren Gegenteils, sondern in der weisesten Überzeugung dessen, was die
vollste Freiheit der beiden Parteien notwendig bedingt.
[BM.01_119,06] Diese Überzeugung aber beruht stets auf der frei willkürlichen
Annahme des Gegenteils. Dieses Gegenteil bin aber ich, der ich es nie einsehen
will, was Du auch rechtestermaßen willst. Und so ich es auch einsehe, so will
ich es dennoch nicht tun, um Dir zu zeigen, daß es außer Deinem Willen noch
einen anderen gibt, den alle Deine Allmacht ewig nimmer beugen soll, solange Du
mich bestehen läßt!
[BM.01_119,07] Denn siehe, es ist ein leichtes, frei nach Deinem Willen zu sein.
Aber Deine ewige Allmacht kennen und Deinen Zorn, und in der eigenen Ohnmacht,
ewig verzichtend auf alle Seligkeit, in der größten Qual Dir, dem allmächtigsten
Geiste dennoch zu trotzen – siehe, das ist größer denn alle Größen, die Dein
allsehend Auge ewig je irgend zu erschauen wird vermögen!
[BM.01_119,08] Und siehe, das ist auch der Grund meines steten Ungehorsams gegen
Dich. In diesem Ungehorsam ersehe ich den größten Triumph meiner Ohnmacht gegen
Deine Allmacht darum, weil ich in solcher Ohnmacht stets der freiwillige Sieger
Deiner Allmacht, Weisheit und Liebe, wie auch Deines Zornes verbleibe und Du
mich nicht beugen kannst mit aller Deiner Macht, Kraft, Liebe, Weisheit, Gericht
und Zorn!
[BM.01_119,09] Ein Michael sein ist keine Kunst, ein Gabriel sein keine
Schwierigkeit, ein Uriel ein leichtes, ein Seraph, ein Cherub eine himmlische
Spielerei. Aber ein Luzifer sein, ein erster, größter Geist nach Dir, wohl
wissend, welche endlose Seligkeit Deine endlose Liebe bietet, und daneben aber
auch, welche stets steigende Qual Dein Zorngericht! Dabei aber dennoch alle
Seligkeit wie alle ewige Qual verachtend, Dir aus der eigenen wohlbewußten
Ohnmacht den unerschütterlichsten, ewigen Trotz bieten, ohne eine leiseste
Aussicht zu haben, dabei je etwas zu gewinnen, sondern ewig nur endlos zu
verlieren! Siehe, diese ohnmächtige Willensgröße eines Geschöpfes ist endlos
größer als alle Größe Deiner Göttlichkeit! Und dieses Bewußtsein macht mich
seliger in meiner größten Qual, als Du samt allen Deinen Geistern und Engeln es
je warst! Daher frage mich nimmer, wie lange ich Dir noch trotzen werde. Meine
Antwort wird stets die gleiche sein: Ewig, ewig, ewig! Gott wird mich nimmer
beugen!“
[BM.01_119,10] Rede Ich: „O du blinder, finsterer Geist, wie groß doch ist dein
Tod, in dem du wähnst, Mir Trotz bieten zu können! Du hast eine Freude in deinem
Wahne und bedenkst nicht, daß da jede wahre wie deine falsche dir wie dein eigen
dünkende Freiheit am Ende dennoch Meinem Willen untertan sein muß. Wer hat je
mit Mir Rat gehalten und wer Meine Wege durchschaut? Weißt du denn wohl, ob das
nicht Mein geheimer Wille ist, daß du eben so sein mußt, wie du bist?! Weißt du
es, ob Ich dich nicht schon von Urbeginn zum Falle bestimmt habe?! Kann das Werk
wohl je dem Werkmeister vorschreiben, wie und wozu er es gestalten soll?
[BM.01_119,11] Ein Erzgießer verfertigt aus einer feuerfesten Masse seine großen
Schmelztiegel. Diese kommen in ein mächtiges Feuer und in ihnen kocht dann das
harte Erz. Und so es genug zerkocht ist, da fließt es dann wie ein Wasser, und
der Werkmeister läßt es fließen in verschiedene brauchbare Formen. Ist das Erz
in Formen gegossen, da werden diese dann abgekühlt und erleiden keine Glut mehr.
Der Tiegel aber bleibt in der Glut, damit anderes Erz in ihm geschmolzen werde.
Er wird nicht abgekühlt eher, als bis er unbrauchbar geworden ist, wo er dann
auch verworfen wird für immer als eine zu nichts mehr brauchbare ausgebrannte
Materie.
[BM.01_119,12] Bin Ich aber nicht ein Werkmeister aller Werke der Werke? So Ich
das aber bin und schaffe Mir Werkzeuge, wie Ich sie brauche und haben will –
sage, kannst du Mir dann trotzen? Oder kannst du das Trotz nennen, wenn du so
bist, wie du bist, und nicht anders sein kannst als so nur, wie Ich es am Ende
will?!
[BM.01_119,13] Ich aber bin kein harter Erzgießer, sondern ein Meister voll
Liebe, sodaß Ich sogar Meine Tiegel aus ihrer langen Glut ziehen will, so sie es
wünschen und in die Ordnung Meiner freien Werke übergehen wollen. Wollen sie das
aber nicht und macht es ihnen mehr Freude, Meine ewigen Schmelztiegel zu
verbleiben, so ist es Mir auch recht, denn da brauche Ich Mir keine neuen zu
schaffen. Bleiben sie aber Tiegel, so sind sie, wie sie sein müssen, und
unmöglich, wie sie sein wollen. Denn ein Werkzeug kann nicht anders sein, als
wie Ich es gestalte und haben will.
[BM.01_119,14] Daher ist dein vermeintlicher Trotz, an dem du eine Freude hast,
auch nichts als eine Chimäre, entstammend deiner großen Blindheit. Denn so wenig
ein Topf zum Töpfer sagen kann: ,Ich bin, wie ich will!‘, während ihn doch der
Töpfer dreht und gestaltet, wie er will – ebensowenig kannst du zu Mir sagen,
daß du seist, wie du wollest, während du doch nur sein mußt, wie und was du
bist, wie Ich es will! Nur gebe Ich, als die ewige Liebe selbst, dir nebst
deinem Gerichte auch so viel lebendige Freiheit, derzufolge du deinen
qualvollsten Zustand fühlen, begreifen und ändern kannst, so du es willst.
Willst du es aber nicht, so bleibe, wie und was du bist – nicht aber, weil du es
so willst, sondern weil Ich es so will!
[BM.01_119,15] Willst du aber dein Los verbessern, so werde Ich an deine Stelle
ein anderes, Mir in deiner Art dienliches Werkzeug setzen! – Rede nun, was du
willst! Mir ist es völlig ein gleiches, ob du bleibst, wie und was du bist –
oder ob Ich, wie gesagt, an deine Stelle ein anderes Werkzeug setze!“ –
[BM.01_119,16] Hier stutzt Satan gewaltig und weiß nicht, was er sagen soll.
[BM.01_119,17] Sein zahlreicher Anhang aber schreit: „O Herr, wenn also, oh, da
erlöse uns aus unserer alten Qual und setze an unsere Stelle neue, brauchbare
Werkzeuge! Denn wir haben des Elends zur Genüge verkostet und sind vom Feuer
schon sehr morsch geworden. Daher erbarme Dich unser und gestalte uns um, o
Herr, nach Deiner Güte, nach Deiner Liebe!“
[BM.01_119,18] Als Satan solches vernimmt von seinem Anhange, wird er wütend und
brüllt und heult: „Wollt ihr nicht teilnehmen an meiner Größe?! So bleibe ich
auch nicht, was Gott will, sondern was ich werde wollen! Stimmet mir zu!“
[BM.01_119,19] Schreit sein Anhang: „Narr, was kannst du wollen, das Gott nicht
wollte! Ist dein möglich freiester Wille nicht Gottes Wille? Wolle du, was du
willst, so kannst du aber dennoch nichts wollen aus dir, sondern nur den
Gotteswillen in dir, der allein allzeit und ewig dein unbesiegbarer Richter
bleiben wird! Tue du, wie du gerichtet bist; uns aber hat nun Gottes Erbarmung
ergriffen und läßt uns nimmer aus! Daher tun wir nun auch nach unserem besseren
Gerichte!“
[BM.01_119,20] Rede Ich: „So erstehet, ihr Elenden, und euer Los werde ein
freies! Du einer aber bleibe, so du willst, was du bist! Was du auch nun immer
tun willst, ist nicht dein, sondern Mein Gottwille – und dein Wille in dir sei
ewig ein Gericht aus Mir in dir!
[BM.01_119,21] Ich gebe dir aber noch zu dieser endlichen, größten und tiefsten
Belehrung eine kurze Frist, in der du wohl überdenken kannst, was du und wie du
bist! Willst du dein Los verbessert haben, so wird es geschehen. Willst du es
aber nicht, so wirst du bleiben, was du nun bist so lange, bis aller
gegenwärtigen Schöpfung letzter Gefangene entkeimen wird durch den Weg des
Fleisches! – Was aber dann mit dir, das weiß Ich allein und niemand in der
Unendlichkeit außer Mir!“
[BM.01_119,22] Bei diesen Worten stößt Satan einen großen Schrei aus sich und
eilt zur Tür hinaus. Sein Anhang aber wirft seine Drachenpanzer von sich, und es
stehen tausend gar elend aussehende Seelen ganz nackt hier und bitten um Heilung
und Linderung ihrer großen Schmerzen.
[BM.01_119,23] Ich aber berufe nun wieder unseren Martin, den Borem und auch
Chorel und heiße sie, zu führen diese Elenden in das kühlende Bad. Die drei tun
sogleich, wie Ich ihnen gebot, und die tausend Elenden finden Linderung im Bade.
120. Kapitel – Chanchahs Erwachen aus ihrem traumähnlichen Zustande. Des Herrn
Erklärungen über die großen Vorgänge und über Sich Selbst.
[BM.01_120,01] Unterdessen aber erwacht auch Chanchah wie aus einem Schlafe an
Meiner Seite und erinnert sich all des vor ihren Augen Geschehenen nur wie eines
lebhaften Traumes. Sie fängt sogleich an, von Punkt zu Punkt Mir alles zu
erzählen, was ihr nun geträumt hat. Nachdem sie mit ihrer Erzählung fertig ist,
fragt sie Mich, ob an solch ihrem Gesichte wohl etwas daran sei.
[BM.01_120,02] Ich aber sage zu ihr: „Chanchah, sahst du nicht ehedem, wie Borem
und Martin den dir so überschauerlichen Drachen an den Ketten hierher schleppen
hätten sollen und wie sehr sich dieser ihrer Kraft widersetzte? Und wie Ich
dann, als Martin Mich mit rechtem Einverständnisse Borems um Hilfe bat, mit
Meiner Willensmacht augenblicklich den Drachen hierher zu unseren Füßen
schleuderte? Du hast solches ja doch noch mit ganz offenen Augen gesehen!“
[BM.01_120,03] Spricht Chanchah: „Ja, du Herrlichster, das habe ich wohl noch
gesehen. Aber als der Drache zu knapp vor uns lag, da ergriff mich ein zu
mächtiges Grauen, daß ich darob in eine Art Angstschlaf verfiel und die darauf
folgenden Begebnisse mit diesem Ungeheuer nur wie in einem Traume sah. Ungefähr
so, wie ich bald nach der Ankunft in dieser Welt auch in einen ähnlichen Zustand
kam, in welchem ich mit Chorel zusammentraf und mit ihm einen fürchterlichen
Kampf habe bestehen müssen. Und als ich darauf erwachte, kam mir dann auch alles
so wie nun als ein schwerer Traum vor.
[BM.01_120,04] Was ich bei vollem, wachem Bewußtsein sehe, das kann ich wohl
fassen, soweit meine kleine Erkenntniskraft reicht. Was aber diese
traumähnlichen Gesichte betrifft, so liegen sie zu weit über dem
Erkenntniskreise meiner Seele. Ich kann da nichts tun als allein an dich mich
wenden, da ich von dir die lebendigste Überzeugung habe, daß du allein der
Allerweiseste und Mächtigste dieses ganzen großen Hauses bist! O erläutere mir
daher dieses mein Gesicht!
[BM.01_120,05] In diesem Gesichte tastet und sprachst du als der ewig heiligste
Lama Selbst. Aber da ich nun wieder wache, erschaue ich an dir aber auch nicht
die allerleiseste Veränderung deines mir bekannten Aussehens. Du kannst daher
ebensogut ein mit aller Macht ausgerüsteter Bote Lamas, wie hinter einer
gerechten Maske auch der Lama Selbst sein! So viel und nicht weiter kann ich
mein Gesicht beurteilen; das Weitere und Richtigere erwarte ich aber von dir, du
meine alleinige Liebe! O zaudere nicht, zu tränken mein Herz mit der Überfülle
deiner Weisheit!“
[BM.01_120,06] Rede Ich: „Chanchah, wo ist der Drache nun und wo sein Anhang?
Siehe, du staunst nun plötzlich und sagst in deinem Herzen: ,Bei Lama, dem
Allerheiligsten! Nirgends mehr ist das Ungeheuer zu ersehen! Und sein Anhang –
und Borem, Martin und Chorel – wo sind sie?‘
[BM.01_120,07] Ich aber sage dir: Siehe, Meine Kraft trieb den einen zur Tür
hinaus so schnell, als da flieht der schnellste Gedanke. Und sie verwies ihn, in
die Schweine der Erde zu fahren, auf daß sie nun wütend werden sollen, in
solcher Herrschwut berennen das Vorgebirge der vollsten Selbstsucht und endlich
von da sich stürzen in das Meer des finstersten Wahnes und ersaufen im selben!
[BM.01_120,08] Seinen alten Anhang aber habe Ich ihm genommen durch die Macht
des Wortes und beschickte ihn durch die drei Abwesenden in das Bad der
Selbsterkenntnis, der Demut und der daraus hervorgehenden möglichen Besserung.
[BM.01_120,09] Alles, was Ich aber hier wie allenthalben tue, das tue Ich aus
ganz eigener Macht. Es gibt keine Macht weder über Mir, noch unter Mir, die Mir
gebieten könnte und sagen: ,Nun tue dies und jenes!‘, sondern was Ich tue, das
tue Ich allein – ohne Geheiß jemandes anderen. So Ich aber zu jemandem sage:
,Tue du dies und du jenes‘, da mag niemand der Kraft Meines Willens Widerstand
leisten!
[BM.01_120,10] O Chanchah, so du das alles leicht aus Meinen Handlungen ersiehst
und schon lange hast ersehen können, wie magst du da noch fragen, ob Ich ein
Bote Lamas oder wohl am Ende Lama Selbst bin!
[BM.01_120,11] Das Schlichte Meines äußern Wesens darf dich nicht beirren, denn
siehe, Lama braucht nicht wie der Erde Fürsten nach außen zu glänzen, sondern
allein durch Seine Vaterliebe, Weisheit und Macht in den Herzen Seiner Kindlein!
Ich aber glänzte in deinem Herzen schon lange über die Maßen; wie wohl hast du
Mich nicht erkennen mögen?!
[BM.01_120,12] Siehe, du Meine Chanchah, du Meine Tochter, Ich bin ja dein
Vater, dein Lama, und außer Mir gibt es ewig nirgends einen mehr! Aber du mußt
dich darob nicht entsetzen; denn siehe, wie Ich bin, so bin Ich ewig
unveränderlich gleichfort Derselbe. Und alle Meine Kindlein sollen Mich nicht
als ihren Gott, sondern stets nur als ihren liebevollsten Vater erkennen und
ersehen, lieben und anbeten!
[BM.01_120,13] Fürchte dich nicht vor Mir, da du Mich nun erkennst! Denn du
wirst an Mir ewig keine Veränderung gewahr werden, außer daß du fürder alle
endlosen Schätze Meiner Vaterliebe und Weisheit in ewig steigender Überfülle
ohne Maß und Ziel genießen wirst. – Bist du nun zufrieden mit dieser Erläuterung
Meines Wesens?“
121. Kapitel – Chanchahs übergroße Seligkeit und Liebe zum erkannten Lama. Liebe
und Weisheit. Der Herr als Vater und Bruder.
[BM.01_121,01] Chanchah sinkt nun zu Meinen Füßen nieder und weint und schluchzt
vor zu großer Freude und Seligkeit. Ich aber stärke sie, und sie richtet sich
auf und betrachtet Mich mit großen, seligsten Augen vom Kopfe bis zur
Zehenspitze und kann sich nimmer satt sehen an Mir. Nur ihr Herz spricht:
[BM.01_121,02] (Chanchah:) „Du, Du, o Du bist es also! Du bist der allmächtige,
heilige Lama! Du der Ewige! – Du hast die Erde, den Mond, die Sonne, alle die
zahllosen Sterne, das gewaltige Meer, ein unzählbares Heer von allerlei Tieren
im Wasser, auf der Erde und in der Luft, Du hast uns Menschen erschaffen?! O
Lama, Lama, Du großer, heiliger Lama! Wer kann Dich loben, preisen und anbeten
zur Genüge! Welches Herz ist wert, Dich, Du Heiligster, lieben zu dürfen?!
[BM.01_121,03] Aber, o Lama, wert oder nicht wert, welches Herz kann Dich nicht
lieben, wenn sein Auge Dich erschaut und sein Sinn Dich erkennt! Daher vergib
mir Nichtswertesten, daß ich es wagte, Dich, o Du zu Heiliger, zu lieben! Aber
was kann die arme Chanchah dafür, so ihr Herz mächtiger ist denn ihr Verstand?
[BM.01_121,04] O Lama, Lama! Siehe, ich erkenne wohl nun meine Nichtigkeit gegen
Dein endlos Alles; aber mein Herz liebt Dich nun nur um so mächtiger! Du wirst
mir ja nicht zürnen, daß ich Dich nur unbegreiflich mächtiger lieben muß! O
Lama, stärke mein Herz, sonst erträgt es die zu mächtige Liebe zu Dir nimmer! O
Lama, Lama, ich vergehe vor Liebe!“
[BM.01_121,05] Mit diesen Worten sinkt die Chanchah wieder vor Mir nieder und
weint und schluchzt vor Liebe.
[BM.01_121,06] Rede Ich: „O Chanchah, deine Liebe ist groß und dein Herz eine
überköstliche Perle. Aber siehe, du mußt dich ermannen und nicht über deine
Kraft erbrennen zur mächtigsten Glut, sonst könntest du Meine Gegenwart für die
Folge nicht ertragen – was deine Seligkeit nicht wenig beirren würde!
[BM.01_121,07] Siehe hier neben dir die Gella an, und betrachte Martin, Borem
und auch den Chorel: Diese kennen Mich schon eine geraume Weile und sind
ebenfalls voll Liebe zu Mir. Aber sie ertragen Mich und können daher alles tun
und genießen, was Ich ihnen gebiete und gebe. Wären sie aber in deiner
Verfassung, da könnten sie ebenfalls nichts tun und genießen, wie du jetzt auch
nichts tun und nichts Höheres genießen könntest, weil deine zu mächtige Liebe
alle deine Kräfte zu sehr in Anspruch nimmt!
[BM.01_121,08] Ich aber sage dir, du Meine geliebte Chanchah, das nicht etwa
darum, als wäre Mir nicht liebsam deine übergroße Liebe. Denn Ich habe dir ja
schon oft gesagt, wie überaus lieb du Mir bist, und sage dir noch hinzu: Mich
kann niemand genug lieben! –; aber das ist bei der möglich größten Liebe wohl zu
merken, daß die Liebe nicht ohne Weisheit einhergehen darf, so sie die Seligkeit
aller Seligkeiten bewirken soll!
[BM.01_121,09] Denn die pure Liebe ist ein verzehrendes Feuer! Da es ein
Grundfeuer ist, kann es von keiner Seite durch nichts gesteuert werden als
allein durch einen entsprechenden Grad von Weisheit. Daher mußt auch du deine
Liebe zu Mir durch einen rechten Grad von Weisheit mäßigen, so du die rechte
Seligkeit der rechten Liebe genießen willst!
[BM.01_121,10] Betrachte Mich nicht fortwährend als das allerhöchste,
allmächtigste Gottwesen, dem sich niemand nahen kann und leben. Sondern
betrachte Mich als deinen allerbesten und allein wahrhaftigsten Vater, ja sogar
in Meiner Menschlichkeit als deinen Bruder! Dann wirst du Mich wie jeder andere
Selige leicht ertragen. Du wirst beständig um Mich sein können und teilen alle
Seligkeiten mit den Allerseligsten, die auch stets bei Mir sind wie nun du. Nur
daß sie von Mir aus stets alle Hände vollauf zu tun haben in allen zahllosen
Räumen Meiner ganzen unendlichen Schöpfung, dabei aber Mir dennoch stets so nahe
sind, wie es du nun bist und ewig sein wirst! Verstehst du, Meine allerliebste
Tochter, was Ich nun zu dir geredet habe?“
122. Kapitel – Eine himmlische Liebeserklärung. Der Sieg der Liebe. Gellas
Freude über Chanchah.
[BM.01_122,01] Spricht Chanchah: „O Lama, o Lama! Wo ist das Herz, das Dich
erkennt und kann dann noch Maß nehmen in seiner Liebesglut zu Dir, Du Heiligster
von Ewigkeit! Siehe, so ich so viel Herzen hätte, als es da gibt Sterne am
Himmel, des Sandes im Meere und des Grases auf dem Erdboden, und wäre jedes Herz
eine Sonne voll der höchsten Glut zu Dir, – so wäre aller dieser zahllosen
Herzen Liebesglut zu Dir, o Du mein heiligster Lama, dennoch nur wie ein
kühlster Tautropfen gegen ein siedendes Meer! Denn Du kannst ewig nimmer zuviel
geliebt werden, da Du doch die allerhöchste und mächtigste Liebe Selbst bist!
[BM.01_122,02] Ich weiß es wohl, daß Du, o Lama, ein Vater, ja sogar ein Bruder
Deinen Geschöpfen bist, weil Du es sein willst. Aber welches Herz kann Dich nur
als Vater und Bruder denken und sich dabei nicht stets erinnern, daß der Vater,
der Bruder, auch der – ach, der ewig heiligste, große, allmächtige Lama (Gott)
ist?! Daher muß ich Dich ja lieben, weil ich nicht anders kann, als Dich nur
ganz allein endlos ewig über alles lieben! Und keine Weisheit kann die Liebe
meines Herzens mäßigen!
[BM.01_122,03] Oh, so ich tausend Leben hätte und es sagte mir die Weisheit:
,Chanchah, alle diese tausend Leben wirst du verlieren, so du deine Liebe zum
Lama nicht weise mäßigst!‘ – da würde mein Herz der Weisheit erwidern: ,Oh,
welche Seligkeit kann der gleichen, tausend Leben in der Liebe zu Dir, o Lama,
zu verlieren!‘, was aber sicher unmöglich ist. Denn wie sollte je einer das
Leben verlieren können, der Dich als das höchste Leben alles Lebens über alles
liebt!
[BM.01_122,04] Daher werde ich Dich nur noch mehr lieben, und keine Weisheit
wird mein Herz in der Liebe zu Dir, Du mein Lama, je zu mäßigen imstande sein!
Nur so Du, o Heiligster, es verwehren und zunichte machen willst, dann freilich
wird die arme Chanchah Dich nicht mehr lieben können. Aber, o Lama, o Vater, das
wirst Du der Chanchah ja doch nicht tun?“
[BM.01_122,05] Rede Ich: „Meine allerliebste Tochter! Wahrlich, Ich sage Dir:
Wer Mich wie du liebt, der ist eins mit Mir und hat nicht ein Leben, sondern
zahllose Leben in sich! Wie sollte der vergehen können? Liebe daher Mich nur aus
allen deinen Kräften und fürchte nichts. Deine Liebe zu Mir wird dir auch
Weisheit geben, und diese wird auch mehr erweitern dein Herz, daß du Mich stets
mächtiger wirst lieben können. Nun aber komme an Meine Brust und mache deiner
Liebe Luft!“
[BM.01_122,06] Bei diesen Worten schreit Chanchah vor Entzücken auf und wirft
sich Mir wie nahezu bewußtlos an die Brust.
[BM.01_122,07] Gella weint mit vor Freude, daß die Chanchah Mich erkannt hat und
sagt schluchzend: „O du Glücklichste! Wie selig muß es sein, an dieser Brust die
endlosen Ströme der ewigen Gottesliebe einzuatmen! Ach, welch eine Luft muß da
wehen – am Urborne, aus dem alle zahllosen Wesen, Engel, Sonnen, Welten,
Menschen, Tiere und Pflanzen ihr Dasein, ihr Leben, ihr Alles schöpfen! O
allerhöchste Lust, Freude und Seligkeit!
[BM.01_122,08] O Chanchah, wie groß muß die Wonne sein, in der du im Vollmaße
schwelgst! Welcher Engel wohl hat einen Maßstab, sie zu bemessen!
[BM.01_122,09] Aber was denkst denn du, mein Herz – bist ja auch in der größten
sichtbaren Nähe Dessen, der heilig ist, überheilig! Darum sei stille, mein Herz;
der Herr gibt ja einem jeden nach dem gerechtesten Maße seiner Liebe und
Weisheit! Daher denke nicht an das höchste Seligkeitsmaß, das nun dieser edlen
Chinesin zuteil wird, sondern denke, wie endlos glücklich du selbst nun bist!“
123. Kapitel – Geistiges Erwachen der andern Chinesen und der Mönche. Die
eifersüchtigen Nonnen und ihre Demütigung.
[BM.01_123,01] Während Gella solch löbliche Betrachtungen bei sich macht, kommen
alle die Chinesen hinzu. Einer von ihnen spricht:
[BM.01_123,02] (Ein Chinese:) „Du unleugbarer Gottesbevollmächtigter, sage uns
doch aus deiner uns wohlbewußten großen Weisheit, was da wohl der eigentliche
Grund ist, daß unsere Chanchah gar so übermächtig an dir hängt? Sie hat ja eine
solche Liebe zu dir, daß wohl kein Mensch zum Lama eine größere haben könnte, so
dieser – wenn es möglich wäre – auch sichtbar vor ihm stünde!“
[BM.01_123,03] Rede Ich: „Habt nur Geduld, Chanchah wird euch in Kürze alles
kundgeben, was euch hier zu wissen nottut! Nun aber forschet nicht weiter,
sondern laßt euer Herz vor eurem Verstande einhergehen, so werdet ihr den
sichersten und kürzesten Weg zu wandeln haben!“
[BM.01_123,04] Sagt darauf einer von ihnen wieder: „Das wird wohl sehr gut und
ehrlich sein, und wir hoffen das auch von ihr. Aber wird sie uns auch sagen
können, was jenes Ungeheuer zu bedeuten hat, das du früher so urplötzlich zur
Tür hinausgewiesen hast, nachdem es dem guten Martin zuvor allerlei Spuk
vormachte, ja sich sogar in ein reizendstes Weibwesen verwandelte, um den armen
Martin zu fangen? War das nicht etwa ein ahrimanischer Abgesandter oder gar
Ahriman selbst?“
[BM.01_123,05] Rede Ich: „Auch das wird euch Chanchah nicht vorenthalten.
Begebet euch daher nur wieder auf eure Plätze zurück und harret dort in aller
Freude solcher Löse. Es sei!“
[BM.01_123,06] Auf diese Worte begeben sich alle die Chinesen wieder zurück und
tun, was Ich ihnen anbefohlen.
[BM.01_123,07] Aber auch mehrere der Mönche treten nun vor und fragen Mich um
ähnliche Bescheide. Auch ihnen wird bedeutet, nur noch ein wenig zu ruhen, auf
daß sie hinreichend gestärkt werden für die folgende Löse. Darauf treten sie
zurück und harren in aller Geduld und Freude.
[BM.01_123,08] Aber einige Nönnchen bilden einen Klub und raunen einander zu:
„Wir hatten zufolge einiger Winke unserer Schwester, die nun Gella heißt, schon
fast geglaubt, dieser Chinesenfreund, der dem Drachen samt seinem Anhange so
kräftigst begegnen konnte, sei entweder der Erzengel Michael oder wohl gar
Jesus, der Herr, Selbst. Aber nach dem zu urteilen, was er mit der freilich viel
schöneren Chinesin, als wir es sind, treibt, wie er sie herzt und kost, daß es
schon völlig aus ist, kann das doch unmöglich Michael und noch viel weniger der
Herr Jesus sein!
[BM.01_123,09] Ich möchte es sogar für eine große Sünde halten, von Michael und
gar vom Herrn Jesus nur schwach zu denken, als könnte Er – und noch dazu mit
einer Heidin! – so ein verliebtes Spiel treiben. Diese dumme Gretel aber geniert
sich auch nicht im geringsten vor uns! Nein, wie sie in seiner Brust herumwühlt;
muß aber das eine verliebte Katze sein!
[BM.01_123,10] Wenn er Michael oder der Herr Jesus wäre, wäre er ja auch zu uns
Christinnen gekommen, die wir auf Ihn doch ein unbestreitbares Vorrecht vor den
Heiden haben. Da er aber nur stets dieser Chinesin huldigt, uns aber beinahe
gänzlich außer acht läßt, so wird's bei ihm besonders mit der Jesusschaft wohl
einen hübsch starken Haken haben! – Es ist nur dumm von unserer Schwester Gella,
wie auch sie dort stehen kann, als wollte auch sie sich an seine Brust stürzen.
Mienen macht sie wenigstens schon derartige!“
[BM.01_123,11] Rede Ich zu Gella: „Mein Töchterchen, siehe, hier neben der
Chanchah ist auch für dich ein Plätzchen! Komme auch du her und mache deiner
Liebe Luft!“
[BM.01_123,12] Gella fällt sogleich auch an Meine Brust und ist voll Seligkeit.
[BM.01_123,13] Aber die Klubistinnen sagen: „Nein – da haben wir's! Wie wir es
uns gedacht haben, so ist es auch! Nein, da ist nichts mehr zu reden! Wenn nur
der Hausherr Martin bald zurückkäme, auf daß wir uns bei ihm beschweren könnten!
Aha, dort kommt er schon mit Borem und Chorel! Gehen wir ihm nur schnell
entgegen!“
[BM.01_123,14] Als Martin sieht, daß ihm der ganze, zahlreiche Troß der Weiber
entgegenkommt, ersieht er auch zugleich, wo sie der Schuh drückt. Er geht ihnen
freundlich entgegen und spricht:
[BM.01_123,15] (Bischof Martin:) „Weiß schon, weiß schon, wo es euch drückt!
Geht nur wieder ganz ruhig an eure Plätze zurück, denn für derlei Beschwerden
habe ich keine Ohren! Nur das merket euch fest und wohl: Wer Liebe will, der muß
zuerst lieben; denn Liebe läßt sich durch nichts als nur wieder durch Liebe
gewinnen! Daher liebet auch ihr wie jene beiden den Herrn, so werdet auch ihr
Seine Brust gewinnen! Verstehet ihr das?“
[BM.01_123,16] Sagen die vielen Klosterweiber: „Ach, lieber Herr dieses Hauses,
wie könnten wir solches tun? Siehst du denn nicht ein, daß wir die festesten
Christinnen sind? Jene Favoritin aber ist eine Heidin. Gella aber ist ohnehin
schon von jeher eine Person von sehr leichter Art gewesen, darum sie auf der
Erde auch voll von allerlei Teufelsanfechtungen war. Sie wird es daher auch
nicht versäumen, wie und wo es sich nur immer fügt, hier in deinem himmlischen
Hause solchen Anfechtungen ein williges Ohr und Herz zu leihen.
[BM.01_123,17] Jener Mann, den wir alle beinahe schon für den Herrn Jesus oder
wenigstens für Michael ansahen, wird wohl auch ein um sehr vieles tiefer unten
stehender Geist sein. Sonst würde er sich doch sicher nicht mit den beiden
leichten Personen gar so intim abgeben! Daher –“
[BM.01_123,18] Hier unterbricht sie Martin und spricht: „Schon gut, meine
Lieben! Ich glaubte, ihr wäret alle schon rein, indem ihr doch schon tüchtig
abgesotten und darauf gewaschen worden seid. Jetzt aber kommt aus euch ein ganz
verborgener alter Rost und Schmutz zum Vorschein! Daher werdet ihr schon noch
einmal in ein ganz scharfes Bad gehen müssen, bevor ihr wert sein werdet, euch
jenem Heiligen zu nahen!“
[BM.01_123,19] Schreien die Mönchinnen: „Was sagst du, wir – baden?! Du bist
auch ein Unreiner, darum geht der Teufel bei dir aus und ein! Oder haben wir
etwa zu unserem größten Entsetzen nicht gesehen, wie du ehedem der schönen
Teufelin einen Kuß hast geben wollen, hätte sie dich nicht zurückgestoßen! Wenn
das so fortgeht, wird es bald klar genug sein, in wessen Händen wir uns in
diesem Hause befinden!“
[BM.01_123,20] Spricht Martin ganz gelassen: „Ja, ja – nur ins Bad mit euch!
Baden, nur baden! Dort hinter jener weißen Wand schwimmen nun tausend gar rare
Fischlein herum und baden sich; dort ist für euch auch noch Platz! Daher begebt
euch nur schön gutmütig hin und machet Gemeinschaft mit jenen Badegästen, sonst
– –!“
[BM.01_123,21] Die Mönchinnen schreien vor Zorn und gehen auf ihre alten Plätze
zurück.
124. Kapitel – Seelenheilwinke. Geistige Naturheilmethode. Krisen der
Chinesengeister. Vom Wesen der Eifersucht.
[BM.01_124,01] Martin aber begibt sich mit Borem und Chorel zum Herrn, d.h. zu
Mir. Er will Mir anzeigen, daß die tausend Badenden vom Anhange des Drachen, da
es ihnen nun besser geht, allerlei Gestalten annehmen und sehr ungebärdig
werden, so daß sich auch Borem nicht mehr auskennt, was fürder mit ihnen
geschehen soll.
[BM.01_124,02] Rede Ich zu den dreien: „Die tausend sind im Bade, da sind sie
gut aufgehoben. Denn sie sehen nicht diese Wohnung, sondern nur die Welt ihrer
inneren Bosheit. Diese wird nun in ihnen stets mehr und mehr flott und damit in
ihrer Äußerlichkeit ersichtlich. Das ist schon ein gutes Zeichen! Lasset daher
nun die tausend, sie werden schon des rechten Weges geführt werden!
[BM.01_124,03] Aber dort stehen über dreihundert Weiber. Diese sind von großer
Eifersucht beherrscht und leiden viel in ihrem Herzen, so daß sie Mich dauern.
Gehet hin und belehret sie recht; aber mit dem Bade darfst du, Bruder Martin,
sie nicht mehr bedrohen, willst du die Armen zu Mir bringen!
[BM.01_124,04] Siehe, die Eifersucht ist eine Schmarotzerpflanze der Liebe und
untergräbt diese! Wird die Schmarotzerpflanze am Lebensbaume der Liebe zu
mächtig, zerstört sie wohl mit der Folge den ganzen Baum. Will man aber den Baum
erhalten und kräftigen, muß man durch rechte Mittel suchen, den Baum von solchen
fremden Ausgeburten völlig zu reinigen.
[BM.01_124,05] So du aber eifersüchtige Gemüter durch Drohungen noch mehr
aufregst als sie ohnehin schon sind, pfropfst du selbst die Schmarotzerpflanze
auf den Baum des Lebens, daß diese dann wuchert und den Baum völlig zugrunde
richtet.
[BM.01_124,06] Daher mußt du in der Folge so handeln, wenn du mit eifersüchtigen
Geistern zu tun haben wirst: Betrachte die Eifersucht stets als eine Ausgeburt
der Liebe und denke: wo Eifersucht ist, da ist auch Liebe! Besänftige diese mit
Liebe, so wirst du aus der Eifersucht bald die glühendste Liebe zuwege bringen!
[BM.01_124,07] Ich sage euch, wo sich keine Eifersucht zeigt, da ist auch keine
Liebe! Oder habt ihr auf der Welt je gesehen, daß unfruchtbare Weiden, Fichten
und Tannen, Föhren und tausend andere unfruchtbare Bäume mit Schmarotzerpflanzen
behaftet werden? Sicher niemals habt ihr eine solche Abartung gesehen, wohl aber
sehr häufig an den edlen Fruchtbäumen.
[BM.01_124,08] So ist es auch hier und ganz besonders mit jenen Weibern der
Fall. Sie haben sehr viel Liebe, wie ein edler Fruchtbaum viel edlen Saftes hat.
Suchet aber den schlechten Auswuchs aus ihren Herzen zu entfernen durch Liebe,
und ihr werdet an ihnen Wunder der fruchtbarsten Liebe erbeuten! Geht daher nun
hin und tuet, wie Ich es nun euch angeraten habe, so werdet ihr Meinem Herzen
ein gutes Werk darbringen!“
125. Kapitel – Borem und die herzkranken Nonnen.
[BM.01_125,01] Die drei gehen nun freundlichen Antlitzes zu den armen Weibern.
Als sie bei ihnen ankommen, nimmt Borem das Wort und spricht:
[BM.01_125,02] (Borem:) „Liebe Schwestern, höret mich recht geduldig an! Ich
will euch allen ein gutes Recht verschaffen, denn ich weiß, daß euer Herz
leidet. Und ich weiß, daß dieser Bruder, als ihr ehedem bei ihm euer Recht
suchtet, euch hart zurückgewiesen hat. Ich konnte damals, als selbst Gast dieses
Hauses, dem Hauseigentümer nicht in seine Rede fallen, denn ein jeder ist der
erste Rechtsherr seines Hauses.
[BM.01_125,03] Nun hat mir aber der Oberherr aller Hausherren das Recht
eingeräumt, auch als Gast das Recht der Liebe zu üben. So will und werde ich nun
nach meinen Kräften und mit allen Mitteln euch euer gutes Recht verschaffen und
alles im Namen des Herrn gutmachen, was euch nun bedrückt und euer Herz
beleidigt hat. Seid ihr alle, meine lieben Schwestern, damit zufrieden?“
[BM.01_125,04] Reden die Weiber wie aus einem Munde: „O ja, lieber, guter
Freund! Wahrlich, du bist schon sicher ein wahrer Gottesfreund; von dir wollen
wir alles gerne annehmen! Du meinst es gut und redlich mit uns und erkennst das
Leid unserer Herzen. Aber mit diesem Martin wollen wir nichts mehr zu tun haben.
Denn statt unsere Not zu erkennen, uns zu trösten, zu belehren und die Wahrheit
zu zeigen, so wir etwa doch auf einem Irrwege wären, hat er uns zur Hölle in das
Bad der Teufel verwiesen. Das war sehr unhimmlisch von ihm gehandelt, der ein
Hauptbürger der Himmel ist oder wenigstens sein will. Daher wäre es uns lieber,
so er zurückträte, daß wir uns nicht ärgerten an seinem Anblicke.“
[BM.01_125,05] Spricht Borem: „Liebe Schwestern, lasset das nur gut sein, und
lasset es nun mir über. Ich werde schon alles wieder gutmachen! Sehet, unser
Bruder Martin ist kein böser Geist, sondern, wie ich, aus dem Herrn nur ein
guter.
[BM.01_125,06] Wir hatten mit jenen noch stark argen Gästen, die nun im Bade
sind, sehr viel zu tun und hatten dabei recht viel bedauerlichen Ärger. Als wir,
der für uns zu großen Mühe beinahe überdrüssig, zu jenem übermächtigen Freunde
gingen, uns Rat zu holen, kamt ihr uns gerade wie in einem sehr ungünstigen Wurf
entgegen. Und der ohnehin leicht erregbare Martin hat euch dann freilich wohl
etwas zu hart und unsanft empfangen, was aber, wie gesagt, uns allen sehr zu
verzeihen ist.
[BM.01_125,07] Daher meine ich, ihr werdet ihm das wohl leicht verzeihen, da er
doch sonst zu euch voll Liebe ist und eine große Freude hat, euch alle als seine
lieben Hausgenossen zu begrüßen. Ich glaube, ihr werdet das tun, was ich auch
sicher tun würde, so ihr mich beleidigt hättet.“
[BM.01_125,08] Sagen darauf die Weiber: „Weißt du, liebster Freund, was du uns
sagst, tun wir ja alle von Herzen gerne. Aber das sagen wir dir auch zur
Beschämung des Martin: nur dir zuliebe tun wir's und wollen ihm seine große
Unart nachsehen. In der Folge jedoch möchten wir es ihm wohl schwerlich mehr
verzeihen, so er uns noch einmal so ungebärdig entgegenkäme.
[BM.01_125,09] Er ist wohl ein recht lieber Mann, und es ist eine rechte Freude,
seine schöne Gestalt anzusehen. Was aber nützt die Gestalt, so sie roher ist im
Herzen denn ein Apfel acht Wochen nach der Blütezeit? Wird uns Martin gleich dir
entgegenkommen, wird er in uns auch Herzen finden, die gewiß nicht ohne Liebe
sind. Aber in seiner hausherrlichen Tyrannisierlust wird er anstatt Liebe ganz
was anderes finden.
[BM.01_125,10] Wir sind ja nun, Gott sei's gedankt, doch gewiß auch recht
himmlisch schön. Die Männer alle, die hier in großer Anzahl zugegen sind, haben
uns schon mit großem Wohlgefallen betrachtet, obschon wir uns darauf nichts
zugute tun, – denn wir wissen ja, daß alle äußere Schönheit ein Geschenk des
Herrn ist. Aber daß eben Martin und jener euer mächtiger Freund an uns gar
nichts finden, was ihnen irgend Wohlgefallen abgewinnen könnte, ist denn doch
kränkend für uns.
[BM.01_125,11] Jene zwei Schwestern sind im Grunde doch auch nicht schöner als
wir, aber jener Freund liebt sie über alles und gibt sich ausschließlich fast
nur mit ihnen ab. Wir aber stehen hier wie arme Sünderinnen und werden von
niemand beachtet, denn alles heftet die Augen auf jene drei. Soll so etwas uns
denn nicht kränken? Und so wir von jenem Freunde eine Zeitlang auch schon die
erhabensten Mutmaßungen in unseren Herzen faßten: müssen sie nicht wieder
verwelken gleich irdischen Blumen, so ihnen alle nötige Nahrung entzogen wird?
[BM.01_125,12] Siehe, das Herz braucht auch Nahrung, soll es in der Liebe stark
werden. Wie sollen aber unsere Herzen in der Liebe je erstarken, wenn sie statt
einer Nahrung bloß nur Faste über Faste bekommen?“
[BM.01_125,13] Spricht Borem: „Ja, meine liebenswürdigsten Schwestern, eure
Forderung ist gerecht. Habt nur eine kleine Geduld und eure Herzen werden bald
in Überfülle gesättigt werden! – Ihr wisset ja, daß der gute Arzt zuerst die
Kranken heilt und dann erst zu den Gesunden auf Besuch kommt.
[BM.01_125,14] Ebenso geschieht es auch hier. Werden jene beiden Patientinnen
erst völlig hergestellt sein, wird jener Arzt auch zu euch kommen. Daher
geduldet euch nur noch ein wenig und folget mir, – ich werde euch allen etwas
gar Wunderbares zeigen!“
[BM.01_125,15] Sprechen die Weiber: „Lieber Freund, das tut hier wahrlich nicht
not. In diesem ungeheuren Saale gibt es ohnehin eine solche Menge der
allerwunderbarsten Sehenswürdigkeiten, daß man sich daran nimmer satt sehen
kann!
[BM.01_125,16] Dieser herrliche Fußboden, der doch gerade so aussieht, als wäre
er aus lauter alleredelsten Steinen von den verschiedensten und lebendig
frischesten Farben in schönsten Girlanden zusammengefügt!
[BM.01_125,17] Die großen, herrlichen Säulen, die die unbeschreiblich schönsten
Galerien tragen! Wie sie strahlen, als wären sie aus den leuchtendsten Rubinen
angefertigt, in deren Innerem tausend Sterne wie Goldfischlein im Wasser
herumschweben und dadurch stets neue, wunderschöne Lichtformen bilden!
[BM.01_125,18] So gibt es hier noch tausend und abermals tausend Herrlichkeiten,
für die wir gar keine Namen haben. Da demnach hier eine so große Menge der
überherrlichsten Dinge zur Beschauung stehen, haben wir nicht ein leisestes
Bedürfnis, noch etwas Herrlicheres und Wunderbareres zu sehen.
[BM.01_125,19] Unsere Augen sind hier in Überfülle versorgt und brauchen nichts
Weiteres. Ganz anders aber sieht es mit unseren Herzen aus! Siehe, diese sind
noch sehr unversorgt! Was nützt es, das Auge zu erquicken, wenn dabei das Herz
leidet? Sorge daher zuerst für unsere Herzen, dann werden unsere Augen mit etwas
ganz Leichtem befriedigt werden!“
[BM.01_125,20] Spricht Borem: „Liebe Schwestern, eure Forderung ist sehr recht
und gerecht. Aber ihr gebt sie mir früher kund, als ihr Erfahrung genommen habt
von dem, was ich euch zeigen will! Wisset ihr denn, ob das nicht eben
hauptsächlich für eure Herzen berechnet ist? Wisset ihr schon im voraus, worin
das Wunderbare besteht, das ich euch zeigen soll? Ist das Wunderbare denn nur
für die Augen? Kann es nicht auch etwas höchst Wunderbares allein fürs Herz nur
geben?!
[BM.01_125,21] Was ist denn mehr: das Auge oder das Herz? Kann nicht das Auge
blind sein und das Herz dennoch in aller Fülle des Liebelebens schwelgen?
Welches irdische Menschenauge kann Gott schauen? Seht, dazu ist jedes
Fleischauge blind; aber das Herz kann Gott denken und es kann Ihn lieben. Ja, es
kann sogar Ihm, dem Herrn, zu einem lebendigen Tempel werden, in dem Er Wohnung
nimmt! Was ist also mehr: das Auge oder das Herz?!
[BM.01_125,22] Wenn aber so, wie könnt ihr lieben Schwestern euch da denken, daß
ich euch hier, im Reiche des Herzens Gottes, irgendwohin führen möchte, wo es
nur für die Augen allein wunderbar scheinende Dinge gibt?
[BM.01_125,23] Ich sage euch: hier gilt alles ganz allein dem Herzen nur! Das
Auge aber ist nur ein Lichtzeuge von alledem, was da geschieht im Herzen, und
was dargebracht wird dem Herzen vom Herzen. So ist auch das Wunderbare, was ich
euch zeigen will, nicht für eure Augen, sondern lediglich für eure Herzen
vorbereitet.
[BM.01_125,24] Aber da hier im Gottesreiche kein Wesen blind ist, sondern
jegliches seine Sehe hat – gleich kräftig wie das Herz –, so ist das Auge
freilich auch allzeit Zeuge von dem, was da geschieht fürs Herz und kommt aus
dem Herzen. Und so werdet auch ihr das, was für euer Herz geschehen wird, mit
euren Augen sehen. Daher folget mir nun!“
[BM.01_125,25] Auf diese Worte Borems folgen alle die Weiber den dreien, und
zwar zur Tür, die da führt in die Gefilde der Sonne.
126. Kapitel – Geläster des badenden Drachenanhanges. Des Herrn beruhigende und
belehrende Worte.
[BM.01_126,01] Während sich Borem, Martin und Chorel mit den vielen Weibern hin
zur Sonnentür begeben, werden die tausend Badegäste äußerst unruhig in ihrem
bewußten Bade. Sie fangen an, ganz gewaltige Lästerungen auszustoßen, so daß
selbe sämtliche gereinigten hier anwesenden Mönche und sogar Chanchah und Gella
wohl vernehmen.
[BM.01_126,02] Die beiden ermannen sich bald aus ihrem seligsten Liebestaumel
und horchen nun aufmerksamer. Chanchah will Mich gerade fragen, was dies zu
bedeuten habe, als eben hundert der Mönchsbrüder zu Mir eilen und Mich inständig
bitten, diesen Gästen im Bade das Maul zu stopfen, da sonst leicht die
Schwächeren von ihnen selbst geärgert werden könnten.
[BM.01_126,03] Als diese Mönche kaum ihre Bitte Mir kundgegeben, kommen auch
schon die Chinesen samt ihren vielen Weibern und die Eltern der Mönchinnen
herbei und sagen: „Du mächtiger Bote Gottes, hörst du denn nicht, wie jener
Anhang des Drachen nun im Bade über Gott, über dich und über uns alle sich
hermachen will, um uns alle gar übel zu verderben? Hier wird es für die Folge
kaum mehr zu bestehen sein, wenn diesem bösen Höllen-Gesindel in seinem Treiben
nicht völliger Einhalt getan wird.
[BM.01_126,04] Höre, welch gräßliche Lästerungen sie ausstoßen! Diese Bestien
sind ja noch viel ärger als der Drache selbst, der doch ehedem ganz vernünftig
scheinend gesprochen hatte mit Martin und auch mit dir. Mache daher diesem
Treiben ein Ende, oder laß uns alle hinausgehen, damit wir fürder nimmer solche
Lästerungen des Allerheiligsten vernehmen!“
[BM.01_126,05] Rede Ich: „Es ist wohl sehr recht von euch, daß eure Herzen mit
Abscheu erfüllt werden gegen solch ein ärgerliches Toben. Aber dabei müsset ihr
dennoch nur auf Mich und nicht auf euch selbst schauen, sonst werfet ihr euch
selbst zu Richtern auf. Das wäre dann ärger als all dies leere Geläster dieser
freilich noch sehr argen Badegäste!
[BM.01_126,06] Wer da nur lästert, bekennt dadurch nichts als seine Ohnmacht.
Hätte er Macht, würde er sogleich handeln und nimmer vergebliche Worte
gebrauchen, die nichts als leerer Schall sind. Wer ohnmächtig ist, will aber
dennoch tun, als hätte er eine Macht, der wirft sich zu einem falschen Richter
auf und greift dadurch mut- und böswillig in die ausschließlichen Rechte Gottes.
Er schändet diese durch seine Ohnmacht, während in Gott doch allein nur alle
Macht und Kraft und somit das ausschließliche Recht zu richten zu Hause ist und
sein muß wegen der ewig notwendigsten Ordnung.
[BM.01_126,07] Seht, liebe Freunde und Brüder, euch ärgert nun das loseste
Schmähen und Lästern dieser Badegäste. Und es ist recht, daß ihr daran in euren
Herzen ein großes Mißfallen habt! Ich aber erschaue daneben in euch allen auch
eine Glut, die, so sie hinreichend mächtig wäre, diesen Badegästen einen ewigen
Garaus machen würde. Sehet, diese Glut ist ärger denn jenes sinnlose ohnmächtige
Lästern.
[BM.01_126,08] Diese Gäste beschimpfen uns bloß, da sie wohl wissen, daß sie uns
sonst ewig nichts anhaben können. Auch wissen sie, wieviel Geduld und Langmut in
Gott zu Hause ist. Wir aber würden sie dafür verderben, weil wir dazu Macht
haben, oder sie wenigstens auf ewig verlassen. Wäre das wohl weise? Wäre das in
der Ordnung Gottes, die nichts zerstören, sondern ewig nur alles erhalten will,
ja sogar erhalten muß, weil selbst die Gottheit litte, so nur das Kleinste, das
auch aus Ihr hervorging, zerstört werden könnte!
[BM.01_126,09] Ermannt euch daher und lasset sie alle schimpfen und lästern. Mit
der Weile werden sie ausgelästert haben und in eine starke Reue übergehen. Sie
werden uns allen dann noch recht liebe und treue Brüder werden und ganz
besonders Schwestern, – denn die größte Mehrzahl ist weiblich!
[BM.01_126,10] Daß sie aber völlig ohnmächtig sind, könnet ihr ja daraus leicht
ersehen, daß sie sich nicht um ein Haarbreit über das Bad heraus bewegen können.
Welch ein Ruhm aber wäre es dann für uns, so wir uns nun an ihnen rächen
möchten, weil wir mächtig, sie aber völlig ohnmächtig sind? Ich meine, dieser
Ruhm gliche dem eines Löwen, so er sich zu einem Mückenfänger herabwürdigen
möchte.
[BM.01_126,11] Ich aber ermahne euch alle, daß ihr allzeit auf Mich schauet und
dabei merkt, was Ich tue, so werdet ihr fürder keinen Ärger und keine
Richtergier in euren Herzen mehr verspüren! Mich geht dies alles am meisten an,
und doch bin Ich ruhig. Seid daher ihr um so mehr ruhig, da euch all diese
Lästersachen nicht im geringsten berühren!
[BM.01_126,12] Sie lästern nur Gottes Gerechtigkeit, die sie hier baden läßt, –
welches Baden für sie natürlich nicht ganz schmerzlos sein kann, so ihnen
geholfen werden soll. Denn jede Umwandlung ist mit Schmerz verbunden so lange,
bis nicht ein ganzes Wesen in eine andere Ordnung übergegangen ist. Der Schmerz
selbst aber ist notwendig. Gäbe es keinen Schmerz, so gäbe es auch keine Wonne,
da ein Wesen, das für keinen Schmerz empfänglich, auch völlig tot wäre für die
Wonne.
[BM.01_126,13] Diese Badenden aber sind nun alle in einem gewaltigen
Übergangsprozeß und haben dabei so manchen Schmerz zu erleiden, der ihre Zungen
auch zu solchen Lästerungen treibt. Werden sie mit der Weile einer neuen, festen
Ordnung nähergerückt, so werden auch ihre Schmerzen sehr vermindert werden. Ihre
Zungen werden sodann vom Lästern ganz abgehen und werden erhebende Worte der
Reue zu bilden anfangen, die da sind eine Brücke zur Liebe und zum Leben.
[BM.01_126,14] Damit ihr euch aber nicht länger ärgert an diesem leeren
Geläster, so beweget euch nun mit Mir hin zu jener Tür, an welcher nun schon
Borem, Martin und Chorel mit den vielen Weibern stehen. Diese Tür, die nun noch
verschlossen ist vor euren Augen, werde Ich auftun. Ihr werdet da eine große
Gelegenheit bekommen, euch in eurem ganzen Wesen so recht bis in die innerste
Fiber eures noch ziemlich hoch anschwellenden Herzens zu demütigen, was euch
allen vor allem nottut! Daher folget Mir nun; es sei!“
127. Kapitel – An der verschlossenen Sonnentür. Verhältnis des Lichtes zur
Tätigkeit. Verhaltungswinke für die Sphäre der Weisheit.
[BM.01_127,01] Die ganze große Gesellschaft folgt Mir nun zu der bezeichneten
Tür, an der Bischof Martin und Chorel mit den Weibern harren, bis ich komme und
ihnen öffne die Tür des Lichtes. Es sind in allem nun schon bei dreitausend an
der Zahl, so daß es da ein förmliches Drängen gibt. Aber da diese Tür nun sehr
weit ist, haben die verschiedenen Gäste dennoch Platz zur Genüge und können
unbehindert auf den Boden der Sonne gelangen und dort schauen die Wunder der
Liebe, die Wunder des Lichtes.
[BM.01_127,02] Bei der Tür kommt Mir sogleich der Martin entgegen, um Mich über
den Grund des Verschlossenseins dieser Tür zu befragen, während doch alle andern
nun offen stünden.
[BM.01_127,03] Ich aber sage zu ihm: „Freund, Bruder, hast du nie auf der Erde
von den verschiedenartigen Geburten der Menschen und Tiere etwas gehört oder
gelesen? Siehe, jedes Wesen ist bis aufs Auge schon im Mutterleibe seiner Sinne
mächtig! Es fühlt, es schmeckt, es riecht, auch das Ohr ist nicht geschlossen;
aber das Auge wird erst geöffnet nach der Geburt. Daher ist auch bei der
geistigen Wiedergeburt das Öffnen der Tür zum Lichte oder das Öffnen des
geistigen Auges das Letzte. Denn bevor jemand schauen will, muß er dafür wohl
vorbereitet sein.
[BM.01_127,04] So aber jemand in seinem Hause zur Nachtzeit ein Licht anzünden
will, muß er doch zuvor die nötigen Vorkehrungen treffen, durch die er Licht
erzeugen kann. Muß er nicht in Bereitschaft haben eine mit Öl gefüllte Lampe und
ein gutes, verläßliches Feuerzeug? Was muß er mit dem Feuerzeuge tun, und wie
lange wird er zu tun haben, bis er daraus ein erwünschtes Licht zuwege bringen
wird? Siehe, es wird bis zum Licht eine Zeit vergehen. Und eine mannigfache
Handlung wird vorangehen müssen, und der Zweck aller vorangehenden Handlung wird
am Ende das Licht sein! Wenn das Licht einmal erzeugt ist, dann erst kann auf
ein anderes ersprießliches Handeln im Lichte übergegangen werden; zuvor aber
kann davon keine vernünftige Rede sein!
[BM.01_127,05] So du das bedenkst, wirst du leicht einsehen, warum hier in
diesem Hause alle andern Türen geöffnet sind und nur diese Sonnentür bis nun
verschlossen war vor diesen Gästen.
[BM.01_127,06] Ich sehe wohl, daß du Mich abermals fragen möchtest und sagen:
Ja, wenn so, warum sei denn die Tür dir schon ein paarmal offen gestanden? Und
warum sei sie, als du sie zum ersten und zum zweiten Male betratst, nicht die
letzte gewesen? Ich aber sage dir: fürs erste gehörst du nicht mehr zu diesen
Gästen, die erst der Wiedergeburt gewärtig werden müssen. Fürs zweite, was die
anderen Türen betrifft, die du nach der Sonnentüre betratst, so wird wohl jeder
Geist nach seiner Wiedergeburt sich doch zu einer Tätigkeit im Lichte oder in
klarer Einsicht und Erkenntnis bequemen wollen?
[BM.01_127,07] Oder meinst du etwa noch, nach dem Empfange des Lichtes tritt ein
ewiger, allenfalls wollüstiger Müßiggang ein? O nein, sage Ich dir, die rechte
Tätigkeit tritt erst im Lichte ein. Vor dem Empfang des Lichtes ging jede
Handlung nur darauf hin, das Licht zu empfangen. Ist das Licht aber da, ist der
Tempel der Sonne geöffnet, dann erst fängt die große Tätigkeit des
wiedergeborenen Geistes an!
[BM.01_127,08] Oder hast du auf der Erde wohl je gesehen, daß die Schulknaben
Ämter bekommen? Vorher muß ein Schüler zum erforderlichen vollen Erkenntnislicht
durch manche Studien gelangen, bis ihm ein seinem Lichte angemessenes Amt
erteilt wird. So er aber seine wissenschaftliche Laufbahn durchgemacht und ein
rechtes Erkenntnislicht erreicht hat, wird er sich dann wohl auf ein Ruhebett
werfen und auf selbem behaglich zu schlafen anfangen, anstatt zu arbeiten in
seinem ihm gewordenen Lichte? Ja, er wird nun erst so eigentlich zu arbeiten
anfangen, denn alle seine früheren Studienarbeiten waren bloß nur ein
Lichtmachen in der Nacht seines Wesens.
[BM.01_127,09] Und siehe, da hast du wieder einen starken Grund mehr, warum es
nach der Sonnentür noch andere Türen gibt, besonders jene zum ganzen endlosen
Universum! Hast du etwa noch eine Frage übrig?“
[BM.01_127,10] Spricht Martin: „O Herr, Du durchschaust mein Herz wie einen
Wassertropfen. Ich empfinde nun nichts anderes in mir als nur die heißeste Liebe
zu Dir, Du endlos guter, heiliger Vater! Du weißt, daß mir die meinen Kräften
angemessene Tätigkeit über alles willkommen ist; daher wird auch mir ein noch
höherer Lichtgrad sicher sehr gut zustatten kommen! Denn Du weißt es, daß es mir
am Willen, Gutes zu wirken, noch nie gemangelt hat, wohl aber am Lichte, d.i. an
der rechten Weisheit dazu fast noch immer. Daher meine ich, die volle
Wiederöffnung dieses Tempels wird mir vorzugsweise von großem Nutzen sein!
Obschon ich für mich allein in Dir die eigentliche Sonne aller Sonnen und das
Licht alles Lichtes erschaue und nun auch in aller Fülle habe, daher ich auch
für ewig jedes anderen Lichtes entbehren kann!“
[BM.01_127,11] Rede Ich: „So, so, Mein lieber Bruder Martin; diese Rede gefällt
Mir schon um sehr vieles besser denn deine früheren Fragen.
[BM.01_127,12] Wohl ist es wahr, daß Ich da bin die Sonne aller Sonnen, das
Licht alles Lichtes. Wer Mich hat, der wandelt und handelt am hellsten Tage.
Aber da doch ein jeder Mensch aus Mir ein nun eigenes und freies Wesen ist, so
hat er auch sein eigenes Licht. Dieses muß ebenso frei in ihm leuchten, als wie
frei da leuchtet die Sonne in der großen Raumhalle ihrer Planeten, wie frei
jedem Menschen leuchten seine Augen und wie frei da jedes Menschenherz pulst
stets neue Gedanken. Aus ihnen gehen dann freie Ideen hervor, aus ihnen die
Erkenntnisse ihrer selbst und daraus die große Erkenntnis Meines Gottwesens,
Meiner Liebe und Weisheit. Daher wird diesen Gästen nun auch diese Tür geöffnet,
damit sie sich erkennen und dann erst Mich in aller Wahrheit. Wollen wir uns
denn nun auch an die Öffnung dieser Tür machen!“
[BM.01_127,13] Spricht Martin: „O Herr, Du heiligster Vater, das wäre schon
alles überwahr, gut und recht. Aber gib mir nur die Versicherung, daß Du zufolge
der Erkenntnis und vollen Wahrheit, die diese Gäste über Dich bekommen werden,
etwa nicht wieder Dich irgendwo verbergen wirst und wir Dich dann wieder werden
suchen und rufen können, wie wir wollen, und Du wirst nicht so bald wieder zum
Vorscheine kommen! O Herr, o Du lieber Vater, nur das tue Du uns nimmer an!“
[BM.01_127,14] Rede Ich: „Mein geliebter Sohn, Ich sage dir: Sorge du dich um
alles, nur um das sorge du dich nimmer! Denn wo die Kindlein sind, da ist auch
der Vater – und wo der Vater, da auch die Kindlein! Aber du weißt ja, daß Meine
Familie groß ist und übergroß die Herde aller Meiner Schafe. Diese alle werden
wir dann in ein Haus bringen, und es wird dann eine Herde und ein Hirte sein!
Aber es wird dabei noch sehr viel zu tun geben.
[BM.01_127,15] Merke dir: auf dem Erdkörper sind nun viele Schnitter bestellt;
da wird eine große Sichtung vor sich gehen! Ich werde viel Fleisches benötigen,
darum wird viel Blut fließen zur Ausrottung aller Hurerei. Ich habe auf der Erde
Zeugen erweckt, und was Ich mit dir nun hier rede, geredet habe und noch reden
und handeln werde, siehe, das alles wird zu gleicher Zeit auf der Erde
aufgeschrieben und dem Fleische kundgemacht! Daher sorge dich nicht, als würde
Ich euch nach der Öffnung dieser Tür auf irgendeine Art verlassen, sondern
denke: nun erst werde Ich ewig unverändert fest bei euch verbleiben! –
[BM.01_127,16] Nun aber noch etwas, Mein geliebter Martin! Siehe, wir werden
diesmal die großen Gefilde der Sonne viel inniger und weiter gedehnt betreten
als das erstemal. Es werden dir daselbst weibliche Wesen von nie geahnter
Schönheit mit der größten Anmut, Liebe und unbeschreiblicher Zärtlichkeit
entgegenkommen, desgleichen auch Männer. Du aber mußt sie stets mit wahrem
himmlischem Ernste behandeln. Wenn du aber redest, da rede wenig und weise;
dadurch wirst du sie am meisten gewinnen! Lieben mußt du sie ganz geheim nur, so
daß sie es nicht merken, dann wirst du unter ihnen sicher wandeln!
[BM.01_127,17] Denn auf dieser großen Welt des Lichtes ist die Weisheit obenan.
Innerhalb dieser erst birgt sich ganz geheim die Liebe geradeso, wie im Lichte
der Sonne die Wärme ganz unersichtlich vorhanden ist und sich nur in der zahllos
vielartig produktiven Wirkung kundgibt. In der Sonne mußt du daher bloß
leuchten, wie du auch Mich wirst leuchten sehen! Diese Regel also getreu
beachtet, wirst du bei dieser ersten großen Expedition viel Seligkeit genießen.
Und nun gehe hin und öffne die Tür in Meinem Namen! Es sei!“
128. Kapitel – Auf der lichtquellenden Sonne. Der Herr als der Letzte. Martin
als Reiseführer.
[BM.01_128,01] Martin dankt Mir für diesen Auftrag aus vollstem Herzen, bewegt
sich dann zur Tür und öffnet sie mit größter Leichtigkeit, obschon sie in ihrer
Erscheinlichkeit eine Höhe von zwölf Manneslängen und eine Breite von sechs
solchen Längen hat.
[BM.01_128,02] Als die Tür nun offen steht, geschieht aus mehreren tausend
Kehlen ein Schrei voll entzückten Entsetzens. Alles fährt mit den Händen vor die
Augen, da das Licht in äußerst intensiver Fülle all diesen Gästen entgegenkommt.
Niemand getraut sich, auch nur einen Schritt weder vorwärts noch rückwärts zu
machen. Denn die meisten sind der Meinung, daß in diesem ungeheuer mächtigen
Lichte ganz ungezweifelt die eigentliche Gottheit wohne in aller Urfülle ihrer
Macht, Kraft und Weisheit.
[BM.01_128,03] Selbst Martin stutzt diesmal, denn auch ihm kommt dieser
Lichtglanz nun bei weitem heftiger vor als die beiden früheren Male. Aber das
geniert ihn wenig, daher ergreift er sogleich das Wort und spricht:
[BM.01_128,04] (Martin:) „Brüder und Schwestern, fürchtet euch nicht vor dem,
was uns nur über die Maßen zu beseligen vom Herrn bestimmt ist! Kommet alle
heraus zu mir, denn dies Licht ist ein fester Boden und man kann wandeln darauf
wie auf Erz!“
[BM.01_128,05] Borem und Chorel führen nun ihre Weiber hinaus. Diese sind sehr
furchtsam, beginnen aber am Ende, durch ihre große Neugierde die Furcht
besiegend, dennoch ihre Füße hinaus über die Türschwelle zu setzen. Den Weibern
folgen die Mönche und die andern Gäste, als da sind die Eltern der Mönchinnen
und auch so mancher Mönche. An diese schließen sich endlich die Chinesen und
folgen ihnen überaus sorgfältigen Schrittes.
[BM.01_128,06] Als nun alle draußen sind, folge auch Ich ihnen mit Chanchah und
Gella, die sich vor diesem grellsten Lichte anfänglich auch sehr scheuen. Aber
an Meiner Seite gibt sich ihre Furcht, und sie betreten ganz behaglich diese
neuen Lichtgefilde.
[BM.01_128,07] Nun befindet sich alles auf dem leuchtenden Boden der Sonne,
nicht etwa bloß geistig, sondern auch körperhaft genommen. Denn alle Geister aus
Meinem obersten Himmel sehen auch jeden naturmäßigen Körper aus- und inwendig,
wie er beschaffen ist. Da sie bei Mir sind, so sehen sie durch Mich alles, was
da ist in der Geisterwelt und in der Körperwelt genau so, wie Ich es sehe.
[BM.01_128,08] Im Anfang sehen sie wohl eben nicht am besten, weil ihre Augen
von einem zu grellen Lichte zu sehr geblendet werden. Aber nach und nach wird es
sich schon geben, wie es sich nun zu zeigen beginnt. Denn einige der Gäste
fangen schon an, am Boden verschiedene Gegenstände und auch verschiedene Farben
zu unterscheiden.
[BM.01_128,09] Die Weiber entdecken sogar einige wunderherrliche Blumen und
möchten sich sogar einige pflücken. Aber Borem und Chorel widerraten ihnen, weil
das in der Sonne als ein schlimmes Vorzeichen angesehen werde, so zu einer
unrechten Zeit an einem Gewächse etwas beschädigt würde; denn da müsse alles in
der strengsten Ordnung geschehen.
[BM.01_128,10] Nachdem diese große Gesellschaft unter der Anführung Martins sich
schon eine geraume Strecke auf dem Sonnenboden fortbewegt hat und es nun selbst
Martin schon ein wenig zu bangen anfängt, macht er eine kleine Rast, begibt sich
zu Mir und spricht:
[BM.01_128,11] (Martin:) „O Herr, o Vater, nach meinem Gefühle haben wir uns von
meinem Hause nach irdischem Maße nun wohl schon über 1000 Meilen Weges entfernt
und haben außer einigen Blumenstauden noch nichts zu Gesicht bekommen. Wie weit
und wie lange werden wir wohl noch zu wandeln haben, bis wir irgendein
bestimmtes Ziel werden erreicht haben?
[BM.01_128,12] Ich muß es offen gestehen: auf dieser gar zu lichten Welt möchte
ich eben nicht gerne zu lange zubringen, so man auf ihr nichts als Licht und
einige Blumenstauden zu Gesicht bekommt! Es ist nur gut, daß diese Lichtglut
nicht brennt und unsere geistigen Augen nicht mehr gleich den fleischlichen
entzündbar sind, sonst wäre es geschehen um sie! Ich gehe wohl voran; aber was
nützt mein Vorangehen, so ich nicht weiß, wohin? Daher gehe, o Herr, lieber Du
voran, da werden wir alle am ehesten zum rechten Ziel gelangen!“
[BM.01_128,13] Rede Ich: „Mein Sohn Martin, gehe du nur vorwärts auf dem Boden
des Lichtes, geduldig und unverdrossen; es wird das Ziel unserer Wallfahrt schon
kommen! Weißt du denn nicht, daß die Sonne millionenmal größer ist denn die
Erde? So aber schon große Geduld und viel Selbstverleugnung dazu gehört, auf der
Erde große Reisen zu machen, so gehört hier auf der Sonne, deren Boden ein gar
weitgedehnter ist, doch sicher noch bei weitem mehr Geduld dazu, solch weite
Gefilde zu bereisen. Daher gehe du nur wieder als Führer voran; wir alle werden
dir schon gleichen Schrittes folgen!
[BM.01_128,14] Ich kann hier aber aus dem Grunde nicht vorangehen, um fürs erste
niemanden von euch allen in seiner Freiheit zu beirren. Und fürs zweite, so Ich
voranginge und es kämen uns die Bewohner dieser Lichtwelt entgegen, da würden
sie Mein Wesen mit ihrem sehr hellen Geiste nur zu bald erkennen, dabei aber
zugleich verschmachten vor zu großer Hochachtung vor Mir! Gehe Ich aber ganz
zuletzt hinter euch her, so macht das nichts. Denn bei diesen Sonnenbewohnern
ist das Erste allzeit das Vorzüglichste. Was aber zuhinterst sich befindet, das
beachten sie wenig oder gar nicht! Und siehe, so bin Ich zuhinterst am besten
plaziert!
[BM.01_128,15] Wir befinden uns noch auf einem überaus hohen Gebirge. Werden wir
nun aber bald hinab in ein Tal kommen, dann wird das Licht schon milder werden.
Dort wirst du Massen von Menschen erschauen und vollauf zu tun bekommen, sowie
alle die hier mit uns wandeln. Daraus wirst du dann erst den wahren Zweck
unserer Reise erschauen. Nun aber gehe nur wieder auf deinen Posten und
verrichte deinen Führerdienst!“
[BM.01_128,16] Martin dankt Mir für diesen Auftrag, geht sogleich wieder vor die
Gesellschaft und gibt ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Alles erhebt sich und
folgt ihm.
129. Kapitel – Martins Begegnung mit Petrus und Johannes. Vom Wesen der Liebe
und der Weisheit bei den Sonnenmenschen.
[BM.01_129,01] Als Martin wieder eine geraume Zeit fortwandelt und sich selbst
heimlich fragt, wann etwa das Tal zum Vorschein kommen werde, da kommen ihm
Petrus und Johannes der Evangelist entgegen und grüßen ihn überfreundlich. Er
erkennt sie sogleich, ganz besonders Petrus, der sein erster Führer war in der
geistigen Welt, und kann vor Freude kaum reden, daß er seinen Petrus wieder
einmal zu Gesicht bekommt, den er nun schon so lange vermißt hatte. Nach einer
Weile der Freude des Wiedersehens sagt Martin:
[BM.01_129,02] (Bischof Martin:) „Aber Freund, Bruder, du Fels des Wortes
Gottes, wo warst denn du so lange?! Warum kamst du nicht zu mir in das Haus, das
der Herr mir gegeben hat? O wärest du doch zugegen gewesen, da hättest du
gestaunt über und über, was der Herr alles für unbegreifliche Wunder gewirkt
hat! Aber ich bin nun über die Maßen froh, daß du nur endlich wieder einmal bei
mir bist! Nun wirst du aber etwa doch wieder bei mir eine längere Weile
verbleiben?“
[BM.01_129,03] Spricht Petrus: „Lieber Bruder, du weißt, wir alle haben nur
einen Willen, und dieser Wille ist des Herrn. Was Er will und anordnet, das ist
gut! Die Unendlichkeit ist groß und ist voll von Seinen Werken; wir aber sind
Seine Kinder und sind wie Sein Arm. Daher sind wir bald hier, bald dort. Wie und
wo uns der Herr gebrauchen will, da sind wir auch im Augenblick, ob Milliarden
Sonnenentfernungen tiefer unten oder höher oben, das ist gleich, – denn für uns
gibt es keine Entfernungen mehr dem Raume nach.
[BM.01_129,04] Und siehe, so habe ich nach dir viel zu tun gehabt und konnte
nicht sichtlich zu dir kommen. Nun aber habe ich samt unserem liebsten Bruder
Johannes wieder etwas mehr Muße und werde mich in deiner Gesellschaft eine
rechte Weile aufhalten! Ganz ein Hauptgrund aber ist stets der Herr Vater Jesus.
Ohne Seine sichtliche Gegenwart können wir es nie eine zu lange Weile aushalten,
schon gar nicht bei solchen Momenten, in denen Er wieder einmal Selbst sehr
rührig wird und heraustritt aus Seiner Geduld und Langmut!
[BM.01_129,05] O Freund, auf den Weltkörpern, besonders auf der lieben Erde,
geht es zu, daß du dir gar keinen Begriff machen kannst. Daher wird auch der
Herr rührig, und wir werden bald Dinge erschauen, von denen du bis nun keine
Vorstellung hast. So wir nun aber hier auf der Sonne hinabkommen werden in ihre
großen Täler, da wirst du dich selbst überzeugen, wie es hier in den großen
Landen der Lichtwelt wahrlich recht toll zuzugehen anfängt. Nach dieser unserer
natürlichen Bewegung werden wir noch eine gute Weile brauchen, bis wir ins erste
Tal gelangen werden. Aber Wunder wirst du ersehen, von denen du dir bis jetzt
auch noch keinen Begriff machen kannst, obschon du nun samt mir ein Einwohner
des dritten Himmels bist!
[BM.01_129,06] Aber nur mußt du den Begriff ,Ernst‘ nie aus den Augen lassen,
denn die Sonnenmenschen sind ganz kurios! In ihrem Äußern sind sie der Abglanz
der Himmel und in ihrem Innern sind sie schlauer denn die Füchse. Sie haben die
höchste Hochachtung vor uns reinen Kindern Gottes. Aber so du ihnen nur
irgendeine sinnliche Blöße zeigst, dann wirst du sie nicht so leicht mehr los.
Sie werden dir dann mit einer Weisheit entgegentreten, von der du bis jetzt noch
nicht die leiseste Ahnung hast. Unser Bruder hier wird dir so manches mehr sagen
können, da er hauptsächlich mit den Sonnenbewohnern zu tun hat.“
[BM.01_129,07] Spricht Martin: „Hörst du, mein geliebter Bruder, deine Erzählung
ist zwar sehr anziehend; aber ich habe keine große Lust, mit diesen
Lichtweltbewohnern bald zusammenzukommen, wenn diese Wesen so sonderbare Käuze
sind! Das weiß ich schon, daß sie unendlich schön sind, da ich schon einmal das
Glück hatte, von meinem Hause aus einige zu erschauen. Aber daß hinter ihrer
Schönheit so eine gewisse Weisheitsknifferei stecken soll, das habe ich noch
nicht festweg gewußt.
[BM.01_129,08] Der Herr hat mir wohl Andeutungen gegeben, wie ich mich benehmen
soll – diese stimmen mit deinen gegenwärtigen Bemerkungen genau überein. Aber
von einer gewissen hinterlistigen Schlauheit ist mir mit Klarheit noch nichts
angezeigt worden. Der Herr stärke mich und euch, meine geliebten Brüder: ich
werde ihnen die Pfiffigkeit schon austreiben mit eurer Hilfe! Oh, das wäre nicht
übel, wenn wir uns von diesen lichtglatten Sonnenschönheiten möchten
einschlingeln lassen!“
[BM.01_129,09] Spricht Johannes: „Bruder, die Liebe ist beisammen und ist für
Liebe ganz offen! Die Liebe erkennt die Liebe bald! Aber der Weisheit Pfade sind
unendlich; außer dem Herrn werden wir sie wohl ewig nimmer völlig durchschauen.
Daher ist mit der Weisheit durchaus kein Streit anzufangen auf eigene Faust,
sondern lediglich nur durch den Herrn. Ihm allein sind alle ihre Wege klarst
bekannt, weil alle endlose Weisheit aus Ihm ist, – darum auch Er allein ist der
Weg, die Wahrheit und das Leben!
[BM.01_129,10] Du weißt, daß mir der Herr die große Gabe der tiefsten Weisheit
verliehen hat. Er hat mir gegeben eine tiefste Offenbarung und darum nun auch
die Völker aller Sonnen und hat mir untergeordnet Äonen Geister von tiefer
Weisheit, welche aber dennoch alle aus meinem Überflusse schöpfen. Und siehe,
selbst mich haben die Bewohner, besonders von dieser Sonne, schon in eine nicht
unbedeutende Verlegenheit gebracht! Wäre mir in solchen Momenten der Herr nicht
zu Hilfe gekommen, da hätte ich mit Schanden abziehen können!
[BM.01_129,11] Wenn es aber mir, der ich nun doch schon nahezu bei 2000
Erdenjahren mit den Sonnenvölkern zu tun habe, noch manchmal ganz eng gehen
kann: was würdest dann du machen, der du nun zum erstenmal in die Berührung mit
diesen Völkern kommst?!
[BM.01_129,12] Siehe, wie herrlich diese Gebirgsgegend nun ist, wie majestätisch
diese lichten Felsen in den Lichtäther hineinragen gleich großen
Diamantkristallen, und wie auch diese Hochfläche geziert ist mit den
herrlichsten Blumen von für dich sicher unbeschreiblicher Pracht, und wie sanft
dieser Weg sich auch dahinzieht wie ein strahlenreichster Regenbogen, – so ist
aber all diese Herrlichkeit dennoch eine pure Armseligkeit gegen die Harmonie,
die dir unten im Tale in einem einzigen Blick eines Sonnenmenschen entgegentönen
wird!
[BM.01_129,13] Nun mußt du aber dann erst die Harmonie der Worte in Erwägung
ziehen, die den reinsten Kehlen der großherrlichen Redner und Sänger dieser
Lichtwelt entschwebt! Ich sage dir, du wirst dastehen wie eine Säule vor
Verwunderung und Entzückung und wirst dir kaum zu denken getrauen, geschweige
erst zu reden oder gar zu belehren die, die dir bloß mit einem Blicke den Mund
bis in den Magen hinabstopfen werden!
[BM.01_129,14] Willst du mit diesen unsagbar schönen und nüchtern weisen
Sonnenmenschen beiderlei Geschlechts auskommen, so mußt du äußerlich völlig
teilnahmlos scheinen. Aber in deinem Innern mußt du ihnen überaus wohlwollen,
dann werden sie in dir bald einen Bürger des großen Himmels erkennen, dem eine
große Macht verliehen ist, und werden dich achten und lieben!
[BM.01_129,15] Aber die Liebe ist bei ihnen auch ganz anders als bei uns Kindern
des Herrn. Sie ist wohl auch eine Art herzlicher Neigung, aber nur insoweit die
Weisheit sie nicht zerstört. Denn sobald die Liebe nur um ein Minimum stärker
wird als ihr Licht, geht der überwiegende Teil der Liebe sogleich in ein
momentanes heftigstes Auflodern über. Diese auflodernde Liebesflamme vereinigt
sich dann sogleich mit dem inneren Weisheitslichte, wo dann wieder statt der
Liebe nur eine potenzierte Weisheit zum Vorschein kommt, die dann oft kälter ist
als der Südpol der Erde!
[BM.01_129,16] Daher ist mit der Weiberliebe, auf die du große Stücke gehalten
hast, bei diesen Sonnenweibern so gut wie rein nichts zu machen. Ganz besonders
die Weiber sind am allerwenigsten dafür empfänglich.
[BM.01_129,17] Siehe, Bruder, so du diese Regeln genau beachten wirst, dann
wirst du viel Seligkeit bei den Sonnenvölkern treffen. Im Gegenteil aber äußerst
starke Verlegenheiten gleich der, die dir die Satana bereitet hat, als du sie in
ihrer Verstellung im Angesichte des Herrn hast küssen wollen!“
[BM.01_129,18] Spricht Martin: „Aber, um des Herrn willen, sage mir, warst denn
du da auch dabei?“
[BM.01_129,19] Spricht Johannes: „O ganz sicher! Siehe, dein Haus hat ja auch
große Galerien, die du noch gar nicht kennst. Ich sage dir, diese fassen gar
viele Zuschauer da, wo der Herr so mächtig wirkend zugegen ist! Nicht nur ich,
sondern alle zahllosen Bürger der Himmel haben solcher Szene beigewohnt! Du
wirst sogar unter den Bewohnern der Sonne viele antreffen, die dir das sogleich
vorhalten werden, so du dich in irgend etwas vergessen würdest!“
[BM.01_129,20] Martin macht darob ein sehr verdutztes Gesicht und sagt nach
einer Weile: „O du verzweifelte Geschichte! Oh, das schaut schon im voraus ganz
absonderlich gut aus! Nein, jetzt habt ihr das auch gesehen, und diese feinsten
Bewohner der Sonne auch! Oh, das ist nicht übel! Aber nun ist schon alles eins.
Hat mich die Sonne doch auf der Erde oft in einen tüchtigen Schweiß versetzt, so
wird sie's nun auch um so weniger sparen, wo ich nun das Glück habe, in corpore
spirituoso ihren höchsteigenen Boden zu betreten! Daher nur vorwärts; ich
verspüre es schon im voraus: die Sache wird sich machen!“
130. Kapitel – Einige Prüfungsfragen des Johannes an Martin. Von der Fürbitte
der Heiligen und der Sorge um die Verwandten.
[BM.01_130,01] Spricht Johannes: „Du Freund und Bruder Martin, höre, du warst ja
meines Wissens auf der Erde ein großer Freund Mariens und auch des Joseph und
anderer Heiligen. Wie ist es denn, daß du dich hier gar nicht um sie zu kümmern
scheinst? Auch um deine Verwandten, Vater, Mutter, Brüder und Schwestern, die
vor dir hierher kamen, und noch um eine Menge anderer Verwandten und Freunde
kümmerst du dich nicht! Sage mir doch, was ist denn wohl daran die Schuld?
[BM.01_130,02] Sie könnten ja leicht irgendwo unglücklich sein. Du bist nun ein
großer Freund des Herrn. Könntest oder wolltest du ihnen denn nicht helfen, so
du sie irgendwie unglücklich wüßtest? Hast du auf der Welt doch selbst große
Stücke auf die Fürbitte der Heiligen gehalten, und hier als nun Selbstheiliger,
Selbstfreund des Herrn, denkst du nicht einmal daran! Sage mir, wie kommt denn
das?“
[BM.01_130,03] Spricht Martin: „Liebster Freund und Bruder, der Ochse frißt Heu
und Stroh, und ein Esel ist schon gar mit dem schlechtesten Futter zufrieden;
ich aber war auf der Erde zuerst ein Esel und darauf ein Ochs! Was war sonach
mein Futter? Siehe, zuerst ein mistiges Heu und Gras und darauf ein etwas
besseres Stroh und Heu! Frage: Kann man bei einer solchen Kost für den Geist
wohl auch geistig fett werden?!
[BM.01_130,04] Nun aber bin ich durch die alleinige Liebe, Erbarmung und Gnade
des Herrn ein wirklicher Mensch geworden und habe schon öfter Sein Brot des
Lebens gegessen und Seinen echten Wein der reinen Erkenntnis getrunken. Wäre es
nun wohl löblich von mir, nach der schönen irdischen Esel- und Ochsenkost einen
Appetit zu haben? Sollte ich hier etwa auch noch wie auf der Erde irrwähnend
meinen, die seligen Bürger dieses endlos großen himmlischen Geisterreichs
möchten barmherziger, liebevoller und gnädiger sein als der Herr Selbst, und Er
müßte Sich etwa von ihnen zur Liebe, Erbarmung und Gnade erst bewegen lassen? O
Freund, so dumm wie ich war, bin ich nun wohl – Gott sei Dank! – nimmer.
[BM.01_130,05] Was sind Maria und Joseph, was alle sogenannten Heiligen, was
meine irdischen Eltern, Brüder und Schwestern und alle sonstigen Freunde gegen
den Herrn! Habe ich Ihn, was frage ich da nach 1000 Marias und Josephs, nach
1000 Eltern, nach 10000 Brüdern und Schwestern und nach einer zahllosen Menge
von allerlei Freunden? Der Herr sorgt für sie alle, wie Er für mich gesorgt hat;
und was braucht es dann mehr? Ich meine, jeder echte Himmelsbürger wird so
denken wie ich. Denkt er aber anders, so muß er notwendig noch vollkommener sein
als der Herr Selbst!
[BM.01_130,06] Sagte ja doch einst der Herr Selbst, wer so ganz eigentlich Seine
Mutter, Brüder und Schwestern sind, als man Ihn benachrichtigte, daß draußen
Maria, Seine Mutter, und Seine Brüder und Schwestern Seiner harreten.
[BM.01_130,07] So aber Er, der da war und ewig sein wird unser aller Lehrer und
Meister, uns mit solch einer Belehrung entgegenkam, die wir leider auf der Welt
freilich wohl nicht verstanden haben: sollen wir nun hier im Himmel etwa eine
bessere Belehrung in uns selbst finden? Ich meine, das wäre noch über all mein
irdisches Esel- und Ochsenfutter! Meinst du, liebster Bruder, nicht auch so?“
[BM.01_130,08] Spricht Johannes: „Allerdings, du hast mir ganz aus dem Zentrum
meines Herzens gesprochen. Es ist so, muß so sein und kann ewig nie anders sein!
Aber so dir die Maria und der Joseph und noch andere denkwürdige Personen
unterkämen, möchtest du da nicht eine ganz besondere Freude haben?“
[BM.01_130,09] Spricht Martin: „Eine rechte Freude allerdings, aber eine größere
sicher nicht, als so der Herr zu mir kommt. Denn in Ihm allein habe ich alles,
und daher ist Er allein mir auch über alles! Siehe, du und Bruder Petrus, ihr
gehöret doch gewiß zu den ersten Personen, die die Erde trug; brate ich für euch
– wie man auf der Erde sagt – eine Extrawurst? Ich habe euch sehr lieb, achte
aber jeden guten und weisen Himmelsbürger euch gleich. Denn wir alle sind ja nur
Brüder, und einer ganz allein ist der Herr! Ist es nicht so?“
[BM.01_130,10] Spricht Johannes: „Bruder, bei solcher wahren Weisheit wirst du
auch auf der Sonne gut durchkommen. Nun sehe ich schon, daß du die rechte
Weisheit hast! Und siehe, der Weg wendet sich schon hinab ins Tal; wir werden
nun mit Sonnenweisen zu tun bekommen!“
131. Kapitel – Niederstieg in ein Sonnental. Das Schauen der Geister.
Bedingungen des schnellen oder langsamen Reisens im Geisterreiche.
[BM.01_131,01] Martin sieht nun wirklich den Weg, wie er sich in tausend
Windungen über die weitgedehnten Bergrücken hinab in ein ungeheures Tal
schlängelt, von dem er aber noch durchaus keine Gegenstände wahrnehmen kann.
[BM.01_131,02] Denn auch Geister sehen das, von dem sie noch keine Kenntnis
haben, wie in einer großen Ferne. Sie nähern sich demselben in dem Maße und
Verhältnisse, als ihre Weisheit über das vorliegende Objekt zunimmt. Also
bedeutet auch das Hinabgehen vom hohen Berge ins tiefe breite Tal ,in die volle
Demut eingehen und durch diese in die größte Liebe, ohne welche kein Geist zur
vollsten Lebenskraft gelangen kann‘.
[BM.01_131,03] Martin, wie auch die vielen andern Gäste, sehen nun schon ins Tal
hinab; aber sie können noch nicht wahrnehmen, was sich in selbem befindet. Daher
fragen viele ihre Anführer, was sie nun bald im Tale antreffen werden. Borem
weiß es wohl, aber er weiß auch, was er zu sagen hat. Die Chinesen wenden sich
an Mich, der Ich aber doch auch etwa wissen werde, was Ich ihnen zu antworten
habe.
[BM.01_131,04] Martin wendet sich darum an Johannes und spricht: „Liebster
Freund, ich sehe wohl schon recht deutlich das Tal. Aber was nützt da das
Schauen in ein so ferne entlegenes Tal, so man nicht erkennen kann, was alles
sich etwa im selben befindet? O Bruder, da muß es noch sehr weit hin sein! Der
Weg ist wohl nicht im geringsten beschwerlich – man wandelt sehr leicht, ja wir
schweben mehr, als wir eigentlich mit den Füßen gehen. Aber dessenungeachtet
will uns das Tal nicht näherrücken! Wie lange wohl werden wir noch brauchen, bis
wir es werden erreicht haben?“
[BM.01_131,05] Spricht Johannes: „Freund, Geduld ist der Grundstein der
Weisheit. Habe daher nur diesen Grundstein fest in deinem Herzen, so wirst du um
vieles eher und leichter das vor uns ausgebreitete Sonnental erreichen!“
[BM.01_131,06] Spricht Martin: „Freund und Bruder, an Geduld fehlt es mir nicht,
wie es mir noch nie daran gefehlt hat. Aber ich weiß auch, daß einem jeglichen
Geiste zwei bis drei Bewegungen möglich sind, nämlich eine natürliche, eine
seelische und endlich auch noch eine rein geistige, so schnell wie ein Gedanke.
Warum bedienen wir uns hier bloß nur der natürlichen, die da ist die langsamste?
Wäre es denn nicht besser, so wir durch eine wenigstens etwas schnellere
Bewegung früher zu unserem Zwecke gelangten?“
[BM.01_131,07] Spricht Johannes: „Aber, lieber Bruder, jetzt sprichst du schon
wieder bei weitem nicht so weise als ehedem! Was liegt denn daran, ob wir hier
etwas geschwinder oder etwas langsamer ins Tal gelangen? Sind uns ja hier doch
keine Lebensstunden wie auf der Erde vorgezählt! Was gehen uns ewig Lebende
früher oder später zurückzulegende Zeitverhältnisse mehr an! Siehe, uns drängt
ewig keine Zeit mehr: wo wir sind und wo vorzüglich der Herr ist, da sind wir
auch zu Hause!
[BM.01_131,08] Übrigens hängt hier im vollkommensten Geisterreiche die
Schnelligkeit unserer Bewegung ja ohnehin nicht von unsern Füßen, sondern
lediglich nur von der Vollkommenheit unserer Erkenntnisse ab. Wer eine
schnellere Bewegung wünscht, befleißige sich zuerst der Geduld, aus dieser der
Demut, aus welcher hervorgeht Liebe und Weisheit. Hat er die Weisheit im
Vollmaße, wird er auch in allen Dingen die vollkommenste Erkenntnis haben; diese
aber bedingt die Bewegung des Geistes!
[BM.01_131,09] Weil aber die Sache hier sich unmöglich anders verhält, brauchst
du auch gar nicht auf deine Füße zu sehen, ob sich diese schnell oder langsam
bewegen. Schaue du bloß aufs Gemüt und auf die Erkenntnis, so wird die Bewegung
sogleich schnell genug werden! Verstehst du das?“
132. Kapitel – Vom Allgegenwärtig-Sein und vom Gleichzeitig-Wirken der
vollkommenen Himmelsbürger. Martins Einwände und ihre Widerlegung durch
Johannes.
[BM.01_132,01] Spricht Martin: „Ja, ja, es kommt mir wohl vor, als verstünde
ich's. Aber so ganz radikal verstehe ich die Sache noch nicht. Denn ich weiß,
daß der Herr, du und Bruder Petrus, wie auch Borem sicher die vollste Erkenntnis
habt, jedoch bewegt ihr euch um nichts schneller als ich und diese ganze Schar!
Wie ist denn hernach das zu verstehen?“
[BM.01_132,02] Spricht Johannes: „Freund, unsere Bewegung ist nur eine
scheinbare deinem Auge, – was da geschieht aus Liebe zu dir und zu dieser ganzen
Schar. Im Grunde des Grundes aber sind wir schon lange überall, wo wir sein
müssen und wollen!
[BM.01_132,03] Siehe, während ich hier mit dir rede, bin ich nicht nur in
dieser, sondern in einer zahllosen Menge von Sonnen und Welten und handle dort
wie hier im Namen des Herrn und vollziehe nach allen meinen Kräften Seinen
heiligen Willen! Und was ich tue, das tut um so mehr der Herr Selbst und Petrus
und alle vollkommenen Himmelsbürger! Freund, verstehst du das und begreifst du
es?“
[BM.01_132,04] Spricht Martin: „Mein geliebter Bruder, da muß ich dir
offenherzig gestehen, das ist für mich ein wenig zu rund! Es schaut deine
Erklärung fast so einer himmlischen Aufschneiderei gleich! Freund, wenn aus dir,
anfänglich nur einem Johannes in der Erdzeit von nahezu 2000 Jahren nicht
wenigstens eine Dezillion ganz gleiche Johannesse herausgewachsen sind, so ist
das die reinste Unmöglichkeit von allen Himmeln und Welten!
[BM.01_132,05] Ich bin doch nun auch ein Geist und, weil beim Herrn, doch sicher
nicht der unvollkommenste. Aber ich bin bis jetzt stets nur einer, und wo ich
bin, da bin ich, und kann unmöglich zugleich irgendwo anders ganz derselbe sein!
Denn solange die Einheit eine Einheit ist, ist sie unmöglich geteilt. Ist sie
aber geteilt, oder ist ihre Form von gleichem Werte und Charakter vielfach da,
so ist die Einheit auch keine Einheit mehr, sondern eine Geteiltheit ein- und
desselben Wesens. Und jede einzelne Form aus der früheren totalen Einheit kann
dann nur so viel Wert haben, als ein wievielter Teil der frühern gesamten
Einheit sie ist.
[BM.01_132,06] Wenn sich hernach mit dir und sogar mit dem Herrn die Sache so
verhält, wie du mir nun angedeutet hast, so bist du kein ganzer Johannes, und
der Herr ist kein ganzer Herr, wie Er hier bei uns ist! Ich kann dich erst dann
als ganzen Johannes betrachten, so du wieder komplett beisammen bist! Oder
erkläre es mir logisch richtig, ob es je anders möglich zu denken und zu
begreifen ist!“
[BM.01_132,07] Spricht Johannes: „O Freund, das ist nur so ein kleines Nüßchen
der inneren Weisheit, dir zum Aufknacken geboten, und du würgst dich schon
daran. Was wirst du aber erst machen, so dir die Kinder der Sonnenkinder ganze
weltengroße Diamantklumpen zum Zermalmen vorlegen werden?!
[BM.01_132,08] Siehe aber, du hast nie mehr als eine Sonne nur gesehen. So dir
ein oder tausend Spiegel ihr volles Bild wiedergaben, wird die Sonne darum
geteilt und geschwächt in ihrer Wirkung, so tausend Spiegel deinen Augen ihr
gleichwirkendes Bild zuführten?
[BM.01_132,09] Nimmt nicht ein jeder Tautropfen und ein jedes Auge das Bild der
Sonne wirksam auf? Ist darum die Sonne nicht eine und ihre Wirkung nicht stets
die gleiche?
[BM.01_132,10] Freund, denke darüber ein wenig nach, dann wollen wir uns in
dieser Sonnensphäre weiterbewegen. Sonst werden wir freilich noch hübsch lange
zu tun haben, bis wir das Tal völlig werden erreichen können!“
133. Kapitel – Martins Gedanken über die Allgegenwart Gottes.
[BM.01_133,01] Martin macht bei dieser Erklärung überaus große Augen und geht
darob sehr in sich. Nach einer Weile fängt er an, so ganz bei sich zu stammeln
und spricht wie halblaut: „Hm, – bin noch weit zurück! O Tiefe, Tiefe – große,
ungeheuere Tiefe, – wann werde ich deinen Grund begreifen! Ja, ja, so ist es:
Gott ist allgegenwärtig! Wie kann Er das sein? Wie ist Seine Allgegenwart
möglich, so Er als Ein- und Derselbe hier ist und wirkt und spricht, und ich
sehe Seine Gestalt wie die eines Menschen?!
[BM.01_133,02] Ja, ja, die Sonne in tausend und abermals tausend Spiegeln ist
dennoch eine und dieselbe Sonne, und es gibt nicht eine zweite Sonne. Eine Sonne
leuchtet aus allen Spiegeln und eine nur und dieselbe aus Trillionen Tautropfen.
Eine aus Trillionen Augen und wirkt nach der Größe des sie aufnehmenden
Spiegels, des Tropfens, des Auges! Es ist wunderbar merkwürdig, und doch ist es
so und kann nicht anders sein!
[BM.01_133,03] Wie aber der Herr auf eine ähnliche Art auch allenthalben
gegenwärtig sein kann, das ist freilich endlos schwerer zu begreifen! Ist Er
denn auch eine Sonne? Wo aber ist diese Sonne? Ich sah nur den Herrn, den
Gottmenschen Jesus sah und sprach ich. Aber eine Sonne hier, außer auf der ich
nun wandle, sah ich noch nicht!
[BM.01_133,04] Es ist hier wohl alles Licht über Licht, – aber ich weiß nicht,
woher das Licht kommt! Sicher kommt es vom Herrn; aber der Herr Selbst strahlt
nicht! Er ist hier ohne Glanz, einfacher als unsereiner! Sein allmächtiger Wille
wohl wird es sein, der Sein ewiges ,Es werde Licht!‘ ausspricht in
ununterbrochener Tat, geistig wie naturmäßig! O Gott, o Gott, wer faßt Deine
endlose Tiefe?
[BM.01_133,05] Ja, jetzt sehe ich es zum ersten Male klar ein, daß alle meine
Weisheit eine barste Null ist, ein unbestimmter leerer Kreis mit vielen
Unebenheiten, in dem kein Zentrum gegeben ist! O Herr, wann werde ich begreifen,
was Du bist?!“
[BM.01_133,06] Nach diesen Worten verstummt Martin und versenkt sich in große
und tiefe Gedanken.
134. Kapitel – Johannes Antwort auf Chorels Frage, ob die Bewohner der Himmel
die Erde und ihre fernere Geschichte betrachten können.
[BM.01_134,01] Während aber nun Martin sich mit seinen Gedanken beschäftigt,
tritt Chorel zu Johannes und Petrus und spricht: „O ihr lieben Freunde des
Herrn, ihr alten eingeweihtesten Brüder und Genossen der göttlichen Weisheit und
Liebe, vergebt mir, so auch ich mich unterfange, euch mit einer Frage zu
belästigen! Ich habe darüber wohl auch schon Borem befragt. Aber er gab mir
stets eine ausweichende Antwort und ich konnte nicht fassen, was er zu mir
redete. Daher wende ich mich nun an euch und hoffe, bei euch mehr Tiefe und
Klarheit als bei Borem zu finden.“
[BM.01_134,02] Spricht Johannes: „Bruder, du brauchst uns gar nicht zu fragen,
was du nun wissen und vollends einsehen möchtest. Solches ist uns schon lange
überaus klar vor Augen gestellt, daher sollst du auch sogleich eine gute Antwort
erhalten.
[BM.01_134,03] Du möchtest wohl wissen, ob die seligen Bewohner der Himmel wohl
auch je wieder die Erde, wie sie ist, werden beschauen und ihre fernere
Geschichte betrachten können. Denn gar oft hast du auf der Erde dich selbst
gefragt:
[BM.01_134,04] ,Werde ich nach Abstreifung des Fleisches wohl diese wunderschöne
Erde mit ihren Flüssen, Seen, Meeren, Bergen, Tälern und all ihren andern
tausend wunderbaren Herrlichkeiten sehen können? Werde ich erfahren all die
neuen Erscheinungen im Gebiete der Geschichte des Werdens und Vergehens? Werde
ich etwa gar irgendeinen wirksamen Einfluß dabei nehmen können?‘
[BM.01_134,05] Ich aber antworte dir darauf: Bruder, alles steht den Seligen des
Herrn zu Gebote! Wir sind ja alle des Herrn, und die Erde ist Sein. Alles, was
darauf ist und darinnen, ist Sein Eigentum. So wir aber Seine Kinder sind, wird
uns der Vater, der uns so Großes gibt, wohl etwas Kleinstes vorenthalten? Er,
der uns Meere Seiner Liebe und Gnade zu trinken gibt, wird uns Tautropfen
verweigern?
[BM.01_134,06] Siehe, du wandelst nun auf der wirklichen, leibhaftigen Sonne und
schaust ihre Herrlichkeit und wirst zu den größten erst gelangen. Kannst du aber
diese sehen, um wieviel mehr wirst du jene der kleinern Erde beschauen können!
Ich meine, so jemand einmal eine Fürstenwohnung innehat, in der ihm alle
Freiheit, alle Bequemlichkeit, alle Lust und Freude zuteil werden muß, wie und
wann er sie nur immer haben will: wird er daneben noch die geringste Begierde
haben, auch in einer Verbrecherwohnung, in einem Kerker voll Pestilenz und Tod
ein Plätzchen zu haben; oder wenigstens jenen Gegenstand lustig beobachten
wollen, der dem Tode entsprossen ist? Oder möchtest du nun wohl zur Erde steigen
und verlassen diese Sonne?“
[BM.01_134,07] Spricht Chorel: „O Bruder, mitnichten! Ehe ich nun diese
überhimmlischen Gefilde verlassen möchte und die heiligste Gesellschaft des
Herrn, der so endlos gut, lieb, mild und sanft ist, eher gäbe ich eine ganze
Trillion Erden für ewig auf! Ich bin schon damit zufrieden, daß ich die Erde
besehen könnte, so ich sie nur immer wollte. Um die wirkliche Benützung dieser
Fähigkeit werde ich mich weiterhin wenig mehr kümmern. Ich danke dir, liebster
Bruder, aber aus vollem Herzen, daß du mich darob so herrlich aufgeklärt hast;
der Herr vergelte dir solche Güte!“
[BM.01_134,08] Spricht Johannes: „Bruder, aller Dank, alles Lob, aller Preis und
alle Ehre gebührt dem Herrn ganz allein! Gehe nun wieder zu Borem; denn ich muß
nun Martin wieder in den Zügel nehmen, da wir nun sogleich das Tal erreichen
werden und seine schönen Bewohner.“
135. Kapitel – Herrlichkeiten der Sonnenwelt und ihrer Bewohner. Martins
Bangigkeit vor der Weisheit der Sonnenmenschen und des Johannes
Verhaltungswinke.
[BM.01_135,01] Während sich Chorel wieder zu seinem Freunde Borem begibt,
ersieht der bis jetzt noch sehr in Gedanken versunkene Martin schon des großen
Tales überweit gedehnte Flächen allenthalben bebaut mit großartig-herrlichen
Gärten und Palästen und Tempeln. Er ersieht auch, wie von einem nächsten Tempel
eine große Menge Menschen von allerherrlichster Gestaltung sich ihnen naht.
Diese Erscheinung weckt Martin aus seinem Gedankentaumel, und er wendet sich
sogleich an Johannes und Petrus:
[BM.01_135,02] (Martin:) „Nun endlich, wie ich's erschaue, wären wir so ziemlich
an Ort und Stelle. O ihr meine lieben Brüder, da sieht es unendlich herrlich
aus! Wahrlich, die ungeheuere Pracht und anmutigste Schönheit dieser Gegenden
benimmt mir gerade den Atem!
[BM.01_135,03] Und, o Tausend, da kommt uns ja schon eine große Prozession von
Sonnenmenschen entgegen! Die Vorgänger kann ich schon recht gut ausnehmen; sie
sind endlos schön, und wie herrlich bekleidet und geschmückt! Ach, ach, je näher
sie kommen, desto herrlicher werden sie! Wenn das so fortgeht, da sage ich schon
im voraus, daß es mir ohne ganz besonderen Beistand des Herrn gar nicht möglich
sein wird, ihre volle Nähe zu ertragen!
[BM.01_135,04] Auf diesen Weisheitskampf bin ich absonderlich neugierig, den ich
mit euch verfechten soll. Oh, der wird sicher sehr hübsch ausfallen! Ich merke
schon zum voraus meine Kraft in meinen schon jetzt ganz abscheulich
schlotternden Füßen!
[BM.01_135,05] Wenn diese Menschen nur einigermaßen gute Augen haben, müssen sie
mir ja schon von weitem ankennen, was ihnen in mir für ein blitzdummer,
fleischlicher Bursche entgegenkommt. Oh, die werden eine seltene Freude an mir
und meiner Weisheit finden! Oh, oh, denen schaut eine ungeheure Weisheit schon
bei den Augen heraus – und mir dagegen eine noch größere Portion der rarsten
Dummheit! Das wird einen herrlichen Zusammenstoß abgeben!
[BM.01_135,06] O Brüder, tretet doch vor mich hin, daß diese Herrlichsten meiner
nicht gar so plötzlich ansichtig werden und die Größe meiner Dummheit schon zum
voraus taxieren!“
[BM.01_135,07] Spricht Johannes: „Mache dir nichts daraus, wenn es dir im
Anfange auch ein bißchen sonderbar ergehen wird. Ein längerer Umgang mit diesen
Wesen wird sie dir schon erträglicher machen. Aber sei nur stets ernst und in
deinem Innersten aber dennoch mild und sanft! So wirst du mit ihnen leichter
auskommen, als du dir nun denkst. Ihre Weisheit ist wohl groß zu nennen, aber
sie hat dennoch wie alles Geschaffene ihre Grenzen. Daher, Bruder, nur mutig
darauf los! Einmal mußt du ja doch die Herrlichkeiten ertragen lernen, und das
wirst du nun, wo der Herr uns alle so innigst geleitet, ja um so leichter
imstande sein!“
[BM.01_135,08] Spricht Martin: „Ja, ja, du hast da wohl ganz recht. Aber es ist
doch diese Sache wahrlich keine Kleinigkeit, und es handelt sich da um einen
ganz verzweifelten Ernst. Noch einige Dutzend Schritte, und wir sind beisammen.
Nun, in des Herrn Namen, vielleicht wird auch hier das Wetter in der Nähe nicht
gar so gefährlich sein, als wie drohend es sich aus dieser nunmehr sehr
unbedeutenden Ferne ausnimmt!
[BM.01_135,09] Was tragen denn die nun vorauseilenden himmlisch schönen
Jungfrauen, oder was sie sonst sein mögen, für so mächtig glänzende Hüte und
Kränze uns entgegen? Was wollen sie damit?“
[BM.01_135,10] Spricht Johannes: „Das sind Preise für die Weisesten unter uns,
mit denen sie uns schmücken werden, nachdem sie uns zuvor auf den Zahn werden
gefühlt haben. Du hast zwar schon vom Herrn einen solchen Hut auf deinem Haupte,
aber das macht nichts! Wirst du von ihnen als preiswürdig befunden werden, so
werden sie deinen Hut mit dem ihren so innig vereinen, daß daraus völlig nur ein
Hut wird, aber mit vielfach erhöhtem Glanze. Werden sie dich aber nicht für
preiswürdig erkennen, so werden sie dich belassen wie du bist. Daher nimm dich
nur fest zusammen, auf daß dir solcher Preis nicht entgehe!“
[BM.01_135,11] Spricht Martin: „O Bruder, sorge dich darum nicht! Ich habe noch
nie einen Preis irgendwo errungen und werde darum auch hier um so sicherer kein
Preisträger werden, – was mich auch ganz wenig kümmern wird. Aber nur meine
Natur – und solche Schönheiten, solche Reize! O Bruder, das wird die eigentliche
wahre Hetze abgeben! Aber nun möglichst ernst und wortkarg! Sie kommen schon
ganz in unsere Nähe; ja – sie sind schon da!“
136. Kapitel – Der verzückte Bischof Martin und die drei schönen
Sonnenjungfrauen.
[BM.01_136,01] Hier treten sogleich drei Jungfrauen von übergroßer Schönheit vor
Martin hin, breiten ihre Arme aus und sagen: „O du herrlicher Führer dieser
deiner schönsten Genossenschaft, was Hehres bringst du uns aus deiner Höhe der
Höhen? O rede, du lang Ersehnter!“
[BM.01_136,02] Martin beißt sich heimlich in die Zunge und kneipt sich in die
Lenden, um auf diese anziehende Anrede doch nicht zu schnell aus seinem
angenommenen Ernste in die größte Gegenfreundlichkeit zu geraten. Er sagt auf
diese Anrede gar nichts. Die drei wiederholen daher noch zärtlicher ihre erste
Anrede. Martin beißt sich fast die Zunge ab und redet noch nichts.
[BM.01_136,03] Die drei Jungfrauen verwundern sich heimlich über diese seltene
Stummheit unseres Martin und sagen dann: „O du Hoher, siehst du Makel an uns,
darum du uns keines Wortes würdigen willst? Gefallen wir dir denn nicht? Und
doch sahen wir, wie du den verstellten Drachen küssen wolltest in deinem Hause
auf der Höhe der Höhen!
[BM.01_136,04] Auch haben unsere Scharfseher dich schon im Merkur gesehen, wie
du dort vor einer Schönen nahezu ganz zerschmolzen bist. Noch früher sahen sie
dich bei der bewußten Lämmerherde, wo du sehr redselig warst. Und sie sahen dich
auch im sterblichen Leibe auf der Erde wandeln und waren Zeugen von deinen nicht
selten sonderbarsten Handlungen. Da wohl warst du sehr beredt; aber uns Töchter
der Sonne würdigst du keiner Antwort! O sage doch, warum du noch immer
schweigst?
[BM.01_136,05] Wohl wissen wir, daß Schweigen zur rechten Zeit ein guter Teil
der Weisheit ist; aber dein gegenwärtiges Schweigen scheint kein derartiges zu
sein! Rede wenigstens, warum du nun schweigst; unsere Herzen erglühen darnach
und bitten dich!“
[BM.01_136,06] Martin vergeht schon nahezu vor Liebe zu diesen drei großen
Schönheiten und denkt nun, was er auf solch ein Verlangen erwidern soll. Das hat
er schon gemerkt, daß er ihnen von A bis Z bekannt ist und sie alle seine
Schliche überaus gut kennen müssen. Daher sagt er bei sich ganz heimlich:
[BM.01_136,07] (Martin:) „O du über alle menschlichen und englischen Begriffe
verzweifelte Geschichte! Das wird eine bis jetzt noch nicht dagewesene
verlegenhaft rarste Begebenheit werden! Ich soll reden mit ihnen? Da möchte ich
denn doch wissen, wie!
[BM.01_136,08] Fürs erste wird ihre ohnehin schon unbegreiflich reizende
Schönheit stets mehr die höchsten Reize entfaltend, daß man schon darob
vollkommen stumm werden muß. Fürs zweite kennen sie mich ja beinahe schon
besser, als ich mich selbst je gekannt habe!
[BM.01_136,09] Wie und was soll ich sonach hier reden? O Herr, nur jetzt verlaß
mich nicht! Und du, mein guter Ernst, verlaß mich auch nicht, sonst bin ich rein
verloren!
[BM.01_136,10] O sapprament – ah, diese unendliche Schönheit! Ach, diese Augen,
so feurig wie die Sonne selbst, diese Haare gleich dem blanksten Golde! Dieser
Nacken – welche Weiche, welche Rundung, welche unaussprechliche Zartheit!
[BM.01_136,11] Oh – oh – dieser Busen! Ah, ah, nein – das halt' ich keine Minute
mehr aus! Auf der Erde gibt es nichts, mit dem man diese unbegreifliche Zartheit
von der größten Ferne hin vergleichen könnte!
[BM.01_136,12] Was ist die Zartheit eines reinsten Tautropfens dagegen, was der
reinste Schliff eines Diamanten, was ein zartestes Lämmerwölkchen, das die
untergehende Sonne umschwebt, getragen vom zartwehenden Abendhauche? Was auf der
Erde wohl kennt solch eine Weiße! Der reinste von der Mittagssonne beleuchtete
Schnee wäre kaum nur eine schmutzige Stiefelwichse dagegen zu nennen!
[BM.01_136,13] Nein, daran könnte man sich eine ganze Ewigkeit nimmer satt
sehen! Und der Arm, die Hand, der Fuß! – Martin, kehre deine Augen weg von
diesen zu großen, reizendsten und zartesten Schönheiten, sonst bist du pfutsch,
rein pfutsch und matsch!“
137. Kapitel – Martin im Examenskampf mit den drei Sonnentöchtern. Zwischen
Weisheit und Liebe.
[BM.01_137,01] Während Martin so mit sich phantasiert, fangen die drei
Anführerinnen zu lächeln an. Sie haben dem Martin genau aus den Augen und
Mundwinkeln gelesen, was er nun mit sich gefaselt hat, und sagen daher zu ihm:
„Freund, nun wissen wir schon, warum du nichts redest. Siehe, du bist schwach, –
ja sehr schwach bist du noch, und deine angeborene Schwachheit lähmt dir die
Weisheit und die Zunge! Kommen wir dir denn gar so reizend und rührend schön
vor? O sage uns doch wenigstens das laut!“
[BM.01_137,02] Martin will schon auf die erste der drei hinstürzen, dennoch
ermannt er sich und spricht: „Ja, ihr Herrlichsten, eure Form ist endlos
vollkommen schön. Aber ihr seid zu weise dabei, und das deckt eure Schönheit und
macht, daß ich sie mit genauester Not noch halbwegs ertragen kann. Denn ich bin
kein Freund von zu großer Weisheit. Wollet ihr mich aber zu eurem Freunde, da
müsset ihr aus der Liebe und nicht aus der Weisheit mit mir reden!
[BM.01_137,03] Ihr brachtet mir wohl einen Preis entgegen, um ihn mir
darzureichen, so ihr mich als einen vollkommen Weisen erkennen würdet. Ich aber
sage euch, daß ihr euch da an mir sehr verrechnet habt, trotz eurer großen
Weisheit. Denn sehet, solche Preise nehme ich durchaus nicht an! Ich kenne nur
einen Preis, und dieser ist für mich allein die Liebe, welche ist Gott der Herr,
den ihr als den urewigen Geist kennt, von dem alle Dinge gemacht sind. Dieser
ist allein mein Preis, den ich schon lange für ewig angenommen habe. Aber diesen
euren Weisheitspreis kann ich durchaus nicht brauchen. Daher reichet ihn
irgendwem andern, den ihr dafür als würdig erachtet, mich aber verschonet
damit!“
[BM.01_137,04] Sagen darauf die drei: „O höre, du herrlicher Freund! Wir haben
mit dir bis jetzt noch durchaus keine Weisheitsprobe angestellt. Solche wäre
auch eitel, da wir ja sehen, was für ein Geist in dir lebt. Es wäre doch sicher
höchst unweise von uns, wenn wir mit einem andern Geiste in dir reden wollten,
als den wir in dir gefunden haben! Du nanntest uns wohl den Preis, den du, ihn
mit Recht über alles schätzend, schon hast. Aber da sind wir solchen Lichtes und
sagen:
[BM.01_137,05] Der urewige, allschaffende Geist ist nicht teilbar. Wohl ist
sicher die Liebe Sein Grundwesen; aber diese Liebe ist nicht nur Liebe, sondern
ist in sich selbst auch die urewige Weisheit. So du aber diese Liebe preisest,
kannst du wohl die Weisheit, das Licht alles Lichtes, von ihr scheiden? Freund,
kommt es dir hier nicht etwa so vor, als ob nun nur du, dich selbst übereilend,
dich verrechnet hättest? Wie kannst du den Leib allein wollen und verwerfen den
Kopf? O rede, erläutere uns das!“
[BM.01_137,06] Martin ist nun ganz verblüfft und spricht bei sich: „No, das geht
nun gut! Die haben mich schon! Aber jetzt nur wieder ernst, nur ernst! Wenn sie
nur nicht so entsetzlich liebenswürdig wären, da könnte man noch ernster mit
ihnen umgehen; aber bei solcher Liebenswürdigkeit braucht es fürwahr einen
übergroßen Ernst, um mit ihnen nur viertelwegs ernst scheinend reden zu können.
[BM.01_137,07] Sie warten mit einer anmutigsten Begierde und lieblichsten
Ungeduld auf eine Antwort. Aber, was soll ich ihnen sagen? Wie wenden und drehen
die Zunge, daß ich ihnen die Wahrheit sage, aber dennoch nicht beleidige ihr an
zu himmlische Harmonien gewöhntes Ohr?! Stille. Nur stille, mir fällt schon
wieder etwas recht Triftiges bei! Das werde ich ihnen sagen, natürlich auf eine
möglich humanste Art; da werden sie doch sicher stutzen! Also nur Mut in des
Herrn Namen!“
138. Kapitel – Martins Begründung für die Ablehnung des Weisheitspreises. Der
Sonnentöchter weisheitstiefe Entgegnung.
[BM.01_138,01] Auf dieses Selbstgespräch wendet sich Martin wieder zu den dreien
und spricht: „O ihr über alle Begriffe herrlichsten Töchter der großen Sonne!
Ihr habt mir wohl in allem eine völlig rechte Erwiderung gegeben auf das, was
ich zu euch geredet habe. Aber eines ist dabei, das denn doch ein ganz
erheblicher Rechenfehler von eurer Seite ist.
[BM.01_138,02] Sehet und höret! Ihr habt wohl recht, so euer Licht euch sagt:
Der große, urewige Geist ist in Seiner Liebe und Weisheit in allem vollkommen
unteilbar. Wo ein Leib ist, da muß auch ein Kopf sein, was so viel sagen will
als: Wem da zuteil ward ein Preis der Liebe, der darf, um vollkommen zu sein,
den Preis der Weisheit nicht außer acht lassen. Aber ihr sehet es ja doch sicher
mit euren hellsten und himmlisch- schönsten Augen, daß mein Haupt schon mit
einem dem euren ganz gleichsehenden Preise geschmückt ist. Und da ihr in alle
meine sonstigen Erlebnisse so tief eingeweiht seid, so werdet ihr ja auch
wissen, daß ich diesen Schmuck unmittelbar vom Herrn Selbst erhalten habe!
[BM.01_138,03] Da ihr allerliebsten Kinder das unmöglich in Abrede stellen
könnt, so muß mir der Herr dennoch einen geteilten Preis gegeben haben, also:
den der Liebe für sich ganz allein, der aber in sich dennoch schon den nötigen
und verhältnismäßig gerechten Grad der Weisheit faßt! So aber dieser Preis als
eine vollkommene Gabe des großen Gottes demnach keine halbe, also geteilte,
sondern eine vollkommen bestgemessen ganze Gabe ist, sehe ich trotz eurer sehr
weise gestellten Entgegnung wahrlich nicht ein, wozu mir euer lediger
Weisheitspreis dienen soll!
[BM.01_138,04] So ich schon einen Kopf habe, wie es euch doch sicher meine
Gestalt zeigt, wozu soll mir nun noch ein zweiter Kopf dienen? Sollte ich
wirklich noch eines Kopfes bedürfen, so will ich ihn nach dem Willen meines
Herrn ja von euch, ihr liebenswürdigsten Töchter der Sonne, gerne annehmen. Ist
es aber nicht nötig, zwei Köpfe zu haben, sondern bloß einen vollkommenen,
werdet ihr wohl auch einsehen, daß ich euren Preis durchaus nicht annehmen kann?
O redet, redet; ich höre!“
[BM.01_138,05] Sagen die drei: „O du Herrlicher, du Hoher, wohl wissen wir, daß
dir in deinem Preise mehr gegeben ist, als wir ewig je zu fassen imstande sind.
So wissen wir auch, daß dein Preis kein halber, sondern ein völlig ganzer ist.
Aber siehe, wir wissen auch aus zahllosen, stets auf dieselbe Art
wiederkehrenden Erfahrungen, daß der große Gott auch jedem Wesen nach seiner Art
ein vollkommenes, ganzes Leben gibt!
[BM.01_138,06] Wir wissen, daß da kein Mensch ohne Kopf zur Welt geboren wird.
Er hat Augen zum Sehen, Ohren zum Hören, eine Nase für den Geruch, einen Gaumen
zum Schmecken und allerlei Nerven für allerlei Empfindungen und Gefühle. Einem
neugeborenen Kinde fehlt nichts von dem, und all das entstammt doch sicher wie
der Liebe so auch der höchsten Weisheit des allerhöchsten Geistes. Denn da ist
das eine wie das andere mit einem Blicke klar ersichtlich.
[BM.01_138,07] Wie aber kommt es denn, daß ein neugeborenes Kind – als ein Werk
der Liebe und Weisheit des großen Gottes – zur Weisheit doch allzeit bei weitem
später gelangt als zur Liebe, die da ist das eigentliche Leben? Du selbst lebst
schon gar lange und hast Liebe in aller Überfülle. Aber so du dich fragst, ob
deine allfällige Weisheit auch so alt ist wie dein Leben, da wirst du in dir
selbst offenbar die widersprechendste Antwort finden!
[BM.01_138,08] Siehe, wir wissen es von unseren obersten Weisen, daß der große
Gott auf deiner Erde zu einem gewissen weisen Juden geredet hat: ,Niemand kann
in das Reich Gottes eingehen, so er nicht neugeboren wird im Geiste!‘ Sage uns:
Wie kann der große Gott von einem schon lange lebenden Weisen des Geistes
Wiedergeburt verlangen, so Er schon einem Kinde im Mutterleibe alles gegeben
hat, was zur vollsten Besitznahme des ewigen Gottesreiches vonnöten ist?!
[BM.01_138,09] Überall zeigt es sich, daß die Reife jeder Entstehung erst viel
später folgt. Kannst du uns wohl aus deiner Erdgeschichte nachweisen, daß da je
ein ganz ausgebildeter Mensch dem Mutterschoße entstammt ist? Oder weißt du nun
schon bestimmt, warum dich der große Geist erst jetzt, nachdem du schon so
manche Verwandlungen erlitten, in der Mitte dieser zwei urerzweisen Geister
hierher in diese große Welt des Lichtes beschieden hat? O rede, du Herrlicher,
und unterrichte uns, denn wir möchten von dir ja überaus viel Tiefes erfassen!“
139. Kapitel – Martin in der Weisheitsklemme. Des Petrus ermutigender Zuspruch.
Martins gute Erwiderung.
[BM.01_139,01] Auf diese Entgegnung ist Martin erst ganz verlegen und weiß keine
Silbe mehr zu erwidern. Bei sich nur murmelt er ganz leise: „So, so, jetzt ist's
recht! Jetzt liegt die Sau vollkommen in ihrer Pfütze! Was soll ich nun sagen?
Die haben recht in allen Punkten, und ich bin dagegen ein Esel und Ochse in
allen Punkten, – notabene mit dem Weisheitshut auf dem Haupte! O das taugt recht
nett zusammen! Die kommen mir mit einem zweiten Hute entgegen! Es geht immer
besser! – Brüder, liebe Brüder, reißet ihr mich nicht aus diesem Sumpfe, so gehe
ich euch auf jeden Fall durch!“
[BM.01_139,02] Spricht Petrus: „Bruder, habe nur Geduld und ertrage diese weise
Prüfung, dann wird es schon bald besser werden! Denke nur wieder nach; es wird
sich schon wieder irgendeine Antwort finden lassen. Nur sei stets ernst und laß
nicht viel handeln, sondern behaupte gründlich, was du aufstellst. Rede wie ein
Lehrer, dann wirst du mit diesem Vorposten schon überorts kommen! Mit dem
Nachtrabe wird es freilich etwas hitziger aussehen, aber da werden wir dir schon
helfen, so es sehr not tun wird. Daher sei nur mutig und verzage nicht; es wird
alles gut gehen!“
[BM.01_139,03] Spricht Martin: „Brüder, wie ich verspüre, wird bei mir nicht
viel Rares mehr nachkommen, denn ich habe meinen Weisheitskasten bereits
ausgeleert! Daß der Liebe die Weisheit notwendig folgen muß, ist mir nun über
alle Maßen klar. Es wurde von diesen drei Wunderwesen so richtig geordnet
dargestellt, daß sich dagegen nicht das geringste einwenden läßt. Ich kann daher
nichts anderes tun, als ihnen völlig recht geben. Oder weißt du etwas Besseres?“
[BM.01_139,04] Spricht Petrus: „Ja, das ist schon richtig: was recht ist, das
ist recht auf Erden wie im Himmel. Dessenungeachtet mußt du dich nicht gar zu
leicht schon nach dem Verlauf von einigen weisen Reden gefangengeben, denn auch
deine Sätze lassen sich verteidigen! Daher, wie gesagt, denke nur ein wenig
nach, und es wird sich dir bald eine sehr gute Antwort vorstellen!“
[BM.01_139,05] Martin denkt nun kreuz und quer nach, was er da sagen solle. Er
findet nach einem etwas längeren Nachdenken doch im Ernste einen Satz, der sich
allerdings hören läßt und spricht dann: „O ihr überherrlichen Töchter der großen
Sonne! Eure Rede ist wohl sehr weise und ist bestens geordnet. Aber es geht ihr
dennoch etwas ab, das euch zwar äußerst gering vorkommen dürfte, für mich aber
durchaus nichts Geringes ist.
[BM.01_139,06] Da ihr durch eure Weisen wißt, was der große Geist Gottes auf
meiner kleinen Erde gelehrt hat, und auch wißt, wie dort die Natur aller Kreatur
beschaffen ist, so nimmt eines mich sehr wunder: daß ihr nicht auch wißt, was
der Herr Jesus, der da ist euer urewiger großer Geist, noch bei andern
Gelegenheiten zu uns, Seinen Kindern, geredet hat!
[BM.01_139,07] Sehet, einst brachten Mütter ihre Kindlein hin zu Ihm. Und da
dadurch ein Drängen entstand, stellten sich die schon sehr weise sich dünkenden
Jünger den Müttern entgegen und wehrten ihnen, sich dem Herrn zu nahen. Da aber
der Herr das bald merkte, sprach Er zu den Jüngern: ,Lasset die Kleinen, und
wehret ihnen nicht, zu Mir zu kommen; denn solcher ist das Himmelreich! Wahrlich
sage Ich euch, so ihr nicht werdet wie diese Kleinen hier, werdet ihr nicht
eingehen in Mein Reich!‘
[BM.01_139,08] Damit aber setzt der Herr denjenigen, die schon weise waren, die
Kindschaft, die noch keine Weisheit besitzt, als Bedingung zur Erreichung des
Himmelreiches. Da weiß ich dann nicht, wie ihr die Weisheit für so etwas Großes
haltet und überzeugt zu sein scheint, daß man erst nach Empfang eures
Weisheitspreises fürs Himmelreich befähigt werden würde! Ich meine, die Lehre
Gottes wird doch etwa über die eurige erhaben und durchaus wahr sein?
[BM.01_139,09] Wohl sagte der Herr zum weisen Nikodemus, daß er zuvor
wiedergeboren sein müsse, so er in das Gottesreich eingehen wolle. Aber der Herr
meinte damit nicht eure Weisheit, die der Jude ohnehin schon besaß, sondern die
unschuldige Kindheit, die da pur Liebe ist! Also verstehe aber auch ich des
Herrn Wort, halte mich bloß an die Liebe und überlasse alle Weisheit allein dem
Herrn. Seht, darum bin ich auch bei Ihm, – während ich Gott weiß wo wäre, so der
Herr meine Weisheit ansehen möchte, die so gut wie ewig keine ist!
[BM.01_139,10] Ich bin auch mehr als überwiesen, daß ein jeder sündigt, der sich
vor Gott der Weisheit rühmen möchte. So aber des Einfältigen Herz nur voll ist
der Liebe zu Gott, hat er schon auch den höchsten Lebenspreis in sich, der ihm
die Gotteskindschaft erwirkt. Hat er aber diesen Preis, wozu soll ihm dann der
eurige dienen? Daher sei euch von mir nun zum letzten Male gesagt: Ich bedarf
eures Weisheitspreises nicht, da ich schon lange habe, was ich brauche!
[BM.01_139,11] Seht aber auch ihr, daß euch mein Preis zuteil wird! Da werdet
ihr alle glücklicher zu preisen sein, als ihr es nun seid in eurem ledigen
Weisheitsglanze, aus dem trotz eurer unnennbaren Schönheit wenig Liebe
herausschaut! Redet nun, ob ihr noch was zu reden habt; aber auf eine Antwort
rechnet ja nicht mehr von mir! Denn nur eines tut not, und das ist die Liebe;
alles andere gibt der Herr, wann ich es brauche!“
140. Kapitel – Bitte der drei Sonnentöchter an Martin, sie Gott lieben zu
lehren. Martins kritische Zentralfrage. Die liebeentbrannten Sonnentöchter an
der Brust Martins.
[BM.01_140,01] Nach dieser guten Erwiderung Martins verneigen sich die drei bis
zur Erde und sagen: „O du herrlicher Sohn des großen Geistes! Nun erst erkennen
wir, du bist ein wahrer Sohn Dessen, der für uns keinen Namen hat. Du hast uns
besiegt; wir sind nun dein und dieser Preis mit uns! O laß uns die Letzten sein
in deinem Hause und lehre uns lieben den ewigen Gott!“
[BM.01_140,02] Spricht Martin, ganz überrascht von dieser Erscheinung: „In
meinem Hause ist noch für viele Tausend Raum; so wird er auch für euch sein!
Denn größer als eure Welt ist mein Haus, das der Herr, mein ewig heiliger Vater,
mir für ewig erbaut hat. Daher, so euch nach meinem Hause gelüstet, werfet euren
Weisheitspreis von euch, ergreifet den meinigen der Liebe und folget mir! Aber
so euch möglich, verdeckt mehr eure zu großen Reize! Denn diese sind mächtiger
als eure Worte für mich, der ich lebendig bin in der Liebe und nicht in der
ledigen Weisheit!“
[BM.01_140,03] Auf diese Worte Martins bringen die hinter den drei Stehenden
sogleich reiche blaue Faltenkleider und ziehen dieselben in einem Augenblicke
den dreien an. Als diese bekleidet sind, sagen sie zu Martin: „O du hoher,
herrlicher Sohn des Allerhöchsten! Sind wir so bekleidet recht und angenehm
deinem Auge? Findet es an uns kein Ärgernis mehr? Sind wir nun nach dem Wunsche
deines Herzens?“
[BM.01_140,04] Spricht Martin: „So tut es sich schon. Das ist die Art und Weise
in meinem Hause, das da ist ein Haus des großen heiligen Vaters, der da auch
nicht fast ganz nackt wie ihr ehedem, sondern ganz bekleidet einhergeht. Ihr
seid auch so noch endlos schön, dabei aber doch erträglich meinem Auge. Und so
könnet ihr wohl bei mir verbleiben!
[BM.01_140,05] Aber nun noch etwas: Sagt, kennt ihr den großen Geist? Habt ihr
eine Vorstellung von Ihm? Was würdet ihr wohl tun, so ihr vor Ihn treten
müßtet?“
[BM.01_140,06] Sprechen die drei: „O du Herrlichster! Wir wissen wohl, daß es
einen allerhöchsten, urewigen Geist aller Geister gibt, der alles, was da ist,
erschaffen hat aus Seiner ewigen Weisheit und Allmacht. Aber dieser Geist ist
uns so endlos heilig, daß wir uns nimmer unterstehen dürfen, uns von Ihm
irgendeine Vorstellung zu machen! Solches dürfen nur die höchsten Weisen. Darum
kannst du dir wohl auch denken, wie uns zumute wäre, wenn wir vor Ihn, so Er
irgendeine Gestalt hat, hintreten müßten mit der Überzeugung, daß Er es ist! Oh,
das wäre etwas Entsetzliches, das wäre das Schrecklichste, das uns widerfahren
könnte!“
[BM.01_140,07] Spricht Martin: „Oh, wenn so, wie fürchtet ihr euch denn vor uns,
Seinen Kindern, nicht? Könnet ihr euch denn nicht denken, daß der Vater auch so
aussehen wird wie wir, Seine Kinder? Sehet, was die ledige Weisheit für Früchte
trägt! Was unserem Herzen das allerhöchste Bedürfnis ist, das ist dem eurigen
ganz ehern vorenthalten. Was uns zur größten Wonne erhebt, das möchte euch zur
größten Qual werden!
[BM.01_140,08] Welch ein Unterschied zwischen uns und euch! Saget mir, habt ihr
denn in eurem Herzen noch nie Liebe verspürt? Verspürt ihr nicht so etwas
allenfalls nun zu mir oder zu einem meiner zwei Brüder?“
[BM.01_140,09] Sprechen die drei: „Was meinst du damit? Wir wissen wohl, daß die
Liebe ein Geiz im Herzen ist: eine zusammenziehende Kraft, die manchmal ihr
verwandte Dinge ergreift, selbe dann sehr anzieht und mit sich vereinen will.
Was aber die Liebe sonst noch ist, wissen wir nicht! Diese Herzenskraft aber
kann nur kleine Dinge ergreifen, weil sie selbst klein ist. Wie könnte sie so
große Dinge, wie du es bist, wohl ergreifen! Wir können dich wohl überhoch
achten, aber für unsere Liebe wärest du ja viel zu groß, so daß wir dich nicht
erfassen könnten.“
[BM.01_140,10] Spricht Martin: „Aha, eure Weisheit fängt schon an, Haare zu
lassen! O sorget euch um die Größe eures Herzens nicht; das wird bald für gar
viel Liebe groß genug sein! Welche von euch könnte mich umarmen und so recht
fest drücken an ihre Brust?“
[BM.01_140,11] Sprechen freudig alle drei: „Oh, das können wir sehr gut, und so
du Herrlichster es uns gestatten willst, wollen wir dir sogleich eine feurigste
Probe geben!“
[BM.01_140,12] Spricht Martin: „Nur zu; ich gestatte es von ganzem Herzen
gerne!“
[BM.01_140,13] Auf dies Wort fallen alle drei an Martins Brust und jede preßt
ihre zarteste Brust wie nur immer möglich an die seinige. Jede spricht: „Ach,
ach, das ist endlos süß! O laß uns lange so an deiner Brust!“
[BM.01_140,14] Spricht Martin: „Ich wußte es ja, daß ihr Liebe habt, und das
eine ganz kurios kräftige! Bleibet nun hübsch lange an meiner Brust, die wird
euch am besten lieben lehren! Oh, es wird sich diese Sache schon machen!“
141. Kapitel – Drohende Haltung der drei Sonnenmänner. Martins kräftige
Entgegnung. Gehorsam der drei Sonnenmänner auf Anraten ihrer Geister.
[BM.01_141,01] Es bemerken aber die andern Sonnenmenschen, zu deren Familie die
drei Jungfrauen gehören, wie eben diese drei sich an Martin klammern und sich
nimmer von ihm trennen wollen. Die Sache kommt ihnen bedenklich vor, daher sich
denn andere drei Martin nahen, die aber nicht mehr weiblichen, sondern
männlichen Geschlechtes sind.
[BM.01_141,02] Diese drei fragen Martin: „Hoher, Erhabener! Unsere Augen sehen
hier, was zu sehen sie nicht gewohnt sind, da dergleichen hier nicht vorkommt.
Das ist eine fremde Sache, die nicht in unserer Ordnung haftet; daher fragen wir
dich, was dies zu bedeuten hat! Willst du uns diese drei Töchter nehmen? O sage,
mit welchem Rechte! Willst du sie zu deinen Weibern? Willst du sie befruchten?
Siehe, das kannst du nicht; denn du bist nicht von dieser Welt und bist zudem
noch ein Geist, der nicht befruchten kann! Also sage, was bedeutet das? Was hast
du mit unseren Töchtern vor?“
[BM.01_141,03] Spricht Martin zu den auch über alle Maßen schönen drei Männern:
„Ihr liebsten, schönsten Freunde, sorget euch nur um diese drei Töchter nicht!
Denn sie sind bei mir in viel besseren Händen denn in den eurigen, die ihr bloß
Weisheit, aber in dieser Weisheit ganz entsetzlich wenig Liebe habt! Ich lehre
sie nun lieben, und sie fassen die Liebe. Und das ist der Wille des großen
Gottes, der in Sich Selbst die allergrößte, höchste und reinste Liebe ist. Ich
sage euch, das solltet auch ihr lernen, so würdet ihr auch höherkommen können
und nicht stets bleiben auf dieser eurer Welt leiblich und auch geistig. Ich
werde diese eure Töchter aufnehmen in mein Haus! Euch aber werde ich nicht
aufnehmen, so ihr nicht lieben könnet. Werdet ihr aber auch lieben können, soll
sich auch für euch ein Plätzchen finden!“
[BM.01_141,04] Reden die drei Männer: „Deiner Rede Sinn ist ohne Ordnung, somit
ohne Weisheit und sonach für uns nicht faßbar. Rede daher weise, so du mit uns
redest! Wohl wissen wir, daß du aus der Gemeinde der Kinder des großen Urgeistes
bist. Auch kennen dich unsere höchsten Weisen schon von deinem Planeten aus. Das
alles aber ist so lange wertlos bei uns, als wie lange du nicht mit dem Kleide
der Weisheit angetan sein wirst. Aus diesem Grunde gebieten wir dir denn auch im
Namen der höchsten Weisheit dieser großen Lichtwelt, daß du alsbald diese drei
von dir läßt, ansonsten dir ein großes Unheil widerfahren soll, sowie der ganzen
großen Schar, die dir folgt! Gehorche, oder wir rufen unsere mächtigsten
Geister, daß sie Hand an euch legen sollen!“
[BM.01_141,05] Spricht Martin: „Oho, nur nicht gar zu hitzig, meine
allerschönsten, liebsten Freunde! Sehet mich an – unter allen diesen vielen
Brüdern und Schwestern, die mich hier geleiten und Genossen meines Hauses sind,
bin ich sicher der schwächste. Aber gegen euch habe ich dennoch so viel Kraft,
daß ich euch bloß mit meinem schwächsten Gedanken so zerschmeißen könnte, wie
ein großer Sturm zerstreut den Staub! Daher ziehet ab mit euren lächerlichen
Drohungen, sonst lege am Ende gar ich selbst die Hand an euch und eure
allmächtig sein sollenden höchst weisen Geister! Ihr sollt aus mir sogleich
einen solchen Ernst erstrahlen sehen, daß euch allen darob sehr fiebrig zumute
werden soll! Also kehret euch nur gutwillig um, sonst werde ich sogleich mit
euch ganz anders zu reden anfangen!“
[BM.01_141,06] Die drei Sonnenmänner strecken ihre Hände in die Höhe und rufen
ihre Geister. Aber diese erwidern aus einer Wolke:
[BM.01_141,07] (Die Geister:) „Dieser Gesellschaft können wir nichts anhaben,
denn wir verspüren in ihrem Gefolge das Schrecklichste des Allerschrecklichsten!
Tut entweder, was diese Gesellschaft will oder fliehet vor ihr, so weit und
schnell ihr nur immer könnet, sonst könnte es euch allen gar sehr übel zustatten
kommen. Denn allmächtig sind alle diese, und der Allmächtigste ist unter ihnen!
Daher gehorchet oder fliehet; besser aber ist für euch der Gehorsam denn die
Flucht! Denn wohin wollt ihr vor denen fliehen, deren Füße schneller sind denn
eure Gedanken?“
[BM.01_141,08] Nach diesen Worten nimmt wieder Martin das Wort und spricht:
„Nun, ihr meine noch immer liebenswürdigsten, schönsten Freunde, was wollt ihr
nun tun, was sagt euch eure Weisheit nun? Wollt ihr es noch mit uns allen
aufnehmen?“
[BM.01_141,09] Sagen die drei: „Wenn so, da sagt unsere Weisheit: ,So aber der,
mit dem du streiten möchtest, mächtiger ist als du, da laß den Kampf. Und gibt
er dir dann irgendein Gebot, da gehorche strenge dem, der das Gebot gibt!‘
Siehe, da du in dieser deiner Gesellschaft mächtiger bist denn wir, so wollen
wir dir denn auch gehorchen. So gebiete uns denn, was du willst!“
[BM.01_141,10] Spricht Martin: „So eilet voraus alle, mit Ausnahme eurer drei
Töchter, die bei mir bleiben, und bestellet euer Haus; denn wir werden bei euch
einziehen auf eine Weile! Was dann später zu geschehen hat, wird euch schon
Jemand Anderer aus dieser meiner großen Gesellschaft kundgeben; denn, wie ich
schon bemerkt habe, bin ich der Allergeringste unter diesen Tausenden! – Also
geschehe es!“
[BM.01_141,11] Auf diese Worte Martins entfernen sich die drei und ziehen über
glänzende Fluren auf eine kleine Erhabenheit des Tales, wo sich ein großer
Tempel befindet, zur Wohnung dieser Sonnenmenschen bestimmt. Um diesen stehen
etwas tiefer liegend kleinere Gebäude, in denen die Kinder erzogen werden.
142. Kapitel – Neugierde der zwanzig eitlen Nonnen. Heilsame Demütigung durch
die enthüllte Schönheit der drei Sonnentöchter.
[BM.01_142,01] Als die zahlreiche Sonnenmenschengesellschaft sich eiligst
verläuft, richten sich auch die drei Töchter wieder auf und sind noch um vieles
schöner. Denn nun blickt gar hold schon Liebe aus ihren unbegreiflich schönen
Augen. Ihre Rede wird so sanft und wohlklingend wie ein Cherubsgesang, denn sie
reden nun von nichts als von der Liebe.
[BM.01_142,02] Wir aber fangen auch wieder an, uns weiterzubewegen. Die vielen
Weiber, die der Borem und der Chorel führen, und auch die Mönche an ihrer Seite
beginnen nun auch sich hervorzudrängen, um die ungeheueren Schönheiten der Sonne
zu besichtigen. Früher hatten sie vor lauter Verwunderung nicht Zeit gehabt, da
ihnen zu viele und wunderbare Naturseltenheiten dieser Welt sozusagen in die
Augen gefallen sind. Da sie nun aber ihre Augen mehr und mehr gesättigt haben
und sie Borem eigens dazu aufmerksam macht, wollen sie nun auch sehen, ob und um
wieviel die Sonnenweiber schöner wären denn sie.
[BM.01_142,03] Martin merkt durch einen innern Wink von Mir sogleich, was diese
im Sinne haben. Er weiß aber auch, wie sehr diese auf ihre einstige Schönheit
sich viel zugute haltenden Nonnen von den drei mächtigsten Schönheiten der Sonne
geschlagen würden. Daher sagt er zu den drei Töchtern:
[BM.01_142,04] (Martin:) „Höret mich an, ihr schönsten Töchter! Seht, eine
bedeutende Anzahl von Weibern meines Planeten fangen nun an sich
hervorzudrängen, um ihre gestaltliche Schönheit mit der euren zu vergleichen. Da
ihr aber gegen sie zu unendlich schön seid, so daß eure Schönheit die ein wenig
Eitlen auf längere Weile förmlich töten könnte, so verhüllet mit euren
überreichen Haaren auf eine kurze Weile euer Gesicht. Enthüllet es erst nach und
nach wieder, so ich euch dazu den Wink geben werde! O tuet mir diesen Gefallen!“
[BM.01_142,05] Sprechen die drei: „O du unsere Liebe nun! Sind wir gestaltlich
denn wohl gar so schön? Sieh, hier in dieser Welt hat uns noch nie jemand das
gesagt. Hier weiß man nichts von einer gestaltlichen Schönheit, sondern nur von
einer gestaltlichen Ordnung und einer entsprechenden Weisheit aus ihr. Du warst
wohl der erste, der unsere Gestalt zu rühmen begann, was wir aber mehr auf
unsere Ordnung und Weisheit bezogen haben. Aber nun merken wir wohl, daß du
hauptsächlich unsere Gestalt meinst! So aber im Ernste unsere Gestalt für dich,
wie du sagst, so unnennbar schön ist, so sage uns, worin denn unsere so große
Schönheit besteht!“
[BM.01_142,06] Spricht Martin: „Zuerst erfüllet meinen Wunsch, dann werde ich
euch das schon alles gelegentlich erläutern!“
[BM.01_142,07] Sagen die drei: „Oh, so schiebe du selbst uns die Haare über das
Gesicht. Denn du wirst am besten wissen, wie unser Gesicht verdeckt sein muß, um
jenen, die nun zu uns hervorkommen, nicht gefährlich zu sein!“
[BM.01_142,08] Martin läßt sich das nicht zweimal sagen und vollzieht sogleich
das verlangte Werk. Als er gerade bei der dritten fertig ist, kommt schon Borem
zu ihm und spricht:
[BM.01_142,09] „Bruder, du hast deine Aufgabe bisher meisterlich gelöst!
Freilich wohl hast du zwei Freunde bei dir, denen auf dieser wie auf zahllosen
andern Welten alle Wege bekannt sind. Dessenungeachtet hast du förmlich Wunder
geleistet. Doch nun mußt du mit diesen nun deinen drei Töchtern gegen die
vordringenden Nonnen sehr achtsam sein, sonst wirst du ein wahres Mordsspektakel
erschauen!
[BM.01_142,10] Das Gesicht darfst du sie vorderhand schon gar nicht sehen
lassen, außer auf dringendes Verlangen. Kannst du sie aber sonst abfertigen,
wird es um so besser sein. Wie unsere Nonnen diese drei von Angesicht erschauen
werden, da werden sie wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzen und sich aus Gram
und großer Beschämung förmlich selbst zu zerreißen anfangen. Daher sei du nun
möglichst behutsam, sonst gibt es hier eine tüchtige Wäsche ab.“
[BM.01_142,11] Martin wird darob bedeutend verlegen und spricht: „Also wieder
eine verzweifelte Geschichte in Aussicht! Nein, diese Nonnen haben mir noch
allzeit am meisten zu schaffen gemacht, und hier im Himmel geben die dummen
Greteln auch noch keine Ruhe! Ich hätte gute Lust, ihnen diese drei ganz
entblößt in ihrer größten Schönheit vorzustellen. Sie sollen nur anrennen, was
immer kreuzmöglich ist, und gedemütigt werden über einen Sklaven! Vielleicht
wird's nachher besser mit ihnen!“
[BM.01_142,12] Spricht Petrus: „Ja, hast recht, Bruder, gar zu zart muß man mit
jenen nicht umgehen, die sich in ihrem eitlen gestaltlichen Wesen mehr als recht
zu gefallen bemüht sind. Es ist wohl recht, anfangs gelindere Mittel anzuwenden,
um solche eitlen weltlichen Überreste von der Seele zu entfernen. So aber die
gelinden Mittel nicht hinreichen, dann aber nur geschwind die gröbsten Bürsten
her. Bruder Borem, hast wohl recht, wie du es meinst; aber Martin hat auch
recht! Daher lassen wir ihm hier das Handeln ganz frei über!“
[BM.01_142,13] Johannes bestätigt solches auch und sagt noch zu Borem: „Du hast
ganz recht, und Martin hat auch recht. Denn siehe, in der Sonne gibt es ewig
keine Nacht, und der Nordpol leuchtet gleich wie der Südpol. Gehe daher nur
zurück und führe deine fromme Herde vor; sie soll hier bestens gekämmt und
geschoren werden!“
[BM.01_142,14] Borem geht und bringt mit Chorel zwanzig der Eitelsten, die sich
für ganz besonders schön dünken. Sie umringen sogleich den Martin samt Petrus,
Borem und Chorel und sagen zu Martin: „Nun, wo sind denn die gar so unendlichen
Schönheiten der Sonne, von denen uns in deinem Hause gesagt wurde, daß wir gegen
sie gar nichts wären? Zeige sie uns und überzeuge uns von der Wahrheit deiner
Aussage!“
[BM.01_142,15] Spricht Martin: „Nur her mit euch, ihr eitlen Seelen! Soll euch
sogleich geholfen sein! Sehet, da stehen schon drei! Wie gefallen sie euch?“
[BM.01_142,16] Sprechen die Nonnen: „Wir sehen nichts denn Haare und blaue
Faltenkleider, dergleichen auch wir haben; aber wir wollen das offene Gesicht,
die Brust und die Arme sehen!“
[BM.01_142,17] Spricht Martin: „So ihr sterben wollt vor Gram und Scham, soll
euch euer Verlangen sogleich gewährt werden! Saget nun – ja oder nein!“
[BM.01_142,18] Die Nonnen stutzen über die letzte Aufforderung Martins und
fragen einander, was sie tun sollen; aber keine weiß der andern einen rechten
Bescheid zu geben. Eine wendet sich an Chorel und fragt ihn um Rat in dieser
Sache. Aber Chorel zuckt ebenfalls die Achseln und sagt nach einer
nachdenklichen Weile:
[BM.01_142,19] (Chorel:) „Ja, meine geliebten Schwestern, hier ist ein guter Rat
wahrlich sehr teuer! Sagt ihr ja, da seht zu, wie es euch nach den sehr
bestimmten Worten Martins ergehen wird. Sagt ihr aber ne